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Full text of "Die mikroorganismen. Mit besonderer berücksichtigung der ätiologie der infektionskrankheiten"

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c.l  v.l  WVMJ 

Die  mikroorganismen.  Mit  besonderer  /  Flügge,  Kar 


3  0802  000024919  3 


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DIE 

MIKROORGANISMEN. 

Mit  besonderer  Berücksichtigung  der 

Ätiologie  der  Infektionskrankheiten. 


Dritte,  völlig  umgearbeitete  Auflage 

BEARBEITET   VON 

Dr.  P.  Frosch  in  Berlin,  Dr.  E.  Gotschlich  in  Breslau, 

Dr.  W.  Kolle  in  Berlin,  Dr.  W.  Kruse  in  Bonn, 

Prof.  R.  Pfeiffer  in  Berlin, 

HERAUSGEGEBEN   VON 

Dr.  C.  FLÜGGE, 

0.  Ö.  PROFESSOR  UND  DIREKTOR  DES  HYGIENISCHEN  INSTITUTS  ZU  BRESLAU. 


ERSTER  THEIL. 

MIT  57  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 


LEIPZIG, 
VERLAG  VON    F.  C.  W.  VOGEL. 

1896. 


F  c  ?v. : 

Das  Übersetzungsrecht  sowie  der  Nachdruck  der  Abbildungen  vorbehalten. 


Vorwort  zur  dritten  Auflage. 


Seit  fast  8  Jahren  ist  die  2.  Auflage  der  „Mikroorganismen" 
vergriffen  und  wiederholt  hat  mich  die  Verlagsbuchhandlung  um  Be- 
arbeitung einer  neuen  Auflage  ersucht. 

Leider  habe  ich  diesem  Ersuchen  nicht  entsprechen  können.  Die 
Erfahrungen  bei  der  Herstellung  der  2.  Auflage  —  eigentlich  eines 
völlig  neuen  Werkes  gegenüber  der  ersten  Bearbeitung  —  hatten  mich 
darüber  belehrt,  dass  akademische  Lehrer  mit  ausgedehnten  Berufs- 
pflichten solchen  Aufgaben  kaum  gewachsen  sind:  endweder  muss  man 
den  Unterricht  jahrelang  einschränken,  oder  ganz  auf  Forschungen  ver- 
zichten, oder  die  Bearbeitung  zieht  sich  so  lange  hin,  dass  die  ersten 
Abschnitte  des  Buches  beim  Erscheinen  veraltet  sind,  insbesondere 
wenn  das  Werk  ein  so  rege  bebautes  und  so  fruchtbares  Wissens- 
gebiet behandelt,  wie  die  Bakteriologie. 

Wenn  ich  aber  selbst  eine  3.  Auflage  nicht  schreiben  konnte,  so 
war  doch  zu  erwägen,  ob  die  Neubearbeitung  nicht  jüngeren,  weniger 
durch  Berufspflichten  in  Anspruch  genommenen  Kollegen  überlassen 
werden  sollte. 

Indess  man  wird  es  mir  nicht  verdenken,  dass  ich  nur  ungern  an 
diesen  Ausweg,  dachte.  In  der  1.  und  namentlich  in  der  2.  Auflage 
hatte  ich  die  Lehre  von  den  Mikroorganismen  in  vielen  Abschnitten 
von  neuen  Gesichtspunkten  aus  behandelt;  manche  Kapitel  hatte  ich 
ganz  neu  schaffen  müssen.  Ich  machte  dort  zum  ersten  Male  den 
Versuch,  eine  wenn  auch  vorläufige,  so  doch  praktisch  brauchbare, 
hauptsächlich  auf  Kulturmerkmale  gegründete  Systematik  und  diagno- 
stische Differenzierung  der  Bakterien  zu  liefern;  ihre  Lebensbedingungen 
und  Lebensäusserungen  behandelte  ich  eingehender  und  erschöpfender, 
als    es   bisher    geschehen    war;     aus    den    experimentell    festgestellten 


IV  Vorwort 

Lebenseigenschaften  der  krankheitserregenden  Bakterien  suchte  ich  die 
Verbreitungsweise  der  wichtigsten  Infektionskrankheiten  bis  ins  Detail 
zu  erklären. 

Zum  mindesten  musste  ich  wünschen,  dass  bei  einer  Neubearbei- 
tung durch  Andere  die  in  meinem  Buche  vertretenen  Auffassungen 
im  allgemeinen  beibehalten  würden,  und  dass  die  Art  der  Behandlung 
des  Stoffs  ungefähr  die  gleiche  bleibe.  Da  diese  Bedingung  schwer 
zu  erfüllen  war,  blieb  die  3.  Auflage  lange  Zeit  ungeschrieben,  obwohl 
ich  erkennen  musste,  dass  die  inzwischen  erschienenen  grösseren  Hand- 
bücher von  Cornil  u.  Babes  und  von  Sternberg  die  entstandene  Lücke 
nicht  auszufüllen  vermochten,  weil  sie  in  ihrer  Art  zwar  Vorzügliches 
boten,  aber  doch  von  wesentlich  anderen  Gesichtspunkten  aus  bearbeitet 
waren. 

Eine  Lösung  des  Dilemmas  fand  ich  erst,  als  Dr.  Kruse  1893  die 
Assistentenstelle  an  meinem  Institut  übernahm.  Dr.  Kruse  hatte  be- 
reits aus  der  seiner  Leitung  unterstellten  Abteilung  der  zoologischen 
Station  zu  Neapel  so  zahlreiche  tüchtige  bakteriologische  Arbeiten  er- 
scheinen lassen,  war  offenbar  mit  der  ganzen  Materie  so  völlig  vertraut, 
und  seine  Anschauungen  harmonierten  so  gut  mit  den  meinigen,  dass 
ich  kein  Bedenken  trug,  mit  seiner  Hilfe  an  die  Bearbeitung  einer 
neuen  Auflage  der  Mikroorganismen  heranzutreten.  Aber  selbst 
Kruse's  frische  Arbeitskraft  würde  kaum  ausgereicht  haben,  die  in- 
zwischen enorm  angewachsene  Materie  in  absehbarer  Frist  in  die  Form 
eines  zuverlässigen  und  in  allen  Teilen  gründlichen  Handbuchs  zu 
bringen.  Ich  entschloss  mich  daher,  den  Abschnitt  „Biologie"  ganz 
abzuzweigen,  und  habe  für  diesen  in  meinem  jetzigen  Assistenten 
Dr.  Gotschlich  einen  vortrefflich  geeigneten,  physiologisch  gut  vor- 
gebildeten Bearbeiter  gefunden;  ferner  hatten  Prof.  Pfeiffer,  Dr. 
Frosch  und  Dr.  Kolle  vom  KocH'schen  Institut  in  Berlin  die  grosse 
Freundlichkeit,  einzelne  Abschnitte  der  Systematik  (Schimmel-  und 
Hefepilze,  Mikrokokken,  Spirillen)  und  einige  kleinere  Kapitel  („Fund- 
orte" und  „Methoden")   zu  übernehmen. 

Mit  diesen  bewährten  Mitarbeitern  ist  es  möglich  gewesen,  das 
Werk  etwa  innerhalb  eines  Jahres  fertig  zu  stellen. 

Ich  selbst  habe  mich  darauf  beschränkt,  für  eine  zweckmässige 
Verteilung  des  Stoffs,  ferner  für  Vollständigkeit  einerseits,  für  Ver- 
meidung von  Wiederholungen  andererseits  nach  Möglichkeit  Sorge  zu 
tragen,  ausserdem  hier  und  da  Gesichtspunkte  für  die  Bearbeitung  zu 


Vorwort  V 

empfehlen,  zuweilen  auch  zwischen  den  widerstreitenden  Ansichten  der 
verschiedenen  Mitarbeiter  zu  vermitteln.  Im  übrigen  habe  ich  den 
einzelnen  Autoren  ganz  freie  Hand  gelassen;  auch  darin,  ob  sie  sich 
mehr  oder  weniger  an  den  Text  der  2.  Auflage  halten  wollten.  Wenn 
gerade  in  diesem  Punkte  die  Bearbeitung  ungleich  ausgefallen  ist,  so 
liegt  darin  kaum  ein  Schaden  gegenüber  dem  grossen  Vorteil,  dass 
die  Verfasser  volle  Selbständigkeit  bei  der  Bearbeitung  ihrer  Abschnitte 
hatten.  Sie  sind  allein  für  den  Inhalt  verantwortlich;  ihnen  gebührt 
aber  auch  allein  alles  Verdienst,   wenn  Gutes  geleistet  ist. 

Von  Abbildungen  habe  ich  nur  einfache  Figuren,  meist  im  Text, 
aufgenommen.  Zur  Orientierung  und  für  Unterrichtszwecke  sind  die- 
selben vollauf  ausreichend.  Wer  morphologische  Details  von  Mikro- 
organismen an  Abbildungen  studieren  will,  für  den  sind  einzig  gute 
Photogramme  brauchbar,  und  diese  besitzen  wir  in  dem  ausgezeich- 
neten Atlas  der  Bakterienkunde  von  Feänkel  und  Pfeiffee,  der  für 
jeden  Bakteriologen  unentbehrlich  ist  und  auch  durch  den  später  er- 
schienen Atlas  von  Niemann  und  Itzekott  nicht  weniger  entbehrlich 
geworden  ist. 

Die  Litteraturcitate  sind  in  den  Text  eingeschoben;  sie  sind  so 
überaus  zahlreich,  dass  wir  der  Raumersparnis  wegen  es  vorgezogen 
haben,  dabei  Abkürzungen  zu  verwenden,  deren  Verzeichnis  in  Band  I 
und  in  Band  II  unmittelbar  hinter  dem  Inhaltsverzeichnis  abgedruckt 
ist.  —  Nur  in  dem  Abschnitt  „Schimmel-  und  Hefepilze"  ist  die 
Litteratur  infolge  eines  Versehens  nicht  im  Text  citiert,  sondern  am 
Schluss  des  Abschnitts  zusammengestellt. 

Möge  das  Buch  auch  in  der  neuen  Gestalt  viele  Freunde  finden 
und  fördernd  und  klärend  auf  dem  Gebiet  der  Bakteriologie  wirken. 
Die  Bedeutung  dieser  Disciplin  wird  freilich  zur  Zeit  gerade  sehr  ver- 
schieden beurteilt.  Viele  geben  sich  der  Hoffnung  hin,  dass  die  Tage 
der  Bakterien  gezählt  seien,  und  dass  man  sich  nicht  mehr  der  Mühe 
zu  unterziehen  brauche,  ihnen  ernste  Studien  zu  widmen.  Soll  doch 
noch  jüngst  die  Majorität  einer  medizinischen  Fakultät  sich  zu  dem 
Votum  geeinigt  haben,  dass  „an  der  Bakteriologie  nichts  daran  sei; 
da  sei  immer  dasselbe,  immer  eine  Gelatineplatte  und  eine  Maus  und 
eine  Platinöse,  und  das  sei  kein  wissenschaftliches  Arbeiten".  — 
Derartige  absprechende  Urteile  sind  indess  stets  nur  von  Solchen 
geäussert  worden,  welche  die  Bakteriologie  nicht  kennen.  Diejenigen, 
welche  sich  Mühe  gegeben  haben,  die  Methoden  der  Bakterienforschung 


VI  Vorwort 

sich  anzueignen  und  in  ernster  Arbeit  bei  der  Lösung  wissenschaftlicher 
Fragen  anzuwenden,  haben  nie  in  solcher  Weise  abgeurteilt,  sondern 
sind  einig  in  der  Überzeugung,  dass  die  Bakteriologie  für  die  alier- 
verschiedensten  Wissensgebiete,  namentlich  aber  für  die  praktisch- 
medizinischen  Fächer  eine  der  wichtigsten  Hilfsdisciplinen  ist,  die  von 
Jahr  zu  Jahr  an  Bedeutung  gewinnt.  Wer  sie  fortdauernd  ignoriert, 
für  den  werden  die  jüngeren  Mediziner  bald  in  einer  Sprache  reden, 
die  er  nicht  mehr  versteht,  und  vergeblich  wird  er  später  versuchen, 
die  verlorene  Fühlung  mit  der  modernen  Wissenschaft  wiederzugewinnen. 

Breslau,  im  Juli  1S96. 

C.  Flügse. 


Inhaltsverzeichnis  des  ersten  Teiles. 


Seite 
Vorwort III 

Verzeichnis   der  Abkürzungen  bei  den  „Litteraturcitaten'1 XV 

Einleitung.     Allgemeine  Morphologie,  Biologie,  Vorkommen  und  Fundorte. 

Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen 1 


Einleitung  von  Dr.  E.  Gotschlich 3 

A.  Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorga- 
nismen    s 3 

I.   Mikroorganismen  als  Erreger  von  Gährung  und  Fäulnis     ...  6 

Allmähliche  Entwicklung  der  vitalistischen  oder  Keimtheorie     .     .  '  6 

Einwände  gegen  die  Grundlagen  der  Eeimtheorie 15 

It.    Mikroorganismen  als  parasitäre  Krankheitserreger 22 

B.  Jetzige    Definition    und    Klassifikation    der    Mikroorga- 
nismen     31 

ERSTER  ABSCHNITT. 

Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen  von  Dr.  W.  Kruse  und 

Dr.  P.  Frosch "..'..  34 

Erstes  Kapitel. 

Allgemeine  Morphologie  der  Schimmel-  oder  Fadenpilze  vonDr.  P.  F  ro  s  ch  34 

Zweites  Kapitel. 

Allgemeine  Morphologie  der  Sprosspilze  (Hefenpilze)  von  Dr.  P.  Frosch  40 
Drittes  Kapitel. 

Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien  von  Dr.  W.  Kruse 44 

A.  Definition  und  Verwandtschaften 44 

*  B.  Formen 45 

C.  "Wachstum  und  Teilung 52 

D.  Dauerzustände,  Sporenbildung .--56 

E.  Unregelmässige  Formen 61 

F.  Bewegungsorgane 64 

G.  Kapsel-  und  Zooglöabildung       67 

H.  Bau  der  Bakterienzelle 69 

I.  Kreislauf  der  Formen,  Formkonstanz  und  Pleomorphismus      .     .  76 


VIII  Inhaltsverzeichnis 

Viertes  Kapitel. 

Seite 

Allgemeine  Morphologie  der  Protozoen  von  Dr.  W.  Kruse 79 

ZWEITER  ABSCHNITT. 

Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen  von  Dr.  E.  6 ot schlich  und 

Dr.  W.  Kruse 84 

Einleitende  Bemerkungen  von  Dr.  E.  Gotschlich 84 

Erstes  Kapitel. 

Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen  von  Dr.  E.  Gotschlich   .     .  89 

A.  Physikalische  Beschaffenheit  des  Zellleibes  der  Mikroorganismen  89 

B.  Chemische  Zusammensetzung  der  Mikroorganismen 92 

I.  Schimmelpilze 93 

IL  Sprosspilze 94 

III.  Spaltpilze 96 

C.  Die  Nährstoffe  der  Mikroorganismen 108 

I.  Die  Nährstoffe  der  Schimmelpilze 109 

IL  Die  Nährstoffe  der  Sprosspilze 115 

III.  Die  Nährstoffe  der  Spaltpilze 118 

a)  Die  einzelnen  Nährstoffe  der  Spaltpilze 118 

b)  Die  zusammengesetzten  Nährmedien  der  Bakterien  .     .     .  129 

D.  Die  physikalischen  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen      .  132 

E.  Vitale  Konkurrenz  der  Mikroorganismen 137 

Zweites  Kapitel. 

Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen  von  Dr.  E.  Gotschlich     .     .  141 

A.  Allgemeiner  Charakter  des  Lebensprozesses  bei  den  Mikroorga- 
nismen        142 

B.  Die  direkte  Gasatmung  der  Mikroorganismen 147 

C.  Die  Assimilation  und  Verwendung  der  Nährstoffe  im  Zellleib  der 
Mikroorganismen 148 

D.  Die  physikalischen  Leistungen  der  Mikroorganismen      ....  157 
I.  Lokomotion 157 

IL  Wärmeproduktion 164 

III.  Lichtentwicklung 165 

E.  Stoffwechselprodukte  der  Mikroorganismen 168 

I.  Reduktionsvorgänge 169 

IL  Die  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff 170 

III.  Die  Bildung  von  Farbstoffen 174 

IV.  Die  Veränderung  der  Reaktion  des  Nährsubstrats  durch  Bil- 
dung von  Säuren  oder  Alkalien 17S 

F.  Ptoma'ine,  Toxine  und  Toxalbumine 181 

G.  Die  isolierbaren  Fermente 195 

I.  Fermente,  welche  Kohlehydrate  und  deren  Derivate  spalten   .  197 

a)  Fermente,   welche   den  Abbau  der  Stärke  u.  verwandter 
Körper  bewirken 197 

b)  Invertierende  Fermente 202 

c)  Glukosidspaltende  Fermente 206 

d)  Celluloselösende  Fermente 207 


Inhaltsverzeichnis  IX 

Seite 

IL  Eiweissspaltende  (peptonisierende)  Fermente       ......  207 

III.  Labfermente 209 

IV.  Harnferment 211 

V.  Fettspaltende  Fermente.  Allgemeine  Eigenschaften  und  Theorie 

der  Fermentprocesse 213 

Drittes  Kapitel. 

Gährungserregung  von  Dr.  E.  Gotschlich 219 

A.  Gährungen  durch  Spaltung 220 

I.  Vergährungen  der  Kohlehydrate 220 

1.  Die  alkoholische  Gährung  der  Zuckerarten  durch  Hefe    .     .  220 

2.  Oxalsäuregährung 232 

3.  Citronensäuregährung     . 232 

4.  Milchsäuregährung 232 

5.  Buttersäuregährung 236 

6.  Schleimige  Gährungen 239 

7.  Cellulosevergährung  (Sumpfgasgährung)  ........  241 

8.  Verschiedene  Vergährungen  der  Kohlehydrate     .          ...  243 

IL  Vergährung  der  mehrwertigen  Alkohole 244 

III.  Vergährungen  der  Fettsäuren  und  Oxysäuren 246 

B.  Gährungen  durch  Oxydation 248 

I.  Die  Essiggährung 248 

IL  Nitrifikation 251 

C.  Zusammengesetzte  Gährungen 254 

I.  Die  Fäulnis 254 

IL  Komplizierte,  ihrem  chemischen  Verlauf  nach  noch  unbekannte 

Gährungen,  die  in  den  Gährungsgewerben  Anwendung  finden  262 

1.  Kefirgährung 262 

2.  Käsereifung  u.  abnorme  Käsegährung 263 

3.  Brotgährung 264 

4.  Gährungen  im  Gerbereibetriebe 265 

5.  Tabaksgährung 265 

6.  Opiumgährung 266 

7.  Indigobereitung 266 

D.  Allgemeine  Eigenschaften  und  Theorie  der  Gährungsprocesse     .  266 

Viertes  Kapitel. 

Krankheitserregung  von  Dr.  W.  Kruse 271 

A.  Einteilung  der  Bakterien  nach  Wachstumsfähigkeit  und  Wirkung 

im  lebenden  Körper 271 

B.  Lokale  Wirkungen  der  Bakterien 276 

C.  Allgemeinwirkungen  der  Bakterien 282 

D.  Einfluss  der  Menge  des  Virus 296 

E.  Virulenzgrad 299 

F.  Mischinfektion 309 

G.  Eintrittspforten  der  Infektion     .     .     ;     . 316 

H.  Natürliche  Immunität  und  Disposition 328 

I.  Erworbene  Disposition        332 

K.  Künstlische,  nicht  spezifische  Immunität  und  Heilung     ....  341 


Inhaltsverzeichnis 

Seite 

L.  Spezifische  Immunität  und  Heilung 355 

I.  Immunität  gegen  das  lebende  Virus 356 

II.  Giftimmunität 368 

M.  Ausscheidung  der  Infektionserreger  und  ihrer  Produkte      .     .     .  375 

N.  Infektionsquellen  und  Selbstinfektion 380 

0.  Vererbung  der  Infektion,  Disposition  und  Immunität      ....  388 

P.  Theorie  der  Infektion,  Immunität  und  Heilung 394 

Anhang:  Pflanzeninfektion 418 

Fünftes  Kapitel. 
Fortpflanzung,  Wachstum  und  Fruktifikation  der  Mikroorganismen  von 

Dr.  E.  Gotschlich 420 

A.  Die  Vermehrung  durch  Zellteilung 420 

B.  Wachstum  und  Bildung  von  Kolonien 425 

C.  Fruktifikation 427 

I.  bei  Schimmelpilzen 427 

IL  bei  Sprosspilzen 429 

IH.  bei  Spaltpilzen 430 

Sechstes  Kapitel. 

Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen  von  Dr.  E.  Gotschlich  433 

A.  Schädigung    der  Mikroorganismen    durch  physikalische  Einwir- 
kungen        435 

B.  Schädigung  der  Mikroorganismen  durch  chemische  Einwirkungen  446 
Allgemeine  Vorbemerkungen  und  Methodik 446 

I.  Anorganische  Desinfektionsmittel 451 

a)  Metalle  und  Metallsalze 451 

b)  Säuren  und  Alkalien 456 

c)  Gasförmige    anorganische   Stoffe.     Halogene   u.    Halogen- 
derivate      460 

IL  Organische  Desinfektionsmittel 463 

a)  Körper  der  Methanreihe 463 

b)  Körper  aus  der  aromatischen  Reihe 466 

c)  Körper  aus  den  Pyridin-,  Chinolin-  u.  verwandten  Reihen 
Alkaloide 472 

d)  Ätherische  Öle 473 

e)  Farbstoffe 474 

Siebentes  Kapitel. 

Variabilität  der  Mikroorganismen  von  Dr.  W.  Kruse 475 

A.  Einleitung 475 

B.  Morphologie 478 

C.  Wachstum  in  künstlichen  Nährböden  und  Koloniebildung.  Gela- 
tineverflüssigung und  Schleimbildung 480 

D.  Temperatur,  Sauerstoffzutritt  u.  Sauerstoffmangel  als  Wachstums- 
bedingungen        483 

E.  Zusammensetzung  des  Bakterienkörpers,  Reaktionen 485 

F.  Resistenz  der  Bakterien 485 

G.  Bakterielle  Zersetzungen,  Bakterienprodukte       486 


Inhaltsverzeichnis  XI 

Seite 

H.  Pigrnentbildung 487 

J.  Beweglichkeit 488 

K.  Sporenbildung 489 

L.  Virulenz  und  Giftbildung 490 

M.  Natürliche  Varietäten 490 

N.  Schluss ' ■ 491 

DRITTER  ABSCHNITT. 

Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen  von  Prof.  R.  Pfeiffer  494 

Erstes  Kapitel. 

Allgemeine  Verbreitung  der  Bakterien 494 

Zweites  Kapitel. 

Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  in  der  Luft 496 

Gefahr  der  Luftkeime 499 

Drittes  Kapitel. 

Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden 500 

A.  Verhalten  der  pathogenen  Bakterien  im  Boden 505 

*-                 I.  Findet  Vermehrung  pathogener  Bakterien  im  Boden  statt?     .  506 

IL  Findet   im  Boden    eine  Konservierung  pathogener  Bakterien 

statt? 508 

DI.  Wie  erfolgt  die  Verbreitung  der  konservierten  Bakterien  vom 

Boden  zum  Menschen? 512 

B.  Zeitliche  Beeinflussung  der  Verbreitung  durch  die  Bodenfeuchtig- 
keit   513 

C.  Einfluss  der  örtlichen  Bodenbeschaffenheit  auf  die  Verbreitung  .  514 

D.  Resunie 515 

Viertes  Kapitel. 

Vorkommen  von  Bakterien  im  Wasser 517 

Fünftes  Kapitel. 

Bakteriengehalt  der  Nahrungsmittel 521 

Sechstes  Kapitel. 

Bakteriengehalt  der  Kleidung 524 

Siebentes  Kapitel. 

Vorkommen  von  Bakterien  in  der  Wohnung 524 

Achtes  Kapitel. 

Infektionen  durch  Beruf  und  Beschäftigung 526 

Neuntes  Kapitel. 

Bakterien  auf  den  Körperoberflächen 526 

"  VIERTER  ABSCHNITT. 

Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen  von  Dr.  W.  Kolle  531 

A.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  niederen  Pilze     ....  531 


XII  Inhaltsverzeichnis 

Seite 

I.  Herstellung  und  Färbung  von  Deckglaspräparaten      ....  532 

II.  Herstellung  von  Schnitten 533 

III.  Färbung  u.  Behandlung  der  Schnitte 535 

a)  Allgemeines 535 

b)  Gebräuchlichste  Farblösungen 536 

c)  Besondere  Färbungsmethoden 537 

1.  Doppelfärbung 537 

2.  Färbung  der  Tuberkelbacillen 538 

3.  Universalmethoden(L ö f f  1  e r's Methode u.Pfeiffer's Methode)  539 

4.  Gram 's  Methode 539 

Die  Benutzung  der  Gram 'sehen  Methode  zur  Differenzierung  von 

Bakterien 541 

IV;  Färbung  von  Bacillensporen 541 

V.  Geisseifärbung 542 

VI.  Konservierung  mikroskopischer  Präparate 544 

VII.  Mikroskopische  Durchmusterung  der  Präparate 544 

VIII.  Photographische  Abbildung  von  Bakterien 545 

IX.  Zur  Differentialdiagnose  der  Bakterien 54S 

B.  Die  künstliche  Kultur  der  Mikroorganismen 549 

I.  Gefässe  für  die  Kultivierung 549 

IL  Die  Nährsubstrate 550 

a)  Allgemeines 550 

b)  Künstliche  Nährlösungen  für  die  pathogenen  Bakterien     .  552 

III.  Besondere  Vorschriften  für  die  Bereitung  einiger  Nährsubstrate.  555 

IV.  Brutschränke 559 

V.  Die  Beschickung  der  Nährböden 562 

VI.  Kulturmethoden 563 

a)  Kultur  aerober  Bakterien 563 

Gelatineplattenmethode 566 

Keimzählung  mittelst  Plattenverfahrens 568 

Rollplatten  nach  v.  Esmarch 569 

b)  Kultur  anaerober  Bakterien 570 

c)  Isolierung  in  flüssigen  Nährsubstraten 573 

VII.  Untersuchung  der  biologischen  und  pathogenen  Eigenschaften 

der  Bakterien 575 

Instrumente  zur  Injektion 576 

Tierhalter 577 

VIII.  Methoden  und  Apparate  für  die  chemische  Untersuchung  der 

Bakterien 582 

C.  Die  bakteriologische  Untersuchung  von  Luft,  Wasser  und  Boden  586 
I.  Luft 586 

IL  Wasser 590 

III.  Boden 594 


Figiirenverzeicknis  des  ersten  Teils. 


Figur  Seite 

1.  (Aus  van  Leeuwenhoek's  „Arcana  naturae"  nach  Löffler,   S.  6)  3 

2.  (Aus  0.  F.  Müller' s  „Anirnalcula  infusoria"  nacli  Löffler,   S.  17)  4 

3.  Gemmen-  od.  Chlainydosporenbildung  (nach  Tavel) 36 

4.  Sporenbildung  von  Sacch.  cerevis.  (nach  Jörgensen) 43 

5.  Sporen  von  Sacchar.  Ludwigii  (nach  Jörgensen) 43 

6.  Sporenformen  von  Sacch.  anomalus  (nach  Jörgensen) 43 

7.  Verschiedene  Kugelformen  der  Bakterien 47 

8.  Verschiedene  Formen  von  Bakterienstäbchen- 49 

9.  Verschiedene  Formen  von  Schrauben;  Kommabacillen 51 

10.  Sporenformen,  Sporenbildung,  Sporenkeimung  der  Bakterien    ...  58 

11.  Unregelmässige  Bildungen  (Involutionsformen)  von  Bakterien  ...  62 

12.  Bewegungsorgane  und  Bau  der  Bakterienzelle 66 

13.  Bakterien  in  Kapseln  und  Zooglöen 68 

14.  Comet'sche  Pinzette  zum  Handhaben  der  Deckgläschen    ....  533 

15.  Mikrophoto  graphischer  Apparat  von  Zeiss  in  Jena 547 

16.  Erlenmeyer'sches  Kölbchen  für  künstl.  Kulturen 549 

17.  Petri'sche  Schale       549 

18.  Kolle'sche  Schale "  ....  550 

19.  Pasteur'sches  Kölbchen  (matras)  für  Kulturflüssigkeit 550 

20.  Sterilisierungsapparat 553 

21.  Treskow'scher  Fülltrichter 554 

22.  Dampfofen  zum  Sterilisieren 554 

23.  Wärmetrichter 556 

24.  Brutschrank  oder  Thermostat 560 

25.  Koch 'sehe  Sicherheits  Vorrichtung 561 

26.  Thermoregulator  (von  Quecksilber)  des  Brutschranks 561 

27.  Deckgläschen  u.  hohle  Objektträger 563 

28.  Aluminiumhalter  mit  Platinöse  u.  Platinnadel  zum  Übertragen  des 
Impfmaterials 564 

29.  Nivellierständer  mit  Koch'schem  Plattengiessapparat 567 

30.  WolffhügePs  Zählnetz  zur  Keimzählung 569 

31.  Glas  für  anaerobiotische  Züchtung 571 

32.  Kitasato'sche  Schale 572 

33.  Botkin'scher  Apparat 572 

34.  Gährungsröhrchen       575 

35.  Koch'sche  Spritze  für  Injektion  von  Flüssigkeiten 576 


XIV  Figurenverzeichnis 

Figur  Seite 

36.  Kitasato's  Tierhalter 578 

37.  Von  F.  Lautenschläger  modifizierter  Tierhalter 578 

38.  Derselbe 579 

39.  Aclerlasskanülen 579 

40u.41.  Tierhalter  von  Malassez        580 

42.  Derselbe 581 

43.  Voges'scher  Meerschweinchenhalter 581 

44.  Temperaturmessung  bei  Tieren 582 

45.  Kitasato'sche  Kerze  für  Filtration 583 

46.  Pukall'sches  Filter 583 

47.  Proskauer'scher  Dialysator 584 

48.  Vakuum-Destillationsapparat  von  Proskauer 584 

49.  Extraktionsapparat  von  Proskauer 585 

50.  Heizbarer  Vakuumtrockenapparat  von  Proskauer 585 

51.  Röhre  zur  Bestimmung  des  Keimgehalts  der  Luft 588 

52.  Dieselbe  in  Verbindung  mit  der  Luftpumpe 589 

53  u.  54.  Gefässe  zur  Entnahme  u.  Aufbewahrung  von  Wasserproben    .     .     .  592 

55.  Proskauer's  transportabler  Kasten  zur  bakteriolog.  Untersuchung 

des  Wassers 593 

56.  Fr änkel 'scher  Bohrer  zur  Entnahme  von  Bodenproben      ....  594 

57.  Davids'  Bodenbohrer 595 


Verzeichnis 
der  Abkürzungen  bei  den  „Litteratnrcitaten". 


A 

=  Archiv  f.  Hygiene. 

B. 

=  Berlin,   klin.  Wochenschr. 

A 

.  Ro. 

=  Atti  dell'Academ.  me- 
dica  di  Roma. 

B.  B. 

=  Beiträge    zur   Biologie    d. 
Pflanzen  von  F.  Cohn. 

Ac. 

=  Bullet,    de  l'academie 

B.  Ch. 

=  Berichte  der  deutschen  che- 

de medecine. 

misch.   Gesellschaft. 

A 

Bi. 

=  Archives  italiennes  de 
hiologie. 

B.  G. 

=  Berichte  der  deutschen  bo- 
tan.  Gesellschaft. 

A 

D. 

=  Archiv    f.     Dermatol. 

B.  M. 

=  British  med.  Journal. 

u.  Syphilis. 

B.  T. 

=  Berliner      thierärztl. 

A 

Ch. 

=  Archiv   für    Chirurgie 

Wochenschrift. 

(Langenbeck). 

B.  Z. 

=  Botanische  Zeitung. 

A.  Ch.  Pharm.  =  Armalen    der    Chemie 

Bo. 

=  Boston  med.  and  surgical 

und  Pharmazie. 

Journal. 

A. 

ch.  ph. 

=  Annales  de  Chemie  et 
de  physique. 

Buc. 

=  Annales  de  l'institut  de 
Pathol.  et  de  Bacteriol.  de 

A. 

E. 

=  Archives  de  medec.  ex- 

Bucarest. 

periment.  et  d'anatom. 

C. 

=  Centralblatt  für  Bakterio- 

path. 

logie. 

A. 

G-. 

=  Arbeiten  aus  dem  Kai- 
serl.  Gesundheitsamte. 

C.  C. 

=  Centralblatt  für  Bakterio- 
logie   II.  (technische)  Ab- 

A. 

I. 

=  Annali    dell'  Instituto 

theilg. 

d'igiene    sperimentale 

C.  B. 

=  Botanisches     Centralblatt. 

di  Roma. 

C.  Ch. 

=  Centralblatt  f.  Chirurgie. 

A. 

J.  M. 

=  American.  Journ.  med. 
scienc. 

C.  I. 

=  Congress  f.  innere  Medizin, 
Verhandlungen. 

A. 

M. 

=  Deutsches  Archiv   für 

C.  G. 

=  Centralblatt  f. Gynäkologie. 

klin.  Medizin. 

C.  M. 

=  Centralblatt  f.  innere  Me- 

A. 

Mi. 

=  Annales  de  micrograph. 

dizin. 

A. 

0. 

=  Archiv  f.  Ophthalmolo- 
gie (Gräfe's  Archiv) 

c.  w. 

=  Centralblatt'  f.  d.  med. 
Wissenschaften. 

A. 

P. 

=  Archiv    für    experim. 

C.  R. 

=  Compt.rend.derAc.d.scienc. 

Pathologie    u.    Phar- 

Ch. 

=  Charite-Annalen. 

makologie. 

Gel. 

=±=  la  Cellule. 

A. 

Pet. 

=  Archiv  des  Petersbur- 
ger  Instituts   für    ex- 

D. 

=  Deutsche  mediz.  Wochen- 
schrift. 

periment.  Medizin  etc. 

F. 

=  Fortschritte  d.  Medizin. 

A. 

Ph. 

=  Archives  de Physiolog. 
norm,  et  pathol. 

G.  I. 

=  Giornale  internaz.  d.  scienz. 
med. 

A. 

f.  Ph. 

=  Archiv  für  Physiologie 
[Teil  des    Archivs  für 

Ho. 

=  John  Hopkins  Hospit. 
Report. 

Anatomie  und  Physio- 

J. 

=  Baumgarten's     Jahresbe- 

logie]. 

richte  über  die  Fortschritte 

A. 

S.  M.  = 

Archivio  della  scienze  me- 
diche. 

in  der  Lehre  von  den  patho- 
genen  Mikroorganismen. 

A. 

T.        = 

=  Archiv      f.     wissen,     und 
prakt.    Thierheilkunde.          | 

J.  K. 

=  Jahrbuch  f.  Kinderheil- 
kunde. 

XVI 

Abkürzungen 

J.  p. 

=  Journal     of    Pathol.     and 

Ph.  Tr. 

=  Philosophical  Transac- 

Bacteriol. 

tions. 

J.  pr.  Ch.=  Journal  f.  praktische  Che- 

Pogg. 

=  Poggendorff's      (später 

mie. 

Wiedemann's)  Annalen 

J.  w.  B. 

=  Jahrbücher  für  wissensch. 

f.  Physik  u.  Chemie. 

Botanik. 

Proc.  Lond. 

=  Proceedings  of  the  Roy. 

K. 

=  Koch's  Jahresbericht  über 

Society  f  London. 

dieFortschr.in  clerLehre  von 

r: 

=  referiert  bei. 

den    Gährungsorganismen. 

R. 

=  Hygien.  Rundschau. 

L. 

=  Lehrbuch    resp.  Kompen- 

Re. 

=  Revue  de  medecine. 

dium    etc.    von    de    Bary. 

Ri. 

=  Riforma  medica. 

Zopf,    Leuckart,    Bütschli, 

S. 

=  Semaine  medicale. 

Flügge,  Hueppe,  Heim,  Kra- 

S. B. 

=  Comptes    rendus  de   la 

mer,    Eisenberg,    Zimmer- 

societe de  biologie. 

mann,     Adametz,    Lustig, 

Seh. 

=  Mittheilungen  aus  Kli- 

Sternberg,    Cornil  -  Babes, 

niken  u.  med.  Instituten 

Günther,  C.  Fränkel,  Löfner, 

d.  Schweiz. 

Crookshank,  Mace,  Baum- 

Schw. T. 

=  Schweiz.     Archiv     für 

garten,  L.  Pfeiffer,  Braun, 

Thierheilkunde. 

Ludwig  etc. 

Sp. 

=  Lo  Sperimentale. 

La. 

=  Lancet. 

Tu. 

=  Arch.  d.  path.  Instit.  zu 

L.  L. 

=  b. Hueppe:  Formen u.Arten, 

Tübingen(Baumgarten). 

bei  Zopf:  Schleimpilze  od. 

V. 

=  Virchow's  Archiv. 

Pilzthiere  etc. 

V.  D. 

=  Vierteljahrsschr.  f.  Der- 

L. V. 

=  Landwirtschaft!.  Versuchs- 

matologie. 

stationen. 

W. 

=  Wiener  mediz.  Wochen- 

M. 

=  Münch.med.  Wochenschrift. 

schrift. 

M.  Ch. 

=  Monatshefte  f.  Chemie. 

W.  B. 

=  Wiener  mediz.  Blätter. 

M.  D. 

=  Monatsschrift  f.  prakt.  Der- 

W. J. 

=  Wiener  mediz.  Jahrb. 

matologie. 

W.  K. 

=  Wiener  klinische 

M.  G. 

=  Mitteilungen  a.  d.  Kaiserl. 

Wochenschrift. 

Gesundheitsamt. 

Z. 

=  Zeitschrift  f.  Hygiene  u. 

Nachtr. 

=  L.  Pfeiffer,  Nachträge  zu: 

Infektionskrankheiten. 

Die  Protozoen  als  Krank- 

Z. f.  B. 

=  Zeitschrift  für  Biologie. 

heitserreger. 

Z.  M. 

=  Zeitschrift  f.  klin.  Me- 

Nat. 

=  Nature. 

dizin. 

N.  V. 

=  Tagebl.     d.     Naturforsch.  - 

Z.  Heil. 

=  Zeitschrift  f.  Heilkunde. 

Versamml. 

Z.  Gy. 

=  Zeitschrift  f.  Gynäkolo- 

P. 

=  Annales    de    l'Institut 

gie. 

Paste  ur. 

Z.  Ch. 

=  Zeitschrift  f.  Chirurgie. 

Pf. 

=  Pflüger's    Archiv    f.  d. 

Z.  physiol.Cl 

.=  Zeitschrift  für   physio- 

gesamt. Physiolog. 

logische  Chemie. 

P.  W. 

^     =  Prager   med.  Wochen- 

Z. T. 

=  Deutsche   Zeitschrift    f. 

schrift. 

Thiermedizin. 

Die  erste  Zahl  nach  dem  Buchstaben  bedeutet  immer  die  Bandzahl  oder 
Jahreszahl  (mit  Weglässung  von  18 . . .),  die  zweite  Zahl  die  Nummern  der  Wochen- 
schrift, das  Heft  der  Zeitschrift  oder  die  Seitenzahl. 


Erster  Teil. 

Einleitung.    Allgemeine  Morphologie,  Biologie,  Vorkommen 
und  Fundorte.    Methoden  zur  Untersuchung 

der 

Mikroorganismen. 


Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I. 


Einleitung 

von 
Dr.  E.  Gotschlich. 


A.  Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den 
Mikroorganismen. 

Die  erste  sichere  Beobachtung  über  die  Existenz  mikroskopisch 
kleinster  lebender  Wesen  in  unserer  steten  Umgebung  stammt  von 
Athanasitts  Kiechee1)  aus  dem  Jahre  1671.  Kiechee  konstatierte  das 
Vorkommen  zahlloser  kleiner  „Würmer"  in  faulem  Fleisch,  Milch,  Essig, 
Käse  u.  dgl.,  vermochte  jedoch  über  ihre  nähere  Beschaffenheit  keine 
Angabe  zu  machen.  Bald  darauf  gelang  es  jedoch  van  Leeuwenhoek2), 
in  Speichel,  Zahnschleim,  in  seinem  eigenen 

diarrhoischen  Stuhl  solche  „winzige  Tierchen"  .  ~ 

zu  sehen  und  ihre  morphologischen  Eigenschaf- 
ten mit    einer   für    die    damaligen    optischen        \    \  ^ 
Hilfsmittel  erstaunlichenPräzision  zu  erkennen;             \  *^ 
seine  Mitteilungen  sind  auch  durch  Abbildungen                             ^^ 
der  Tierchen  illustriert,  von  denen  wir  eine  aus             c.  &. 
dem  Jahre  1692  hier  folgen  lassen. 

Aus  der  begleitenden  Beschreibung  geht 
hervor,  dass  Leeuwenhoek  in  den  mit  B  be-  Fi .  1 

zeichneten   Tierchen    grosse    Vibrionen    ge-         (Aus  Löfflee,  S.  6.) 
sehen  hat. 

Der  erste  Versuch  einer  wissenschaftlichen  systematischen  Zu- 
sammenstellung und  Artunterscheidung  wurde  von  Otto  Feied- 
eich  Müllee  1786  gemacht,  welcher  seine  Funde  ebenfalls  mit  vortreff- 
lichen Abbildungen  begleitete.  In  der  folgenden  Fig.  2,  entnommen  aus 
0.  F.  Müllee's  „Animalcula  infusoria".  1786,  sind  manche  Formen,  be- 

1)  Scrutinium  physico  -  medicum  contagiosae  luis,  quae  dicitur  pestis  etc. 
Lips.  1671. 


um. 

2)  Arcana  naturae.    Delphis  Batav.  1695. 


4  Gotschlich,  Einleitung. 

sonders  unter  den   Spirillen  so  deutlich   wiedergegeben,   wie   es   auch 
heute  nicht  besser  geschehen  könnte. 

In  unserem  Jahrhundert  gelang  es  Eheenberg1),  mit  seinen  ver- 
besserten optischen  Hilfsmitteln  eine  grosse  Anzahl  mikroskopisch  kleiner 
Lebewesen  im  Staube  und  im  Wasser  aufzufinden,  die  er  als  „Infusions- 


OO0 


e  ^ 


>,s       4. 


(AUS    LÖFFLER,   1.    C.    S.    17.) 

tierchen"  bezeichnete.  Die  niedersten  Gebilde  unter  denselben,  die  unseren 
heutigen  Bakterien  entsprechen,  brachte  Ehrenberg  in  den  zwei  Familien 
Monadina  und  Vibrionia  unter;  die  Monadina  teilte  er  in  Kugel- 
und  Stabmonaden,  von  denen  die  ersteren  wieder  in  Punkt-  und 
Eimonaden  zerfielen;  die  Vibrionia  wurden  nach  Form  und  Bieg- 
samkeit in  mehrere  Abteilungen  untergebracht;  die  geradlinigen,  un- 
biegsamen Formen  nannte  Ehrenberg  Bacterium,  die  geradlinigen, 
schlangenförmig  biegsamen  Vibrio,  die  spiralförmig  gekrümmten,  un- 
biegsamen Spirillum,  die  spiralfö rmigen,  biegsamen  Spiro chaete.  Wie 
man  sieht,   waren  alle  jetzt  bekannten  Hauptformen  damals  schon  be- 


1)  Die  Infusionstierchen  als  vollkommene  Organismen.    1S3S. 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  5 

obachtet.  Die  Abgrenzung  der  Arten  war  jedoch  naturgemäss  nur 
unsicher  und  unbestimmt.  An  demselben  Mangel  krankte  die  später 
versuchte  Einteilung  von  Dujardin1).  Der  Erste,  welcher  die  pflanz- 
liche Zugehörigkeit  dieser  niedersten  Lebewesen  betonte,  war  Perty2); 
er  rechnete  sie  unter  dem  Sammelnamen  Vibrionida,  geteilt  in  die  beiden 
Formenkreise  der  Spirillina  und  Bacterina,  zu  den  Phytozoidea  und 
betonte  ihre  nahe  Verwandtschaft  mit  den  Algen.  Grundlegend  für  die 
Einordnung  der  Mikroorganismen  unter  die  niedersten  pflanzlichen 
Gebilde  war  die  Arbeit  von  F.  Cohn:  Untersuchungen  über  die  Ent- 
wicklungsgeschichte der  mikroskopischen  Algen  und  Pilze.  1854;  die 
„Vibrionien"  wurden  sämtlich  in  die  Gruppe  der  Wasserpilze,  Myco- 
phyceae,  eingeordnet  und  ihre  nahen  Verwandtschaftsbeziehungen  zu 
den  Algenfamilien  der  farblosen  Oscillarien  festgestellt.  Nägeli3)  trennte 
dann  auf  Grund  physiologischer  Erwägungen  die  farblosen  Mikro- 
organismen von  den  mit  ihnen  morphologisch  nahe  verwandten  gefärbten 
Algen;  der  fundamentale  biologische  Unterschied  zwischen  beiden  be- 
stand darin,  dass  die  gefärbten  Algen  durch  ihren  Chlorophyllgehalt 
unter  Mitwirkung  des  Sonnenlichtes  und  unter  Entbindung  von  02  ganz 
wie  die  höheren  Pflanzen  die  vollständige  Synthese  ihrer  Leibessubstanz 
aus  den  Elementen  C,  N,  0  und  H  in  Gestalt  von  C02,  NH3  und  H20 
vollziehen  können,  während  die  farblosen  Mikroorganismen  hierzu 
nicht  imstande  und  daher  wie  die  Pilze  auf  präformiertes  organisches 
Nährmaterial  angewiesen  sind.  Auf  Grund  dieser  Erwägungen  fasste 
er  die  Gesamtheit  dieser  Lebewesen  unter  dem  Sammelnamen  „Spalt- 
pilze",Schizomyceten,  zusammen,  der  sowohl  ihren  nahenBeziehungen 
zu  den  übrigen  Pilzen  als  ihrer  einfachen  Fortpflanzung  durch  Zwei- 
teilung, Spaltung,  gerecht  wurde. 

Inzwischen  hatte  sich,  angeregt  durch  dieEntdeekung  derpflanz- 
lichen  Natur  der  Hefe  durch  Cagniard-Latour  (A.  eh.  ph.  2.  ser. 
68.  20)  und  Schwann  1836,  (Gilbert's  Annalen  d.  Physik  u.  Chem. 
Bd.  41.  184),  sowie  durch  die  noch  näher  zu  betrachtende  Entwicklung 
der  Lehre  von  der  krankheitserregenden  Wirkung  der  Mikroorganismen, 
das  Interesse  für  die  biologische  Erforschung  derselben  mehr  und  mehr 
entwickelt,  und  zwar  äussert  sich  dasselbe  vorzugsweise  nach  zwei  ver- 
schiedenen Richtungen  hin:  teils  galt  es  fortan,  die  Beziehungen  zwischen 
den  Gährungskeimen  und  den  Gährungs-  und  Fäulnisprozessen  klar 
zu  stellen;  teils  war  man  bestrebt,  einen  Causalnexus  zwischen  ähn- 
lichen kleinsten  lebenden  Wesen  und  den  Infektionskrankheiten  des. 


1)  Histoire  naturelle  des  Zoophytes.    Paris  1841. 

2)  Zur  Kenntnis  kleinster  Lebensformen.    Bern  1852. 

3)  Verhdlg.  d.  deutsch.  Naturf.-Vers.  in  Bonn  1857.  —  B.  Z.  57.  760. 


6  Gotschljch,  Einleitung. 

Menschen  und  der  Tiere  nachzuweisen,  welchen  nahe  liegende  Speku- 
lationen und  Analogieschlüsse  vermuten  Hessen.  Eine  Orientierung  über 
die  zahlreichen,  die  Bedeutung  der  Mikroorganismen  betreffenden  Streit- 
fragen ist  nur  möglich,  wenn  zunächst  nach  beiden  Richtungen  ge- 
sondert die  allmählichen  Fortschritte  der  Lehre  von  den  Fermenten  und 
Parasiten  verfolgt  werden. 


I.  Mikroorganismen  als  Erreger  von  Gährung  und  Fäulnis. 

Allmähliche  Entwicklung  der  vitalistischen  oder  Keimtheorie. 

Vor  Schwann's  Entdeckung  wurde  das  Wesen  der  Gährung  — 
und  zwar  speziell  der  alkoholischen,  weinigen  Gährung,  durch  welche 
der  Zucker  in  Alkohol  und  Kohlensäure  zerfällt  —  entweder  überhaupt 
nicht  in  der  Hefe  gesucht,  die  man  nur  als  gelegentliches  Accidens 
ansah;  oder  die  Rolle  der  Hefe  wurde  zwar  als  eine  ätiologische  auf- 
gefasst,  aber  nur  in  dem  Sinne,  dass  die  Summe  der  Hefezellen  als 
poröser  Körper  wirke,  der  leicht  Sauerstoff  kondensiert,  diesen  auf  andere 
Substanzen  überträgt  und  dabei  die  Spaltung  des  Zuckers  veranlasst 
(Beaconnot  1831:  A.  eh.  ph.  47.  59);  oder  dass  die  Hefe  katalysierende 
Eigenschaft  und  damit  die  Fähigkeit  besitze,  gährungsfähige  Substanzen 
zu  zerlegen  in  derselben  Weise,  wie  Wasserstoffsuperoxyd  durch  fein 
verteiltes  Platin  u.  s.  w.  zerlegt  wird  (Berzelius  1827:  Lehrb.  d.  Che- 
mie. Bd.  8.  84).  Niemand  war  bis  dahin  der  Meinung,  dass  der  Vor- 
gang der  Gährung  an  die  lebenden,  sich  vermehrenden  Hefezellen  ge- 
knüpft und  geradezu  eine  Lebensäusserung  derselben  sei,  und  Niemand 
konnte  bis  dahin  eine  solche  Anschauung  haben,  weil  die  organisierte 
Natur  der  Hefe  noch  nicht  erkannt  war.  Erst  Schwann  ist  der  Be- 
gründer der  vitalistischen  oder  Keimtheorie.  Auf  Experimente  gestützt 
behauptete  er  die  Ursache  der  Gährung  darin  gefunden  zu  haben,  dass 
lebende  Hefe  in  der  Gährflüssigkeit  vegetiert  und  sich  vermehrt,  der- 
selben die  zu  ihrem  Wachstum  nötigen  Stoffe  entzieht  und  dabei  be- 
wirkt, dass  die  nicht  in  die  Hefe  übergehenden  Elemente  sich  vor- 
zugsweise zu  Alkohol  verbinden.  Die  Versuche  Schwann's  wurden  in 
den  nächsten  Jahren  mehrfach  wiederholt  und  ihre  Resultate  wurden 
bestätigt  und  erweitert;  unter  den  nächsten  Fortschritten  sei  nur  des 
von  Lüdersdokff  (Pogg.  67.  408)  gebrachten  Nachweises  erwähnt,  dass 
zerriebene  Hefezellen  unwirksam  sind  und  nur  intakte  Zellen  Gährung 
veranlassen  können;  sowie  der  Beobachtung  von  Blondeaü"  (Journ.  d. 
Pharm.  Bd.  12.  244  und  336),  dass  verschieden  verlaufende  Gährungen 
durch  verschiedenartige  Mikroorganismen  bewirkt  werden. 

Der  strikte  Beweis  dafür,    dass  lebende  Hefezellen  oder  der  Hefe 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  7 

ähnliche,  meist  noch  kleinere  Organismen,  in  allen  Fällen  die  alleinige 
Ursache  jeder  (jährung  seien,  konnte  indess  nur  durch  eine  Reihe  von 
experimentellen  Untersuchungen  gegeben  werden,  die  mit  logischer 
Konsequenz  folgende  Fragen  zum  Gegenstand  haben  mussten: 

1.  Zuvörderst  musste  gezeigt  werden,  dass  in  allen  gährenden  und 
faulenden  Flüssigkeiten  Keime  gefunden  werden.  Dies  wurde  von 
sämtlichen  Forschern  konstatiert,  die  sich  nach  Schwann  mit  der 
Gährungsfrage  beschäftigten,  und  gerade  das  konstante  Vorkommen 
bestimmter  mikroskopischer  Organismen  bildete  den  Ausgangspunkt  der 
vitalistischen  Theorie.  Die  Thatsache  selbst  wurde  auch  von  den  Gegnern 
derselben  weniger  bestritten  als  ihre  Deutung;  erst  in  späteren  Jahren 
wurden  hier  und  da  Beobachtungen  veröffentlicht,  welche  die  Existenz 
faulender  und  gährender  Medien  ohne  Organismen  behaupteten  —  Beob- 
achtungen, welche  weiter  unten  im  Zusammenhange  berücksichtigt  werden 
müssen. 

2.  Aus  dem  konstanten  Nebeneinandersein  von  Fäulnis  und 
Organismen  folgte  aber  selbstverständlich  nicht  ohne  weiteres  die 
causale  Rolle  der  letzteren;  diese  musste  vielmehr  durch  besondere 
Experimente  bewiesen  werden.  Man  prüfte  nun  zunächst,  wie  sich 
gährungsfähige  Substanzen  ohne  Organismen  verhalten,  und  zwar 
suchte  man  zu  dem  Zweck  die  in  den  Substanzen  selbst,  in  den 
Gefässen  u.  s.  w.  etwa  vorhandenen  Keime  zu  töten  durch  Hitze 
von  mindestens  100°  C,  sodann  aber  die  Substanzen  gegen  Eindringen 
neuer  Keime  zu  schützen  durch  geeignete  Verschlussvorrichtungen 
oder  dadurch,  dass  man  die  zutretende  Luft  mit  Mitteln  behandelte, 
welche   eine  Tötung  der  Keime  zu  bewirken  vermögen. 

Auch  die  Versuche,  welche  sich  mit  diesen  nächstliegenden 
Fragen  beschäftigen,  reichen  bis  in  eine  frühe  Periode  zurück. 
1836  zeigte  F.  Schulze  (Gilberts  Ann.  d.  Physik  u.  Chemie.  39.  487), 
dass  in  fäulnisfähigen  Stoffen  keine  Zersetzung  eintrat,  wenn  er  die- 
selben kochte,  dadurch  etwa  vorhandene  Keime  tötete  und  nun  den 
Zutritt  der  Luft,  z.  B.  durch  eine  Oelschicht  absperrte  oder  die  zutre- 
tende Luft  durch  Schwefelsäure  leitete,  welche  die  Keime  zurückhalten 
und  vernichten  musste.  Ganz  ähnliche  Versuche  stellte  Schwann  1837 
(Gilbekt's  Ann.  41)  an;  er  befreite  die  zutretende  Luft  durch  starkes 
Erhitzen  von  den  Organismen.  Später  versuchten  Schködee  und  v.  Dusch 
(A.  Ch.  Pharm.  89.  232;  109.  35;  117.  273)  die  Fäulniskeime  der  Luft 
einfach  mechanisch  zu  entfernen,  indem  sie  die  Luft  durch  Baumwolle 
filtrirten;  auch  dies  gelang  vollständig,  so  dass  mit  Baumwolle  ver- 
schlossene und  mit  gekochten  fäulnisfähigen  Stoffen  gefüllte  Gefässe 
keine  Fäulnis  entstehen  Hessen.  Dasselbe  Resultat  erreichten  Hoeemann 
(B.  Z.  60.  51),  später  Cheveeuil  und  1862  Pasteue  (C.  R.  50.  306.  — 


§  Gotschlich,  Einleitung. 

A.  ch.  ph.  64)  dadurch,  dass  sie  den  ausgezogenen  Hals  des  zum  Fäulnis- 
versuch bestimmten  Gefässes  mehrfach  spitzwinklig  krümmten. 

Die  Beweiskraft  aller  dieser  hier  aufgezählten  Versuche  wurde 
dann  noch  ganz  besonders  dadurch  erhöht,  dass  man  Kontrollversuche 
anstellte,  bei  denen  dieselben  gährfähigen  Flüssigkeiten  benutzt  und 
in  der  gleichen  Weise  mit  anhaltendem  Kochen  u.  s.  w.  behandelt 
wurden,  nur  mit  dem  einzigen  Unterschied,  dass  die  Luft  zu  den 
Gläsern  Zutritt  hatte,  ohne  dass  sie  vorher  durch  Filtration  oder  zer- 
störende Agentien  ihrer  Keime  beraubt  war.  In  diesen  Kontrollproben 
trat  dann  ausnahmslos  Gährung  oder  Fäulnis  ein,  und  dasselbe 
Resultat  ergab  sich,  wenn  man  nachträglich  an  den  lange  Zeit  keim- 
frei konservierten  Gefässen  die  Schutzvorrichtungen  entfernte  und  keim- 
haltiger  Luft  den  Zutritt  gewährte,  oder  auch  wenn  absichtlich  eine 
Einsaat  von  Keimen  aus  anderen  Gährfiüssigkeiten  gemacht  wurde. 

In  ungeheuerem  Massstabe  wurden  später  diese  Experimente 
wiederholt  bei  der  Konservierung  der  Nahrungsmittel;  kaum  ein  bio- 
logischer Versuch  ist  so  vielfach  ausgeführt  und  hat  ein  so  eindeutiges 
Resultat  aufzuweisen:  Behandelt  man  eine  gährungsfähige  Substanz 
mit  Mitteln,  welche  vorhandene  organisierte  Keime  zu  zerstören  ge- 
eignet sind,  und  behandelt  man  weiter  die  zutretende  Luft  und  alles, 
was  mit  den  Substanzen  weiterhin  in  Berührung  kommt,  in  einer 
Weise,  dass  keine  organisierten,  lebenden  Keime  hineingelangen  können, 
so  tritt  keine  Gährung,  keine  Fäulnis  ein;  unterlässt  man  irgend  eine 
Vorsichtsmassregel  und  gestattet  den  Zutritt  von  Keimen,  so  tritt 
Gährung  ein.  —  Freilich  hat  es  später,  wie  hier  im  Voraus  bemerkt 
werden  mag,  auch  bezüglich  dieser  Versuche  und  ihrer  Resultate 
nicht  an  Widerspruch  gefehlt.  Einzelne  Forscher  behaupteten,  trotz 
sorgfältigsten  Abschlusses  der  gährungsfähigen  Substanzen  und  trotz 
sicherer  Tötung  der  vorhandenen  Keime  doch  Fäulnis  und  Gährung 
erhalten  zu  haben.  Die  betreffenden  Versuche  werden  unten  näher 
erörtert  werden,  doch  sei  gleich  hier  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  ein  abweichendes  Resultat  auftreten  niuss  jedesmal,  wenn  auch  nur 
eine  der  vielen  notwendigen  Vorsichtsmassregeln  während  des  Experi- 
ments ausser  Acht  gelassen  ist,  und  dass  also  ein  gewisser  Prozentsatz 
misslungener  Konservierungen  etwas  ganz  Selbstverständliches  ist. 

Je  geübter  der  Experimentator,  um  so  seltener  werden  die  Ver- 
suche fehlschlagen;  je  mehr  die  Praxis  der  Nahrungsmittelkonser- 
vierung ausgebildet  wird,  um  so  sicherer  gelingt  die  Herstellung  durch- 
weg fehlerfreier  Präparate.  Eine  Reihe  von  Miseerfolgen  wird  der 
beste  Experimentator  zu  verzeichnen  haben,  wenn  er  anfängt  sich 
mit  diesen  Fragen  zu  beschäftigen,  welche  so  zahlreiche  Fehlerquellen 
einschliessen    und    so    ungewöhnliche    Vorsichtsmassregeln    erfordern. 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  9 

Gerade  deshalb  können  aber  auch  einzelne  solcher  widersprechender 
Versuche,  in  denen  trotz  scheinbar  vollständigen  Fernhaltens  aller 
Keime  dennoch  Fäulnis  oder  Gährung  eintrat,  nicht  zu  einem  Be- 
weise   gegen    die   vitalistische   Theorie  herangezogen  werden. 

Nimmt  man  einstweilen  als  Resultat  der  meisten  und  sorgfäl- 
tigsten Konservierungsversuche  an,  dass  bei  Fernhaltung  der  Organismen 
Fäulnis  und  Gährung  in  gährungsfähigen  Substanzen  ausbleibt,  so  ist 
dann  gleichzeitig  eine  andere  alte  Streitfrage  zur  Entscheidung  gebracht, 
nämlich  die  über  die  Abiogenesis  (Generatio  aequivoca).  Wenn 
jede  Entwicklung  von  Organismen  in  Substraten,  die  unter  gewöhn- 
lichen Umständen  den  vorzüglichsten  Boden  zu  ihrer  Vermehrung 
bieten,  ausbleibt,  sobald  der  Zutritt  lebender  Organismen  unmöglich 
gemacht  ist,  und  wenn  sich  das  regste  Leben  sogleich  entwickelt, 
sobald  nur  die  geringste  Zahl  lebender  Organismen  hineingelangt,  so 
ist  der  Schluss  berechtigt',  dass  die  lebende  Zelle  nicht  aus  unorga- 
nisierter Substanz  gebildet  werden  kann,  sondern  stets  wieder  einer 
anderen  organisierten  Zelle  entstammt. 

Die  geschilderten  Versuche  Hessen  jedoch  noch  zwei  stichhaltige 
Einwände  zu,  und  diese  erheischten  eine  weitere  besondere  Modifikation  der 
Konservierungsexperimente,  falls  durch  letztere  die  vitalistische  Theorie 
der  Gährung  oder  die  Unwahrscheinlichkeit  der  Abiogenesis  streng 
erwiesen  werden  sollte.  Man  konnte  nämlich  einigen  Versuchsreihen 
gegenüber  einwenden,  dass  der  Sauerstoffmangel  in  den  gekochten 
und  luftdicht  verschlossenen  Gefässen  die  Entwicklung  organischen 
Lebens  hemme;  aber  diese  Einrede  wurde  schon  hinfällig,  als  die  Ver- 
suche mit  durch  Baumwolle  filtrierter  Luft  eine  unverminderte  Sauer- 
stoffzufuhr gestatteten  und  dennoch  die  Entstehung  von  Organismen 
verhinderten.  —  Weit  schwieriger  war  eine  andere  Behauptung  zu 
widerlegen:  Man  sagte,  das  Erhitzen  der  gährungsfähigen  Substanzen, 
die  als  Versuchsobjekt  dienen,  verändere  diese  in  solcher  Weise,  dass 
sogenannte  chemische  Fermente,  die  in  den  Substanzen  enthalten  seien 
und  deren  Zersetzung  auch  ohne  Organismen  zu  bewerkstelligen  ver- 
möchten, durch  das  Erhitzen  zerstört  würden,  und  deshalb  faulten 
diese  Substanzen  nicht;  würde  das  Erhitzen  nicht  stattgefunden  haben, 
so  hätten  die  Substanzen  auch  ohne  Zutritt  von  Organismen  unter 
dem  Einfiuss  jener  Fermente  vergähren  können.  Und  die  Anhänger 
der  Urzeugung  stützten  sich  auf  die  gleiche  Einrede,  indem  sie  an- 
nahmen, dass  durch  das  Erhitzen  eine  Dekomposition  des  Materials 
einträte,  welche  dasselbe  zur  Urzeugung  von  Zellen  untauglich  mache. 
—  Diese  Einwände  veranlassten  eine  grosse  Reihe  neuer  Konser- 
vierungsversuche, die  mit  nicht  erhitzten  und  überhaupt  ganz  unver- 
änderten   organischen    Stoffen   angestellt    wurden.     Van    den   Broek 


IQ  Gotschlich,  Einleitung. 

(A.  Ch.  Pharm.  1860.  115  und  175),  Pasteur  (C.  ß,  56.  738  und  1194), 
Rindfleisch  (V.  54.  397),  Listee  (Journ.  of.  Microscop.  Sc.  1878.  179) 
und  viele  Andere,  namentlich  Meissner  (r.  Z.  Ch.  13.  334)  Leube 
(Z.  M.  3),  Hauser  (Pf.  33),  Marchand  (Sitzungsber.  d.  Ges.  zur  Be- 
förderung d.  ges.  Naturw.  zu  Marburg  1885)  konnten  die  verschieden- 
sten fäulnisfähigen  Substanzen,  wenn  dieselben  nur  vorher  nicht  der 
Gefahr  einer  Verunreinigung  durch  Organismen  ausgesetzt  waren,  in 
absolut  reinen  Gefässen  und  gegen  das  Eindringen  neuer  Keime  ge- 
schützt, Jahre  lang  konservieren,  ohne  dass  irgend  welche  Gährung 
oder  Fäulnis  eintrat;  dies  gelang  z.  B.  mit  Traubensaft,  Eidotter,  Blut, 
Milch,  den  verschiedensten  tierischen  Organen  u.  s.  w.  Diese  Kon- 
servierungsversuche sind  später  an  vielen  Orten  mit  gleich  günsti- 
gem Erfolge  wiederholt  und  gelingen,  genügende  Übung  des  Experi- 
mentators vorausgesetzt,  so  regelmässig,  dass  sich  leicht  beweisende 
Dauerpräparate  zu  Demonstrationszwecken  herstellen  lassen.  —  Diese 
Versuche,  auf  die  später  noch  weiter  einzugehen  sein  wird,  und  gegen- 
über denen  einzelne  Versuche,  in  welchen  die  Konservierung  nach  der- 
selben Methode  missglückt  ist,  selbstverständlich  durchaus  keine  Be- 
weiskraft haben,  sind  für  die  Frage  nach  der  Abiogenesis  und  nach 
der  Rolle  der  Organismen  bei  der  Gährung  und  Fäulnis  von  entschei- 
dender Wichtigkeit;  erst  auf  Grund  dieser  Versuchsanordnung  konnte 
mit  vollem  Recht  behauptet  werden,  dass  eine  Generatio  aequivoca  nicht 
stattfindet  und  dass  ebensowenig  Gährung  oder  Fäulnis  ohne  die  Mit- 
wirkung kleinster  Organismen  zustande  kommt. 

3.  Sind  Organismen  die  stete  Ursache  der  Gährung  und  Fäulnis, 
so  muss  man  angesichts  der  Thatsache,  dass  fäulnisfähige  Stoffe  an 
jedem  Ort  und  zu  jeder  Zeit  in  Zersetzung  geraten  (sobald  nicht  be- 
sondere hindernde  Massregeln  angewendet  werden),  zu  der  Annahme 
kommen,  dass  niedere  gährungserregende  Organismen  in  grösster  all- 
gemeinster Verbreitung  vorkommen,  und  dass  dadurch  stets  und  überall 
Gelegenheit  zu  einer  Infizierung  fäulnisfähiger  Objekte  gegeben  ist. 
Auf  den  Nachweis  der  Verbreitung  organisierter  Fermente  in  unserer 
steten  Umgebung  waren  daher  die  ferneren  Bemühungen  der  Anhänger 
der  vitalistischen  Theorie  gerichtet.  Untersuchungen,  die  schon  mit 
Ehrenberg  beginnen  und  dann  von  Pouchet  *),  Tyndall  (Ph.T.  76.  77), 
Pasteur  (C.  R.  50.  51),  Cohn  (B.  B.  3)  fortgesetzt  wurden,  konsta- 
tierten mit  Sicherheit,  dass  die  Luft  stets  Gährungs-  und  Fäulniskeime 
enthält,  dass  der  Staub  zum  Teil  aus  Mikroorganismen  besteht,  dass 
Wasser,  Boden  und  unsere  gesamte  Umgebung  überall  mit  diesen 
kleinsten  Zellen  verunreinigt  sind.     In  späterer  Zeit  sind  namentlich 


1)  Heterogenie  ou  traite  de  la  generation  spontanee.  Paris  1S59.  —  C.  R.  A't 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  \  \ 

die  Methoden  der  Aeroskopie  ausgebildet,  in  der  Meinung,  dass  gerade 
die  Luft  hauptsächlich  als  Träger  der  Keime  funktioniere  und  als  das 
Medium  in  Betracht  komme,  welches  am  häufigsten  zur  Infektion  gäh- 
rungsfähiger  Substanzen  führe.  Neuere  Untersuchungen  (Sandeeson, 
B.  M.  78.  119,  Rindfleisch,  V.  54.  397  u.  A.)  haben  zwar  dargethan, 
dass  die  Luft  an  den  meisten  Orten  relativ  wenig  wirksame  Keime 
enthält,  und  dass  die  Übertragung  der  wirksamen  Gährungserreger 
häufiger  durch  Berührung  mit  festen  Gegenständen,  mit  Wasser  u.  dgl., 
die  mit  Keimen  verunreinigt  sind,  erfolgt,  als  durch  Vermittelung  der 
Luft;  aber  durch  diese  Änderung  der  Anschauungen  über  die  Betei- 
ligung der  verschiedenen  Medien  an  der  Gährungserregung  wird  an 
der  Lehre  von  der  P  an  Spermie,  von  der  Allverbreitung  der  Keime 
in  unserer  Umgebung,  nichts  geändert. 


Die  causale  Beziehung  der  Mikroorganismen  zu  Gährung  und  Fäul- 
nis ist  durch  die  bisher  besprochenen  Untersuchungen  vollkommen 
sicher  gestellt.  Man  hat  in  allen  faulenden  und  gährenden  Substanzen 
Organismen  gefunden;  man  hat  dieselben  Organismen  in  weitester  Ver- 
breitung in  unserer  Umgebung  konstatiert;  man  hat  weiter  zeigen  können, 
dass  ohne  diese  Organismen,  und  zwar  wenn  man  im  Übrigen  die 
gährungsfähigen  Substanzen  völlig  unverändert  lässt  und  nur  den  Zu- 
tritt der  Organismen  verhindert,  keine  Gährung,  keine  Fäulnis  eintritt; 
dass  diese  vielmehr  erst  erfolgt,  wenn  eine  Berührung  mit  der  ver- 
unreinigten Umgebung  lebensfähige  Keime  hineingebracht  hat.  —  Aber 
es  fragt  sich  nun  weiter,  in  welcher  Weise  man  sich  diß  Wirkung 
der  Organismen  auf  die  gährungsfähigen  Substanzen  vorzustellen  hat; 
und  die  ferneren,  auf  die  Ätiologie  des  Gährungsvorganges  bezüglichen 
Experimente  und  Arbeiten  zeigen  alle  das  Bestreben,  zu  erkennen,  ob 
die  Gährung  und  Fäulnis  geradezu  als  vitaler  Vorgang,  als  Lebens- 
äusserung  und  Arbeitsleistung  der  ursächlichen  Organismen  anzusehen 
und  wie  des  Näheren  dieser  Vorgang  zu  denken  sei. 

In  der  ersten  Zeit  nach  Schwanns  Entdeckung  bildeten  sich  be- 
reits bestimmte  Anschauungen  über  den  Wirkungsmodus  der  Organismen 
heraus.  Schwann  selbst  behauptete,  dass  die  Gährung  durchaus  dem 
Wachstum  der  Hefe  parallel  gehe  und  dass  die  Gährung  dadurch  ent- 
stehe, dass  die  Hefepflanze  dem  Nährsubstrat  gewisse  zu  ihrem  Wachs- 
tum notwendige  Stoffe  entziehe  und  hierbei  gleichzeitig  eine  Alkohol- 
bildung aus  den  nicht  für  ihr  Wachstum  brauchbaren  Elementen 
veranlasse.  Ähnliche,  aber  durchweg  mehr  spekulative  und  nicht  experi- 
mentell hinreichend  begründete  Anschauungen  äusserten  die  nächsten 
Zeitgenossen    Schwanns.      Ihre    eigentliche    Ausbildung    erhielt    die 


12  Gotschlich,  Einleitung. 

vitalistische  Lehre  erst  durch  Pasteur1).  Allerdings  ist  es  Pasteur 
nicht  gelungen,  von  Anfang  an  einen  passenden  und  dauernd  richtigen 
Ausdruck  für  den  Hergang  bei  der  Gährung  zu  finden,  vielmehr  haben 
die  von  ihm  gelehrten  Sätze  im  Laufe  der  Zeit  und  unter  dem  Einfluss 
weiterer  Experimente  und  besserer  Einsicht  sehr  bedeutende  Modifi- 
kationen erfahren;  aber  bei  einer  so  komplizierten  und  die  Kräfte  mehr 
als  eines  Forschers  absorbierenden  Frage  war  ein  abgeschlossenes  Ur- 
teil von  vornherein  nicht  möglich,  und  nur  eine  zu  zähe  Konsequenz 
würde  der  gedeihlichen  Entwicklung  der  Erkenntnis  geschadet   haben. 

Pasteur  stellte  1857  zunächst  fest,  dass  die  Gährung  aufs  innigste 
an  das  Leben  und  das  Wachstum  der  Hefezellen  gebunden  ist  und  daher 
als  eine  Arbeitsleistung  der  Hefezellen  erscheint.  Das  Wachs- 
tum der  Hefe  findet  statt  auf  Kosten  der  Bestandteile  der  Gährflüssig- 
keit;  daher  kann  auch  nicht  aller  Zucker  in  Alkohol  und  Kohlensäure 
zerlegt  werden,  sondern  ein  etwa  5°/0  betragender  Bruchteil  wird  zum 
Aufbau  von  Zellenbestandteilen  und  zur  Bildung  von  Nebenprodukten 
verwandt;  die  gährungsfähigen  Stoffe  bilden  die  Nahrung  der  Hefe; 
diese  verwendet  einen  Teil  zur  Bildung  neuer  Zellsubstanz;  der  andere 
ungleich  grössere  Teil  erleidet  in  der  Hefezelle  eine  Umwandlung  in 
Alkohol  und  Kohlensäure.  Da  die  Hefezellen  auch  aus  stickstoffhaltiger 
Substanz  und  Mineralbestandteilen  bestehen,  so  nahm  Pasteur  an,  dass 
Spuren  beider  Stoffe  in  den  Gährungsfmssigkeiten  vorhanden  sein  müssen, 
wenn  die  Hefe  sich  entwickeln  und  ihre  Arbeitsleistung,  die  Zucker- 
zersetzung, liefern  soll.  Später  fand  Pasteur,  dass  die  Hefe  zwar  auch 
in  reinen  stickstofffreien  Zuckerlösungen  sich  entwickeln  und  Gährung 
hervorrufen  kann,  aber  hier  erfolgt  die  Weiterentwicklung  dann  auf 
Kosten  eines  Vorrats  an  stickstoffreicher  Substanz,  den  frische  Hefe- 
zellen zu  enthalten  pflegen.  Ebenso  scheinen  alte,  abgestorbene  Hefe- 
zellen neues  Nährmaterial  für  junge  Zellen  liefern  zu  können,  und 
unter  Umständen,  wenn  nämlich  Hefe  mit  zuckerfreier  Flüssigkeit  an- 
gerührt wird,  kann  auch  stickstofflose  Substanz  (Cellulose?)  der  alten 
Hefezellen  die  Rolle  des  Zuckers  vertreten,  Alkohol  und  Kohlensäure 
produzieren  und  so  eine  Selbstvergährung  der  Hefe  liefern. 

Im  Jahre  1860  zeigte  dann  Pasteur,  dass  die  stickstoffhaltigen 
Nährstoffe  der  Hefe  nicht  aus  eiweissartigen  Substanzen  zu  bestehen 
brauchen,  sondern  dass  Ammoniaksalzen  die  gleiche  Bedeutung  für  den 
Stoffwechsel  der  Hefe  zukommt.  Solche  Salze  nebst  den  notwendigen 
Mineralstoffen  (die  am  einfachsten  in  Form  von  Hefeasche  zugesetzt 
werden)  und  Zucker   bilden    die  einzig  nötigen  Ingredienzien  zu  einer 


0  l)  C.  R.  Bdd.  45;  52;  56;  75.  —  A.  ch  ph.  58;  64.  —  Etudes  sur  le  vin.  1S66. 
Etudes  sur  la  biere.  1876. 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  13 

Züchtungsflüssigkeit  für  Hefe,  und  in  derartig  zusammengesetzten  ein- 
fachsten Lösungen  geht  die  Gährung  in  ausgezeichneter  Weise  von 
statten.  Die  Versuche  wurden  von  Cohn,  Duclaux  u.  A.  vollkommen 
bestätigt  und  sie  lassen  es  als  ganz  unmöglich  erscheinen,  den  Ei- 
weissstoffen  der  Gährungsflüssigkeiten  eine  so  wichtige  Rolle  bei  dem 
Gährungsprozess  zuzuschreiben,  wie  dies  namentlich  LiEBiGgethan  hatte 
(s.  unten). 

Von  besonderer  Wichtigkeit  für  die  Erkenntnis  der  Beziehungen 
zwischen  Gährung  und  Lebensthätigkeit  der  Mikroorganismen  war  die 
Feststellung  der  Rolle,  welche  der  Sauerstoff  bei  diesen  Vorgängen 
spielt.  Während  nämlich  nach  den  Untersuchungen  von  Pasteue  und 
später  von  Schützenbeegee  (Die  Gährungserscheinungen.  1874)  beim 
Wachstum  derGährungserreger  Sauerstoff  aufgenommen  wird,  und  zwar 
um  so  mehr,  je  lebhafter  die  vegetative  Thätigkeit  derselben  sich  entfaltet, 
erfolgt  der  Gährungsprozess  nach  späteren  Untersuchungen  Pasteüe's 
gerade  bei  Sauerstoffmangel  am  intensivsten,  und  Sauerstoffzu- 
fuhr erwies  sich  als  geradezu  feindlich  für  denselben.  Der  Sauerstoff- 
mangel erschien  daher  Pasteue  bald  als  die  notwendigste,  ja  unerlässliche 
Verbindung  für  die  Gährung;  Gährung  tritt  ein,  sobald  irgend  eine 
lebende  Zelle  bei  Sauerstoffabschluss  zu  vegetieren  vermag;  durch  den 
Gährungsprozess,  bei  dem  eine  ungewöhnlich  unfangreiche  Spaltung  des 
Nährmaterials  erfolgt,  werden  der  Zelle  diejenigen  zu  ihren  Leistungen 
erforderlichen  Energiemengen  geliefert,  welche  sie  sonst  durch  das 
mächtige  Eingreifen  des  Sauerstoffs  in  den  Lebensprozess  erhält. 
Gährung  ist  also  nichts  anderes,  als  das  Leben  selbst  unter 
den  total  veränderten  Bedingungen,  welche  der  Sauerstoff- 
abschluss schafft,  und  daher  eine  ganz  allgemeine  Fähigkeit 
des  lebenden  Protoplasmas.  In  einem  späteren  Abschnitt  werden 
wir  näher  auf  diese  Theorie  Pasteüe's  einzugehen  haben  und  werden 
dann  allerdings  finden,  dass  nach  neueren  Beobachtungen  die  Rolle  des 
Sauerstoffs  bei  der  Gährung  doch  nicht  so  allgemein  aufgefasst  werden 
kann,  wie  sie  Pasteue  zu  erkennen  glaubte.  Aber  wenn  auch  Pasteüe's 
Anschauung  über  die  Art  und  Weise,  in  der  die  Zersetzung  beim  Gähr- 
prozess  vor  sich  geht,  sich  auf  die  Dauer  nicht  bewährt  hat,  und  auch 
bisher  von  keinem  anderen  Forscher  eine  genügend  einwandsfreie  Er- 
klärung dieses  Mechanismus  gegeben  werden  konnte,  das  haben  doch 
die  zahlreichen  zum  Beleg  der  einen  oder  anderen  Hypothese  unter- 
nommenen Experimente  immer  wieder  zu  zeigen  vermocht,  dass  die 
innigsten  Beziehungen  zwischen  den  lebenden  Mikroorganismen  und 
den  Gährungen  bestehen  und  dass  die  Gährung  entschieden  als  eine 
physiologische  Leistung  der  Mikroorganismen  anzusehen  ist.  Dafür 
spricht  ausser  den  zahlreich  wiederholten  Experimenten  Schwanns  und 


14  Gotschlich,  Einleitung. 

seiner  Nachfolger  der  Umstand,  dass  die  Intensität  der  Gährung  der 
Entwicklung  der  Mikroorganismen  im  Gährgernisch  parallel  geht; 
dass  die  Gährungen  am  besten  be'i  derjenigen  Temperatur  verlaufen, 
die  mit  dem  Optimum  der  Temperatur  für  das  Wachstum  und  die 
sonstigen  Lebensfunktionen  der  Mikroorganismen  übereinstimmt;  dass 
die  exquisit  physiologischen  Gifte,  wie  Chloroform,  Äther,  Blau- 
säure, schon  in  geringer  Dosis  die  Gährung  zu  hindern  vermögen. 
Ferner  ist  durch  genauere  chemische  Analyse  der  Gährprodukte  näher 
festgestellt,  dass  die  Zerlegung  des  Gährmaterials  bei  der  Gährung  in 
einer  so  tiefgreifenden  Umwandlung  der  Moleküle,  in  einer  so  inten- 
siven Verschiebung  der  Atome  beruht,  dass  nur  durch  unsere  stärksten 
chemischen  Agentien  ein  annähernd  gleicher  Eingriff  erzielt  werden 
könnte.  Und  da  derartige  chemische  Mittel  keinesfalls  in  Betracht 
kommen,  so  können  wir  nur  an  physiologische  Leistungen  denken,  bei 
denen  wir  überall  derartige  tiefgehende  Wirkungen  wahrnehmen. 

Von  grosser  Bedeutung  für  die  weitere  Entwicklung  der  vitali- 
stischen  Gährungslehre  ist  die  Unterscheidung  verschiedener  und 
spezifische  Wirkungen  hervorrufender  Fermentorganismen.  Zur  Zeit 
der  Begründung  der  Keimtheorie  war  nur  von  organisierten  Fermenten 
im  allgemeinen  die  Rede;  man  studierte  den  Verlauf  und  die  Produkte 
der  Gährung  und  Fäulnis  unter  wechselnden  Verhältnissen,  ohne  dass 
man  die  Art  der  vorhandenen  Gährungserreger  näher  berücksichtigte 
und  ohne  dass  man  sich  darüber  orientierte,  ob  eine  bestimmte  Gattung 
allein  oder  aber  ein  Gemenge  verschiedener  Pilze  an  der  Zersetzung 
des  gährungsfähigen  Materials  beteiligt  war.  Und  doch  war  eine 
solche  strenge  Sonderung  durchaus  notwendig,  wenn  die  Lebens- 
bedingungen der  Organismen  und  die  Beziehungen  ihres  Lebens  und 
Stoffwechsels  zu  den  Gährungserscheinungen  genauer  erkannt  werden 
sollten.  —  Auch  in  dieser  Richtimg  waren  Pasteue/s  Arbeiten  (A.  eh. 
ph.  (3.)  52.  —  C.  R.  52)  die  eigentlich  grundlegenden.  Er  unterschied 
zuerst  mit  aller  Schärfe  einen  bestimmten  Organismus,  welcher  Milch- 
säuregährung  veranlasst,  einen  anderen,  welcher  Buttersäure  liefert 
u.  s.  w.,  und  betonte  die  Notwendigkeit  weiterer  Differenzierung.  Da- 
durch erst  gelangte  man  zur  Einsicht  in  die  Vorteile  des  Experirnen- 
tierens  mit  reingezüchteten  Gährungserregern  und  mit  Hilfe  der  so 
erhaltenen  Resultate  zu  einer  genaueren  Kenntnis  der  Gährprodukte 
und  der  Gleichung,  nach  welcher  bei  der  einzelnen  Gährung  das  Mate- 
rial gespalten  wird.  Diese  Fragen  bilden  dann  bis  in  die  Gegenwart 
hinein  den  Gegenstand  lebhaftester  Diskussion  und  Arbeit,  und  es 
scheint,  als  ob  wir  mit  den  neuesten  wesentlichen  Vervollkommnungen 
der  Methoden  zur  Reinkultur  der  Mikroorganismen  in  der  That  zu 
einem  präzisen  Ausdruck  für  die  verschiedenen  Gährungsvorgänge  ge- 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  15 

langen  werden,  wie  ihn  Pasteur  und  zahlreiche  andere  Anhänger  der 
Keimtheorie  seit  lange  erstrebt  haben. 

Einwände  gegen  die  Grundlagen  der  Keimtheorie. 

In  Vorstehendem  ist  die  vitalistische  Lehre  in  einem  abgerundeten 
Zusammenhang  dargestellt,  der  eine  gleichmässige,  von  fundamentalen 
Einwänden  und  Angriffen  kaum  berührte  Entwicklung  vermuten  lässt. 
Eine  solche  hat  aber  thatsächlich  keineswegs  stattgefunden;  vielmehr 
traten  schon  früh  Gegner  der  neuen  Lehre  auf,  welche  mit  vielem 
Scharfsinn  alle  schwachen  Punkte  derselben  blossstellten  und  durch 
zahlreiche  Experimente  die  einzelnen  von  Pasteur  und  seinen  An- 
hängern aufgestellten  Sätze  zu  widerlegen  suchten. 
Diese  Einwände  waren  im  wesentlichen  folgende: 
1.  In  zahlreichen  Versuchen  sahen  verschiedene  Beobachter  Gährung 
und  Fäulnis  auftreten,  selbst  wenn  das  Eindringen  von  Mikroorganismen 
völlig  gehindert  war.  Im  Innern  von  Leichen,  im  Inhalt  ausgebrüteter, 
aber  unverletzter  Hühnereier,  in  abgestorbenen  Leibesfrüchten  der 
Menschen  und  Tiere  fand  man  oft  intensive  Fäulniserscheinungen; 
unter  ähnlichen  Umständen  wurde  mehrfach  Milchsäure-,  Essigsäure- 
und  Buttersäuregährung  beobachtet  (Colin1),  Billroth2),  Hiller3). 
Zahlreiche  Versuche  wurden  ferner  von  Hoppe-Seyler4),  Billroth5), 
Tiegel6),  Servel7),  Paschutin8),  Sanderson9),  Nencki10)  u.  A.  aus- 
geführt, bei  denen  fäulnisfähige  Substanzen  längere  Zeit  unter  solchen 
Cautelen  aufbewahrt  wurden,  dass  ein  Zutreten  von  Organismen  vor- 
aussichtlich nicht  stattfinden  konnte.  In  vielen  Fällen  wurde  dann  trotz- 
dem Fäulnis  beobachtet.  Ebenso  bemerkte  man  bei  unter  Cautelen 
aufbewahrtem  Harn  nach  einiger  Zeit  alkalische  Reaktion  und  Beginn 
der  Fäulnis  (Colin,  Billroth,  Hiller  u.  A.).  Ferner  wurde  Tö- 
tung der  Mikroorganismen  durch  Hitzeeinwirkung  (Bastian,  C.  W.  76. 
521;  C.  R.  83;  On  fermentation  and  the  appearence  ofBacilli,  Micro- 
coces  andTorulor  in  brited  fluids.  London  1877).  —  Huizinga,  Pf.  1873. 
1874.  1875  u.  A.)  oder  durch  massigen  Carbolzusatz  (z.  B.  Harn  0,5  %, 
Hoppe-Seyler)  versucht;  trotzdem  trat  zuweilen  Fäulnis  ein;  endlich 
wurde  eine  Entfernung  der  Organismen  aus  faulenden  oder  gährenden 
Flüssigkeiten  durch  Filtration  ausgeführt;  auch  hier  trat  in  mehreren 
Fällen  Fäulnis  oder  Gährung  der  filtrierten,  organismenfreien  Flüssig- 
keit auf  (Helmholtz  1843:  A.  f.  Ph.  43;  Fleck,  Ber.  der  ehem.  Cen- 
tralstat.    Dresden.  1876  u.  A.). 


1)  A.  eh.  ph.  28. 128;  30.  42.  2)  1.  c.  3)  Die  Lehre  von  der  Fäulnis.  Berlin  1879. 
4)  Medicin.-chem.  Unters.  1871.  H.  4.  5)  1.  c.  6)  V.  60.  453.  7)  C.  E.  79.  1270. 
8)  V.  59.  490.    9)  1.  c.    10)  J.  pr.  Ch.  N.  F.  Bd.  19  u.  20. 


16  Gotschlich,  Einleitung. 

In  allen  diesen  Fällen  fanden  die  Beobachter  in  den  gefaulten 
Flüssigkeiten,  wenn  sie  schliesslich  zur  Untersuchung  gelangten,  entweder 
keine  Spur  von  Organismen,  und  dann  konnte  die  Gährung  offenbar 
nur  unter  dem  Einfluss  chemischer  Fermente  eingetreten  sein,  deren 
Existenz  und  Wirksamkeit  die  Rolle  der  Mikroorganismen  zu  einer 
völlig  nebensächlichen  degradierte.  Oder  es  fanden  sich  trotz  allen 
Schutzes  gegen  aussen  Organismen  in  den  gefaulten  Substraten,  und 
dann  erblickten  die  Anhänger  der  Urzeugung  hierin  einen  neuen  Be- 
weis für  die  Richtigkeit  ihrer  Lehre.  Noch  in  neuester  Zeit  sind  be- 
kanntlich Bechamp1)  und  Wigand2)  mit  grösster  Energie  und  auf  viele 
Versuche  gestützt  für  die  Urzeugung  kleinster  Organismen  aus  ab- 
sterbendem Zellprotoplasma  höher  organisierter  Wesen  aufgetreten.  Sie 
sahen  aus  kleinsten  Formbestandteilen  tierischer  und  pflanzlicher 
Zellen  nach  deren  Tode  und  bei  angeblich  völliger  Fernhaltung  aller 
äusseren  Keime  selbständig  lebende,  sich  bewegende  und  vermehrende 
Mikroorganismen  hervorgehen  und  unter  deren  Einfluss  demnächst 
Fäulnis  und  Gährung  eintreten. 

Trotz  der  grossen  Zahl  der  Beobachter  und  Versuche  ist  jedoch 
durch  diese  abweichenden  Versuchsresultate  die  Keimtheorie  in  keiner 
Weise  erschüttert.  Es  kann  nicht  genug  Gewicht  auf  den  oben  schon 
gegebenen  Hinweis  gelegt  werden,  dass  bei  diesen  Beobachtungen  und 
Versuchen  das  der  vitalistischen  Theorie  ungünstige  Resultat  immer 
zusammenfällt  mit  etwaigen  Fehlern  der  Versuchsanordnung  oder  mit 
Ungenauigkeiten  der  Beobachtung.  Angesichts  der  enormen  Ver- 
breitung der  Mikroorganismen  und  ihrer  relativ  bedeutenden  Resistenz 
gegen  schädliche  Agentien  ist  es  nicht  leicht,  tadellose  Versuchsanord- 
nungen zu  treffen ,  durch  die  ein  Hineingelangen  von  Organismen  in 
zersetzungsfähige  Substanzen  sicher  vermieden  wird.  Erst  neuerdings 
sind  die  Hitzegrade  genauer  betimmt,  durch  welche  Mikroorganismen 
in  allen  Fällen  getötet  werden,  und  man  kann  jetzt  mit  voller  Be- 
stimmtheit behaupten,  dass  frühere  Beobachter  schon  dadurch  Fehler- 
quellen einführten,  dass  sie  die  benutzten  Gefässe  und  Utensilien  nicht 
bei  genügend  hoher  Temperatur  von  den  etwa  anhaftenden  Keimen 
befreiten.  —  Ganz  besonders  schwierig  sind  selbstverständlich  diejenigen 
Versuchsreihen,  bei  welchen  jedes  Erhitzen  und  überhaupt  jede  Alte- 
ration des  gährfähigen  Materials  vermieden  wurde,  um  nicht  etwa  die 
Urzeugung  oder  die  Kraftentfaltung  chemischer  Fermente  zu  stören. 
Erst  grosse  Übung  nach  einer  langen  Reihe  von  Fehlversuchen  pflegt 
erfahrungsgemäss  dahin  zu  führen,  dass  eine  solche  Versuchsreihe  mit 


1)  Les  Microzyrnes  dans  leurs  rapports  avec  l'heterogenie  etc.  Paris  18S3. 

2)  Entstehung  u.  Fermentwirkung  d.  Bakt.    Marburg  1884. 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  \~[ 

gleichmässigem  Resultat  durchgeführt  wird.  Begnügt  man  sich  mit 
einer  kleineren  Anzahl  von  Versuchen  und  beherrscht  man  die  Methode 
nicht  vollkommen,  so  werden  zweifellos  alle  oder  die  meisten  Präparate 
Organismen  enthalten  und  Fäulnis  oder  Gährung  zeigen;  sieht  man 
nun  über  die  Fehlerquellen  leicht  hinweg,  glaubt  man  in  jedem  Fall 
den  Abschluss  nach  aussen  in  genügender  Weise  hergestellt  zu  haben, 
so  ist  wiederum  mit  jedem  fehlerhaften  Versuch  für  die  Abiogenesis 
oder  für  die  Annahme  einer  Fäulnis  ohne  Organismen  Beweismaterial 
gewonnen.  Es  ist  klar,  dass  auf  derartige  Resultate  nur  dann  etwas 
zu  geben  ist,  wenn  dieselben  in  allen  den  Fällen,  wo  die  nötige 
Übung  des  Experimentators  in  mykologischen  Versuchen  vorausgesetzt 
werden  darf,  eindeutig  ausfallen.  Nun  ist  aber  im  Gegenteil  bekannt, 
dass  mehrere  Forscher,  so  in  der  Neuzeit  Maechand,  Meissner  u.  A., 
eine  grosse  Reihe  von  die  Keimtheorie  stützenden  Resultaten  erhalten 
haben;  Substanzen  zersetzlichster  Art  sind  einfach  durch  konsequenten 
Abschluss  gegen  Organismen  jahrelang  unzersetzt  konserviert,  und 
zwar  ist  in  diesen  Versuchen  eine  Steigerung  des  Prozentsatzes  von 
gelungenen  Experimenten  mit  der  fortschreitenden  Übung  des  Experimen- 
tators deutlich  bemerkbar. 

Durch  die  genauere  Erkenntnis  der  Lebens-  und  Absterbe- 
bedingungen der  niederen  Pilze  ist  es  gegenwärtig  leicht,  dieselben 
Versuche  mit  den  gleichen  Resultaten  beliebig  zu  wiederholen,  und 
nur  derjenige,  der  noch  in  völlig  falschen  Vorstellungen  über  die 
biologischen  Eigentümlichkeiten  der  Mikroorganismen  weiterlebt  und 
mit  der  neueren  experimentellen  Technik  nicht  vertraut  ist,  kann  heute 
noch  zu  Resultaten  gelangen,  die  Beweise  für  die  Urzeugung  liefern. 
Mit  völliger  Nichtachtung  unserer  bisherigen  Erfahrungen  sind  na- 
mentlich die  Versuche  Wigand's  ausgeführt,  der  von  der  Ansicht 
ausgeht,  dass  die  Verbreitung  der  Mikroorganismen  und  die  Gefahr 
eines  Eindringens  derselben  von  aussen  gar  nicht  besonders  gross  sei. 
Dabei  erachtet  es  Wigand  aber  nicht  für  nötig,  diese  Voraus- 
setzung in  derselben  exakten  Weise,  wie  es  von  Anderen  geschehen 
ist,  zu  prüfen. 

Auch  das  auffällige  Resultat,  zu  welchem  viele  der  oben  genannten 
Beobachter  bei  ihren  Gährungsversuchen  gelangten,  dass  trotz  statt- 
gehabter Fäulnis  oder  Gährung  keine  Mikroorganismen  in  den  be- 
treffenden Flüssigkeiten  gefunden  wurden,  beruht,  wie  wir  heute  mit 
Sicherheit  behaupten  können,  auf  einem  Irrtum.  Es  ist  unter  Um- 
ständen eine  schwierige  Aufgabe,  in  einer  eiweisshaltigen,  längere  Zeit 
gefaulten  Flüssigkeit  die  —  vielleicht  degenerierten  und  veränderten  — 
Mikroorganismen  zu  erkennen,  und  es  erscheint  jedenfalls  als  un erläss- 
lich, dabei  stets  die  besonderen,  in  der  Neuzeit  ausgebildeten  Methoden, 
Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  2 


lg  Gotschlich,  Einleitung. 

wie  Trocknen,  Färben  n.  s.  w.  anzuwenden;  in  früherer  Zeit  hat  man 
diese  Methode  nicht  gekannt  und  hat  dann  in  der  That  oft  keine  Mikro- 
organismen gefunden.  Damit  ist  aber  keineswegs  gesagt,  dass  wirklich 
keine  Organismen  und  zu  keiner  Zeit  des  Versuchs  vorhanden  waren; 
denn  dieselben  sind  bei  neueren  darauf  gerichteten  Versuchen  über- 
haupt niemals  vermisst,  sobald  man  nur  darauf  Rücksicht  genommen 
hat,  die  Flüssigkeit  in  einem  nicht  zu  späten  Stadium  der  Fäulnis  zur 
Untersuchung  zu  ziehen. 

2.  Im  Gegensatz  zu  den  Versuchen,  in  welchen  Fäulnis  ohne 
Mikroorganismen  gefunden  wurde,  beobachtete  man  andererseits,  dass 
in  zersetzungsfähigen  Substraten  sich  zahlreiche  Mikroorganismen  an- 
siedeln können,  ohne  dass  Zersetzungen,  Gährung  und  Fäulnis  die  Folge 
sind.  Solche  Befunde  hatte  z.  B.  Hiller  bei  seinen  Versuchen  mit 
Harn  zu  verzeichnen;  ferner  wurden  in  Organen,  die  man  dem  frisch 
getöteten  tierischen  Körper  entnommen  hatte,  von  einzelnen  Beobachtern 
lebende  Mikroorganismen  konstatiert,  deren  Anwesenheit  demnach  mut- 
masslich von  keinerlei  alterierender  Wirkung  begleitet  gewesen  war. 

Auch  diese  Einwände  und  Versuche  haben  indess  nur  noch  histo- 
rische Bedeutung.  Dieselben  datieren  aus  einer  Epoche,  in  welcher 
man  von  den  verschiedenen  spezifischen  Arten  von  Mikroorganismen 
und  von  ihren  sehr  verschiedenen  Lebensbedingungen  und  Wirkungen 
wenig  oder  nichts  wusste.  Es  gilt  jetzt  als  selbstverständlich,  dass 
nicht  jeder  Organismus  in  jedem  Nährsubstrat  die  Möglichkeit  zu  leb- 
hafter Entwicklung  findet,  und  ferner,  dass  die  Entwicklung  bestimmter 
Organismen  nicht  notwendig  mit  Entbindung  stinkender  Gase,  kurz  den 
gewöhnlichen  Fäulnissymptomen  einhergehen  muss.  Ein  Befund  von 
Organismen  ohne  begleitende  Fäulnis- oder  Gährungserscheinungen  hat  da- 
her nichts  Befremdendes  und  beweist  nichts  gegen  die  vitalistische  Theorie. 

3.  Bei  verschiedenen  Versuchsreihen  war  beobachtet,  dass  Eiweiss- 
lösungen  nur  langsam  oder  gar  nicht  durch  eingesäte  Mikroorganismen 
zersetzt  werden,  dass  letztere  vielmehr  wie  die  höheren  Pflanzen  ihr 
Protoplasma  aus  einfachsten  organischen  Verbindungen  aufbauen  und 
daher  im  lebenden  tierischen  Gewebe  und  z.  B.  bei  Kulturversuchen 
in  Hühnereiern  nur  schlecht  wachsen  und  sich  vermehren.  Man  schloss 
daraus,  dass  sie  unmöglich  bei  der  intensiven  Zerlegung  der  Eiweiss- 
stoffe,  wie  sie  die  Fäulnis  charakterisiert,  irgendwie  wesentlich  beteiligt 
sein  könnten   (Billroth,  Hiller,   Hoppe-Setler,  Paschftin  u.  A.). 

Auch  diese  Beobachtungen  vermochten  nur  damals  befremdend  zu 
wirken,  als  man  die  bedeutenden  biologischen  Differenzen  unter  den 
verschiedenen  Pilzspezies  noch  nicht  kennen  und  beachten  gelernt  hatte. 
Neuerdings  wissen  wir  mit  vollster  Gewissheit,  dass  viele  Mikroorganismen 
eine   tiefgehende   Spaltung    des  Eiweissmoleküls   bewirken  und   damit 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  19 

den  Fäulnisprozess  inszenieren,  class  andererseits  eine  grosse  Reihe  von 
niederen  Pilzen  eine  derartige  Fähigkeit  nicht  besitzen,  dass  aber  des- 
halb aus  Versuchen  mit  einigen  beliebigen  Mikroorganismen  keineswegs 
die  Entbehrlichkeit  dieser  für  die  Eiweisszersetzung  durch  Fäulnis  ab- 
geleitet werden  darf. 

4.  Schwerer  wiegende  Einwände,  die  sich  bis  in  die  neueste  Zeit 
fortgespielt  haben,  gingen  endlich  von  solchen  Forschern  aus,  welche 
eine  mehr  chemische  Erklärung  des  Gährungsvorganges  suchten  und 
in  der  vitalistischen  Theorie  nicht  eine  Aufhellung,  sondern  vielmehr 
eine  Verdunkelung  des  zu  enträtselnden  Vorgangs  sahen.  Namentlich 
beteiligten  sich  Liebig,  später  Hoppe-Seylee  an  dieser  Opposition; 
ihnen  schlössen  sich  Colin,  Billeoth,  Hillee,  Fleck  u.  A.  an. 

Liebig-  hatte  schon  früh  —  im  Jahre  1839  —  Gährung  und  Fäulnis 
dadurch  zu  erklären  versucht,  dass  in  der  Hefe  lösliche  Prote'insub- 
stanzen  existieren  sollten,  welche  durch  ihren  Zerfall  die  Zersetzung 
des  Zuckers  anregen,  gerade  so  wie  überhaupt  zahlreiche  bekannte 
chemische  Körper,  die  im  Zustand  der  Verbindung  und  Zersetzung 
begriffen  sind,  in  anderen  Körpern  denselben  Bewegungszustand  der 
Atome  zu  erregen  vermögen.  Dieser  Zerfall  der  löslichen  Protei'nsub- 
stanz  ist  dann  selbstverständlich  kein  Lebensakt  der  Hefezelle,  sondern 
vielmehr  ein  korrelatives  Phänomen  des  Todes.  Es  ist  eine  bei  vielen 
derartigen  chemischen  Aktionen  zu  beobachtende  Eigentümlichkeit,  dass 
relativ  geringe  Mengen  des  einen  zerfallenden  Körpers  grosse  Mengen 
des  anderen  Körpers  zerlegen  können,  so  z.  B.  führte  Liebig  die  Zer- 
legung von  Oxalsäure,  Oxamid  und  Wasser  an,  bei  der  eine  kleine 
Menge  Oxalsäure  für  grosse  Mengen  Oxamid  ausreicht;  ferner  wies  er 
auf  den  ähnlichen  Verlauf  der  Umsetzung  hin,  die  bei  der  Zersetzung 
des  Cyans  durch  Aldehyd  bei  Gegenwart  von  Wasser  stattfindet.  — 
Auch  der  Unterschied  der  Alkoholgährung  und  des  Fäulnisprozesses 
lässt  sich  leicht  auf  diese  LiEBiG'sche  Auffassung  begründen:  bei  der 
Fäulnis  wird  die  Zerlegung  durch  das  sich  zersetzende,  aus  Albuminaten 
bestehende  Fäulnismaterial  selbst  übertragen,  so  dass  die  begonnene 
Fäulnis  durch  eigene  Bewegung  fortdauert,  auch  nachdem  die  erste, 
den  Anstoss  gebende  Ursache  unwirksam  geworden  ist;  bei  der  Gährung 
dagegen  vermag  der  Zucker  (die  hier  in  Zersetzung  begriffene  Substanz) 
seine  Bewegung  nicht  zu  übertragen  und  demgemäss  ist  eine  fremde 
Ursache,  ein  Ferment,  nicht  nur  zur  Einleitung,  sondern  auch  zur  Unter- 
haltung der  Bewegung  notwendig. 

Offenbar  war  indess  diese  LiEBiG'sche  Auffassung  rein  hypothe- 
tischer Natur;  die  zerfallende  Proteinverbindung,  welche  die  Ursache 
der  Gährung  sein  sollte,  war  keineswegs  als  wirklich  vorhanden  erwiesen; 
als  einzige  experimentelle  Stütze  dieser  Annahme  fangierte  der  Nach- 


20  Gotschlich,  Einleitung. 

weis,  dass  bei  der  sogenannten  Selbstvergährung  der  Hefe,  die  ohne 
jedes  Zuthun  von  Zucker  lediglich  auf  Kosten  der  Hefesubstanz  verläuft, 
weit  mehr  Alkohol  gebildet  wird,  als  dem  Cellulosegehalt  der  Hefe- 
, zellen  entspricht,  und  dass  somit  eine  andere  in  den  Zellen  enthaltene 
kompliziertere  Verbindung  das  Material  für  die  Alkoholbildung  liefern 
muss.  Auch  dieser  analytische  Beleg  wurde  später  von  Nägeli  als  irrig 
erwiesen  (Theorie  der  Gährung.  S.  3  ff.);  aber  bereits  viel  früher  wurde 
Liebig  durch  die  zahlreichen  Experimente,  welche  die  direkte  Ab- 
hängigkeit des  Gährungsprozesses  von  dem  Leben  der  Hefezellen 
unwiderleglich  erwiesen,  zu  einer  bedeutenden  Modifikation  seiner 
Theorie  veranlasst. 

Er  sprach  sich  1870 *)  dahin  aus,  dass  die  lebende  Hefezelle  die 
schon  früher  von  ihm  angenommene  fermentartige  Substanz  enthalte 
und  produziere,  und  dass  deshalb  die  Bildung  des  Ferments  mit  dem 
Leben  der  Zelle  einhergehe.  Der  Gährungsakt  selbst  beruhe  aber  somit 
auf  einem  nicht  organisierten  Ferment,  und  die  Hefezelle  leiste  mit 
der  Produktion  des  Ferments  nichts  anderes,  als  was  zahlreiche  andere 
Zellen  ebenfalls  leisten;  sowie  der  Mensch  diastatisches  Ferment, Pepsin, 
Trypsin  produziert,  haben  alle  anderen  Pflanzen  und  Tiere  ihre  Fer- 
mente; aber  die  Organismen  sind  darum  nicht  identisch  mit  diesen 
Fermenten  und  die  Fermentwirkung  ist  nicht  als  direkte  Arbeits- 
leistung der  Zellen  aufzufassen.  Gelingt  es,  die  Fermente  von  den 
Zellen  abzutrennen,  so  sind  dann  diese  letzteren  zur  Einleitung  und 
Unterhaltung  der  Gährungsprozesse  überhaupt  nicht  mehr  nötig.  In 
ähnlicher  Form  war  diese  Lehre  schon  1858  von  Traube2)  ausgesprochen 
und  später  (1876)  wurde  sie  namentlich  von  Hoppe-Seylee  verteidigt. 
Dieselbe  beruhte  also  zum  Teil  auf  der  Analogie  der  Gährungs-  und 
Fäulnisprozesse  mit  den  Spaltungen  und  Zersetzungen  nicht  organisierter 
Fermente.  Die  Mikroorganismen  sollten  nicht  die  primäre,  unmittelbare 
Ursache  der  durch  Gährung  und  Fäulnis  bedingten  Zersetzungen  or- 
ganischer Substanz  sein,  sondern  man  nahm  an,  dass  zunächst  eine 
Umwandlung  der  zersetzlichen  Stoffe  einzutreten  pflege  durch  in  den 
Substanzen  selbst  enthaltene  Ursachen  —  durch  lösliche  chemische 
Fermente,  und  dass  erst  dann,  wenn  die  Substanz  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  verändert  ist,  eine  Vermehrung  derjenigen  Organismen  stattfinde, 
welche  bei  der  weiten  Verbreitung  ihrer  Keime  selbstverständlich  stets 
in  die  Substanzen  hineingeraten  sein  werden;  die  Art  und  Beschaffen- 
heit des   zersetzlichen  Substrats    und    namentlich   der  ersten  in   deni- 


1)  Liebig,  Über  Gährung,  Quelle  der  Muskelkraft  u.  Ernährung.    Leipzig  u. 
Heidelberg  1870. 

2)  Pogg.  103.  331.  —  Theorie  der  Fermentwirkungen.     Berlin  1S58. 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  21 

selben  auftretenden  Veränderungen  bedingt  dabei  die  besondere  Art 
von  Organismen,  welche  vorzugsweise  zur  Entwicklung  kommt  und 
gedeiht.  Von  da  ab  wirken  dann  gewöhnlich  auch  diese  angesiedelten 
Organismen  bei  der  Zersetzung  der  Substanz  mit,  aber  sie  sind  auch 
für  die  weitere  Zerlegung  nicht  unbedingt  notwendig  und  die  Zer- 
setzung geht  keineswegs  ihrer  Entwicklung  parallel. 

Den  nicht  organisierten  löslichen  Fermenten  wird  demnach  bei  dieser 
Auffassung  die  weitaus  wesentlichste  Rolle  zugeschrieben.  Solcher 
Fermente  hat  man  in  letzter  Zeit  eine  immer  grössere  Zahl  kennen  ge- 
lernt, und  mit  dieser  Kenntnis  schien  die  Wahrscheinlichkeit  ihrer  ein- 
greifenderen Wirksamkeit  auch  bei  den  gewöhnlichen  Gährungs-  und 
Fäulnisprozessen  zu  wachsen.  Die  Wirkung  der  Diastase,  des  Emulsins, 
des  Myrosins,  des  invertierenden  Ferments  der  Hefe,  die  Ptyalin-  und 
Pepsinwirkung,  die  energische  zersetzende  Thätigkeit  des  Pankreas  und 
des  aus  diesem  isolierten  Trypsins  boten  die  wichtigsten  Analogien  und 
die  Stütze  der  „chemischen"  Gährungstheorie.  — 

Thatsächlich  haben  nun  aber  die  Anhänger  der  Keimtheorie  den 
Einfmss  und  die  Wirkung  chemischer  Fermente  niemals  bestritten. 
Nur  führt  eine  genauere  Analyse  der  Spaltungen  durch  chemische  Fer- 
mente einerseits  und  der  materiellen  Umwandlungen  durch  Gährung 
und  Fäulnis  andererseits  notwendig  zu  der  Überzeugung,  dass  es  durch- 
aus unstatthaft  ist,  diese  beiden  Vorgänge  als  hinreichend  analog  und 
ähnlich  zu  bezeichnen,  um  für  beide  die  gleiche,  einheitliche  Ursache 
zu  folgern.  Die  chemischen  Fermente  bewirken  nichts  anderes  als 
hydrolytische  Spaltungen;  sie  lassen  sich  in  ihrem  Effekt  durch  sogen. 
Kontaktsubstanzen,  ferner  durch  verdünnte  Schwefelsäure  und  ver- 
schiedene andere  Agentien  ersetzen;  dabei  bleibt  die  Masse  des  chemischen 
Ferments  während  der  Fermentwirkung  die  gleiche  oder  sie  vermindert 
sich;  das  Temperaturoptimum  für  ihre  Aktion  liegt  bei  ca.  60  °,  durch 
die  excpiisit  physiologischen  Gifte  werden  sie  nicht  alteriert.  Bei  der 
Gährung  und  Fäulnis  handelt  es  sich  dagegen  stets  um  eine  komplizierte 
Änderung  der  Atomgruppierung,  um  eine  Abspaltung  von  Kohlensäure 
und  oft  noch  anderer  Atomgruppen;  die  Masse  der  ursächlichen  Ferment- 
organismen vermehrt  sich  proportional  der  Gährintensität;  ihre  Thätig- 
keit geht  bei  25 — 40  °  am  besten  vor  sich  und  wird  durch  den  Einfmss 
der  physiologischen  Gifte  sistiert.  —  So  scheiden  sich  Wesen  und 
Leistungen  der  isolierbaren  Fermente  und  der  Gährorganismen  scharf 
von  einander,  und  nur  insofern  besteht  eine  Beziehung  zwischen  beiden, 
als  bei  den  komplizierteren  Gährungsprozessen  und  namentlich  bei  der 
Fäulnis  oft  beide  Agentien  wirksam  sind,  so  zwar,  dass  chemische 
Fermente,  welche  teilweise  von  den  Mikroorganismen  produziert  sind, 
die  Lösung;  des  Gährmaterials  einleiten  und  so  den  Boden  bereiten  für 


22  Gotschlich,  Einleitung. 

die  folgende  tiefgreifende  Spaltung  unter  dem  Einfluss  der  spezifischen 
organisierten  Fermente. 

Wollte  man  aber  schliesslich  auch  mit  Liebig  annehmen,  dass  in 
letzter  Instanz  doch  auch  die  Atomunilagerung  bei  der  Gährung  und 
Fäulnis  durch  das  Eingreifen  eines  fermentähnlichen  Atomkomplexes 
zustande  komme,  der  freilich  nur  von  lebenden  Mikroorganismen 
produziert  werden  könne  und  an  das  Leben  der  Zelle  geradezu  gebunden 
sei,  so  erscheint  diese  Auffassung  im  Grunde  nicht  mehr  als  ein  Ein- 
wand gegen  die  vitalistische  Lehre,  sondern  als  deren  Anerkennung;  in 
der  unmittelbaren  Abhängigkeit  des  Gährungsprozesses  von  dem  Leben 
der  Hefezelle  stimmt  diese  Lehre  vollständig  mit  der  vitalistischen 
Theorie  überein,  sie  sucht  nur  die  Art  und  Weise  näher  zu  definieren, 
durch  welche  die  lebende  Zelle  die  Spaltung  der  vergährenden  oder 
faulenden  Substanz  bewirkt.  Sie  geht  aber  in  ihrer  Annahme  eines 
solchen  Ferments  nicht  über  das  Niveau  der  Spekulation  hinaus,  wie 
schon  daraus  hervorgeht,  dass  bisher  von  einer  Isolierung  und  Ab- 
trennung des  vermuteten  Ferments  aus  der  Hefezelle  noch  nicht  die  Rede 
sein  konnte  und  dass  dies  Misslingen  dadurch  entschuldigt  wird,  dass 
eben  das  Ferment  mit  dem  Tode  oder  sogar  schon  mit  der  Störung 
des  Lebens  der  Hefezelle  sofort  vernichtet  werde.  — 

Als  Ergebnis  der  vorstehenden  Betrachtung  über  die  historische 
Entwicklung  der  Lehre  von  der  Gährung  und  Fäulnis  ist  somit  die 
vollkommene  Sicherstellung  der  Thatsache  zu  bezeichnen,  dass  kleinste 
lebende  Organismen  die  direkte  Ursache  der  gewöhnlich  unter  dem 
Namen  Gährung  und  Fäulnis  zusamengefasste,n  Zersetzungsvorgänge 
im  unmittelbarsten  Abhängigkeitsverhältnis  stehen  zu  den  Lebens- 
äusserungen jener  Organismen. 

II.   Mikroorganismen  als  parasitäre  Krankheitserreger. 

Schon  in  der  frühesten  Epoche  der  wissenschaftlichen  Beobachung 
und  Erforschung  der  Mikroorganismen  taucht  der  Glaube  auf,  dass 
dieselben  die  ursächliche  Rolle  bei  der  Entstehung  der  Infektionskrank- 
heiten spielen.  Diese  Lehre  vom  Contagium  animatum  findet  sich 
mit  aller  Deutlichkeit  schon  bei  Athanasius  Kircher  ausgesprochen, 
der  durch  seine  Funde  mikroskopisch  kleiner  Würmchen  dazu  geleitet 
wurde,  eine  ätiologische  Bedeutung  derselben  bei  der  damals  herr- 
schenden Bubonenpest  anzunehmen.  Bald  darauf  gaben  Lange  und 
Hauptmann  (in  der  Vorrede  zu  Kircher' s  Scrutinium  physico-medicum 
contagiosae  luis  etc.)  der  Ansicht  Ausdruk,  dass  die  epidemische  Purpura 
der  Wöchnerinnen  von  einer  durch  Würnichen  veranlassten  Fäulnis  zurück- 
gehaltener Lochien  herrühre;  auch  nahmen  sie  für  viele  andere  Krank- 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  23 

heiten,  wie  Masern,  Pocken,  Petechialfieber,  Pleuritiden,  Epilepsie,  Gicht, 
ein  belebtes  Kontagium  als  Ursache  an.  Später  wurde  insbesondere  für  die 
Syphilis,  so  von  ÄNDRY^undLiNNE2),  ferner  für  Malaria  von  Lancisi3) 
eine  mikroparasitäre  Ätiologie  angenommen.  Mit  besonderer  Schärfe  be- 
tonte Plenciz4)  im  Jahre  1762  die  ätiologische  Bedeutung  der  Mikroorga- 
nismen für  die  Infektionskrankheiten  und  erkannte  sogar  bereits  die  Not- 
wendigkeit, für  verschiedene  Infektionskrankheiten  spezifische  In- 
fektionserreger anzunehen.  In  der  That  lag  ja  ein  Zurückführen 
der  charakteristischen  Erscheinungen  im  Auftreten  der  Infektionskrank- 
heiten auf  solche  Organismen  und  eine  gewisse  Parallele  dieser  Krank- 
heiten mit  den  ebenfalls  auf  Organismen  zurückgeführten  Gährungs- 
und  Fäulnisprozessen  ausserordentlich  nahe.  Das  plötzliche  Auftreten 
der  Seuchen  an  verschiedenen,  isolierten  Orten,  ihre  relativ  langsame 
Verbreitung  und  ihr  oft  zähes  Haften  innerhalb  einer  Lokalität  musste 
den  Gedanken  an  ein  flüchtiges,  gasförmiges  Agens  ausschliessen.  Die 
Art  der  Übertragung,  die  unbegrenzte  Fortentwicklung  des  Infektions- 
stoffs durch  eine  grosse  Reihe  von  Individuen  hindurch,  die  teilweise 
Verschleppbarkeit  des  Infektionsstoffes  auf  weite  Strecken,  sein  Haften 
an  den  heterogensten  Objekten,  ferner  das  Latenzstadium,  der  typische, 
cyklische  Verlauf  der  Krankheit,  die  nachfolgende  Immunität  —  wiesen 
mehr  oder  minder  deutlich  auf  organisierte  Krankheitserreger  hin  und 
fanden  ihre  Erklärung  in  dem  Entwicklungsgange  solcher  vermuteter 
kleinster  Lebewesen.  Wie  gern  dabei  eine  Anlehnung  an  die  Er- 
scheinungen bei  der  Gährung  und  Fäulnis  versucht  wurde,  geht  schon 
daraus  hervor,  dass  die  ganze  Klasse  der  Infektionskrankheiten  von 
einigen  Pathologen  als  „zyanotische  Krankheiten"  bezeichnet,  wurde. 

Freilich  beruhten  diese  Anschauungen,  die  seit  über  40  Jahren 
fortwährend  an  Terrain  gewinnen,  anfangs  nicht  auf  klarer  Erkenntnis 
und  entbehrten  der  experimentellen  Begründung.  Sie  hatten  nur 
Spekulationen  als  Grundlage  —  aber  diese  Spekulationen  wurden  mit 
solchem  Scharfsinn  und  solcher  Logik  angestellt,  dass  sie  fast  zu  den- 
selben Resultaten  gelangten,  die  40  Jahre  später  durch  umfangreiche 
experimentelle  Forschungen  festgestellt  wurden.  Namentlich  war  es 
Henle,  der  bereits  im  Jahre  1840  in  seinen  „pathologischen  Unter- 
suchungen" und  dann  später  1853  in  seinem  „Handbuch  der  rationellen 


1)  Andry,  De  la  generation  des  vers  dans  le  corps  de  l'homme.  Amsterdam  1701. 

2)  Linne,  Vollständiges  Natursystem  etc.  ausgefertigt  von  PIi.L.Statitjs  Müller. 

3)  Lancisi,  Op.  omnia  colleg.  P.  Assaltxjs  2tom.  Genev.  1718.    Tractatusde 
noxiis  paladum  effluviis  lib.  I.  pars  I.  cap.  XVIII. 

4)  Marc-Anton.  Plenciz,  Op.  niedico-physica  in  4  tractatus  digesta Vin- 

dobon.  1762. 


24  Gotschlich,  Einleitung. 

Pathologie"  mit  bewundernswerter  Präzision  das  Verhältnis  der  Mikro- 
organismen zu  den  Infektionskrankheiten  skizzierte  und  die  nähere  Quali- 
tät, die  Lebenseigenschaften  und  Wirkungen  der  Organismen,  sowie 
die  Abhängigkeit  der  einzelnen  Phasen  und  Symptome  der  betreffenden 
Krankheiten  von  dem  Verhalten  der  Organismen  fast  genau  so  definierte, 
wie  dies  nachträglich  auf  Grund  direkter  Beobachtungen  mit  damals 
noch  nicht  gekannten  optischen  Hilfsmitteln  und  auf  Grund  zahlreicher 
Experimente  geschah. 

Thatsächliche  Unterlagen  für  die  Lehre  von  der  Krankheitserzeu- 
gung durch  Mikroorganismen  wurden  zunächst  durch  die  Beobachtung 
einer  Reihe  von  Pflanzen-  und  Insektenkrankheiten  gewonnen.  Schon 
1837  stellte  Bassi1)  als  Ursache  der  Muskardine,  einer  tötlichen  Krank- 
heit der  Seidenraupen,  einen  Pilz  fest;  andere  Insektenkrankheiten 
wurden  bald  auf  ähnliche  Pilze  mit  aller  Sicherheit  zurückgeführt; 
ebenso  wurden  von  Tulasne  (Ann.  d.  sc.  natur.  Bd.  7  u.  20),  de  Baey 
(Monatsber.  d.  Kgl.  Akad.  d.  Wiss.  Berlin  1864 — 66)  und  Kühn2)  eine 
Reihe  von  verheerenden  Krankheiten  der  Getreidearten,  der  Kartoffel  u.s.w. 
durch  das  Eindringen  und  den  Parasitismus  von  Pilzen  erklärt.  —  Auch 
bei  höheren  Tieren  und  beim  Menschen  glückte  bald  der  positive  Nach- 
weis kleinster  pflanzlicher  Gebilde  als  Ursache  gewisser  Krankheiten. 
Abgesehen  von  zahlreichen  Pilzfunden,  die  nicht  sicher  als  Ursache 
der  begleitenden  Krankheiten  konstatiert  werden  konnten,  Hessen  sich 
Favus,  Soor  und  verschiedene  Hautaffektionen  auf  den  Einfluss  para- 
sitärer mikroskopischer  Pilze  zurückführen.  Von  ganz  besonderer  Be- 
deutung war  aber  die  Entdeckung,  class  die  Milzbrandkrankheit 
charakterisiert  ist  durch  das  Auftreten  kleinster  stäbchenförmiger  Orga- 
nismen im  Blut  und  dass  sich  diese  Organismen  experimentell  als  die 
Erreger  des  Milzbrandes  erweisen  lassen  (Pollender  1855:  Viertel- 
jahrsschr.  f.  gerichtl.  Med.  Bd.  8;  Davaine  1863:  C.  R.  57). 

Einerseits  das  immer  häufigere  Auftreten  schwerer  Seuchen,  die 
den  Wunsch  nach  Lösung  der  ätiologischen  Fragen  dringender  werden 
Hessen,  andererseits  das  Zusammenwirken  der  überzeugenden  Deduk- 
tionen Henle's,  der  zahlreichen  Analogien  bei  Pflanzen-  und  Tier- 
krankheiten und  der  Auffindung  des  Milzbrandkontagiums  —  ver- 
anlassten nun  zunächst  eine  Periode  der  Forschung,  welche  sich  durch 
einen  gewissen  Übereifer  charakterisirt  und  mangelhaft  bewiesene  Ent- 
deckungen in  grosser  Zahl  zeitigt,  durch  welche  der  parasitären  Lehre 
wirklicher  Nutzen  nicht  gebracht  wurde. 


1 )  Bassi,  Del  mal  clel  segno,  calcinaccio  o  moscardino.  Milano  1837  (cit.  nach 
Löffler  1.  c.) 

2)  Kühn,  Die  Krankheiten  der  Kulturgewächse.     Berlin  1S58. 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  25 

Namentlich  war  es  Halliee  x),  der  als  zu  begeisterter  Apostel  der 
parasitären  Theorie  auftrat.  Auf  Grund  zahlreicher  Versuche  behauptete 
er,  dass  die  verschiedenen  Mikroorganismen  nur  besondere,  durch  die 
äusseren  Lebensbedingungen  entstandene  Vegetationsformen  bekannter 
Schimmelpilze  seien,  dass  diese  Vegetationsformen  allerlei  Krankheiten 
erzeugen,  dass  man  aber  aus  ihnen  unter  geeigneten  Bedingungen  stets 
wieder  den  zugehörigen  Schimmelpilz  züchten  und  auf  diese  Weise  die 
eigentliche  Ursache  der  Krankheit  darlegen  könne.  Durch  Unter- 
suchung und  Kultur  der  verschiedensten  krankhaften  Organe  und  Ex- 
krete  erhielt  Halliee,  eine  Reihe  verschiedener  Pilze,  die  er  als  Ursachen 
der  Krankheiten  proklamirte,  und  in  kurzer  Zeit  waren  Scharlach, 
Masern  ebensowohl  wie  Cholera,  Typhus  und  alle  sonst  interessierenden 
Krankheiten  auf  ihre  vermeintliche  Ursache  zurückgeführt. 

Der  Rückschlag  auf  diese  Periode  der  phantastischen  Übertreibungen 
war  unausbleiblich.  Pilzkenner  wie  de  Baet  (Virchow-Hirsch's,  Jahres- 
bericht. Bd.  2.  1.  Abt.  240)  zeigten,  dass  die  ÜALLiEEschen  Unter- 
suchungen ganz  wertlos  seien,  weil  sie  mit  völlig  ungenügenden  Vor- 
sichtsmassregeln gegen  das  Eindringen  beliebiger  fremder  Pilze  angestellt 
wurden.  Die  Einwände  de  Baey's  konnten  nicht  widerlegt  werden, 
das  Gebäude  der  HALLiEEschen  parasitären  Krankheiten  stürzte  zu- 
sammen und  damit  war  zugleich  der  ganzen  parasitären  Lehre  ein 
empfindlicher  Stoss  versetzt. 

Weitere  positive  Parasitenfunde  jedoch,  die  in  den  nächsten  Jahren 
von  zahlreichen  Forschern  gemacht  wurden,  waren  geeignet,  das  ver- 
lorene Vertrauen  wieder  herzustellen.  Dieselben  betrafen  zunächst  und 
vorzugsweise  die  Wundinfektionskrankheiten;  Rindfleisch2),  Waldeyee 
(V.  40)  und  v.  Recklinghausen  (Verhdlg.  d.  Würzb.  phys.-med.  Ges. 
1871)  waren  die  Ersten,  welche  die  Aufmerksamkeit  auf  die  bei  pyämi- 
schen  Prozessen  vorkommenden  kleinsten  Organismen  lenkten ;  weitere 
derartige  Beobachtungen  wurden  bei  Erysipel,  bei  der  Phlegmone,  bei 
Diphtheritis,  beim  Puerperalfieber  gemacht  (Htjetee,  Oeth,  Oeetel  U.A.). 
Durch  zahlreichste  Experimente  am  Tier  wurde  die  pathogene  Natur 
der  gefundenen  Mikroorganismen  bestätigt  (Coze  und  Feltz,  Davaine, 
Huetee,  Ebeeth,  Lebee,  Feisch,  Klebs  u.  A.)3). 

Von  bedeutendstem  Einfmss  auf  die  Anerkennung  der  parasitären 
Theorie  waren  ferner  die  eklatanten  Resultate  der  LiSTEE'schen  anti- 
septischen Wundbehandlung,   hervorgegangen  aus  der  bestimmten  Ten- 


1)  Hallier,  Die  pflanzlichen  Parasiten.    Leipzig  1866.  —  Parasitolog.  Unter- 
suchungen.   Ebd.  1868.  —  Phytopathologie.    Ebd.  1868. 

2)  Rindfleisch,  Lehrb.  d.  patholog.  Gewebelehre.    1866.    S.  204. 

3)  Die  Litteraturangaben  s.  in  den  betr.  speziellen  Abschnitten  des  Textes! 


26  Gotschlich,  Einleitung. 

denz,  die  Wirkung  der  infektiösen  Organismen  zu  verhindern  oder  zu 
hemmen  und  eben  durch  diese  Berücksichtigung  der  organisierten  Krank- 
heitserreger von  überraschenden  Erfolgen  begleitet,  trug  sie  die  Kenntnis 
und  Würdigung  der  Mikroparasiten  in  die  weitesten  Kreise  und  von 
Jahr  zu  Jahr  minderte  sich  die  Zahl  der  Skeptiker  und  Gegner.  — 
Freilich  bedingte  es  die  Schwierigkeit  des  Untersuchungsobjekts,  welche 
nur  sehr  langsamen,  dem  lebhaften  Streben  nach  rascher  Aufklärung  wenig 
genügenden  Fortschritt  ermöglichte,  dass  in  der  Folge  noch  oft  die 
Grenzen  der  exakten  Forschung  überschritten  und  zu  weitgehende 
Spekulationen  mit  den  Versuchsresultaten  verknüpft  wurden;  es  war 
natürlich  und  verzeihlich,  dass  zuweilen  aus  dem  einfachen  Vorkommen 
von  Mikroorganismen  in  Leichenteilen  oder  in  pathologischen  Sekreten 
Schlüsse  auf  den  Ursprung  der  Krankheiten  gezogen,  und  dass  somit 
zuweilen  fälschlich  oder  voreilig  Organismen  als  Krankheitserreger  prokla- 
mirt  wurden.  Aber  im  Gegensatz  dazu  erkannten  viele  Forscher,  dass 
vor  allem  erst  durch  ein  detaillirtes  Studium  der  verschiedenen  zur 
Beobachtung  gelangenden  Mikroorganismenformen,  durch  das  Erforschen 
ihrer  Lebensbedingungen  und  Lebensäusserungen,  durch  Ausbildung 
der  Methoden  zu  ihrer  mikroskopischen  Beobachtung  und  durch  fehler- 
freies Experimentieren  am  Tier  die  Unterlagen  gewonnen  werden  müssen, 
auf  denen  eine  genauere  und  sichere  Einsicht  in  die  Rolle  der  para- 
sitären Krankheitserreger  erwachsen  kann.  Und  auf  der  Grundlage 
dieser  Erkenntnis  erstanden  die  neueren  mykologischen  Untersuchungs- 
weisen; Pasteur's  undCoHN's  systematische  Züchtungen,  Koch  s  Metho- 
den zur  mikroskopischen  Untersuchung  und  zur  Reinkultur  der  Pilze, 
Weigert 's  und  Ehrlich's  verdienstliche  Forschungen  über  die  An- 
wendung von  Färbemitteln  für  die  Mikroorganismen,  Beefeld's  Bei- 
träge zum  methodischen  Studium  niederer  Pilze,  Nägeli's  Arbeiten 
über  die  Lebensbedingungen  und  den  Stoffwechsel  der  Mikroorganismen 
mussten  voraufgehen,  ehe  es  gelingen  konnte,  zu  exakten,  eindeutigen 
Resultaten  zu  gelangen. 

Die  Einwände,  welche  gegen  die  parasitäre  Theorie  erhoben  sind, 
stammen  fast  durchweg  aus  früherer  Zeit  und  werden  neuerdings  kaum 
mehr  gehört.  Abgesehen  von  den  Ansichten  einiger  hartnäckiger  Gegner, 
die  nur  den  abweichenden  Resultaten  ihrer  eigenen  Experimente  glauben, 
betreffen  die  gegen  die  neueren  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Parasitenlehre 
erhobenen  Bedenken  lediglich  einzelne  Fälle  und  spezielle  Krankheiten. 

Lange  Zeit  hat  man  namentlich  versucht,  die  Mikroorganismen  als 
Erreger  der  Wundinfektionskrankheiten  zu  leugnen,  und  man  stützte 
sich  dabei  besonders  gern  auf  den  durch  mehrere  Beobachter  erbrach- 
ten Nachweis,  dass  nach  mechanischer  Entfernung  der  Organismen  aus 
infektiösen  Flüssigkeiten  das  organismenfreie  Filtrat  pathogene  Wirkung 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  27 

ausübe.  Aber  genauere  Versuche  ergaben,  class  diese  Wirkung  ledig- 
lich auf  einer  Intoxikation,  auf  einem  gelösten  Gift  beruhe  und  durch- 
aus nicht  mit  der  Infektionserregung  zu  vergleichen  sei  (Panum,  Hillee, 
Koch  u.  A.).  —  Besondere  Beachtung  haben  ferner  eine  Zeit  lang  die 
abweichenden  Resultate  der  BiLLROTH'schen  Untersuchungen1)  gefunden; 
derselbe  konstatierte  mehrfach  bei  subkutanen  Eiterungen  ohne  äussere 
Verletzung  Mikroorganismen,  ebenso  fand  er  letztere  in  lebenden  Or- 
ganen; er  schloss  daher,  dass  im  Körper  stets  Keime  enthalten  sind, 
dass  diese  aber  nicht  die  Fähigkeit  haben,  sich  im  gesunden  Körper 
zu  entwickeln  und  die  Gewebe  des  lebenden  Körpers  als  Nährmaterial 
zu  benutzen.  Erst  wenn  durch  Zersetzung  ein  „phlogistisches  Zymoid" 
entstanden  ist,  das  auch  allein  für  sich  Entzündungen  veranlassen  kann, 
ist  Mikroorganismen  Gelegenheit  zur  Entwicklung  und  Vermehrung 
gegeben,  und  unter  geeigneten  Verhältnissen  können  diese  dann  Träger 
und  Vermehrung  des  zymoiden  Körpers  sein.  Die  Mikroorganismen 
selbst  sollten  nach  Billroth  von  einer  einzigen  Pflanze,  der  Coccobac- 
teria  septica,  abstammen,  welche  sich  durch  die  Mannigfaltigkeit  ihrer 
Wuchsformen  auszeichnet  und  je  nach  den  äusseren  Existenzbedingungen 
bald  in  dieser,  bald  in  jener  morphologischen  Gestalt  auftritt. 

Die  Widerlegung  der  BiLLEOTH'schen  Einwendungen  gelingt  heute 
leicht.  Zunächst  weiss  man  aus  zahlreichsten  Experimenten,  dass  im 
normalen  lebenden  Organismus  keine  Bakterienkeime  in  erkennbarer 
Menge  vorkommen  und  dass  reichliche  Funde  von  Organismen  im 
erkrankten  lebenden  Körper  nur  auf  das  Eindringen  von  aussen,  auf 
eine  Infektion  zurückzuführen  sind.  Dann  aber  ist  durch  ganz  un- 
widerlegliche Beweise  direkt  festgestellt,  dass  für  die  verschiedenen 
Infektionskrankheiten  spezifische,  von  aussen  eindringende  Mikroorganis- 
men die  unmittelbare  einzige  Ursache  sind.  Zu  diesem  Nachweis  war 
es  offenbar  nötig,  die  Mikroorganismen  von  den  übrigen  Be- 
standteilen der  infektiösen  Substanzen  zu  trennen  und  mit 
den  isolierten  Erregern  durch  Tierversuche  das  ursprüngliche 
Krankheitsbild  zu  erzeugen.  Solche  Isolierung  suchte  man  wohl 
früher  zu  erreichen  durch  Uberschichten  des  infektiösen  Materials  mit 
Wasser,  worin  die  Mikroben  zu  Boden  sinken  sollten,  oder  durch  Fil- 
tration; dabei  war  es  aber  immer  fraglich,  ob  die  etwaigen  gelösten 
krankheitserregenden  Stoffe  wirklich  entfernt  und  ob  andererseits  nicht 
die  Mikroorganismen  selbst  beim  Auswaschen  durch  zu  starke  Exos- 
mose  geschädigt  würden. 

Sodann  suchte  man  durch  Verdünnung  des  Infektionsmaterials 
zu  einer  Entscheidung  zu  gelangen,  in  der  unzweifelhaft  richtigen  Vor- 


1)  A.  Ch.  6.265;  20.432.  —  Coccobacteria  septica.    Berlin  1874. 


2§  Gotschlich,  Einleitung. 

aussetzung,  dass  nur  ein  auf  einem  lebenden,  vermehrungsfähigen  Or- 
ganismus beruhendes  Kontagium  in  weitgehendster  Weise  verdünnt 
werden  könne,  ohne  an  Wirksamkeit  zu  verlieren.  Eine  solche  Ver- 
dünnung war  im  Grunde  schon  dann  gegeben,  wenn  es  gelang,  von 
einem  infizierten  Tieren  aus  ein  anderes,  von  diesem  ein  drittes  und  so 
fort  durch  eine  ganze  Reihe  von  Versuchstieren  mit  der  bestimmten 
Krankheit  zu  impfen;  indess  war  hier  immer  noch  der  Einwand  mög- 
lich, dass  die  Körperzellen  sich  vielleicht  an  der  Regenerierung  des 
Giftes  beteiligen. 

Dagegen  muss  jeder  Zweifel  über  die  krankheitserregende  Eigen- 
schaft der  Mikroorganismen  aufhören,  nachdem  in  den  letzten  Jahren 
gezeigt  ist,  das  ausserhalb  des  Körpers  die  kolossalste  Verdünnung 
des  Infektionsmaterials  statthaben  kann,  ohne  dass  dasselbe  an  Wirk- 
samkeit verliert.  So  konnte  Koch  infektiöses  Blut  direkt  so  weit  ver- 
dünnen, dass  dem  Versuchstier  nur  1  Millionstel  Kubikcentimeter  ein- 
gespritzt wurde;  diese  Menge  hatte  dann  denselben  Erfolg,  erzeugte 
dieselbe  typische,  nach  18  Stunden  tötliche  Krankheit,  wie  die  Injektion 
unverdünnten  Blutes.  —  Die  Verdünnung  kann  aber,  ohne  den  Erfolg 
zu  schädigen,  noch  viel  weiter  getrieben  werden  unter  Zuhilfenahme 
der  Kultur methoden.  Pasteur  und  Klebs  haben  zuerst  gelehrt,  die 
als  pathogen  verdächtigen  Mikroorganismen  auf  künstlich  hergerichtetem 
Nährmaterial  ausserhalb  des  Tierkörpers  zu  züchten,  dann  nach  dem 
Heranwachsen  einer  Kultur  von  dieser  eine  minimale  Menge  auf  neues 
intaktes  Nährmaterial  zu  übertragen,  von  der  dort  entwickelten  Kolonie 
eine  Spur  auf  einen  dritten  Nährboden  zu  impfen  und  so  fort  durch 
eine  Reihe  von  Generationen  den  Mikroorganismus  zu  züchten.  Das 
methodischePrinzip  zursicherenGewinnungvonReinkulturen 
wurde  dann  zuerst  von  Koch  in  der  Anwendung  des  festen  Nähr- 
bodens gefunden.  Während  nämlich  in  flüssigem  Nährsubstrat,  welches 
mit  einem  Bakteriengemisch  geimpft  ist,  jede  eingeimpfte  Art  sich  bei 
ihrem  Wachstum  durch  die  ganze  Nährfiüssigkeit  verbreitet,  und  so  in 
jedem  Tröpfchen  der  ausgewachsenen  Kultur  stets  ein  Gemisch  ver- 
schiedener Arten  vorliegt,  aus  dem  sich  selbst  durch  weitgehendste 
Verdünnung  nur  auf  sehr  unsichere  und  langwierige  Weise  ein  gegebener 
Keim  isolieren  lässt,  bleibt  das  Wachstum  auf  festem  Nährboden 
räumlich  beschränkt;  jeder  Keim  entwickelt  sich  (vorausgesetzt 
natürlich,  dass  bei  der  Aussaat  die  Keime  nicht  allzu  dicht  aneinander  zu 
liegen  kommen)  an  der  Stelle,  auf  die  er  geraten  war,  zu  einer  isolierten 
Kolonie,  die  nur  aus  Keimen  derselben  Art  besteht;  eine  solche  Kolonie 
kann  dann  als  Ausgangsmaterial  für  eine  Weiterzüchtung  in  Reinkultur 
dienen.  Zwar  wurden  schon  vor  Koch  feste  Nährböden  als  Kultursub- 
strat verwendet;  so  hat  insbesondere  Schröter  (B.  B.  II.  109)  seine  Pig- 


Historische  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikroorganismen.  29 

nientbakterien  auf  der  Oberfläche  von  Kartoffelscheiben  gezüchtet  und  hier- 
bei sogar  sicher  die  Existenz  getrennter  Kolonien  verschiedener  Arten  beo- 
bachtet; indessen  hat  Schröter  den  festen  Nährboden  nicht  zum 
Zwecke  der  Gewinnung  von  Reinkulturen  verwendet,  ja,  es  findet 
sich  in  der  angeführten  Mitteilung  auch  nicht  eine  Andeutung,  welche  auf 
die  prinzipiell  wichtige  methodische  Seite  dieser  Züchtung  hin- 
wiese; dies  muss  ausdrücklich  betont  werden,  da  vielfach  die  irrtümliche 
Ansicht  verbreitet  ist,  die  Priorität  der  Entdeckung  der  Reinkultur 
auf  festem  Nährsubstrat  gebühre  Schröter  vor  Koch;  dies  ist  nach  seiner 
Abhandlung  jedoch  ganz  sicher  nicht  der  Fall.  Ahnlich  verhält  es  sich 
mit  der  mehrfach  aufgetretenen  Behauptung,  der  feste  gelatinierende 
Nährboden,  den  Koch  als  weitere  Verbesserung  der  Methodik  zur 
Gewinnung  von  Reinkulturen  einführte  und  durch  dieses  einfache  geist- 
volle Prinzip  eine  Fülle  von  Entdeckungen  zeitigte,  sei  bereits  früher 
von  Breeeld  verwendet  worden;  auch  hier  handelte  es  sich  um 
einen  ganz  anderen  Zweck,  nämlich  um  die  Verfolgung  der  morpho- 
logischen Entwicklung  in  der  Objektträgerkultur;  die  Möglichkeit 
einer  methodischen  Verwendung  des  gelatinierenden  Substrats  für  Ge- 
winnung von  Reinkulturen  ist  auch  hier  nicht  berührt.  So  viel  zur 
Entscheidung  der  Prioritätsfrage!  —  Durch  Anwendung  der  KocH'schen 
Methodik  ist  es  erst  mit  Sicherheit  möglich  geworden,  die  der  para- 
sitären Krankheitserregung  verdächtigen  Pilze  eine  längere  Zeit  hin- 
durch und  trotz  einer  grossen  Reihe  von  neuen  Übertragungen  in  un- 
verändertem Zustande  zu  beobachten.  —  Ist  nun  in  solcher  Weise  ein 
Pilz  durch  50  oder  100  Generationen  hindurch  gezüchtet,  so  enthält 
die  letzte  Generation  selbstverständlich  gar  nichts  mehr  von  den  Stoffen, 
die  den  anfänglichen  Mikroorganismen  angehörten;  es  ist  leicht  zu 
berechnen,  dass  die  Verdünnung  nach  Trillionsteln  zählen  und  schliess- 
lich ins  Unberechenbare  gehen  muss;  ein  ursprünglich  beigemengter 
Giftstoff,  und  mag  er  noch  so  intensiv  an  Wirkung  sein,  kann  in  der 
letzten  Kultur  nicht  mehr  in  merkbarer  Menge  vorhanden  sein,  sondern 
wenn  mit  dieser  eine  Infektion  erzeugt  wird,  so  ist  das  nur  dadurch 
möglich,  dass  die  Mikroorganismen  selbst,  die  sich  auf  Kosten  des 
Nährmaterials  immer  wieder  neu  reproduzieren,  die  wirksame  Schäd- 
lichkeit ausmachen. 

In  der  That  gelingen  nun  die  Impfungen  mit  der  kleinsten  Menge 
der  hundertsten  rein  gezüchteten  Kultur  genau  so  gut  wie  mit  dem 
ursprünglichen  Material.  Bei  Milzbrand,  bei  verschiedenen  Formen  von 
Septikämie,  bei  Rotz,  bei  Tuberkulose  u.  s.  w.  konnte  Koch  Reinkulturen 
in  beliebig  langer  Reihe  fortführen;  übertrug  er  eine  Spur  der  letzten 
Züchtung  auf  ein  Versuchstier,  so  trat  nach  dem  typischen  Inkubations- 
stadium die  entsprechende  Krankheit  mit  allen  ihren  charakteristischen 


30  Gotschlich,  Einleitung. 

Symptomen  auf;  nach  bestimmter  Zeit  erfolgte  der  Tod;  das  Sektions- 
ergebnis war  stets  das  gleiche;  im  Blut  und  in  den  Geweben  fanden 
sich  in  enormer  Zahl  Organismen  von  der  Gestalt  und  dem  Verhalten 
der  geimpften,  und  Spuren  des  organismenhaltigen  Blutes  erzeugten,  auf 
ein  anderes  Versuchstier  überimpft,  in  diesem  dieselbe  tötliche  Affektion. 

Für  die  genannten  Krankheiten  ist  somit  die  causale  Beziehung 
der  Mikroorganismen  vollkommen  sicher  erwiesen,  und  es  liegt  nahe, 
von  jenen  aus  auf  die  mannigfachen  anderen  Infektionskrankheiten  zu 
schliessen,  die  sich  den  erkannten  Krankheiten  ähnlich  verhalten.  Dennoch 
wird  es  zweckmässig  und  der  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Mikro- 
parasiten  nur  förderlich  sein,  wenn  man  hierbei  mit  grösster  Vor- 
sicht zu  Werke  geht,  Verallgemeinerungen  vermeidet  und  nur  dann 
eine  Krankheit  als  parasitäre  proklamiert,  wenn  es  gelingt,  morpho- 
logisch gut  charakterisierte  Mikroorganismen  aufzufinden,  diese  ferner 
in  solcher  Menge  und  Verteilung  nachzuweisen,  dass  alle  Krankheits- 
erscheinungen dadurch  Erklärung  finden,  dieselben  endlich  auf  andere 
höhere  Organismen  zu  übertragen  oder  aber  womöglich  auf  künstlichem 
Nährsubstrat  durch  verschiedene  Generationen  hindurch  zu  züchten  und 
dabei  so  wirksam  zu  erhalten,  dass  die  geringste  Menge,  Versuchstieren 
eingeimpft,  wiederum  das  charakteristische  Krankheitsbild  hervorruft. 

Das  häufige  Auftreten  kleinster  Organismen  in  der  Rolle  als  para- 
sitäre Krankheitserreger  steht  somit  ebenso  ausser  Frage,  wie  die 
Funktion  ähnlicher  kleinster  Lebewesen  als  Erreger  der  Gährung  und 
Fäulnis.  Damit  ist  dann  aber  ohne  weiteres  das  bedeutende  und  viel- 
seitige Interesse  gekennzeichnet,  welches  die  Hygiene  und  die  öffent- 
liche Gesundheitspflege  an  den  Mikroorganismen  zu  nehmen  hat.  Waren 
es  doch  die  Vorgänge  der  Gährung  und  Fäulnis  organischer  Substanzen 
in  unserer  Umgebung,  welche  zuerst  Unbehagen  und  Misstrauen  erweckt 
und  die  modernen  hygienischen  Bestrebungen  ins  Leben  gerufen  haben, 
und  besteht  doch  die  wesentlichste,  wenn  auch  schwierigste  Aufgabe 
für  die  hygienische  Durchforschung  des  Bodens,  des  Wassers,  der  Luft 
und  der  Wohnung  in  der  Ermittelung  derjenigen  Umstände,  welche 
die  Entwicklung  und  Verbreitung  von  Krankheitserregern  begünstigen 
können. 


Jetzige  Definition  u.  Klassifikation  der  Mikroorganismen.  31 


B.  Jetzige  Definition  und  Klassifikation  der  Mikroorganismen. 

Unter  dem  Namen  Mikroorganismen  werden  gegenwärtig  eine 
grosse  Anzahl  niederster  Lebewesen  zusammengefasst,  die  ein  ge- 
meinsames biologisches  und  hygienisches  Interesse  in  An- 
spruch nehmen,  indem  sie  die  Erreger  der  Gährung,  Fäulnis  und 
der  Infektionskrankheiten  darstellen;  nach  ihren  natürlichen  Ver- 
wandtschaftsbeziehungen jedoch  gehören  dieselben  sehr  verschiedenen 
Formkreisen  an,  von  denen  mehrere  mit  Sicherheit  zu  den  niedersten 
Pflanzen,  andere  hingegen  zu  den  niedersten,  einzelligen  Tieren 
zu  rechnen  sind.  Die  letzteren  lassen  sich  in  einer  natürlichen  Gruppe 
als  Protozoen  zusammenfassen.  Die  übrigen,  pflanzlichen  Mikroorga- 
nismen, gehören  nach  ihrem  morphologischen  Habitus  und  ihren  biolo- 
gischen Eigentümlichkeiten  sämtlich  zu  den  Pilzen  und  lassen  sich 
mit  einem  Sammelnamen  als  „niedere  Pilze"  bezeichnen.  Einige 
Arten  zeigen  daneben  noch  deutliche  Verwandtschaftsbeziehungen  zu 
den  Algen,  welche  mit  den  Pilzen  und  Flechten  zusammen  die 
grosse  Gruppe  der  Thallophyten  bilden;  diese  hinwiederum  stellen 
eine  Abteilung  der  Kryptogamen  dar,  jener  grossen  Gruppe  des 
Pflanzenreichs,  die  durch  ihre  Fortpflanzung  mittelst  Sporen  gegen- 
über der  anderen  grossen  Gruppe,  der  Phanerogamen,  die  Blüten 
tragen  und  Samen  mit  präformierter  Anlage  des  Keimlings  produzieren, 
charakterisirt  ist.  Die  alte  Einteilung  der  Thallophyten  in  Pilze,  Algen 
und  Flechten  scheint  jedoch  nicht  mehr  aufrecht  erhalten  werden  zu 
können.  Was  zunächst  die  Flechten  anlangt,  so  sind  sie  nicht  als  selb- 
ständige Gruppe  anzusehen,  da  sie  nur  durch  Symbiose  bestimmter 
Algen  und  bestimmter  Pilze  zustande  kommen  und  demnach  nichts 
weiter  als  ein  Gemisch  dieser  beiden  Formen  darstellen.  Aber  auch 
Pilze  und  Algen,  die  man  früher  streng  von  einander  geschieden  wissen 
wollte,  zeigen  in  ihren  morphologischen  Charakteren  und  Fortpflanzungs- 
verhältnissen so  viel  Gemeinsames,  dass  eine  prinzipielle  Trennung  der- 
selben kaum  durchführbar  erscheint.  Dies  gilt  um  so  mehr,  als  auch 
die  biologischen  Unterscheidungsmerkmale,  auf  welche  früher  das  Haupt- 
gewicht gelegt  wurde,  nicht  durchgreifen,  sondern  fliessende  Übergänge 
zulassen;  die  Pilze  sollten  als  chlorophyllfreie  Zellen  sich  nur  aus  vor- 
gebildeten organischen  Substanzen  ernähren  können,  während  als  Algen 
chlorophyllhaltige  Zellen  bezeichnet  wurden,  die  ganz  wie  die  höheren 
Pflanzen  unter  Mitwirkung  des  Sonnenlichtes  die  organischen  Stoffe 
ihrer  Leibessubstanz  aus  den  Elementen,  aus  unorganischem  Material  in 
Gestalt  von  C02,  NH3  und  H2S  aufbauen.  Nun  giebt  es  aber  auch 
unter  den  Phanerogamen  manche  chlorophylllose  Pflanzen  (Orchideen, 


32  Gotschlich,  Einleitung. 

Monotropeen),  die  man  deswegen  doch  nicht  aus  ihren  Familien  oder 
Ordnungen  streicht;  ausserdem  finden  sich  umgekehrt  unter  den  zu 
den  niederen  Pilzen  zu  rechnenden  Bakterien  einige  wenige 
chlorophyllhaltigeFormen,  sowie  andere,  die  eine  ähnliche  synthe- 
tische Arbeit  mit  Hilfe  eines  dem  Chlorophyll  verwandten  anderen 
Farbstoffs  ausführen;  endlich  aber  sind  in  neuester  Zeit  auch  chloro- 
phylllose Formen  gefunden  worden,  die  eine  vollständige  Syn- 
these organischer  Substanz  ohne  irgend  ein  Chlorophyll  und 
sogar  bei  Lichtabschluss  auszuüben  vermögen.  Es  bildet  also 
weder  der  Chlorophyllgehalt  einen  durchgreifenden  Unter- 
schied zwischen  Algen  und  Pilzen,  noch  auch  ist  die  che- 
mische Arbeit  der  Synthese  des  Protoplasmas  aus  anorgani- 
schem Material  notwendig  an  das  Chlorophyll  gebunden.  So- 
mit wird  also  am  besten  die  ganze  frühere  Einteilung  der  Thallophyten 
in  Algen,  Pilze  und  Flechten  aufgegeben  und  ein  neues  Einteilungs- 
prinzip gesucht  werden  müssen.  In  welcher  Weise  dann  aber  am  zweck- 
mässigsten  und  natürlichsten  eine  Einteilung  und  Einfügung  der  Thallo- 
phyten in  ein  System  gelingt,  darüber  gehen  die  Meinungen  noch 
auseinander.  Es  möge  hier  nur  verwiesen  werden  auf  das  System 
de  Bary's  (Vergleichende  Morphologie  und  Biologie  der  Pilze.  S.  142), 
auf  die  Einteilung  Brefeld's  (Untersuchungen  über  Schimmelpilze. 
Heft  4),  auf  die  Gruppierung  Franks  in  seiner  Bearbeitung  der  3.  Aufl. 
von  Leunis'  Botanik,  sowie  auf  das  von  Alexander  Braun  aufgestellte 
natürliche  phylogenetische  System. 

Die  niederen  Pilze,  welche  unser  biologisches  und  hygienisches 
Interesse  in  Anspruch  nehmen,  lassen  nun  eine  zwanglose  Einteilung 
in  4  Unterabteilungen  zu: 

1.  Faden-  oder  Schimmelpilze,  Hyphomyceten. 

2.  Spross-  oder  Hefepilze,  Blastomyceten. 

3.  Streptothricheen. 

4.  Spaltpilze,  Schizomyceten  oder  Bakterien. 

Hierzu  kommt  dann  als  fünfte  Gruppe  die  zu  den  niedersten 
Tieren  gehörige  Gruppe  der  Protozoen.  Über  die  verwandtschaftlichen 
Beziehungen  zwischen  diesen  5  Gruppen  der  Mikroorganismen  unter 
einander,  sowie  zu  ausserhalb  stehenden,  hier  nicht  näher  berücksich- 
tigten Formen  wird  bei  der  speziellen  Besprechung  der  einzelnen 
Gruppen  eingehend  verhandelt  werden.  — 

Im  Folgenden  soll  zunächst  eine  allgemeine  morphologische 
Charakteristik  dieser  5  Hauptgruppen  der  Mikroorganismen  gegeben 
werden;  hiernach  erst  wird  es  uns  möglich  sein,  der  Kenntnis  des 
biologischen  Verhaltens  näher  zu  treten,  wobei  naturgemäss  unser 
hauptsächliches  Augenmerk   auf  die  beiden  bedeutungsvollsten  biolo- 


Jetzige  Definition  u.  Klassifikation  der  Mikroorganismen.  33 

gischen  Leistungen  der  Mikroorganismen,  auf  Gährungs-  und  Krank- 
heitserregung gerichtet  sei.  Hierauf  tritt  die  Aufgabe  an  uns  heran, 
die  Verbreitung  und  das  Verhalten  dieser  wichtigen  Lebe- 
wesen in  der  Aussenwelt,  in  unserer  täglichen  Umgebung  kennen  zu 
lernen.  Endlich  handelt  es  sich  um  die  systematische  Erforschung 
der  unzähligen  einzelnen  Arten  und  ihrer  speziellen  morpho- 
logischen und  biologischen  Charaktere.  Alle  die  Fragen  sollen 
nach  dem  gegenwärtigen  Stand  unseres  Wissens  in  den  nachfolgenden 
Kapiteln  besprochen  werden;  dazu  kommt  noch  ein  kurzer  Abriss 
der  wichtigsten  Methoden,  welche  sich  bei  der  Erforschung  dieses 
überaus  schwierigen  Gebietes  bewährt  haben. 


Flügge,  Mikroorganismen.   3.  Auflage. 


Erster  Abschnitt. 

Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 


Erstes  Kapitel. 
Allgemeine  Morphologie  der  Schimmel-  oder  Fadenpilze 

von 
Dr.  P.  Frosch. 

Die  Pilze  (Eumycetes)  bestehen  aus  mikroskopisch  kleinen  Zellen, 
an  denen  eine  meist  dünne  Membran  und  ein  farbloser  protoplasmati- 
scher  Inhalt  unterscheidbar  ist.  Die  Zellmembran  besteht  aus  einer 
der  Cellulose  nur  ähnlichen,  nicht  mit  derselben  identischen  Substanz 
(Pilzcellulose),  welche  mit  Jod  keine  Violettfärbung  zeigt;  im  Proto- 
plasma finden  sich  meist  zahlreiche  winzige  Zellkerne,  häufig  Vakuolen, 
ferner  Oeltropfen,  verschiedene  Farbstoffe,  niemals  Stärke  und  zuweilen, 
namentlich  auch  auf  der  Aussenfläche  der  Zellwand  in  Gestalt  kleiner 
Nadeln  und  Stacheln  aufgelagert,  Krystalle  von  oxalsaurem  Kalk. 

Das  Wachstum  der  Pilze  erfolgt  dadurch,  dass  sich  die  Zellen 
durch  Spitzenwachstum  verlängern.  Es  entstehen  dadurch  regelmässige 
Fäden,  Hyphae.  Bei  gewissen  allgenähnlichen  Fadenpilzen,  z.  B. 
den  Mukorarten,  ist  das  gesamte  Hyphengeflecht  einzellig  bis  zur  F  Ra- 
tifikation, gewöhnlich  aber  wird  die  Hyphe  durch  Querscheidewände 
gegliedert;  ausserdem  sind  die  Fäden  fast  stets  verzweigt  dadurch,  dass 
Äste  an  irgend  einer  Stelle  eines  Gliedes  abgehen,  oder  dass  die  End- 
zelle bei  ihrem  fortgesetzten  Spitzenwachstum  sich  dichotomisch  teilt. 
Ein  häufiges  Vorkommnis  an  Pilzhyphen  ist  die  Schnallenbildung(Fusion), 
bei  welchem  Nachbarzellen  desselben  oder  nächstliegenden  Fadens 
durch  eine  H-förmige  Verbindung  verschmelzen.  Die  Gesamtheit  der 
vorhandenen  Hyphen,  mögen  dieselben  in  geringer  Zahl  oder  ganz 
vereinzelt,  oder  mögen  sie  zu  massigen  Körpern  vereinigt  sein,  be- 
zeichnet man  als  den  Thallus  der  Pilze. 

Am  Thallus  unterscheidet  man  das  Mycelium  und  die  Frucht- 
träger, sobald  es  zur  Entwicklung  der  letzteren  gekommen  ist;  bis 
dahin  ist  das  Mycelium  mit  dem  Thallus  identisch  und  es  bezeichnet 
daher  die  mehr  oder  minder  verbreiteten  und  verzweigten  Pilzfäden, 


Frosch,  Allgemeine  Morphologie  der  Schimmel-  oder  Fadenpilze.  35 

die  sich  auf  irgend  einem  organischen  Substrat  angesiedelt  haben. 
Meistens  entsteht  durch  gleichmässige  Ausbreitung  der  Mycelfäden  nach 
allen  Richtungen  und  durch  immer  fortgesetzte  Verästelung  ein  flockiges 
Mycelium;  zuweilen  werden  auch  häutige,  parenchymartige  Lager,  Pseudo- 
parenchym,  oder  faserige  Stränge  durch  zahlreiche  Vereinigung  von 
Pilzfäden  gebildet.  Unter  besonderen  Umständen  nimmt  das  Mycel 
mancher  Pilze  die  Form  der  sog.  Sklerotien  an,  knollenähnlicher, 
fleischiger  oder  strangartig  fester,  pseudoparenchymatöser  Körper,  die 
sich  sekundär  aus  einem  gewöhnlichen  Mycel  entwickeln;  sie  lassen 
eine  Rinden-  und  eine  Marksubstanz  unterscheiden,  letztere  aus  ver- 
flochtenen Hyphen,  erstere  aus  den  fest  verbundenen,  mit  dunkler  Mem- 
bran versehenen  Endzellen  der  Hyphen  bestehend.  Die  Sklerotien  sind  als 
Ruheformen  zu  betrachten,  bei  denen  nur  nach  längerer  Zeit  und  nur  in 
dauernd  feuchter  Umgebung  ein  Austreiben  von  Fruchtträgern  stattfindet. 

Mit  grosser  Energie  vermögen  die  Pilzfäden  des  Myceliums  in  das 
als  Nährboden  dienende  Substrat  einzudringen.  Bei  toten  Pflanzen- 
teilen können  die  Hyphen  die  Zellmembranen  durchbrechen,  indem  die 
dem  Spitzenwachstum  entgegenstehenden  Membranmoleküle  aufgelöst 
werden.  Aber  auch  bei  lebenden  Pflanzen  breiten  sich  schmarotzende 
Pilze  nicht  nur  auf  der  Oberfläche  aus,  sondern  sie  lassen  ihre  Fäden 
zwischen  die  Zellen  der  Pflanze  hineinwachsen  und  senden  dann  wohl 
kurze  Ausstülpungen,  sogenannte  Haustorien,  in  das  Innere  der  Zellen; 
oder  sie  durchdringen  die  Zellwände  wie  bei  abgestorbenen  Pflanzen- 
teilen. Ebenso  leisten  die  tierischen  Membranen  dem  Vordringen  der 
wachsenden  Hyphen  mancher  Pilze  keinen  merklichen  Widerstand,  und 
selbst  Zähne  und  Knochen  werden  von  Pilzfäden  durchwuchert. 

Die  Fortpflanzung  der  Fadenpilze  ist  teils  eine  geschlechtliche, 
meistens  jedoch  eine  ungeschlechtliche.  Das  Produkt  derselben  sind 
Sporen,  die  entweder  in  verschiedener  Anzahl  in  einem  besonderen 
Organ,  dem  Sporangium  als  Endosporen  gebildet  oder  frei  von  einem 
Fruchtträger  als  Konidien  abgeschnürt  werden.  Hierbei  gliedern  sich 
vom  Mycel  besondere  Fäden  ab,  welche  als  Sporangien-  oder  Konidien- 
träger  bezeichnet  werden,  und  die  meist  aus  ihren  Endzellen  die  be- 
treffenden Organe  hervorgehen  lassen,  indem  eine  dieser  Funktion  ent- 
sprechende Formveränderung  eintritt.  Lagern  sich  sehr  zahlreiche  Frucht- 
hyphen  zusammen,  so  entsteht  ein  sogenannter  Fruchtkörper,  wie  er 
namentlich  den  höheren  Pilzen  in  den  vielgestaltigsten  Formen  zukommt. 

Aus  den  Sporen  geht  in  der  Regel  durch  Auskeimung  und  Ver- 
zweigung neues  Mycel  hervor,  welches  dem  mütterlichen  völlig  gleicht 
und  wiederum  fruktifiziert.  Bei  gewissen  Arten  keimen  jedoch  die 
Sporen  nur  unter  ganz  bestimmten  Bedingungen  zu  einem  Mycel,  z.  B. 
in  der  Wirtsnährpflanze,  auf  der  der  Pilz  schmarotzt,  vermehren  sich 

3* 


36 


Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 


vielmehr  durch  fortgesetzte  Sprossung  nach  Art  der  Hefe  (s.  d.),  sogen. 
Hefesprossungen,  die  sich  durch  zahllose  Generationen  wiederholen 
können.  Derartige  Sporen  heissen  Hefekonidien.  Sie  sind  bei  einer 
ziemlichen  Anzahl  höherer  Pilze  bekannt.  Neben  der  Sporenbildung 
existiert  nun  noch  eine  weitere  Dauerform,  welche  sich  bei  vielen  Arten 
findet  und  als  Oidie  bezeichnet  wird.  Dieselbe  stellt  eine  Hemmung 
der  Sporenfruktifikation  dar  und  kommt  zustande  bei  Erschöpfung  des 
Nährbodens  oder  ungünstiger  Lebensbedingung  anderer  Art,  bei  manchen 


Fig.  3.    (Nach  Tavel.) 


Arten  jedoch  auch  ohne  diese  Gründe.  Hierbei  zerfällt  ein  oder  mehrere 
beliebige  Mycelfäden  durch  fortgesetzte  Septirung  in  eine  grosse  Anzahl 
von  kurzen  Gliedern,  die  eine  gewisse  Zeit  im  Zusammenhang  bleiben, 
später  aber  auseinanderfallen  und  frei  werden. 

Diese  Form  der  Fruktifikation  ist  bei  gewissen  Arten  die  einzig 
beobachtete,  die  deswegen  auch  direkt  Oidien  genannt  werden.  Eine 
Modifikation  derselben  stellt  die  Gemmen-  oder  Chlamydosporen- 
bildung  (Fig.  3)  dar.  Auch  diese  ist  bei  vielen  Arten  als  Nebenfrucht- 
form  bekannt,  bei  manchen  sogar  vorherrschend.  Sie  geht  aus  der  Oidien- 
bildung  hervor,  indem  in  alternierenden  Gliedern  desselben  Fadens  sich 
der  Zellinhalt  zusammendrängt,  während  die  zwischenliegenden  Glieder 
(sog.  Begrenzungszellen)    leer    werden.     Die    Inhalt   führenden   Zellen 


Frosch,  Allgemeine  Morphologie  der  Schimmel-  oder  Fadenpilze.  37 

schwellen  hierbei  an,  ihre  Membran  verdickt  sich,  so  dass  der  betreffende 
Mycelfaden  an  einen  Rosenkranz  erinnert.  Auch  die  Chlamydosporen 
werden  durch  Zerfall  des  Mycelfadens  frei.  Beide  Formen  keimen 
entweder  vegetativ  oder  fruktifikativ  aus,  und  zwar  in  Flüssigkeiten 
vegetativ  mit  einem  Mycelschlauch,  an  der  Luft  aber  und  unter  zu^ 
sagenden  Lebensbedingungen  geht  aus  ihnen  direkt  wie  aus  jedem  be- 
liebigen Mycelabschnitt  ein  Fruchtträger  hervor,  so  dass  beide  nichts 
anderes  sind,  als  zu  Sporen  gewordene  Fruchtträgeranlagen. 

Bei  der  geschlechtlichen  und  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung  sind 
nun  folgende  Einzelheiten  beobachtet: 

Der  geschlechtlichen  Sporenbildung  geht  eine  Art  Befruchtung 
voraus.  Es  entsteht  ein  ausgeprägtes  männliches  und  weibliches  Ge- 
schlechtsorgan. Das  weibliche  sitzt  als  kugelförmig  angeschwollene 
Zelle  einem  Myzelfaden  auf  und  heisst  Oogonium;  das  männliche,  An- 
theridium,  ist  eine  längliche  oder  keulig  angeschwollene  Zelle,  die  sich 
an  das  Oogonium  anlegt  und  sich  dann  von  seiner  Hyphe  abgrenzt; 
zuweilen  treibt  das  Antheridium  einen  sogenannten  Befruchtungs- 
schlauch ins  Innere  des  Oogoniums  hinein.  In  letzterem  bilden  sich 
nach  der  Befruchtung  die  Oosporen,  kugelige,  mit  Cellulosemembran 
vesehene  Zellen.  ■ — ■  In  anderen  Fällen  geht  eine  Kopulation  voraus, 
wobei  zwei  benachbarte  Hyphen  desselben  oder  verschiedener  Fäden 
mit  je  einer  keulenförmigen  Aussackung  aneinander  wachsen  und  nach 
Resorption  der  Zwischenwand  eine  sogenannte  Zygospore  bilden 
(s.  Abbildung). 

Einen  Übergang  zur  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung  bildet 
das  Auftreten  von  Azygosporen.  Hierbei  bildet  entweder  jeder  von 
beiden  Konjugationsästen,  ohne  mit  dem  anderen  zu  verschmelzen,  eine 
der  Zygospore  völlig  gleiche  Spore  aus,  oder  einer  von  beiden  bleibt 
klein  und  nur  der  andere  schreitet  zur  Sporenbildung.  Wieder  in 
anderen  Fällen  fehlt  ein  Konjugationsast  vollständig,  so  dass  nur  ein- 
zelne seitliche  Aste  entstehen,  die  an  ihrem  Scheitel  die  Azygosporen 
bilden.  Beide  Gebilde,  die  Zygo-  und  Azygosporen,  übertreffen  die 
Konjugationsäste  um  einBedeutendes.  Die  derbe,  kulikularisierte  Membran 
färbt  sich  dunkel  und  bedeckt  sich  mit  kurzen,  warzigen  Erhabenheiten, 
während  der  Inhalt  farblos  bleibt.  Beide  Formen  bedürfen  zur  Keimung 
der  Ruhe;  dieselbe  erfolgt,  indem  die  Membran  platzt  und  der  Inhalt 
sich  zu  einem  Keimschlauch  hervorwölbt,  der  entweder  in  Flüssig- 
keiten ein  Myzel  erzeugt  oder  an  der  Luft  zum  Sporangienträger  wird. 

Bei  der  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung  haben  wir  zu  trennen  die: 

Endogene  Sporenbildung.  Die  Sporen  entstehen  im  Innern 
von  Mutterzellen,  deren  Wand  bis  zur  Reife  als  Sporangium,  Sporen- 


38  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

behälter,  persistiert.  Die  Sporangien  sind  meist  akrogene  Zellen;  die 
Sporenbildung  in  ihnen  erfolgt  durch  Teilung  des  Plasmas,  ohne 
Scheidewandbildung.  Oft  haben  die  Sporangien  keulen-  oder  schlauch- 
förmige Gestalt;  ist  diese  nach  Form,  Grösse  und  Anzahl  der  Sporen 
konstant,  so  heissen  sie  Asci,  die  Sporen  Askosporen.  Die  Asci  bilden 
sich  oft  in  kleinen  runden  oder  flaschenförmigen  Fruchtkörpern,  den 
Perithecien,  die  eine  Höhlung  einschliessen  und  auf  dem  Grunde  der 
Höhlung  die  keulenförmigen  Schläuche  entspringen  lassen,  oder  in 
Scheiben  — -  bis  becherförmigen  Gebilden,  den  Apothecien. 

Das  Freiwerden  der  reifen  Sporen  erfolgt  entweder  durch  eine 
Öffnung  des  Sporangiums,  die  dadurch  zustande  kommt,  dass  ein 
kleines  umschriebenes  Stück  der  Wand  mit  der  Reife  plötzlich  bis  zur 
Unkenntlichkeit  aufquillt,  oder  die  Sporangien  wand  wird  in  ihrem 
grössten  oberen  Teile  in  eine  im  Wasser  zerfliessliche  Substanz  ver- 
wandelt, oder  —  bei  den  Ascis  —  beobachtet  man  nicht  selten  die 
oben  erwähnte  Ejakulation  der  Sporen. 

Die  Konidienbildung.  Dieselbe  erfolgt  selten  direkt  vom  Mycel- 
faden.  Meist  bilden  sich  besondere  Organe,  die  Konidienträger,  die  ent- 
weder von  dem  Scheitel  oder  der  Seite  die  Koni  dien  hervorgehen  lassen. 
Ist  der  Konidienträger  wie  bei  den  Basidiomyceten  (s.  d.)  nach  Form  und 
Grösse,  sowie  Anzahl  der  gebildeten  Sporen  konstant,  so  heisst  er  Basidie. 
Aus  den  Enden  der  Träger  gehen  oft  dünne,  stielartige  Auszweigungen 
hervor,  auf  welchen  die  Sporen  sich  abschnüren.  Diese  direkten  Stiele 
der  Sporen  heissen  Sterigmen.  Die  Sporenbildung  geht  entweder  so  vor 
sich,  dass  nur  eine  Spore  abgegliedert  wird,  oder  es  entstehen  gleichzeitig 
entweder  am  Scheitel  oder  seitlich  eine  Anzahl  von  Sprossungen;  oder 
es  werden  nacheinander  mehrere  Sporen  abgeschnürt.  Die  Loslösung 
der  Sporen  erfolgt  entweder  durch  Schwinden  der  Träger  oder  durch 
Abschnürung,  wobei  in  der  trennenden  Querwand  zwischen  Spore  und 
Fruchtträger  eine  Zone  schwindet  resp.  erweicht,  oder  durch  Ab- 
schleuderung. Der  letztere  eigentümliche  Modus  der  Sporenabtrennung 
kommt  dadurch  zustande,  dass  die  Sporenzelle  auf  dem  Scheitel  eines 
schlauchförmigen  Konidienträgers  aufsitzt,  der  infolge  andauernder 
Wasseraufnahme  immer  mehr  turgeszent  wird,  dabei  aber  eine  sehr 
elastische  Membran  besitzt.  Dicht  unter  der  die  Spore  abgrenzenden 
Querwand  ist  die  Kohäsion  dieser  Membran  geringer  als  im  übrigen 
Umfang,  und  hier  tritt  daher,  sobald  der  Turgor  einen  bestimmten 
Grad  erreicht  hat,  ein  ringförmiger  Riss  ein;  sofort  schnurrt  die  ela- 
stische Wand  zusammen,  infolge  dessen  wird  ein  grosser  Teil  der  In- 
haltsflüssigkeit mit  Gewalt  aus  der  Rissstelle  hervorgespritzt,  und 
dieser  reisst  die  Spore  mit  fort. 

Man  bezeichnet  diese  Sporen  als  Konidien.    Zuweilen  tritt  diese 


Fkosch,  Allgemeine  Morphologie  der  Schimmel-  oder  Fadenpilze.  39 

Art  der  Sporenbildung  in  Fruchtkörpern,  den  sogenannten  Pykniden, 
auf.  Diese  Fruchtkörper  schliessen  dann  eine  Höhlung  ein  und  an 
der  Innenwand  der  Höhlung  eine  dichte  Schicht  von  Konidienträgern, 
welche  zahlreiche  Sporen  abschnüren. 

Bei  beiden  Fruktifikationen  sind  die  reifen  Sporen  einfache 
Zellen  von  sehr  verschiedener  Gestalt;  gewöhnlich  sind  sie  kugelig 
oder  oval,  zuweilen  bilden  sie  aber  auch  lange,  dünne  Stäbchen  oder 
Spindeln.  An  ihrer  Membran  lässt  sich  eine  äussere,  oft  gefärbte 
Schicht,  das  Episporiurn,  und  eine  innere,  zartere,  farblose  Schicht,  das 
Endosporium,  unterscheiden.  Der  Inhalt  besteht  aus  Protoplasma 
und  schliesst  häufig  Öltropfen  ein.  Das  gemeinsame  Kennzeichen  der 
Sporen  ist  ihre  Fähigkeit,  entweder  sich  zu  Mutterzellen  neuer  Sporen 
umzuwandeln  oder  in  einen  oder  mehrere  Keimschläuche  auszuwachsen, 
aus  welchen  weiterhin  die  Mycelfäden  sich  entwickeln. 

Etwa  abweichend  verhalten  sich  nur  die  Schwärmsporen.  Es 
sind  rundliche,  nackte  Protoplasmakörper  ohne  feste  Cellulosemembran, 
mit  zwei  Cilien  versehen  und  mittelst  dieser  beweglich;  sie  kommen 
nur  bei  den  Phykomyceten  vor,  entstehen  in  Sporangien  endogen  durch 
Teilung  des  Inhalts  und  werden  durch  Quellung  der  Sporangiumhülle 
frei.  Ihre  Entstehung  und  Entleerung  erfolgt  nur  unter  Wasser.  Nach- 
dem das  bewegliche,  nackte  Stadium  kurze  Zeit  gedauert  hat,  kommen  die 
Schwärmsporen  zur  Ruhe,  umgeben  sich  mit  einer  Zellmembran  und 
treiben  dann  wie  andere  Sporen  einen  Keimschlauch. 

Eine  andere  Form  der  Entwicklung  aus  dem  Sporangium  besteht 
bei  einigen  dieser  Gattung  Pilze  darin,  class  der  gesamte  Inhalt  des 
Sporangiums  vor  vollendeter  Differenzierung  in  Sporen  am  Scheitel  als 
Keimschlauch  austritt.  Wieder  bei  anderen  und  zwar  der  Mehrzahl 
der  Peronosporenarten  kann  dieses  Auskeimen  an  jeder  beliebigen  Stelle 
des  Sporangiums  geschehen,  so  dass  letzteres  selbst  zur  Konidie  ge- 
worden ist. 

Die  verschiedenen  Arten  der  Fruktifikationsorgane  kommen  zu- 
weilen auf  ein  und  demselben  Pilzthallus  neben  einander  oder  nach 
einander  vor,  namentlich  ist  dies  bei  den  höheren  Pilzen,  den  Asko-  und 
Basidiomyceten  der  Fall,  wo  stets  neben  der  Hauptfruchtform  Neben- 
fruchtformen,  mitunter  überwiegend  vorkommen.  Es  findet  also  häufig 
eine  Pleomorphie  der  Fruktifikationsorgane  statt.  Oft  ist  da- 
mit verbunden  ein  sogenannter  Generationswechsel;  der  Thallus 
eines  bestimmten  Pilzes  trägt  dann  zunächst  nur  eine  Art  von  Frukti- 
fikationsorgan;  die  so  erzeugten  Sporen  wachsen  zu  einem  Thallus 
heran,  der  aber  vom  ursprünglichen  Thallus  verschieden  ist  und  eine 
andere  Fruktifikation  hervorbringt,  ja  sogar  oft  nicht  auf  demselben 
Wirte  gedeiht  (autöcische  Pilze),   sonderen  einer  ganz  anderen  Nähr- 


40  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

pflanze  zu  seiner  Entwicklung  bedarf  (heteröcische  Pilze).  Aus  den 
auf  dem  zweiten  Thallus  hervorgegangenen  Sporen  entwickelt  sich 
dann  wieder  das  ursprüngliche  Mycel  mit  seiner  charakteristischen 
Fruchtform. 


Zweites  Kapitel. 
Allgemeine  Morphologie  der  Sprosspilze  (Hefepilze) 

von 
Dr.  P.  Frosch. 

Allen  Hefeformen  gemeinsam  ist  das  Kennzeichen,  dass  sie  aus 
mikroskopisch  kleinen,  ovalen  oder  kugeligen,  chlorophyllfreien  Zellen 
bestehen,  die  sich  durch  einen  eigentümlichen  Vermehrungsmodus,  die 
Sprossung,  fortpflanzen.  Hierbei  stülpt  sich  an  einem  oder  an  beiden 
Enden  der  Zellen  die  Zellmembran  blasenartig  aus  und  in  die  Aus- 
stülpung tritt  ein  Teil  des  Inhalts  der  Mutterzelle.  Nach  und  nach 
nimmt  Grösse  und  Form  derselben  zu  und  schliesslich  grenzt  sich  die 
gebildete  Tochterzelle  durch  eine  Querwand  von  der  Mutterzelle  ab. 
Indem  dieser  Prozess  an  verschiedenen  Stellen  der  Mutterzellen  vor  sich 
geht  und  ebenso  auch  an  den  neugebildeten  Tochterzellen  sich  wieder- 
holt, entsteht  schnell  eine  grosse  Anzahl  von  Zellen,  die  sich  entweder 
von  einander  abschnüren,  oder  im  Zusammenhang  verbleibend  stattliche 
Sprossverbände  bilden. 

Mikroskopisch  unterscheidet  man  an  der  einzelnen  Hefezelle  eine 
mitunter  starke,  doppeltkonturierte  Hülle  nebem  einen  plasmatischen 
Inhalt,  in  dem  Fetttröpfchen,  Granula  und  Vakuolen  vorhanden  sein 
können.  Die  Existenz  eines  Kerns  ist  ebenso  oft  behauptet  wie  ge- 
leugnet worden,  neuerdings  aber  bei  gewissen  Hefen  unzweifelhaft  nach- 
gewiesen. Die  ersten  Versuche  in  dieser  Beziehung  stammen  von 
Schmitt  1879,  dem  Hansen,  Möller  und  Janssen  folgten.  Letzterer  stellte 
fest,  dass  bei  mehreren  Bierhefen  der  Kern  sich  durch  Karyokinese 
während  des  Sprossens  und  während  der  Sporenbildung  vermehrt.  Von 
Möller  ist  folgende  Methode,  um  den  Kern  sichtbar  zu  machen,  an- 
gegeben: Fixierung  in  1  proz.  Jodkaliumlösung  Härten  1 — 2  Minuten 
in  kochendem  Wasser,  Färbung  mit  Heidenhain'scher  Eisenlacklösung 

Gewissen  Hefenarten  ist  eine  Art  Mycelbildung  eigentümlich,  beson- 
ders bei  Züchtung  im  Kontakt  mit  der  Luft  und  in  alten  Kulturen. 
Hierbei  dehnen  sich  die  einzelnen  Zellen  zu  langgestreckten  Gliedern, 
die  im  Zusammenhang  bleiben,  jedoch  keine   eigentliche  Verästelung 


Frosch,  Allgemeine  Morphologie  der  Sprosspilze  (Hefepilze).  41 

zeigen 1).     Reichlich    finden   sich    derartige  Bildungen   in    den   Kahm- 
häuten bestimmter  Mykodermaarten  (Mykoderma  vini,  cerevisiae  etc.). 

Ein  solches  hefenartiges  Wachstum  ist  nun  zunächst  nichts  weiter 
als  eine  besondere  und  weit  verbreitete  Art  der  Dauerformbildung  einer 
ganzen  Reihe  von  Schimmelpilzen.  Sie  findet  sich,  wie  bereits  im  Vor- 
hergehenden bemerkt,  z.  B.  bei  gewissen  Aspergillus-  und  Mukorarten, 
wenn  dieselben  auf  ungeeignetem  Nährboden  oder  unter  sonst  ihnen 
nicht  zusagenden  Lebensbedingungen  wachsen  müssen  (z.  B.  Mukorarten 
untergetaucht  in  Wasser).  Ein  anderes  Beispiel  bildet  die  Art  Proto- 
myces,  welche  parasitisch  auf  Umelliferen  und  Cichoraceen  lebt.  Dieser 
Pilz  bildet  Gemmen  (Chlamydosporen),  welche  nach  Verwitterung  der 
Nährpflanze  frei  werden  und  die  in  ihnen  enthaltenen  Sporen  ejakulieren. 
Diese  keimen  nur,  wenn  sie  auf  eine  andere  Nährpflanze  geraten,  wieder- 
um zu  Fäden  aus,  ausserhalb  derselben  jedoch,  z.  B.  auch  in  Nähr- 
lösungen, sprossen  sie  nie  anders  als  in  Hefeform,  d.  h.  die  Konidien 
bilden  selbst  nur  wieder  Konidien.  Solche  Hefesprossung  echter 
Schimmelpilze,  für  die  es  viele  Beispiele  giebt,  so  bei  Taphrinaarten, 
bei  der  Gattung  Exobasidium,  bei  Dematium  pullulans,  und  nach 
Beeeeld  bei  Tremellinen  und  Ustilagineen  besteht  nun  immer  neben 
der  Bildung  anderer  Fruchtformen,  wie  Asken  und  Basidien.  Die 
Hefenkonidien  selbst  ergeben  immer  nur  wieder  Hefesprossung  und  nur 
durch  Aussat  dieser  anderen  bekannten  Fruchtformen  kann  die  Zugehörig- 
keit beider  zur  selben  Pflanze  festgestellt  werden.  Obwohl  es  nun 
noch  nicht  gelungen  ist  für  alle  in  der  Natur  vorkommenden  Hefe- 
arten die  zugehörge  Fadenpilzform  aufzufinden,  so  hat  doch  Beeeeld 
vorgeschlagen  und  hierin  zahlreiche  Anhänger  gefunden/  die  Gat- 
tung Hefe  als  solche  zu  streichen,  in  der  Voraussetzung,  dass  alle 
Hefearten  nur  die  besondere  Fruktifikation  noch  nicht  bekannter 
Ascus-  oder  Exoascusarten  seien.  Diese  Auffassung  hat  jedoch  in 
Hansen  einen  hartnäckigen  und  energischen  Gegner  gefunden.  Hansen 
stützt  sich  dabei  auf  die  Thatsache,  dass  nur  eine  Anzahl  von  Hefe- 
arten, darunter  gerade  die  praktisch  wichtigen,  Sporen  bilden,  während 
Mycelbildung  sehr  selten  ist.  Er  scheidet  demgemäss  als  selbständige 
Gattung  Saccharomyces  alle  diejenigen  Hefen  aus,  bei  denen  diese  beiden 
Charakteristika  vorhanden  sind.  Weiterhin  hat  Hansen  sich  bemüht, 
brauchbare  Merkmale  für  die  Unterscheidung  der  einzelnen  Hefearten 
zu  finden  und  ist  dabei  jedenfalls  zu  einem  praktisch  verwertbaren 
Resultat  gelangt.  Während  gemeinhin  in  der  Gährungsindustrie  die 
benutzte  Gährhefe   ein  Gemenge  verschiedener  Hefearten  war,   gelang 

1)  Echte  Mycelbildung  soll  jedoch  einigen  als  Torulaarten  zusammen- 
gefassten  Hefearten  nach  Hansen  sowie  dem  Mykoderma  vini  Cienkowsky  zu- 
kommen (s.  d.). 


42  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

es  Hansen  mittelst  eigener  Methoden,  diese  in  praktisch  wertvolle 
(Kulturhefe),  gleichgiltige  und  solche  zu  trennen,  welche  Krankheiten 
des  Bieres  verursachten  (wilde  Hefen).  In  der  Folge  hat  sich  das 
Augenmerk  der  Gährtechniker  darauf  gewendet,  möglichst  mit  Rein- 
kulturen nur  einer  Art  zu  arbeiten,  wobei  sich  zeigte,  dass  gewisse 
wertvolle  Eigenschaften  des  Bieres  und  Weines,  ein  spezifischer  Ge- 
schmack und  Geruch  (Bouquet  des  Weines)  durch  bestimmte  und  im 
Einzelfall  wechselnde  Hefearten  verursacht  werden.  In  der  Praxis  soll 
diese  Methode  sich  bewährt  haben  sowohl  in  der  Bier-  wie  Weingährungs- 
industrie  (Wortmann).  So  soll  nach  Wortmann  (u.  A.)  jede  Heferasse 
ihre  praktisch  wertvollen  Eigentümlichkeiten  (Gährprodukte)  auch  auf 
verschiedenem  Gährmaterial  beibehalten.  Die  Methoden  Hansens 
gipfeln  einmal  darin,  die  einzelnen  Hefearten  aus  einem  Gemisch  so 
zu  trennen,  dass  Kolonien  von  nur  einem  Exemplar  erhalten  werden. 
Hierzu  ging  er  von  der  von  Nägeli  und  Fitz  angegebenen  Verdün- 
nungsmethode in  Flüssigkeiten  aus,  wobei  schliesslich  eine  Auflösung 
und  Verteilung  des  Hefegemisches  in  sterilem  Wasser  resultiert,  die  in 
jedem  Kubikcentimeter  eine  bestimmte  geringe  Anzahl  von  Keimen  (2— 3) 
enthält.  Hiermit  konnte  eine  entsprechende  Reihe  von  Kölbchen  mit 
Nährflüssigkeit  so  geimpft  werden,  dass  jedes  Kölbchen  wahrscheinlich 
nur  eine  Zelle  enthielt.  Um  den  zu  erwartenden  Fehler  dieser  Wahr- 
scheinlichkeitsrechung  auszugleichen,  wurden  nun  diese  Kölbchen  sehr 
stark  geschüttelt.  Hierbei  mussten  sich  die  etwa  in  der  Mehrzahl 
vorhandenen  Zellen  von  einander  lösen,  zu  Boden  sinken  und  bei  ruhigem 
Stehenlassender  Kolben  getrennt  von  einander  auswachsen.  Nach  einigen 
Tagen  gewahrt  man  dann  einen  (gesuchte  Reinkultur)  oder  mehrere 
weisse  Flecken  an  der  Glaswand.  Diese  Methode  eignet  sich  besonders, 
um  vorhandene,  in  ihrem  Wachstum  geschwächte  Keime  isoliert  zum 
Auswachsen  zu  bringen.  Handelt  es  sich  dagegen  nur  um  die  Isolie- 
rung der  vorherrschenden  Art,  so  führte  das  KocH'sche  Plattenverfahren 
schneller  zum  Ziel,  wobei  Bierwürze-Gelatine  verwendet  wurde.  Auch 
hierbei  fügte  Hansen  eine  Modifikation  ein,  die  ihm  ermöglichte,  durch 
mikroskopische  Betrachtung  die  Entwicklung  einer  Kolonie  von  nur 
einer  Zelle  festzustellen,  um  diese  Kolonie  als  Ausgangspunkt  seiner 
Kulturen  zu  benutzen.  Die  weiteren  Methoden  gingen  darauf  aus,  die 
Artcharaktere  der  einzelnen,  isolierten  Hefe  festzustellen.  Das  mikro- 
skopische Bild  des  Bodensatzes  allein  reicht  hierzu  nicht  aus,  da  es  nur 
drei  Arten  von  Hefe  nach  der  Form  der  gefundenen  Zellen  unter- 
scheiden Hess.  Dagegen  fand  Hansen  in  den  Bedingungen,  unter  denen 
die  Sporen  gebildet  wurden,  wie  in  ihrer  anatomischen  Struktur  und 
ihrer  Entwicklung  diagnostisch  wertvolle  Merkmale.  Um  diese  Sporen- 
bildung  herbeizuführen,    wurde    etwas    Hefe    auf   einem    sterilisierten 


Frosch,  Allgemeine  Morphologie  der  Sprosspilze  (Hefepilze). 


43 


feuchten  Gypsblock  in  feuchter  Kammer  gehalten.  Sehr  bald  traten 
dann  die  Sporen  in  der  Hefezelle  als  kugelige  oder  teilweise  abgerundete 
Körper  auf,  in  einer  Anzahl  von  gewöhnlich  2 — 4,  unter  Umständen 
auch  bis  10,  die  an  den  Berührungsstellen  sich  gegen  einander  abplatteten. 
Bei  diesem  Verfahren  ergab  sieh  als 
Unterscheidungsmerkmal  der  Arten 
dieTemperaturbreite,  innerhalb  welcher  a  A 

die  Bildung;  der  Sporen  erfolgte.    Der 


- 


por< 


3 


(Nach  Jörgensen.) 


Einfiuss  der  Temperatur  war  bei  den 
höchsten  Wärmegraden  bei  allen  unter-        {    7 
suchten  6  Arten  gleich,   bei  niedriger         W 1 
Temperatur  zeigten  sich  wiederum  auf- 
fällige Differenzen  in  der  Zeit,  die  zu  F 
der  Sporenbildung  nötig  war. 

Bezüglich  des  Baues  und  der  Entwicklung  der  Sporen  hat  Hansen 
drei  Typen  unterschieden.  Beim  ersten  z.  B.,  Saccharomyces  cerevis.  (I), 
kommt  es   durch   den  gegenseitigen  Druck   der  bei  der  Keimung  an- 


\j 


c? 


j 


Fig.  5.    (Nach  Jörgensen.) 


schwellenden  Sporen  zur  Scheide wandbil düng  innerhalb  der  Mutter- 
zelle, welche  diese  zu  einem  mehrkammerigen  Sporenkörper  macht 
(Fig.  4).  Beim  zweiten  (S.  Ludwigii)  verschmelzen  die  fin  Gestalt  eines 
kurzen  Keims  chlauchs  (Promy- 
cel)  aus  den  Sporen  hervor- 
gehenden Sprossungen,  von  wel- 
chen dann  erst  die  Hefezellen 
sich  abschnüren,  unter  Bildung 
einer  scharfen  Querwand  (Fig.  5). 
Altere  Sporen  dieser  Gruppe 
können  verzweigtes  Mycel  bilden. 
Der  dritte  Typus  endlich  ist 
gekennzeichnet  durch  die  völlig 
abweichenden  Sporenformen  (Re- 
präsentant S.  anomalus  (Fig.  6). 
Die  Sporen  bilden  sich  auch 
auf  festen  Nährböden.  Ihr  Nachweis  gelingt  leicht  mit  der  bei  Bak- 
terien üblichen  Sporen-Doppelfärbung. 


Fig.  6.    (Nach  Jörgensen.) 


44  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Das  dritte  Moment  in  den  analytischen  Methoden  Hansen's  bildete 
die  Beobachtung  der  Kahmhäute.  Fast  allen  Hefen  ist  die  Bildung 
von  Häuten  auf  gährenden  oder  gegohrenen  Flüssigkeiten  eigen.  Be- 
dingung für  die  Hautbildung  ist  eine  freie,  ruhige  Oberfläche,  die  in 
reichlichem  Kontakt  mit  atmosphärischer  Luft  bleibt.  Hansen  fand 
nun,  dass  junge  Häute  der  verschiedenen  Arten  bei  gleicher,  niedriger 
Temperatur  (+13  bis  +  15)  im  mikroskopischen  Bilde  so  von  einander  ab- 
weichen —  indem  die  eine  Art  nur  runde  oder  elliptische  Zellen,  eine 
andere  wiederum  Mycelbildung  zeigte  — ,  dass  eine  weitere  Differenzierung 
möglich  war.  Endlich  waren  Artkriterien  gegeben  in  dem  Gährungs- 
vermögen  der  einzelnen  Hefen  gegen  die  verschiedenen  Zuckerarten 
und  in  der  Form  der  Kolonie  auf  festen  Nährböden.  Vielen  Hefen 
eigentümlich  ist  noch  die  Ausscheidung  einer  gelatinösen  Substanz, 
welche  netzförmige  Membranen  darstellt,  in  deren  Massen  die  einzelnen 
Zellen  liegen.  Sie  ist  anscheinend  analog  der  Gallerthülle  bei  manchen 
Bakterien  und  lässt  sich  am  besten  durch  Färbung  darstellen. 


Drittes  Kapitel. 
Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien 

von 
Dr.  W.  Kruse. 

A.  Definition  und  Verwandtschaften. 

Die  Bakterien  (F.  Cohn)  bilden  die  wichtigste  Gruppe  der  Mikro- 
organismen, auf  sie  passt  diese  letztere  Bezeichnung  ganz  besonders, 
denn  sie  sind  die  kleinsten  aller  bekannten  Lebewesen. 

Selbst  ihre  grössten  Formen  haben  einen  Durchmesser  von  nur 
wenigen  Mikromillimetern  (^  =  0,001  mm),  während  die  kleinsten  nur 
Bruchteile  eines  Mikromillimeters  messen.  Ihrer  Kleinheit  entsprechend 
zeigen  die  Bakterien  eine  äusserst  einfache  Organisation.  Man  bezeichnet 
sie  gewöhnlich  als  einzellige  Organismen,  indessen  weichen  ihre  Ele- 
mente von  dem  typischen  Bau  der  Zelle  erheblich  ab:  vor  allen 
Dingen  ist  eine  deutliche  Unterscheidung  von  Protoplasma  und  Kern 
bei  den  Bakterien  nicht  gelungen.  Die  Form  der  Bakterien  ist  ent- 
weder kuglig  oder  walzenförmig  oder  schraubig  gedreht;  diese  ein- 
zelnen Elemente  sind  aber  sehr  häufig  zu  kleineren  Verbänden  und 
sogar  zu  dem  blossen  Auge  sichtbaren  Kolonien  vereinigt.  Die  Bil- 
dung derselben  erfolgt  durch  Wachstum  mit  nachfolgender  einfacher 
Teilung  in  zwei  gleiche  Hälften,  beides  Prozesse,  die  unter    günstigen 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  45 

Bedingungen  meist  ausserordentlich  schnell,  viel  schneller  als  bei  anderen 
Organismen  von  statten  gehen.  Die  wesentlichste  Vorbedingung  dafür 
ist  das  Vorhandensein  von  gelösten  Nährstoffen,  denn  die  Ernährung  der 
Bakterienzelle  geschieht  ausschliesslich  durch  Diffusion  von  ihrer  Ober- 
fläche aus,  und  zwar  ohne  Vermittlung  von  Chlorophyllfarbstoff.  In  dieser 
Eigenschaft  stimmen  die  Bakterien  mit  den  Pilzen  überein,  indessen  lässt 
sich  gegen  den  von  NägelI  für  unsere  Organismen  vorgeschlagenen 
und  vielfach  adoptierten  Namen  der  Spaltpilze  oder  Schizomyceben 
doch  einwenden,  dass  dadurch  eine  zu  nahe  Verwandtschaft  beider 
Gruppen,  die  in  den  sonstigen  Verhältnissen  nicht  begründet  ist,  an- 
gedeutet wird.  Sehr  viel  inniger  sind  dagegen  die  Beziehungen  der 
Bakterien  zu  einem  anderen  Pflanzentypus,  nämlich  zu  der  den  Algen 
zugerechneten  Ordnung  derPhykochromaceen  (Cyanophyceen),  die 
deswegen  von  F.  Cohn  als  Spaltpflanzen  (Schizophyten)  mit  Chloro- 
phyll den  Bakterien  als  Spaltpflanzen  ohne  Chlorophyll  an  die  Seite 
gestellt  worden  sind. 

Andererseits  fehlt  es  aber  auch  nicht  an  Berührungspunkten  un- 
serer Gruppe  mit  der  Klasse  der  Protozoen,  also  Organismen,  die  als 
niederste  Tiere  bezeichnet  werden.  In  der  That,  berücksichtigt  man 
einen  Charakter,  der  vielen  Bakterien  als  wesentliches  Merkmal  zukommt, 
nämlich  die  Beweglichkeit  durch  Geissein,  so  springt  sofort 
deren  Verwandtschaft  mit  den  Flagellaten  (Bütschli)  hervor.  In  einem 
späteren  Abschnitt  (vgl.  Bd.  II,  3.Abschn.  l.Kap.)  wird  auf  diese  verwandt- 
schaftlichen Beziehungen  näher  eingegangen  werden,  es  wird  dort  auch 
zu  begründen  sein,  warum  von  den  Bakterien  im  engeren  Sinne,  denen 
allein  die  folgende  Darstellung  gewidmet  ist,  einige  häufig  dazu  gerech- 
nete Formen,  wie  Streptothrix,  Crenothrix,  Pasteuria  und  die 
sog.  Purpurbakterien  abgetrennt  worden  sind. 

B.  Formen. 

Die  Grundform  der  einzelnen  Elemente  ist  bei  den  Bakterien 
eine  dreifache:  die  der  Kugel,  des  Stäbchens  und  der  Schraube 
oder  besser  des  Schraubenabschnittes. 

Die  Beachtung  dieser  Grundformen  hat  deswegen  eine  grosse  Be- 
deutung, weil  daraus  in  der  übergrossen  Mehrzahl  der  Fälle  auf  die 
generische  Zugehörigkeit  eines  Bakteriums  geschlossen  werden  kann: 
der  Kugelform  entspricht  die  Gattung  „Kokkus",  der  Stäbchenform 
der  „Bacillus",  der  Schraubenform  das  „Spirillum",  oder  mit  anderen 
Worten,  aus  Kügelchen  entstehen  durch  Wachstum  und  Teilung  immer 
wieder  Kügelchen,  aus  Stäbchen  wieder  Stäbchen,  aus  Schrauben 
wieder  Schrauben.  Dieses  morphologische  Grundgesetz  erleidet 
allerdings  einige  Ausnahmen,  die  im  Folgenden  genauer  behandelt  und 


45  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

auf  ihren  wahren  Wert  zurückgeführt  werden  sollen.  Inzwischen  empfiehlt 
es  sich,  um  jedes  Missverständnis  zu  vermeiden,  für  die  Bezeichnung 
der  Formen  die  Ausdrücke  Kugel,  Stäbchen,  Schraube  u.  s.  w.  zu 
benutzen,  die  Worte  Kokkus,  Bacillus,  Spirillum  aber  nur  als  Gattungs- 
namen   zu  gebrauchen. 

Neben  den  Grundformen  haben  wir  die  Teilungs-  und  die  zu- 
sammengesetzten Formen  zu  unterscheiden.  Während  des  Wachs- 
tums, kurz  vor  der  Teilung,  nehmen  die  Bakterienzellen  oft  Gestalten 
an,  die  von  der  Grundform  differieren.  Ein  Kügelchen  z.  B.,  das 
wächst,  streckt  sich  in  die  Länge  und  teilt  sich  dann  in  der  Ebene,  die 
dem  kürzeren  Durchmesser  entspricht;  es  erscheint  also  zeitweise  als 
kurzes  Stäbchen.  Umgekehrt  kann  ein  Stäbchen,  das  sich  teilt,  wenn 
seine  Länge  das  Doppelte  seiner  Breite  erreicht  hat,  wie  ein  Paar  von 
Kügelchen  aussehen.  Selbstverständlich  sind  solche  Formen  nur  schein- 
bare Ausnahmen  von  dem  allgemeinen  die  Morphologie  beherrschenden 
Gesetz. 

Die  zusammengesetzten  Formen  entstehen  dadurch,  dass 
Bakterienzellen  nach  der  Teilung  mit  einander  in  mehr  oder  weniger 
enger  Verbindung  bleiben.  Die  Art  der  Verbände  ist  für  die  Unter- 
abteilungen der  Genera  von  grosser  Bedeutung.  Je  nachdem  die  Teilung 
in  einer,  zwei  oder  drei  Richtungen  des  Raumes  fortschreitet,  gehen 
monaxial,  diaxial  oder  triaxial  zusammensetzte  Formen  daraus  hervor. 
Unter  Umständen  ist  es  wegen  der  engen  Verbindung  der  Elemente 
nicht  leicht  zu  entscheiden,  ob  eine  Form  aus  mehreren  zusammen- 
gesetzt ist;  die  Beobachtung  mit  besten  Systemen  und  bester  Beleuch- 
tung, in  jedem  Falle  aber  die  Anwendung  von  Reagentien  (Jod,  Alkohol, 
Salzlösungen,  Farbstoffen)  lässt  die  Zellgrenzen  deutlich  werden.  Man 
spricht  dann  z.  B.  von  Scheinfäden  im  Gegensatze  zu  langen  unge- 
gliederten Stäbchen. 

Wenn  man  von  den  unregelmässigen  Bildungen,  die  (s.  u.  E) 
gesondert  besprochen  werden,  absieht,  ergeben  sich  folgende  morpho- 
logische Verhältnisse: 

I.  Kugelformen  (Fig.  7).  Hier  bestehen  erstens  Grössenunter- 
schiede.  Das  Minimum  liegt  etwa  bei  0,3  ,</,  das  Maximum  bei  2 — 3[i 
im  Durchmesser.  Die  grössten  Kokken  könnten,  wenn  man  die  Teilungs- 
verhältnisse nicht  berücksichtigt,  fast  für  Hefezellen  gehalten  werden. 
Die  isodiametrische  Figur  ist  bei  den  isolierten  Elementen  eine  so  regel- 
mässige, dass  wir  mit  unseren  optischen  Hilfsmitteln  kaum  Abweichungen 
von  der  Kugelform  entdecken.  Solche  treten  allerdings  nicht  selten 
bei  den  Teilungs-  und  zusammengesetzten  Formen  hervor.  Wie  eine 
Lanzette  zugespitzt  erscheinen  häufig  die  Diplokokken  der  Pneumonie 
(Fig.  7  a),  elliptisch  die  Elemente   desselben  Mikroorganismus    in    den 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  47 

Ketten,  die  er  bildet.  Umgekehrt  ist  der  Gonorrhoe-Kokkus  in  dem 
Durchmesser,  der  der  Wachstumsrichtung  entspricht,  sernmelförmig 
zusammengedrückt  (Fig.  7  b).  Beim  Streptokokkus  pyogenes  sind  die 
Glieder  der  Ketten  manchmal  fast  scheibenförmig.  Wie  Kugelsek- 
toren erscheinen  oft  die  Elemente  des  Tetragenus,  die  sich  nach  zwei 
Richtungen  des  Raumes  teilen.  Die  Einzelzellen  der  Sarcina  können 
aussehen  wie  Würfel  mit  abgestutzten  Ecken  (Fig.  7  c).  Trotz  aller 
dieser  Abweichungen  ist  die  Kugelgestalt  doch  der  Typus  aller  dieser 
Kokkenarten,  der  auf  der  Höhe  der  Entwicklung  immer  wieder  zum 
Vorschein  kommt. 

In  den  genannten  Beispielen  sind  schon  die  verschiedenen  Möglich- 
keiten aufgeführt,  in  denen  die  Kügelchen  zu  Verbänden  zusammen- 
treten können.    Bei  Teilung  in  einer  Richtung  gruppieren  sich    die- 


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Fig.  7.    Vergr.  c.  1000.    Verschiedene  Kugelfon 


selben  zu  Kugelpaaren  und  Kugelketten  (Diplokokkus  und'  Strepto- 
kokkus1), bei  Teilung  nach  zwei  aufeinander  senkrechten  Axen  zu 
Tafeln  von  Kügelchen  (Tetragenus  oder  Merismopedia,  Merista1),  bei 
Teilung  nach  drei  Richtungen  zu  Packeten  von  Kügelchen  (Sarcina  *)). 
Gewöhnlich  wird  zum  Unterschied  von  den  bisher  genannten  Ver- 
bänden noch  von  häufen-  oder  traubenförmig  gruppierten  Kügelchen 
(Staphylokokken  *))  gesprochen.  Einer  besonderen  Art  der  Wachstum- 
richtung entspricht  diese  Anordnung  keineswegs,  es  handelt  sich  vielmehr 
um  Kokken,  die  sich  nach  einer,  nach  zwei,  vielleicht  auch  nach  drei  Rich- 
tungen des  Raumes  teilen,  aber  sich  bald  gegeneinander  zu  verschieben 
pflegen,  so  dass,  wenn  die  Zellen  trotzdem  in  einem  gewissen  Zusammen- 
hang bleiben,  nur  unregelmässige  Haufen  resultieren. 

Von  einigen  Bakterien  (z.  B.  Bac.  prodigiosus,  pneumoniae,  aceticus) 
werden  mit  mehr  oder  weniger  Regelmässigkeit  Formen  gebildet,  die 
sich,  isoliert  und  manchmal  auch  in  ketten-  oder  haufenförmigen  Ver- 


1)  Vgl.  Bd.  II,  3.  Abschn.  1.  Kap. 


48  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

bänden  beobachtet,  in  keiner  Weise  von  typischen  „Kokken"  unter- 
scheiden. Es  sind  eben  Elemente,  die  wir  vom  rein  morphologischen 
Standpunkte  als  isodiametrische  anerkennen  müssen.  Nehmen  wir  da- 
gegen die  Entwicklungsgeschichte  zuhilfe,  verfolgen  wir  sie  in  Rein- 
kulturen unter  verschiedenen  Bedingungen,  so  erkennen  wir  bald  ihre 
wahre  Natur:  wir  konstatieren  einerseits,  dass  schon  unter  Verhält- 
nissen, die  für  das  Auftreten  der  kugligen  Bildungen  besonders  günstig 
sind,  immer  wenigstens  einige  Individuen  einen  deutlich  stäbchen- 
artigen Charakter  haben,  andererseits  aber  bei  richtiger  Veränderung 
der  Versuchsbedingungen  die  letzteren  Elemente  geradezu  vorherrschen. 
Genügen  nun  diese  Thatsachen  dazu,  das  oben  aufgestellte  morpho- 
logische Grundgesetz  umzustossen,  d.  h.  die  Scheidewand  zwischen 
Kokken  und  Bacillen  einzureissen,  oder  sind  wir  nicht  vielmehr  in  der 
Lage,  hier  nur  einen  besonderen  Fall  der  allgemeinen  Regel  anzunehmen 
und  die  Kugel chen  des  Bac.  prodigiosus,  des  Bacillus  pneumoniae 
u.  s.  w.  als  Kurzstäbchen  anzusehen,  bei  denen  die  Schnelligkeit  der 
Teilung  die  Wachstumsgeschwindigkeit  überwiegt?  Nichts  steht  dem 
entgegen;  weder  in  den  genannten  Beispielen  noch  sonst  überhaupt 
erweisen  sich  die  von  manchen  Seiten  sog.  „Kokken"  als  Formen,  die 
unter  allen  Bedingungen  wieder  nur  Kokken  zeugen;  niemals  wurde 
auch  bei  diesen  kugeligen  Elementen  eine  Abweichung  von  dem  ein- 
axigen  Wachstums-  und  Teiluugstypus  der  Bacillen  konstatiert.  Es 
führt  uns  das  zur  Betrachtung  der 

IL  Stäbchenformen  (Fig.  8).  Während  bei  den  kugeligen  Bak- 
terien, wenigstens  morphologisch  betrachtet,  alle  Durchmesser  gleich- 
wertig sind,  gewinnt  bei  den  Stäbchen  ein  Durchmesser  das  Übergewicht. 
Je  nach  dem  Verhältnis  des  Längendurchmessers  zu  dem  Dickendurch- 
messer unterscheidet  man  schlanke  Stäbchen  (etwa  1  :  4  bis  1  :  10) 
oder  plumpe  („Kurzstäbchen",  etwa  1  :  2),  nach  dem  Rauminhalt,  der 
selbstverständlich  durch  die  Dicke  des  Stäbchens  mehr  beeinflusst  wird 
als  durch  seine  Länge,  grosse  und  kleine.  Die  grössten  bekannten 
Bacillen,  die  von  J.  Frenzel  (Z.  11)  beschrieben  sind,  haben  bei  einer 
Länge  von  30  ft  und  einer  Breite  von  4  [i  etwa  einen  Inhalt  von  180  //3, 
der  Riese  unter  den  pathogenen  Bakterien,  der  Milzbrandbacillus,  misst 
3,0  :  1,0  (i  und  5  [i*,  die  kleinsten  Formen  (Infmenzabacillen)  bei  einem 
Axenverhältnis  von  0,2  :  0,4  //  nur  etwa  den  zehnten  Teil  eines  Kubik- 
mikromillimeters.  Mit  Hilfe  der  oben  gewählten  Bezeichnungen  lassen 
sich  auch  ohne  Angabe  genauer  Masse  die  Dimensionen  eines  Stäbchens 
für  das  praktische  Bedürfnis  hinreichend  genau  ausdrücken. 

Wie  für  die  Kokken  die  Kugel,  so  bildet  für  die  Bacillen  die  Walze 
(der  Cylinder)  mit  kreisförmigem  Querschnitt  den  geometrischen  Typus. 
Genau  entspricht  demselben   z.  B.   der  Milzbrandbacillus:    die  Axe  ist 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien. 


49 


eine  Gerade,  die  Seitenlinien  sind  ihr  parallel,  die  Polflächen  sind  senk- 
recht zur  Axe  stehende  Ebenen  (Fig.  8  a).  Der  Typus  wird  im  wesent- 
lichen dadurch  nicht  yerändert,  wenn  der  Durchmesser  der  Axe  sich 
im  Verhältnis  zum  Querdurchmesser  verkleinert,  vorausgesetzt  nur,  dass 
die  Walzenform  unverändert  beibehalten  wird.  Es  kommt  z.  B.  vor, 
dass  die  Teilstücke  eines  Scheinfadens  ebenso  lang  sind  wie  dick, 
dennoch  wird  Niemand  anstehen,  dieselben  als  Stäbchen  zu  bezeichnen. 
Ein  Beispiel  dafür,  dass  die  cylindrischen  Elemente  relativ  noch  kürzer, 
also  scheibenförmig  werden,  ist  unter  den  echten  Bakterien  für  normale 


Fig.  8.    Verschiedene  Formen  von  Stäbchen.    Die  dunkel  ausgezogenen  sind  gefärbt,  die 
übrigen  ungefärbt.    Vergr.  c.  1000. 


Verhältnisse  nicht  bekannt,  es  findet  sich  das  aber  bei  den  Oscillarien, 
derjenigen  Gruppe  unter  den  Spaltalgen,  die  den  Bacillen  morphologisch 
parallel  stehen. 

Eine  Abweichung  vom  Typus  besteht  zunächst  darin,  dass  die 
Polflächen  der  Stäbchen  sich  abrunden,  bei  den  frei  beweglichen  Ba- 
cillen eine  häufige  Erscheinung.  Früher  hat  man  geglaubt,  dass  auch 
der  umgekehrte  Fall  eintreten  könnte:  die  Milzbrandbacillen  sollten 
nämlich  an  den  Berührungsflächen  konkave  Einziehungen  zeigen.  Johne 
hat  nachgewiesen,  dass  es  sich  hier  um  Kunstpro clukte  handelt,  und 
dass  gerade  die  Milzbrandstäbchen  durchaus  typisch  geformt  sind  (vgl. 
Milzbrand  Bd.  II). 

Die  Axe  der  Stäbchen  kann  statt  gerade  mehr  oder  weniger  ge- 
krümmt sein.    Wenn  solche  Krümmungen  bei  sehr  schlanken,  kleinen 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  4 


50  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Formen  (z.  B.  Mäuseseptikäiniebacillen)  vorkommen,  so  ist  das  nicht 
auffallend,  weil  die  Bakterien  ja  sämtlich  aus  einer  biegsamen  Sub- 
stanz bestehen  und  iira  so  leichter  passive  Formveränderungen  erleiden, 
je  kleiner  sie  sind.  Aber  auch  grössere  Formen,  namentlich  zusammen- 
gesetzte, zeigen  öfters  eine  ausgesprochene  Neigung  zur  Abweichung 
von  der  Geraden,  so  z.  B.  der  Bac.  Megatherium  (Bd.  II).  Eine  Un- 
gleichmässigkeit  im  Wachstum  muss  die  Ursache  davon  sein.  Ganz 
besonders  trifft  das  für  gewisse  Fälle  zu,  die  wir  unter  den  abnormen 
Bildungen  später  besprechen  werden  (s.  u.  E). 

Abweichungen  vom  parallelen  Verlauf  der  seitlichen  Konturen- 
flächen bei  den  Stäbchen  sind  fast  stets  als  Entwicklungsanomalien  zu 
betrachten.  Regelmässig  treten  nur  manche  Veränderungen  der  Form 
als  Vorstadien  der  Sporenbildung  einiger  Bacillen  auf.  Werden  nämlich 
Dauerformen  gebildet,  die  einen  grösseren  Dickendurchmesser  besitzeu, 
als  dem  Durchmesser  der  Mutterzelle  entspricht,  so  schwillt  vorher  das 
Stäbchen  spindelförmig  oder  keulenförmig  an  (s.  u.  D).  Es  sind  das 
aber  immer  nur  vorübergehende  Zustände.  Stäbchen,  die  in  ihrer 
ganzen  Entwicklung  die  Spindelgestalt  beibehielten  („Clostridium"), 
giebt  es  nicht. 

Eine  besondere  Stellung  nehmen  die  diphtherieähnlichen  Bacillen 
ein  (vgl.  C  u.  E).  Sie  bilden  zwar  auch  oft  typische  Stäbchen,  sehr 
häufig  finden  sich  aber  gerade  bei  ihnen  Abweichungen,  die  darin  be- 
stehen, dass  die  Längsseiten  der  Stäbchen  nicht  ganz  parallel  sind,  so 
dass  keil-  und  keulenförmige  Figuren  entstehen  (Fig.  8  b). 

Die  Teilungs-  und  zusammengesetzten  Formen  der  Bacillen  sind 
lange  nicht  so  vielgestaltig,  wie  die  der  Kokken,  weil  der  einaxige  Bau 
der  ersteren  auch  das  Wachstum  und  die  Teilung  nach  einer  einzigen 
Richtung  bedingt.  Die  Axe  des  Cylinders  giebt  die  Richtung  des 
Wachstums  an,  senkrecht  zu  ihr  werden  die  Teilungsflächen  angelegt. 
Eine  Längsteilung  findet  niemals  statt.1)  Aus  der  Querteilung  resul- 
tieren Stäbchenpaare,  Stäbchenketten.  Die  letzteren  werden,  wie  oben 
bemerkt,  Scheinfäden  genannt,  wenn  die  Abgrenzung  der  einzelnen 
Zellen  eine  mehr  oder  weniger  undeutliche  ist.  Solche  Verbände  er- 
reichen oft  sehr  erhebliche  Längen  (bis  zu  einigen  mm).  Die  Cylinder, 
aus  denen  sie  zusammengesetzt  sind,  behalten  dabei  ihre  Selbständig- 
keit, d.  h.  wenn  sie  spontan  oder  künstlich  aus  dem  Verbände  gelöst 
werden,  wachsen  sie  unabhängig  weiter. 

Bei  einigen  Arten  von  fadenbildenden  Bacillen  kann  man  eine 
eigentümliche  Art  der  Teilung  und  des  Wachstums  beobachten,  die  als 


1)  Pasteuria  ramosa  kann  nicht  'zu  den  Bakterien  gerechnet  werden  (vgl. 
Bd.  II,  3.  Abschn.  1.  Kap.) 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  51 

Pseudorarnifikation  bezeichnet  wird.  Es  findet  an  einer  Stelle  des 
Scheinfadens  zwischen  zwei  Zellen  eine  Lösung  des  Verbandes  statt, 
die  frei  gewordenen  Pole  schieben  sich  an  einander  vorbei  und  beginnen 
jedftr  für  sich  ein  Wachstum  zu  entfalten.  Unter  Umständen  entstehen 
dadurch  verästelte  Figuren,  wie  sie  die  Abbildung  c  in  Fig.  8  zeigt, 
oder  aber  es  treten  mannigfach  verschlungene  Figuren  auf.  Diese 
falsche  Zweigbildung  ist  übrigens  weiter  verbreitet,  als  man  gewöhnlich 
annimmt,  besteht  z.  B.  ausser  bei  Cladothrix  auch  bei  Proteusarten. 


Fig.  9.    Verschiedene  Formen  von  Schrauben,  bei  a  Kommabacillen. 

Die  einzelnen  Glieder  in  den  Fäden  unterscheiden  sich  der  Regel 
nach  gar  nicht  von  einander,  sie  wachsen  auch  nicht  etwa  blos  an  der 
Spitze,  sondern  gieichmässig  im  ganzen  Verlauf  des  Fadens  („interkalares 
"Wachstum").  Nur  bei  einigen  von  Winogeadskt1)  gut  beschriebenen 
Arten,  die  er  Thiothrix  benennt,  bedingt  die  relative  Lage  der  Zellen 
einen  deutlichen  Unterschied  in  der  Form  und  in  gewissem  Grade  auch 
in  der  Funktion.  Die  Fäden  sitzen  nämlich  an  einem  Ende  auf  dem 
Substrate  fest,  während  das  andere  frei  in  die  umgebende  Flüssigkeit 
hineinragt.  Die  Zellen  der  Basis  sind  breiter  und  kürzer,  die  der  Spitze 
schmaler  und  länger.  Geringer  sind  die  Unterschiede  bei  der  ebenfalls 
mit  einem  Ende  festsitzenden  und  baumförmig  verästelten  Cladothrix 
(Fig.  8  c;  vgl.  auch  Bd.  II). 

III.  Schrauben  (Fig.  9).  Die  morphologischen  Verhältnisse  dieser 
Formen  ähneln  denen  der  Stäbchen,  insofern  als  auch  die  Schrauben 
einaxig  gebaut  sind.  Die  Dimensionen  schwanken  in  ähnlicher  Weise 
und  wie  dort  unterscheidet  man  auch  hier  schlanke  und  plumpe,  grosse 
und  kleine  Formen. 


1)  Beiträge  zur  Morphologie  und  Physiologie  der  Bakterien.    Leipzig  1888. 

4* 


52  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Als  ein  neues  Element,  das  die  Gestalt  sehr  erheblich  beeinflusst, 
tritt  hier  die  Drehung  der  Axe  hinzu,  die  regelmässig  nach  dem 
Typus  der  Schraube  erfolgt.  Schon  bei  den  kürzesten  Formen,  den 
sog.  Kommabacillen  (R.  Koch)  ist  dieselbe  deutlich:  es  sind  das  n^cht 
etwa  in  einer  Ebene  gekrümmte  Stäbchen,  sondern  kurze  Schrauben- 
abschnitte. Der  Name  „Komma"  passt  deswegen  nicht  ganz,  hat 
aber  nun  einmal  in  der  Sprache  Bürgerrecht  gewonnen  und  kann  auch 
weiterhin  verwendet  werden,  vorausgesetzt  dass  man  sich  seiner  Bedeutung 
bewusst  bleibt. 

Die  Schrauben  haben  ein  verschiedenes  Aussehen  je  nach  dem 
Querdurchmesser  der  Schraube  und  dem  Abstände  der  Schraubengänge 
von  einander;  man  spricht  danach  von  eng  und  fiachgewundenen 
Schrauben.  Die  Drehung  kann  so  stark  sein,  dass  sich  die  Windungen 
fast  berühren,  und  so  schwach,  dass  die  Schrauben  wie  wellige  Fäden 
aussehen.  Der  Regel  nach  ist  die  Drehung  eines  Spirillums  an  allen 
Punkten  seiner  Länge  eine  gleichrnässige,  Abweichungen  davon  erklären 
sich  wohl  dadurch,  dass  durch  äussere  mechanische  Einwirkungen  ein 
Teil  des  schraubigen  Fadens  auseinandergezogen  wird.  Konstant  ist  da- 
gegen die  Intensität  der  Drehung  bei  einer  und  derselben  Spirillenart 
keineswegs  (vgl.  Kap.  „Variabilität"). 

Eine  doppelte  Schraubendrehung,  bei  der  auf  die  grossen  Win- 
dungen noch  kleinere  aufgesetzt  sind,  zeigt  die  Spirochaete  plicatilis 
(Fig.  9  c).    . 

Was  für  die  Teilungs-  und  zusammengesetzten  Formen  der  Stäb- 
chen gilt,  gilt  in  gleicher  Weise  für  die  der  Schrauben.  Paare  von 
Kommabacillen  sieht  man  meist  in  der  Weise  verkettet,  dass  die  beiden 
Elemente  zusammen  eine  S-Form  bilden,  in  anderen  Fällen  liegen  sie 
aber,  wie  Fig.  9  b  zeigt,  £-artig  zusammen.  Es  lässt  sich  das  nur  so  er- 
klären, dass  die  beiden  Zellen,  schon  im  Begriff  sich  zu  trennen,  eine 
Drehung  ihrer  ursprünglichen  Lage  vollzogen  haben.  Es  giebt  sehr  lange 
Schrauben,  die  aus  einer  einzigen  Zelle  bestehen  und  schraubig  gekrümmte 
Scheinfäden.  Wenn  Verbände  von  Spirillen  seltener  gefunden  werden, 
als  solche  von  Bacillen,  so  liegt  das  an  der  den  ersteren  nie  fehlenden 
Eigenschaft  der  Bewegungsfähigkeit. 

C.  Wachstum  und  Teilung. 

1.  Das  Wachstum  der  Bakterien  ist  der  Regel  nach  von  Zweiteilung 
gefolgt,  und  ebenso  regelmässig  geht  der  Teilung  ein  Wachstum  vor- 
auf; auf  dieser  Teilung  beruht  die  Vermehrung  der  Bakterien.  Eine 
Sporenbildung  in  dem  Sinne,  wie  wir  sie  bei  Protozoen  —  namentlich 
Sporozoen  —  und  Kryptogamen  finden,  d.  h.  eine  gleichzeitige  oder 
schnell  hintereinander  erfolgende  Bildung  zahlreicher  Keime  aus  einer 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  53 

Zelle,  ebenso  wie  eine  geschlechtliche  Fortpflanzung,  ist  nicht  beo- 
bachtet (Tgl.  D). 

Der  Prozess  des  Wachstums  und  der  Teilung  erfolgt  in  der  Weise, 
dass  ein  Bakterium,  das  eben  aus  einer  Teilung  hervorgegangen  ist, 
auf  das  Doppelte  seiner  Grösse  anwächst  und  sich  dann  wieder  in  zwei 
gleiche  Hälften  teilt.  Am  einfachsten  ist  dieser  Vorgang  bei  den  Ba- 
cillen und  Spirillen:  in  der  Richtung  der  Hauptaxe  strecken  sich  die 
Elemente  in  die  Länge,  sei  es  in  gerader  Linie,  sei  es  mit  schraubiger 
Drehung,  ohne  eine  Veränderung  des  Dickendurchmessers.  Ist  das 
Doppelte  der  Länge  erreicht,  so  tritt  die  Teilung  der  Quere  nach  ein 
oder  richtiger  gesagt,  dann  wird  sie  perfekt,  da  man  häufig  schon  in 
der  noch  wachsenden  Zelle  Andeutungen  der  bevorstehenden  Teilung 
erkennen  kann.  Eine  Veränderung  der  Wachstumsrichtung  ist  bei  der 
einmal  fest  bestimmten  Lage  der  Axe  von  Bacillen  und  Spirillen  nicht 
möglich. 

Unter  den  Kokken  giebt  es  irrten,  die  sog.  Streptokokken  (Ketten- 
kokken), die  ebenfalls  Wachstum  und  Teilung  in  einer  sich  gleich- 
bleibenden Richtung  vollziehen.  Wahrscheinlich  können  aus  dem  Ver- 
bände einer  solchen  Kette  gelöste  Elemente  nur  in  dem  Durchmesser 
weiterwachsen,  der  ursprünglich  mit  der  Längsaxe  der  Kette  zusammen- 
gefallen war.  Der  ganz  sichere  Beweis  dafür  ist  natürlich  wegen  der 
isodiametrischen  Gestalt  der  Kokken  nicht  zu  liefern.  Andere  Kokken- 
arten, z.  B.  der  Tetragenus,  wachsen  abwechselnd  in  zwei  aufeinander 
senkrechten  Richtungen,  wieder  andere  (Staphylokokken)  scheinen  mehrere 
Teilungsperioden  hindurch  nach  einer  Richtung  wachsen  zu  können, 
so  dass  sie  kurze  Kettchen  bilden,  teilen  sich  aber  auch  senkrecht  zu 
dieser  ersten  Richtung,  so  dass  tetragenusartige  Verbände  entstehen. 
Bei  den  Sarcinaarten  endlich  sind  drei  senkrecht  zu  einander  stehende 
Wachstumsrichtungen  vorhanden.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ent- 
spricht diesen  verschiedenen  Modi  der  Entwicklung  die  Anordnung  der 
Moleküle  im  Innern  der  Kokken  nach  1,  2  oder  3  Axen.  Ein  Einfluss 
auf  die  jeweilige  Wachstumsrichtung  durch  äussere  mechanische  Mo- 
mente ist  deswegen  nicht  ausgeschlossen. 

Bei  den  Kokken,  besonders  bei  den  zweiaxig  und  dreiaxig  gebauten, 
ist  das  Wachstum  nicht  einfach  identisch  mit  Längenwachstum  in  der 
zur  späteren  Teilungsebene  senkrechten  Richtung,  sondern  es  tritt  meist 
noch  ein  Dickenwachstum  hinzu.  Besonders  deutlich  ist  dasselbe  bei 
den  sog.  Semmelkokken,  deren  Elemente  halb  kugelförmig  aus  der  Teilung 
hervorgehen,  sich  dann  zur  Kugel  ergänzen  und  häufig  in  neuer  Richtung 
teilen.  Manchmal  teilen  sich  nicht  beide  Hälften  eines  Doppelkokkus 
gleichzeitig,  die  geteilte  Hälfte  bleibt  aber  doch  mit  der  ungeteilten 
in  Verbindung,  so  dass  dreigliedrige  Formen  entstehen. 


54  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Ausserordentlich  gross  ist  die  Schnelligkeit,  mit  der  unter 
günstigen  Bedingungen  Wachstum  und  Teilung  der  Bakterien  erfolgen. 
Teils  durch  direkte  Beobachtung,  teils  durch  wiederholte  Zählungen 
der  Keime  in  einer  Kultur  mittelst  Plattenzüchtung  kann  man  fest- 
stellen, dass  oft  nur  20 — 30  Minuten  zwischen  zwei  Teilungsakten  ver- 
fliessen.  Die  gewaltige  Vermehrung,  die  daraus  resultiert,  lässt  sich 
zahlenmässig  veranschaulichen,  wenn  man  bedenkt,  dass  ein  einziger 
Bacillus,  der  sich  alle  halbe  Stunde  teilt,  in  24  Stunden  2 48,  d.  h.  viele 
Billionen  Nachkommen  zeugt. 

Nach  vollendeter  Teilung  behalten  die  Elemente  entweder  im 
wesentlichen  ihre  ursprüngliche  Lage  —  es  entstehen  dann  gerade  oder 
mehr-weniger  gekrümmte  Ketten  und  Scheinfäden  —  oder  sie  verschieben 
sich  gegenseitig;  dann  bilden  sich  unregelmässige  Gruppen,  die  sich 
in  einzelne  Elemente  auflösen  können.  Bei  den  Bakterien  aus  der  Ab- 
teilung derDiphtheriebacillen  beobachtet  man  ganz  regelmässig  nach 
der  Teilung  eine  Verschiebung  der  Teilstücke  um  einen  rechten  oder 
stumpfen  Winkel  und  bei  fortschreitendem  Wachstum  sogar  Parallel- 
stellung derselben  —  es  resultieren  daraus  die  für  diese  Bakterien  ganz 
charakteristischen,  oft  pallisadenartigen  Häufchen.*  Der  Grund  dafür 
liegt  wohl  in  der,  wie  oben  schon  bemerkt,  etwas  asymmetrischen  Form 
der  Bacillen  (vgl.  Bd.  II). 

IL  Ausser  dem  beschriebenen  gewöhnlichen  Modus  des  Wachstums 
und  der  Teilung,  durch  die  Elemente  geliefert  werden,  die  in  ihren 
Dimensionen  immer  einander  gleich  bleiben,  kommt,  wie  es  scheint,  nur 
bei  einigen  Bacillen  eine  etwas  abweichende  Entwicklung  vor.  Manche 
Stäbchenarten,  die  in  ein  frisches  Medium  ausgesät,  zuerst  üppig  in 
die  Länge  wachsen  und  durch  Teilung  gleichartige  Glieder  produzieren, 
verlieren  allmählich  an  Wachstumskraft,  ohne  doch  die  Teilungsfähig- 
keit einzubüssen.  Es  werden  dadurch  Stäbchen  erzeugt,  die  immer 
kürzer  und  kürzer  und  schliesslich  sogar  kugelförmig  werden  können. 
Ein  Vorgang  dieser  Art  ist  zuerst  beim  Bacterium  Zopfii  (s.  Fig.  in 
Bd.  II)  beobachtet  und  sehr  verschieden  gedeutet  worden.  Man  kann 
sich  aber  bei  diesen  und  bei  ähnlichen  Spezies  (Proteus,  Bacterium  allan- 
toides  u.  a.  s.  Bd.  II)  von  dem  Vorliegen  obigen  Thatbestandes  durch 
fortgesetzte  Untersuchung  isolierter  Keime  im  hängenden  Tropfen  ohne 
Schwierigkeit  überzeugen.  Es  liegt  gar  kein  Grund  vor,  die  mehr  oder 
weniger  kugelförmigen  Endprodukte  der  Entwicklung  als  wesentlich 
verschieden  von  den  ersten  stäbchenförmigen  Teilungsgliedern,  etwa 
als  Sporen  („Arthrosporen")  zu  betrachten.  Das  allmählich  mit 
Erschöpfung  des  Nährmaterials  langsamer  werdende  Wachs- 
tum bei  ungeschwächterTeilungsenergie  erklärt  die  verschiedene 
Formbildung.  Die  aus  den  letzten  Teilungen  hervorgegangenen  „Kokken" 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  55 

wachsen  auf  neue  Nährsubstrate  übertragen  nicht  als  Kügelchen  weiter, 
sondern  zu  Stäbchen  aus,  die  den  ursprünglichen  Stäbchen  durchaus 
ähnlich  sind. 

III.  Während  in  dem  eben  angeführten  Falle  Teilung  ohne  deut- 
liches Wachstuni  erfolgt,  giebt  es  zahlreiche  Beispiele  unter  den  Bakterien, 
wo  nach  ausgesprochenem  und  selbst  gesteigertem  Längen- 
wachstum die  Teilung  ausbleibt.  Manchmal  tragen  die  dadurch 
—  bei  Kokken  und  Bacillen  —  entstehenden  Formen  den  Charakter 
der  Anomalie  deutlich  zur  Schau,  wir  werden  darauf  bei  der  Besprechung 
der  unregelmässigen  Bildungen  zurückkommen  (v.  E).  Vielfach  treten  sie 
aber  ganz  regelmässig  auf,  dahin  gehören  z.  B.  die  langen  Fäden  und 
Schrauben,  die  besonders  in  älteren  Bacillen-  und  Spirillenkulturen  zu 
finden  sind.  Es  handelt  sich  hier  meist  nicht  etwa  um  Verbände,  um 
Scheinfäden.  Die  Lebensfähigkeit  der  Elemente  wird  durch  ihr  normales 
Aussehen  und  die  oft  vorhandene  Beweglichkeit  bewiesen.  Eine  Weiter- 
entwicklung auf  demselben  Nährboden  bleibt  gewöhnlich  aus,  dagegen 
kann  man  eine  solche  nach  Übertragung  in  neues  Substrat  direkt  unter 
dem  Mikroskop  beobachten:  die  ursprünglich  homogenen  geraden  oder 
schraubigen  Fäden  zeigen  Teilungslinien  und  zerfallen  in  eine  Reihe 
von  kleinen  Elementen,  die  sich  dann  normal  weiter  entwickeln.  Es 
liegt  hier  offenbar  nichts  weiter  als  eine  verspätete  Teilung  vor, 
für  die  man  den  Ausdruck  Segmentierung  gebrauchen  kann. 

IV.  Nicht  zu  verwechseln  mit  der  Segmentierung,  durch  welche 
lebensfähige  normale  Elemente  geschaffen  werden,  ist  der  unregelmässige 
Zerfall  von  kürzeren  und  längeren  Bakterienzellen  in  ungleiche  und  oft 
abnorm  gebildete  Teilstücke,  die  Fragmentierung,  die  in  alten 
Kulturen  zu  beobachten  ist.  Es  ist  das  offenbar  ein  regressiver  Vor- 
gang, der  hier  nur  erwähnt  sein  mag,  weil  die  Möglichkeit  nicht  aus- 
geschlossen werden  kann,  dass  unter  günstigen  Umständen  aus  dem 
Zerfall  noch  lebensfähige  Keime  hervorgehen,  die  sich  durch  eine  Art 
von  Verjüngungsprozess,  wie  wir  ihn  auch  sonst  im  organischen 
Reich  antreffen,  zu  normalen  Elementen  regenerieren  könnten.  Wieder 
und  wieder  tauchen  in  der  bakteriologischen  Litteratur  Angaben  auf, 
wonach  in  einer  Kultur,  die  keinerlei  normale  Elemente  mehr  enthielt, 
doch  noch  Keime  —  es  sind  meist  Kügelchen  gemeint,  die  dann  den  Titel 
Kokken  oder  Arthrosporen  erhalten  —  vorhanden  gewesen  wären,  die  die 
Lebensfähigkeit  solcher  Kulturen  verbürgt,  und  die  sich  sogar  unter  den 
Augen  der  Beobachter  zu  gewöhnlichen  Bakterien  entwickelt  hätten. 
Die  allermeisten  dieser  Angaben  beruhen  wohl,  wie  man  sich  durch 
Kontroiversuche  oft  überzeugt  hat  und  leicht  überzeugen  kann,  auf 
blossen  Vermutungen,  denn  der  Beweis  dafür  ist  mit  sehr  erheblichen 


5G  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Schwierigkeiten    verknüpft.     Immerhin    ist    der  Beweis    dagegen    für 
alle  Fälle  auch  nicht  zu  liefern. 

Eine  weitere  Art  des  Wachstums,  nämlich  diejenige  durch 
Sprössung,  aus  welcher  verästelte  Formen  hervorgehen,  besprechen 
wir  unter  den  unregelmässigen  Bildungen  (vgl.  E). 

D.  Dauerzustände,  Sporenbildung. 

Jede  Bakterienzelle  kann  zum  Ausgangspunkt  einer  neuen  Generation, 
einer  neuen  Kolonie  werden.  Jede  Zelle  wächst  und  teilt  sich,  so  lange 
ihr  genügendes  Nährmaterial  zugeführt  wird  und  sie  nicht  durch  hem- 
mende Einflüsse  chemischer  oder  physikalischer  Natur  betroffen  wird. 
Letzteres  tritt  in  der  Natur  und  in  unseren  künstlichen  Kulturen  früher 
oder  später  immer  ein.  Von  dem  Moment,  wo  ihr  Wachstum  aufhört, 
beginnt  eine  regressive  Veränderung  der  Bakterienzelle,  beginnt  das  Ab- 
sterben: es  ist  das  geradezu  ein  allgemeines  Gesetz,  das  nur  unter 
bestimmten  Umständen  und  nur  für  eine  beschränkte  Anzahl  von 
Bakterienarten  Ausnahmen  erleidet.  Die  Thatsache  lässt  sich  z.  B.  für 
künstliche  Reinkulturen  durch  wiederholte  Platten'kulturen  mit  nach- 
folgender Keimzählung  leicht  feststellen:  man  findet  im  allgemeinen 
zuerst  ein  schnelles  Ansteigen  der  Keimzahl  und  dann  ein  Absinken 
derselben  in  verschieden  schnellem  Tempo.  In  manchen  Fällen,  z.  B. 
beim  Diplokokkus  der  Pneumonie  ist  nach  24  Stunden  währender  Züchtung 
bei  37°  schon  das  Maximum  erreicht,  nach  weiteren  24  Stunden  leben 
nur  noch  wenige  Individuen  und  in  den  folgenden  Tagen  stirbt  auch 
der  Rest  noch  ab.  Beim  Choleraspirillum  erfolgt  das  Ansteigen  der 
Keimzahl  bis  zur  Höhe  etwa  ebenso  schnell,  der  Abfall  ist  langsamer, 
aber  immerhin  schon  in  den  ersten  Tagen  sehr  deutlich;  doch  nach 
Wochen  und  Monaten  finden  sich  noch  entwicklungsfähige  Keime  in 
der  Kultur  vor.  Die  Typhusbacillen  zeigen  insofern  einen  anderen 
Typus,  als  vom  Gipfelpunkte  der  Entwicklung  an  das  Absterben  nur 
sehr  langsam  und  allmählich  eintritt.  Auf  die  Umstände,  durch  die 
der  Bakterientod  bedingt  wird,  kann  hier  nicht  näher  eingegangen 
werden  (vgl.  2.  Abschnitt,  7.  Kapitel),  in  jedem  Falle  ist  die  Lebens- 
dauer der  Bakterienindividuen  eine  sehr  beschränkte.  Sucht  man  dieses 
Resultat  durch  direkte  Beobachtung,  z.  B.  im  hängenden  Tropfen,  zu 
kontrolieren,  so  bemerkt  man  ganz  entsprechend  den  eben  gemachten 
Angaben,  dass  bald  ein  Stillstand  in  der  Vermehrung  erreicht  wird 
und  dass  von  diesem  Zeitpunkte  an  die  Elemente  wenigstens  zum  Teil 
anfangen  ihr  normales  Aussehen  zu  verlieren.  Die  besonderen  Formen 
dieser  Degeneration  werden  später  zu  beschreiben  sein,  oft  genug  kann 
man  vom  Verschwinden  einzelner  Zellen  sprechen.     Es   verdient  aber 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  57 

hervorgehoben  zu  werden,  dass  durch  die  mikroskopische  Beobachtung 
allein  nicht  immer  festgestellt  werden  kann,  ob  eine  Kultur  noch  lebens- 
fähige Glieder  enthält:  einerseits  können  scheinbar  normale  Zellen  ab- 
gestorben, andererseits  sichtbar  veränderte  noch  entwicklungsfähig 
sein.  Ein  Grund  für  die  in  unseren  Beispielen  so  sehr  verschiedene 
Widerstandsfähigkeit  der  unter  gleichen  Bedingungen  entstandenen  In- 
dividuen einer  und  derselben  Kultur  gegenüber  den  das  Absterben 
bedingenden  Einflüssen  ist  in  morphologischen  Merkmalen  nicht  zu 
entdecken,  wir  müssen  uns  damit  begnügen,  individuelle  Differenzen 
und  das  Vorkommen  ausnahmsweise  zu  grösserer  Resistenz  befähigter 
Zellen  anzunehmen  („Ausnahmezellen"). 

Ganz  anders  liegen  die  Dinge  bei  einer  Reihe  von  Bakterien,  die 
mit  einer  besonderen  Schutzvorrichtung  gegenüber  äusseren  schädigenden 
Momenten  begabt  sind:  es  sind  das  die  Bakterien  mit  endogener 
Sporenbildung.  Die  Sporen  sind  morpho  logisch  bestimmt  charak- 
terisierte Dauerzustände,  die  von  Peety1)  zuerst  gesehen,  von 
Pastetjr2)  und  Billeoth3)  in  ihrer  Bedeutung  gewürdigt  und  von 
F.  Cohn4)  in  ihren  Haupteigenschaften  beschrieben  worden  sind. 

Die  Sporen  (Fig.  10)  erscheinen  als  kugelige  oder  ellipsoidischer  • 
viel  stärker  als  das  Bakterienprotoplasma  das  Licht  brechende  Körper- 
chen ursprünglich  im  Leibe  der  sie  bildenden  Zellen,  nachher  auch  im 
freien  Zustande.  Bei  weitem  am  häufigsten  kommen  sie  den  Bacillen 
zu,  sind  aber  auch  bei  Kokken  (Hausee' s  Lungensarcine.  A.  M.  42  und 
Peove's  Mikrokk.  ochroleucus.  B.  B.  4)  und  bei  Spirillen  (Peazmowski's 
Vibrio  rugula:  Diss.  Leipzig  1880  undSoEOEiN:C.2. 16)  beobachtet.  Nach 
ihrer  Form,  ihrer  Lage  und  ihren  Dimensionen  im  Verhältnis  zur 
Mutterzelle,  die  übrigens  bei  den  einzelnen  Spezies  ziemlich  konstant 
sind,  kann  man  folgende  Typen  unterscheiden  (Fig.  10  1—5).  Entweder 
ist  der  Querdurchmesser  der  Spore  kleiner  resp.  ebenso  gross  als  der 
ihrer  Mutterzelle  —  die  Lage  ist  dabei  eine  centrale,  polare  oder  un- 
regelmässige. Oder  die  Spore  ist  dicker  als  ihre  Mutterzelle  —  dann  ist 
sie  central  gelegen  (Spindelform,  Clostridiumform),  oder  an  einem  Pol 
(runde  oder  ovale  Köpfchensporen,  Trommeischlägelform),  oder  un- 
regelmässig. 

Die  Bildung  der  Sporen  erfolgt  immer  endogen,  d.  h.  im  Leibe 


1)  Pekty,  Zur  Kenntnis  kleinster  Lebensformen.  1852.  S.  181. 

2)  Pasteur,  Etudes  sur  la  maladie  des  vers  ä  soie.  1870.  I.  p.  168.  228.  256. 
Vgl.  Htteppe,  Formen  der  Bakterien.    Wiesbaden  1886.  S.  113  ff. 

3)  Billroth,  Vegetationsformen  von  Kokkobacteria  septica.  Berlin  1874  an 
vielen  Stellen. 

4)  Cojen's  Beitr.  z.  Biologie  d.  Pflanzen.  Bd.  II,  H.  2.  1876. 


"iS  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

der  Bakterienzelle,  aber  in  verschiedener  Weise:  der  gewöhnliche  Modus 
ist  der,  dass  an  einem  Punkte  des  Stäbchens  ein  glänzendes  Körnchen 
auftritt,  das  sich  allmählich  vergrössert  und  schliesslich  zur  Grösse  der 
Spore  heranwächst.  Oder  es  treten  mehrere  Körnchen  auf,  die  schliess- 
lich zu  der  Sporenanlage  verschmelzen,  oder  es  bildet  sich  in  der  Zelle 
ein  Körper,  der  die  Grösse  der  künftigen  Spore  hat,  aber  zuerst  blass 
ist  und  erst  allmählich  den  Glanz  derselben  erreicht. 


i  ii®  i 


1      Z.  3      * 

Fig.  10.  Sporenformen,  Sporenbildung,  Sporenkeimung.  Vergr.  1000  (6—9  über  2000)  1—5.  Ver- 
schiedene Form  u.  Lage  der  Sporen.  6 — 9  Zwei  Sporen  z.  T.  verschiedener  Grösse  iu  einem 
spindelförmigen  Stäbchen  hei  Bacillus  inflatus..(A.  Kochi.  in— u  Bildung  der  Sporen  in  zwei 
Stäbchen.  15.  Auskeimung  einer  Spore  im  Äquator.  16.  Auskeimung  einer  Spore  am  Pol. 
17.  Auskeimung  einer  Spore  am  Pol  ohne  Abstreifung  der  Sporenmembran.  IS.  Allmähliche 
Resorption  der  Sporenmembran  bei  der  Keimung.  19.  Auskeimung  der  innerhalb  des  Spirillum 
endoparagogicum  liegenden  Sporen  (SOROKTH  . 


Nach  der  fertigen  Bildung  der  Spore  hört  gewöhnlich  die  Mutter- 
zelle zu  leben  auf,  sie  ist  nur  noch  ein  leerer  Schlauch,  der  zerfällt 
und  die  Spore  frei  lässt.  In  Ausnahmefällen  (Klein:  C  7.  440)  behält 
dagegen  die  Mutterzelle  ihre  Lebenskraft,  wie  aus  dem  Fortdauern 
ihrer  Beweglichkeit  folgt. 

Die  Entwicklung  der  Sporen  geschieht  stets  unter  Bedingungen, 
die  ein  weiteres  vegetatives  Wachstum  der  Zelle  nicht  gestatten;  sie 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  59 

ist  gewisserruassen  die  Reaktion  auf  eine  Wachstumshenimung.  Daher 
muss  die  fertige  Spore  auch  erst  in  andere  günstigere  Verhältnisse 
gelangen,  um  ein  neues  Wachstum  zu  beginnen,  um  auszukeimen. 
Die  Art  der  Auskeimung  der  Spore  ist  nicht  unregelmässig,  sondern 
scheint  für  jede  Spezies  konstant  zu  sein.  Beobachtet  ist  dieser  Prozess 
z.  B.  beim  Milzbrandbacillus.  Nach  Peazmowski,  dessen  Schilderung 
sich  leicht  bestätigen  lässt,  verliert  die  Spore  unter  Vergrösserung 
ihres  Volumens  ihre  starke  Lichtbrechung  und  streckt  sich  ein  wenig 
in  die  Länge;  plötzlich  reisst  an  einem  Pole  die  Membran  der  Spore 
und  heraus  tritt  ein  kurzes  Stäbchen,  an  dessen  hinterem  Ende  die 
geborstene  Membran  als  ein  leerer,  etwas  kontrahierter  Schlauch  haften 
bleibt.  Das  Stäbchen  wächst  noch  mehr  in  die  Länge,  teilt  sich:  die 
vegetative  Entwicklung  des  Milzbrandbacillus  hat  damit  von  neuem  be- 
gonnen. Der  ganze  Prozess  verläuft  bei  höherer  Temperatur  (37°)  in  1  bis 
wenigen  Stunden.  Er  findet  sich  in  ähnlicher  Weise  auch  beim  Butter- 
säurebacillus  Peazmowski's  (Fig.  10  iö).  a 

Beim  Heubacillus  (B.  subtilis)  und  verwandten  Bacillen  unterscheidet 
sich  die  Sporenauskeimung  dadurch,  dass  die  Spore  an  einer  Längs- 
seite das  junge  Stäbchen  ausschlüpfen  lässt.  Hier  bleibt  die  leere 
Hülle  noch  längere  Zeit  wie  eine  Haube  dem  Bacillus  aufsitzen  (Fig.  10  15). 
Ein  dritter  Modus  ist  nach  L.  Klein  (C.  6)  folgender:  Die  Spore  ver- 
liert unter  Anschwellung  ihre  Lichtbrechung  und  streckt  sich  in  die 
Länge,  ohne  dass  man  das  Ausschlüpfen  aus  einer  Sporenhaut  bemerkt. 
Wahrscheinlich  wird  dieselbe  langsam  aufgelöst,  ohne  Spuren  zu  hinter- 
lassen (Fig.  10  18). 

Die  Auskeimung  der  Sporen  findet  gewöhnlich  erst  nach  ihrem 
Freiwerden  statt,  Soeokin  hat  indessen  bei  seinem  Spirillum  endo- 
paragogicum  (C.  2.16)  die  Sporen  noch  innerhalb  ihres  Mutterfadens 
auskeimen  sehen  (Fig.  10  19). 

Die  Bedeutung  der  Bildung  von  Sporen  verdient  noch  näher  dis- 
kutiert zu  werden,  da  dieselben  abweichend  von  unserer  Darstellung 
gewöhnlich  nicht  als  einfache  Dauerzustände,  sondern  als  Frukti- 
fikationsformen  betrachtet  werden.  Es  ist  das  letztere  durch  nichts  be- 
gründet, denn  unter  dem  Begriffe  der  Fruktifikation  versteht  man  sonst 
immer  einen  Vorgang,  der  zu  einer  Produktion  mehrerer,  meist  zahl- 
reicher Keime  führt,  also  in  letzter  Linie  der  Vermehrung  der  Indivi- 
duen dient.  Sehr  häufig  sind  die  neugebildeten  Keime  freilich  nebenbei 
durch  besondere  Schutzorgane  gegenüber  schädlichen  äusseren  Einflüssen 
ausgezeichnet,  also  zugleich  Dauerzustände.  Bei  den  Bakteriensporen 
tritt  die  letztere  Bedeutung  ausschliesslich  hervor,  die  sog.  „Sporen" 
stehen  auf  einer  Stufe  wie  die  von  vielen  Protozoen  gebildeten,  nur 
der  Erhaltung  des  Individuums  dienenden  Dauer  Cysten.    Als  einziger 


6Q  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Beweis  gegen  unsere  Auffassung  könnten  die  Angaben  einiger  weniger 
Forscher  (vgl.  A.Koch:  B.  Z. 88)  gelten,  wonach  von  einem  Bakterien- 
individuuin  mehrere  Sporen  gebildet  werden.  Es  sind  das  aber  meist 
nicht  zweifellose  Fälle,  mehr  als  zwei  Sporen  werden  niemals  von  einem 
Stäbchen  entwickelt  (vgl.  Fig.  10  6 — 9).  Über  die  Berechtigung,  den 
Dauerzustand  der  Bakterien  als  „Spore"  zu  bezeichnen,  lässt  sich 
streiten,  an  dem  herrschenden  Sprachgebrauche  dürfte  aber  nicht  leicht 
etwas  zu  ändern  sein. 

Auch  andere  Dinge,  als  die  beschriebenen  endogen  entstehenden 
Gebilde,  sind  von  manchen  Forschern  (de  Baky,  Hüeppe,  van  Tieghem) 
als  Sporen  bezeichnet  worden,  und  zwar  im  Gegensatze  zu  den  erst- 
genannten als  Arthrosporen,  weil  sie  aus  einzelnen  Gliedern  eines 
Bakterienverbandes  hervorgehen  sollten.  Nur  sehr  wenige  und  dann 
auch  noch  zweifelhafte  Thatsachen  lassen  sich  für  diese  Annahme  ins  Feld 
führen.  Wenn  man  freilich  jede  Bakterienzelle,  die,  ohne  Formverände- 
rungen, zu  erleiden,  äusseren  Einflüssen  gegenüber  sich  etwas  dauerhafter 
erweist  als  die  Mehrzahl  der  übrigen  Mitglieder  einer  Kolonie,  Arthro- 
spore nennen  will,  so  giebt  es  diese  in  jeder  Kultur,  auch  von  solchen 
Bakterien,  die  echte  endogene  Sporen  bilden.  Es  sind  das  Individuen, 
die  man  vielleicht  als  Ausnahmezellen  bezeichnen  könnte.  Verlangt 
man  aber  für  die  Arthrosporen  bestimmte  morphologische  Charaktere 
und  einen  erheblich  grösseren  Resistenzgrad,  so  sucht  man  vergebens 
nach  Beispielen  dafür.  Es  wird  zwar  angegeben,  dass  von  den  Zellen 
des  Leuconostoc  mesenterio'ides  einige  in  den  Ketten  regellos 
verteilte  Glieder  etwas  „grösser,  derbwandiger,  mit  anscheinend  dichterem, 
stärker  lichtbrechendem  Inhalt  erfüllt"  wären,  und  dass  gerade  diese 
Elemente  ihre  Lebensfähigkeit  besonders  lange  behielten.  Es  ist  billig 
zu  bezweifeln,  dass  diesen  Unterschieden  ein  erhebliches  Gewicht  bei- 
zulegen ist;  ganz  ähnliche  morphologische  Differenzen  kann  man  bei  allen 
Streptokokken  beobachten,  sie  sind  aber  dem  Grade  nach  äusserst  variabel 
und  der  Nachweis  der  grösseren  Widerstandsfähigkeit  für  die  betreffenden 
Elemente  ist  bisher  nicht  erbracht.  Wie  die  Entwicklungsverhältnisse 
bei  dem  Bakterium  Zopfii  liegen,  wurde  unter  C  erörtert.  VouKurth 
ist  zwar  behauptet  worden  (B.  Z.  83),  dass  die  kugeligen  Endprodukte 
dem  Eintrocknen  gegenüber  einige  Tage  länger  widerständen;  aber  auch 
wenn  man  das  als  einen  wesentlichen  Unterschied  hinnehmen  wollte, 
ständen  der  Beobachtung  selbst  die  Erfahrungen  Schedtler's  (V.  108) 
entgegen,  nach  welchen  die  runden  Formen  geradezu  geringere  Resi- 
stenz besitzen  sollen. 

Weiterhin  glaubt  Winogradsky  (a.  a.  0.)  „kokkenförmige,  stark  licht- 
brechende" Glieder,  die  aus  dem  Zerfall  von  Stäbchen  hervorgehen  sollen, 
bei  Cladothrix   dichotoma  und  Leptothrix   ochracea  gefunden  zu 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  Q\ 

haben  und  schreibt  ihnen  den  Charakter  von  Dauersporen  zu.  Beobach- 
tungen der  Auskeimung  und  Experimente  zum  Beweise  dafür  werden 
aber  auch  von  diesem  Autor  nicht  angeführt.  Von  den  eigenartigen 
Verhältnissen,  die  bei  Crenothrix  zu  bestehen  scheinen,  sehen  wir  hier 
ganz  ab,  da  wir  diesen  Organismus  überhaupt  nicht  zu  den  eigent- 
lichen Bakterien  rechnen  können  (vgl.  Bd.  II,  3.  Abschn.  1.  Kap.). 

Damit  sind  aber  auch  die  Beispiele  erschöpft,  die  zum  Beweise 
einer  Arthrosporenbildung  beizubringen  sind.  Die  Angaben  über  der- 
artige Bildungen  bei  Choleraspirillen,  Diphtheriebacillen  u.  s.  w.  sind  als 
widerlegt  zu  betrachten.  Man  dürfte  keinen  Fehler  begehen,  wenn 
man  diesen  Namen  aus  der  bakteriologischen  Nomenklatur  völlig 
striche.  Die  Möglichkeit,  dass  unter  Umständen  durch  Fragmentation 
der  Bakterienzelle  keimfähige  Produkte  entstehen,  wurde  unter  C 
schon  erwähnt. 

E.  Unregelmässige  Formen. 

Jede  Abweichung  von  der  normalen  Form  wird  bei  den  Bakterien 
gewöhnlich  als  Degeneration  oder  Involution  bezeichnet.  Als 
normale  Formen  sieht  man  dabei  diejenigen  an,  die  in  jungen,  auf  dem 
günstigsten  Nährboden  gewachsenen  Kulturen  beobachtet  werden.  Es 
herrscht  hier  im  allgemeinen  eine  grosse  Einförmigkeit.  Sobald  das 
Maximum  der  Entwicklung  überschritten  ist,  also  die  Bakterienindivi- 
duen älter  zu  werden  beginnen,  und  andererseits  auf  Substraten,  in 
denen  das  Wachstum  von  Anfang  an  ein  spärliches  ist,  pflegen  unregel- 
mässige Bildungen  aufzutreten.  Augenscheinlich  verdanken*  dieselben 
hemmenden,  schädigenden  Einflüssen,  wie  sie  in  alten  Kulturen  durch 
die  bakteriellen  Zersetzungsprodukte  (vgl.  2.  Abschn.  7.  Kap.),  in  un- 
günstigen Nährböden  von  vornherein  gegeben  sind,  ihren  Ursprung. 

Man  ist  wohl  meistens  berechtigt,  den  Vorgang  als  Degeneration 
zu  benennen,  weil  die  umgeformten  oder  missgebildeten  Elemente  eine 
gewisse  Einbusse  an  Lebensfähigkeit  erleiden.  Oft  handelt  es  sich 
direkt  um  absterbende  oder  abgestorbene  Formen,  der  Nachweis  dafür 
muss  aber  in  jedem  einzelnen  Falle  erbracht  werden;  denn  aus  mor- 
phologischen Merkmalen  allein  kann  man,  wie  schon  früher  bemerkt 
wurde,  mit  Sicherheit  nicht  auf  den  Tod  einer  Bakterienzelle  schliessen. 
Z.  B.  giebt  es  Formen,  die  so  missgestaltet  sind,  dass  wir  ihre  Zu- 
gehörigkeit zu  einem  uns  bekannten  Bakterium  kaum  zugeben  möchten, 
und  die  dennoch  durch  lebhafte  Bewegungen  ihr  Leben  bekunden.  Die 
Vereinbarkeit  von  Degeneration  mit  Lebensfähigkeit  wird  durch  die 
Thatsache  bewiesen,  dass  die  Entartung  vererbbar  sein  kann  (vgl.  Kap. 
„Variabilität"). 


62  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Fraglich  muss  es  bisher  bleiben,  ob  nicht  unregelmässige  Bildungen 
umgekehrt  durch  einen  Überschuss  an  Lebenskraft  entstehen  können 
(„Riesenwuchs"  Escheeich1)),  ferner  ob  nicht  manche  anomale  Formen 
als  Anpassungen  der  Bakterien  an  eine  besondere  Funktion,  z.  B.  an 
die  Gährthätigkeit  (Hueppe,  Gährungsformen.  L.L.  107)  aufzufassen  sind. 


V 


2 


Fig.  11.  Unregelmassige  Bildungen  tlnvolutionsl'oimen).  Vewgr.  c.  1000.  1.  Von  B.  proteus 
mirabilis  (Hauser).  2.  Von  Bac.  aceticus  (Hansen).  3.  Spirulinenbildung  bei  Bac.  anthracis 
(Petruschky).  4.  Involutionsfornien  von  Bac.  balophilus  (Russell).    5.  Von  Spirillum  cbolerae 

(VAN  ERMENGHEM). 


Im  einzelnen  sind  etwa  folgende  bemerkenswerte  Abweichungen 
von  der  typischen  Form  zu  verzeichnen  (Fig.  11). 

In  alten  Kulturen  von  Kokken  begegnet  man  oft  Individuen  von 
ausserordentlich  verschiedener  Grösse,  ebenso  auch  in  altem  Eiter, 
in  dem  die  Staphylokokken  nur  noch  spärlich  vorhanden  und  offenbar 
im  Absterben  begriffen  sind.  Pneumoniekokken  bilden  auf  Nährböden, 
die  ihnen  wenig  zusagen,  z.  B.  auf  Blutserum,  manchmal  höchst  sonder- 


1)  Escherich,  Aetiologie  und  Pathologie  der  epidemischen  Diphtherie.  I.  Der 
Diphtheriebacillus.     Wien  1894.    S.  S4. 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  63 

bare  Gestalten,  die  an  Hefe  erinnern,  statt  der  Lanzett-  oft  Semmel- 
formen, statt  Ketten  zooglöaartige  Massen.  Manchmal  scheinen  sich 
die  Elemente  bei  demselben  Mikroorganismus  nicht  die  Zeit  zur  Teilung 
zu  nehmen  und  erscheinen  als  mehr  oder  weniger  lange,  unregelmässige 
Stäbchen  (vgl.  Kruse  und  Pansini:  Z.  11.  283  ff.).  Auch  kolbenförmige 
Bildungen  hat  Babes  (Z.  20.  3)  bei  Streptokokken  beobachtet. 

Bei  Bacillen  kommen  körnige,  kugelige,  spindel-,  keulen-  und 
wurstförmige,  spiralige  und  verästelte  Gebilde  vor,  die  an  Kokken,  Hefen, 
Monaden,  Spirillen  oder  Streptothrix  erinnern  können.  Die  einzelnen 
Spezies  scheinen  sehr  verschieden  stark  zu  solchen  Missbildungen  dispo- 
niert zu  sein.  Einige  Beispiele  mögen  herausgegriffen  werden.  Der  Ba- 
cillus halophilus, den  Russell  (Z.H.  200  ff.)  im  Golfe  von  Neapel  fand, 
ist  ein  beweglicher,  mittelgrosser,  ziemlich  plumper  Bacillus,  der  in  künst- 
lichen Nährböden  je  nach  dem  Alter  der  Kultur  und  der  Zusammensetzung 
des  Substrates  verschiedene  rundliche,  wurstförmige  oder  monaden- 
ähnliche Formen  zeigt  (Fig.  11  4).  Gerade  die  letzteren  sind  besonders 
interessant,  weil  sie  mit  Grund  für  die  Annahme  einer  Verwandtschaft 
der  Bakterien  mit  den  einfachsten  Monadinen  verwertet  werden  können. 
Der  Diphtheriebacillus  bildet  häufig  ganz  charakteristische  keulen- 
förmige Anschwellungen  an  seinen  Enden,  die  von  Neissee  ursprüng- 
lich als  „Gonidien"  bezeichnet  und  mit  der  Fortpflanzung  in  Verbindung 
gebracht,  später  aber  wie  auch  von  den  meisten  übrigen  Autoren  als  Aus- 
druck gestörten  Wachstums  aufgefasst  wurden  (Z.  4.  191).  Der  Bacillus 
pyocyaneus  wächst  in  Fleischbrühe  mit  0,6  %  Borsäurezusatz,  wie 
Wasseezug  (P.  88)  und  Chaeein  gefunden  haben  und  vom  Verfasser  be- 
stätigt werden  konnte,  zu  zickzackförmig,  fast  spiralig  gewundenen  Fäden 
heran.  Es  bedeutet  das  freilich  nicht,  wie  der  französische  Forscher  will, 
die  Umwandlung  der  Bacillen  in  Spirillen,  denn  von  den  schönen  regel- 
mässigen Schraubenwindungen  der  letzteren  sieht  man  hier  nichts;  die 
Beweglichkeit,  die  den  Spirillen  nie  fehlt,  ist  hier  auch  nur  ausnahms- 
weise vorhanden.  Beim  Bac.  prodigiosus  haben  Wasseezug  und  Ver- 
fasser nach  0,2  °/0  Borsäurezusatz  ähnliches  beobachten  können.  Haar- 
fLechtenähnliche  Formen  kennt  man  schon  lange  aus  älteren  Kulturen  von 
fadenbildenden  Bacillen,  z.B.  von  Bac.  anthracis  (Fig.  1.1 3),  ferner  von 
Proteus  vulgaris  und  mirabilis,  wo  sie  als  „Spirulinen"  bezeichnet 
worden  sind  (Hausee,  Fäulnisbakterien.  Leipzig  1885;  Hueppe,  L.  L.; 
vgl.  Fig.  11  1).  Störungen  des  normalen  Wachstums  sind  auch  die 
sonderbaren  Bildungen,  die  beim  Essigbakterium  sehr  häufig  gefunden 
werden  (Fig.  11  2).  Die  teils  aus  kurzen,  teils  aus  langen  Gliedern 
zusammengesetzten  Fäden  zeigen  deutlich,  welche  Unregelmässigkeiten 
der  Teilungsprozess  hier  erfährt.  Ganz  besonders  interessant  sind 
die  verzweigten  Formen  (vgl.  Fig.  12  11—13),  auf  die  man  seit  einiger 


(34  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Zeit  aufmerksam  geworden  ist;  sie  finden  sich  bei  Tuberkelbacillen 
(Metschnikoff:  V.  113;Maffucci:  Z.  11;  Koppen  Jones:  C.  17.1;  Babes: 
Z. 20.3 U.A.),  beiDiphtheriebacillen  (C.Feänkel:  R.95,  Babes).  nach 
Babes  auch  bei  Leprabacillen  und  sogar  bei  Streptokokken  (vgl.  auch 
Tetanus,  Rotz  und  Typhus).  Dass  sie  unregelmässige  Bildungen  sind, 
unterliegt  kaum  einem  Zweifel,  indessen  sind  sie  deswegen  noch  nicht 
als  degenerative,  fortpflanzungsunfähige  Gebilde  zu  betrachten.  Man 
könnte  sie  hervorgegangen  denken  (Neisseb:  Z.  4.2  u.  Babes)  aus  der 
Keimung  von  Sporen  innerhalb  der  Mutterzelle,  wie  wTir  eine  solche 
schon  beim  Spirillum  endoparagogicum  (s.  u.  D)  kennen  gelernt  haben. 
Aber  von  hierher  gehörigen  Bakterien  sind  gerade  Sporen  nicht  bekannt. 
Also  bleibt  nichts  übrig,  als  die  Seitenzweige  als  echte  Sprossungen 
des  Bakterienleib  es  anzusehen,  wie  sie  die  Regel  bilden  bei  der  Gruppe 
der  Streptothricheen.  Es  stellt  sich  bei  den  genannten  Bacillen 
dadurch  eine  Verwandtschaft  mit  der  letzteren  Familie  heraus.  Auch 
das  Vorkommen  keuliger  Anschwellungen  der  Enden  ist  ein  weiteres 
gemeinsames  Merkmal.  Die  übrigen  Momente,  die  für  eine  solche  An- 
näherung der  Streptothricheen  an  die  eigentlichen  Bakterien  sprechen, 
werden  wir  im  systematischen  Teile  (Bd.  II  2.  Abschn.  u.  3.  Abschn. 
1.  Kap.)  zu  erörtern  haben.  Wohl  anderer  Natur  sind  die  gabeligen 
oder  mehrfach  verzweigten  Formen,  die  wir  bei  dem  Bacillus  radici- 
cola  der  Leguminosenwurzeln  antreffen.  Das  sind  eigentümliche  Um- 
Avandlungsprodukte,  die  sich  sehr  erheblich  von  den  Bacillen,  aus  denen 
sie  hervorgehen,  unterscheiden.  Durch  Auflösung  derselben  sollen  nach 
Beobachtungen  im  hängenden  Tropfen  typische  Stäbchen  entstehen  (über 
ihre  Bedeutung  vgl.  Bd.  II). 

Spirillen  weisen  ganz  ähnliche  Degenerationsformen  auf  wie  Bacil- 
len; Fig.  11  5  giebt  z.  B.  diejenigen  wieder,  die  beim  Choleraspirillum 
vorkommen. 

Bisher  war  nur  von  Anomalien  der  Form  die  Rede,  Hand  in 
Hand  damit  gehen  solche  des  Inhalts  der  Bakterienzelle,  das  Auf- 
treten von  Körnelungen,  andererseits  von  Vakuolen  in  dem  sonst  homo- 
genen Bakterienkörper,  die  verschiedene  Reaktion  desselben  bei  der 
Behandlung  mit  Farbstoffen  u.  s.  w.  Wir  verweisen  deswegen  auf  die 
Besprechung  bei  H. 

F.  Bewegungsorgane. 

Eine  grosse  Zahl  von  Bakterien  besitzt  Eigenbewegung,  die  durch 
besondere  Organe,  Geissein,  vermittelt  wird.  Schon  Ehrenberg  hat  bei 
einem,  wenigstens  den  Spirillen  nahe  verwandten  Mikroorganismus,  der 
Ophidomonas   einen  „fadenförmigen  Rüssel  als   Bewegungsorgan"    be- 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  55 

schrieben.  F.  Cohn  konstatierte  dann  bei  einem  grossen  echten  Spi- 
rillum  an  jedem  Ende  eine  Geissei,  die  durch  ihre  Bewegung  einen 
Strudel  erregten  (B.  B.  1.  2.  183).  Dallingee  und  Deysdale  sahen 
solche  bei  kleineren  Bacillen.  R.  Koch  wies  ihre  Existenz  durch  die 
Photographie  nach  (B.  B.  2.  3). 

Ein  ausserordentlicher  Fortschritt  wurde  durch  Löfflee,  angebahnt, 
der  eine  allgemein  giltige  Methode  angab,  um  die  Geissein  durch 
eine  Art  von  Beizung  mit  nachfolgender  Färbung  sichtbar  zu  machen 
(C.  7.  20).  Mit  Hilfe  dieses  neuen  Verfahrens  ist  es  in  allen  Fällen 
gelungen,  bei  beweglichen  Bakterien  solche  Organe  nachzuweisen, 
während  bei  unbeweglichen  nichts  dergleichen  zu  finden  ist.  Damit 
kann  denn  die  von  manchen  Seiten  noch  als  offen  betrachtete  Frage 
(vgl.  Hueppe:  L.  L.  98)  nach  der  Ursache  der  Bewegung  bei  unseren  Or- 
ganismen als  erledigt  angesehen  werden.  Die  Geissein  erscheinen  nach 
Löfflee  gefärbt  als  sehr  zarte  Gebilde,  die  immer  ein  Vielfaches  des 
Dickendurchmessers  ihres  Bakteriums  erreichen,  von  dessen  Körper 
losgerissen  werden  und  sich  zu  grösseren  zopfartigen  Massen  vereinigen 
können  (Fig.  12,  5a;  Löfflee:  C.  7;  Novy:  Z.  17.  2).  Auf  allen,  nach 
der  LöFFLEE'schen  Methode  gefärbten  Präparaten  erscheinen  die  Bak- 
terien bedeutend  dicker,  als  wenn  sie  nach  den  gewöhnlichen  Methoden 
dargestellt  sind.  Möglicherweise  hängt  das  nur  mit  einer  Quellung  der 
Zellen  zusammen.  Nach  BaBes  (Z.  20.  3)  ist  diese  Erscheinung  hin- 
gegen ein  sicheres  Zeichen  für  die  Existenz  einer  Rindenschicht  oder 
Hülle,  von  der  erst  die  Geissein  ausgehen  sollen.1)  Ihre  Zahl  und  An- 
ordnung ist  bei  den  verschiedenen  Spezies  eine  verschiedene.  Man  kann 
mit  Messea'2)  folgende  Typen  aufstellen  (Fig.  12.  1 — 5): 

Monotricha  mit  einer  einzigen  Geissei  am  Pol, 
Amphitricha  mit  je  einer  Geissei  an  beiden  Polen, 
Lophotricha  mit  einem  Büschel  von  Geissein  an  einem  Pol, 
Peritricha  mit  einer  variablen  Zahl  von  Geissein  rings  um  den 
Körper. 

Über  den  Zusammenhang  der  Geissein  mit  dem  Bakterienkörper 
ist  wenig  zu  sagen;  voraussetzen  muss  man,  dass  die  Bewegungsorgane 
protoplasmatische  Gebilde,  nicht  einfache  Ausläufer  einer  starren,  etwa 


1)  In  manchen  Fällen  konstatiert  man  nach  Babes  sogar  noch  eine  zweite 
nach  aussen  gelegene  breite  Hülle,  die  nur  schwach  gefärbt  ist.  Die  Bilder,  auf 
die  sich  der  Autor  bezieht,  sind  Jedermann  wohl  bekannt,  aber  diese  zweite  Hülle 
fehlt  gerade  in  gut  gelungenen,  scharf  gefärbten  Präparaten,  man  darf  sie  daher 
wohl  als  ein  Produkt  der  Präparation  ansehen  (vielleicht  durch  Verschmelzung 
der  Cilien  entstanden?). 

2)  Rivista  d'igiene  e  sanitä  publica.  1S90.  11. 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  5 


66 


Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 


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Fig.  12.  Bewegungsorgane  und  Bau  der  Bakterienzelle.  Vergr.  c.  1000.  1—5.  Geisselfärbung. 
1.  Monotrickes  Bacterium  (Messea).  2.  Lopkotrieke  B.  3.  u.  4.  Ampkitricke  B.  5.  Hülle  mit 
Geissein  (Babes).  5a.  Ein  Geisseizopf  aus  einer  Rausckbrandkultur.  6—8.  „Bakterium  lineola" 
(BÜtschli),  mit  Alkokol  fixiert,  mit  Hämatoxylin  gefärbt:  Membran,  Wabenstruktur  des  Zell- 
körpers und  Centralkörper  sicktbar.  Die  durck  Hämatoxylin  rot  gefärbten  Körncken  liegen 
teils  im  Centralkörper,  teils  im  Plasma.  9.  Durck  Koeksaizlösung  plasmolysierte,  fixierte  und 
gefärbte  Bakterien  (A.Fischer).  10.  Dieselben,  nickt  plasmolysiert.  11.  Verästelte  und  kenlig 
angesckwollene  Bacillen  (Hüknertnberkulose,  Maffdcci).  12.  Aknlicke  Formen  (Dipktkerie  und 
Pseudodipktkerie,  Bares).  13.  Knospenbildung(0  und  keulige  Degenerationsfonnen  von  Strepto- 
kokken (Babes).  14.  Aknlicke  Formen.  15.  Dipbtkeriebacfllen  ebenso  bekandelt.  16.  Ckolera- 
spirillen  ebenso  bekandelt.  17.  Wurzelbacillen  mitMetkylenblau-Bismarckbraun  gefärbt  (Ernst). 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  (37 

aus  Cellulose  bestehenden  Membran  sind.  "Wo  eine  solche  existiert, 
muss  sie  also  von  den  Geissein  durchbrochen  werden;  Tkenkmann  glaubt 
eines  seiner  Photogramme  in  diesem  Sinne  interpretieren  zu  müssen 
(C.  8.  389).  Ein  Beispiel  für  den  Fall,  dass  die  Membran  nur  den 
äussersten  verdichteten  Teil  des  Protoplasmas  repräsentiert  und  wie  bei 
vielen  Flagellaten  kontraktil  geblieben  ist,  führt  Bütschli  (Bau  der 
Bakterien.  Leipzig  90)  an;  die  Geissein  scheinen  hier  von  der  Membran 
auszugehen.  In  jedem  Falle  müssen  die  Geissein  wohl  als  ersetzbar 
gedacht  werden.  Am  nächsten  liegt  die  Vorstellung,  dass  sie  eingezogen 
und  ausgestossen  werden  können;  anders  lässt  sich  wohl  kaum  die  That- 
sache  erklären,  dass  die  Bakterien  in  festem  (und  nicht  verflüssigtem) 
Nährboden  nicht  nur  keine  Bewegung  zeigen,  sondern  auch  nicht  einmal, 
dichtgedrängt  wie  sie  sind,  Platz  haben,  ihre  Geissein  unterzubringen, 
während  sie  doch  in  flüssige  Medien  übertragen  vom  ersten  Moment 
an  beweglich  sind  (vgl.  A.  Fischer:  J.  w.  B.  94). ^ 

Eine  andere  Art  der  Bewegung  als  durch  Geissein,  z.  B.  durch 
Kontraktion  ihres  Leibes,  ist  bisher  bei  Bakterien  nicht  beobachtet 
worden.  Selbstverständlich  findet  beim  Wachstum  auch  eine  Verschie- 
bung von  der  Stelle  statt  (Wachstumsbewegung). 

G.  Kapsel-  und  Zooglöabildung. 

Manche  Bakterien  besitzen  eine  breite  schleimige  Hülle  um  ihren 
Körper,  eine  sog.  Kapsel,  die  namentlich  in  fixierten  und  gefärbten 
Präparaten  deutlich  zu  demonstrieren  ist,  indem  sie  dann  als  breiter, 
heller  oder  mehr  oder  weniger  gefärbter  Hof  das  Bakterium  umgiebt 
(Fig.  13  1 — 3).  In  einer  einzigen  Kapsel  sind  häufig  mehrere  Bakterien- 
individuen, gewöhnlich  in  Form  eines  der  charakteristischen  Verbände 
(Paar,  Kette,  Tetrade),  vereinigt.  Sehr  eigentümlich  ist  die  einseitig 
erfolgende  Schleimbildung  bei  dem  B.  pediculatus  (A.  Koch  und 
Hosaeus:  C.  16.  6),  der  dadurch  ein  gestieltes  Aussehen  erhält  (Fig.  13  4). 
Aber  auch  mehrere  solcher  Verbände  können  zu  einer  Hülle  ver- 
schmolzen sein.  Schliesslich  entstehen  durch  Zusammenlagerung  vieler 
Individuen  ganze  Schleimkolonien,  sog.  Zooglöen.  Die  Menge  und 
Konsistenz  der  Bindemasse   wechselt    ebenso    sehr  wie    die  Form  der 


1)  Über  eigentümliche  Mikroorganismen  mit  dicken,  schwanzförmigen  An- 
hängen (Vibrio  [?]  spermatozoides)  s.  Löfpler:  C.  7.  637 ff.  Über  spermatozoenartige 
Gebilde  in  Kulturen  von  typhusähnlichen  Bacillen  vgl.  Gebmano  und  Maurea: 
Zi.  12.  517.  Während  die  Bakterien-Geissein  im  allgemeinen  wellig  gekrümmt 
sind,  erscheinen  sie  regelmässig  kreisförmig  gebogen  bei  der  Sarcina  mobilis 
(M aurea:  C.  11.  230). 

5* 


68 


Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 


gesamten  Kolonie.  In  stehendem  Wasser,  das  an  organischen  Stoffen 
reich  ist,  entwickeln  sich  gewöhnlich  solche  Zooglöen  geradezu  massen- 
haft. Einige  charakteristische  Formen  seien  hier  herausgegriffen.  Kugelige 


Fig.  13.    Bakterien  in  Kapseln  u.  Zooglöen.     1 — 6  stark,  7—8  schwach  vergrössert. 
1 — 3.  Kapseltragende  (gefärbte)  Kokken  u.  Bacillen,    i.  Gefärbte  Stäbchen  (a)  mit  einer  stiel- 
artig ausgebildeten  und  verzweigten  Hüllsubstanz  (Bact.   pediculatum   [Koch  u.  Hosaeüs]). 
5.  Leuconostoc  inesenterioides.   6.  Myconostoc  gregarium.   7.  Zoogloea  ramigera  der  Autoren. 
8.  Ascokokkus  Billrothii  (Cohn). 


Zooglöen  von  verschiedener  Grösse  sind  sehr  gemein,  auch  eine  baum- 
artig verästelte  Form  ist  oft  als  Zoogloea  ramigera  beschrieben 
(Fig.  13  7).  Der  Ascokokkus  Billrothii  bildet  knorpelartig  harte  Kolo- 
nien, die  oft  zu  Familien  vereinigt  sind  (Fig.  13  s).  Meist  werden  die 
Zooglöen  zw|tr  von  gleichartigen  Elementen,  sei  es  von  Kokken,  Bacillen 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  69 

oder  Spirillen,  erzeugt,  nicht  selten  beobachtet  man  aber  auch  mehrere 
Spezies  in  einer  Gallerte  verbunden  (R.  Koch:  B.  B.  2.  415).  Die  Bak- 
terien innerhalb  einer  Zooglöa  sind  selbstverständlich  unbeweglich,  mit 
Bewegung  begabte  Arten  müssen  erst  in  den  ruhenden  Zustand  über- 
gehen, um  Schleimkolonien  zu  bilden. 

Wenn  man  früher  auf  die  Fähigkeit  der  Bakterien  zur  natürlichen 
Zooglöabildung  einen  solchen  Wert  legte,  dass  Cohn  sie  geradezu  in 
zwei  Familien:  die  der  Grloeogenae  und  Nematogenae,  einteilte,  so 
ist  das  jetzt  nicht  mehr  angängig,  weil  die  künstliche  Kultur,  bei  allen 
überhaupt  züchtbaren  Bakterien  die  Möglichkeit  der  Zooglöabildung 
bewiesen  hat.  Denn  was  sind  die  Kolonien  auf  festen  Nähr- 
böden anders  als  Zooglöen?  Dass  aber  unsere  Mikroorganismen  auch 
in  flüssigen  Medien  sämtlich  Schleim  zu  secernieren  vermögen,  beweisen 
allein  schon  die  verschiedenen  Arten  der  Bakterienverbände,,  wie  wir 
sie  geschildert  haben.  Die  für  die  Staphylokokken  charakteristischen 
Häufchen,  die  Ketten  der  Streptokokken,  die  Fäden  der  Milzbrand- 
bacillen  sind  Ansätze  zur  Zooglöabildung.  Die  Bakterienhäutchen,  die 
sich  an  den  Oberflächen  von  Nährflüssigkeiten  entwickeln,  bilden  weiter- 
hin mit  ihrer  grösseren  Ausdehnung  und  reichlicheren  Produktion  von 
Zwischensubstanz  den  Übergang  zu  den  echten,  d.  h.  ursprünglich  so 
genannten  Zooglöen. 

Auf  die  nähere  Beschaffenheit  der  Kolonien  in  künstlichen  Nähr- 
böden, die  für  unsere  heutige  Systematik  eine  grosse  Bedeutung  ge- 
wonnen hat,  wird  im  1.  Kap.  d.  3.  Abschn.  d.  II.  Bd.  einzugehen  sein. 

Die  Frage  nach  der  Entstehung  der  schleimigen  Hülle  derBakterien 
führt  uns  zur  Besprechung  des  Baues  der  Bakterienzelle. 

H.  Bau  der  Bakterienzelle. 

Die  Bakterien  erscheinen,  im  frischen  Zustande  in  wässrigen  Flüssig- 
keiten ohne  Zusatz  von  Reagentien  untersucht,  mit  wenigen  Ausnahmen 
als  leichtgraue,  durchaus  homogene  Körper  von  geringem  Lichtbrechungs- 
vermögen, die  keine  Differenzierung  in  Kern,  Protoplasma  und  Membran 
erkennen  lassen.  Regelmässig  zeigen  sie  bei  genauer  Betrachtung  einen 
helleren,  gänzlich  farblosen,  schmalen  Hof,  der  mit  Unrecht  von  einigen 
Autoren  als  Kapsel  bezeichnet  wird.  Es  handelt  sich  hier  vielmehr 
um  eine  rein  optische  Erscheinung,  die  man  bei  kleinsten,  nicht  organi- 
sierten Körnchen  aller  Art  ebenfalls  bemerken  kann  und  die,  sei  es 
durch  Interferenz,  sei  es  durch  Reflexion,  von  der  äusseren  Fläche  aus 
erklärt  worden  ist  (vgl.  Nägeli  und  Schwendener,  Das  Mikroskop. 
Leipzig  1877). 


70  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Die  eigentliche  Kapsel,  von  der  schon  im  vorhergehenden  Kapitel 
die  Rede  war,  ist,  selbst  wenn  sie  recht  stark  entwickelt  ist,  wie  z.  B. 
bei  dem  Mikrokokkus  tetragenus,  im  frischen  Präparat  überhaupt  nicht 
direkt  zu  sehen,  man  erkennt  sie  aber  daran,  dass  die  einzelnen  Bak- 
terienindividuen resp.  Verbände,  wenn  sie  frei  schwimmen,  immer  in 
einem  verhältnismässig  grossen  Abstände  von  einander  bleiben,  also 
durch  ein  unsichtbares  Hemnis  vor  der  Berührung  bewahrt  werden. 
Dieses  letztere  ist  eben  die  Schleimhülle,  die  erst  im  fixierten  und  ge- 
färbten Präparat  leicht  sichtbar  gemacht  werden  kann,  neben  der  aber 
der  oben  erwähnte  viel  schmälere  Lichthof  um  die  Zellkörper  herum 
deutlich  zu  erkennen  ist.  Die  Hülle  niuss  aufgefasst  werden  als  ein 
Produkt  der  Bakterienzelle,  das  bald  reichlicher,  bald  spärlicher  ge- 
bildet wird,  aber  wohl  niemals  gänzlich  fehlt  (vgl.  G.  S.  67).  Gewöhnlich 
bezeichnet  man  sie  als  ein  Umwandlungsprodukt  der  äussersten  Zell- 
schicht und  zwar  der  Bakterienmembran,  deren  Existenz  freilich 
meist  ohne  weiteres  vorausgesetzt  wird.  Durch  die  Beobachtung  nach- 
weisen lässt  sich  eine  solche  nur  ausnahmsweise,  so  z.  B.  bei  einigen 
sehr  grossen  Organismen,  die  von  Feenzel  (Z.  11)  und  Bütschli  (Bau 
derBakterien.  Leipzig  1890)  als  Bakterien  beschrieben  worden  sind;  ferner 
bei  Beggiatoa  und  Cladothrix.  Teenkmann  (C.  8)  hat  bei  einem  grossen 
Spirillum,  dessen  Geissein  durch  eine  besondere  Färbungsmethode  sicht- 
bar gemacht  waren,  gefunden,  dass  diese  Bewegungsorgane  eine  deutlich 
vom  Bakterienkörper  abgehobene  Membran  durchbohrten. 

Für  das  Vorhandensein  einer,  wenn  auch  nur  sehr  dünnen  Membran, 
auch  bei  den  kleinsten  Bakterien,  sprechen  einige  Thatsachen,  die  sich 
unter  günstigen  Bedingungen  beobachten  lassen,  nämlich  erstens  das 
Vorkommen  von  sog.  Schatten,  d.  h.  scheinbar  leeren,  aber  doch  scharf 
begrenzten  Bakterienzellen,  die  in  absterbenden  Kulturen  gefunden 
werden  und  die  sich  durch  Austritt  des  Plasmas  aus  einer  zurück- 
bleibenden Membran  erklären  lassen.1)  Ahnlich  ist  das  Bild  bei  Bak- 
terien, die  Sporen  entwickelt  haben:  der  Inhalt  der  Mutterzelle  hat 
sich  völlig  in  die  Spore  hinein  koncentriert,  während  ihr  Umriss  er- 
halten geblieben  ist.  Hierher  gehören  ferner  gewisse  Degenerations- 
formen, namentlich  solche,  bei  denen  offenbar  eine  Schwellung  des  Um- 
fangs  der  Zelle  eingetreten  ist.  Manchmal  erkennt  man  bei  diesen  eine 
blasenartig  aufgetriebene  Membran,  andere  Male  ist  von  einer  eigent- 
lichen Auftreibung  der  Zelle  nicht  die  Rede,    der  Inhalt   scheint  sich 


1)  Bütschli  hat  diesen  Vorgang  bei  einer  den  Bakterien  nahestehenden  grossen 
Form,  Chromatium  Okenii  (vgl.  Purpurbakterien  im  1.  Kap.  d.  3.  Abschn.  d. 
II.  Bds.)  durch  Druck  auf  die  Zelle  unter  dem  Mikroskop  hervorrufen  können 
(a.  a.  0.  S.  8). 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  71 

vielmehr  zusammengezogen  und  Lücken  gebildet  zu  haben,  die  teil- 
weise nach  aussen  hin  nur  von  einem  zarten  Kontur,  eben  der  sup- 
ponierten  Membran,  begrenzt  werden.  Derartige  Vorgänge  erinnern  an 
die  Plasmoly  s  e  bei  höheren  Organismen  und  können  auch  hier  künstlich 
durch  Zusatz  von  starken  Salzlösungen  zu  den  frischen  Zellen  hervor- 
gerufen werden  (A.Fischer,  Ber.  der  sächs.  Ges.  der  Wiss.  Leipzig  1891 
u.  J.  w.  B.  94.  Fig.  3  9).  Sehr  häufig  verläuft  freilich  nach  des  Verf.s  Be- 
obachtungen die  Erscheinung  nicht  so  typisch,  wie  sie  nach  Fischers  Ab- 
bildungen erscheinen  könnte.  Die  Zellen  reagieren  zwar  auf  den  Zusatz 
von  Salzlösungen  durch  Zusammenziehung,  dieselbe  ist  aber  eine  gleich- 
massige  und  führt  nicht  zur  Abhebung  einer  Grenzschicht,  sondern  die 
Bakterien  erscheinen  im  ganzen  stärker  lichtbrechend  und  kleiner.  Auch 
mit  diesem  Bilde  Hesse  sich  die  Annahme  der  Existenz  einer  Membran 
vereinigen.  Es  wäre  nur  die  Hilfshypothese  nötig,  dass  die  Membran 
elastisch  wäre.  Dafür  spricht  mancherlei.  Aus  der  ausserordentlichen 
Biegsamkeit,  die  die  Bakterien,  besonders  viele  spontan  bewegliche,  bei 
Bewegungen  zeigen,  müsste  man  schon  auf  eine  solche  Beschaffenheit 
der  Grenzschicht  schliessen.  Die  Elastizität  mancher  Sporenhüllen  wurde 
schon  früher  berührt,  man  kann  sie  direkt  unter  dem  Mikroskop  kon- 
statieren, wenn  man  sieht,  wie  vor  dem  Auskeimen  die  Spore  anschwillt 
und  wie  nach  dem  Ausschlüpfen  des  jungen  Bacillus  die  zurückbleibende 
Haut  sich  zusammenzieht.  Dass  die  Membran  aber  nicht  blos  aus  elas- 
tischer, sondern  sogar  aus  kontraktiler  Substanz  bestehen  kann,  folgt 
aus  der  Thatsache,  dass  die  Geissein  manchmal  unmittelbar  aus  der 
Membran  entspringen  (vgl.  u.  F). 

Wenn  nach  alledem  die  Wahrscheinlichkeit  besteht,  dass  den  Bak- 
terien im  allgemeinen  eine  Membran  zukommt,  so  weist  dieselbe  in 
ihren  Eigenschaften  doch  erhebliche  Unterschiede  gegenüber  der  Mem- 
bran der  Pflanzenzellen  auf.  Die  mikroskopische  Cellulosereaktion 
gelingt  nicht,  daher  kann  auch  der  Umstand,  dass  die  Bakterien  sich 
verdünnten  Alkalien  gegenüber  gewöhnlich  sehr  widerstandsfähig  er- 
weisen, nicht  als  Beweis  für  eine  celluloseartige  Beschaffenheit  der 
Membran  angesehen  werden.  Es  liegt  näher,  diese  Resistenz  auf  die 
molekulare  Konstitution  des  Bakterienleibes  selbst  zurückzuführen; 
für  einige  Spezies  sind  wir  gewungen,  diese  Hypothese  anzunehmen, 
nämlich  für  diejenige  Bakterien,  die  bei  höheren  Temperaturen  (50 — 
70°  C.)  wachstumsfähig  sind  (vgl.  2.  Kap.  d.  2.  Abschn.  dies.  Bds.). 
In  demselben  Sinne  sprechen  die  Thatsachen,  die  bezüglich  der  Er- 
haltung der  Lebensfähigkeit  des  Bakterienprotoplasmas  nach  Ein- 
wirkung excessiver  Wärmegrade  bekannt  sind.  Von  den  vegetativen 
Formen  der  Kokken,  Bacillen  und  Spirillen  gilt  das  in  gleicher,  nur 
quantitativ  verschiedener  Weise,    wie    von   den   Sporen.     Die  ersteren 


72  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen, 

können  Temperaturen  von  60°,  die  letzteren  gar  von  100°  einige  Zeit 
ertragen,  ohne  wie  sonst  alles  lebende  Protoplasma  abgetötet  zu  werden. 
Die  in  jedem  Falle  recht  zarte  Membran  kann  daran  nicht  schuld  sein, 
sondern  nur  die  Beschaffenheit  der  Leibessubstanz.  Ob  der  Unter- 
schied einzig  und  allein  in  dem  geringeren  Wassergehalt  der  Zelle  bei 
den  Bakterien  zu  suchen  ist,  wie  das  besonders  für  die  Sporen  behauptet 
worden  ist  (Lewith:  A.  P.  26),  niuss  dahingestellt  bleiben. 

Was  sich  mit  Hilfe  des  Mikroskops  von  Strukturverhältnissen  im 
Körper  der  Bakterien  sonst  entdecken  lässt,  ist  Folgendes.  Es  hat  an 
Versuchen  nicht  gefehlt,  die  Ergebnisse  der  neueren  Zellenlehre  auch 
auf  unsere  Mikroorganismen  anzuwenden.  So  hat  z.  B.  Bütschli  bei 
einigen  Bakterien  der  grössten  Art  den  „wabigen  Bau"  des  Plasmas, 
den  er  für  die  Zelle  im  allgemeinen  postuliert,  wiedergefunden  und 
einen  sehr  voluminösen  „Centralkörper"  darin  als  Kern  beschrieben 
(Fig.  12  6 — 8).  Bei  den  kleineren  Bakterien,  bei  denen  die  Beobachtung 
im  Stich  lässt,  möchte  der  Autor  die  Existenz  einer  sehr  «Hinnen  Plasma- 
schicht um  den  als  Kern  aufzufassenden,  allein  deutlich  sichtbaren  und 
färbbaren  Körper  herum  annehmen.  Auch  andere  Forscher  (Klebs, 
Huppe:  L.L.,  Frenzel:  Z.  11,  Wahrlich:  r.  C.  11.2,Zettnow:C.  10.  21, 
Sjöbring:  C.  11.  3/4)  haben  hauptsächlich  auf  Grund  der  leichten  Tingir- 
barkeit  der  Bakterien  durch  Kernfärbemittel  die  Bakterienleiber  als 
Kerne  interpretiert.  Uns  scheint  durch  diese,  zweifelhaften  Analogien 
zu  Liebe  gegebene  Deutung  wenig  gewonnen  zu  sein.  Wenn  man 
überhaupt  das  übliche  Zellschema  als  absolut  bindend  betrachten,  also 
eine  kernlose  Zelle  nicht  gelten  lassen  will,  so  liegt  es  viel  näher  nach 
Analogie  mit  anderen  niedrigstehenden,  nicht  mit  einem  unzweifel- 
haften Kern  versehenen  Organismen  nach  einem  Äquivalent  des 
Kerns  im  Innern  des  Körpers  zu  suchen,  als  sich  aus  dem  ganzen 
sichtbaren  Körper  ein  Monstrum  von  Kern  zu  konstruieren,  das  dann 
mit  einer  Spur  unsichtbaren  Plasmas  umgeben  sein  soll.  An  Versuchen 
auch  nach  jener  Richtung  hin  hat  es  nicht  gefehlt,  ohne  dass  freilich 
sichere  Resultate  gewonnen  wären.  Schottelius  (C.  4.  23)  unterscheidet 
in  der  Bakterienzelle  ein  in  der  Mitte  liegendes  sehr  feines  „Kern- 
stäbchen", das  Farbstoffe  intensiver  anfnehmen  soll,  von  einer  breiten 
Schicht  weniger  stark  färbbaren  Protoplasmas.  Verfasser  hat  sich  Mühe 
gegeben,  diesen  Befund  zu  bestätigen,  hat  aber  aus  frischen  Präparaten 
eher  den  Eindruck  gewonnen,  dass  die  centrale  Zone  der  Bakterien 
von  einer  weniger  lichtbrechenden  Substanz  eingenommen  ist,  als  von 
einem  dichteren  Kern;  im  gefärbten  Objekt  kommen  zweifellos  Bilder 
vor,  wie  sie  Schottelius  beschreibt,  oft  aber  auch  geradezu  entgegen- 
gesetzte, d.  h.  mit  stärker  gefärbter  Aussenschicht  und  schwächer  ge- 
färbter Innenschicht.   Das  würde  dann  eher  mit  der  Auffassung  Migula's 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  73 

übereinstimmen,  der  beim  Studium  eines  grossen  Bacillus  (C.  C.  1.  6) 
im  Gegensatze  zu  Bütschli  und  Schottelius  junge  Individuen  gänzlich 
strukturlos  fand  und  bei  älteren  im  Centrum  eine  grosse  Vakuole,  die 
von  unverdaulichen,  mit  dem  Chromatin  verwandten  Körnchen  umgeben 
war,  konstatierte  (vgl.  auch  A.  Fischer,  J.  w.  B.  94). 

Noch  weiter  wie  Schottelius  gehen  Tramububsti  und  Galeotti, 
die  bei  einem  Wasserbacillus  nicht  nur  einen  deutlichen  Kern,  sondern 
auch  zum  ersten  Mal  eine  typische  karyokinetische  Kernteilung  gefunden 
haben  wollen.  Die  Figuren,  die  sie  dazu  geben,  überzeugen  gerade 
nicht  (C.  11.  23). 

Nicht  einen  konstanten,  aber  doch  sehr  häufigen  Befund  bilden 
bei  vielen  Bakterien  in  der  Ein-  oder  Mehrzahl  vorkommende  Körner 
verdichteten  Protoplasmas,  die  kernfärbende  Mittel  besonders  stark 
anziehen  (Ernst:  Z.  4.  1  und  5.  3;  Neisser:  Z.  4.  2;  Babes:  Z.  5.  1  und 
20.  3;  Bütschli:  a.  a.  0.;  vgl.  über  die  Färbungsverfahren  in  den  „Me- 
thoden"). Sie  sind  teils  als  Äquivalente  des  Kerns,  teils  als  Phasen 
der  Sporenbildung,  teils  als  Produkte  der  Zelldegeneration  aufgefasst 
worden,  und  es  ist  wohl  möglich,  dass  alle  diese  Deutungen  in  ein- 
zelnen Fällen  zu  Recht  bestehen,  dass  wir  es  also  trotz  des  anscheinend 
gleichartigen  mikrochemischen  Verhaltens  mit  Bildungen  ganz  ver- 
schiedener Art  zu  thun  haben.  Bei  der  Inkonstanz  des  Befundes  (vgl. 
Fig.  12  6,  7,  12 — 17)  dürften  diese  ERNST'schen  Körner  für  die  Frage 
der  Kernhaltigkeit  der  Bakterien  nur  von  geringerem  Interesse  sein. 
Die  Bedeutung  der  körnigen  Elemente  im  Bakterienkörper  für  die 
Sporenbildung  wurde  schon  in  einem  früheren  Abschnitte  besprochen  und 
ebenda  auch  der  fälschlich  als  Sporen  beschriebenen  „Polkörner"  (vgl. 
Typhusbacillus)  und  „Arthrosporen"  gedacht. 

Nach  diesen  mehr  oder  weniger  hypothetischen  Erörterungen,  die 
durch  das  grosse  theoretische  Interesse  des  Gegenstandes  entschuldigt 
werden  mögen,  wäre  über  den  Inhalt  der  Bakterienzelle  noch  einiges 
zu  bemerken.  Normalerweise ,  d.  h.  unter  günstigen  Wachstums- 
bedingungen erscheint  der  Körper  fast  aller  Bakterien  durchaus  homogen. 
Eine  regelmässige  Ausnahme  davon  machen  vor  allem  die  sog.  Schwefel- 
bakterien (Beggiatoa,Thiothrix)  die  aus  Schwefelwasserstoff  den  Schwefel 
abspalten  und  als  Reservematerial  in  Form  stark  glänzender,  runder 
Körnchen  in  ihrem  Leibe  aufspeichern,  um  ihn  erst  bei  eintretendem 
Mangel  von  Schwefelwasserstoff  zu  Schwefelsäure  zu  oxydieren 
(Winogradsky  :  B.  Z.  87.  31—37).  Hat  die  Ansammlung  von  Schwefel 
ihren  Höhepunkt  erreicht,  so  erscheinen  die  Bacillenfäden  fast  schwarz, 
von  Gliederung  in  Einzelindividuen  ist  dann  nichts  zu  sehen.  Ist  der 
Reservestoff  aber  völlig  oxydiert,  oder  werden  die  Schwefelkörnchen 
durch  Alkohol  entfernt,  so  tritt  die  Struktur  wieder  hervor,  die  einzelnen 


74  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Stäbchen  haben  dann  ein  homogenes  Aussehen.  Bei  absterbenden 
Exemplaren  werden  die  Schwefelkörnchen  eckig,  undeutlich  krystalli- 
nisch.  Auch  andere  Bakterien  verlieren  unter  Umständen  ihr  gleich- 
massiges  Aussehen,  bilden  Körnchen  verschiedener  Grösse  und  blasige 
Hohlräume  (Vakuolen).  Es  tritt  das  physiologischer  Weise  ein  bei  der 
Vorbereitung  zur  Sporenbildung  (vgl.  u.  D)  und  pathologischer  Weise 
beim  Absterben,  bei  der  Degeneration.  Am  schönsten  lassen  sich  diese 
Vorgänge  natürlich  bei  den  grössten  Arten  der  Bacillen  und  Spirillen 
beobachten.  Die  Veränderungen  der  Form,  die  das  Absterben  häufig 
begleiten,  wurden  schon  früher  besprochen  (E). 

Das  Lichtbrechungsvermögen  der  Bakterien  ist  unter  normalen 
Bedingungen  ein  massiges,  nur  die  Sporen  nehmen  durch  Verdichtung 
ihres  Plasmas  regelmässig  einen  sehr  starken,  Fetttropfen  ähnlichen  Glanz 
an.  Aber  auch  die  vegetativen  Formen  werden  unter  Umständen  stärker 
lichtbrechend,  wie  man  sich  leicht  experimentell  überzeugen  kann,  wenn 
man  dem  frischen  Objekt  eine  koncentriertere ,  z.B.  5proz.  Kochsalz- 
lösung zusetzt.  Der  Vorgang,  dessen  schon  früher  unter  dem  Namen 
Plasmolyse  (A.  Fischer)  Erwähnung  gethan  wurde,  verläuft  häufig  so, 
dass  eine  gleichmässige  Zusammenziehung  des  ganzen  Bakterienkörpers 
entsteht;  bei  manchen  Individuen  tritt  dagegen  eine  Zerreissung  in 
stärker  brechende  Teilstücke  auf,  die  durch  Lücken  von  verschiedener 
Form  von  einander  getrennt  sind  (vgl.  Fig.  12  9  u.  io).  Das  normale 
Aussehen  kann  durch  Zurückgehen  auf  die  ursprüngliche  Koncentration 
des  Mediums  wieder  hergestellt  werden,  Der  Plasmolyse  ähnliche  Er- 
scheinungen kommen  auch  spontan  in  künstlichen  oder  natürlichen 
Kulturen  vor.  Sie  lassen  sich  aber  nur  teilweise  auf  die  durch  Ver- 
dunstung zunehmende  Koncentration  der  Salze  in  den  Nährböden  zu- 
rückführen. ■  In  anderen  Fällen  handelt  es  sich  um  eine  Umlagerung 
der  Substanzen  innerhalb  des  Bakterienleibes,  die  das  Absterben  be- 
gleitet. Unter  den  Abbildungen  in  Fig.  12  n  u.  12  sind  auch  die  merk- 
würdigen Formen  wiedergegeben,  die  beim  Diphtherie-,  Tuberkelbacillus 
und  Verwandten  häufig  gefunden  werden.  Die  Stäbchen  erscheinen, 
wie  zerhackt  in  kurze,  fast  scheibenförmige,  die  Farben  fixierende  Ele- 
mente („Chromatinbanden"). 

Der  Körper  der  Bakterien  ist  im  allgemeinen  farblos  und  er- 
scheint bei  mikroskopischer  Beobachtung  der  einzelnen  Elemente  auch 
dann  noch  so,  wenn  durch  die  Thätigkeit  der  Bakterien  ein  Pigment 
gebildet  wird,  das  den  Kolonien  bei  Betrachtung  mit  blossem  Auge 
oder  schwacher  Vergrösserung  anhaftet,  ohne  in  die  Nährlösung  sich 
zu  verbreiten.  Der  Grund  dafür  liegt  entweder  in  der  schwachen  Kon- 
centration des  Farbstoffes  oder  in  dem  Umstände,  dass  nur  die  Zooglöa 
den  letzteren  (und  zwar  in  Form  von  unregelmässigen  Körnern)  aufge- 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  75 

speichert  enthält.  Nach  Schottelius  (Biolog. Untersuch,  über  Prodigiosus. 
Leipzig  1887)  ist  beim Bac.  prodigiosus  die  Zelle  selbst  ursprünglich  blass- 
rot und  das  Pigment  findet  sich  erst  später  zwischen  den  Zellen.  Bei 
den  sog.  Eisenbakterien  (Leptothrix  ochracea;  Winogeadsky:  B.  Z.  88) 
wird  in  der  die  Bakterien  umgebenden  Scheide,  nicht  im  Innern  der  Zellen 
das  in  der  umgebenden  Flüssigkeit  gelöste  kohlensaure  Eisenoxydul  als 
rotes  Eisenoxydhydrat  niedergeschlagen;  wenn  das  Wasser  auch  noch 
Schwefelwasserstoff  enthält,  zugleich  Schwefel  in  körniger  Form  („Pseudo- 
Schwefelbakterien"  Winogradsky's). 

Bezüglich  der  den  echten  Bakterien  nahe  verwandten  chlorophyll- 
ha  ltigen  Mikroorganismen,  sowohl  der  wenigen  grünen  Formen  als  der 
zahlreichen  und  vielgestaltigen  „Purpurbakterien",  sei  auf  das  1.  Kapitel 
d.  3.  Abschn.  d.  IL  Bds.  verwiesen. 

Die  chemische  Zusammensetzung  des  Bakterienleibes  wird  in  einem 
späteren  Abschnitte  zu  besprechen  sein  (vgl. Kap.  2.  d.  2.  Abschn.).  Uns  in- 
teressieren hier  einige  Reaktionen,  die  für  die  mikroskopische  Unter- 
suchung unserer  Organismen  grosse  Bedeutung  gehabt  haben  und  noch 
haben.  Bevor  die  Färbetechnik  so  ausgebildet  war,  wie  heutigen  Tages, 
benutzte  man  zur  Erkennung  der  Bakterien  im  Gewebe  die  Beobach- 
tung, dass  sie  durch  verdünnte  Alkalien  nicht  zerstört  werden,  wäh- 
rend die  allermeisten  organisierten  Gebilde  dadurch  zum  Verschwinden 
gebracht  werden.  Es  ist  das  eine  Regel,  die  nur  wenige  Ausnahmen 
zu  erleiden  scheint.  Ein  solches  Beispiel  hat  Verfasser  in  den  Bakterien 
gefunden,  die  sehr  häufig  in  den  roten  Blutkörperchen  des  Frosches 
schmarotzen  (Kruse:  V.  120).  Auch  Jodlösung  wurde,  namentlich 
früher,  in  der  Technik  viel  verwendet,  sie  färbt  die  Bakterien  gewöhnlich 
blassgelb.  Nur  einige  Spezies  reagieren  darauf  mit  Blaufärbung  und 
zeigen  dadurch  einen  Stärkegehalt  an  (Jodokokkus  vaginatus,  Bac.'maxi- 
mus  buccalis  [Millek],  Bac.  Pasteurianus  [Hansen],  Vibrio  Rugula  und 
Clostridium  butyricum  vor  der  Sporenbildung  [Peazmowski]). 

Praktisch  viel  wichtiger  geworden  sind  die  eigentlichen  Färbe- 
mittel, besonders  die  basischen  Anilinfarben  (vgl.  „Methoden").  Die  Theorie 
der  Färbung,  die  Folgerungen  aus  Farbenreaktionen  auf  die  Struktur 
der  Bakterien  sind  vorläufig  noch  sehr  hypothetischer  Natur  (vgl. 
Unna:  C.  3;  Hueppe:  L.L.).  Die  Aufstellung  „spezifischer"  Tinktionen 
hat,  wie  das  oben  erwähnte  Beispiel  der  EuNST'schen  Kernfärbung  beweist, 
nur  zu  sehr  zweifelhaften  Schlüssen  geführt.  Gewisse  Behandlungsmetho- 
den, wie  die  zur  Darstellung  der  Tuberkel-  und  Leprabacillen  feenutzten 
und  die  GKAM'sche  Methode,  sind  so  eingreifend,  dass  man  sich  immer 
die  Möglichkeit  der  Entstehung  von  Kunstprodukten  vor  Augen  halten 
sollte.   Die  „Kokkothrix"-Forrn  einiger  Autoren  dürfte  namentlich  hier- 


7(3  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

her  gehören  (Unna1)  und  Neissee1).  Als  eine  der  sicheren  Erfahrungen, 
die  bisher  auf  diesem  Gebiete  gewonnen  sind,  dürfte  der  Satz  gelten, 
dass  diejenigen  Bakterienformen,  die  sich  schwer  färben  und  ebenso 
schwer  wieder  entfärben  lassen  (die  echten  Dauersporen  und  die  Tu- 
berkelbacillen),  im  lebenden  Zustande  eine  besondere  Resistenz  be- 
kunden, weniger  wohl  wegen  Vorhandenseins  einer  widerstandsfähigen 
Membran,  als  wegen  der  molekularen  Beschaffenheit  ihrer  Sub- 
stanz. Die  GEAM'sche  Färbungsmethode  hat,  wie  man  später  sehen 
wird,  nicht  nur  eine  grosse  diagnostische  Bedeutung,  sondern  auch  einen 
gewissen  Wert  für  die  Systematik  der  Bakterien,  indessen  hat  sich 
herausgestellt,  dass  die  Reaktion  nicht  nach  Art  einer  chemischen  ent- 
weder positiv  oder  negativ  ausfällt,  sondern  dass  Übergänge  existieren, 
ja  dass  die  einzelne  Spezies  sich  unter  Umständen  sogar  verschieden 
verhalten  kann  (vgl.  im  speziell.  Teil  bei  Diphtherie,  Rhinosklerom, 
Bac.  coli,  malignem  Ödem  u.  a.).  Degenerierende  Bakterien  zeigen  gegen- 
über den  Farben  ein  von  dem  typischen  durchaus  abweichendes  Verhalten 
(vgl.  Beäm:  Zi.  7).  Sie  färben  sich  entweder  gar  nicht  oder  unregel- 
mässig, oder  schwerer  als  gewöhnlich;  das  gilt  sowohl  für  die  gewöhn- 
lichen Färbungen  als  für  die  GßAM'sche  und  Tuberkelmethode. 

J.  Kreislauf  der  Formen,  Formkonstanz  und  Pleomorphismus. 

Seit  dem  Beginn  der  bakteriologischen  Forschung  haben  sich  zweierlei 
Anschauungen  gegenüber  gestanden.2)  Die  eine,  wesentlich  vertreten 
von  F.  Cohn  (B.  B.  I.  2;  II.  2)  und  später  von  R.  Koch  und  seiner 
Schule,  nahm  an,  dass  sich  die  Bakterien  gleich  anderen  Organismen  in 
wohl  charakterisierte  Arten  einreihen  Hessen,  die  sich  in  ihren  biologi- 
schen und  morphologischen  Eigenschaften  unveränderlich  erhielten. 
Namentlich  wurde  auf  die  grosse  Konstanz  der  Form  des  Einzel- 
individuums und  seiner  Verbände  hingewiesen  und  darauf  die  Gattungen 
gegründet.  Demgegenüber  verfochten  Lankestee,  Billeoth,  "Waeming, 
Klebs  und  besonders  Nägeli3)  die  Ansicht,  dass  die  Bakterien  in  allen 


1)  Verh.  des  Kongr.  f.  inn.  Med.  zu  Wiesbaden  1886.  Vortrag  von  Unna. 
und  Diskussion. 

2)  Vgl.  auch  die  historische  Darstellung  von  Hueppe,  Formen  der  Bakterien. 
1886;  Löffleb,  Vorlesungen  üb.  die  Geschichte  u.  s.  w.  Leipzig  87;  ferner  1.  Kap. 
d.  3.  Abschn.  II.  Bds.  und  das  Kapitel  ,, Variabilität". 

3)  Lankester,  On  a  peached  colouredBacterium.  Quarterly  Journ.  of  microscop. 
science  1SJ3  u.  1876;  Billeoth,  Untersuchungen  über  die  Vegetationsformen  von 
Coccobacteria  septica,  1874;  Warming  s.  b.  Hueppe;  Klebs,  A.  P.  4  (1875);  Nägeli, 
Die  niederen  Pilze  in  ihren  Beziehungen  zu  den  Infektionskrankheiten.  München 
1877  und  Untersuchungen  üb.  nied.  Pilze.  München  und  Leipzig  1882;  Zopf,  Zur 
Morphologie  der  Spaltpflanzen.  Leipzig  1882  und  L.  1.  Auflage. 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Bakterien.  77 

ihren  Eigenschaften  ausserordentlich  variabel  wären  und  sich  geradezu 
durch  ihren  Pleomorphismus  auszeichneten,  so  dass  die  Aufstellung 
von  distinkten  Spezies  zu  den  grössten  Schwierigkeiten  gehörte.  Die 
Entwicklung  der  bakteriologischen  Wissenschaft  hat  der  CoHN'schen 
Theorie  im  grossen  und  ganzen  recht  gegeben,  namentlich  gilt  das  für 
die  morphologischen  Verhältnisse,  die  uns  hier  allein  interessieren.  Eine 
Zeit  lang,  vor  allem  unter  dem  Eindrucke  der  Zopp'schen  Publikationen 
mochte  es  wohl  scheinen,  als  ob  dem  Pleomorphismus  im  Reiche  der 
Bakterien  grössere  Verbreitung  einzuräumen  wäre,  als  das  auf  Seiten 
Cohn's  und  Koch's  geschehen  war,  indessen  erwiesen  sich  gerade  die 
Zopp'schen  Beobachtungen  der  Kritik  gegenüber  nicht  als  stichhaltig  und 
deswegen  die  Analogieschlüsse,  die  er  darauf  gründete,  als  unzulässig.  Die 
pleomorphen  Spezies  Zopp's  (Beggiatoa  alba,  roseopersicina,  Cladothrix, 
Leptothrix  u.  s.  w.)  wurden  durch  Winogkadsky1)  je  in  mehrere  ganz 
von  einander  unabhängige  Arten  zerlegt;  es  blieb  als  wirklich  pleo- 
morphe Art  eigentlich  nur  die  Crenothrix  polyspora  übrig,  die  schon  Cohn 
als  eine  alleinstehende  Form  von  den  Bakterien  getrennt  hatte. 

'Nach  unserer  jetzigen  Kenntnis  der  Dinge  ist  es  erlaubt  (vgl.  u.  B), 
als  morphologisches  Grundgesetz  die  Konstanz  der  Form  hinzu- 
stellen, d.  h.  kugelige  Formen  pflanzen  sich  fort  als  Kugeln,  Stäbchen 
als  Stäbchen  und  Schrauben  als  Schrauben.  Damit  wird  das  Wesent- 
liche in  dem  Kreislauf  der  Formen  bezeichnet,  und  die  Berechtigung 
der  Aufstellung  der  3  Gattungen  der  Kokken,  Bacillen  und  Spirillen 
begründet.  Freilich  erfordert  unsere  Regel  einige  Erläuterungen, 
die  teilweise  darin  begründet  sind,  dass  die  morphologischen  Begriffe: 
Kugel,  Stäbchen,  Schraube,  gewisse  Übergänge  zulassen,  teilweise 
dadurch  nötig  werden,  dass  in  die  reguläre  vegetative  Entwicklung 
der  Bakterien  Zustände  eingeschaltet  sind,  die  entweder  besonderen 
physiologischen  Zwecken  dienen   oder  pathologischer  Entstehung  sind. 

Auf  folgende  Punkte,  die  in  den  vorhergehenden  Abschnitten  aus- 
führlich besprochen  sind,  ist  zu  achten: 

1.  Kokken,  die  vor  der  Teilung  stehen,  können  kurzen  Stäbchen 
gleichen.  Bei  den  Pneumoniekokken  sind  solche  tlbergangsformen 
besonders  häufig,  daher  sie  auch  früher  von  manchen  Seiten  als  Bacillen 
bezeichnet  worden  sind. 

2.  Es  giebt  Bacillenspezies  (B.  prodigiosus,  pneumoniae),  bei  denen 
die  Teilung  oft  das  Wachstum  überflügelt,  so  dass  vollständig  kugelige 
Individuen  resultieren.  Wird  die  Teilungstendenz  vermindert,  z.  B.  durch 
Zusatz  von  Antisepticis  zum  Nährboden,  so  werden  ausschliesslich 
Stäbchen  gebildet.     Bei  echten  Kokken  findet  ähnliches  nicht  statt. 


1)  Winogradsky,  B.  Z.  87  und  88  und  Beitr.  z.  Morph,  d.  Bakt.  Leipz. 


78  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

3.  Verlangsamtes  Wachstum  bei  fortschreitender  Teilung  führt  bei 
einigen  echten  Bacillen  (Proteus,  B.  Zopfii)  unter  allmählichem  Über- 
gänge durch  kurze  Stäbchen  zu  kugeligen  Formen.  Letztere  wachsen  in 
frischen  Kulturen  wieder  zu  den  ursprünglichen  Stäbchen  aus. 

4.  Bei  völligem  Stillstand  des  Wachstums  findet  bei  Bacillen  unter 
Umständen  eine  Fragmentierung  statt,  deren  fast  kugelförmigen  Produkte 
vielleicht  manchmal  zur  Auskeimung  in  Stäbchen  befähigt  sind.  Dieser 
Prozess  ist  aber  noch  nicht  als  gesichert  zu  betrachten. 

5.  Die  echten  Dauerzustände,  die  von  Bacillen  und  Spirillen  ge- 
bildet werden,  sind  kugelig  oder  ellipsoidisch.  Ihre  Struktur,  Bestimmung 
und  Entwicklungsart  unterscheiden  sie  von  echten  Kokken. 

6.  Als  Degenerationsprodukte  treten  bei  Kokken  stäbchenartige, 
bei  Bacillen  kugelige  und  unregelmässig  schraubige,  bei  Spirillen  kugelige 
und  stäbchenförmige  Gebilde  auf,  die  meist  einen  starken  Verlust  an 
Lebenskraft    dokumentieren    oder  gar  ganz   entwicklungsunfähig  sind. 

7.  Schliesslich  sei  noch  der  Missdeutungen  gedacht,  zu  denen  die 
Beobachtung  mit  ungenügenden  Instrumenten  und  unzureichende*  oder 
allzu  eingreifende  Präparationsmethoden  verleiten.  Auf  solche  Weise 
können  z.  B.  Stäbchen  und  Schrauben  als  Kugelpaare  und  Kugelketten 
erscheinen. 

Die  angeführten  „Ausnahmen"  von  der  allgemeinen  Regel  der  Form- 
konstanz sind  nicht  derart  beschaffen,  um  die  letztere  umzustossen.  An- 
dere Beobachtungen  führen  hingegen  zur  Anerkennung  noch  weiter- 
gehender Gesetzmässigkeiten  der  Formenbildung.  Die  Wachtunisrichtung 
der  Elemente,  die  Anlage  der  Teilungsebenen,  die  Konfiguration  der 
Elementarverbände  ist  bei  jeder  Spezies  eine  ganz  bestimmte,  unver- 
änderliche. Auf  Grund  dieser  Konstanz  können  wTir  bei  den  Kokken 
sogar  Untergattungen  aufstellen,  je  nachdem  eine,  zwei,  oder  dreiWachs- 
tumsaxen  vorhanden  sind  (Streptokokkus,  Tetragenus,  Sarcina);  bei 
Bacillen  und  Spirillen  ist  das  nicht  möglich,  weil  ihre  Entwicklung 
stets  in  einer  und  derselben  Richtung  erfolgt.  Die  übrigen  morpholo- 
gischen Verhältnisse:  die  absolute  Grösse  der  Elemente,  das  Verhältnis 
ihrer  Längen-  undDickendimensionen,  die  Ausbildung  von  Dauerzuständen, 
Bewegungsorganen,  Schleimhüllen  u.  s.  w.,  zeigen  zwar  auch  eine  relative 
Konstanz,  indessen  sind  die  Schwankungen,  die  hier  vorkommen,  zum 
Teil  recht  bedeutende.  Sie  erscheinen  in  dreierlei  Form:  entweder  sind 
sie  blos  individuell:  in  einer  und  derselben  Kultur  finden  sich  z.  B. 
grosse  und  kleine  Individuen  neben  einander;  oder  der  Einfluss  der 
Lebensbedingungen  auf  eine  ganze  Generation  tritt  hervor,  z.  B.  in 
der  Weise,  dass  dieselbe  Spezies  auf  einem  Nährboden  nur  kleine,  auf 
einem  anderen  nur  grosse  Elemente  bildet,  oder  schliesslich    die  Ver- 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Protozoen.  79 

änderungen,  die  auf  irgend  eine  Weise  entstanden  sind,  werden  erb- 
liche. Diese  individuellen  Abweichungen,  zweitens  die  Ernährungs- 
und Standortsmodifikationen  und  drittens  die  eigentlichen  Varietäten 
werden  uns  in  einem  besonderen  Kapitel  beschäftigen  (s.  Kap.  Variabilität). 


Viertes  Kapitel. 
Allgemeine  Morphologie  der  Protozoen1) 


von 
Dr.  W.  Kruse. 


Als  Protozoen  bezeichnet  man  die  einzelligen  Organismen,  die 
tierischen  Charakter  tragen.  Die  Abgrenzung  derselben  gegen  die 
einzelligen  Pflanzen  ist  aber  eine  zum  Teil  willkürliche.  Hier  halten 
wir  uns  im  grossen  und  ganzen  an  die  BüTSCHLi'sche  Definition,  doch 
ziehen  wir  ausser  den  vier  Hauptklassen  dieses  Autors  (Sarkodinen, 
Mastigophoren,  Infusorien,  Sporozoen)  noch  gewisse  Mycetozoen  (Myxo- 
myceten)  und  die  nicht  myceltreib enden  Chytridiaceen  in  den  Bereich 
unserer  Besprechung. 

Die  Protozoen  haben  fast  durchweg  bedeutendere  Grösse,  als  die 
Bakterien;  unter  den  parasitischen  Vertretern  der  Gruppe,  die  uns  an 
dieser  Stelle  wesentlich  interessieren,  sind  allerdings  einige,  die  in  ihrem 
Durchmesser  nur  wenige  Tausendstel  Millimeter  messen  (Malariaplas- 
modien,  Variolaparasiten).  Die  grössten  Spezies  können  im  ausgewachsenen 
Zustande  dem  blossen  Auge  sichtbare  Dimensionen  erreichen  (Grega- 
rinen,  Sarkosporidien). 

In  ihrer  Struktur  (vgl.  Kruse:  R.  92.  9)  ähneln  die  Protozoen 
den  Zellen  der  höheren  Tiere  (Metazoen),  insofern  sie  regelmässig  einen 
Zellleib  und  Zellkern  unterscheiden  lassen,  wenn  auch  der  Nachweis 
des  letzteren  in  manchen  Fällen  auf  Schwierigkeiten  stösst  (vgl.  Malaria- 
plasmodien).     Zum  Teil  liegt   das  daran,   dass  die  Kerne   der  meisten 


1)  Vgl.  von  älteren  Werken  Letjckart,  Parasiten  des  Menschen.  2.  Aufl.  1879  fi'. 
und  die  grundlegende  Darstellung  von  Bütschli  in  Bronn's  Tierreich.  Bd.  I, 
Abt.  1—3.  Leipzig  u.  Heidelberg  1880—88  (3  Bände).  Ferner  Kruse,  Der  gegen- 
wärtige Stand  unserer  Kenntnisse  von  den  parasitären  Protozoen.  Hygienische 
Kundschau.  Berlin  1892.  Nr.  9  u.  11  (S.  357—380  u.  453—485)  und  den  ersten  Ab- 
schnitt bei  Braun  (Tierische  Parasiten  des  Menschen.  Würzburg  1895).  Viel  Material 
findet  sich  bei  L.  PPEiFFER-Weiniar  (Protozoen  als  Krankheitserreger.  Jena  1891 
und  Nachtrag  dazu  1895). 


gQ  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

parasitischen  Protozoen  nicht  nur  absolut,  sondern  auch  verhältnismässig 
klein  sind  und  in  ihrem  Bau  oft  nicht  dem  Typus  der  Metazoenkerne 
entsprechen.  Die  Kernteilung  ist  in  vielen  Fällen  eine  karyokine- 
tische,  zeigt  jedoch  auch  dann  gegenüber  der  bei  höheren  Tieren  be- 
obachteten gewisse  Unterschiede.  Daneben  kommt  aber  auch  direkte 
Kernteilung  vor.  Das  Studium  gerade  dieser  Verhältnisse  ist  durch  die 
Kleinheit  vieler  Formen  sehr  erschwert.  —  Die  Einzahl  des  Kerns  ist  die 
Regel  bei  jungen  Zellindividuen,  doch  treffen  wir  nicht  selten  mehrere 
bis  viele  Kerne,  besonders  bei  Myxosporidien  und  Infusorien.  Die  letztere 
Gruppe  zeichnet  sich  dadurch  aus,  dass  häufig  Kerne  zweierlei  Art  neben 
einander  vorhanden  sind,  nämlich  die  Macronuclei,  die  sich  nach  direktem 
Schema  teilen  und  der  Ernährung  zu  dienen  scheinen,  und  die  Micro- 
nuclei,  die  sich  karyokinetisch  vermehren  und  der  Fortpflanzung  dienen. 

Die  Körper  form  der  Protozoen  ist  entweder  amöboid  veränder- 
lich (Sarkodinen  und  einige  Sporozoen)  oder  beständig  (Mastigophoren, 
Infusorien,  die  meisten  Sporozoen)  und  dann  kugelig,  elliptisch,  ei-, 
bim-,  herz-,  sichelförmig,  wurmartig  verlängert  u.  s.  f. 

Die  Zellsubstanz  ist  entweder  gleichmässig,  mehr  oder  weniger 
körnig,  oder  in  eine  äussere  und  innere  Schicht  differenziert.  Die  äussere 
Schicht  (Ektoplasma,  Ektoderm)  kann  zähflüssig  sein  wie  bei  vielen 
Amöben  und  durch  ihre  Strömungsbewegung  (s.  u.  Pseudopodien)  die 
Formveränderungen  der  Zelle  bewirken;  regelmässig  unterscheidet  sie 
sich  dann  von  dem  übrigen  Körper  durch  ihre  homogene  Beschaffen- 
heit (Hyalo-  und  Granuloplasma),  oder  sie  hat  ein  festeres  Gefüge  und 
giebt  der  Zelle  dadurch  eine  bestimmte  Form.  Nicht  selten  scheidet 
sie  sich  dann  wieder  in  eine  bewegungsunfähige  Oberhaut  (Kutikula)  und 
eine  kontraktionsfähige  Binnenhaut.  Das  Entoplasrna  (Entoderm)  ist 
immer  zähflüssig  und  enthält  ausser  dem  Kerne  mehr  oder  weniger 
reichliche  Körner  und  häufig  auch  Vakuolen.  Hierher  gehören  z.  B.  die 
sog.  Gregarinenkörner,  die  sich  im  polarisierten  Lichte  wie  Stärke- 
körner verhalten,  in  heissem  Wasser,  nicht  in  Alkohol  lösen,  sich  mit 
Jod  braun  bis  braunviolett,  mit  Jod  und  Schwefelsäure  weinrot  bis 
veilchenblau  färben,  in  wässriger  Lösung  durch  Speichel  schnell  ver- 
ändert werden  (Paraglykogen,  Zooamylum).  Andere  Granulationen  sind 
weniger  gut  bekannt  ( vgl.Drepanidium  i.  spez.  Teil  B.  II).  Vakuolen  sind 
im  Körper  von  Sarkodinen  oft  so  zahlreich  vorhanden,  dass  derselbe  eine 
schaumige  Beschaffenheit  erhält;  ihr  Auftreten  hängt  manchmal  mit 
Änderungen  in  der  Zusammensetzung  des  umgebenden  Mediums  zusammen 
und  ist  nicht  selten  ein  Zeichen  der  Degeneration.  Nahrungsvakuolen 
enthalten  corpuskuläre  Elemente,  die  mit  Flüssigkeit  zugleich  von  aussen 
in  das  Plasma  aufgenommen  sind.  Kontraktile  Vakuolen,  die  übrigens 
bei  parasitären  Protozoen  nicht  häufig  sind,  sind  Blasen,  die  sich  perio- 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Protozoen.  gj 

disch  in  Zeiträumen,  deren  Länge  zwischen  3  Sek.  und  30  Min.  schwankt, 
füllen  und  sich  durch  Platzen  ihrer  Wand  nach  aussen  entleeren.  Sie 
scheinen  hauptsächlich  der  Wasserabscheidung  zu  dienen,  durch  die  im 
Wasser  gelösten  Stoffe  aber  auch  als  Exkretions-  und  Respirations- 
organe zu  funktionieren.  Auch  parasitäre  Einschlüsse  kommen 
im  Zellleibe  vor  (vgl.  Hämosporidien  des  Frosches,  Cytamoeba). 

Zellfortsätze  sind  von  verschiedener  Art.  Als  Haftorgane 
dienen  kutikuläre  Anhänge  des  vorderen  Körpersegments  bei  den  poly- 
cystiden  Gregarinen,  mit  eieren  Hilfe  die  Parasiten  an  der  Darmwand 
befestigt  sind,  und  die  sie  abstossen,  wenn  sie  in  den  freibewegiiehen 
Zustand  übergehen.  Wahrscheinlich  haben  die  merkwürdigen  Pol- 
kapseln der  Myxosporidien  (s.  d.)  eine  ähnliche  Bedeutung.  Auch  die 
schwanzartigen  Verlängerungen  des  hinteren  Körperendes  vieler  Flagel- 
laten  dienen  wohl  zur  Festheftung.  Andere  Zellfortsätze  stellen  Bewe- 
gungsorgane vor.  Die  Sarkodinen  und  ein  Teil  der  Sporozoen  bewegen 
sich  durch  stumpfe  oder  spitze  Ausstülpungen  ihres  amöboiden  Ekto- 
plasmas,  die  sog.  Pseudopodien  (Scheinfüsse),  die  in  Ein-  oder  Mehr- 
zahl vorhanden  sind  und  beständig  ihre  Lage  an  der  Zellperipherie  wech- 
seln. Die  Mastigophoren  und  einige  Jugendformen  der  Sarkodinen  be- 
sitzen an  einer  (gewöhnlich  dem  Vorderende)  oder  mehreren  Stellen  ihres 
Körpers  1 — 6  lange  Geis  sein  (Flagellen),  die  Infusorien  tragen  dagegen 
auf  der  ganzen  Oberfläche  oder  wenigstens  auf  grösseren  Strecken  der- 
selben eine  Menge  von  kleinen,  dichtstehenden  Wimpern.  In  einzelnen 
Fällen  kommen  bei  diesen  beiden  Gruppen  neben  Geissein  oder  Wimpern 
noch  zarte,  der  Länge  nach  über  den  Körper  hinziehende  bewegliche 
Häutchen,  die  sog.  undulierenden  Membranen,  vor.  Bei  der  vierten 
Abteilung  der  Protozoen,  den  Sporozoen,  finden  sich  meist  keine  be- 
sonderen, der  Bewegung  dienenden  Zellfortsätze l),  sie  sind  aber  dennoch  zu 
Bewegungen  befähigt.  Teilweise  sind  dieselben  auf  Kontraktionen 
des  Ektoplasmas,  die  auch  den  Mastigophoren  und  Infusorien  nicht  ganz 
fehlen,  zurückzuführen.  So  sind  vielleicht  die  kreisförmigen  oder 
schlangenähnlichen  Bewegungen  ihrer  Jugendformen  (Sichelkeime)  zu 
erklären.  Dazu  kommt  bei  vielen  Sporozoen  noch  eine  eigentümliche 
Art  der  Lokomotion,  die  als  Gleit-  oder  Gregarinenbewegung  be- 
kannt ist.  Sie  besteht  in  einem  Vorwärts-  oder  Rückwärtsgleiten  des 
Körpers,  ohne  Formveränderung  des  letzteren.  Möglicherweise  wird  diese 
rätselhafte  Bewegung  durch  einseitige  Sekretion  einer  gallertigen  Sub- 
stanz, auf  der  sich  die  Organismen  wie  auf  einem  Stiele  vorwärts  schieben, 
bewirkt  (s.  spez.  System,  der  Gregariniden  Bd.  II). 


1)  Die  geisselartigen  Gebilde,  die  bei  den  Hämosporidien  der  Vögel  und 
Menschen  beobachtet  werden,  sind  wahrscheinlich  Degenerationsprodukte. 
Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  6 


82  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Die  Ernährung  der  Protozoen  erfolgt  entweder  mittelst  Endos- 
rnose  durch  die  Aussenschicht  des  Körpers  hindurch  oder  durch  Intus- 
susception  fester  und  flüssiger  Stoffe.  Der  erstere  Modus  findet  sich 
hauptsächlich  bei  der  ganzen  Gruppe  der  Sporozoen,  der  letztere,  auch 
als  tierische  Ernährung  bezeichnet,  bei  Sarkodinen,  Mastigophoren  und 
den  meisten  Infusorien.  Bei  den  Sarkodinen  vermitteln  die  Pseudo- 
podien die  Aufnahme  der  Nahrungskörper,  indem  sie  dieselben  um- 
fliessen  und  in  das  Entoplasma  hineindrücken.  Die  mit  festem  Ekto- 
plasma  versehenenMastigophoren  und  Infusorien  lassen  dagegen  die  Nähr- 
substanz an  einer  bestimmten  Stelle  ihres  Leibes,  der  Mundstelle,  die 
meist  vorn  gelegen  und  häufig  als  eine  Vertiefung  sichtbar  ist,  durch 
die  hier  unterbrochene  Hautschicht  eintreten  und  können  sie  nach  der 
Verdauung  an  einer  anderen  Stelle   (Afterporus)   wieder  ausstossen. 

Die  Vermehrung  der  Protozoen  geschieht  durch  einfache  Teilung 
der  Zelle  in  zwei  Hälften  oder  durch  Bildung  von  Sporen.  Es  ist 
das  ein  Vorgang,  der  von  der  Sporulation  der  Bakterien  vollständig 
verschieden  ist,  sich  vielmehr  der  Askosporenbildung  bei  den  Pilzen 
nähert.  Die  „endogenen"  Sporen  der  Bakterien  (vgl.  vorsteh.  Kap.)  dienen 
nicht  der  Vermehrung  der  Individuen,  sondern  blos  ihrer  Erhaltung:  es 
sind  Dauerzustände,  die  mit  den  Dauerformen  mancher  Protozoen  (Flagel- 
laten)  in  Parallele  gestellt  werden  können.  Die  Sporen  der  Protozoen 
sind  dagegen  Keime,  die  durch  den  Zerfall  einer  erwachsenen,  grossen 
Zelle  in  viele  (wenigstens  vier)  unter  sich  gleichartige  kleine  Teilstücke 
entstehen.  Der  Vorgang  der  Sporulation  ist  noch  nicht  überall  in  seinen 
Einzelheiten  bekannt,  wahrscheinlich  handelt  es  sich  stets  um  mehrfache, 
schnell  hintereinander  folgende  Zweiteilungen.  Sehr  häufig  erfolgt  die 
Sporenbildung  der  Protozoen  in  zwei  Absätzen,  so  dass  zuerst  Mutter- 
sporen und  durch  deren  Zerfall  —  oft  an  anderer  Stelle  und  zu  anderer 
Zeit  —  Tochtersporen  entstehen.  Man  kann  diesen  Modus  als  in- 
direkte Sporulationbezeichnen  im  Gegensatz  zu  der  direkten  Sporu- 
lation, bei  der  die  Keime  durch  einen  kontinuirlichen  Prozess  aus  der 
ursprünglichen  Zelle  hervorgehen  (vgl.  Kruse:  R.  92.  367). 

Die  Dauer  formen  der  Protozoen  entstehen  in  der  Weise,  dass 
sich  die  Zellen  mit  einer  widerstandsfähigen  Membran  umgeben; 
eine  Kondensation  des  Protoplasmas  wie  bei  den  Bakterien  findet  da- 
bei nicht  statt.  Von  Dauercysten  spricht  man,  wenn  erwachsene 
Individuen  (unter  ungünstigen  Lebensverhältnissen)  in  den  Dauerzustand 
treten,  einerlei  ob  dieselben  (unter  günstigen  Bedingungen)  als  solche 
wieder  auskeimen  oder  zur  Sporulation  schreiten.  Aber  auch  die  jungen 
Keime,  die  Sporen  selbst,  werden  häufig  als  Dauerformen  gebildet:  man 
unterscheidet  sie  danach  als  Dauersporen  von  den  Nacktsporen 
( Gymnosporen),  die  mit  keiner  resistenten  Hülle  versehen  sind.  Beide  Arten 


Kruse,  Allgemeine  Morphologie  der  Protozoen.  33 

können  auf  dem  direkten  oder  indirekten  Wege  gebildet  werden.  Die 
Auskeimung  der  Dauerzustände  erfolgt  nach  Auflösung  oder  Zer- 
sprengung  der  Membran,  die  das  Resultat  äusserer,  im  Medium  liegen- 
der Einflüsse  (z.  B.  der  Einwirkung  von  Magen-Darmsäften)  ist. 

Die  Sporen  lassen  sich  ihrer  Struktur  nach,  die  bei  den  Dauer- 
sporen erst  nach  Zerstörung  der  Schale  sichtbar  wird,  in  Amöboid-, 
Greissei-,  Flimmer-  irnd  Sichelsporen  unterscheiden,  je  nachdem 
sie  durch  Pseudopodien,  Geissein,  Flimmercilien  oder  durch  wurmartige 
Krümmungen  ihres  sichelförmigen  Körpers  beweglich  sind.  Im  grossen 
und  ganzen  entsprechen  diese  verschiedenen  Formen  den  vier  Haupt- 
gruppen der  Protozoen,  nur  haben  die  Geissei-  oder,  wie  sie  gewöhnlich 
genannt  werden,  Schwärmsporen  eine  grössere  Verbreitung  auch  unter 
den  Sarkodinen  (sowie  bei  Chytridiaceen  und  Mycetozoen).  Ausserdem 
kommen  amöboide  Keime  auch  bei  den  Sporozoen  vor. 

Die  Individuen  der  Protozoen  können  in  verschiedener  Weise  unter 
sich  in  Beziehung  treten.  Bei  Gregarinen  wird  nicht  selten  eine  äusser- 
liche  Vereinigung  von  2 — 12  Individuen  (Association,  Syzygienbil- 
dung)  beobachtet,  die  sich  jederzeit  lösen  kann.  Plasmodien1)  ent- 
stehen durch  Verschmelzung  des  Protoplasmas  vorher  getrennter,  gleich- 
artiger Individuen  (einzelne  Sarkodinen  und  Mycetozoen).  Kopulation 
(oder  einfache  Konjugation)  nennt  man  die  totale  Verschmelzung 
zweier  gleichartiger  Individuen  zu  einem  Körper  mit  einem  einzigen  Kern. 
Sie  scheint  in  allen  Klassen  der  Protozoen  vorzukommen;  indessen  sind 
die  Vorgänge  dabei  nur  teilweise  genauer  verfolgt.  Nach  Woltebs 
(Arch.  mikrosk.  Anatom.  37.  Bd.)  fände  bei  Gregarinen  vor  der  Fusion 
der  Kerne  in  beiden  kopulierenden  Individuen  die  Ausstossüng  eines 
Bichtungskörperchens  statt.  Die  Kopulation  kann  mit  oder  ohne  En- 
cystierung  verlaufen  und  ist  bald  von  einfacher  Teilung,  bald  von  Spo- 
renbildung gefolgt.  Geschlechtliche  Kopulation,  d.  h.  die  totale 
Verschmelzung  zweier  wesentlich  ungleichartiger  Individuen  derselben 
Spezies  kommt  bei  parasitisch  lebenden  Protozoen  nicht  vor.  Partielle 
Konjugation  heisst  der  bei  Infusorien  weit  verbreitete  Vorgang,  bei 
dem  sich  gleichartige  Individuen  vorübergehend  mit  einem  Teile  ihres 
Körpers  vereinigen,  je  einen  ihrer  Mikronuclei  mit  einander  austauschen 
und  sich  wieder  von  einander  trennen.  Ausstossüng  von  Richtungs- 
spindeln, Kernauflösung  und  -Neubildung  findet  dabei  statt. 

Über  die  Systematik  der  Protozoen  und  die  Methoden  zu  ihrer 
Untersuchung  vgl.  Bd.  IL  4.  Abschn. 


1)  Hiermit  nicht   zu  verwechseln  ist  der  Gemisname  der  Malariaparasiten 
(Plasmodium  malariae). 


Zweiter  Abschnitt. 

Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Einleitende  Bemerkungen 

von 
Dr.  E.  Gotsehlich. 

Schon  in  einer  früheren  Zeitepoche,  wo  eingehendere  experimen- 
telle Untersuchungen  über  die  Lebenseigentünilichkeiten  der  Pilze  fehlten, 
und  wo  man  hauptsächlich  durch  naturphilosophische  Spekulationen  das 
bereits  vorhandene  lebhafte  Interesse  an  der  Bedeutung  und  Lebens- 
weise der  Fermentorganismen  zu  befriedigen  suchte,  statuierte  man  für 
die  Klasse  der  Pilze  eine  bestimmte,  sehr  wichtige  Rolle  im  Haushalt 
der  Natur  und  bemühte  sich,  die  beobachteten  Lebenserscheinungen  der 
Pilze  mit  dieser  Rolle  in  Einklang  zu  bringen.  Durch  die  zahlreichen 
experimentellen  Untersuchungen  der  neueren  Zeit  ist  dann  diese  früher 
entwickelte  Idee  zwar  in  ihren  Grundzügen  bestätigt,  aber  im  Einzelnen 
sind  erhebliche  Abweichungen  zu  Tage  getreten. 

Die  Ansicht  von  der  teleologischen  Funktion  und  der  Bedeutung 
der  Pilze  stützt  sich  vor  allem  auf  den  Chlorophyllmangel  derselben 
und  setzt  die  Pilze  somit  in  einen  starken  Gegensatz  zu  den  gesamten 
übrigen  durch  einen  Gehalt  an  Chlorophyll  ausgezeichneten  Pflanzen. 
Während  diese  letzteren,  einschliesslich  der  den  Pilzen*  so  nahe  stehen- 
den Algen,  ihren  Bedarf  an  Kohlenstoff  und  Stickstoff  der  Kohlensäure 
und  dem  Ammoniak  oder  der  Salpetersäure  in  ihrer  Umgebung  ent- 
nehmen und  aus  diesen  einfachen  Verbindungen  die  komplizierten  C- 
und  N-  haltigen  Stoffe  ihres  Organismus  mit  Hilfe  des  Chlorophylls  auf- 
bauen, und  während  demgemäss  für  diese  Pflanzen  die  Möglichkeit 
besteht,  z.  B.  aus  Wasser,  welches  die  nötigen  Mineralsubstanzen  ent- 
hält, und  aus  C02-  und  NH3- haltiger  Luft  ihr  Nährmaterial  zu  assi- 
milieren, sind  die  Pilze  durch  ihren  Chlorophyllmangel  zu  einer  der- 
artigen Existenz  nicht  befähigt,  sondern  bedürfen  vorgebildeter  organischer 
Substanz,  um  den  Verbrauch  ihres  Körpers  zu  decken  und  neue  Körper- 
substanz zu  bilden.  Daher  können  sie  nicht  in  reinem,  nur  Mineral- 
substanzen enthaltendem  Wasser  existieren;  sie  vegetieren  vielmehr  nur 


Gotschlich,  Einleitende  Bemerkungen.  §5 

auf  totem,  N-  und  C- reichen,  organischen  Material,  namentlich  also 
auf  abgestorbenen  Pflanzen-  und  Tierorganismen,  oder  sie  leben  als 
Parasiten,  ihren  pflanzlichen  oder  tierischen  Wirten  die  zum  Leben  und 
Wachstum  nötigen  organischen  Stoffe  entziehend. 

Daraus  ergiebt  sich  dann  sogleich  die  Bedeutung  der  Pilze  für 
den  Haushalt  der  Natur.  Um  der  chlorophyllhaltigen  Vegetation  stets 
wieder  die  nötigen  einfachen  Nährstoffe  zuzuführen,  bedarf  es  einer 
steten  Zerlegung  und  Auflösung  der  gebildeten  Pflanzensubstanz  zu 
jenen  einfachen  Verbindungen.  Die  gesamte  jährlich  entstandene  und 
wieder  abgestorbene  Vegetation  muss  in  relativ  kurzer  Zeit  so  verändert 
werden,  dass  aus  den  komplizierten  Pflanzenstoffen,  dem  Eiweiss,  den 
Kohlehydraten,  der  Cellulose  wieder  Wasser,  Kohlensäure  und  Ammoniak 
entsteht;  nur  unter  dieser  Bedingung  ist  eine  stetig  fortgehende  Er- 
neuerung der  Vegetation  denkbar.  Nun  fällt  zwar  ein  Teil  dieser  zer- 
störenden Arbeit  dem  tierischen  Organismus  zu;  die  tierische  Zelle 
spaltet  die  aufgenommenen  pflanzlichen  Stoffe  und  überliefert  sie  der 
Oxydation.  Die  Energie,  welche  in  den  komplizierten  chemischen  Ver- 
bindungen der  Pflanze  dadurch  aufgehäuft  war,  dass  die  Pflanze  mit 
Hilfe  des  Chlorophylls  die  Arbeit  der  Lichtstrahlen  in  chemische  Spann- 
kraft umsetzte,  wird  dabei  vom  tierischen  Organismus  verbraucht  und 
zur  Wärmeproduktion  und  zu  den  verschiedenen  Leistungen  des  Körpers 
benutzt.  Aber  dieser  Konsum  der  pflanzlichen  Substanz  durch  tierische 
Organismen  reicht  bei  weitem  nicht  aus,  um  der  ganzen  Produktion 
pflanzlicher  Stoffe  das  Gleichgewicht  und  die  Menge  der  einfachen 
Nährstoffe  der  Pflanzen  auf  solcher  Höhe  zu  halten,  dass  sie  für  Er- 
nährung und  Wachstum  immer  neuer  Vegetationen  ausreichen.  Es 
muss  offenbar  im  Haushalt  der  Natur  noch  ein  anderer  Faktor  vor- 
handen sein,  durch  den  eine  viel  umfangreichere  Zerstörung  toter  pflanz- 
licher Substanz  und  eine  viel  stärkere  Bildung  von  C02  und  NH3 
statthat,  als  durch  den  Lebensprozess  der  Tiere;  und  es  tritt  diese  Not- 
wendigkeit um  so  schärfer  hervor,  seit  man  erkannt  hat,  dass  das  ein- 
fache Nebeneinandersein  der  meisten  organischen  Stoffe  und  des  atmo- 
sphärischen Sauerstoffs  bei  gewöhnlicher  Temperatur  nur  zu  einer  kaum 
merklichen  Oxydation  führt,  dass  vielmehr  erst  die  lebendige  Zelle  die 
Bedingungen  für  eine  rasche  Zerstörung  und  Oxydation  organischer 
Stoffe  liefert.  Weiter  muss  die  Forderung  erhoben  werden,  dass  auch 
die  Substanz  der  toten  tierischen  Körper  einem  zerstörenden  und  auf- 
lösenden Einfluss  ausgesetzt  ist,  der  hier  ganz  in  demselben  Sinne  wirkt 
wie  bei  der  pflanzlichen  toten  Substanz;  denn  auch  den  tierischen  or- 
ganischen Stoffen  gegenüber  sehen  wir  den  atmosphärischen  Sauerstoff 
relativ  machtlos  und  ungeeignet,  deren  Umwandlung  in  C02,  NH3  und 
Wasser  zu  bewirken. 


3(J  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

In  diese  gefahrdrohende  Lücke  in  dem  steten  Regeneration spro- 
zess  der  Natur  greifen  nun  die  niederen  Pilze  ein.  Sie  bilden  den  not- 
wendigen Faktor,  der  eine  rasche  Zersetzung  und  Oxydation  toter  or- 
ganischer Substanz,  tierischen  oder  pflanzlichen  Ursprungs,  ermöglicht 
und  in  grösstem  Umfauge  immer  wieder  die  einfachen  C-  und  N- Ver- 
bindungen herstellt,  deren  die  lebende  wachsende  Pflanze  als  Nahrung 
bedarf.  Die  Pilze  sind  zu  dieser  Rolle  befähigt  gerade  dadurch,  dass 
sie  nicht  wie  die  anderen  chlorophyllhaltigen  Pflanzen  die  Energie  der 
Sonne  auszunützen  und  sich  von  C02  und  NHS  zu  nähren  vermögen, 
sondern  dass  sie  gleich  den  Tieren  komplizierte  chemische  Verbindungen 
verarbeiten,  deren  Spannkraftvorrat  ihnen  das  Material  zu  ihren  Lei- 
stungen liefert.  Sie  sind  weiter  dazu  befähigt  durch  die  weiten  Grenzen, 
innerhalb  deren  ihre  äusseren  Existenzbedingungen  ohne  Schaden 
schwanken  können;  dann  durch  ihre  unglaublich  rasche  Vermehrung. 
für  welche  sie  in  kurzer  Zeit  eine  bedeutende  Masse  von  Nährstoffen 
verbrauchen;  ferner  noch  dadurch,  dass  sie  unter  gewissen  Umständen 
doch  nur  einen  relativ  sehr  kleinen  Bruchteil  der  Nährstoffe  für  das 
eigene  Wachstum  verwenden,  dagegen  einen  vielfach  grösseren  durch 
die  ihnen  eigentümliche  Gährwirkung  oberflächlich  zersetzen  und  zu 
weiterer  Oxydation  geeignet  machen.  Es  ist  schliesslich  gleichsam 
nur  als  eine  wenig  auffällige  Verschiebung  ihrer  Funktion  anzusehen, 
wenn  sie  gelegentlich  als  Parasiten  schon  auf  lebenden  Pflanzen  oder 
Tieren  sich  ansiedeln  und  diesen  Vernichtung  bringen,  indem  sie  in 
kürzester  Frist  die  organischen  Körperbestandteile  ihrer  Wirte  zu  ein- 
fachsten chemischen  Verbindungen  auflösen. 

Entsprechend  dieser  ganzen  Auffassung  von  der  Funktion  und  Be- 
deutung der  Pilze  muss  das  wesentlichste  Merkmal  ihrer  physiologischen 
Eigentümlichkeit  in  der  Ernährung  durch  komplizierte  organische  Sub- 
stanz und  in  dem  Unvermögen,  den  C  und  N  aus  C02  und  NH3  zu 
assimilieren,  gesucht  werden.  Von  dieser  Eigenschaft  gingen  daher 
frühere  Untersuchungen  als  einer  sicheren  Thatsache  aus. 

Pasteur  war  der  Erste,  welcher  exakte  experimentelle  Untersuch- 
ungen über  die  Biologie  der  Pilze  anstellte;  diese  aber  ergaben  Resultate, 
welche  in  mancher  Beziehung  von  den  bis  dahin  geltenden  Anschau- 
ungen abwichen.  Pasteur  zeigte  vor  allem,  dass  Hefe  und  Schimmel- 
pilze insofern  auch  in  einer  den  höheren  Pflanzen  ähnlichen  Weise  zu 
leben  vermögen,  als  sie  den  Stickstoff  aus  Ammoniaksalzen  und  selbst 
aus  Nitraten  zu  assimilieren  und  so,  gerade  wie  chlorophyllhaltige 
Pflanzen,  die  komplizierten  eiweisshaltigen  Substanzen  ihres  Körpers 
aus  einfachem  Material  aufzubauen  vermögen.  Weiter  fand  man,  dass 
verschiedene  Pilze  ein  sehr  differentes  biologisches  Verhalten  zeigen, 
dass   die   einen   des  Sauerstoffs  bedürfen  und  rasche  Oxydationen  aus- 


Gotschlich,  Einleitende  Bemerkungen.  87 

führen,  andere  ohne  Sauerstoff  zu  leben  vermögen  und  dann  oft  um- 
fangreiche, aber  oberflächliche  Spaltung  des  Nährmaterials  bewirken, 
dass  nur  gewisse  Pilze  sauere  Reaktion  und  starke  Koncentration  des 
Nährmediums  ertragen;  dass  sie  bei  sehr  verschiedenen  Temperaturen 
am  üppigsten  gedeihen;  dass  die  einen  diese,  die  anderen  jene  Nähr- 
substanzen bevorzugen,  und  dass  auch  nicht  alle  gleich  gut  den  N  des 
NH3  und  der  HN03  zu  verwerten  im  stände  sind,  dass.  endlich  sogar 
ein  und  dieselben  Pilze  unter  wechselnden  äusseren  Bedingungen  in 
ihrem  Stoff-  und  Kraftwechsel  sich  ganz  verschieden  verhalten. 

Durch  diese  Resultate  der  experimentellen  Forschung  wurde  zwar 
die  früher  konstruierte  Ansicht  über  die  Bedeutung  der  Pilze  für  die 
übrige  belebte  Natur  nicht  völlig  erschüttert.  Denn  nach  wie  vor  steht 
es  fest,  dass  sämtliche  niedere  Pilze  auch  von  komplizierten  chemischen 
Stoffen  zu  leben  vermögen,  dass  diese  sogar  das  bevorzugte  Nährmaterial 
bilden,  und  dass  daher  die  Zerstörung  der  toten  organischen  Substanz 
wesentlich  durch  Pilze  erfolgt;  ferner  dass  C02  von  keiner  Art  (mit 
einziger  Ausnahme  der  später  eingehend  zu  behandelnden  nitrifizieren- 
den  Mikroorganismen  Hueppe's  und  WinogeAdsky's)  zur  Assimilation 
und  zum  Aufbau  verwendet  werden  kann.  Aber  das  physiologische 
Verhalten,  durch  welches  sie  zu  ihrer  eigentümlichen  Rolle  befähigt 
werden,  erscheint  nicht  mehr  als  ein  so  einfaches,  mit  wenigen  Worten 
zu  definierendes,  sondern  setzt  sich  zusammen  aus  einer  Menge  von  ge- 
sondert zu  betrachtenden  Vorgängen,  die  je  nach  der  Art  der  Pilze  und 
nach  den  äusseren  Bedingungen,  unter  denen  sie  sich  befinden,  erheblich 
variieren.  Wir  können  uns  daher  nicht  mehr  mit  einer  allgemeinen 
Formel  begnügen,  wenn  wir  einen  Einblick  in  die  Lebensersoheinungen 
der  Pilze  gewinnen  wollen,  sondern  wir  müssen  induktiv  verfahren  und 
aus  einer  grossen  Reihe  von  Einzelbeobachtungen  und  Einzelexperimenten 
das  Leben  der  niederen  Organismen  zu  erkennen  suchen.  Und  auch 
an  dieser  Stelle  werden  wir  demgemäss  der  Biologie  der  Pilze  eine  ein- 
gehende und  detaillierte  Erörterung  widmen  müssen,  um  so  mehr,  als 
diese  Seite  der  mykologischen  Forschung  für  die  Hygiene  von  ganz 
hervorragender  Wichtigkeit  ist. 


Die  gesamten  biologischen  Erscheinungen,  die  an  den  Pilzen  zur 
Beobachtung  gelangen,  werden  zweckmässig  in  ähnlicher  Weise  dem 
experimentellen  Studium  unterworfen,  wie  die  Lebenserscheinungen  der 
komplizierteren  Organismen,  der  Tiere  oder  höheren  Pflanzen.  Wenn 
wir  die  letzteren  als  Paradigma  zu  Grunde  legen,  so  gehen  wir  im  Grunde 
vom  Komplizierteren  zum  Einfacheren  zurück;  es  ist  wahrscheinlich,  dass 
manche  biologische  Probleme,   die  trotz  zahlreichster  Untersuchungen 


gg  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

am  komplizierten  Organismus  unlösbar  waren,  an  diesen  einfachsten 
Lebewesen  weit  eher  zur  Lösung  gelangen,  und  dass  somit  in  späterer 
Zeit  die  Biologie  der  Pilze  ein  Licht  auf  die  Biologie  höherer  Geschöpfe 
reflektieren  wird,  wenn  wir  auch  einstweilen  die  an  diesen  gelernten 
Erkenntnismethoden  benutzen. 

Wollen  wir  den  Stoffwechsel  irgend  eines  komplizierteren  Organis- 
mus in  Betracht  ziehen,  so  pflegen  wir  durch  verschieden  variierte 
Ernährungs-  und  Stoffwechselversuche  zunächst  die  Art  und  Menge  der 
Stoffe  zu  bestimmen,  welche  derselbe  von  aussen  aufnimmt,  und  die 
sonstigen  äusseren  Bedingungen  zu  normieren,  die  zum  geregelten  Ab- 
lauf des  Lebens  notwendig  sind;  ferner  untersuchen  wir  die  Schicksale 
und  die  Verwendung  der  aufgenommenen  Nährstoffe  im  Körper,  die 
Ausscheidungsprodukte  und  endlich  die  Leistungen  des  Organismus 
und  sind  auf  diese  Weise  in  Stand  gesetzt  eine  Bilanz  zu  ziehen,  die 
darüber  aufklärt,  welche  stoffliche  Veränderungen  und  welche  Kraft- 
umsetzungen die  Grundlagen  des  Lebens  jenes  Organismus  ausmachen. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  werden  wir  die  Biologie  der  niederen 
Pilze  zergliedern  müssen.  Auch  für  diese  haben  wir  zunächst  die  not- 
wendigen Lebensbedingungen  experimentell  zu  ermitteln;  es  fragt 
sich,  welche  festen  Nährstoffe  den  Pilzen  geboten  werden  müssen,  welche 
Rolle  der  Sauersoff  spielt,  ob  Temperatur,  Luftdruck,  Licht  u.  s.  w.  von 
merkbarem   Einfluss   auf  Wachstum  und  Vermehrung  der  Pilze  sind. 

Zweitens  sind  dann  die  Lebensäusserungen  der  niederen  Pilze 
zu  erörtern.  Als  solche  lernen  wir  die  Atmung,  die  Assimilierung  des 
Nährmaterials,  die  Stoffumwandlungen  in  den  Zellen  und  gleichzeitig 
damit  verschiedene  Kraftleistungen,  z.  B.  Lokomotion,  Licht-  oder  Wärme- 
entwicklung, Wachstum,  Vermehrung  und  Fruktifikation  kennen; 
ferner  scheiden  die  Pilze  gewisse  Stoffwechselprodukte  aus,  die  von  be- 
sonderem Interesse  sind;  endlich  äussern  sie  unter  Umständen  zwei 
eigentümliche  Wirkungen,  nämlich  die  Gährwirkung  und  die  Krank- 
heitserregung, die  eingehende  Betrachtung  in  besonderen  Ab- 
schnitten erfordern. 

Die  Erörterung  der  Lebensbedingungen  schliesst  eigentlich  bereits 
eine  Besprechung  der  das  Leben  schädigenden  und  störenden  Einflüsse 
in  sich.  Es  erscheint  jedoch  zweckmässig,  in  einem  gesonderten  Ab- 
schnitt die  Erscheinungen  der  Involution  und  des  Todes  der  niederen 
Pilze,  sowie  derjenigen  Mittel  spezieller  zu  besprechen,  welche  zu  einer 
Wachstumshemmung  oder  Vernichtung  der  Pilze  führen  können.  Es 
sind  diese  Mittel  identisch  mit  den  desinfizierenden  Agentien,  welche 
neuerdings  so  grosse  Bedeutung  erlangt  haben. 

Endlich  sind  die  Untersuchungen  über  die  Biologie  der  niederen  Pilze 
auch  noch  über  das  einzelne  Individuum  hinaus  auszudehnen,  und  das 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  89 

Verhalten  einer  fortlaufenden  Reihe  von  Individuen  ist  in  Betracht  zu 
zu  ziehen.  Das  Auftreten  von  Modifikationen,  Varietäten,  Rassen  und 
Arten  ist  es  namentlich,  das  in  dieser  Richtung  unsere  Aufmerksamkeit 
in  Anspruch  nehmen  muss. 

Die  gesamten  im  Folgenden  gegebenen  biologischen  Erörterungen 
sind  lediglich  auf  die  hygienisch  wichtigsten  niederen  Pilze  (Schimmel- 
pilze, Hefepilze  und  Spaltpilze)  beschränkt;  bezüglich  anderer  Pilze, 
welche  in  die  vorstehende  morphologische  Übersicht  mit  aufgenommen 
sind,  muss  auf  de  Baky's  vortreffliche  Darstellung  der  Morphologie 
und  Biologie  der  Pilze  verwiesen  werden. 


Erstes  Kapitel. 
Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen 

von 
Dr.  E.  Gotschlich. 

Für  ein  Verständnis  der  äusseren  Lebensbedingungen  ist  es  zunächst 
erforderlich,  die  physikalische  und  insbesondere  die  chemische  Be- 
schaffenheit des  Zellleibes  der  Mikroorganismen  kennen  zu  lernen. 
Sodann  sind  vor  allem  die  Nährstoffe  der  Mikroben  zu  ermitteln, 
Bedeutung  und  Wert  jedes  einzelnen,  sowie  auch  der  Mengenverhält- 
nisse, der  Koncentration  und  Reaktion  des  Nährgemisches  zu  prüfen. 
Neben  der  Lehre  von  der  Ernährung,  welche  die  chemischen  Lebens- 
substrate der  Mikroorganismen  aufdeckt,  ist  nun  aber  auch  noch  der 
nicht  minder  wichtige  Einffuss  physikalischer  Faktoren  zu  prüfen; 
endlich  kommen  die  Einwirkungen,  welche  die  Mikroorganismen  wechsel- 
seitig auf  einander  ausüben,  die  Konkurrenz  derselben  unter  einander 
in  Betracht. 

In  vielen  dieser  Punkte  zeigen  nun  aber  die  Schimmel-,  Spross- 
und  Spaltpilze  so  durchgreifende  Verschiedenheiten,  dass  es  zuweilen 
zweckmässig  erscheint,  innerhalb  der  grösseren  Abschnitte  eine  getrennte 
Behandlung  dieser  drei  Klassen  von  Lebewesen  vorzunehmen. 

A.  Physikalische  Beschaffenheit  des  Zellleibes  der  Mikroorganismen. 

Über  die  physikalische  Beschaffenheit  des  Zellleibes  der  Mikroorga- 
nismen, soweit  sie  sich  nicht  schon  dem  rein  morphologischen  Studium 
erschliesst,  ist  nur  wenig  bekannt.     Folgendes  wäre  etwa  anzuführen: 

Amann  (C.  13.  775)  konnte  nachweisen,  dass  manche  Bakterienmem- 
branen ihrem  optischen  Verhalten  nach  doppelbrechend  sind;   mit  Ma- 


90  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

lachitgrün  oder  nach  Gram  gefärbte  Milzbrandbacillen  zeigen  nämlich  Pleochro'fs- 
mus,  und  zwar  erscheinen  sie  in  demjenigen  Bilde,  in  welchem  Schwingungsebene 
des  polarisierten  Lichtes  und  Längsrichtung  des  Bacillus  zusammenfallen,  heller, 
als  wenn  beide  sich  kreuzen.  Sie  verhalten  sich  also  pleochroi'tisch  wie  eine  mit 
Chlorzinkjod  gefärbte  Cellulosemembran. 

Über  die  osmotische  Spannung  des  Zellsaftes  und  die  dios- 
motischen  Eigenschaften  der  Membran  von  Bakterien  geben  Ver- 
suche mit  Plasmolyse  der  Bakterienzelle  Aufschluss.  Unter  Plas- 
molyse versteht  man  das  Zurückweichen  des  Plasmas  von  der  Zellwand 
unter  dem  Einfluss  wasserentziehender  Mittel,  wobei  jedoch  das  Plasma 
nicht  abstirbt,  sondern  sich  nach  Auswaschen  der  wasserentziehenden 
Substanz  wieder  normal  ausdehnen  und  an  die  Zell  wand  anlegen  kann; 
die  Plasmolyse  lässt  sich  nur  an  lebenden  Bakterien  beobachten.  Bei 
längerem  Verweilen  in  der  wasserentziehenden  Lösung  kann  die  Plas- 
molyse entweder  dauernd  bestehen  bleiben,  wie  dies  z.  B.  von  de  Veies 
für  Zellen  höherer  Pflanzen,  von  Klebs  für  Algen,  Moose  etc.  festgestellt 
ist,  oder  es  tritt  ein  Rückgang  der  Plasmolyse  ein,  wie  es  von  Janse 
an  einer  Chaetomorpha  und  einer  Spirogyra,  sowie  von  Wielee  an  Keim- 
lingen von  Phaseolus,  Vicia  etc.  beobachtet  wurde. 

Das  verschiedene  Verhalten  der  Zellen  hierbei  beruht  entweder 
darauf,  dass  die  Zellmembran  für  die  gelösten  Stoffe  im  einen  Falle  un- 
durchlässig, im  anderen  durchlässig  ist,  oder  auf  einem  verschiedenen  Ver- 
mögen des  kontrahierten  Protoplasten,  selbst  osmotisch  wirksame  Stoffe 
zu  produzieren  und  so  seine  Turgorkraft  zu  steigern.  Das  Verhalten 
beim  Rückgang  der  Plasmolyse  lässt  also  gewisse  Schlüsse  auf  die  Per- 
meabilität des  Bakterienplasmas  zu.  In  dieser  Beziehung  fand  A.  Fischee 
(Unters,  üb.  Bakterien.  Berlin  1894.  9  ff.),  dass  bei  allen  untersuchten 
Arten,  Cladothrix  dichotoma,  Spirillum  undula,  Vibrio  choler.  asiat., 
Vibrio  Metschnikoff.  Bac.  typh.  abd.,Bac.  cyanogen.  und  Bac.  fiuorescens, 
die  Plasmolyse  in  KN03-,  NaCl-,  NH4C1-  und  Rohrzuckerlösungen  voll- 
ständig wieder  zurückgeht.  Dieser  Rückgang  kann  nicht  auf  zelleigener 
Steigerung  der  Turgorkraft  beruhen,  sondern  muss  durch  Übergang  der 
gelösten  Stoffe  in  das  Plasma  erklärt  werden.  Denn  abgesehen  davon, 
dass  die  Zeit  von  wenigen  Minuten,  innerhalb  deren  oft  die  Rückbildung 
erfolgt,  zur  Erzeugung  der  erforderlichen  Menge  osmotisch  wirksamer 
Stoffe  kaum  ausreichend  erscheint,  so  müsste  auch  die  Plasmolyse  in 
schwächeren  Lösungen  schneller  zurückgehen,  als  in  koncentrierteren,  weil 
die  aktive  Drucksteigerung  in  der  Zelle  im  ersten  Falle  viel  geringer 
zu  sein  braucht;  gerade  das  Umgekehrte  ist  aber  der  Fall:  in  kon- 
centrierteren Lösungen  erfolgt  der  Rückgang  viel  schneller,  was  sich 
durch  die  Annahme  einer  Diffusion  der  gelösten  Stoffe  in  das  Plasma 
sehr  wohl  erklärt.     Diese  eingedrungenen  gelösten  Stoffe  können  auch 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  91 

ebenso  leicht  wieder  durch  Auswaschen  entfernt  werden  und  hierdurch, 
wie  der  Versuch  zeigt,  Bakterien,  in  denen  soeben  erst  die  Plasmolyse 
zurückgegangen  ist,  sofort  wieder  zu  einer  neuen  Plasmolyse  befähigt 
werden.  Endlich  müsste  auch,  wenn  es  sich  um  eine  aktive  Druck- 
steigerung in  der  Zelle  handelte,  der  Rückgang  der  Plasmolysen  in  iso- 
tonischen Lösungen  verschiedener  Stoffe  in  annähernd  gleicher  Zeit 
erfolgen,  dies  ist  aber  nicht  der  Fall;  das  Bakterienplasma  ist  also  für 
verschiedene  Stoffe  in  sehr  verschiedenem  Grade  permeabel.  Manche 
Stoffe  dringen  sehr  schwierig  ein;  so  hatte  A.  Fischer  schon  früher 
(Ber.  d.  Kgl.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  math.-phys.  Kl.  1891)  nachgewiesen, 
dass  plasmolysierte  Bakterien  durch  lproz.  Osmiumsäure,  Iproz.  Sublimat 
oder  20  °/0  Alkohol  nicht  fixiert  werden  können,  weil  während  der  langen 
Eindringungsdauer  dieser  Stoffe  die  Plasmolyse  mehr  oder  minder  voll- 
ständig wieder  zurückgeht;  auch  Jod  dringt  sehr  schwierig  ein.  Da- 
gegen dringt  Vio  koncentrierte  Gährungsmilchsäure  fast  augenblicklich 
ein.  Ausserdem  ergaben  sich  im  Verhalten  verschiedener  Bakterien  gegen 
eine  und  dieselbe  Substanz  interessante  Artdifferenzen;  so  ist  z.  B.  Bac. 
fluorescens  viel  weniger  permeabel  fürKN03,  als  die  anderen  unter- 
suchten Arten;  ferner  zeigt  der  Choleravibrio  eine  besonders  grosse 
Permeabilität  für  NaCl. 

Die  Geissein  beweglicher  Bakterien  werden  ausnahmslos  erst  durch 
weit  koncentriertere  Lösungen  plasmolysiert,  als  das  Plasma  des  Zell- 
leibes; Bakterien,  die  schon  eine  vollständige  Plasmolyse  ihrer  Leibes- 
substanz zeigen,  können  sich,  wie  A.  Fischer  gezeigt  hat,  nichtsdesto- 
weniger in  ungestörter  Eigenbewegung  befinden;  erst  in  stärker  kon- 
centrierten  Lösungen  erlischt  die  Bewegung,  kann  aber  bei  längerem 
Aufenthalt  in  der  Salzlösung  durch  Rückgang  der  Geisselplasmolyse 
restituiert  werden.  Die  Substanz  der  Geissein  ist  also  wasserärmer,  kon- 
centrierter,  als  die  des  Zellleibes,  was  mit  der  Auffassung  dieser  Gebilde 
als  ektoplasmatischer  Kutikularorgane  wohl  zusammen  stimmt.  Aus 
diesem  Grunde  sind  übrigens  auch  die  früheren  Angaben  Wladi- 
miroef's  (Z.  10.  89;  Z.  f.  physikal.  Ch.  7.524),  der  einen  bestimmten  Grad 
der  Schädigung  der  Eigenbewegung  von  Bakterien  als  Indikator  für 
die  eingetretene  Plasmolyse  des  Zellleibes  verwenden  und  hieraus  die 
zur  Erreichung  des  plasmolytischen  Effekts  erforderlichen  „Grenzkon- 
centrationen"  verschiedener  Salzlösungen  und  die  osmotische  Spannung 
des  Zellsaftes  ableiten  zu  können  glaubte,  in  ihrer  Bedeutung  zu  modi- 
fizieren. Wegen  des  oben  dargelegten  differenten  Verhaltens  zwischen 
Leibes-  und  Geisseisubstanz  sind  nämlich  für  alle  Grenzkoncentrationen 
die  Werte  von  Wladimiroee  im  Vergleich  mit  den  von  A.  Fischer 
durch  direkte  Beobachtung  gewonnenen  viel  zu  hoch  bestimmt;  da- 
gegen geben  sie  möglicherweise  eine  richtige  Vorstellung  von  der  Kon- 


92  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

centration  der  Geisseisubstanz.  Merkwürdigerweise  fand  Wladimiroff 
fast  dieselbe  Koncentration  des  Plasmas  bei  5  verschiedenen  Bakterien, 
nämlich  beim  Bac.  cyanogen.,  Bac.  typh.  abd.,  Bac.  subtilis,  Spirillum 
rubrum  und  einem  Darmbakterium,  während  bei  Bakt.  Zopfii  ein  etwa 
um  die  Hälfte  geringerer  Wert  erhalten  wurde.  Die  Koncentration  der 
Grenzlösungen  verschiedener  Salze  stimmt  in  äcpvimolekularen  Lösungen 
ziemlich  genau  überein;  die  Abweichungen  zeigen  eine  gewisse  Gesetz- 
mässigkeit, aus  der  sich  ergiebt,  dass  im  allgemeinen  die  Chloride  in 
stärkeren  Koncentrationen  ertragen  werden,  als  die  Nitrate,  und  diese 
wieder  in  stärkeren,  als  Sulfate  und  Bromide.  Grössere  Abweichungen 
von  der  Regel  kommen  ausserdem  dadurch  zustande,  dass  manche 
Salze  infolge  von  Giftwirkungen  schon  in  abnorm  niedriger  Konzentration 
bewegungshemmend  wirken,  sowie  andererseits  auch  dadurch,  dass 
manche  Salze,  wie  z.  B.  KBr  und  KN03  beim  Spirillum  rubrum,  schon 
während  der  Plasmolyse  rasch  in  das  Plasma  eindringen,  hierdurch  die 
Wasserentziehung  verlangsamen  und  demnach  erst  in  höherer  Koncen- 
tration wirksam  sind.  In  den  Versuchen  von  A.  Fischer,  wo  der  Eintritt 
der  Plasmolyse  der  Leibessubstanz  direkt  beobachtet  wurde,  ergab  sich 
keine  genaue  Übereinstimmung  der  Grenzkoncentrationen  mit  den  iso- 
tonischen Lösungen;  bei  verschiedenen  Arten  hatten  die  Grenzkoncen- 
trationen verschiedene  Werte. 

Das  spezifis  che  Gewicht  der  Kulturmasse  einiger  Spaltpilze  ist  vouRubner 
(A.  11.  384)  nach  dem  Prinzip  der  pyknometrischen  Methode  bestimmt  worden; 
es  fand  sich  grösser  als  1,  z.  B.  beim  Bac.  prodigiosus  im  Mittel  1,054.  Allerdings 
giebt  diese  Zahl  nicht  direkt  das  spezifische  Gewicht  des  Zellleibes,  da  die  Kultur- 
masse auch  reichlich  Intercellularsubstanz  enthält;  doch  spricht  auch  das  von 
demselben  Autor  und  bereits  früher  von  Bolton  (Z.  1.  72)  nachgewiesene  Absetzen 
unbeweglicher  Bakterien  in  stagnierenden  Flüssigkeiten  dafür,  dass  die  Bakterien- 
leiber etwas  schwerer  sind  als  Wasser. 


B.  Chemische  Zusammensetzung  der  Mikroorganismen. 

Bei  der  Untersuchung  der  chemischen  Zusammensetzung  der  Mikro- 
organismen kommt  zunächst  ihre  quantitative  elementareZusammen- 
setzung,  wie  sie  durch  die  Elementaranalyse  erschlossen  wird,  in  Be- 
tracht. Aus  dieser  lässt  sich  schon  manches  über  das  Vorkommen  und 
gegenseitige  Verhalten  ganzer  Klassen  von  chemischen  Körpern  im 
Zellleib  der  Mikroorganismen  erschliessen;  dahin  gehört  z.  B.  das  Ver- 
hältnis N-haltiger  zu  N-freien  Stoffen.  Dann  aber  erscheint  es  geboten, 
auch  die  einzelnen  Verbindungen  selbst,  die  an  der  Zusammensetzung 
des  Zellleibes  teilnehmen,  die  Eiweissstoffe,  Kohlehydrate,  Aschen- 
bestandteile etc.  kennen  zu  lernen.    Da  Schimmel-,  Spross-  und  Spaltpilze 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  93 

in    ihrer  Zusammensetzung   grosse  typische  Verschiedenheiten    zeigen, 
werden  sie  im  Folgenden  in  getrennten  Abschnitten  behandelt. 

I.  Schimmelpilze. 

Chemische  Analysen  von  Schimmelpilzen  liegen  von  Sieber  (J.pr.  Ch. 
(2.)  23.  412)  und  neuerdings  von  Gramer  (A.  13.  71;  20.  197)  vor.  Bei 
ersterem  Autor  scheinen  jedoch  nicht  genügende  Vorsichtsmassregeln 
für  Reinhaltung  des  Materials  getroffen  worden  zu  sein.  Sieber  fand 
in  der  Trockensubstanz  einer  Kultur  von  Penicillium  und  Mukor  auf 
einer  Nährlösung  von  Zucker  und  Gelatine: 

Ätherextrakt  18,7  %,  Alkobolextrakt  6,9  %,  Asche  4,9  %,  Eiweiss  29,9  %, 
Cellulose  39,6%. 

Für  eine  vorwiegend  aus  Aspergillus  glaucus  bestehende  Kultur 
auf  Salmiakzuckerlösung  fand  sich: 

Ätherextrakt  11,2  %,  Alkoholextrakt  3,4  %,  Asche  0,7  %,  Erweiss  28,9  %, 
Cellulose  55,7%. 

Besonders  bemerkenswert  ist  hiernach  gegenüber  den  unten  mit- 
zuteilenden Analysen  derSpross-  und  Spaltpilze  das  bedeutende  Über- 
wiegen derN-freienStoffe;  es  beruht  dies  vor  allem  wohl  darauf,  dass 
bei  den  Schimmelpilzen  eine  stark  entwickelte  Cellulosemembran  vor- 
handen ist  und  nur  im  Zellinhalt  sich  eiweissartige  Substanzen  finden, 
sowie  darauf,  dass  auch  lösliche  zuckerartige  Stoffe  in  wägbarer  Menge 
vorhanden  sind.  Der  Gesamt-N-Gehalt  von  mit  Wasser  gewaschenen 
und  über  Schwefelsäure  getrockneten  Schimmelpilzen  verteilt  sich  nach 
Stutzer  (Z.  physiol.  Ch.  6.  573)  so,  dass  3,026  %  auf  Proteine  und'l,539  °/0 
auf  Nuklei'ne  entfallen.  Der  Gehalt  an  Trockensubstanz  beträgt  nach 
Cramer  im  Mittel: 

Mukor  stolonifer: 

Rohrzucker  1  %  Lösung  oder  Brotbrei      10,97  % 
5  %  Lösung  15,60  %. 

Penicillium: 

Rohrzucker  1  %  Lösung  7,11  % 

Harn  mit  5  %  Rohrzucker      13,55  %. 

Einer  höheren  Koncentration  des  Nährsubstrats  scheint  also  ein 
höherer  Trockengehalt  des  Mycels  zu  entsprechen.  Über  die  höchst 
merkwürdigen  quantitativen  Differenzen,  welche  nach  Cramer  zwischen 
Mycel  und  Spore  bestehen,  und  ihre  biologische  Bedeutung  wird  bei 
der  Physiologie  der  Sporenbildung  eingehend  gehandelt  werden;  in 
qualitativ-chemischer  Beziehung  sei  hier  nur  der  hohe  Gehalt  der  Sporen 
an  Eiweiss  und  N-freien  Extraktivstoffen  hervorgehoben. 


94  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

II.  Sprosspilze. 

Die  Untersuchungen  über  die  chemische  Zusammensetzung  der 
Sprosspilze  erstrecken  sich  fast  durchweg  auf  die  gewöhnliche  Bierhefe, 
deren  technische  Verwendung  von  jeher  ein  besonderes  Interesse  an 
dieser  Spezies  erweckt  hat;  selten  sind  andere  Sprosspilze  zum  Unter- 
suchungsobjekt gewählt,  wie  z.  B.  Mykoderrna  vini.  Gesamtanalysen 
von  Hefe  sind  mitgeteilt  von  Schlossberger,  Mulder  und  Wagner, 
Mitscherlich,  Payen,  Liebig  (vgl.  Mayer,  Lehrbuch  der  Gährungs- 
chemie  4.  Aufl.  1895.  S.  110  ff.  —  Schützenberger,  Gährungserschei- 
nungen.  58).  Im  Mittel  wurden  in  ausgewaschener  und  möglichst  asche- 
freier trockener  Hefe  gefanden: 

4S  o/0  C,  9—12  o/0  N,  6—7  %  H,  0,6  %  S. 

Hessenland  (r:  K.  92.  67)  findet  einen  Unterschied  in  der  Ele- 
mentarzusammensetzung von  Ober-  und  Unterhefe,  in  dem  Sinne,  dass 
letztere  reicher  ist  an  C,  H  und  N;  es  ergab  sich  im  Mittel  für 

Unterhefe  49,28  %  C,  8,17  %  H,  10,53  %  N,  10,12  %  Asche 
Oberhefe    48,58  %  C,  7,15  %  H,     7,77  %  N,  11,47  %  Asche. 

Hefe,  welche  längere  Zeit  Gährung  unterhalten  hat,  soll  nach 
Pasteur's  u.  A.  Angaben  einen  erheblich  niedrigeren  N-Gehalt,  nur  5,0-5,5  % 
enthalten;  Hayduck  (cit.  nach  Wijsman)  hingegen  fand  bei  einer  Reihe 
von  successiven  Gährungen  eine  Zunahme  des  N-Gehalts.  "Wijsman 
(r:  K.  91.  120)  kam  durch  eine  Reihe  von  Analysen  zu  verschiedenen 
Zeiten  des  Gährprozesses  zu  der  Überzeugung,  dass  der  N-Gehalt  der 
Hefe  meist  keinen  ganz  konstanten  Wert  besitzt,  sondern  grossen,  ziemlich 
regelmässigen  Schwankungen  unterworfen  ist.  Nach  dem  Einbringen 
der  Hefe  in  die  Gährflüssigkeit  findet  zuerst  eine  schnelle  Steigerung 
des  N-Gehalts  statt,  die  sich  wahrscheinlich  durch  die  Ansammlung 
N-haltiger  Nährstoffe  im  Zellleib  vor  der  Entfaltung  der  grössten 
Vermehrungsintensität  erklärt;  im  späteren  Verlauf  des  Gährprozesses 
erfolgt  eine  allmähliche  Abnahme.  So  stieg  z.  B.  der  N-Gehalt  (auf 
Trockensubstanz  bezogen)  von  dem  Anfangswert  7,09  nach  1  Stunde 
auf  9,90;  nach  2  Stunden  betrug  er  9,60,  nach  3  Stunden  9,55,  nach 
10  Stunden  nur  noch  6,40  °/0.  Die  Gährungsphysiologie  darf  also  nicht 
nur  den  N-Gehalt  am  Ende  der  Gährung  berücksichtigen.  Die  Ver- 
teilung des  Gesamtstickstoffs  auf  Protein-  und  Nukle'instickstoff  fand 
Stutzer  (Z.  physiol.Ch.  6.  572)  so,  dass  5,519%  N  auf  Proteine,  2,257% 
auf  Nukle'ine  entfielen. 

ÜberdieBeteiligung  der  einzelnen  chemischen  Stoffe  an  derZusammen- 
setzung  derHefe  giebt  eine  an  untergährigerHefe  von  Nagelt  (Sitzungsber. 
d.bayr.  Akad.  1878  Mai  4)  ausgeführte  Analyse  Auskunft;  es  fanden  sich: 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  95 

Cellulose  und  Pflanzenschleim  der  Zellmembran .  37  % 

Albuminstofl'e 45  % 

Peptone 2  % 

Fett 5  % 

Extraktstofl'e  (Leucin,  Glycerin  u.  s.  w.)      ...  4  % 

Asche 7  %. 

Die  Eiweissstoffe  haben  Schlossbeegee  und  Mtjkdee  entweder  durch 
Behandeln  mit  Kalilauge  oder  mit  Essigsäure  zu  isolieren  gesucht  und 
haben  dabei  in  der  That  eine  den  Protei'nstoffen  zukommende  Zusammen- 
setzung der  isolierten  Stoffe  gefunden;  von  Nencki  (Beitr.  z.  Biol.  d. 
Spaltpilze.  1880.  48)  wurde  in  der  Hefe  auch  Mykoprotein  nachge- 
wiesen, ein  Eiweisskörper,  der  bei  der  Zusammensetzung  der  Spaltpilze 
nähere  Beschreibung  finden  wird.  Aus  dem  Nuklein  der  Hefe  stellte 
Liebermann  (Pf.  43  und  47.  155)  Metaphosphorsäure,  Nishimuea  (A. 
18.  318)  die  Nuklei'nbasen  dar;  er  erhielt  auf  die  24,3  °/0  betragende 
Trockensubstanz  der  Hefe  bezogen  0,0265  °/0  Xanthin,  0,006  %  Guanin, 
0,07%  Adenin,  0,071  %  Hypoxanthin.  Unter  den  N-freien  Bestand- 
teilen der  Hefe  ist  zunächst  der  reichliche  Gehalt  an  Cellulose  zu  er- 
wähnen; die  Hefencellulose  zeigt  zwar  dieselbe  Elementarzusammen- 
setzung wie  die  gewöhnliche  Cellulose,  unterscheidet  sich  jedoch  von 
ihr  durch  die  Unlöslichkeit  in  Kupferoxyd- Ammoniak,  sowie  dadurch, 
dass  sie  sich  durch  Kochen  mit  Schwefelsäure  in  gährfähigen  Zucker 
umwandeln  lässt;  nach  Salkowski  (A.  f.  Ph.  1890.  554),  der  sie  zum 
Enterschied  von  der  gewöhnlichen  Cellulose  als  Membranin  bezeichnet, 
geht  sie  durch  langdauerndes  Kochen  mit  Wasser  teilweise  in  Lösung; 
aus  dieser  Lösung  lässt  sich  durch  Alkohol  ein  dem  tierischen  Gly- 
kogen sehr  ähnlicher,  aber  nicht  mit  ihm  identischer  Körper  ge- 
winnen. Auch  präformiertes  Glykogen  oder  wenigstens  ein  dem 
tierischen  Glykogen  sehr  ähnlicher  Körper  ist  nach  Eeeeea  (Acad.  roy. 
d.  Belg.  Ser.  3  IV.  No.  11  und  C.  E.  101.  253)  als  Reservestoff,  wie 
in  vielen  anderen  Pilzen,  so  auch  in  der  Hefe  vorhanden.  Ceemee 
(M.  94.  Nr.  26)  gelang  es,  das  Hefeglykogen  zu  isolieren  und  seine 
Spaltbarkeit  durch  Ptyalin,  Pankreasferment  und  Diastase  darzuthun. 
Von  Kohlehydraten  in  der  Hefe  sind  ausserdem  von  Salkowski  und 
Hessenland  gummiartige  Körper  gefunden,  aus  denen  sich  Man- 
nose  abspalten  lässt.  Ober-  und  Unterhefe  ergaben  gleichmässigen  Ge- 
halt an  Gummi,  nämlich  etwa  6,5  °/0,  und  an  Pentaglukosen  etwa 
2,6  °/0  der  Trockensubstanz.  Ferner  fand  Wegnee  (r:  K.  90.  33) 
Dextran,  Loew  (r:  K.  91.  122)  einen  den  Pflanzenschleimen  ähnlichen 
Hefeschleim. 

Bemerkenswert  ist,  wie  gegenüber  den  Schimmelpilzen  sich  das 
Verhältnis  zwischen  N-losen,    kohlehydratähnlichen  Bestandteilen  und 


96  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Proteinsubstanzen  zu  Gunsten  der  letzteren  verändert;  bei  der  Hefe 
finden  wir  37  °/0  Cellulose  und  47  %  Eiweissstoffe,  während  die  Schimmel- 
pilze ca.  50°/o  Cellulose  und  nur  29%  Eiweiss  enthielten.  Allerdings 
ist  es  nicht  ganz  richtig,  die  in  den  Hefeanalysen  gefundene  N- 
Menge  ganz  auf  Eiweiss  umzurechnen;  ein  Teil  des  Stickstoffs  stammt 
vielmehr  aus  einfacheren  Substanzen,  wie  Leucin,  Tyrosin  u.  s.  w.,  die 
durch  Extraktion  frischer  Hefe  mit  Eiswasser  zu  erhalten  sind;  doch 
kommen  diese  Substanzen  gewöhnlich  in  viel  zu  geringer  Menge  vor, 
als  dass  sie  die  erwähnte  Relation  zwischen  C  und  N  stören  könnten. 
Als  Fäulnisprodukte  der  Hefesubstanz  treten  nach  A.  Müllee  (J.  pr. 
Ch.  70.  65)  hauptsächlich  höhere  Fettsäure,  Amide,  NH3 ,  Leucin  und 
Tyrosin  auf. 

Der  Wassergehalt  frischer,  vegetationsfähiger  Hefe  schwankt 
zwischen  40  und  80%. 

Die  Hefenasche  hat  nachMiTSCHERLiCH  folgende  Zusammensetzung: 

Obergährige  Hefe:  Untergährige  Hefe: 

Kali 38,8%  28,3% 

Phosphorsäure     ....     53,9%,  59,4% 

Kalk 1,0%  4,3% 

Magnesia 6,0%  8,1% 

Kieselsäure Spuren  — 

Bemerkenswert  ist  vor  allem  der  hohe  Phosphatgehalt,  der  dem 
Eiweissreichtum  der  Hefe  vollständig  entspricht.  —  Die  chemische 
Zusammensetzung  des  den  Hefen  nahestehenden  Soorpilzes  ist  nach 
Kappes  (Analys.  d.  Massenkulturen  einiger  Spaltpilze  etc.  [Diss.]  Leipzig 
1890)  folgende:  Die  frische  Kultur  enthält  81,40%  H2  O  und  18,60  % 
Trockensubstanz;    in  Prozenten  der  letzteren  ausgedrückt  fanden  sich: 

Ätherextrakt  .  4,28 

Stickstoff    .    .  12,21 

Asche      .     .     .  10,83 
Davon: 

Kali    ....  0,946 

Natron    .     .     .  1,950 

Kalk  .    .     .  1,472 

Magnesia     .     .  0,742 

Phosphorsäure  5,731 

Chlor.     .     .     .  0,032 

Kieselsäure      .  0,210 

Bemerkenswert  ist  auch  hier  der  hohe  Gehalt  an  N-Substanz  und 
Phosphorsäure. 

III.  Spaltpilze. 

Um  die  chemische  Zusammensetzung  der  Spaltpilze  zu  ermitteln, 
muss  man  grosse  Mengen  derselben  möglichst  frei  von  Teilen  des  Nähr- 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  97 

Substrats  und  von  Stoffwechselprodukten  gewinnen.  Nach  Nencki 
(Beiträge  zur  Biologie  d.  Spaltpilze.  1880)  verfuhr  man  so,  dass  man 
die  Kulturflüssigkeit  mit  2 — 3%  freier  Salzsäure  versetzte  und  aufkochte; 
hierbei  fielen  die  Bakterienleiber  koaguliert  aus  und  Hessen  sich  von 
der  Kulturflüssigkeit  durch  Filtration  trennen;  eiweisshaltige  Nähr- 
lösungen mussten  hierbei  freilich  vermieden  werden.  Bkiegee,  (Z.  physiol. 
Ch.  91),  Ceamee  (A.  13.  71;  16.  151;  22.  167),  Kappes  (Analyse  der 
Massenkulturen  einiger  Spaltpilze  etc.  Diss.  Leipzig  1890),  Nishimura 
(A.  18.  318)  bedienten  sich  zur  Gewinnung  reiner  Bakterienleiber  fol- 
genden Verfahrens:  Sie  legten  Oberflächenstrichkulturen  auf  Gelatine, 
Agar  oder  Kartoffel  an  und  hoben. die  ausgewachsene  Bakterienmasse 
mittelt  eines  Messers  oder  Spatels  vorsichtig  vom  Nährboden  ab. 

Die  ältesten  analytischen  Resultate  stammen  von  Nencki.  Er  fand 
für  eine  Mischkultur  von  Fäulnisbacillen  in  2  %  Gelatinelösung  oder 
in  Lösung  von  schleimsaurem  Ammoniak  für  die  aufeinander  folgen- 
den Stadien  der  Entwicklung,  die  mit  der  Bildung  einer  schleimigen 
Zooglöa  begann  und  der  Bildung  zahlreicher  „reifer"  Bakterien  endete, 
folgende  Werte: 

Reine  Zooglöamasse         Zooglöamasse        Reife  Bakterien 
mit  entwickelten 
Bakterien 

Wassergehalt 84,81%                     84,26%  83,42  % 

In  der  wasserfreien  Substanz: 

Eiweiss 85,76%                    87,46  %  84,20% 

Fett 7,89%                      6,41  %  6,04  % 

Ascbe 4,20%                       3,04  %  4,72  % 

Nicht  bestimmter  Rest     .     .      2,15  %                       3,09  o/0  5,64  % 

Die  Eiweisssubstanz  bestand  grösstenteils  aus  einem  Körper,  der 
sich  durch  einige  Reaktionen  (Nicht-Fällbarkeit  durch  Alkohol),  be- 
sonders aber  durch  seine  elementare  Zusammensetzung  von  anderen  Ei- 
weisskörpern  unterschied  und  von  seinem  Entdecker  als  Mykoprote'in 
benannt  ist.  Derselbe  enthielt  52,32  %  C,  7,55  %  -H,  14,75  °/0  N,  keinen 
Schwefel  und  keinen  Phosphor;  durch  Schmelzen  mit  Atzkali  konnten 
Phenol,  Skatol,  Indol,  Leucin  und  reichliche  Mengen  von  Fettsäuren, 
namentlich  Valeriansäure,  aus  dem  Mykoprote'in  gewonnen  werden.  — 
Leider  sind  diese  analytischen  Resultate,  da  nicht  mit  Reinkulturen 
gearbeitet  wurde  und  demnach  die  verschiedenen  angeblichen  Vegetatio- 
nen wahrscheinlich  nicht  derselben,  sondern  mehreren  Arten  angehörten, 
nicht  direkt  auf  die  Zusammensetzung  des  Bakterienleibes  zu  beziehen 
und  mit  den  folgenden  Analysen  nicht  unmittelbar  vergleichbar;  die 
Konstanz  der  Ergebnisse  und  die  Höhe  des  Eiweissgehaltes  beruht  nach 
Ceamer  (A.  16.  154)  wohl  darin,    dass    Nencki  s   Methode   mehr  zur 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I-  7 


98  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Darstellung  der  Eiweisskörper  der  Bakterien  als  zur  Isolierung  des 
Zellleibes  selbst  geeignet  ist. 

Brieger  (a.  a.  0.)  fand  bei  der  Analyse  von  4  Wochen  alten  reinen 
Kulturmassen  des  Bac.  pneumon.  Friedländer,  die  auf  Gelatine  gezüchtet 
und  ein  wandsfrei  entnommen  waren  (s.  oben)  84,2  %  H20,  in  der  Trocken- 
substanz 1,74  °/0  Fett,  in  der  fettfreien  Trockensubstanz  30,13  °0  Asche, 
in  der  fett-  und  aschefreien  Trockensubstanz  9,75  °/0  N.  Dies  entspricht 
einem  Gehalt  von  6,70  °/0  N  bezogen  auf  die  gesamte  Trockensubstanz, 
während  die  NENCKi'schen  Analysen  unter  Zugrundelegung  des  N-Ge- 
halts  des  Mykoprote'ins  in  der  gesamten  Trockensubstanz  12,65  °/0  er- 
gaben. Die  von  Beieger  gefundene  organische  Grundsubstanz  lässt 
sich  nicht  mit  Nencki's  Mykoprote'in  identifizieren;  sie  gab  einige  für 
Proteine  charakteristische  Reaktionen,  löste  sich  unvollkommen  in 
Wasser,  fiel  beim  Kochen  aus,  löste  sich  beim  Ansäuern  mit  verdünnter 
HN03  in  der  Wärme  wieder  auf;  gab  die  Biuretreaktion  und  Nieder- 
schläge mit  Ferrocyankalium  und  Essigsäure,  Kochsalz  und  Salzsäure, 
Gerbsäure.  —  Nägeli  und  Loew  (Nägeli,  Theorie 'der  Gährung.  S.  111 
und  Sitzungsber.  d.  Kgl.  bayer.  Akad.  math.-phys.  Kl.  Mai  1878)  fanden 
bei  einer  Mikrokokkusvegetation  in  weinsaurem  Ammoniak  in  derTrocken- 
substanz  10,65  °/0  N  und  6,94  %  Asche,  bei  einer  Essigmutter,  die 
aus  einer  zähen  Gallerte  mit  eingebetteten  Kurzstäbchen  bestand,  in 
der  nur  1,7  °/0  der  Gesamtmasse  ausmachenden  Trockensubstanz  da- 
gegen nur  1,82  %  N  und  3,37  °/0  Asche;  hier  bestand  also  der  weit- 
aus grösste  Teil  der  Trockensubstanz  aus  N-freien,  vielleicht  cellulose- 
ähnlichen  Körpern.  Hiermit  stimmt  überein,  dass  Scheibler  und  Dürin 
(Z.  physiol.  H.  Bd.  8.)  beobachteten,  dass  die  Membranen  des  Leucono- 
stoc  mesenterioides  als  wesentlichen  Hauptbestandteil  ein  celluloseähn- 
liches  Kohlehydrat  enthalten. 

Vincenzi  (Z.  physiol.  Ch.  11.  181)  fand  bei  Reinkulturen  des  Bac. 
subtilis  in  verdünnter  Fleischextraktlösung  folgende  Werte  für  den 
Stickstoffgehalt  der  Trockensubstanz:  6,24  %,  11,15  %,  7,97  %  5,34  °/0, 
6,26  °/0;  woher  die  bis  über  100  °/0  betragenden  Differenzen  zwischen 
den  einzelnen  Bestimmungen  herrühren,  weiss  er  nicht  mit  Sicher- 
heit anzugeben;  möglicherweise  seien  dieselben  in  der  verschiedenen 
zeitlichen  Entwicklung  der  untersuchten  Kulturen  begründet.  Kappes 
(a.  a.  O.)  züchtete  Bac.  prodigiosus  und  den  Xerose-Bacillus  auf  einer 
Mischung  von  1,5  Agar,  1,0  Fleischextrakt,  1,5  Pepton,  0,5  NaCl, 
95,5  Wasser  und  fand  bei  der  Analyse  der  reinen  Bakterienleiber  den 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  99 


Bac. 

prodigiosus. 

Xerose-Bacillus 

Ätherextrakt 

4,S3 

8,06 

Stickstoff 

11,40 

12,12 

Ascbe 

13,47 

9,52 

Kali 

1,55 

1,06 

Natron 

3,93 

2,34 

Kalk 

0,56 

0,28 

Magnesia 

1,05 

0,58 

Phosphorsäure 

5,12 

3,28 

Chlor 

0,66 

0,06 

Kieselsäure 

0,07 

0,05 

Hammerschlag-  (C.  M.  91.  Nr.  1)  fand  in  Tuberkelbacillen,  die 
in  5  proz.  Grlycerin-Bouillon  oder  auf  Grlycerin-Pepton-Agar  gewachsen 
waren,  im  Mittel  einen  Wassergehalt  von  85,9  %;  die  Trockensub- 
stanz enthielt  27,2  °/0  Alkohol-  und  Ätherextrakt;  die  in  Alkohol 
und  Äther  unlösliche  Trockensubstanz  enthielt  51,62  °0  C,  8,07  %  H, 
9,09  %  N,  8  %  Asche.  Kresling  (Arch.  d.  sc.  biol.  t.  I.  711)  wies 
in  den  Kulturen  der  Rotzbacillen  23 — 25  °/0  Trockensubstanz  und  in 
dieser  6,67  °/0  Asche  nach;  die  Masse  der  Trockensubstanz  soll  mit 
dem  Alter  der  Kultur  zunehmen. 

Dzierzgowski  und  Rekowski  (Arch.  d.  sc.  biol.  1892.  167)  geben 
bezüglich  der  Zusammensetzung  der  in  reiner  Lösung  von  Pepton  ge- 
wachsenen Diphtheriebacillen  Folgendes  an:  48,87  °/0  C,  8,61  °/0  H, 
11,17  °/0  N,  4,57  %  Asche,  1,62  °/0  Ätherextrakt,  2,24  %  Alkohol- 
extrakt, 28,01  °/0  Cellulose,  63,40  %  Albumin  in  der  Trockensubstanz. 

Zwischen  den  bisher  mitgeteilten  Analysen  verschiedener  Bakterien, 
ja  sogar  zwischen  verschiedenen  Analysen  desselben  Bakteriums  be- 
stehen zum  Teil  so  ungeheure  Differenzen,  wie  sie  sonst  nirgends  bei 
Lebewesen  bekannt  sind.  Es  fragt  sich,  ob  diese  enormen  Verschie- 
denheiten auf  gleich  grosse  wirkliche  Unterschiede  in  der  Zusammen- 
setzung der  Bakterien  zurückzuführen  sind,  was  freilich  bei  einander 
so  nahe  verwandten  Lebewesen  sehr  merkwürdig  wäre,  oder  ob  etwa 
ein  und  dasselbe  Bakterium,  je  nach  den  Lebens-  und  Ernährangs- 
bedingungen  seine  Zusammensetzung  wesentlich  ändert.  Cramer  hat 
diese  Frage  im  letzteren  Sinne  entschieden  und  nachgewiesen,  dass 
„von  einer  typischen  Zusammensetzung  der  Bakterien  in 
dem  Sinne,  wie  sie  für  höher  organisierte  Wesen  bekannt  ist, 
nicht  die  Rede  sein  kann,  sondern  dass  dieselbe  in  hohem 
Masse  selbst  bei  einem  und  demselben  Bacillus  schwankt,  in- 
dem sie  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ganz  von  der  Zusam- 
mensetzung des  Nährmaterials  abhängt"  (A.  12.  157  f.).  Cramer 
bewies  zunächst  (A.  13.  76  ff.),  dass  der  Wasser-  und  Aschengehalt  eines 
und  desselben  Bakteriums  durchaus  inkonstant  ist.  wenn  Verschieden- 

7* 


100 


Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 


heiten  des  Nährbodens,  der  Züchtungstemperatur,  des  Alters  der  Kultur 
etc.  nicht  berücksichtigt  werden.  In  zwei,  etwa  ein  Jahr  auseinander 
liegenden  Analysen  desselben  Wasserbakteriums  bei  annähernd  gleicher 
Wachstumsdauer  fand  er: 

15,23  %  Trockensubstanz  und  darin  22,77  %  Asche 
bezw.  18,32  %  „  „        „      12,49  %      „ 

Die  Trockensubstanz  hatte  also  merklich  zugenommen,  der  Asche- 
gehalt hingegen  war  fast  auf  die  Hälfte  verringert. 

Bei  systematischen  Versuchen  mit  Kartoffelkulturen  des  Bac.  pro- 
digiosus  ergab  sich  unter  verschiedenen  Bedingungen  der  Tem- 
peratur, Wachstumsdauer  und  des  Nährbodens  eine  sehr  deut- 
liche Verschiedenheit  im  Wasser-  und  Aschegehalt,  während 
innerhalb  jeder  einzelnen  Gruppe  bei  gleich  gehaltenen  Bedingungen 
eine  hinreichend  genaue  Übereinstimmung  der  einzelnen  Resultate  be- 
steht. Dies  beweisen  folgende,  nach  Cramer  (A.  13.  78 — 84)  zusammen- 
gestellte Tabellen: 

Einfluss  der  Temperatur  bei  konstanter  Wachstumsdauer. 


Nr. 
des 

Bruttemperatur 

33  »i 

Zimmertemperatur 

Asche  in  d. 

Asche  in  d. 

Asche  in  d. 

Asche  in  d. 

Trocken- 

Trocken- 

feuchten 

Trocken- 

Trocken- 

feuchten 

suches 

substanz 

substanz 

Masse     | 

substanz 

substanz 

Masse 

in  % 

m  % 

in  <yn 

-            n, 

m  % 

in  % 

in  % 

1 

25,02 

9,61 

2,41 

21,57 

12,92 

2,79 

2 

22,87 

9,95 

2,28 

18,69 

13,79 

2,58 

3 

26,03 

9,93 

2,58 

23,10 

12,92 

2,99 

4 

22,77 

7,76 

1,77 

20,56 

10,43 

2,15 

Mittel: 

24,17 

9,31 

2.26       | 

20,98 

12,52 

2,63 

Einfluss  der  Wachstumsdauer  bei  Zimmertemperatur. 


Nr. 
des 
Ver- 
suches 

4  Tage  langes  Wachstum 

13-16  (Mittel  14,5)  Tage  langesWachst. 

Trocken- 
substanz 
in  % 

Asche  in  d. 
Trocken- 
substanz 
in  % 

Asche  in  d. 
feuchten 

Masse 
in  % 

Trocken- 
substanz 

in  % 

Asche  in  d. 
Trocken- 
substanz 
in  % 

Asche  in  d. 
feuchten 

Masse 
in  % 

1 

2 
3 
4 

20,38 
21,40 
21,58 

18,01 

10,22 

12,50 

13,78 

8,93 

2,13 
2,67 

2,97 
1.50 

18,91 
18,01 
15,87 
16.60 

16,37 
10,26 
13,64 
14,80 

3,09 

1,85 
2,17 
2,40 

Mittel: 

20,44 

11,38 

2.32 

17,45 

13,77 

2,38 

Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen. 


101 


Der  Trockengehalt  von  Kulturen,  die  bei  Bruttemperatur  gehalten 
wurden,  ist  also  grösser  als  solcher,  die  bei  Zimmertemperatur  gewachsen 
sind,  was  auf  eine  vermehrte  Produktion  organischen  Materials  bei 
dem  üppigen  Wachstum  schliessen  lässt.  Der  Trockengehalt  ist  ferner 
bei  jungen  Kulturen  grösser  als  bei  alten;  es  scheint  also  in  den  späteren 
Perioden  des  Wachstums  eine  stärkere  Wasseraufnahme  aus  dem  Nähr- 
boden zu  erfolgen. 

Einfluss  des  Nährbodens. 


Alte  Kartoffel 

n 

Neue  (wasserreichere) 

Kartoffeln 

Trocken- 
substanz 
in  % 

Asche  in  d. 
Trocken- 
substanz 
in  % 

Asche  in  d. 

feuchten 

Masse 

in  % 

Trocken- 
substanz 
in  % 

Asche  in  d. 
Trocken- 
substanz 
in  % 

Asche  in  d. 

feuchten 

Masse 

in  % 

Maxim.: 
Minim.: 

23,14 
18,69 

13,86 
9,95 

3,25 
1,85 

20,56 
18,01 

10,43 
8,93 

2,40 
1,60 

Mittel: 

21,49 

12,80 

2,71 

19,39 

9,85 

2,10 

Dagegen  auf 
Mittel:  I       12,58 


n  Rüben: 
11,22      I 


1,31     i 


Die  Kartoffeln  haben  nach  König  (Zusammensetzung  d.  Nahrungs-  u.  Genuss- 
mittel. S.  650)  im  Mittel  einen  Trockengehalt  von  25,02  %  mit  4,36  %  Asche  = 
1,09  %  Asche  in  der  feuchten  Masse;  in  den  gelben  Rüben  fand  Cramer  nur  13,30% 
Trockensubstanz  mit  5,81  %  Asche  =  0,77  %  Asche  in  der  feuchten  Masse. 

Der  Trocken-  und  Aschegehalt  der  Bakterien  hängt  also  von  dem 
des  Nährsubstrats  ab  und  ändert  sich  mit  letzterem  in  gleichem  Sinne. 

Eine  ähnliche  Abhängigkeit  von  der  Beschaffenheit  des  Nährsub- 
strats stellte  Cramer  in  einer  späteren  Untersuchung  (A.  16. 171  ff.)  auch 
für  die  Eiweisskörper  der  Bakterien  fest. 


Stickstoffsubstanz 

Äther-Alkohol-Extrakt 

Asche 

Bacillus 

• 

c 
o 

Ö 

o 

"PH      U 

_Q      es 

1  SP 

© 

p-l  •** 

o 

£  SP 

i  a 

J-i     ff) 

ä 
S 

ST  co 
P4    bß 

~5 

O 
P-l     SJ3 

Ö    es 

<d    bß 

gl 
&    § 

„O     IS! 

1-1 

lO 

lO     N 

1-1 

lO 

^ 

lO 

>o 

Pfeiffer's  Kapsel-B. 

66,6 

70,0 

53,7 

17,7 

14,63 

24,0 

12,56 

9,10 

9,13 

Nr.  28 1) 

73,1 

79,6 

59,0 

16,9 

17,83 

18,4 

11,42 

7.79 

9,20 

Pneumonie-B. 

71,7 

79,8 

63,6 

10,3 

11,28 

22,7 

13,94 

10,36 

7,88 

Rhinosklerom-B. 

68,4 

76,2 

62,1 

11,1 

9,06 

20,0 

13,45 

9,33 

9,44 

1)  Ein  Wasserbakterium. 


102 


Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 


Bacillus 

Bei  Wachstum  auf  Agar  mit  Zusatz  von 
1  %  Pepton                 5  %  Pepton           5  %  Traubenzucker 

C 

H 

N 

C 

H 

N 

C 

H 

N 

Pfeiffer's  Kapsel-B. 
Nr.  28 

Pneumonie-B. 
Rhinosklerom-B. 

51,42 
51,72 
50,95 
51,19 

7,31 

7,32 

7,18 
7,40 

12,18 

13,20 
13,28 
12,63 

50,63 

50,47 
51,37 
51,81 

6,59 
6,77 
6,71 

7,49 

12,32 

13,82 
14,25 
13,46 

49,44 
50,33 

50,33 

6,52 

6,79 
6,92 

6,76 

9,44 
10,44 
11,05 
10,76 

Wie  sich  aus  der  ersten  Tabelle  ergiebt,  schwanken  die  Stickstoff- 
Substanzen  je  nach  der  verschiedenen  Zusammensetzung  des  Nährbodens 
sehr  erheblich:  im  Maximum  um  35%,  im  Minimum  um  23%,  im 
Mittel  um  28°/0.  Dass  diese  Schwankungen  im  Gehalt  an  Stickstoff- 
substanz nicht  etwa  auf  Stickstoffmangel  im  Nährboden  oder  auf  Ver- 
flüchtigung eines  Teiles  des  Stickstoffs  in  Form  von  Ammoniak  oder 
auf  einen  wechselnden  N-Gehalt  des  Alkoholextrakts  zurückzuführen  ist, 
hat  Ceamee  durch  Kontroiversuche  dargethan.  Die  Stickstoffsubstanzen 
sind  also  als  Eiweisskörper  aufzufassen,  wofür  direkt  auch  die  aus 
der  zweiten  Tabelle  zu  entnehmende  elementare  Zusammensetzung  der 
Bakterien  spricht,  welche  mit  der  des  Eiweisses  fast  vollständig  über- 
einstimmt. Hieraus  ergiebt  sich,  dass  der  Eiweissgehalt  der  unter- 
suchten Bakterien  ein  sehr  hoher  ist  (bis  80%)  und  im  Mittel 
je  nach  den  Ernährungsbedingungen  um  28%  schwankt.  Diese  „phy- 
siologische Breite  der  Eiweissschwankung"  hängt  ab  von  der 
im  Nährmaterial  vorhandenen  Menge  assimilierbaren  Stickstoffs,  jedoch 
nicht  von  dieser  allein,  sondern  auch,  aber  in  entgegengesetztem  Sinne, 
von  der  Wachstumsenergie,  indem  trotz  gleichen  absoluten  Gehaltes 
an  Stickstoff  bei  einer  intensiveren  Vermehrung  für  das  einzelne  Indivi- 
duum weniger  Stickstoff  verfügbar  ist.  Daher  ist  z.  B.  auf  5  %  Trauben- 
zucker-Agar,  der  die  gleiche  Menge  Stickstoff  enthält  wie  der  gewöhn- 
liche Agar,  doch  infolge  der  stärkeren  Wachstumsenergie  der  Eiweiss- 
gehalt der  Bakterien  ein  geringerer.  Üppiges  Wachstum  und 
hoher  Eiweissgehalt  brauchen  also  durchaus  nicht  zusammen 
zu  fallen.  Das  Verhältnis,  in  dem  der  Eiweissgehalt  der 
Bakterien  mit  der  relativ  verfügbaren  Menge  Stickstoff  zu- 
nimmt, ist  kein  direktes;  vielmehr  verhalten  sich  die  mittiefen 
Eiweissmengen  wie  100  :  120  :  128,  die  Mengen  des  verfügbaren  Stick- 
stoffs wie  10  :  20  :  60.  Hieraus  ergeben  sich  interessante  Folgerungen 
betr.  der  Assimilation  und  des  Stoffwechsels  bei  den  Bakterien,  die 
später  an  entsprechender  Stelle  Berücksichtigung  finden  werden. 

Diese  Resultate  über  die  Abhängigkeit  des  Eiweiss-  und  Asche- 
gehalts der  Bakterien   fand  Ceamer  in  seiner  neuesten  Untersuchung 


Gotschijch,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  103 

(A.  22.  167  ff.)  auch  bei  den  Cholerabacillen  bestätigt.  Bei  Züchtung 
derselben  in  1  proz.  Sodabouillon  fand  er  einen  mittleren  Wassergehalt 
von  88,3  %  und  in  der  Trockensubstanz  rund  65%  Eiweiss  und  31% 
Asche,  bezw.  bei  der  Elementaranalyse  48,88  °/0  C,  15,00  %  N,  7,26  % 
H.  Bei  Züchtung  in  UscHiNSKY'scher  Nährlösung  hingegen,  die  viel 
weniger  Asche,  und  den  Stickstoff  in  schwieriger  assimilierbarer  Form 
enthält,  waren  in  der  Trockensubstanz  im  Mittel  nur  45,28  °/0  Eiweiss 
und  11,32%  Asche. 

Bezüglich  der  Extraktivstoffe  zeigten  sich  ebenfalls  (s.  d.  zweite 
Tabelle  auf  S.  101)  die  erheblichsten  Schwankungen;  bei  Wachstum 
auf  Traubenzucker-Agar  war  der  Alkohol-  und  Atherextrakt  auf  das 
Doppelte  vermehrt. 

Diese  von  Cbamee  entdeckte  Anpassungsfähigkeit  der  che- 
mischen Zusammensetzung  der  Bakterien  an  die  Beschaffen- 
heit des  Nährsubstrats  ist  für  dieselben  in  hohem  Grade  zweck- 
mässig und  befähigt  sie  ausserordentlich  zu  der  Rolle,  die  sie  im  Haus- 
halt der  Natur  spielen,  grosse  Mengen  verschiedenartigster  organischer 
Substanz ,  die  zudem  während  des  Zersetzungsprozesses  selbst  konti- 
nuierlich ihre  Beschaffenheit  ändert,  in  kurzer  Frist  vollständig  zu  zer- 
legen. Nur  Lebewesen,  deren  Existenz  nicht  an  eine  ganz  bestimmte 
Zusammensetzung  ihrer  Körpersubstanz  gebunden  ist,  und  die  daher 
auch  nicht  ganz  bestimmte  Ansprüche  an  das  Nährmaterial  zu  machen 
brauchen,  sind  zu  so  vielseitigen  Leistungen  unter  so  verschiedenen 
Bedingungen  befähigt.  Übrigens  wäre  es  wohl  verfehlt,  aus  dieser 
weitgehenden  Anpassungsfähigkeit  der  Bakterien  an  ihr  Substrat  folgern 
zu  wollen,  dass  gar  kein  konstanter  Faktor  an  ihrer  Zusammensetzung 
mitwirke.  Eine  solche  Annahme  ist  schon  mit  Rücksicht  auf  die 
Konstanz  der  spezifischen  physiologischen  Wirkung  der  einzelnen  Bak- 
terienarten, z.  B.  ihrer  spezifischen"  Ferment-,  Gähr-  und  krankheits- 
erregenden Wirkung  ganz  unthunlich;  die  thatsächliche  Existenz  scharf 
charakterisierter  Bakterienarten  verlangt  vielmehr  die  Annahme  eines 
festen,  von  den  äusseren  Umständen  unabhängigen  Kerns 
in  ihrer  chemischen  Zusammensetzung.  Auch  sprechen  hierfür 
sogar  manche  Resultate  der  chemischen  Analysen  des  Bakterienleibes; 
so  fand  Ceamee  bei  seinen  verschiedenen  Bakterienarten  unter  gleichen 
Versuchsbedingungen  spezifische  Artverschiedenheiten  in  der  Zusammen- 
setzung, die  er  sogar  in  differential-diagnostischer  Beziehung  verwenden 
zu  können  für  möglich  hält.  Auffallend  sind  ausserdem,  wie  ebenfalls 
Ceamee,  betont  (A.  16.  183),  die  fast  vollkommen  konstanten  Werte  des 
Kohlenstoff-  und  Wasserstoffgehalts  in  der  Trockensubstanz  seiner  Bak- 
terien, die  auch  in  bemerkenswerter  Weise  mit  den  Werten  anderer  Au- 
toren für  andere  Bakterien  übereinstimmen.  Gemeinsames  Charakte- 


104  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ristikum  der  Bakterien  gegenüber  den  Spross-  und  Schimmelpilzen 
ist  ferner  das  bedeutende  Überwiegen  N-haltiger,  gegenüber  N- 
freien  Substanzen.  Der  Zellleib  der  Bakterien  ist  also  ausser- 
ordentlich reich  an  Eiweissstoffen,  während  Kohlehydrate  etc. 
sehr  zurücktreten.  —  Der  Einfluss  nun,  den  die  hiernach  anzunehmende, 
für  jede  Bakterienart  bestimmte  chemische  Struktur  auf  ihren  Stoff- 
wechsel ausübt,  geht  freilich  nicht,  wie  bei  höheren  mehrzelligen 
Lebewesen,  auf  die  Erhaltung  einer  ganz  genau  quantitativ  bestimmten 
Znsammensetzung  der  Leibessubstanz,  sondern  ist  nur  qualitativ;  es  wird 
wahrscheinlich  nur  die  Richtung  angegeben,  in  der  sich  der  Chemismus 
bewegt,  wobei  aber  die  quantitativen  Verhältnisse  von  den  äusseren  Be- 
dingungen in  weitestem  Masse  abhängen.  Nach  dieser  Auffassung  steht 
die  Abhängigkeit  der  chemischen  Zusammensetzung  des  Bakterienleibes 
von  der  Beschaffenheit  des  Nährsubstrats  durchaus  nicht  ohne  Ana- 
logie da;  freilich  ist  diese  Analogie  nicht  bei  dem  ganzen  mehr- 
zelligen Organismus  zu  finden,  wohl  aber  bei  den  einzelnen  ihn  konsti- 
tuierenden Zellen;  so  z.  B.  bei  einer  einzelnen  Leberzelle,  bei  der  auch 
unter  verschiedenen  äusserenBedingungen  der  Gehalt  anEiweiss,  Glykogen 
und  Fett  ganz  verschieden  ist  und  demnach  von  einer  typischen  Zu- 
sammensetzung wie  beim  ganzen  Organismus  nicht  die  Rede  sein  kann. 
Ebenso  wird  bei  der  chemischen  Analyse  des  Bakterienleibes  die  ganze 
Masse  der  darin  eingelagerten  Stoff  Wechselprodukte  und  aller  jener 
Stoffe,  welche  nicht  zu  plastischen  Zwecken,  sondern  nur  zur  Erzeugung 
von  Energie  für  die  Leistungen  der  lebenden  Maschine  dienen,  mit- 
bestimmt; diese  letzteren  „dynamogenen"  Stoffe  können  aber  wahr- 
scheinlich, wie  noch  später  zu  betrachten  sein  wird,  sehr  verschiedener 
Herkunft  sein.  Gar  keine  Berücksichtigung  hat  auch  bisher  bei  den 
chemischen  Untersuchungen  die  Frage  gefunden,  inwieweit  die  ge- 
fundenen Zahlen  auf  die  Bakterienleiber  und  inwieweit  sie  auf  die  Inter- 
cellularsubstanz  zu  beziehen  seien;  wie  in  einem  späteren  Kapitel  ge- 
zeigt werden  soll,  kann  dieser  Punkt  von  sehr  erheblicher  Bedeutung 
sein.  Es  muss  also  die  chemische  Zusammensetzung  einer  Kulturmasse 
in  zahlenmässige  Beziehung  gebracht  werden  zu  der  Anzahl  der  darin 
enthaltenen  lebenden  Individuen;  derartige  Versuche  würden  auch  die 
schärfste  Bestimmung  für  den  Höhepunkt  in  der  zeitlichen  Entwicklung 
der  Kultur,  auf  dessen  Einhaltung  bei  der  Analyse  Gramer  mit  Recht 
grossen  Wert  legt,  gestatten. 

Über  die  Beschaffenheit  der  einzelnen  chemischen  Bestand- 
teile des  Bakterienleibes  ist  Folgendes  bekannt: 

1.  Eiweisskörper.  Das  NENCKi'sche  Mykoprotei'n  ist  bereits 
oben  erwähnt.  Derselbe  Autor  fand  in  Milzbrandbacillen  mit  Sporen- 
bildung einen  anderen  schwefelfreien  Eiweisskörper,  der  sich  in  Alkalien 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  105 

leicht  lost,  in  Wasser,  Essigsäure  und  verdünnten  Mineralsäuren  aber 
ganz  unlöslich  ist,  und  nannte  ihn  Anthraxprotein  (B.  Ch.  13.  2605). 
Über  den  von  Brieger  (a.  a.  0.)  in  den  Pneumoniebacillen  gefundenen 
Eiweisskörper  ist  bereits  oben  berichtet.  Von  besonderem  Interesse  ist 
ein  von  Hellmich  (A.  P.  Bd.  26.  328)  aus  der  Reinkultur  eines  nicht 
näher  untersuchten  Bacteriums  isolierter  Eiweisskörper,  der  die  Eigen- 
schaften der  gewöhnlichen  Globuline  zeigt.  Aus  den  Tuberkelbacillen 
wurden  von  Hammerschlag  (a.  a.  0.)  ein,  von  v.  Hoemann  (W.  K.  94. 
712)  sechs  verschiedene  Eiweisskörper  ohne  besondere  chemische  Cha- 
rakteristika isoliert.  Besondere  Erwähnung  verdienen  ferner  die  Unter- 
suchungen Th.  Weyl's  zur  Chemie  des  Tuberkelbacillus  (D.  91.  256  f.), 
weil  es  hierbei  gelang,  Bestandteile  der  Hülle  und  des  eigentlichen 
Bakterienleibes  getrennt  zu  untersuchen.  Bei  Behandlung  mit  warmer 
verdünnter  Natronlauge  entstand  eine  gelblich-trübe  Mischung,  in  der 
kleine  weisse  Fetzen  umherschwammen;  beim  Erkalten  erstarrte  die 
Flüssigkeit  zu  einer  trüben  Gallerte  und  zwar  in  zwei  Schichten, 
deren  untere  aus  den  weissen  Fetzen  bestand.  Diese  weissen  Mem- 
branen lösten  sich  erst  in  koncentrierter  Schwefelsäure  langsam  auf 
und  gaben  mit  Millon's  Reagens  keine  Rotfärbung;  sie  zeigen  die 
spezifische  Färbbarkeit  der  Tuberkelbacillen  und  entstammen  daher 
wahrscheinlich  der  Hülle  der  Tuberkelbacillen.  Die  Gallerte,  welche 
wahrscheinlich  aus  dem  Protoplasma  der  Bacillen  hervorgegangen  war, 
ergab  bei  Fällung  mit  verdünnter  Essigsäure  einen  mucinähnlichen 
Körper,  der  im  Übers chuss  der  Essigsäure  unlöslich  blieb,  durch  Alkalien 
dagegen  in  Lösung  gebracht  werden  konnte.  Dieses  „Toxomucin" 
enthält  51,6  %  C,  7,3  °/o  H  und  4,4%  N,  ausserdem  kleine  Mengen 
von  S  und  P. 

Die  im  plasmatischen  Zellinhalt  der  Bakterien  präformiert  vor- 
handenen eiweissartigen  Stoffe  gelang  es  Buchner  (B.  90.  673  u.  1084) 
rein  darzustellen.  Diese  Stoffe,  die  er  zunächst  in  Mischung  mit  an- 
deren Bakterienprodukten  einfach  durch  Sterilisation  von  wässrigen 
Emulsionen  der  verschiedensten  Bakterien  (Staphylokokkus  pyogenes 
aur.,  Staphylokokkus  cereus  fiavus,  Sarcina  aurantiaca,  Bac.  prodigio- 
sus,  Fitzianus,  cyanogenus,  megaterium,  ramosus,  subtilis,  coli  conm- 
nis,  acidi  lactici,  anthracis  [sporenfrei],  mallei,  Kieler  Wasserbacillus, 
Proteus  vulgaris,  Friedländer' s  Pneumobacillus,  Vibrio  Finkler- 
Prior)  gewann,  zeigten  eine  sehr  bedeutende  Hitzebeständigkeit  und  be- 
wirkten bei  Injektion  in  den  Tierkörper  aseptische  Eiterung  durch 
chemotaktische  Anlockung  der  Leukocyten.  Dass  diese  Stoffe  Bestand- 
teile der  Bakterienleiber  selbst  und  nicht  ausgeschiedener  Stoffwechsel- 
produkte  sind,  bewies  Buchner  dadurch,  dass  sie  in  der  klaren,  von 
Bakterienleibern  freien  Kulturflüssigkeit  nicht  vorhanden  waren.    Sehr 


106  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

bemerkenswert  ist,  dass  diese  Körper  bei  Behandlung  mit  basischen 
Anilinfarben  ihre  "Wirkung  auf  den  Tierkörper  einbüssen;  sie  gehen 
also  mit  dem  Farbstoff  eine  chemische  Verbindung  ein  und  sind  daher 
wahrscheinlich  identisch  mit  den  Bestandteilen  des  Bakterienleibes, 
welche  seine  Färbbarkeit  bedingen.  Die  Reindarstellung  dieser  Bakterien- 
prote'ine  gelingt  durch  Auflösung  derselben  in  verdünnten  Alkalien 
und  nachträgliche  Ausfällung  durch  verdünnte  Säuren ;  im  Überschuss 
von  Säure  sind  sie  wieder  löslich.  Genauer  chemisch  untersucht  ist 
das  Protein  der  FRiEDLÄNDER'schen  Bacillen  und  des  Pyocyaneus.  Beide 
dokumentieren  sich  durch  die  Xanthoprote'in-,  die  MiLLOisr'sche,  dieBiuret- 
und  die  ADAMKiEWicz'sche  Reaktion  als  Eiweisskörper.  Beide  sind 
löslich  in  Wasser,  in  verdünnten  Alkalien,  in  koncentrierteren  Säuren, 
unlöslich  dagegen  in  verdünnten  Säuren.  Durch  Kochen,  durch  ge- 
sättigte Kochsalzlösung,  durch  Quecksilberchlorid  wird  keine  Fällung 
erzielt,  wohl  aber  durch  Magnesiumsulfat,  Kupfersulfat,  Platinchlorid, 
Goldchlorid,  Bleisalze,  Pikrinsäure,  Gerbsäure,  absoluten  Alkohol.  Das 
Pyocyaneusprotem  enthält  11,52  %  Asche,  welche  hauptsächlich  aus 
NaCl  besteht,  daneben  auch  Phosphorsäure  enthält.  Vom  Mykoprotei'n 
Nencki's  sind  diese  Proteine  scharf  unterschieden.  Sie  nähern  sich  in 
ihrem  Verhalten  den  Pnanzenkasei'nen.  —  Die  hitzeunbeständigen, 
aus  der  Züchtungsflüssigkeit  der  Bakterien  gewonnenen  Toxalburnine, 
sowie  die  alkaloidähnlichen  Toxine  gehören  nicht  hierher,  da  sie  nicht 
als  Bestandteile  des  Bakterienleibes,  sondern  als  Stoffwechselprodukte 
aufzufassen  sind.  Ihr  chemisches  Verhalten  wird  daher  bei  den  Stoff- 
wechselprodukten besprochen. 

Dagegen  sind  hier  noch  zu  erwähnen  die  von  Pfeiefer  (Z.  11) 
in  den  Leibern  der  Choleravibrionen  enthaltenen  spezifisch  wirkenden 
Giftsubstanzen,  die  „primären  Toxine",  von  deren  chemischer  Beschaffen- 
heit man  jedoch  nicht  viel  mehr  kennt,  als  ihr  ausserordentlich  labiles 
Verhalten  gegenüber  der  Einwirkung  der  gebräuchlichen  Darstellungs- 
verfahren und  Reagentien;  nur  mit  Chloroform  oder  durch  vorsichtiges 
Trocknen  bei  37°  gelingt  ihre  Konservierung  auf  kurze  Zeit;  bei  ein- 
greifender Behandlung  gehen  sie  in  Körper  von  geringerer  Gift- 
wirkung und  grösserer  chemischer  Beständigkeit,  in  die  sog.  „sekun- 
dären Toxine",  über. 

2.  Nuklei'ne  und  Nukle'inderivate.  jNukle'ine  fand  zuerst 
Vandevelde  (Z.  physiol.  Ch.  8)  bei  der  Analyse  des  Bac.  subtilis. 
Nuklei'n  glaubt  ferner  Deetfuss  (ebd.  18.  338)  in  den  Bakterien 
annehmen  zu  müssen,  da  ihre  Färbbarkeit  durch  basische  Anilinfarben 
nach  Extraktion  mit  Salzsäure,  wobei  die  Eiweisskörper  als  Acidalbumine 
in  Lösung  gehen  müssen,  nicht  beeinträchtigt  wird;  dagegen  ist  sie 
nach  Behandlung  mit  Natronlauge  fast  ganz  verschwunden.    Gottstein 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  107 

(V.  133.  296)  schliesst  aus  der  durch  die  Bakterien  veranlassten  ener- 
gischen Spaltung  des  Wasserstoffsuperoxyds  auf  die  Existenz  von 
Nukle'm  in  den  Bakterienleibern.  Endlich  gelang  es  Nishimura 
(a.  a.  0.)  aus  der  Kulturmasse  eines  Wasserbacillus  die  Nukle'mbasen 
abzuspalten  und  so  indirekt  die  Existenz  von  Nuklei'nen  im  Bakterien- 
leibe darzuthun;  es  fanden  sich  0,17  °/0  Xanthin,  keinHypoxanthin,  0,14°/0 
Guanin,  0,08%  Adenin. 

3.  Kohlehydrate.  Scheiblee,  u.  Durin  (a.  a.  0.)  isolierten,  wie 
bereits  oben  erwähnt,  aus  den  Hüllen  des  Leuconostoc  mesenterioides 
ein  celluloseähnliches  Kohlehydrat,  das  Dextran,  von  der  Formel 
C6Hl0O5,  welches  in  Wasser  löslich  ist,  die  Polarisationsebene  stark 
nach  rechts  dreht  und  durch  Kochen  mit  verdünnten  Säuren  in  Zucker 
umgewandelt  wird.  Ein  sehr  ähnliches  Kohlehydrat  von  derselben  Zu- 
sammensetzung fand  Cramer  (M.  Ch.  10.  467)  in  den  schleimigen  Hüllen 
des  Bac.  viscosus  sacch.;  es  unterscheidet  sich  von  Dextran  durch  seine 
sehr  geringe  Löslichkeit  im  Wasser,  in  dem  es  nur  kleisterartig  aufquillt. 

Cellulose  wurde  von  Vandevelde  (a,  a.  O.)  und  Vincenzi  (a.  a.  O.) 
bei  der  Analyse  des  Bac.  subtilis  vermisst.  Nencki  u.  Schaeeer  (J. 
pr.  Ch.  [N.  F.]  Bd.  20.  443)  haben  in  Fäulnisbacillen,  Hammerschlag 
in  den  Tuberkelbacillen  Cellulose  gefunden;  doch  sind  diese  Befunde 
nicht  ganz  einwandsfrei.  Auch  ist  durch  eine  neuere  Untersuchung  von 
Nishimura  (A.  21,  52)  bewiesen,  dass  die  Tuberkelbacillen  bei  Züchtung 
in  Glycerinbouillon  keine  Cellulose  enthalten.  Dagegen  wies  mit  aller 
Sicherheit  Brown  (r:  B.  Ch.  20.  580)  in  seinem  Bacterium  xylinum 
Cellulose  nach;  ebenso  fand  Dreyettss  (a.  a.  O.)  Spuren  echter  Cellu- 
lose in  Eiterbacillen  und  im  Bac.  subtilis.  Auch  Dzierzgowski  und 
Rekowski  fanden  in  den  Diphtheriebacillen  ca.  28°/0   Cellulose. 

Hemicellulosen,  die  sich  nach  der  Begriffsbestimmung  von 
E.  Schulze  (Z.  physiol.  Chem.  14.  227;  16.  387)  von  der  echten 
Cellulose  dadurch  unterscheiden,  dass  sie  schon  beim  Kochen  mit  ver- 
dünnter Säure  in  Zucker  übergeführt  werden  und  in  verdünnter  Salz- 
säure sich  auflösen,  sind  von  Nishimura  (A.  18.  330  ff.)  zuerst  in 
seinem  Wasserbacillus  gefunden  worden;  der  Körper  hatte  wahr- 
scheinlich die  Formel  C6H10O5  und  war  in  der  Trockensubstanz  zu 
etwa  12  °/0  vorhanden.  Später  fand  derselbe  Autor  reichliche  Mengen 
von  Hemicellulosen  auch  im  Bac.  prodigiosus,  Staphylokokkus  pyogen, 
citreus  und  in  den  auf  Glycerinbouillon  gewachsenen  Tuberkelbacillen 
(A.  21.  61  f.);  Nishimura  hält  es  für  möglich,  dass  der  Cellulose- 
gehalt  tuberkulöser  Organe ,  der  zuerst  von  E.  Freund  (Jahrb.  d.  Ges. 
Wiener  Arzte.  Bd.  28)  festgestellt  ist,  auf  einer  Umwandlung  der  in 
den  Tuberkelbacillen  enthaltenen  Hemicellulose  in  echte  Cellulose 
beruht. 


108  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

4.  Fette.  Die  Fette  seiner  Bakterien  fand  Cramer  (A.  16.  166) 
von  weisser  Farbe  und  niedrigem  Schmelzpunkt  (etwa  40  °);  bei 
Wachstum  auf  traubenzuckerhaltigem  Nährboden  war  das  Fett  etwa 
auf  das  Doppelte  vermehrt.  Hier,  sowie  auch  in  den  Diphtheriebacillen, 
wo  Dzierzgowski  und  Rekowski  (a.  a.  0.)  den  Schmelzpunkt  des  Fett- 
säuregemenges bei  37,5°  fanden,  war  offenbar  auch  Triolei'n  vorhanden, 
während  nach  Hammerschlag  in  dem  Fette  der  Tuberkelbacillen,  dessen 
Schmelzpunkt  63  °  betrug,  ganz  vorwiegend  Tristearin  und  Tripalmitin 
enthalten  sind.  Nishimura  fand  in  seinem  Wasserbacillus  Nr.  28  alle 
Fettsäuren,  ausserdem  auch  Lecithin  in  einer  Menge  von  0,68%,  welches 
übrigens  auch  in  den  Tuberkelbacillen  enthalten  zu  sein  scheint.  Auch 
Cholestearin  war  in  dem  Wasserbacillus  enthalten,  aber  nur  in  ganz 
minimalen  Spuren.  In  anderen  Bakterien  konnte  Cholestearin  bisher 
nicht  nachgewiesen  werden. 

5.  Die  Bestandteile  der  Asche  der  Bakterien  sind  oben  bei  den 
Analysen  angegeben. 

6.  Ausserdem  kommen  in  einzelnen  Spaltpilzen  immer  oder  zu 
Zeiten  gewisse  chemische  Substanzen  vor,  die  nicht  zu  den  gewöhn- 
lichen Bestandteilen  der  Bakterien  gehören.  So  die  granuloseartige 
Substanz,  die  in  dem  Bac.  butyricus  und  verwandten  Anearoben,  sowie 
im  Vibrio  Bugula  vor  der  Sporenbildung  auftritt  und  die  auch  im 
Bac.  Pasteurianus  (Hansen)  und  in  der  Leptothrix  buccalis  nachweisbar 
ist;  sie  färbt  sich  mit  Jod  blau.  Auch  der  Gehalt  der  Beggiatoaarten 
an  regulinischem  Schwefel,  vielleicht  auch  bei  einigen  Bakterien  ge- 
wisse spezifische  Farbstoffe,  während  freilich  die  Mehrzahl  der  Farb- 
stoffe als  Exkrete  aufgefasst  werden  müssen.  Beijerinck  (B.  Z.  1891. 
Die  Lebensgeschichte  einer  Pigmentbakterie)  glaubt,  dass  die  ersteren 
der  Leibessubstanz  der  Bakterien  eingelagerten  Farbstoffe  eine  biolo- 
gisch wichtige  Rolle  spielen  und  etwa  in  dem  Verhältnis  zum  Zell- 
leib stehen  wie  das  Chlorophyll  zur  Pflanzenzelle.  Er  nennt  solche 
Bakterien  chromophore  zum  Unterschied  von  den  chromoparen, 
welche  den  Farbstoff  als  wertloses  Exkret  ausscheiden.  Ferner  sind 
von  Schewiakofp  (Über  einen  neuen  bakterienähnlichen  Organismus 
des  Süsswassers.  Habilitationsschr.  Heidelberg  1893)  in  seinem  Achro- 
matium  oxaliferum,  einem  dem  Chromatium  Okenii  ähnlichen  Mikroben, 
Oxalsäure  und  Kalk  nachgewiesen  worden. 

C.  Die  Nährstoffe  der  Mikroorganismen. 

Die  Kenntnis  der  chemischen  Zusammensetzung  der  Mikroorganis- 
men setzt  uns  in  den  Stand,  der  Frage  näher  zu  treten,  aus  welchen 
äusseren  Bestandteilen    die   Stoffe    ihres  Zellleibes    sich    aufbauen  und 


Gotschxich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  109 

beständig  regenerieren.  Unter  Zugrundelegung  der  elementaren  Zu- 
sammensetzung der  Mikroorganismen  wird  es  nötig  sein,  für  jedes  der 
sie  konstituierenden  chemischen  Elemente  die  in  der  Natur  sich  vor- 
findenden Nährstoffe  anzugeben,  aus  denen  dasselbe  zum  Aufbau  des 
Zellkörpers  entnommen  wird,  während  der  Mechanismus  der  Aufnahme 
und  die  mit  den  Nährstoffen  vorgehenden  Veränderungen  als  Lebens- 
thätigkeiten  der  Mikroben  einem  späteren  Abschnitt  vorbehalten  sind. 
Da  aber  in  der  Natur  den  Mikroben  nicht  chemisch  reine  Nährstoffe, 
sondern  Mischungen  derselben  zur  Verfügung  stehen,  so  ist  es  eine 
weitere  Aufgabe,  die  "Wirkung  verschiedener  Mengenverhältnisse 
derselben  und  allgemeiner  chemischer  Eigenschaften  (Reaktion  etc.) 
des  Nährsubstrats  auf  die  Mikroben  festzustellen. 

I.  Die  Nährstoffe  der  Schimmelpilze. 

Die  ersten  ausgedehnten  Versuchsreihen  hierüber  sind  von  Rauxin  (C.  R. 
56.  229)  ausgeführt.  Er  züchtete  den  Aspergillus  niger  in  einer  Nährlösung,  von 
der  nach  vielfältigen  Versuchen  feststand,  dass  sie  zur  Ernährung  des  Pilzes  be- 
sonders geeignet  und  gewissermassen  als  Normallösung  für  denselben  zu  betrachten 
sei.  Diese  „RATTLiN'sche  Flüssigkeit"  war  zusammengesetzt  aus  1500  ccm  Wasser, 
70  gr  Kandiszucker,  4  gr  Weinsäure,  4  gr  Ammoniumeitrat,  0,6  gr  Ammonium- 
phosphat, 0,6  gr  Kaliumkarbonat,  0,4  gr  Magnesiumkarbonat,  0,25  gr  Ammonium- 
sulfat und  je  0,07  gr  Zinksulfat,  Eisensulfat  und  Kaliumsilikat.  Die  Nährflüssig- 
keit wurde  in  2—3  cm  hoher  Schicht  in  flachen  bedeckten  Schalen  bei  35  °  gehalten 
und  ergab  3  Tage  nach  der  Aussat  der  Sporen  ein  üppiges  fruktifizierendes  Mycel; 
dasselbe  wird  abgenommen  und  von  der  restierenden  Flüssigkeit  nach  abermals 
3  Tagen  eine  neue  Vegetation  gewonnen,  nach  deren  Entfernung  sich  dann  die 
Nährstoffe  der  Flüssigkeit  fast  völlig  erschöpft  zeigten.  Das  Trockengewicht  der 
gesammelten  Ernten  wurde  bestimmt  und  zu  etwa  25  gr  gefunden.  —  Mit  diesem 
Resultat  wurden  nun  diejenigen  Erntegewichte  verglichen,  die  sich  erzielen  Hessen, 
wenn  der  eine  oder  andere  Bestandteil  der  Normalnährlösung  fortgelassen  wurde. 

Raulin  fand,  dass  das  Fehlen  der  Phosphorsäure  den  grössten 
Ausfall  bedingt,  indem  sie  die  Ernte  auf  -^^  der  normalen  reduzierte; 
Fehlen  des  Ammoniaks  Hess  nur  T-^¥,  des  Kalis  ■£%  der  normalen 
Ernte  aufwachsen.  Kein  Bestandteil  der  RAULiNschen  Flüssigkeit 
durfte  ohne  Schaden  ganz  fehlen;  selbst  ein  Fortlassen  des  Zinks  be- 
einträchtigt das  Ernteergebnis  erheblich;  vielleicht  ist  die  günstige  Ein- 
wirkung des  Zinks  als  eine  Reizwirkung  anzusehen,  wie  wir  sie  in 
ähnlicher  Weise  bei  der  Förderung  der  Gährung  durch  manche  Metall- 
salze (in  sehr  schwachen  Koncentrationen)  kennen  lernen  werden. 

Vollkommenere  Versuche  ähnlicher  Art,  in  denen  insbesondere 
nur  mit  sicheren  Reinkulturen  unter  Abschluss  aller  anderen  Pilze  ge- 
arbeitet wurde,  sowie  alle  übrigen  Lebensbedingungen,  als  Luftzutritt, 
Reaktion  und  Koncentration  des  Nährmediums  etc.,  eingehende  Berück- 
sichtigung fanden,  sind   von  Nägeli  (Unters,   üb.  niedere  Pilze.   1882 


HO  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

und  Botan.  Mitteilungen.  Bd.  3)  ausgeführt.  Seine  Resultate  sind  etwa 
folgende: 

Zur  Deckung  des  N-Bedarfs  scheint  nächst  löslichen  Eiweiss- 
stoffen  und  Peptonen  am  geeignetsten  die  NH2-Gruppe,  etwas  weniger 
günstig  die  NH-Gruppe  zu  sein;  es  sind  also  brauchbare  Nährstoffe: 
Harnstoff,  Leucin,  Asparagin,  Acetamid,  Oxaruid,  Methyl-  und  Athyl- 
amin,  Animoniaksalze  (als  Salmiak,  Ammoniumphosphat,  Ammonium- 
nitrat, Ammoniumacetat,  -Oxalat,  -succinat,  -tartrat  etc.).  Auch  aus  Ni- 
traten kann  der  N  entnommen  werden;  ein  deutlicher  Unterschied  in 
dem  Nährwert  derselben  von  dem  der  Ammoniaksalze  Hess  sich  nicht 
erkennen;  vermutlich  findet  hierbei  eine  allmähliche  Reduktion  der 
Nitrate  zu  Nitriten  und  Ammoniak  statt.  Neuere  Versuche  von  Laurent 
(P.  89.  362)  ergaben  ebenfalls  annähernd  gleiche  Nährtüchtigkeit  der 
Nitrate  und  der  Ammoniaksalze;  manche  Arten  bevorzugten  etwas  mehr 
die  Nitrate,  andere  die  Ammoniaksalze.  Nitroverbindungen  der  aro- 
matischen Reihe,  wie  Pikrinsäure  und  Nitrobenzoesäure  waren  sehr 
schlechte  Nährstoffe.  Aus  der  Cyangruppe  und  aus  freiem  N  konnte 
der  Stickstoffbedarf  nicht  gedeckt  werden.  Neuerdings  ist  indessen  von 
Frank  (Landw.  Jahrb.  21.  I)  eine  Penicilliumart  beobachtet,  die  auch 
elementaren  atmosphärischen  Stickstoff  assimiliert. 

Der  C  kann  der  Gruppe  CH3  oder  CH2  entnommen  werden,  wo- 
bei es  ausserdem  günstig  und  unter  Umständen  notwendig  ist,  dass 
mehrere  C- Atome  zu  einem  Molekül  vereinigt  sind.  Verbindungen,  in 
denen  der  C  nicht  mit  H,  sondern  nur  mit  0,  N  oder  C  verknüpft  ist, 
hielt  Nägeli  nach  seinen  Versuchen  für  untauglich  zur  Deckung  des 
C-Bedarfs;  indessen  ist  diese  Ansicht  nach  neueren  Versuchen  nicht 
mehr  haltbar;  so  ist  z.  B.  nach  Reinke  (Unters,  a.  d.  botan.  Inst.  Göt- 
tingen. 1883.  39)  Parabansäure:  CO  CisraVir)  ein  guter  Nährstoff,  ob- 
gleich in  ihr  jede   direkte  Verbindung  an  C  und  H  fehlt;   auch  Oxal- 

COOH 
säure:^QQTT  kann  als  Nährstoff  dienen  (Webbier,  B.  G.  91.  163)  u.  s.  w. 

Ganz  unbrauchbar  sind  selbstverständlich  alle  in  Wasser  unlöslichen 
Stoffe,  wie  die  höheren  Fettsäuren  und  die  unlöslichen  Huminsub- 
stanzen.  Unter  den  nährenden  C-Verbindungen  scheint  dann  noch,  ab- 
gesehen von  der  Zahl  der  C- Atome ;  die  Zersetzlichkeit  der  Verbindung 
einen  günstigen  Einfiuss  auszuüben;  je  leichter  durch  grobe  chemische 
Reagentien  eine  Zerlegung  der  Verbindung  zustande  kommt,  um  so 
leichter  vermag  auch  das  lebende  Plasma  sie  für  seine  Zwecke  zu 
verwenden.  Empirisch  ergab  sich  etwa  folgende  Skala  für  die  Nähr- 
tüchtigkeit verschiedener  organischer  Verbindungen  betr.  des  Kohlen- 
stoffs: 1.  die  Zuckerarten,  2.  Mannit,  Glycerin,  die  C-Gruppe  in  Leucin; 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  \\\ 

3.  Weinsäure,  Citronensäure,  Bernsteinsäure,  die  C-Gruppe  in  Asparagin; 

4.  Essigsäure,  Aethylalkohol,  Chinasäure;  5.  Benzoesäure,  Salicylsäure, 
die  C-Gruppe  in  Propylamin;  6.  die  C-Gruppe  in  Methylamin,  Phenol. 
Von  sonstigen  aromatischen  Körpern  erwiesen  sich  noch  Pyrogallol  und 
Gerbsäure  als  ziemlich  gute  C-Quellen. 

Schon  aus  dieser  empirischen  Skala,  in  der  mehrfach  Körper  von  ganz 
verschiedener  Struktur  auf  gleicher  Stufe  bezüglich  des  Nährwerts  stehen,  erhellt, 
dass  eine  allgemein  -  giltige  Abteilung  des  letzteren  aus  der  chemischen  Struktur 
bisher  unmöglich  ist.  Dazu  kommt  noch,  dass  andererseits  zwischen  chemisch 
sehr  nahe  verwandten  Körpern  häufig  erhebliche  Verschiedenheiten  in  der  Nähr- 
tüchtigkeit zu  finden  sind.  Am  merkwürdigsten  ist  in  dieser  Beziehung  der  ver- 
schiedene Nährwert  gewisser  optisch-isomer  er  Verbindungen;  bei  Dar- 
reichung von  optisch  inaktiven  racemischen  Verbindungen  findet  daher  häufig 
eine  Spaltung  derselben  statt,  wobei  die  eine  optisch  aktive  Komponente  vor- 
zugsweise oder  gänzlich  aufgezehrt  wird  und  die  in  entgegengesetztem  Sinne 
optisch  aktive  Verbindung  zurückbleibt.  Das  erste,  berühmteste  Beispiel  einer 
solchen  Spaltung  ist  die  von  Pasteur  (C.  R.  46.  614;  51.  298)  entdeckte  Zerlegung 
der  optisch  inaktiven  Traubensäure  durch  Penicillium  glaucum  und  verschiedene 
Bakterien,  wobei  die  d- Weinsäure  völlig  aufgezehrt  und  die  1- Weinsäure  übrig 
gelassen  wird.  Seitdem  sind  zahlreiche  ähnliche  Zerlegungen,  so  von  Lewkowitsch 
(B.  Ch.  16.  1568)  an  der  Mandelsäure,  Frankland  (C.  15.  106)  an  der  Glycerin- 
säure,  Linossier  (r:  K.  91.  177),  Frankland  (1.  c),  Pere  (P.  92.  512)  an  der  in- 
aktiven Gährungsmilchsäure  u.  s.  w.  konstatiert  worden;  eine  ausführliche  Litte- 
raturzusammenstellung  über  solche  Spaltungen  racemischer  Verbindungen  s.  bei 
Winther  (B.  Ch.  28.  3000).  Besonders  bemerkenswert  ist  nun  aber  nach  neueren 
Versuchen  Pfeffer's  (J.  w.  B.  1895.  221),  dass  eine  solche  Bevorzugung  der  einen 
Komponente  vor  ihrem  optischen  Antipoden  nicht  allein  von  der  Art  der  chemi- 
schen Struktur  der  betr.  Verbindung,  sondern  ebenso  sehr  auch  von  dem  elektiven 
Vermögen  des  betr.  Pilzes  abhängt;  so  giebt  es  z.  B.  Mikroorganismen,  »welche  in 
geradem  Gegensatz  zu  Penicillium  nicht  die  d-,  sondern  die  1- Weinsäure  bevor- 
zugen, sowie  andere,  welche  beide  Komponenten  der  Traubensäure  in  gleichem 
Masse  verzehren;  und  ganz  ähnliche  Verhältnisse  gelten,  wie  später  beim  Abschnitt 
„Milchsäuregährung"  noch  zu  besprechen,  auch  für  die  Spaltung  der  inaktiven 
Gährungsmilchsäure  durch  verschiedene  Mikroben.  Auch  bei  denjenigen  Pilzen, 
die,  wie  Penicillium  und  Aspergillus  niger,  die  d- Weinsäure  aufnehmen  und  die 
1- Verbindung  übrig  lassen,  handelt  es  sich  nach  Pfeffer's  Versuchen  nicht  um 
eine  absolute  Deckung  der  Linksweinsäure  durch  die  besser  ernährende  d- Ver- 
bindung, sondern  auch  die  1-Säure  wird  stets,  wenn  auch  freilich  nur  in  sehr 
geringen  Mengen,  däneben  in  Angriff  genommen.  —  Dem  verschiedenen  Nährwert 
optisch  isomerer  Verbindungen  reiht  sich  unmittelbar  das  in  analoger  Weise  ver- 
schiedene Verhalten  anderer  stereo-isomerer  Körper  an;  so  ist  nach  Buchner 
(B.  Ch.  1892.  1161)  Fumarsäure  für  Aspergillus  niger  und  Penicillium  glaucum 
ein  guter  Nährstoff,  während  die  stereo-isomere  Maleinsäure  fast  gar  keinen  Nähr- 
wert besitzt. 

Die  Beurteilung  des  Nährwerts  einer  einzelnen  C-Quelle  ist  auch  deshalb 
sehr  schwierig,  weil  sich  die  Ausnützung  und  der  Verbrauch  derselben  in  Nähr- 
gemischen in  weitem  Masse  nach  der  Natur  der  übrigen  in  der  Nährlösung  ent- 
haltenen, zur  Deckung  des  C-Bedarfs  dienenden  Nährstoffe  richtet.    So  vermag  z.  B. 


112  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

nach  Pfeffer's  Versuchen  an  Penicillium  glaucum  und  Aspergillus  niger  eine  ge- 
nügende Menge  Traubenzucker  etwa  daneben  vorhandenes  Glycerin  oder  Milch- 
säure vor  stärkerer  Verarbeitung  durch  den  Pilz  mehr  oder  minder  zu  schützen, 
während  eine  Deckung  in  umgekehrtem  Sinne,  eine  Ersparnis  von  Traubenzucker 
durch  reichliche  Mengen  von  Glycerin,  in  viel  geringerem  Grade  hervortritt.  Essig- 
säure andererseits  vermag  trotz  reichlichen  Vorhandenseins  von  Traubenzucker 
in  der  Nährlösung  nicht  vor  der  Aufnahme  durch  den  Pilz  geschützt  zu  werden, 
wird  vielmehr  von  demselben  in  noch  höherem  Masse  angegriffen,  wie  Dextrose. 
Worin  diese  eigentümlichen  Verschiedenheiten  in  der  Elektion  der  Nährstoffe,  die 
übrigens  auch  teilweise  von  der  Art  des  eingreifenden  Pilzes  abhängen,  ihre  Er- 
klärung finden  mögen,  lässt  sich  bisher  nicht  in  jedem  speziellen  Falle  mit  Sicher- 
heit angeben  (vgl.  Pfeffer  [1.  c.]).  —  In  ähnlicher  Weise  zeigt  sich  der  Nährwert 
der  als  C-Quellen  dienenden  Nährstoffe  auch  abhängig  von  der  Natur  derjenigen 
Stoffe,  welche  gleichzeitig  zur  Deckung  des  N-Bedarfs  in  Frage  kommen;  so  ver- 
mag nach  Pfeffer  Pepton  sogar  noch  in  höherem  Grade  als  Traubenzucker  den 
Verbrauch  an  Glycerin  und  Milchsäure  herabzusetzen ;  umgekehrt  scheint  dasselbe 
Verhalten  auch  betr.  des  Nährwerts  der  N-haltigen  Verbindungen  zu  gelten. 

Es  seheint  daher  zu  exakteren  Vergleichsversuehen  zu  führen,  wenn 
man  C-  und  N-Quellen  kombiniert  und  dann  verschiedene  derartige 
Kombinationen  vergleichenden  Experimenten  unterwirft.  In  solcher 
Weise  ist  Nägeli  zur  Aufstellung  folgender  Skala  gelangt,  die  von 
den  besser  zu  den  schlechter  nährenden  Substanzen  fortschreitet:  1.  Ei- 
weiss  oder  Pepton  und  Zucker;  2.  Leucin  und  Zucker;  3.  Ammonium- 
tartrat  oder  Salmiak  und  Zucker;  4.  Eiweiss  oder  Pepton;  5.  Leucin; 
6.  Ammoniumtartrat  oder  -succinat  oder  Asparagin;  7.  Ammonium- 
acetat. 

Eiweissartige  und  zur  Gruppe  der  Kohlehydrate  gehörige  Stoffe 
scheinen  demnach  die  normalen  C-  und  N-Quellen  der  Schimmelpilze 
zu  sein,  und  es  sind  dies  zugleich  diejenigen  Nährstoffe,  auf  die  dieselben 
in  den  natürlichen  Verhältnissen  meistens  angewiesen  sind.  Anderer- 
seits aber  ist  es  bemerkenswert,  in  welcher  grossen  Breite  eine  Vari- 
ierung des  Nährmaterials  gestattet  ist,  und  wie  die  Schimmelpilze  ge- 
rade durch  die  Nährfähigkeit  der  allerverschiedensten,  chemisch  ganz 
differenten  Substanzen  in  besonders  günstiger  Weise  für  die  Erhaltung 
ihres  Lebens  ausgerüstet  erscheinen.  —  Die  Zufuhr  des  H  und  des 
gebundenen  0  erfolgt  teils  durch  die  genannten  C-  und  N-Quellen, 
teils  durch  Wasser  und  freien  Sauerstoff.  Des  letzteren  bedürfen 
sämtliche  Schimmelpilze  zu  ihrer  normalen  Entwicklung  durchaus 
notwendig.  Schon  Pasteue  hatte  konstatiert,  dass  ähnlich,  wie  dies 
von  grösseren  Pilzen  bekannt  war,  auch  Schimmelpilze  (Penicillium) 
Sauerstoff  aus  der  umgebenden  Atmosphäre  aufnehmen.  Schon  die 
Art  des  Vorkommens  und  die  Lage  der  Kolonien  bestätigt  das  rege 
Sauerstoffbedürfnis  der  Schimmelpilze:  sie  siedeln  sich  nur  da  an,  wo 
unmittelbarer  Kontakt  mit  dem  atmosphärischen  Sauerstoff  mög- 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  113 

lieh  ist  und  vegetieren  daher  nur  auf  der  Oberfläche  des  Substrats. 
Eine  Ausnahme  hiervon  bildet  scheinbar  das  Wachstum  mancher  para- 
sitischer Schimmelpilze  innerhalb  des  tierischen  Körpers.  Durch  zahl- 
reiche Versuche  ist  der  sichere  Nachweis  erbracht,  dass  Sporen  von 
einigen  Aspergillus-  und  Mukor- Arten  in  der  Niere  und  anderen  inneren 
Organen  des  lebenden  Organismus  keimen  und  zu  Mycel  auswachsen. 
Jedoch  ist  hierbei  stets  nur  eine  beschränkte  Mycelbildung,  niemals 
Fruktifikation  beobachtet  worden;  der  Satz,  dass  zum  normalen  Wachs- 
tum mit  Fruktifikation  die  Schimmelpilze  notwendig  der  Berührung 
mit  freiem  Sauerstoff  bedürfen,  bleibt  also  hierdurch  unangefochten. 
Dieser  Anschauung  entspricht  auch  das  Verhalten  der  parasitischen 
Schimmelpilze  bei  niederen  Tieren;  die  pathogenen  Empusa-,  Cordy- 
ceps-,  Botrytis-,  Isaria-Arten  bilden  innerhalb  des  Körpers  der  befalle- 
nen Raupen  und  Insekten  nur  Mycel  und  eventuell  Cylindergonidien; 
die  eigentliche  Fruktifikation  mit  echten  Sporen  erfolgt  stets  erst  mit 
Hilfe  von  Fruchtträgern,  welche  die  Körperoberfläche  durchbrochen 
haben  und  mit  der  Luft  in  Berührung  getreten  sind.  —  Die  Menge 
des  Sauerstoffs,  der  die  Schimmelpilze  zu  ihrem  Leben  bedürfen,  ist 
allerdings  sehr  gering;  nach  Brefeld  stellen  die  nicht  gährfähigen 
Schimmelpilze  ihr  Wachstum  erst  ein  in  einer  C02 -Atmosphäre,  welche 
nur  V500  ihres  Volumens  Luft  enthält.  Werden  die  Schimmelpilze  in 
sauerstofffreien  Flüssigkeiten  untergetaucht,  so  hört  das  nor- 
male Wachstum  auf;  einige  Schimmelpilze,  namentlich  Mucor,  bil- 
den dann  nur  noch  hefeartige  Sprossungen,  wodurch  nach  Brefeld's 
Anschauung  ein  auf  die  Erhaltung  der  Art  abzielendes  Moment  ge- 
schaffen wird;  denn  die  hefeartigen  Zellen  erzeugen  in  dem  säuerstoff- 
freien  Medium  Gährung  mit  reichlicher  C02 -Entwicklung,  und  die 
entstehenden  C02 -Bläschen  können  die  Pilzzellen  wieder  an  die  Ober- 
fläche tragen,  wo  sie  normal  zu  wachsen  und  fruktifizieren  vermögen. 

An  der  Konstitution  der  organischen  Substanzen  der  Schimmelpilze 
beteiligt  sich  schliesslich  auch  der  Schwefel,  der  ja  vermutlich  in 
allen  eigentlichen  Eiweissstoffen  enthalten  ist.  Nach  Nägeli  kann  der- 
selbe aus  Albuminaten,  ebenso  gut  aber  oder  noch  besser  aus  Sulfaten, 
Sulfiten  und  Hyposulfiten  entnommen  werden;  auch  Sulfosäuren  können 
als  Ersatz  dienen,  nicht  aber  Sulfoharnstoff  und  Rhodanverbindungen. 
Exakte  Versuche  über  die  S-Zufuhr  sind  übrigens  deshalb  sehr  schwierig 
auszuführen,  weil  die  geringen,  zur  ausreichenden  Ernährung  nötigen 
S-Mengen  gewöhnlich  als  Verunreinigung  den  übrigen  Nährmaterialien 
anhaften. 

Von  Mineralsalzen  sind  für  die  Ernährung  der  Schimmelpilze 
nach  Nägeli  relativ  wenige  erforderlich.  Während  die  chlorophyll- 
haltigen  Pflanzen  ausser  Phosphorsäure,  Schwefelsäure  und  Alkalien  auch 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  8 


114  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Calcium  und  Magnesium,  sowie  Eisen-,  Kieselsäure  und  Chlor  zur  aus- 
reichenden Ernährung  bedürfen,  wird  der  Bedarf  der  Schimmelpilze  ge- 
deckt durch  Schwefelsäure,  Phosphorsäure,  Kalium  und  Calcium  oder  Mag- 
nesium; dabei  kann  das  Kalium  nicht  etwa  durch  Natrium,  wohl  aber 
durch  die  beiden  ihm  chemisch  sehr  nahe  verwandten  Metalle  Rubidium 
und  Cäsium  ersetzt  werden;  für  Calcium  können  ausser  Magnesium 
auch  noch  Barium  oder  Strontium  eintreten.  Stets  muss  aber  im  Nähr- 
substrat gleichzeitig  ein  Element  aus  der  Gruppe  der  Alkalien  und 
eines  aus  der  Gruppe  der  alkalischen  Erden  vorhanden  sein;  eine  wechsel- 
seitige Vertretung  beider  ist  unmöglich.  Hiernach  scheinen  beiden 
Gruppen  von  Metallen  verschiedene  Funktionen  im  Zellleib  zuzukommen; 
vielleicht  darf  man  sich  vorstellen,  dass  die  Erdalkalien,  zum  Teil  als 
Erdphosphate,  nur  Einlagerungen  in  Plasma  und  Zellmembran  bilden, 
während  die  Alkalisalze  hauptsächlich  wohl  in  Form  von  primärem 
und  sekundärem  Kaliumphosphat  (KH2  P04  und  K2  HP04,  ersteres 
von  saurer,  letzteres  von  alkalischer  Reaktion)  in  Lösung  im  Plasma 
und  Zellsaft  sich  finden. 

Selbstverständlich  bedürfen  die  Schimmelpilze  ebenso  wie  höhere 
Pflanzen  und  sämtliche  Mikroorganismen  zu  ihrer  Existenz  auch  reich- 
licher Mengen  von  "Wasser.  Teils  tritt  dasselbe  in  die  komplizierten 
Verbindungen  ein,  welche  im  Plasma  aufgebaut  werden,  teils  macht 
es  einen  Hauptbestandteil  der  neugebildeten  Pilzsubstanz  aus,  teils  ist 
es  das  universelle  Lösungs-  und  Transportmittel,  welches  hier  wie  bei 
höheren  Lebewesen  Chemismus  und  Stoffbewegung  in  der  Zelle  er- 
möglicht. Von  besonderem  Interesse  ist  bezüglich  des  Wasserbedarfs 
der  Schimmelpilze  derjenige  minimale  Gehalt  von  Wasser,  welcher 
im  Nährsubstrat  vorhanden  sein  muss,  um  eine  genügende  Ernährung 
zu  gestatten,  kurz,  das  Verhalten  der  Schimmelpilze  gegenüber  der 
Koncentration  des  Nährmediums.  Dieselbe  kann  ganz  ausser- 
ordentlichen Schwankungen  unterworfen  sein,  ohne  das  Wachstum  von 
Schimmelpilzen  völlig  zu  hindern.  Die  Anpassungsfähigkeit  derselben 
ist  in  dieser  Hinsicht  viel  grösser,  als  die  der  Spross-  und  Spaltpilze. 
Einige  Schimmelpilze,  z.  B.  Penicillium,  gedeihen  noch  in  den  ver- 
dünntesten Nährlösungen,  die  nur  Spuren  von  Nährstoffen  enthalten; 
dies  vermögen  allerdings  auch  manche  Spaltpilze.  Die  Überlegenheit 
der  Schimmelpilze  zeigt  sich  aber  auf  sehr  wasserarmen,  stark  kon- 
centrierten  Nährsubstraten;  hier  vermögen  die  Schimmelpilze  unter  Be- 
dingungen zu  wachsen,  unter  denen  kein  anderer  Mikroorganismus  mehr 
fortkommt.  So  kommen  z.B.  Schimmelvegetationen  auf  gepökeltem  und  ge- 
räuchertem Fleisch  vor,  das  nur  50  %  Wasser  enthält  und  demnach  Ansiede- 
lungen von  Spaltpilzen  nicht  mehr  zulässt;  erst  bei  einem  Wassergehalt  von 
10 — 12%  tritt  völlige  Hinderung  auch  für  Schimmelpilze  ein,  bei  gleich- 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  115 

zeitiger  Anwesenheit  von  Zucker  im  Substrat  schon  bei  30°/0.  Das 
Optimum  des  Wassergehalts,  soweit  sich  von  einem  solchen,  unabhängig 
von  den  übrigen  Lebensbedingungen  reden  lässt,  liegt  aber  viel  höher, 
etwa  bei  80°/0.  Übrigens  sind  nicht  alle  Schimmelpilze  in  gleicher 
Weise  gegen  höhere  Koncentration  des  Substrates  indifferent;  gewisse 
Arten  scheinen  erheblich  empfindlicher  zu  sein,  so  einige  unter  natür- 
lichen Verhältnissen  vorzugsweise  parasitische  und  auf  grossen  Feuchtig- 
keitsgehalt angewiesene  Formen.  Auch  die  Reaktion  des  Nährsub- 
strats ist  von  wesentlichem  Einfluss  auf  das  Gedeihen  der  Schimmel- 
pilze. Am  empfindlichsten  scheinen  sie  mit  Ausnahme  einiger  Arten 
gegen  einen  Überschuss  von  Alkali  zu  sein;  viel  weniger  schädlich 
ist  ein  Überschuss  von  Säure.  Freie  Phosphorsäure  kann  bis  zu  l°/0, 
freie  Weinsäure  bis  zu  5%  im  Nährgemisch  vorhanden  sein,  ohne 
dass  dadurch  die  Ansiedlung  von  Schimmelpilzen  verhindert  wird.  Auch 
dieses  Verhalten  bedingt  wiederum  einen  wichtigen  Unterschied  zwischen 
Schimmelpilzen  und  der  Mehrzahl  der  Spaltpilze,  welche  letztere  ge- 
rade gegen  Acidität  meist  sehr  empfindlich  sind;  es  spielt  daher  dieses 
verschiedene  Verhalten  beider  Klassen  von  Mikroorganismen  oft  bei 
der  Konkurrenz  derselben  auf  einem  und  demselben  Nährsubstrat  eine 


IL  Die  Nährstoffe  der  Sprosspilze. 

Bei  der  Untersuchung  der  Ernährung  und  der  Nährstoffe  der  Hefe  ist 
es  vor  allem  notwendig  zu  beachten,  dass  diese  Begriffe  sich  nicht  etwa 
mit  dem  der  Gährung  und  der  Gährstoffe  decken.  Die  Gährung  ver- 
läuft in  gewisser  Beziehung  ganz  unabhängig  von  der  Ernährung  der 
Hefe;  sie  gehört  nicht  notwendig  zum  Stoffwechsel  der  letzteren,  sondern 
bildet  nur  eine  gelegentliche  Ausdehnung  und  Komplikation  desselben, 
welche  man  zweckmässig  zunächst  ganz  unberücksichtigt  lässt,  wenn 
man  die  Art  der  notwendigen  Nährstoffe  und  ihre  Verwendung  in  der 
Hefezelle  kennen  lernen  will.  Erst  in  den  neueren  Versuchsreihen  ist 
diese  Trennung  richtig  durchgeführt,  während  frühere  Beobachter  Gährung 
und  Hefewachstum  stets  mit  einander  verknüpften.  Ferner  sind  die 
neueren  von  Nägeli  und  namentlich  von  Hansen  angestellten  Ver- 
suche deshalb  einwandfreier,  weil  in  denselben  auf  möglichste  Her- 
stellung reiner  Hefekulturen  geachtet  wurde.  (Vgl.  Pasteue,  A.  eh. 
ph.  (3.)  t.  58.  —  Duclaitx,  Theses  pres.  ä  la  fac.  de  sc.  de  Paris  1865. 

—    DuBETTNFATTT,    C.   R.    73.    —    SCHÜTZENBEEGEE,    C.    R.    78.   —   MAYEE, 

Unters,  üb.  d.  alkohol.  Gährung  etc.  1869.  Landwirthsch.  Versuchstat. 
Bd.  14.  —  Nägeli,  Theorie  d.  Gährung.  1879,  und  Unters,  üb.  nied. 
Pilze.  1882.  —  Hansen,  Meddedelser  fra  Carlsberg  Laboratoriet.  Kopen- 
hagen 1879  ff.)     Die  Versuche  ergaben,  dass  die  Hefen  sich  bezüglich 


116  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ihres  Nährstoffbedarfs  vielfach  eng  an  die  Schimmelpilze  anschliessen. 
Der  Stickstoff  wird  den  Hefen  entsprechend  ihrem  höheren  N-Gehalt 
in  reichlicherem  Masse  zugeführt  werden  müssen.  Am  günstigsten  sind 
für  die  echten  Saccharomyceten  lösliche,  diffusible  Eiweissstoffe  und 
Peptone,  wobei  jedoch  nach  Delbeück  (r:  K.  93. 139)  in  der  Assimilations- 
fähigkeit gewisse  Unterschiede  zwischen  verschiedenen  Hefearten  be- 
stehen, ähnlich,  wie  sie  später  bei  der  Gährfähigkeit  des  Zuckers  zu 
besprechen  sein  werden.  Der  Saccharonryces  octosporus  z.B.  (Beijekinck, 
C.  12.  57)  ist  fast  nur  auf  die  natürlichen  N-haltigen  Verbindungen 
angewiesen,  wie  sie  in  Würze,  Rosinen  etc.  vorkommen,  und  selbst  mit 
Pepton,  das  für  Bierhefe  eine  ausgezeichnete  N-Quelle  ist,  nur  sehr 
kümmerlich  ernährbar.  Nächst  den  Eivveissstoffen  kommen  hauptsächlich 
Amide  (nicht  aber  Harnstoff),  Amine  und  Ammoniaksalze  in  Betracht; 
die  letzteren  aber  werden  schon  schwieriger  assimiliert;  auch  scheint 
bei  andauernder  ausschliesslicher  Ernährung  mit  Ammonsalzen  eine 
Degeneration  der  Hefezellen  einzutreten,  indem  ihre  Substanz  fettreicher 
und  N-ärmer  wird.  Peptone  haben  unter  gleichen  Versuchsbedingungen 
einen  etwa  4 mal  höheren  Nährwert  als  Ammontartrat.  Nitrate  sind 
nur  für  wenige  Arten,  Nitrite,  CN  und  freier  N2  für  keine  Hefe  als 
N-Quelle  verwendbar.  Der  Kahmpilz  unterscheidet  sich  in  seinem  N- 
Bedarf  nach  Beijekinck  (C.  11.  6S)  dadurch,  dass  er  auch  mit  Ammon- 
salzen und  Harnstoff  trefflich  ernährt  werden  kann.  Der  Soorpilz  ver- 
hält sich  nach  Linossier  u.  Roux  (r:  K.  90.  31)  sehr  ähnlich  dem 
echten  Saccharomyceten. 

Zur  Deckung  des  Kohlenstoffbedarfs  ist  bei  den  echten  Saccharo- 
myceten nach  Beijerinck  (a.  a.  0.)  neben  der  N-Quelle  meist  noch  eine 
gesonderte  C-Quelle  erforderlich.  Der  Kahmpilz  kann  seinen  Be- 
darf an  C  und  N  aus  einer  und  derselben  Verbindung  decken  und  kommt 
z.  B.  in  einer  Lösung  von  Ammonacetat  und  Kaliumbiphosphat  gut  fort. 
Die  Nährtüchtigkeit  einiger  Kohlehydrate  hat  Beijerinck  für  verschie- 
dene Saccharomycesarten  folgendermassen  zusammengestellt,  wobei  -f- 
assimilationsfähig,  +i  assimilationsfähig,  aber  vorher  invertiert,  und  — 
nicht  assimilationsfähig  bedeutet.     (S.  Tabelle  nächste  Seite.) 

Glykogen  ist  nach  Untersuchungen  von  A.  Koch  u.  Hosaeus 
(C.  12.  145)  kein  Nährstoff  für  Hefen.  Das  in  der  Hefe  als  Reserve- 
stoff enthaltene  Glykogen  wird  nach  Cremer  (a.  a.  0.)  aus  einfachen 
Hexosen,  und  zwar  aus  d-Glukose,  -Fruktose,  -Galaktose  und  -Mannose 
synthetisch  dargestellt.  Nächst  den  Kohlehydraten  kommen  nach 
Laurent  (r:  K.  90.  54)  als  C-Quellen  für  Hefe  in  Betracht:  essig- 
saure, milchsaure,  maleinsaure,  bernsteinsaure,  brenzweinsaure,  glyce- 
rinsaure,  äpfelsaure,  weinsaure,  citronensaure  Salze;  Äther,  Aldehyde 
und   einatomige  Alkohole   sind   schädlich  für  Hefe.     Für  Mykoderma 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen. 


117 


Maltose 

d-Glukose 
d-Fruklose 

oder 
Ivertzucker 

Rohr- 
zucker 

Milch- 
zucker 

Dextrin 

Glycerin 

S.  ellipsoideus,  Wein-  oder 
Pressbefe 

S.  cerevisiae 

S.  Pastorian.  Eeess     .     . 

S.  fragrans  =  Pastorian. 
Pasteur 

S.  Kefyr 

S.  Mykoderma   .... 

S.  acetaetbylicus    .     .     . 

+ 
+ 
+  " 

+ 

+ 
+ 
+ 

+ 
+ 
+ 
+ 

+i 
+i 

+ 

+ 
+i 

+i 

+ 

+ 

+ 
+ 

hingegen  ist  Alkohol  ein  sehr  guter,  schwer  ersetzbarer  Nährstoff,  nach 
Linossier  u.  Roux  auch  für  den  Soorpilz  verwendbar.  Aromatische 
Körper,  mit  Ausnahme  der  Glukoside,  bei  denen  aber  nur  der  Zucker, 
nicht  die  aromatische  Gruppe  in  Betracht  kommt,  werden  nicht  as- 
similiert. Unter  den  Alkaloiden  finden  sich  nach  Laurent  (a.  a.  0.) 
merkwürdigerweise  im  Colchicin  und  Atropin  Nährstoffe  für  Hefe. 
Eine  eigenartige  Beziehung  zwischen  der  Wuchsform  und  dem  Mole- 
kulargewicht der  zugeführten  Nahrung  gelang  es  Linossiee  u.  Roux 
(a.  a.  0.)  beim  Soorpilz  festzustellen:  je  höher  das  Molekulargewicht, 
desto  komplizierter  ist  die  Wuchsform,  desto  mehr  und  längere  Fäden 
treten  auf. 

Bezüglich  der  Deckung  des  Bedarfs  an  H,  gebundenem  0  und  an 
S  hat  sich  bisher  keine  bemerkenswerte  Differenz  im  Verhalten  der 
Sprosspilze  gegenüber  den  Schimmelpilzen  ergeben.  Auch  bei  der 
mineralischen  Nahrung  sind  wiederum  Kalium,  Calcium  und  Phosphor- 
säure unentbehrlich;  einen  merkwürdig  günstigen Einfluss  hat  das  Vor- 
handensein einer  grösseren  Menge  (bis   20%)  von  Kaliumbiphosphat. 

Wesentlich  anders  wie  bei  den  Schimmelpilzen  ist  jedoch  das  Ver- 
halten der  Sprosspilze  gegenüber  dem  freien  0.  Im  allgemeinen  ist 
der  Zutritt  freien  Sauerstoffs  ebenfalls  sehr  günstig  für  das  Wachstum 
der  Hefe;  mit  sauerstoffhaltigem  Wasser  oder  mit  Oxyhämoglobin  in 
Berührung  gebracht,  nimmt  die  Hefe  nach  Schütze nberger  sehr  be- 
gierig den  Sauerstoff  auf;  auch  wird  unter  sonst  gleichen  Umständen 
die  beste  Hefe  erzielt,  wenn  ein  gleichmässiger  Luftstrom  durch  die 
Nährlösung  geleitet  wird.  Es  kann  aber  auch  ohne  Zutritt  von  Sauerstoff 
Vermehrung  der  Hefe  stattfinden,  freilich  nur  dann,  wenn  die  übrigen 
Nährstoffe  in  günstiger  Form  geboten  sind  und  wenn  die  Hefe  gleich- 
zeitig Gährthätigkeit  entfalten  kann.    So  gestattet  einePeptonlösung  oder 


Hg  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Hefenabsud,  mit  1 — 10°'0  Zucker  und  0,5 °/0  Phosphorsäure  versetzt,  auch 
ohne  Luftzutritt  lebhafte  Vermehrung  der  Hefe;  weniger  energisch  ist 
das  Wachstum,  wenn  statt  des  Peptons  minderwertigere  Nährmaterialien, 
als  Fleisch extrakt,  Harnstoff,  Ammoniaksalz  mit  Zucker  gemischt  sind; 
und  endlich  bleibt  die  Hefevegetation  ganz  aus  oder  wird  doch  nur 
sehr  kümmerlich,  wenn  der  Zucker  ganz  fehlt  oder  durch  andere  minder 
gährfähige  Substanzen,  als  Glycerin,  Mannit,  ersetzt  ist.  In  allen  Fällen 
geht  mit  der  Vegetation  im  sauerstofffreien  Medium  Hand  in  Hand  eine 
Vergährung  des  Zuckers,  und  die  Gährthätigkeit  scheint  geradezu  die 
Wirkung  des  freien  Sauerstoffs  zu  ersetzen. 

Auch  in  Bezug  auf  Koncentration  und  Reaktion  des  Nähr- 
substrats ergeben  sich  einige  Differenzen  zwischen  Schimmel-  und  Hefe- 
pilzen. Letztere  vertragen  nicht  so  starke  Koncentration  wie  die 
Schimmelpilze;  besonders  schlecht  nährende  Verbindungen  dürfen  nur 
in  grosser  Verdünnung  geboten  werden  (NH3 -Salze  nur  in  höchstens 
lproz.  Lösungen);  Zucker  hingegen  darf  bis  zu  55°/0  (nach  Laurent, 
a.  a.  0.)  im  Nährgemisch  vorhanden  sein,  ohne  dass  die  Hefevegetation 
aufhört;  erst  in  OOproz.  Zuckerlösungen  steht  das  Wachstum  still.  Das 
Verhalten  gegenüber  der  Reaktion  des  Mediums  ist  darin  dem  der 
Schimmelpilze  ähnlich,  dass  ziemlich  stark  saure  Reaktion  ohne  Schaden 
vertragen  wird;  doch  ist  ihre  Resistenz  gegen  hohe  Säuregrade  geringer, 
so  dass  durch  starkes  Ansäuren  eines  Substrats  (5°/0  Weinsäure,  1%  Phos- 
phorsäure) die  Entwicklung  der  Schimmelpilze  gegenüber  den  Hefen 
begünstigt  wird.  Sehr  empfindlich  scheint  die  Hefe  selbst  gegen  Spuren 
überschüssigen  Alkalis  zu  sein. 

111.  Die  Nährstoffe  der  Spaltpilze. 

a)  Die  einzelnen  Nährstoffe  der  Spaltpilze. 

1.  Die  Deckung  des  N-Bedarfs  erfolgt  bei  den  meisten  Spaltpilzen 
am  besten  aus  diffusiblen  Eiweissstoffen,  weniger  günstig  sind  Ammoniak- 
verbindungen; doch  werden  dieselben  relativ  besser  vertragen  als  bei 
den  Sprosspilzen.  Die  übrigen  N-haltigen  Verbindungen  scheinen  unge- 
fähr die  für  die  Schimmelpilze  angegebene  Reihenfolge  einzuhalten. 
Besondere  praktische  Bedeutung  hat  die  eiweissfreie  UscHiNSKY'sche 
Nährflüssigkeit  (C.  14.  Nr.  10)  gewonnen,  welche  folgende  Zusammen- 
setzung besitzt:  Wasser  1000,  milchsaures  Ammoniak  10,0,  Asparagin 
3,4,  Glycerin  40,0,  Kochsalz  5,0,  Magnesiumsulfat  0,2,  Chlorcalcium  0,1, 
Kaliumbiphosphat  1,0.  Nagelt  nimmt  an,  dass  auch  aus  Nitraten  Stick- 
stoff entnommen  werden  könne,  und  stützt  sich  dabei  auf  Versuche, 
in  denen  er  eine  allmähliche  Reduktion  der  Nitrate  zu  salpetriger 
Säure  und  zu  Ammoniak  konstatieren  konnte.    Eine  derartige  Reduktion 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  HQ 

der  Nitrate  ist  in  der  That  auch  noch  mehrfach  von  Gayon  und  Dupetit 
(C.  R.  95),  Deheeain  und  Maquenne  (ebd.  und  Bd.  97,  sowie  Bull. 
soc.  chim  (2.)  39),  Speingee  (B.  Ch.  16),  Feankland,  Waeington, 
Laueent  (P.  IV.  722),  Leone  (r:  K.  90.  111),  Giltay  und  Abeeson 
(r:  K.  92.  226)  Beeal  (C.  R.  114.  681)  bei  vielen  Bakterien  beobachtet 
worden,  wobei  als  Reduktionsprodukte  salpetrige  Säure,  Stickoxydul, 
reiner  Stickstoff  und  Ammoniak  auftreten  können;  die  Reduktions- 
produkte sind  bei  den  verschiedenen  Bakterien  verschieden;  z.  B. 
erzeugt  das  von  Giltat  und  Abeeson  kultivierte  Bact.  denitrificans 
nur  reinen  Stickstoff.  Die  Fähigkeit  der  Nitratreduktion  kommt  nament- 
lich anaeroben,  dem  Bac.  butyricus  ähnlichen  Formen  zu;  doch  be- 
sitzen sie  auch  aerobe  Bakterien,  z.  B.  die  Bacillen  des  Milzbrands  und 
der  Hühnercholera  in  geringem  Grade.  Nach  diesen  neueren  Versuchen 
erscheint  es  höchst  unwahrscheinlich,  dass  die  Nitratreduktion  den 
Bakterien  als  eine  Stickstoffquelle  dient;  es  scheint  sich  vielmehr  nur 
um  eine  sekundäre,  den  Stoffwechsel  begleitende  Erscheinung  zu  handeln, 
die  einer  Gährung  vergleichbar,  ist;  hierfür  sprechen  besonders  die  Be- 
funde Latteent's,  der  nachwies,  dass  Nitratreduktion  nur  bei  Sauer- 
stoffabschluss  vor  sich  geht  und  exquisit  aeroben  Bakterien  überhaupt 
nicht  eigen  ist,  sowie  dass  auch  bei  höheren  Pflanzen  und  keimenden 
Samen  sogar  durch  extrahierbare,  ungeformte  reduzierende  Substanzen 
eine  solche  Wirkung  zustande  kommt  (weitere  Angaben  über  die 
Frage  s.  unter  Gährung  und  Fäulnis). 

Eine  ganz  exzeptionelle  Stellung  bezüglich  der  Deckung  ihres 
N-Bedarfs  nehmen  die  in  den  Wurzelknöllchen  der  Legumino- 
sen und  verwandten  Pflanzen  in  Symbiose  mit  der  Wirtspflanze  leben- 
den sog.  stickstofffixierenden  Bakterien  ein,  indem  sie  befähigt 
sind,  den  elementaren  Stickstoff  der  Atmosphäre  zum  Aufbau 
ihrer  Leibessubstanz  zu  verwenden.  Auf  die  höchst  interessanten  ana- 
tomischen Verhältnisse  des  Baues  der  Wurzelknöllchen,  sowie  auf  den 
morphologischen  Entwicklungsgang  der  eigentümlichen  Bakterien  in 
den  Knöllchen  kann  hier  nicht  eingegangen  werden;  bezüglich  aller 
dieser  Details  muss  auf  die  spezielle  Litteratur  (u.  a.  zusammengestellt 
bei  Kionka,  Biol.  Centralbl.  1891)  verwiesen  werden.  Hier  können 
nur  die  physiologischen  Verhältnisse  der  Stickstofffixierung  kurze  Be- 
sprechung finden.  Nachdem  schon  längst,  u.  A.  durch  Helleiegel 
(Unters,  üb.  d.  Stickstoffnahrung  der  Gramineen  u.  Leguminosen.  1888) 
nachgewiesen  war,  dass  Leguminosen  im  Ernteertrag  weit  mehr  N-Sub- 
stanz  liefern,  als  dem  Stickstoffgehalt  des  Bodens  entspricht,  ja  dass 
sogar  der  Stickstoffgehalt  des  Bodens  durch  Bebauung  mit  Legumi- 
nosen eine  Anreicherung  erfahren  kann,  und  hieraus  indirekt  auf  eine 
Assimilation  des  atmosphärischen  Stickstoffes  geschlossen  werden  musste, 


120  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ist  in  den  letzten  Jahren  der  Nachweis  gelungen,  dass  diese  Aufnahme 
atmosphärischen  Stickstoffs  nicht  etwa  durch  die  Pflanze  selbst  bewirkt 
wird,  sondern  nur  unter  Mitwirkung  bestimmter  im  Boden  enthaltener 
Bakterien  (Bact.  radicicola)  zustande  kommt.  Unter  Anderen  konnte  Praz- 
mowski(L.  V.Bd.  37. 161;  38. 1)  diese  Bakterien  auf  Gelatine  rein  züchten 
und  durch  Impfungsversuche  an  Pflanzen,  die  in  sterilem  Boden  mit  Fern- 
haltung aller  Bakterien  gezogen  waren,  mittelst  seiner  Reinkulturen  den 
bestimmten  Nachweis  führen,  dass  die  Knöllchenbildung  und  Assimi- 
lation des  atmosphärischen  Stickstoffs  nur  an  den  geimpften  Pflanzen 
zustande  kam,  also  nothwendig  an  die  Lebensthätigkeit  jener  Mikro- 
organismen gebunden  ist.  Der  Vorgang  scheint  dabei  sich  so  abzu- 
spielen, dass  zunächst  die  Bakterien  den  atmosphärischen  Stickstoff 
zum  Aufbau  ihrer  Leibessubstanz  verwerten,  und  dass  dann  die  durch 
diese  synthetische  Thätigkeit  der  Bakterien  gebildeten  Stickstoffsub- 
stanzen von  der  Pflanze  aufgenommen  werden,  wobei  die  Knöllchen- 
bakterien  nach  vorgängigen  Degenerationserscheinungen  („Bakteroi- 
den"-bildungen)  aufgelöst  werden  und  zugrunde  gehen.  Für  die  Physio- 
logie der  N-Ernährung  dieser  Bakterien  ist  besonders  interessant,  dass 
sie  nach  Winogradsky's  Versuchen  (C.  R.  12.  Juni  1893;  12. Febr.  1894) 
von  ihrer  Fähigkeit,  den  atmosphärischen  N2  zu  assimiliren,  keinen  Ge- 
brauch machen,  wenn  ihnen  genügende  Mengen  von  Ammonsalzen  zur 
Verfügung  stehen;  das  stimmt  gut  überein  mit  der  Beobachtung  Hell- 
riegel's,  dass  in  den  knöllchentragenden  Leguminosen  die  Nutzbar- 
machung des  elementaren  N2  sinkt,  sobald  im  Boden  reichlich  Nitrate 
enthalten  sind. 

2.  Zur  Deckung  des  Kohlenstoffbedarfs  kommen  ausser  Eiweiss, 
Pepton,  Zucker  und  ähnlichen  Kohlehydraten,  Glycerin,  Fetten  noch 
organische  Stoffe  verschiedenster  chemischer  Konstitution  in  Betracht, 
wie  ein-  und  zweibasische  Säuren  (Essigsäure,  Bernsteinsäure),  hyclro- 
xylierte  Säuren  (Weinsäure,  Citronensäure),  Amidosäuren  (Asparagin- 
säure,  Leucin),  ein-  und  mehrwertige  Alkohole  (z.  B.  ist  Äthylalkohol 
das  günstigste  Nährmaterial  für  den  Essigsäurepilz  und  darf  bis  zu 
10°/o  in  dessen  Nährlösung  enthalten  sein),  Ketone,  Ketonsäuren  (Brenz- 
traubensäure,  Lävulinsäure),  Ester  (Essigäther,  Acetessigester),  Harnstoff- 
und  Guanidinderivate,  Amine,  Nitrile  (Methyl Cyanid);  in  grosser  Ver- 
dünnung können  selbst  solche  Stoffe  als  C-haltiges  Nährmaterial  ver- 
wendet werden,  die  in  stärkerer  Koncentration  entschiedene  Giftwirkungen 
entfalten,  wie  Carbolsäure,  Salicylsäure.  Ein  von  Loew  (C.  12.  462) 
entdeckter  Bacillus  vermag  sogar  aus  formaldehydschwefligsaurem 
Natron  und  noch  besser  aus  ameisensaurem  Natron  seinen  C-Bedarf 
zu  decken.  Die  gewaltigste  synthetische  Fähigkeit  aber  entfalten  die 
von  Winograüsky  isolierten  Nitrobakterien,    indem    sie    in  einem 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  121 

Medium  normal  zu  wachsen  vermögen,  das  keine  Spur  von  organi- 
schen Kohlenstoffverbindungen  enthält,  und  ihren  C-Bedarf  einzig 
und  allein  aus  der  C02  decken.  Diese  Thatsache,  die  übrigens 
schon  früher  von  Heraeus  (Z.  f.  Hyg.  I)  und  Hueppe  (Schilling's 
Journ.  f.  Gasbel.  u.  Wasservers.  1887)  beobachtet  war,  ist  von  Wiko- 
gradskt  (P.  90.  257),  der  mit  Reinkulturen  und  unter  strengstem 
Ausschluss  von  organischen  Verunreinigungen  arbeitete,  über  jeden 
Zweifel  erhoben  worden.  Godlewskt  (Anzeiger  d.  Akad.  d.  Wiss.  in 
Krakau.  1892.  408)  hat  bei  einer  sorgfältigen  Nachprüfung  dieser  Ver- 
suche die  Resultate  Winogradsky's  durchaus  bestätigen  können,  glaubt 
aber,  dass  nicht  die  in  den  Karbonaten  der  Lösung,  sondern  die  in 
der  zutretenden  atmosphärischen  Luft  enthaltene  C02  als  Quelle  für 
die  Deckung  des  C-Bedarfs  diene;  Wachstum  und  Nitrifikation  gingen 
normal  vor  sich,  wenn  die  zutretende  Luft  durch  Schwefelsäure  und 
Kaliumpermanganat  von  allen  organischen  Beimengungen  befreit  war, 
blieben  aber  aus,  wenn  die  Luft  durch  Kalihydrat  von  ihrer  Kohlen- 
säure befreit  war.  Auch  Müntz  (C.  R.  111.  1370)  konnte  die  Er- 
nährung der  Nitrobakterien  durch  Kohlensäure  bestätigen,  indem  es 
ihm  gelang,  auf  den  vollständig  kahlen,  jeden  organischen  Stoffes  baren 
Felsspitzen  hoher  Berge,  z.  B.  auf  dem  Faulhorn,  regelmässig  Nitro- 
bakterien nachzuweisen,  die  dort  den  ersten  Grundstock  zur  Entwick- 
lung einer  Humusschicht  und  die  Basis  für  weiteres  organisches  Leben 
liefern.  Näheres  über  diese  höchst  merkwürdigen  Mikroorganismen 
folgt  unter  „Nitrifikation". 

Für  einige  Bakterien  sind  empirisch  die  günstigsten  Ernährungsbedingungen 
näher  festgestellt,  und  zwar  für  den  C-  und  N-Bedarf  gleichzeitig.  So  fand 
v.  Jaksch  (Z.  physiol.  Ch.  5),  dass  der  Mikrokokkus  ureae  seinen  N-  und 
C-Bedarf  in  einer  Lösung  von  bernsteinsaurem,  milchsaurem,  äpfelsaurem,  wein- 
saurem, citronensaurem  Ammoniak,  von  Glykokoll,  Leucin,  Asparagin,  asparagin- 
sauren  Salzen,  Kreatin,  benzoesaurem  Ammoniak,  hippursauren  Salzen  und  Pepton  zu 
decken  vermag;  unbrauchbar  waren  ameisensaures,  essigsaures,  buttersaures,  oxal- 
saures,  salicylsaures  Ammoniak,  sowie  Acetamid.  Für  den  Milchsäurebacillus  fand 
Hueppe  (M.  G.II)  als  beste  C- Quellen  Milchzucker,  Rohrzucker,  Mannit  und  Dextrose; 
als  beste  N-Quelle  erwies  sich  Pepton  und  unter  den  Salzen  weinsaures  Am- 
moniak; Nitrate  waren  zur  Deckung  des  N-Bedarfs  durchaus  untauglich.  Die 
Nährsalze  waren  am  günstigsten  vertreten  durch  0,2—0,5  %  Dikaliumphosphat 
+  0,05  bis  0,1  %  Magnesium sulfat +0,015—0,025  %  Calciumchlorid;  diese  Mischung 
konnte  durch  1  %  Fleischextraktlösung  ersetzt  werden.  Sehr  eingehend  sind  die 
Ernährungsbedingungen  für  den  Tuberkelbacillus  von  Proskauer  und  Beck  (Z. 
18.128)  festgestellt  worden.  Nachdem  schon  durch  Sanders  (A.  16)  nachgewiesen 
war,  dass  Tuberkelbacillen  auch  auf  pflanzlichen  Nährböden  fortkommen,  und 
Kühne  (Z.  f.  Biol.  30.  221)  dieselben  in  einer  künstlichen  eiweissfreien,  kompliziert 
zusammengesetzten  Nährlösung  gezüchtet  hatte,  haben  Proskauer  und  Beck 
selbst  auf  folgendem  einfach  zusammengesetzten  Substrat  Wachstum  erzielen 
können : 


122  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

käufliches  Ammoniumkarbonat  0,35%,  Monokaliuinphosphat  0,15%,  Magnesium- 
sulfat 0,25  o/o,  Glycerin  1,5  %. 

Hier  wird  der  ganze  Stickstoffbedarf  aus  dem  Ammoniak,  der  C-Bedarf  aus 
dem  Glycerin  gedeckt.  Letzteres  ist  für  die  Tuberkelbacillen  ein  fast  unentbehr- 
licher Nährstoff;  selbst  durch  chemisch  nahe  verwandte  Stoffe,  wie  Triglyceride, 
Glycerinphosphorsäure,  Glycerinsäure,  Erythrit,  kann  es  nicht  ersetzt  werden; 
einen  sehr  kümmerlichen  Ersatz  bieten  Isodulcit,  Marnose,  Milchzucker,  Dextrin, 
einen  besseren  d- Fruktose  und  vor  allem  Stärke.  Bei  Zusatz  von  mindestens 
1—1,5%  Glycerin  aber  können  viele  organische  Verbindungen  trefflich  ausgenützt 
werden,  insbesondere  die  Amidosäuren(Glykokoll,  Alanin.  Leucin,  Asparagih),  Kohle- 
hydrate, als  d-Glukose,  Mannose,  d-Fruktose.  Rohrzucker,  Milchzucker,  Maltose. 
Raffinose  und  die  den  Kohlehydraten  nahestehenden  G-wertigen  Alkohole  Mannit, 
Dulcit,  Isodulcit.  Merkwürdigerweise  sind  die  Substitutionsprodukte  der 
Amido  säuren,  als  Sarkosin  (Methylglykokoll),  Betain  (Trimethylglycin),  Hippur- 
säure  (Benzoylglykokoll)  ganz  untauglich  zur  Ernährung.  Ebenso  bemerkens- 
wert ist  auch,  dass  Biuret  einen  trefflichen  Nährstoff  darstellt,  während 
Harnstoff  und  alle  seine  anderen  Derivate,  als  Alloxan,  Alloxantin,  Allan- 
toin,  Harnsäure,  Coffein,  Guanin,  Guanidin,  keine  Nährstoffe  sind.  Freilich  stellt 
ja  auch  das  Biuret  eine  im  Eiweissmolekül  vorhandene  Gruppe  fertig  gebildet  dar, 
während  Harnstoff  und  seine  Derivate  erst  eine  synthetische  Arbeit  bis  zum  Biuret 
hin  erfordern  würden. 

Ferner  lässt  sich  nachweisen,  dass  der  Nährwert  eines  Stoffes 
durch  die  Anwesenheit  anderer  gesteigert  werden  kann;  so 
wird  die  Wirkung  des  Asparagins  durch  Gegenwart  kohlenstoffreicher 
Verbindungen,  wie  Zucker,  Citronensäure  und  höherwertiger  Säuren 
anderer  Reihen  gesteigert,  ähnlich  wie  der  Glycerinzusatz  überhaupt 
erst  die  Ausnutzung  der  oben  aufgeführten  Stoffe  ermöglicht.  Wir 
sehen  also,  dass  die  Abhängigkeit  des  Nährwerts  einer  Verbindung 
von  ihrer  chemischen  Konstitution  durch  die  verschiedensten  äusseren 
Bedingungen,  durch  andere  Nährstoffe  und  vor  allem  durch  die  Eigen- 
artigkeit des  betr.  Mikroben  wesentlich  mitbestimmt  wird.  Das  ver- 
schiedene Verhalten  der  Bakterien  gegen  einen  Nährstoff  wird  auch 
ohne  genaue  chemische  Untersuchungen  genugsam  durch  die  vollständig 
verschiedenen  Ansprüche  illustriert,  die  sie  an  ihr  Substrat  stellen. 
Einzelne  Arten  vermögen  nur  im  Körper  und  oft  nur  auf  einem  ganz 
bestimmten  Wirt  zu  existieren  (Syphiliserreger,  Rekurrensspirillen,  Lepra- 
bacillen);  andere  bedürfen  zu  ihrer  Existenz  notwendig  der  nächsten 
Abkömmlinge  deslebendenEiweiss,  z.B.  des  Blutserums.  Der  Influenza- 
erreger und  die  Pseudoinfmenzabacillen  können  ihren  Bedarf  an  or- 
ganischen Stoffen  einzig  und  allein  aus  hämoglobinhaltigen  Substraten 
decken.  Den  stärksten  Gegensatz  hierzu  bilden  andererseits  die  von 
Bolton  (Z.  1)  beschriebenen  Wasserbakterien  (Bacill.  erythrosporus, 
Mikrokokkus  aquatilis  etc.),  welche  selbst  in  reinem,  destilliertem 
Wasser  immer  noch  Nährmaterial  genug  finden,  um  sich  in  kolossaler 
Weise  zu  vermehren. 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  123 

Endlich  ist  zu  berücksichtigen,  dass  der  Kreis  der  für  Deckung 
des  C-  lind  N-Bedarfs  ausnutzbaren  Stoffe  bei  vielen  Bakterien  sich 
dadurch  erheblich  erweitert,  dass  sie  durch  Gährungen  und  Ferment- 
wirkungen weitgehende  Spaltungen  im  Nährmaterial  bewirken  und  so 
vorher  unbrauchbare  Stoffe  durch  diastatische,  invertierende,  peptoni- 
sierende  Wirkungen  in  lösliche,  assimilierbare  Nährstoffe  umwandeln. 
Der  Nährwert  einer  Verbindung  ist  also  eine  Funktion  ihrer  chemischen 
Zusammensetzung  und  der  individuellen  chemischen  Fähigkeiten  der 
einzelnen  Bakterienart.  Bei  der  ausserordentlichen  Vielseitigkeit  und  Ver- 
schiedenheit dieser  chemischen  Fähigkeiten  der  Bakterien  wird  es  nun 
aber  sehr  schwer  halten,  allgemein  gültige  Beziehungen  zwischen 
der  chemischen  Konstitution  und  dem  Nährwert  einer  Ver- 
bindung für  Bakterien  aufzustellen.  Hierbei  spielt  sowohl  die  quan- 
titative Zusammensetzung  als  auch  die  Struktur  der  Verbindung,  der 
Charakter  neu  eintretender  Gruppen  in  den  Substitutionsprodukten  und 
endlich  sogar  die  auf  Stereoisomerie  und  der  gesamten  molekularen 
Geometrie  beruhende  Verschiedenheit  im  optischen  Verhalten  eine 
Rolle.  Loew  (C.  9.  690;  12.  361)  hat  versucht,  einige  solche  allgemeine 
Beziehungen  aufzustellen.  So  nimmt  nach  Loew  der  Nährwert  der  Fett- 
säuren mit  steigendem  C-Gehalt  ab,  mit  neu  eintretenden  Amido- 
oder  Hydroxylgruppen  zu;  mehrwertige  Alkohole  haben  höheren  Nährwert 
als  die  entsprechenden  einwertigen,  z.  B.  Glycerin  mehr  als  Propyl- 
alkohol;  in  Substitutionsprodukten  verringert  Anhäufung  von  Methyl- 
gruppen an  Stelle  von  H-Atomen  sehr  den  Nährwert,  so  dass  z.  B. 
Trimethylamin  eine  weit  schlechtere  C-Quelle  ist  als  Methylamin.  Sehr 
bemerkenswert  für  das  Verständnis  der  Nährtüchtigkeit  als  chemischer 
Funktion  sind  solche  Verbindungen,  die,  ohne  irgend  welche  Gift- 
wirkungen gegen  Bakterien  zu  äussern,  doch  als  Nährstoffe 
für  sie  absolut  unverwendbar  sind.  Hierher  gehören  nach  Loew 
oxalsaure  Salze,  Pyridin,  pikrin-  und  nitranilsaure  Salze,  Nitrobenzoesäure, 
Citrakonsäure  und  Maleinsäure,  Glyoxal,  Pinakon,  Athylendiamin. 

Worauf  diese  Unterschiede  in  der  Nährtüchtigkeit  einer  Ver- 
bindung beruhen,  ist  vorläufig  unmöglich  in  jedem  speziellen  Falle 
anzugeben;  von  einem  allgemeinen  Gesichtspunkte  aus  aber  wird  man 
solche  Erfahrungen  für  durchaus  verständlich  finden,  wenn  man  be- 
denkt, dass  die  assimilierende  Thätigkeit  der  Bakterienzelle,  die  zu  einem 
ganz  bestimmten  Endprodukt  führt,  je  nach  der  chemischen  Konstitution 
des  Nährmaterials  sehr  verschiedene  Widerstände  gegen  die  mit  ihm 
vorzunehmenden  Unilagerungen  finden  und  unter  Umständen  einmal 
auch  gar  nicht  zum  Ziele  gelangen  wird,  ebenso  wie  auch  der  Chemiker 
bestimmte  Reaktionen  und  Umformungen  nur  mit  Körpern  von  einer 


124  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Übrigens  stehen  mit  den  Gesetzmässigkeiten  Loew's  manche  An- 
gaben anderer  sorgfältiger  Untersuchungen  in  direktem  Widerspruch; 
als  solcher  ist  besonders  anzuführen,  dass  oxalsaures  Ammonium, 
welches  nach  Loew  als  C-Quelle  untauglich  sein  soll,  weil  es  die  nach 
seiner  Theorie    für   die  Eiweisssynthese    ganz   besonders   ungeeignete 

Gruppe  C  Cqtt  zweimal  enthält,  nach  Peoskatjee  u.  Beck  (a.  a.  0.)  doch 

ein  ausgezeichneter  Nährstoff  für  Tuberkelbacillen  ist  und  sogar 
für  sich  allein  die  Deckung  des  gesamten  C-Bedarfs  zu  leisten  vermag. 
Eine  wirkliche  Erkenntnis  dieser  verwickelten  Verhältnisse  kann  nur 
durch  zahlreiche  systematische  Detailuntersuchungen  der  einzelnen 
Spaltpilzarten  gefördert  werden,  wobei  insbesondere  die  quantitativen 
Verhältnisse  der  Ausnutzung  der  Nährstoffe  zu  berücksich- 
tigen wären. 

3.  Die  Deckung  des  Schwefelbedarfs  erfolgt  nach  Rubner 
(A.  16.  78)  teilweise  aus  dem  in  Form  von  Sulfaten  vorhandenen 
Schwefel,  zum  grösseren  Teil  aus  organischen  Schwefelverbindungen 
(vgl.  auch  „Schwefelwasserstoffbildung").  Eine  ganz  exzeptionelle 
Stellung  nehmen  die  „Schwefelbakterien"WiNOGRADSKY's  ein,  die  zu 
ihrer  Ernährung  notwendig  der  Anwesenheit  freien  Schwefelwasser- 
stoffs bedürfen  und  ohne  diesen  überhaupt  nicht  zu  vegetieren  vermögen. 

4.  Bei  der  Regeneration  der  Aschenbestandteile  spielt,  ent- 
sprechend der  quantitativen  Zusammensetzung  der  Bakterienasche,  die 
Phosphorsäure  die  grösste  Rolle.  Chloride  fanden  Proskauer  u.  Beck 
(a.  a.  0.)  ganz  entbehrlich.-  Auch  Kalksalze  sind  entbehrlich  (Loew, 
Flora  1892.  390).  Zwischen  Ca  und  Mg  einerseits,  K  und  Na  anderer- 
seits soll  nach  Kappes  (a.a.O.)  eine  wechseleitigeVertretung  möglich  sein. 

5.  Auch  Eisen  gehört  zu  den  Nährstoffen  mancher  Fadenbakterien, 
die  es  in  Gestalt  von  Eisenoxydverbindungen  in  die  Substanz  ihrer 
Scheidengallerte  gleichmässig  ablagern  und  so  rostbraune  Scheiden 
bilden.  Diese  Bakterien,  zu  denen  z.  B.  Crenothrix  gehört,  finden 
sich  massenhaft  in  eisenhaltigem  Wasser.  Über  die  Bedeutung  und 
den  Vorgang  dieser  Eisenablagerung  standen  sich  früher  zwei  An- 
sichten gegenüber:  Cohn  nahm  an,  dass  sie,  ähnlich  der  Ablagerung  der 
Silikate  in  Diatomeen,  durch  die  lebende  Thätigkeit  der  Zelle  zustande 
komme,  während  Zopf  sie  auf  äussere,  rein  mechanische  Vorgänge 
zurückführen  wollte.  Die  neueren  Untersuchungen  Winogradskt's 
(B.  Z.  86.  261)  haben  die  CoHN'sche  Ansicht  bestätigt  und  erweitert. 
Die  in  natürlichen  Eisenwässern  fast  konstant  vorkommenden  Eisen- 
bakterien nehmen  das  im  Wasser  gelöste  Eisenoxydul  in  sich  auf, 
oxydieren  es  in  ihrem  Protoplasma  zu  einer  löslichen,  wahrscheinlich 
organischen  Eisenoxydverbindung,  die  dann  nach  aussen  in  die  Scheide 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  125 

diffundiert  und  dort  als  unlösliches  Eisenhydroxyd  niedergeschlagen  wird. 
Ist  die  Scheide  ganz  von  Eisenhydroxyd  erfüllt,  so  schwärmen  die  Bak- 
terien aus  und  verlassen  sie,  um  neuerdings  ihr  Werk  zu  beginnen. 
Auf  diese  Weise  entstehen  wahrscheinlich  durch  die  Thätigkeit  der 
Eisenbakterien  allmählich  die  grossen  Lager  von  Raseneisenstein.  Die 
Leptothrixstäbchen  können  bei  ihrer  ausserordentlich  langsamen  Ver- 
mehrung ihr  hundertfaches  Gewicht  an  eisenhaltigen  Scheiden  produ- 
zieren. Die  Quantität  der  chemischen  Umwandlungen  ausserhalb  der 
Zelle  steht  zu  der  der  Assimilation  in  derselben  in  gar  keinem  Verhältnis, 
ganz  ähnlich  wie  bei  den  Gährungen.  Dieser  Oxydationsprozess  ist  für 
die  Eisenbakterien  notwendige  Energiecpielle ;  ohne  Eisenoxydzufuhr 
vermögen  sie  überhaupt  nicht  zu  wachsen.  Gegen  diese  Auffassung 
Winogkadsky's  ist  neuerdings  von  Molisch  (Die  Pflanze  in  ihren  Be- 
ziehungen zum  Eisen.  Jena  1892)  Einspruch  erhoben  worden;  nach  ihm 
ist  das  Eisen  für  den  Lebensprozess  dieser  Bakterien  von  keiner  grösseren 
Bedeutung,  wie  die  Kieselsäure  für  die  Gräser;  es  soll  völlig  durch 
Mangan  ersetzbar  sein  und  überhaupt  nicht  in  das  lebende  Plasma  ein- 
dringen, sondern  sofort  in  der  Gallertscheide  niedergeschlagen 
werden.  Gegen  die  WiNOGRADSKv'sche  Erklärung  der  Entstehung  der 
Raseneisensteinlager  durch  Bakterienthätigkeit  macht  Molisch  geltend, 
dass  nur  in  wenigen  Proben  von  Raseneisenstein  Eisenbakterien  ge- 
funden werden  konnten,  während  der  grösste  Teil  überhaupt  keimfrei 
war.  Diese  Thatsache  könnte  sich  aber  sehr  wohl  mit  Winogeadskt's 
Ansicht  vertragen,  da  dieser  ausdrücklich  betont,  dass  fertig  gebildete 
Eisenscheiden  stets  von  den  Bakterien  verlassen  werden. 

6.  Ausserordentlich  merkwürdig  ist  das  Verhalten  der  Spaltpilze 
zum  Sauerstoff.  Ein  grosser  Teil  derselben  bedarf  dieses  Elementes 
ebenso  dringend  zum  Leben,  wie  die  höheren  Pflanzen  und  Tiere.  Zahl- 
reiche Spaltpilze  aber  üben  ihre  Funktionen  nur  beiSauer- 
stoffabschluss  aus  und  stellen  alle  Lebensäusserungen  bei  Anwesen- 
heit selbst  geringer  Mengen  von  Sauerstoff  ein,  so  dass  es  den  Anschein 
hat,  als  wirke  der  Sauerstoff,  der  sonst  so  recht  eigentlich  als  Lebens- 
element angesehen  wird,  auf  diese  Wesen  giftig  ein.  Diese  über- 
raschende Thatsache  eines  Lebens  ohne  Sauerstoff  wurde  zuerst  von 
Pasteur  (C.  R.  52.  340  u.  1260;  56;  75;  80)  entdeckt;  nach  ihrem  Ver- 
halten zum  Sauerstoff  schied  er  die  Bakterien  in  Aeroben  und  An- 
aeroben. Von  vielen  Seiten,  so  von  Nencki  (Über  die  Zersetzung  der 
Gelatine.  Bern  1876.  —  Beitr.  z.  Biol.  d.  Spaltpilze.  1880.  —  J.  pr. 
Ch.  19.  337),  wurden  diese  Angaben  Pasteue's  bestätigt.  Eine  Haupt- 
frage blieb  freilich,  ob  nicht  doch  minimale,  den  gewöhnlichen  Rea- 
gentien  unzugängliche  Spuren  von  Sauerstoff  in  den  Nährmedien  zu- 
rückgeblieben wären,  auf  deren  Kosten  das  Leben  der  Anaeroben  vor 


126  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

sich  ginge;  dann  würde  man  es  nicht  mit  dem  von  Pasteue  betonten 
prinzipiellen  Gegensatz  zweier  Lebensformen,  sondern  nur  mit  einer 
quantitativ  sehr  verschiedenen  Abstimmung  auf  verschiedene  optimale 
Sauerstoffspannungen  zu  thun  haben.  Diese  Möglichkeit  ist  zuerst  von 
Gunning  (J.  pr.  Ch.  [N.F.]  16,  17,  20)  betont,  aber  durch  die  Ver- 
suche von  Nencki  und  Lachewicz  (Pf.  33),  in  denen  das  Fehlen  des 
Sauerstoffs  in  den  betreffenden  Kulturapparaten  durch  feinste  chemi- 
sche Reaktionen  (Unverändertbleiben  von  Ferroferrocyanür  und  redu- 
ziertem Hämoglobin)  erwiesen  wurde,  streng  widerlegt  worden.  Neuer- 
dings wurde  die  Frage,  ob  eine  vollständige  Anaerobiose  dauernd  möglich 
sei,  von  Beueeinck  aufgeworfen.  Dieser  Autor  betonte  die  Möglichkeit, 
dass  ähnlich,  wie  die  Hefe  in  einem  sauerstofffreien  Medium  nur  auf 
Kosten  einer  geringen  an  sie  gebundenen  Sauerstoffreserve  gähren  und 
wachsen  kann,  nach  einiger  Zeit  aber  an  die  Oberfläche  kommen  muss, 
um  neuen  Sauerstoff  aufzunehmen,  auch  die  Anaeroben  bei  ihrem  na- 
türlichen Wachstum  in  Schlamm,  Wasser  etc.  sich  verhalten  und  durch 
die  sich  entwickelnden  Gasblasen  von  Zeit  zu  Zeit  an  die  Oberfläche 
getrieben  werden,  um  sich  mit  Sauerstoff  zu  beladen  und  wieder  leis- 
tungsfähig zu  werden  (C.  11.  73).  In  einer  neueren  Arbeit  aber  hat 
Beijeeinck  (r:  K.  93.  264)  bestimmt  nachgewiesen,  dass  dauernd  voll- 
ständige Anaerobiose  stattfinden  kann;  das  zu  diesen  Versuchen 
benutzte  Granulobacter  butylicum  wuchs  unbegrenzt  in  Lösungen, 
in  denen  Hefe  nach  20 — 30  Zellteilungen  aus  Sauerstoffmangel  ab- 
starb; Granulobacter  wuchs  ferner  kräftig  in  Lösungen,  in  welchen 
durch  Natriumhydrosulfit  Indigblau  reduziert  war  und  in  denen  sich 
Natriumhydrosulfit  noch  im  Überschuss  befand.  Durch  diese  Versuche 
ist  die  Existenz  einer  absoluten  permanenten  Anaerobiose  endgiltig 
entschieden. 

Sehr  bald  hatte  man  gefunden,  dass  bei  anaerobem  Wachstum  die 
Gährthätigkeit  eine  grosse  Rolle  spiele,  und  Pasteue  (CR.  80  und 
Etudes  sur  la  biere.  Paris  1S76)  und  Nägeli  (Theorie  d.  Gährung. 
München  1879)  stellten  die  Theorie  auf,  dass  die  Gährthätigkeit  bei 
anaerobem  Wachstum  geradezu  einen  Ersatz  für  die  Sauerstoff- 
zufuhr darstelle  und  mit  der  Anaerobiose  notwendig  verknüpft 
sei.  Über  die  Beziehungen  zwischen  Sauerstoffzufuhr,  Anaerobiose  und 
Gährung  wird  später  bei  Behandlung  der  Gährungserregung  eingehend 
gehandelt  werden. 

Hier  sei  nur  bemerkt,  dass  diese  Theorie  Pasteue's,  welche  die 
Gährthätigkeit  als  notwendige  Lebensbedingung  für  das  Leben  ohne 
Sauerstoff  bezeichnet  hatte,  sehr  bald  vollständig  erschüttert  wurde. 
Liboeius  (Z.  1.  115)  wies  nach,  dass  auch  ohne  Gährung  intensives 
Wachstum  und  Vermehrung  von  Anaeroben  möglich  ist.   Nach  seinen 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  \21 

Untersuchungen  sind  unter  den  Bakterien  nach  ihrem  Verhalten  zum 
Sauerstoff  3  Klassen  zu  unterscheiden: 

«)  Obligate  Anaeroben,  welche  nur  gedeihen  können,  wenn  der 
Sauerstoff  vollständig  aus  dem  Nährmedium  entfernt  ist.  Hierher  ge- 
hören die  von  Liborius  entdeckten  Bac.  oedematis  maligni,  Clostri- 
dium foetidum,  Bac.  polypiformis,  Bac.  muscoides,  der  Pseudoödem- 
bacillus  und  nach  Untersuchungen  anderer  Autoren  vor  allem  auch  der 
Bac.  tetani  und  der  Rauschbrandbacillus.  Unter  diesen  finden  sich 
auch  solche  Bakterien,  die  keine  Gährung  erregen,  so  z.  B.  der  Bac. 
oedematis  malign.  und  der  Bac.  polypiformis.  Nach  neueren  Versuchen 
von  Smith  (C.  18.  1)  scheint  allerdings  für  manche  obligate  Anaeroben 
(ßauschbrand-  und  Tetanusbac.)  die  Anwesenheit  eines  gährfähigen 
Zuckers  notwendige  Lebensbedingung  zu  sein.  Sauerstoffzufuhr  sistiert 
alle  Lebensäusserungen  dieser  obligaten  Anaeroben. 

ß)  Obligate  Aeroben  wachsen  nur  bei  reichlicher  Luftzufuhr: 
erhebliche  Verminderung  des  Sauerstoffs  beeinträchtigt  zuerst  gewisse 
Funktionen  (z.  B.  Farbstoffproduktion,  Fermentbildung)  und  sistiert  in 
höheren  Graden  alle  Lebensprozesse.  Hierher  gehören  Bac.  aerophi- 
lus,  Bac.  fiuoresc.  liquefac,  Bac.  cyanogenus,  Bac.  fuscus,  Bac.  aqua- 
tilis  fuscus,  Bac.  subtilis,  Sarcina  lutea,  rosa  Hefe.  Innerhalb  dieser 
Gruppe  sind  wieder  grosse  quantitative  Unterschiede  betr.  des  opti- 
malen Grades  der  Sauerstoffspannung  vorhanden.  Gährungen,  die 
durch  dieser  Gruppe  angehörige  Bakterien  hervorgebracht  werden,  er- 
fahren durch  Sauerstoffzufuhr  ausnahmslos  eine  Förderung, 
so  z.  B.  namentlich  die  Essigsäuregährung.  Nach  Hoppe- Seylee's 
Beobachtungen  (Über  die  Einwirkung  des  Sauerstoffs  auf  Gährungen. 
Festschr.  Strassburg  1881)  kann  auch  auf  die  Entwicklung  mancher 
fäulnis erregender  Bakterien,  sowie  auf  den  Ablauf  der  durch  sie  her- 
vorgerufenen fauligen  Gährung  fortgesetzte  reichliche  Imprägnierung 
des  Nährmediums  mit  Luft  günstig  einwirken. 

y)  Fakultative  Anaeroben.  Diese  Bakterien  wachsen  zwar  am 
besten  bei  reichlichem  Luftzutritt,  sind  aber  zu  einer  langsameren  Ent- 
wicklung auch  bei  Fehlen  von  Sauerstoff  befähigt;  meist  findet  hier- 
bei eine  Beeinträchtigung  mancher  Lebensäusserungen  statt;  doch  ist 
diese  dem  Grade  und  der  Art  nach  bei  den  verschiedenen  Angehöri- 
gen dieser  Gruppe  sehr  verschieden.  Hierher  gehören  namentlich  viele 
pathogene  Arten,  die  naturgemäss  im  tierischen  Körper  oft  bei  Sauer- 
stoffmangel zu  wachsen  genötigt  sind,  so  Bac.  anthracis,  Spirillum 
cholerae  asiat.,  Bac.  typb.  abd.,  Staphylokokk.  pyogen,  aur.,  Streptokokk. 
pyogen.,  Bac.  pneumoniae,  Bac.  crassus  sputigen.,  ferner  von  Sapro- 
phyten  z.  B.  Bac  acid.  laci,  Bac.  prodigiosus.  Proteus  vulgär.  Übri- 
gens giebt  es  auch  umgekehrt  fakultative  Anaeroben,    die   bei  Sauer- 


128  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

stoffabschluss  besser  gedeihen,  als  bei  Luftzutritt;  so  verhalten  sich  die 
„therniophilen"  Bakterien  von  L.  Rabinowitsch  (Z.  20.  154)  bei  40°. 
Was  das  Verhältnis  von  Gährthätigkeit  und  anaerobiotischer  Existenz 
bei  den  fakultativen  Anaeroben  anlangt,  so  scheinen  hier  wieder  zwei 
Unterabteilungen  zu  bestehen.  Für  einige,  so  z.  B.  für  den  Bac.  lactis 
aerogen.  von  Escherich  (Die  Darmbakterien  des  Säuglings.  1885.  130) 
ist  nachgewiesen,  dass  die  Gährthätigkeit  eine  unerlässliche  Bedingung 
für  ihr  anaerobes  Wachstum  darstellt,  oder  doch  ihr  Gedeihen  wesent- 
lich fördert;  diese  Bakterien  verhalten  sich  in  dem  Sinne  der  Pasteub- 
schen  Theorie.  Bei  der  grossen  Mehrzahl  der  Bakterien  dieser  Gruppe 
aber  ist  das  Vorhandensein  einer  Gährthätigkeit  für  ihre 
anaerobe  Existenz  ganz  irrelevant;  manche,  z.  B.  der  Typhus- 
bacillus,  sind  überhaupt  keine  Gährungserreger;  andere,  wie  der  Bac. 
crassus.  sputigen,  und  Proteus  vulgaris,  zeigen  keine  ersichtliche  Schä- 
digung der  Gährung  bei  Luftzutritt;  noch  andere,  wie  der  Bac.  pro- 
digiosus,  die  nur  bei  anaerobem  Wachstum  Gährung  erregen,  kommen 
ebenso  gut  bei  völliger  Abwesenheit  von  gährungsfähigem  Material  fort. 

Die  Gährthätigkeit  ist  also  nur  sehr  locker  mit  der  Möglich- 
keit des  anaeroben  Lebens  verknüpft  und  stellt  wahrscheinlich  nur 
eine  der  Energiequellen  dar,  die  für  die  fehlende  Sauerstoff- 
aufnahme vikariierend  eintreten  können.  Nach  Beijeeinck  (a. 
a.  0.)  ist  für  die  Anaeroben  die  Gegenwart  reduktions fähigen 
Materials  Lebensbedingung;  durch  die  Reduktion  gewinnen  sie  die 
Energiemengen,  welche  andere  Organismen  durch  direkte  Sauerstoff- 
atmung erhalten.  Auch  Hesse  (Z.  15)  schliesst  aus  später  zu  be- 
sprechenden Versuchen,  dass  die  Anaeroben  Sauerstoff  aus  dem  Nähr- 
material abspalten. 

Anwesenheit  reduzierender  Substanzen  im  Nährmaterial  begünstigt, 
Anwesenheit  oxydierender  Stoffe  schädigt  das  Wachstum  der  An- 
aeroben (Kitasato  und  Weyl,  Z.  8.  41;  9.  17);  insbesondere  wirkten 
begünstigend E i k o n o g e n ( A mido-Naphthol-Monosulfosäure),  ameisen- 
saures Natron  und  indigosulfosaures  Natron;  letzteres  wird 
durch  die  Anaeroben  selbst  wieder  zu  Indigweiss-Sulfosäure  reduziert. 
Von  Oxydationsmitteln  wirken  besonders  die  Alkalisalze  der  Chrom- 
säure, Chlor-  und  Jodsäure  schädigend  auf  Anaeroben  in  einer 
Koncentration,  in  welcher  aerobe  Bakterien  noch  gar  nicht  gehemmt 
werden.  —  Sehr  merkwürdig  sind  einige  in  neuester  Zeit  von  Kitt 
(C.  17.  168)  und  Kedeowski  (Z.  20)  gemachte  Beobachtungen,  nach 
denen  auch  obligate  Anaeroben  unter  gewissen  Bedingungen 
bei  Luftzutritt  gezüchtet  werden  können;  nach  Kedeowski  wird 
hierbei  das  Wachstum  der  Anaeroben  erst  durch  die  Anwesenheit  ge- 
wisser, vorläufig  nicht  näher  charakterisierbarer  Stoffe,  die  er  von  Aeroben 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  129 

erzeugt  sah,  ermöglicht.  Eine  genauere  Kenntnis  der  Bedingungen 
dieser  Erscheinung  fehlt  noch  durchaus;  jedenfalls  würde  sie  die  Kluft 
zwischen  beiden,  beim  ersten  Anblick  unvergleichbaren  Existenzweisen 
mit  und  ohne  Sauerstoff  überbrücken  helfen  und  einen  Beitrag  zur  Er- 
kenntnis der  prinzipiellen  Identität  anaeroben  und  aeroben  Lebens  liefern. 
Abgesehen  von  diesem  fundamentalen  Unterschied  der  Bakterien 
in  dem  Verhalten  derselben  gegen  den  Sauerstoff,  der  sich  im 
Gegensatz  zwischen  Anaeroben  und  Aeroben  kund  giebt,  bestehen  aber 
noch  innerhalb  der  letzteren  Gruppe  bedeutende  quantitative  Differenzen, 
indem  jede  Bakterienart  auf  einen  besonderen,  bei  ver- 
schiedenen Arten  verschiedenenGradder  Sauerstoffspannung 
abgestimmt  ist.  In  sehr  anschaulicher  Weise  ist  dies  von  Engel- 
mann (B.Z.  81. 441;  82. 338;  88.  696)  und  von  Beijerinck  (C.  14. 837)  mit 
seiner  Methode  der  „Atmungsfiguren"  der  Bakterien  gezeigt  worden. 
Beide  Methoden  beruhen  auf  der  später  zu  beschreibenden  chemotaktiscken 
Anziehung  des  Sauerstoffs  auf  Bakterien  und  seines  Einflusses  auf  ihre  Schwärm- 
bewegungen. Engelmann  wies  nach,  dass  in  einem  hängenden  Tropfen,  in  dessen 
Mitte  sich  eine  belichtete  chlorophyllhaltige  Alge  befindet,  die  beweglichen  Bak- 
terien sich  entweder  in  dichten  Haufen  unmittelbar  um  die  sauerstoffspendende 
Alge  ansammeln  oder,  wenn  sie  auf  eine  geringere  Sauerstoffspannung  eingestellt 
sind,  einen  koncentrischen  Ring  um  die  Alge  bilden,  dessen  Entfernung  von  der 
Alge  bei  verschiedenen  Arten  verschieden  und  zwar  um  so  grösser  ist,  einen  je 
geringeren  Wert  die  optimale  Sauerstoffspannung  bei  den  einzelnen  Arten  erreicht. 
Spirillen  sind  z  B.  auf  eine  geringere  Sauerstoffspannung  abgestimmt  wie  Bac. 
subtilis  und  Proteus;  sie  vermögen  noch  minimale  Spuren  Sauerstoff  auszunützen 
und  sich  lebhaft  in  einem  so  sauerstoffarmen  Medium  zu  bewegen,  in  dem  Subtilis 
und  Proteus  infolge  Sauerstoffmangels  die  Energie  zur  Lokomotion  fehlt.  Anderer- 
seits sistiert  eine  höhere  Sauerstoffspannung,  die  für  Subtilis  und  Proteus  günstig 
ist,  gänzlich  die  Bewegung  der  Spirillen.  —  Unter  „Atmungsfiguren"  versteht 
Beijerinck  die  „Anordnung  beweglicher  Mikroorganismen  unter  Einfluss  des  Sauer- 
stoffs und  der  übrigen  Nährstoffe  bei  bestimmten  Versuchsbedingungen".  Die- 
selben zeigen  sich  in  von  der  Aussenluft  abgeschlossenen  hängenden  Tropfen  ganz 
ähnlich  wie  bei  der  Engelmann' sehen  Methode,  nur  dass  sie  hier  makroskopisch 
zu  beobachten  sind,  während  die  ENGELMANN'schen  Versuche  unter  dem  Mikroskop 
gemacht  wurden.  In  flüssigen  Kulturen  in  Reagensgläsern  zeigen  sie  sich  als 
„Bakterienniveaus",  d.  h.  als  scharf  begrenzte  dünne  Schichten  von  Bak- 
terien, die  in  der  klaren  Flüssigkeit  in  einer  vom  Sauerstoffbedürfnis  der  betr. 
Art  abhängigen  Höhe  stehen;  jede  Änderung  des  Sauerstoffgehalts  der  über  der 
flüssigen  Kultur  stehenden  Atmosphäre  bewirkt  Steigen  oder  Fallen  des  Bakterien- 
niveaus, welches  sich  stets  in  die  Zone  der  optimalen  Sauerstoffspannung  einstellt. 

Über  den  Einfluss  des  Sauerstoffs  auf  die  Lebensäusserungen  der 
Bakterien  wird  an  späterer  Stelle  eingehend  gehandelt. 

b)  Die  zusammengesetzten  Kahrmedien  der  Bakterien. 

Ausser  den  im  Vorigen  besprochenen  einzelnen  chemischen  Kom- 
ponenten kommt  bei   den  zusammengesetzten  Nährsubstraten,    welche 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  9 


130  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

den  Bakterien  bei  natürlichem  Wachstum   oder  künstlicher  Züchtung 
zu  Gebote  stehen,  noch  Dreierlei  in  Betracht: 

1.  Die  Mengenverhältnisse  der  einzelnen  Nährstoffe  zu  einander 
können  jedenfalls  bei  den  meisten  Spaltpilzen  unbeschadet  ihrer  Lebens- 
thätigkeit  in  sehr  weiten  Grenzen  variieren,  indem  auf  ganz  verschieden 
zusammengesetzten  Nährböden  gutes  Wachstum  möglich  ist.  Die 
günstigsten  Mengenverhältnisse  sind  in  Betracht  der  ganz  verschiedenen 
Ansprüche  der  einzelnen  Arten  auch  durchaus  verschieden;  so  z.  B. 
fand  Ceamee  (A.  16.  170),  dass  Bac.  Friedländer,  der  Rhinosklerom- 
bac.  und  ein  Wasserbakterium  den  grössten  Ernteertrag  auf  Agar 
mit  5  °/0  Traubenzucker- Zusatz  gaben,  während  Pfeiffers  Kapsel- 
bacillus  auf  Agar  mil  5%  Pepton  ohne  Zucker  üppiger  wuchs.  Alle 
4  Bakterien  wurden  aber  durch  steigenden  Peptongehalt  des  Nähr- 
bodens in  den  Grenzen  von  1 — 5%  begünstigt,  allerdings  nicht  in 
gleicher  Weise.  Was  man  sonst  darüber  weiss,  beschränkt  sich  auf 
rohe,  empirische  Rezepte  zur  Herstellung  von  Nährböden,  z.  B.  über 
den  günstigsten  Gehalt  des  Agars  an  Glycerin  für  Züchtung  der  Tuberkel- 
bacillen  oder  des  Serums  an  Traubenzucker  zur  Diphtheriebacillen- 
züchtung  etc.  Dass  neu  hinzutretende  Stoffe  die  Ausnutzung  der  vor- 
handenen Nährstoffe  wesentlich  verbessern  können,  ist  bereits  oben 
erwähnt. 

2.  Die  Koncentration  des  Nährbodens  kann  im  allgemeinen  so- 
wohl bei  demselben  Bakterium  als  auch  bei  verschiedenen  Arten  in 
weiten  Grenzen  schwanken,  wie  schon  daraus  hervorgeht,  dass  viele  Spalt- 
pilze in  fest- weichen  Nährböden  von  ca.  80°'0  Wassergehalt  ebenso 
gut  wachsen,  wie  in  ganz  verdünnten  Lösungen,  die  nur  Spuren  von 
Nährstoffen  enthalten.  Allerdings  giebt  es  auch  zahlreiche  Arten  (Spi- 
rillen), die  nur  in  flüssigen  Substraten  fortkommen,  dagegen  nicht 
umgekehrt  solche,  die  nur  auf  festem  Substrat  zu  wachsen  vermögen. 
Die  untere  Grenze  der  Koncentration  ist  schliesslich  nur  durch  die 
drohende  Erschöpfung  an  Nährmaterial  festgelegt,  während  für  alle 
Arten  eine,  allerdings  im  einzelnen  verschiedene,  obere  Grenze  besteht, 
über  welche  hinaus  Wachstum  unmöglich  ist.  Kappes  (a.  a.  0.)  fand 
schon  bei  einem  Trockengehalt  von  20  °/0  (wovon  7,5  °/0  Agar)  fast 
völliges  Erlöschen  des  Wachstums.  Wasserentziehung  vermag  daher 
fäulnisfähige  Substanzen  vollständig  gegen  Zersetzungen  durch  Spalt- 
pilze zu  schützen,  während  Schimmelpilze  darauf  noch  günstigen  Nähr- 
boden finden.  Vermehrte  Koncentration  spielt  daher  unter  den  Konser- 
vierungsmethoden für  Nahrungsmittel  eine  grosse  Rolle. 

3.Über  denEinfiuss  derReaktiondesNährmediums  auf  die  Bakterien 
bestehen  zahlreichere  und  genauere  Erfahrungen.  Die  meisten  Spaltpilze 
finden  ihre  günstigsten  Entwicklungsbedingungen  auf  neutralem  oder 


Gotschxich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  131 

schwach  alkalischem  Substrat;  nur  wenige  verlangen  ein  saures  Sub- 
strat, wie  z.B.  die  Essigbakterien,  welche  erst  bei  einem  Gehalt  von  2  °/0  Säure 
wachsen.  Säureüberschuss  wird  im  allgemeinen  von  den  Spaltpilzen 
viel  schlechter  vertragen  als  vonSpross-  und  Hefepilzen.  Die  Ansäuerung 
des  Nährbodens  bietet  daher  ein  wertvolles  Hilfsmittel,  um  Verunreini- 
gungen der  Kulturen  letzterer  Pilze  durch  Bakterien  zu  verhüten.  Die 
schädigende  Wirkung  eines  Säureüberschusses  auf  Bakterien  hat  man 
sich  jedoch  früher  vielfach  als  zu  gross  vorgestellt;  neuere  Untersuch- 
ungen haben  gezeigt,  dass  die  meisten  Bakterien  auch  auf  schwach 
sauren  Nährböden  fortkommen  können.  So  fand  Heim  noch  ver- 
hältnismässig günstiges  Gedeihen  von  Kot-  und  Milchbakterien  in  Ge- 
latine mit  einem  Salzsäuregehalt  von  1  °/00 ;  ferner  zeigte  Ufeelmann 
(B.  91.  Nr.  39),  dass  Typhusbacillen  in  mit  Citronensäure,  Essigsäure 
etc.  stark  angesäuerter  Gelatine  gut  wachsen,  und  dass  überhaupt  die 
Zahl  der  säurebeständigen  Bakterien  nicht  so  klein  ist,  wie  man  ge- 
wöhnlich annimmt;  nach  Schlüter  (C.  11.  589)  war  unter  zahlreichen 
Arten  der  Erysipelkokkus  der  einzige,  welcher  überhaupt  keinen  Säure- 
zusatz vertrug,  während  alle  anderen  bis  zu  einem  gewissen,  je  nach 
der  Art  verschiedenen  Maximalgehalt  an  Säure,  manche  sogar  bei  sehr 
starker  Acidität  (1  °/0  Milchsäure)  üppig  wuchsen;  besonders  bemerkens- 
wert ist,  dass  auch  der  Milzbrandbacillus,  der  früher  als  Prototyp  der 
säureempfindlichen  Bakterien  galt,  selbst  bei  2  °/00  Milchsäurezusatz 
gedeiht  und  bei  dem  gleichen  Alaunzusatz  sogar  üppiger  und  schneller 
als  auf  neutralem  Substrat  wächst.  Manche  Bakterien,  wie  die  Er- 
reger der  Buttersäuregährung  und  die  Essigbakterien,  vertragen  sehr 
hohe  Säuregrade.  Neuerdings  giebt  TurrÖ  (C.  17.  1;  17.  865)  an,  auch 
Gonokokken  und  Streptokokken,  sogar  mit  besonders  günstigem  Er- 
folge, auf  sauren  Nährböden  gezüchtet  zu  haben. 

Alkaliüberschuss  hingegen  wird  von  der  Mehrzahl  der  Spalt- 
pilze sehr  gut  ertragen,  von  manchen,  wie  z.  B.  von  Mikrokokkus  ureae, 
sogar  bis  zu  sehr  hohen  Koncentrationsgraden.  Der  Cholerabacillus 
wächst  noch  auf  Nährböden  von  so  hoher  Alkalescenz,  dass  Kurkuma- 
papier durch  sie  deutlich  gebräunt  wird.  Für  diesen  Bacillus  hat 
Hesse  (Z.  15.  183)  auch  das  Optimum  der  Reaktion  ermittelt  und 
fand  es  bei  dem  beträchtlichen  Gehalt  von  0,4—0,92  gr  krystallisierten 
Na2C03  auf  1  Liter  Nähr-Agar;  auf  schwach  saurem  Nährsubstrat 
ging  der  Bacillus  zugrunde. 

Von  dem  verschiedenen  Verhalten  der  Bakterien  gegenüber  der 
Reaktion  des  Nährbodens,  z.  B.  von  der  Widerstandsfähigkeit  des 
Choleravibrio  gegen  Alkalescenz  und  des  Typhusbacillus  gegen  Säure, 
wird  in  differential- diagnostischer  Beziehung  vielfach  Gebrauch  ge- 
macht, indem  man  zur  Züchtung  dieser  Bakterien  aus  Gemischen  Kultur- 

9* 


132  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Substrate  von  stark  abweichender  alkalischer  bezw.  saurer  Reaktion 
verwendet,  in  denen  viele  andere  Bakterien  nicht  zur  Entwicklung  ge- 
langen, die  Cholera-,  bezw.  Typhusbacillen  dagegen  ungehindert  wachsen 
oder  sogar  begünstigt  werden. 

Durch  Veränderung  der  Reaktion  können  auch  die  eigenen  Stoff- 
wechsel- oder  Gährprodukte  der  Bakterien  das  Wachstum  der  letzteren 
sistieren.  Manche  Spaltpilze  sind  allerdings  so  indifferent  gegenüber 
der  Reaktion  des  Nährmediums,  dass  sie  durch  diese  Veränderungen 
in  keiner  Weise  alteriert  werden. 

D.  Die  physikalischen  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen. 

Unter  den  physikalischen  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen 
spielen  die  Temperaturverhältnisse  die  bedeutendste  Rolle.  Nur 
innerhalb  gewisser  Temperaturgrenzen  ist  Wachstum  und  volle  Ent- 
faltung aller  Funktionen  möglich;  bei  Annäherung  an  diese  Grenzen 
kommen  schon  gewisse  Beeinträchtigungen  einzelner  Lebensäusserungen 
zustande;  schliesslich  sistiert  entweder  das  Leben,  um  unter  günstigen 
Bedingungen  sich  wieder  zu  entwickeln,  oder  es  wird  dauernd  ver- 
nichtet. Innerhalb  der  die  Lebensthätigkeit  zulassenden  Temperatur- 
breite existiert  ein  Optimum,  bei  welchem  die  intensivste  Entwicklung 
und  Lebensäusserung  stattfindet.  Sowohl  das  Optimum  wie  die  Grenzen 
der  Temperatur  sind  nun  aber  bei  verschiedenen  Arten  häufig  ganz 
verschieden.  Von  den  Schimmelpilzen  gedeiht  Penicillium  glaucum 
zwischen  +  2,5°  und  etwa  43°,  wobei  das  Optimum  bei  ungefähr  20° 
liegt;  für  Aspergillus  glaucus  liegt  das  Optimum  bei  +10  bis  12°. 
für  Aspergillus  niger  hingegen  bei  34  bis  35°,  für  Aspergillus  fumigatus 
sogar  bei  etwa  40°.  Für  die  Hefen  liegt  das  Optimum  bei  etwa 
25  bis  30  °;  Vegetation  desselben  ist  aber  noch  in  der  Nähe  des  Gefrier- 
punktes und  bis  etwa  +  53  °  möglich.  Bei  den  Spaltpilzen  bezeichnen 
für  die  meisten  Arten  etwa  -j-  5  bis  10°  und  +  40  bis  45°  die  Grenzen 
der  zulässigen  Temperaturen;  das  Optimum  liegt  bei  pathogenen  Arten 
bei  ca.  37°,  bei  Saprophyten  häufig  tiefer,  im  Durchschnitt  jedenfalls 
höher  als  bei  den  Spross-  und  Schimmelpilzen.  Im  einzelnen  ergeben 
sich  freilich  auch  innerhalb  dieser  Gruppe  grosse  Verschiedenheiten; 
so  beginnt  nach  Eidam  (B.  B.  1.  3.  S.  209)  die  Entwicklung  von 
Bacterium  termo  in  CoHNscher  Nährlösung  bei  -f-  5,5  °,  nimmt  dann 
mit  steigender  Temperatur  erst  langsam,  von  +10°  an  rasch  zu, 
erreicht  zwischen  30  und  35  °  das  Optimum  und  nimmt  dann  sehr 
schnell  wieder  ab,  um  bei  40  °  schon  völlig  aufzuhören.  Für  den  Essig- 
säurepilz liegt  das  Optimum  zwischen  20  und  30°;  unter  10°  findet 
nur  sehr  langsames  Wachstum  statt;  über  35°  nimmt  es  rapid  ab,  um 


Gotscbxich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  133 

wenige  Grade  höher  ganz  zu  erlöschen.  Selbst  unter  sehr  nahe  verwandten 
Spaltpilzen  ergeben  sich  Differenzen  in  der  Abhängigkeit  ihrer  Wachs- 
tunisenergie von  der  Wärme-;  so  zeigt  nach  FIügge  (Z.  17.  300)  der 
eine  von  den  peptonisierenden  Bacillen  der  Milch  ein  scharf  ausge- 
prägtes Optimum  bei  40°,  während  der  andere  zwischen  25  und  40° 
eine  annähernd  gleichmässige  Vermehrungsintensität  erkennen  lässt; 
beide  entwickeln  sich  noch  bis  60°,  während  der  Bac.  acid.  lact.  nach 
demselben  Autor  schon  bei  40°  seine  Entwicklung  einstellt  und  bei 
27°  sein  Optimum  hat.  Der  Tuberkelbacillus  wiederum  kann  sich  nur 
innerhalb  enger  Temperaturgrenzen,  zwischen  30  und  41  °,  am  besten  bei 
38°  entwickeln.  Ausser  diesen  in  mittlerer  Temperatur  gedeihenden  Bak- 
terien existieren  aber  noch  2  Gruppen,  deren  eine  sich  durch  Wachs- 
tum bei  0°  auszeichnet,  während  die  andere,  die  der  „thermophilen 
Bakterien",  bei  50 — 70°,  ja  zuweilen  ausschliesslich  bei  diesen  hohen 
Temperaturen  fortkommt.  Angehörige  der  ersten  Gruppe  wurden  zu- 
erst von  Förster  (C.  2.  337;  12.  431),  und  zwar  aus  Gartenerde, 
Strassenschmutz,  Kanalwasser,  Meerwasser  und  an  der  Oberfläche  von 
Seefischen  gezüchtet.  Letztere  Art  war  durch  ihre  Lichtentwick- 
lung, die  sich  noch  bei  0°  in  bedeutender  Intensität  zeigte,  besonders 
merkwürdig.  Später  gelang  es  Fischer  (C.  4.  89)  in  kurzer  Zeit  14  ver- 
schiedene Arten  aus  Hafenwasser,  Boden  etc.  zu  isolieren,  die  sämtlich 
bei  0  °,  aber  auch  bei  Zimmertemperatur  wachsen  und  bei  Gefrier- 
temperatur alle  ihre  Lebensäusserungen,  als  Lichtentwicklung,  Farb- 
stoffentwicklung, Verflüssigung  der  Gelatine,  Entwicklung  von  Fäulnis- 
gasen etc.  ausüben.  Einen  Übergang  von  dieser  merkwürdigen  Gruppe 
zu  dem  Gros  der  Bakterien  bilden  viele  Wasserbakterien,  die  sich  am 
besten  bei  20  °  entwickeln  und  Bruttemperatur  nicht  vertragen,  sowie 
Beijerinck's  Bac.  cyaneofuscus  (B.  Z.  1891),  dessen  Optimum  bei 
10°  liegt  und  auf  den  schon  Züchtung  bei  20°  nachteilig  wirkt. 

Bakterienwachstum  bei  exzessiv  hohen  Temperaturen  wurde  zu- 
erst von  Miqttel  (Annuaires  de  i'observ.  d.  Montsouris  1881.  464.  — 
Les  Organismes  viv.  de  l'atm.  1883.  182.  —  A.  Mi.  1888.  4)  an  einem 
in  Seine-  und  Kloakenwasser,  selten  in  der  Luft  vorkommenden  Ba- 
cillus, ferner  von  van  Tieghem  (Soc.  bot.  d.  France  Bull.  T.  XXVIII. 
35)  an  einem  Streptokokkus,  der  sogar  bei  74°  wuchs,  und  mehreren 
anderen  Bakterienarten,  später  von  Certes  und  Garrigon  (C.  R. 
103.  703)  an  2  Bakterienarten  im  64  gräd.  Sprudel  von  Luchon  be- 
obachtet. Doch  galten  diese  Fälle  mehr  als  Kuriositäten.  Erst 
Globig  (Z.  3.  294)  gelang  es,  das  regelmässige  Vorkommen 
zahlreicher  Arten  von  Bakterien,  die  zwischen  50  und  70° 
wachsen,  in  den  oberen  Bodenschichten  nachzuweisen;  er  fand 
sie   sowohl   in  deutschem  jungfräulichen  und  aufgeschüttetem  Boden., 


134  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

als  auch  in  Erdproben  von  Südseeinseln,  in  Heideboden  von  den  He- 
briden,  in  norwegischem  Lehmboden  u.  a.  m.  Am  merkwürdigsten  ist, 
dass  die  meisten  der  untersuchten  Arten  auf  diese  hohen  Temperaturen, 
die  allen  anderen  Lebewesen  verderblich  sind,  geradezu  notwendig  an- 
gewiesen sind;  unter  den  30  untersuchten  Arten  fand  sich  nur  eine 
einzige,  die  auch  bei  Zimmertemperatur  wuchs.  Alle  Versuche  be- 
zogen sich  auf  Kartoffelkulturen.  Es  entstand  nun  die  Frage,  wo  diese 
auf  exzessiv  hohe  Temperaturen  angewiesenen  Bakterien  unter  natür- 
lichen Verhältnissen  ihr  Fortkommen  finden.  Globig  wies  nach,  dass 
in  den  obersten  Bodenschichten  durch  intensive  Insolation  wenigstens 
zeitweise  so  hohe  Temperaturen  erzeugt  werden,  und  glaubt,  dass  hier- 
durch vielleicht  die  Lebensbedingungen  für  diese  Pilze  geschaffen 
werden;  hiermit  würde  die  Thatsache,  dass  in  Bodenproben  aus  den 
Tropen  viel  zahlreichere  thermophile  Bakterien  als  in  solchen  aus  dem 
Norden  gefunden  wurden,  gut  übereinstimmen.  Neuerdings  hat  nun 
aber  L.  Rabinowitsch  (Z.  20.  154)  eine  andere  Möglichkeit  für  das 
natürliche  Fortkommen  der  thermophilen  Bakterien  aufgezeigt,  indem 
sie  nachwies,  dass  dieselben  auch  zwischen  34  und  44°  eine  günstige 
Entwicklung  auf  Agar  und  Bouillon  unter  anaeroben  Versuchs- 
bedingungen erkennen  lassen.  Insbesondere  im  Darmkanal  des 
Menschen  und  vieler  Tiere  findet  intensive  Entwicklung  der  thermo- 
philen Bakterien  unter  diesen  Bedingungen  statt.  Auch  aerobes  Wachs- 
tum ist  bei  diesen  niedrigeren  Temperaturen  möglich,  aber  nur  in  sehr 
beschränktem  Masse.  Auf  Kartoffeln  entwickeln  sich  diese  Bacillen  über- 
haupt stets  erst  bei  über  50°.  Sehr  merkwürdig  ist,  dass  bei  diesen  hohen 
Temperaturen  das  Verhältnis  zwischen  aerobem  und  anaerobem  Wachs- 
tum sich  ausnahmslos  zu  Gunsten  des  ersteren  umkehrt.  Die  Unter- 
suchungen von  Rabinowitsch  haben  auch  die  ausserordentlich  weite 
Verbreitung  der  thermophilen  Bakterien  in  der  Natur  bewiesen;  sie  fan- 
den sich  im  Luftstaub,  in  Erde,  in  Flusswasser,  im  Darminhalt  des 
Menschen  und  zahlreicher  warm-  und  kaltblütiger  Tiere,  in  käuflicher 
Kuhmilch,  auf  Getreide,  auf  keimender  Gerste  etc.  Auch  von  F.  Cohn 
(B.  G.  1893.  66)  und  von  Macfadyen  und  Blaxall  (Journ.  of  Paras. 
and  Bact.  1894)  ist  neuerdings  noch  über  das  häufige  Vorkommen 
dieser  merkwürdigen  Mikroben  berichtet.  Die  höchste  beobachtete 
Temperatur,  bei  der  thermophile  Bakterien  noch  fortkommen,  betrug 
75°,  fällt  also  mit  der  Gerinnungstemperatur  des  Serumeiweiss  an- 
nähernd zusammen. 

Nähert  sich  die  Temperatur  der  oberen  zulässigen  Grenze,  so  findet 
bei  allen  Bakterien  eine  rapid  zunehmende  Verminderung  der  Ent- 
wicklung statt;  dies  ist  leicht  verständlich,  wenn  man  bedenkt,  dass 
das  allgemeinste   Grundgesetz  über   den  Einfluss   der  Temperatur   auf 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  135 

Lebensprozesse  auch  für  die  Bakterien  gilt:  mit  steigender  Temperatur 
werden  die  chemischen  Prozesse  im  Protoplasma  an  Intensität  gesteigert, 
was  innerhalb  gewisser  Grenzen  eine  Erhöhung  der  Leistungsfähigkeit, 
über  das  Optimum  hinaus  aber  ein  Missverhältnis  zwischen  der  Dissi- 
milation und  den  Restitutionsvorgängen  zu  Ungunsten  der  letzteren 
setzt  und  demgemäss  eine  Schädigung  und  schliesslich  Vernichtung  der 
Zelle  bewirkt.  Über  die  Abschwächung  und  Tötung  der  Bakterien 
durch  Hitze  wird  bei  der  Besprechung  der  Absterbedingungen  eingehend 
verhandelt  werden,  ebenso  über  die  Beziehungen  der  Temperatur  zu 
den  einzelnen  Lebensäusserungen,  wie  Farbstoffbildung,  Lichtentwick- 
lung etc.  bei  den  betr.  Abschnitten.  Hier  sei  nur  bemerkt,  dass  nach 
Galeotti  (Sp.  1892)  und  Dieudonne  (A.  G.  9.  492)  durch  Ein- 
schaltung von  Zwischentemperaturen  und .  fortgesetzte  Züchtung  eine 
teilweise  oder  vollständige  Anpassung  von  Pigmentbakterien  an 
ursprünglich  ungünstige  Temperaturverhältnisse  erreicht 
werden   kann. 

Während  schon  ein  geringes  Steigen  der  Temperatur  über  die  obere 
Wachstumsgrenze  deletär  auf  die  Spaltpilze  wirkt,  ist  eine  zu  niedrige 
Temperatur,  bei  der  keine  Fortentwicklung  und  Vermehrung  mehr  statt- 
finden kann,  gleichwohl  doch  noch  nicht  von  schädlichem  Einfiuss  auf 
das  Leben  der  einzelnen  Bakterienzelle  selbst.  Im  Gegenteil  werden 
die  Bakterien  bei  niederer  Temperatur  ausgezeichnet  konserviert  und 
beginnen,  wieder  unter  günstige  Temperaturverhältnisse  gebracht,  so- 
gleich wieder  ihre  Lebensäusserungen  zu  entfalten;  neuere  Untersuch- 
ungen von  Peteuschky  (C.  17),  sowie  von  Gotschlich  und  Weigang 
(Z.  20;  H.  3),  haben  gezeigt,  dass  die  Virulenz  von  Streptokokken-,  bezw. 
von  Cholerakulturen,  die  bei  Bruttemperatur  sehr  rasch  verloren  geht, 
bei  Eisschranktemperatur  vollständig  erhalten  bleibt.  Das  Leben 
wird  nur  sistiert;  es  findet  eine  Fixierung  derjenigen  Beschaffen- 
heit des  Zeilleibes  statt,  welche  sich  vorher  gemäss  den  herrschenden 
Lebensbedingungen  ausgebildet  hatte  und  die  nunmehr  bei  der  durch 
die  niedere  Temperatur  beschränkten  Labilität  der  lebenden  Substanz 
keine  Veränderung  erfahren  kann;  werden  die  Bakterien  wieder  unter 
günstige  Lebensbedingungen  gebracht,  so  entfalten  sie  ihre  Lebens- 
äusserungen mit  alter,  ungeschwächter  Kraft.  — 

Über  die  Bedeutung  der  Ruhe  und  mechanischer  Erschütter- 
ungen für  das  Leben  der  Mikroorganismen  ist  Folgendes  bekannt. 
Fortgesetzte  ruhig  fliessende  Bewegung  der  Nährmedien  scheint  die  Ent- 
wicklung der  Spaltpilze  nicht  zu  hemmen  (Hoppe-Seyler,  Üb.  d.  Ein- 
wirkung d.  Sauerstoffs  auf  Gährungen.  1881);  dagegen  bewirken  lang- 
dauernde kontinuierliche  intensive  Erschütterungen,  z.  B.  mittelst  einer 
Schüttelmaschine,  meist  Entwickluno-shemniun^  oder  gar  Abtötung  der 


136  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Bakterien  (Horvath,  Pf.  17;  Pohl,  cit.  bei  Reinke  ebd.  23).  Auch 
starke  Schallwellen,  welche  durch  die  Nährbouillon  geleitet  wurden, 
verlangsamten  nach  Reinke  die  Entwicklung  der  darin  befindlichen 
Bakterien.  Nach  B.  Schmidt  (A.  13.  247)  scheinen  übrigens  betr. 
des  Verhaltens  der  Bakterien  gegenüber  mechanischen  Erschütterungen 
Artdifferenzen  ganz  wesentlich  in  Betracht  zu  kommen,  indem  z.  B. 
Staphylokokk.  pyogen,  citreus  fast  ganz  vernichtet  wurde,  während  der 
Typhusbacillus  gar  keine  Schädigung  erlitt.  Meltzer  (Z.  f.  Biol.  30. 
464)  konnte  diese  Resultate  bestätigen;  Bac.  Megaterium  erwies  sich 
als  sehr  vulnerabel,  Bac.  fluoresc.  non  licpiefac.  dagegen  als  sehr 
resistent.  Nicht  nur  grob  mechanische  Stösse,  sondern  auch  minimales 
Zittern  kann  bei  genügend  langer  Einwirkung  Entwicklungshemmung 
und  Abtötung  bewirken;  so  fand  Meltzee  Bac.  Megaterium  und  sub- 
tilis  in  flüssigem  Nährmedium  nach  einem  4tägigen  Aufenthalt  in  einer 
grossen  New-Yorker  Brauerei,  in  welcher  durch  die  Tag  und  Nacht 
arbeitenden  Maschinen  ein  ununterbrochenes  Zittern  des  ganzen  Ge- 
bäudes hervorgerufen  wurde,  vollständig  abgestorben,  während  die  Kon- 
trollproben lebhafte  Entwicklung  zeigten.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung der  abgestorbenen  Bakterien  ergab,  dass  sie  nicht  etwa  in 
grobe  Trümmer  zerstückt,  sondern  zu  feinstem  Detritus  verwandelt 
waren.  Sehr  bemerkenswert  ist  ferner  die  mit  analogen  Untersuchungen 
von  Hansen  (Medd.  fra  Carlsberg  I.  H.  2)  an  Hefe  übereinstimmende 
Thatsache,  dass  ein  geringes  Mass  mechanischer  Erschütterung 
auf  einen  Wasserbacillus  förderlich  einwirkt;  absolute  Ruhe  war 
für  die  Entwicklung  desselben  sogar  ungünstig;  andererseits  wirkte 
exzessive  Erschütterung  auch  hier  entwicklungshemmend.  Meltzee 
fasst  hiernach  die  Einwirkung  mechanischer  Bewegung  auf  den  Lebens- 
prozess  ganz  analog  dem  Einflüsse  der  Temperatur  auf;  in  beiden 
Fällen  handelt  es  sich  um  Zuführung  äusserer  Energie  zur  lebenden 
Maschine,  die  bis  zu  einem  gewissen  Grade  die  Funktionen  der  letz- 
teren fördert,  darüber  hinaus  aber  durch  übermässige  Inanspruchnahme 
das  Bestehen  der  Maschinenteile  selbst  gefährdet,  wobei  Minimum, 
Optimum  und  Maximum  bei  verschiedenen  Arten  von  Mikroorganismen 
ebenso  verschieden  sind  wie  ihr  Verhalten  gegenüber  Temperaturein- 
wirkungen.  —  Über  die  Wirkungen  hohen  Druckes  auf  Mikro- 
organismen s.  den  Abschnitt  „Absterbebedingungen". 

Licht  scheint  nicht  zu  den  allgemeinen  Lebensbedingungen  der 
Spaltpilze  zu  gehören;  im  Gegenteil  gedeihen  dieselben  vortrefflich  bei 
Lichtabschluss  und  von  stärkerer  Beleuchtung  sind  überhaupt  fast  nur 
schädigende  Effekte  bekannt(letztere  s.unt.  „Absterbebedingungen").  Nach 
Engelmann  (Pf.  26.  537.  —  B.  Z.  82)  sind  bei  einer  Spaltpilzart,  Bact. 
photometricum,  die  Schwärmbewegungen  vom  Lichte  abhängig.    Über 


Gotschltch,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  137 

die  phototaktischen  Bewegungen    der   Chromatien  ist  bei  der  Eigen- 
bewegung der  Bakterien  gehandelt. 

Der  Elektrizität  kommt  kein  Einfluss  als  Lebensbedingung  für 
Spaltpilze  zu;  stärkere  Ströme  wirken  entwicklungshemmend,  worüber 
bei  den  Absterbebedingungen  mehr. 

E.  Vitale  Konkurrenz  der  Mikroorganismen. 

Nach  Erörterung  der  chemischen  und  physikalischen  Lebenssub- 
strate der  Mikroorganismen  ist  es  nun  noch  erforderlich,  den  Einfluss 
kennen  zu  lernen,  den  verschiedene  gleichzeitig  oder  nach  einander 
auf  demselben  Nährsubstrat  angesiedelte  Mikroben  auf  einander  wechsel- 
seitig ausüben.  Diese  Verhältnisse  finden  sich  ja  in  der  Natur,  wo 
wir  es  nicht  mit  Reinkulturen  zu  thun  haben,  sehr  häufig  verwirklicht. 
Die  künstliche  Nachahmung  kann  durch  gleichzeitige  oder  successive 
erfolgende  Verimpfung  zweier  Mikroorganismen  auf  denselben  Nähr- 
boden bewirkt  werden;  hierbei  kann  entweder  eine  unmittelbare  Ver- 
mischung beider  Kulturen  stattfinden,  z.  B.  durch  Impfung  eines  neuen 
Keimes  in  eine  andere  ausgewachsene  flüssige  Kultur,  in  der  die  leben- 
den Individuen  erhalten  sind;  oder  es  wird  nur  der  Einfluss  der  Ver- 
änderungen des  Substrats,  löslicher  Stoffwechselprodukte  der  vorigen 
Insassen  auf  die  neu  anzulegende  Kultur  geprüft  und  zu  diesem  Zweck 
in  flüssige,  mittelst  Filtration  durch  Chamberland-Filter  keimfrei  ge- 
machte Kulturen  geimpf  t  (Feeudeneeich),  oder  eine  räumliche  Trennung 
verschiedener  Kolonien  auf  festem  Substrat  durch  Anlegung  nahe  bei 
einander  liegender  Impfstriche  verschiedener  Arten  bewirkt  (Babes). 
In  den  meisten  Fällen  bemerkt  man  dann  eine  antagonistische 
Wirkung,  die  häufig  bis  zur  völligen  Unterdrückung  des  Wachs- 
tums einer  Art  führt.  Bei  gleichzeitiger  Einsat  überwuchert  diejenige 
Art,  welche  die  günstigsten  Lebensbedingungen  auf  dem  betr.  Substrat 
findet.  Hier  sind  vor  allem  Koncentration,  Reaktion  und  Temperatur 
massgebend.  Bei  den  ausserordentlich  abweichendenBedürfnissen,  welche 
in  dieser  Beziehung  Schimmelpilze,  Sprosspilze  und  Bakterien  äussern,  ist 
es  nicht  wunderbar,  dassbei  gleicher  Aussaat  unter  verschiedenen  Kulturbe- 
dingungen ganz  verschiedene  Vegetationen  zustande  kommen;  so  über- 
wiegenbeiZüchtung  auf  saurem,  wasserarmen  Substrat  die  Schimmelpilze, 
auf  leicht  alkalischem  hingegen  die  Bakterien;  unter  beiden  findet  wieder 
beiZimmer-  und  Brüttemperatur  eine  Auslese  statt,  indem  z.B.  bei  Zimmer- 
temperatur Penicillium  und  Mucor,  sowie  viele  gewöhnliche  Fäulnis- 
und  Wasserbakterien  vorwiegend  zur  Entwicklung  gelangen,  während 
bei  Brüttemperatur  Aspergillusarten,  peptonisierende  Bakterien  etc. 
üppig  wuchern.     Bei  annähernd   gleich   günstigen  Lebensbedingungen 


138  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

für  verschiedene  Arten  giebt  die  Verschiedenheit  der  spezifischen 
Wachstunisenergie  den  Ausschlag.  Sind  nun  mehrere  Ansiedelungen 
desselben  Keimes  oder  verschiedener  Arten  auf  dem  Nährsubstrat  er- 
folgt, so  tritt  meist  bald  eine  Hemmung  der  weiteren  Entwicklung 
ein;  noch  stärker  macht  sich  eine  solche  geltend,  wenn  ein  neuer  Keim 
erst  nachträglich  auf  ein  von  anderen  Mikroben  bereits  occupiertes 
Substrat  gelangt.  Die  bekannteste  Thatsache,  die  in  dieses  Gebiet  ge- 
hört, ist  die  Wachstumshemmung,  welche  Bakterienkolonien  meist  in 
sehr  dicht  besäten  Platten  erfahren;  die  Kolonien  bleiben,  trotzdem 
noch  Platz  zum  Wachstum  vorkanden  ist,  viel  kleiner  als  bei  dünnerer 
Aussat.  Ausnahmen  kommen  freilich  vor;  man  sieht  sogar  bisweilen 
zwei  miteinander  verschmolzene  Kolonien  verschiedener  Arten,  die  sich 
ungestört  entwickeln.  Dies  weist  schon  darauf  hin,  dass  die  antago- 
nistische Wirkung  bei  den  einzelnen  Arten  sehr  verschieden  ist.  Eine 
grosse  Anzahl  von  Arbeiten  hat  diese  Beziehungen  für  einzelne  Arten 
festzustellen  gesucht. 

Um  nur  einige  Beispiele  hervorzuheben,  so  fand  Babes  (Cornil  und  Babes, 
Les  Bacteries.  I),  dass  Milzbrandbacillen  und  Staphylokokken  in  sterilisierten 
Cholerakulturen  sehr  kümmerlich  wachsen,  dass  Milzbrandkolonien  auf  benachbarte 
Entwicklung  von  Pneumoniebacillen  hemmend  wirken,  den  Prodigiosus  dagegen 
nicht  stören,  dass  Staphylokokkus  pyogen,  aur.  die  Entwicklung  des  Milzbrand- 
bacillus, dagegen  nicht  die  des  Pyocyaneus,  Cyanogenes,  Pneumoniebacillus 
hindert.  Nach  Garre  (Correspondenzbl.  f.  Schweizer  Ärzte.  XVII)  ist  der  Bac. 
fluoresc.  putidus  ein  Antagonist  des  Typhusbacillus  und  umgekehrt,  hindert  dagegen 
gar  nicht  den  Milzbrandbacillus  und  das  Spirillum  Finkler-Prior;  nach  Pavone 
(G.  J.  S7)  ist  der  Typhusbacillus  Antagonist  des  Milzbrandbacillus  etc.  Abnahme 
der  Virulenz  des  Milzbrandbacillus  ist  von  Zagari  (ebd.)  bei  Züchtung  in  sterili- 
sierter Cholerakultur,  Beeinträchtigung  der  Farbstoflproduktion  durch  antagonis- 
tische Wirkung  von  vielen  Autoren,  z.  B.  von  Babes  bei  der  Züchtung  des  Bac. 
indicus  ruber  neben  dem  Cyanogenes  konstatiert.  Garre  unterscheidet  „ein- 
seitigen" und  „gegenseitigen"  Antagonismus,  je  nachdem  die  eine  Art  rein  passiv 
ist  oder  bei  geänderter  Versuchsanordnung  auf  die  erste  Art  auch  ihrerseits 
hemmend  einzuwirken  vermag.  Bakterien,  die  sich  gegenseitig  nicht  stören,  nennt 
er  „symbiotisch".  Systematische  Durcharbeitung  des  Gebietes  und  allgemeine 
Gesetzmässigkeiten  der  antagonistischen  Wirkungen  fehlen  noch  fast  ganz,  wes- 
halb eine  weitere  Häufung  von  Beispielen  als  zwecklos  unterbleiben  mag.  Von 
besonderem  praktischen  Interesse  ist  die  antagonistische  Wirkung  von  Saprophyten 
auf  pathogene  Mikroorganismen,  die  z.  B.  bei  der  Frage  der  Haltbarkeit  von 
Krankheitserregern  in  der  Aussenwelt,  z.  B.  von  Chloravibrionen  und  Typhus- 
bacillen  im  Flusswasser,  in  Dejekten  etc.  eine  wichtige  Rolle  spielt  und  später 
noch  eingehend  verhandelt  wird. 

Die  antagonistische  Wirkung  der  Mikroorganismen  lässt  eine  mehr- 
fache Deutung  zu.  Einmal  könnte  es  sich  um  eine  einfache  Erschöpf- 
ung des  Substrates  an  geeigneten  Nährstoffen  handeln,  die  durch 
die  zuerst  geimpfte,  bezw.  bei  gleichzeitiger  Impfung   durch  die  rascher 


Gotschlich,  Lebensbedingungen  der  Mikroorganismen.  139 

wachsende  Kultur  zustande  'kommt  und  die  Entwicklung  eines  neuen 
Keimes  unmöglich  macht;  diese  Deutung  ist  sicher  für  eine  ganze  Reihe 
von  Fällen  ausreichend.     Daneben  sprechen   aber  auch   zahlreiche  Er- 
fahrungen dafür,  dass  häufig  durch  Stoffwechselprodukte  der  Bak- 
terien der  Nährboden  für   eine  andere  Art  ungünstig  oder  ganz  un- 
brauchbar gemacht  wird;  so  z.  B.  konnte  Kappes  (a.  a.  0.)  einen  durch 
vorangegangene    Kultur    unbrauchbar    gewordenen  Nährboden    durch 
nachträglichen  reichlichen  Zusatz  von  Nährstoffen  auch  nicht  annähernd 
wieder  restituieren;  ferner  gelang  es  ihm  nachzuweisen,  dass  auch  die 
tieferen  Schichten  des  Substrats,  in  denen  eine  Erschöpfung  an  Nähr- 
stoffen wohl  nicht  anzunehmen  war,  dennoch  sich  auch  als  zur  Ernäh- 
rung einer  neuen  Kultur  ungeeignet  erwiesen.   P.  Frankland  (Z.  19.  393) 
konnte  durch  vergleichende  Versuche  mit  rohem  Flusswasser  und  einem 
künstlich  infizierten,   vorher  durch  Kochen  sterilisiertem  Wasser  von 
gleichem  Bakteriengehalt  nachweisen,  dass  die  deletäre  Einwirkung  der 
Saprophyten  auf  Typhusbacillen  in  Flusswasser  nicht  durch  die  grössere 
Vermehrungsenergie    der    ersteren,    sondern    durch    schädliche,    beim 
Kochen  zerstörbare   Stoffwechselprodukte   derselben    zustande    komme. 
Was   die  chemische  Natur  der  antagonistisch  wirkenden  Stoffwechsel- 
produkte   angeht,    so   handelt   es   sich  häufig  nur  um  Änderung  der 
Reaktion  des  Nährsubstrats;  wurde  diese  durch  Neutralisation  rück- 
gängig gemacht,   so  sahen  Sieotinin  (Z.  4.    262)  und  Bitter  (Über 
bakterienfeindliche  Stoffe  in  Bakterienkulturen  etc.  Habilitationsschrift. 
Breslau  1891)  in  vielen  Fällen  eine  vollständige  Restitution  des  Nähr- 
substrates eintreten.     In  anderen  Fällen,  wo  trotz  bestehender  antago- 
nistischer Wirkung  eine  Veränderung  der  Reaktion  des  Substrats  nicht 
nachweisbar  ist,  wie  in  den  Versuchen  von  Olitzkv  (Üb.  d.  antagonist. 
Wirkungen  des  Bac.  fluoresc.  liquefac.   [Diss.]   Bern   1891)   und  Müh- 
sam und  Schimmelbusch  (A.  Ch.  46.  677),  oder  wo,  wie  in   einigen 
Versuchen  Bitter's   (a.  a.  0.)   durch  Neutralisation  die   entwicklungs- 
hemmenden Eigenschaften  des  Substrats  nicht  beseitigt  werden  können, 
muss  eine  Schädigung  durch  besondere  bakterienfeindliche  Stoffwechsel- 
produkte angenommen  werden.   Für  die  letztere  Annahme  spricht  auch 
das  elektive  Verhalten,  welches  sich  häufig  in  der  antagonistischen  Wirkung 
zeigt:   die  Schädigung  erstreckt  sich  oft  nur  auf  einige  wenige  Arten, 
was  schwerlich  durch  eine  so  allgemeine  Alteration  des  Nährbodens,  wie 
die  Veränderung  der  Reaktion  es  ist,  erklärt  werden  kann.  Über  die  che- 
mische Natur  dieser  bakterienfeindlichen  Stoffe  wissen  wir  freilich  noch 
fast  nichts.    Ausserdem  scheint  endlich  noch  die  Ausübung  der  Gähr- 
thätigkeit  ein  mächtiges  Hilfsmittel  zu  sein,  durch  welches  Hefe  in  gäh- 
renden  Zuckerlösungen  Invasionen  von  Spaltpilzen  abwehrt;  die  Fern- 
haltung der  Bakterien  gelingt  um  so  vollständiger,  je  rascher  und  inten- 


140  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

siver  nach  der  Einsat  die  Gährung  beginnt,  also  bei  einer  genügenden 
Quantität  der  Hefenaussat,  zu  der  erfahrungsgemäss  etwa  1,7  gr  Hefen- 
trockensubstanz =  10  ccm  dicker  Hefenmasse  auf  1  Liter  Nährlösung 
ausreichen;  wird  dagegen  nur  eine  ganz  geringe  Hefenmenge  eingesät, 
so  gelangen  Spaltpilze  zu  üppiger  Wucherung,  und  man  erhält  eine 
stark  verunreinigte  Hefenkultur  oder  gar  ein  Vorherrschen  der  Spaltpilze. 
Seltener  als  der  Antagonismus  zweier  neben  einander  vegetierenden 
Arten  findet  sich  eine  gegenseitige  Begünstigung.  So  hat  Buchner 
(Münch.  ärztl.  Intell.-Bl.  18S5.  Nr.  50)  gefunden,  dass  der  Choleravibrio 
in  einer  sterilisierten  Nährlösung,  welche  bereits  als  Nährsubstrat  für 
Cholera  gedient  hat  und  demgemäss  die  Stoffwechselprodukte  der 
Cholerabacillen  enthält,  ein  ganz  besonders  üppiges  und  vor  anderen 
Spaltpilzen  bevorzugtes  Wachstum  zeigt;  eine  ähnliche  Begünstigung 
des  Wachstums  durch  Stoffwechselprodukte  will  auch  Salkowski  (C. 
W.  92.  305)  bei  Wasserbakterien  beobachtet  haben.  Der  Saccharomyces 
der  Ingwerbierhefe  gährt  nach  Ward  (r:  K.  91.  133)  in  Symbiose  mit 
einem  anaeroben  „Bakterium  vermicosum"  viel  kräftiger;  das  Bakterium 
verwertet  und  beseitigt  wahrscheinlich  Stoffe,  die  bei  ihrer  Anhäufung 
der  Hefe  schädlich  wären.  Neuerdings  will  ferner  Türro  (C.  17.  S68)  ge- 
funden haben,  dass  Streptokokken  ganz  besonders  üppig  in  nicht  steri- 
lisierten lebenden  Cholera-  und  Pyocyaneus-,  sowie  auch  in  Milzbrand- 
Kulturen  wachsen.  In  grossem  Massstabe  findet  wahrscheinlich  vielfach 
in  der  Natur  eine  Begünstigung  verschiedener  Arten  statt,  indem 
die  eine  der  später  auftretenden  ihren  zusagenden  Nährboden  erst  durch 
Änderung  der  chemischen  Reaktion,  Schaffung  geeigneter  Nährstoffe, 
Beseitigung  schädlicher  Stoffe  etc.  bereitet.  So  kommt  z.  B.  in  ver- 
schiedenen Stadien  der  Fäulnis  eine  verschiedene  Flora  von  Bakterien 
zur  Entwicklung;  vor  allem  wird  auch  auf  diesem  Wege  den  obligaten 
Anaeroben,  die  im  Laboratorium  nur  unter  besonderen  Cautelen,  bei 
strengem  Luftabschluss  zu  züchten  sind,  unter  natürlichen  Verhältnissen 
die  Möglichkeit  der  Entwicklung  geschaffen,  indem  durch  massenhafte 
Wucherung  aerober  Arten  der  auf  die  Anaeroben  giftig  wirkende 
Sauerstoff  vollständig  aus  dem  Substrat  entfernt  wird,  oder,  wie  aus 
neueren  Versuchen  Kedrowski's  (Z.  20.  358)  zu  folgen  scheint,  indem 
durch  diese  aeroben  Arten  besondere  chemische  Substanzen  gebildet 
werden,  die  etwa  nach  Analogie  reduzierender  Stoffe  den  Anaeroben 
das  Wachstum  ermöglichen.  —  Über  die  antagonistischen  Wirkungen 
verschiedener  pathogener  Mikroorganismen  im  Tierkörper,  sowie  über 
Mischinfektion  wird  an  anderer  Stelle  dieses  Werkes  verhandelt. 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  141 

Zweites  Kapitel. 
Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen 

von 
Dr.  E.  Gotschlich. 

Nach  Kenntnis  der  Bedingungen,  die  für  das  Leben  der  Mikro- 
organismen notwendig  sind,  ist  es  nunmehr  die  Aufgabe  dieses  Ab- 
schnitts, zu  zeigen,  welche  Effekte  durch  das  Zusammenwirken  der  be- 
sprochenen äusseren  Faktoren  und  der  lebenden  Mikroben  entstehen,  so- 
wie die  Art  und  Weise  des  Zustandekommens  dieser  Lebensäusserungen 
soweit  als  möglich  zu  erklären.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  dieses 
Thema,  welches  auch  die  spezielle  Thätigkeit  der  Mikroorganismen 
bei  der  Gährung  und  Krankheiterregung  zu  behandeln  hat,  zu  den 
wichtigsten  Kapiteln  gehört,  welche  die  Lehre  von  den  niederen  Pilzen 
ausmachen. 

Der  Stoff-  und  Kraftwechsel  der  Schimmel-,  Spross-  und  Spalt- 
pilze stimmt  in  seinen  Hauptzügen  so  weit  überein,  dass  eine  geson- 
derte Behandlung  der  drei  Klassen  in  diesem  Abschnitt  mit  wenigen 
Ausnahmen  nicht  notwendig  erscheint;  es  ist  daher  überall  das  Ver- 
halten der  Spaltpilze  als  der  am  genauesten  gekannten  und  hygienisch 
wichtigsten  Gruppe  zu  Grunde  gelegt,  und  nur  an  einzelnen  Stellen 
musste  das  abweichende  Verhalten  der  anderen  Hauptgruppen  speziell 
geschildert  werden. 

Vorausgeschickt  sei  eine  kurze  Übersicht  über  den  allgemeinen 
Charakter  des  Lebensprozesses  bei  den  Mikroorganismen;  hier- 
nach werden  in  besonderen  Kapiteln  Atmung,  Assimilation  und 
Verwendung  der  Nährstoffe  im  Zellleib  der  Mikroorganismen,  so- 
wie die  physikalischen  Leistungen,  zu  denen  sie  dadurch  befähigt 
werden,  abgehandelt. 

Hieran  schliesst  sich  die  Betrachtung  der  Stoffwechselprodukte, 
unter  denen  die  Bakteriengifte,  als  Ptoma'fne,  Toxine,  Tox- 
albumine,  sowie  die  isolierbaren  Fermente  der  Bedeutung  und 
dem  Umfange  des  Gebietes  angemessen,  in  besonderen  Kapiteln  ab- 
gehandelt werden.  In  den  beiden  demnächst  folgenden  Hauptabschnitten 
soll  uns  sodann  Erörterung  jener  zwei  eigentümlichsten  und  hygienisch 
besonders  wichtigen  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen,  derGähr- 
thätigkeit  und  Krankheitserregung  beschäftigen.  Endlich  gelangt 
diejenige  höchste  vitale  Funktion,  welche  Abschluss  und  Ziel  aller 
Lebensprozesse  darstellt,  die  Erzeugung  neuer  gleichartiger  In- 
dividuen, mit  der  dazu  gehörigen  Lehre  vom  Wachstum  und  der 
Fruktifikation  der  Mikroorganismen  zur  Besprechung. 


142  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

A.  Allgemeiner  Charakter  des  Lebensprozesses  bei  den  Mikroorganismen. 

Wie  bei  den  höheren  Lebewesen,  so  ist  auch  bei  den  Mikro- 
organismen der  Lebensprozess  charakterisiert  durch  die  Hervorbringung 
von  Leistungen,  die  sowohl  durch  ihre  Grösse  und  Vielseitigkeit,  als 
auch  durch  ihre  Produkte,  welche  in  der  Erzeugung  neuer,  gleich- 
gearteter Individuen  gipfeln,  von  den  in  der  leblosen  Natur  unter  gleichen 
äusseren  Umständen  erzeugten  "Wirkungen  sich  unterscheiden.  Die 
naive  unwissenschaftlicheBetrachtung  derLebensvorgänge  musste  daher, 
da  sich  ihr  keine  zureichende  äussere  Erklärung  für  diese  so  auffallenden 
und  mächtigen  Leistungen  darbot,  zu  der  Annahme  sich  gedrängt  fühlen, 
dass  diese  Vorgänge  überhaupt  nicht  auf  die  sonst  in  der  Natur 
herrschenden  Gesetze  zurückzuführen  seien,  und  dass  es  zu  ihrer  Er- 
klärung einer  besonderen  mit  aussergewöhnlichen  Wirkungen  begabten 
„Lebenskraft"  bedürfe.  Wenn  nun  auch  freilich  die  wissenschaftliche 
Beobachtung  feststellte,  dass  die  Lebensvorgänge  nur  unter  ganz  be- 
stimmten äusseren  Bedingungen  zustande  kommen,  so  konnte  es 
ihr  doch  nicht  entgehen,  dass  der  Effekt  dieser  äusseren  Faktoren 
unter  Mitwirkung  der  lebenden  Zelle  entweder  ein  ganz  anderer,  wie  in 
der  leblosen  Natur  war,  oder  doch  quantitativ  sehr  weit  von  den  Vor- 
gängen in  der  letzteren  sich  unterschied,  indem  dieselben  Leistungen 
künstlich  nur  mit  Aufwand  ungleich  mächtigerer  Mittel  bewerkstelligt 
werden  konnten.  Wir  sehen  z.  B.  gerade  bei  den  Mikroorganismen 
chemische  Umsetzungen,  wie  Gährungen,  Fermenu Wirkungen  oder  Syn- 
thesen sich  vollziehen,  die  im  chemischen  Apparat  entweder  noch  gar 
nicht  oder  nur  unter  Zuhilfenahme  anderweitiger  äusserer  Mittel,  wie 
z.B.  des  Sonnenlichtes,  hoher  Hitzegrade,  starker  Säuren  etc.  nachgeahmt 
werden  können.  Es  muss  also  im  Protoplasma  selbst  eine 
Energiequelle  vorhanden  sein,  die  für  diese  äusseren  Hilfsmittel 
einzutreten,  ja  ihre  Wirksamkeit  zu  übertreffen  vermag;  diese  Energie- 
quelle ist  in  der  Selbstzersetzung  hochkomplizierter,  sehr 
labiler  Moleküle  unter  Sättigung  von  Affinitäten  und  Frei- 
werden kinetischer  Energie  zu  sehen.  Auf  diese  Auffassung  wird 
man  schon  durch  den  scheinbar  spontanen  Charakter  derLebens- 
vorgänge hingedrängt,  die  mit  den  scheinbar  ebenso  ohne  äusseren  An- 
stoss  erfolgenden  und  zuweilen,  wie  bei  Explosivstoffen,  mit  gewaltiger 
Kraftentwicklung  verbundenen  Zersetzungen  lebloser  chemischer  Stoffe 
gewisse  Ähnlichkeit  bieten.  Ausserdem  aber  stimmen  mit  dieser  An- 
nahme zwei  Grundthatsachen,  welche,  soweit  bekannt,  für  das  gesamte 
Reich  aller  Lebewesen  gelten  und  auch  speziell  für  die  Mikroorganismen 
nachgewiesen  sind,  überein:  erstens  die  durchgängige  Abhängigkeit 
der  Energie   des  Lebensprozesses   von   der   Temperatur,   und 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  143 

zwar  in  dem  Sinne,  dass  unterhalb  einer  gewissen  Temperaturgrenze 
das  Leben  nicht  erlischt,  sondern  nur  sistiert  wird,  dass  dann  mit 
steigender  Temperatur  die  Energie  der  Lebensäusserungen  sich  stetig 
vermehrt  und  endlich  nach  Überschreitung  des  Optimums  rasch  wieder 
vermindert,  wobei  das  Leben  selbst  in  Gefahr  gebracht  wird.  Genau 
ebenso  geht  auch  die  Selbstzersetzung  einer  explosiven  Substanz  nur 
oberhalb  eines  bestimmten  Temperaturminimums  vor  sich  und  verlangt 
überhaupt  jeder  chemische  Prozess  eine  gewisse  Wärmezufuhr,  weil 
nur  oberhalb  eines  bestimmten  Temperaturgrades  die  Energie  der 
intramolekularen  Schwingungen  so  gesteigert  ist,  dass  sie,  sei  es  blos 
durch  die  Bestandteile  des  eigenen  Moleküls,  sei  es  noch  unter  Mit- 
wirkung äusserer  Affinitäten,  die  anziehenden  Kräfte  zu  überwinden  und 
das  Molekül  zu  sprengen  vermag,  worauf  unter  festerer  Bindung  der 
Atome  zu  neuen,  einfacheren  Molekularverbänden  kinetische  Energie 
frei  wird.  Mit  zunehmender  Temperatur  wird  sich  dieser 
Prozess,  wie  jede  chemische  Reaktion,  bis  zu  einer  gewissen  Grenze 
beschleunigen;  nach  Überschreitung  dieser  Grenze  kann  er 
deshalb  keinen  dauernden  Bestand  haben,  weil  dann  die  restitutiven 
Prozesse  nicht  gleichen  Schritt  mit  der  Zersetzung  halten  können  und 
vielleicht  schon  die  Vorstufen  derjenigen  Substanz,  welche  sonst  der 
Träger  des  Lebensprozesses  ist,  bei  so  gewaltiger  Steigerung  der  zu- 
geführten Energiemengen  zerfallen  und  es  so  zur  Bildung  der  lebenden 
Substanz  gar  nicht  mehr  kommen  lassen.  —  Ausser  dieser  Abhängig- 
keit von  der  Temperatur  spricht  für  die  Existenz  eines  Zersetzungs- 
prozesses als  primärer  Ursache  des  Lebens  noch  zweitens  die  Thatsache, 
dass  bei  Aufhören  der  Nahrungszufuhr  das  Leben  nicht  so- 
gleich erlischt,  wie  es  der  Fall  sein  müsste,  wenn  dasselbe  in  der 
lebenden  Zelle  blos  durch  die  Wirksamkeit  äusserer  Faktoren, 
ähnlich  wie  im  Reagensglas,  oder  höchstens  noch  unter  geringer  Mit- 
wirkung osmotischer  Triebkräfte  zustande  käme;  es  geht  vielmehr 
auf  Kosten  der  lebenden  Zelle  weiter,  welche  schliesslich  dadurch 
zerstört  wird  und  so  den  Charakter  des  Zersetzungsprozesses  deutlich 
zeigt.  Diese  grundlegende  Thatsache,  die  z.  B.  für  höhere  Lebewesen 
von  Pflüger  (Pf.  10)  durch  den  Nachweis  der  Ausscheidung  von 
C02  bei  Fröschen  in  reinem  Stickstoff  festgestellt  wurde,  besteht 
auch  für  Mikroorganismen,  wie  später  im  Abschnitt  über  Vermehrung 
und  Fortpflanzung  derselben  noch  eingehend  gezeigt  werden  soll. 

Die  Art  dieser  primären,  im  Protoplasma  erfolgenden  Zerlegungen 
und  die  chemische  Natur  der  Körper,  welche  ihnen  unterliegen,  ist  noch 
nicht  genau  bekannt;  vermutlich  handelt  es  sich  um  den  Protei'nstoffen 
nahestehende,  aber  wohl  noch  kompliziertere  Verbindungen,  jedenfalls  von 
ausserordentlich  labiler  Konstitution.     Als  Spaltungsprodukt  wird 


144  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ausnahmslos  C02  beobachtet.  Dieser  ganze  Prozess,  welcher  die 
primäre  Ursache  des  Lebens  darstellt,  wird  gewöhnlich  als  intra- 
molekulare Atmung  bezeichnet.  Für  dieselbe  ist  kein  Sauer- 
stoffzutritt erforderlich,  es  ist  vielmehr  sowohl  für  Pflanzen- als  für 
Tierzellen  charakteristisch,  dass  ihr  Leben  auch  ohne  Sauerstoffzufuhr 
eine  Zeit  lang  weiter  gehen  kann,  bis  die  Zellsubstanz  selbst  zerstört  ist. 

Die  intramolekulare  Atmung  hat  offenbar  einen  destruktiven 
Charakter;  zum  dauernden  Bestände  des  Lebensprozesses  ist  dem- 
gemäss  das  Hinzutreten  restitutiver  Prozesse  erforderlich,  welche 
die  lebendige  Substanz  beständig  regenerieren.  Hierzu  bedarf  es  der 
Zuführung  geeigneter  chemischer  Stoffe,  der  Nährstoffe,  von  aussen, 
die  dann  unter  dem  unmittelbaren  Einflüsse  der  durch  den  destrukti- 
ven Lebensprozess  freigewordenen  Energie  zu  ganz  anderen  und  weit 
bedeutenderen  Leistungen  befähigt  sind  als  ausserhalb  der  lebenden 
Zelle;  mag  man  sich  nun  diese  aussergewöhnlichen  Leistungen  mit 
Hoppe-Seylee  als  durch  Aktivierung  des  Sauerstoffs  oder  mit  Pflüger 
durch  enorm  hohe  Temperaturen,  welche  in  der  unmittelbaren  Nähe 
der  zerspaltenen  lebenden  Moleküle  zustande  kommen,  bewirkt  denken. 

Die  Aufnahme  der  Nährstoffe  in  die  lebende  Zelle  hat  nun  zweier- 
lei Aufgaben  zu  erfüllen:  erstens  soll  neues,  zur  Zersetzung  im 
Protoplasma  geeignetes  Material  geschaffen  werden;  dieser  Teil  des 
restitutiven  Stoffwechsels,  welcher  neue  Energiecpiellen  schafft,  kann 
als  „dynamogene  Ernährung"  bezeichnet  werden;  ausserdem  aber 
sollen  die  abgenützten  Maschinenteile  der  lebenden  Zelle  wieder  her- 
gestellt werden,  es  soll  die  Zelle  sich  vergrössern,  wachsen,  und  endlich 
sollen  neue  gleichartige  Organismen  aufgebaut  werden;  diese  Thätig- 
keit  kann  als  „plastische  Ernährung"  bezeichnet  werden.  In  beiden 
Fällen  müssen  aber,  da  weder  die  dynamogenen  noch  die  plastischen 
Stoffe  in  der  Natur  vollständig  präformiert  sich  finden,  die  Nährstoffe 
eine  Reihe  von  Umwandlungen  durchmachen,  ehe  sie  in  die  geeignete 
Form  gebracht  werden;  diese  Thätigkeit  der  lebenden  Zelle  begreift 
man  als  „Assimilationsprozesse".  In  diesen  allgemeinsten  Zügen 
verhält  sich  der  Lebensprozess  bei  höheren  Tieren  und  Pflanzen  und 
bei  den  Mikroorganismen  vollständig  gleich,  wobei  es  auch  im  Prinzip 
nichts  ändert,  dass  bei  der  Pflanze  der  Chlorophyllapparat  unter  Ein- 
wirkung des  Sonnenlichtes  eine  weit  mächtigere  synthetische  Thätigkeit 
entfaltet,  als  dies  im  Tierkörper  der  Fall  ist,  wo  die  Nährstoffe  in 
bereits  relativ  complexen  Molekülen  aufgenommen  werden;  bieten  doch 
gerade  die  Mikroorganismen  in  ihrem  so  ausserordentlich  verschiedenen 
Nährstoffbedarf,  wie  wir  im  vorigen  kennen  gelernt  haben,  eine  fast 
kontinuierliche  Kette  von  Übergängen  zwischen  Tier  und  Pflanze,  an- 
gefangen von  obligaten  Parasiten,   die   nur  im   lebenden  menschlichen 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  I45 

Körper  zusagende  Nährstoffe  finden,  bis  zu  den  Nitrobakterien  Hueppe's 
und  Winogkadsky's,  welche  C02,  sogar  ohne  Mitwirkung  von  Licht, 
zur  Synthese  höherer  organischer  Verbindungen  verwenden. 

Auf  dem  Gebiete  der  dynarnogenen  Ernährung  dagegen  ergeben 
sich  zwischen  den  höheren  Lebewesen  einerseits,  den  Mikroorganismen 
andererseits  durchgreifende  Verschiedenheiten.  Während  nämlich  der 
Sauerstoff  für  alle  Tiere  und  Pflanzen  ein  zum  dauernden  Be- 
stände des  Lebens  absolut  unentbehrlicher  Nährstoff  ist,  da  erst 
durch  sein  Eingreifen  die  Produkte  der  intramolekularen  Atmung 
durch  umfangreiche  Oxydationen  gewaltige  Energiemengen  liefern, 
vermag  ein  grosser  Teil  der  Mikroorganismen  dieses  wichtige  Lebens- 
element dauernd  zu  entbehren;  ja  für  die  obligaten  Anaeroben  wirkt 
der  freie  Sauerstoff  geradezu  als  Gift,  und  ihr  Leben  kann  sich  nur 
bei  Abschluss  desselben  vollziehen.  Das  Verhalten  der  Mikroorganis- 
men bei  Sauerstoffabschluss  ist  nun  aber  im  einzelnen  ein  sehr  verschie- 
denes. Häufig  beobachtet  man  eine  deutliche  Abschwächung  gewisser 
Lebensäusserungen;  dann  vermag  eben  die  intramolekulare  Atmimg  bei 
Sauerstoffabschluss  nur  geringere  Mengen  von  Energie  zu  entwickeln, 
aber  doch  immerhin  ausreichend,  um  das  Leben  dauernd  zu  erhalten. 
In  vielen  Fällen  tritt  dagegen  für  diese  fehlende  mächtige  Energie- 
quelle ein  eigenartiger,  nicht  minder  ergiebiger  Ersatz  in  Form  der 
Gährthätigkeit  ein,  indem  in  den  Chemismus  der  Zelle  Stoffe  ein- 
bezogen werden,  welche  durch  ihren  gewaltigen  Gehalt  an  potentieller 
Energie,  der  bei  ihrer  Spaltung  in  kinetische  Energie  umgesetzt  wird, 
der  Zelle  diejenigen  Kraftmengen  zuführen,  die  sie  sonst  durch  Oxy- 
dationen erhielt;  unter  diesen  Umständen  können  sogar  streng  aerobe 
Mikroorganismen,  wie  Hefe,  temporär  ihr  Dasein  bei  Luftabschluss 
fristen.  Freilich  tritt  ein  solcher  Ersatz  durch  Gährthätigkeit  nicht 
in  allen  Fällen  ein,  wie  Libokitjs  (Z.  1.  115)  gezeigt  hat;  häufig  findet 
üppige  Entwicklung  unter  anaeroben  Versuchsbedingungen  ohne  gleich- 
zeitige Gährung  statt;  in  solchen  Fällen  muss  man  annehmen,  dass  die 
intramolekulare  Atmung  genügende  Mengen  von  Energie  für  alle 
Lebensäusserungen  schafft,  was  gar  nichts  Unverständliches  an  sich 
hat,  da  die  Menge  der  entwickelten  lebendigen  Kraft  je  nach  der  chemi- 
schen Natur  der  zur  Spaltung  kommenden  Stoffe  sehr  verschieden 
sein  kann;  auch  scheint  dann  häufig  ein  anderweitiger  Ersatz,  z.  B. 
durch  die  Anwesenheit  reduktions fähigen  Materials,  geboten  zu 
werden.  Hiernach  ist  die  Möglichkeit  eines  dauernden  Lebens  ohne 
Sauerstoff  wohl  einzusehen,  und  die  Frage  wäre  als  gelöst  anzusehen, 
wenn  es  nur  eine  fakultative  Anaerobios e  gäbe.  Wie  erklärt  sich 
aber  die  Thatsache,  dass  zahlreiche  Mikroorganismen  überhaupt  nicht 
bei  Sauerstoffzutritt  leben  können,  dass  dieses  Element  für  sie  geradezu 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  10 


146  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

giftig,  abtötend  wirkt?  Auf  diese  merkwürdige  Erscheinung  vermag 
vielleicht  die  Thatsache,  dass  auch  aerobe  Mikroorganismen  auf 
eine  bestimmte  Sau'erstoffspannung  angewiesen  sind  und  durch 
höheren  Gehalt  an  diesem  Gas  geschädigt  werden,  einiges  Licht  zu 
werfen.  Die  Anaeroben  sind  dann  als  Mikroorganismen  anzu- 
sehen, die  auf  die  Sauerstoffspannung  Null  abgestimmt  sind; 
ihnen  stehen  sehr  nahe  die  roten  Schwefelbakterien,  für  die  nach  Wino- 
gradsky  ein  ganz  minimaler  Sauerstoffgehalt  des  Mediums  das  Optimum 
ihrer  Existenzbedingungen  repräsentiert.  Inwiefern  aber  der  Sauerstoff 
in  einer  bestimmten  oder  auch  in  jeder,  selbst  der  kleinsten  Spannung 
schädigend  auf  die  Zelle  einwirken  kann,  ist  zwar  im  einzelnen  Falle  nicht 
speziell  anzugeben,  wohl  aber  im  allgemeinen  verständlich,  wenn  man 
die  eingreifende  Rolle  desselben  in  der  intramolekularen  Atmung  be- 
trachtet; sei  es,  dass  analog  den  Wirkungen  übermässig  hoher  Temperatur- 
grade eine  unverhältnismässige,  den  Bestand  des  Lebens  gefährdende  Zer- 
setzung bewirkt  wird,  der  gegenüber  die  restitutiven  Vorgänge  nicht  mehr 
aufkommen  können,  sei  es,  dass  giftige  Stoffwechselprodukte  entstehen, 
welche  zur  Entwicklungshemmung  führen  etc.  Übrigens  steht  die 
schädigende  Wirkung  selbst  geringer  Sauerstoffmengen  auf  obligate 
Anaeroben  vollständig  in  Analogie  mit  dem  entwicklnngshemmenden 
Einfluss  des  Lichtes  auf  viele  Bakterien,  das  auch  in  keiner  Intensität 
als  Reiz,  sondern  stets,  freilich  in  quantitativ  sehr  verschiedenem 
Masse  als  ungünstiges  Moment  wirkt. 

Jedenfalls  liefert  die  Thatsache  des  Lebens  ohne  freien 
Sauerstoff  eine  glänzendeBestätigung  der  im  Vorigen  dargelegten 
Anschauung,  welche  als  primäre  Ursache  des  Lebens  einen 
Spaltungsprozess  ansieht  und  dem  Sauerstoff  nur  eine  se- 
kundäre Rolle  beimisst,  im  Gegensatz  zu  der  früheren,  einzig  an 
höheren  Lebewesen  gewonnenen  Annahme,  die  das  Leben  als  Oxy- 
dationsprozess  auffasste;  hier  ist  zugleich  ein  Beispiel  dafür  gegeben, 
wie  die  allgemeine  Erkenntnis  der  Lebensvorgänge  aus  der  Betrachtung 
der  Biologie  der  Mikroorganismen  noch  bedeutende  Aufschlüsse  zu 
erwarten  hat. 

Endlich  ist  noch,  im  Gegensatz  zu  dem  Verhalten  der  höheren 
Lebewesen,  die  ausserordentliche  Mannigfaltigkeit  der  chemi- 
schen Substanzen  und  Prozesse  hervorzuheben,  welche  die 
Mikroorganismen  als  Kraftquellen  auszunutzen  vermögen.  Ab- 
gesehen von  den  Arten,  denen  Gährungs-  oder  Reduktionsprozesse  die 
erforderlichen  Energiemengen  liefern,  bestehen  auch  innerhalb  der  grossen 
Gruppe,  die  in  Gemeinschaft  mit  Tieren  und  Pflanzen  Oxydations- 
prozesse ausnützt,  die  grössten  Verschiedenheiten,  indem  viele  Arten 
durch  Verbrennung    hochkomplizierter  Eiweissstoffe    leben,    während 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  147 

andere,  wie  die  Essigbakterien,  durch  Oxydation  des  Aethylalkohols, 
oder  wie  die  Nitrobakterien  durch  Oxydation  des  Ammoniaks,  oder  wie 
die  Schwefelbakterien  durch  Oxydation  des  H2S  ihren  Energiebedarf 
decken  und  sogar  geradezu  auf  diese  differenten  Stoffe  angewiesen  sind. 
Die  unverhältnismässig  geringe  Menge  organisierter  Substanz,  die  in 
diesen  Fällen  Umsetzungen  kolossaler  Massen  veranlasst,  hat  diese  eigen- 
artigen Oxydationsvorgänge   ebenfalls   den  Gährungen  anreihen  lassen. 

B.  Die  direkte  Gasatmung  der  Mikroorganismen. 


die  Entfaltung  und  der  Ersatz  bestimmter  Energiemengen  konstant 
sind,  während  die  stofflichen  Träger  derselben  und  der  dabei  statt- 
findende chemische  Prozess  sehr  verschieden  sein  können  (eine  An- 
schauung, die  neuerdings  besonders  Hueppe  [Naturwissenschaftl.  Ein- 
führung in  d.  Bakteriologie.  Wiesbaden  1896]  mit  grossem  Gewicht 
vertritt),  lässt  sich  bei  den  zu  aerobem  Leben  befähigten  Mikroorganimen 
eine  direkte  Gasatmung  unterscheiden,  die  ganz  wie  bei  höheren 
Lebewesen  in  der  Abgabe  von  C02  und  der  ciafür  eintretenden  Auf- 
nahme von  02  besteht.  Quantitative  Untersuchungen  über  diesen  Gas- 
wechsel der  Mikroorganismen  sind  von  Lübbert  (Biolog.  Spaltpilz- 
untersuchung. Der  Staphylokokk.  pyogen,  aur.  1886.  38  ff.)  und  in  um- 
fangreicher Weise  von  Hesse  (Z.  15.  S.  17  u.  183)  angestellt  worden. 
Es  ergab  sich  hierbei,  dass  die  Abgabe  von  Kohlensäure  und  Auf- 
nahme von  Sauerstoff  um  so  reichlicher  erfolgt,  je  energischer  das 
Wachstum  der  Kultur  vor  sich  geht;  daher  ist  der  Gasaustausch  bei 
Brüttemperatur  bedeutender  als  bei  Zimmertemperatur,  bei  optimaler 
Alkalescenz  grösser  als  bei  ungünstigerer  Reaktion  und  vor  allem, 
wenigstens  bei  schnell  wachsenden  Bakterien,  in  den  ersten  Tagen  weit 
intensiver  als  im  späteren  Alter  der  Kultur.  Unter  gleichen  Versuchs- 
bedingungen und  bei  einem  und  demselben  Bakterium  gestaltet  sich 
der  Gasaustausch  ganz  gleich;  verschiedene  Bakterien  unterscheiden  sich 
unter  gleichen  äusseren  Verhältnissen  zuweilen  in  ihrer  Atmung  in  ganz 
charakteristischer  Weise;  so  zeigt  z.  B.  der  PEEiEEER'sche  Kapselbacillus 
einen  plötzlichen  Anstieg  des  Gasaustausches,  dann  1 — 2  Tage  hindurch 
Verweilen  auf  der  Höhe,  hierauf  zuerst  rasche,  dann  immer  langsamere 
Abnahme  desselben;  der  Tuberkelbacillus  hingegen  zeigt  lang  andauern- 
den, sehr  schwachen  und  ziemlich  gleichmässigen  Gaswechsel.  Sehr 
bemerkenswert  ist  dieThatsache,  dass,  besonders  zur  Zeit  des  lebhaftesten 
Wachstums  der  Kultur,  weit  mehr  Sauerstoff  aufgenommen  wird,  als 
sich  in  der  ausgeschiedenen  Kohlensäure  wiederfindet;  der  zurückge- 
haltene Sauerstoff  wird  zum  Aufbau  der  Bakterienleiber  oder  zur  Dar- 
io* 


148  Allgemeine  Morphologie  der  Mikroorganismen. 

Stellung  nichtflüchtiger  Stoffwechselprodukte  verwendet.  Die  Grösse  der 
Sauerstoffretention  ist  bei  verschiedenen  Arten  und  unter  verschie- 
denen Versuchsbedingungen  verschieden.  Auch  anaerobe  Arten  zeigen 
Kohlensäureproduktion,  müssen  also  den  hierzu  erforderlichen  Sauer- 
stoff aus  dem  Nährmedium  abspalten.  Leider  ist  in  diesen  Versuchen 
die  Wachstumsenergie  der  Kultur  nur  nach  dem  Augenschein  beurteilt; 
dies  mag  wohl  bei  einer  und  derselben  Art  einen  gewissen  Vergleich 
verschiedener  Züchtungsbedingungen  zulassen,  giebt  aber  keinen  brauch- 
baren Massstab  für  den  Vergleich  verschiedener  Kulturen  und  auch 
schon  nicht  mehr  derselben  Kultur  in  verschiedenen  Stadien  ihrer  Ent- 
wicklung, da  die  verschiedene  Ausbildung  der  Intercellularsubstanz 
an  der  makroskopisch  entwickelten  Kulturmasse  einen  sehr  verschiedenen 
und  ganz  unkontrollierbaren  Anteil  hat.  Ein  genauer  Massstab  Hesse 
sich  nur  durch  zahlenmässige  Feststellung  der  Vermehrungsenergie 
erhalten;  auf  diese  Weise  könnte  man  in  absolutem  Masse  den  Stoff- 
wechsel des  einzelnen  Bakterienindividuums,  dessen  Verhalten  in  ver- 
schiedenem Alter  der  Kultur  und  unter  verschiedenen  Versuchsbeding- 
ungen bestimmen  und  die  chemischenLeistungen  verschiedenerBakterien- 
arten  vergleichen. 

C.  Die  Assimilation  und  Verwendung  der  Nährstoffe  im  Zellleib  der 
Mikroorganismen. 

Da  das  Eindringen  der  Nährstoffe  bei  den  Pilzen  gerade  so  wie 
bei  jeder  pflanzlichen  Zelle  mittelst  Diosmose  durch  die  Zellwand  er- 
folgen muss,  sind  selbstverständlich  nur  diejenigen  Stoffe  zur  Aufnahme 
geeignet,  welche  in  wässriger  Lösimg  vorhanden  und  diffusibel  sind; 
wo  scheinbar  eine  Ernährung  der  Pilze  durch  feste  Substrate  erfolgt, 
ist  eine  Lösung  derselben  durch  Sekrete  der  Pilze  voraufgegangen.  An 
diesen  vorbereitenden  Prozessen  sind  namentlich  die  schon  erwähnten, 
von  den  Mikroorganismen  ausgeschiedenen  Fermente  beteiligt,  die  z.  B. 
festes  Eiweiss  peptonisieren  oderDisaccharate  hydratisieren  oder  Cellulose 
lösen  und  so  den  Pilzen  zugänglich  machen. 

Die  chemische  Beschaffenheit  der  aufzunehmenden  Stoffe  kann, 
wie  früher  erwähnt,  sehr  verschieden  sein.  Schon  deshalb  ist  die  An- 
nahme eines  Assimilationsprozesses  unerlässlich,  wTeif  so  differente 
Stoffe  für  die  Funktionen  der  Zelle  nicht  gleichwertig  sein  können. 
Die  assimilierende  Fähigkeit  ist  bei  verschiedenen  Mikroorganismen 
von  ausserordentlicher  Verschiedenheit;  die  Grösse  dieser  Fähigkeit,  sowie 
die  chemische  Konstitution  des  gegebenen  Stoffes  stellen  dieBedingungen 
dar,  unter  denen  derselbe  als  Nährstoff  verwendet  werden  kann.  Bei 
der  grossen  Verschiedenheit,  welche  hiernach  der  Assimilationsprozess 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  149 

bei  verschiedenen  Arten  zeigen  muss,  und  mit  Rücksicht  auf  die  von 
Cbamer  (A.  13;  16;  22)  festgestellte  Thatsache,  dass  die  Bakterien 
sich  der  Zusammensetzung  ihres  Nährsubstrats  in  weitgehender  Weise 
anzupassen  vermögen,  erscheint  es  vorläufig  als  unmöglich,  den  Gang 
dieses  Prozesses  allgemein  schematisch  anzugeben.  Auch  über  die 
Frage,  welcher  Art  das  erste  Assimilationsprodukt  auf  dem  Wege 
zum  Eiweiss  zu  sein  pflegt,  sind  einstweilen  nur  Vermutungen  möglich. 
Die  bei  höheren  chlorophyllführenden  Pflanzen  deutlich  als  eines  der 
ersten  Assimilationsprodukte  erkannte  Stärke  spielt  bei  den  Mikro- 
organismen diese  Rolle  sicherlich  nicht,  da  sie  nur  bei  wenigen  Arten 
(Granulobakter,  Leptothrix)  gefunden  ist.  Nägeli  glaubte  aus  der  ver- 
schiedenen Nährthätigkeit  der  C-Verbindungen  schliessen  zu  müssen, 
dass  das  erste  Assimilationsprodukt  aus  drei  verketteten  C-Atomen  be- 
stehe, an  denen  H-  und  O-Atome  hängen  und  welches  mit  einem  gleich- 
artigen Atomkomplex  zu  einem  grösseren  Molekül  von  6  C-Atomen 
sich  verbindet;  je  ähnlicher  die  Nährstoffe  diesem  hypothetischen  Körper 
sind,  desto  geringere  Schwierigkeit  soll  ihre  Assimilation  machen  und 
desto  grösser  ihre  Nährtüchtigkeit  sein.  Die  Thatsache,  dass  sich  eine 
allgemein  giltige  Skala  der  Nährtüchtigkeit  für  die  Mikroorganismen 
nicht  aufstellen  lässt,  steht  freilich  der  allgemeinen  Bedeutung  dieser 
Hypothese  im  Wege.  Loew  (C.  9.  659)  stellt  für  das  primäre  Assi- 
milationsprodukt, von  dem  sowohl  die  Bildung  von  Kohlehydraten  als 
auch,  unter  gleichzeitiger  Mitwirkung  N-  und  S-haltiger  Verbindungen, 
die  Bildung  der  Eiweisskörper  ausgehen  könne,  den  Formaldehyd  auf. 

Was  speziell  die  Assimilation  der  C02  durch  die  Nitro- 
monas  anbelangt,  so  widerspricht  Winogradsky  (P.  1890.  * —  C.  R. 
110.  1013)  entschieden  der  früher  von  Htjeppe  (Schilling's  Journ  f. 
Gasbel.  und  Wasservers.  1887)  geäusserten  Anschauung,  dass  hierbei 
zunächst  eine  „ Chlorophyll wirkung  ohne  Chlorophyll",  d.  h.  die 
Bildung  von  einem  celluloseähnlichen  Kohlehydrat  stattfinde;  er  glaubt 
vielmehr,  dass  zuerst  eine  Amidbildung  aus  C02  und  NH3  vor  sich 
geht  und  dass  das  erste  Produkt  der  Synthese  vielleicht  Harnstoff  sei, 
welcher  dann  weiterhin,  in  Analogie  mit  anderen  Mikroorganismen, 
zum  Aufbau  des  Eiweissmoleküls  dienen  könne,  wogegen  freilich  Loew 
(a.  a.  0.)   gewichtige  Bedenken  geltend  macht. 

In  ganz  eigenartiger  Weise  muss  sich  auch  offenbar  bei  den  stick- 
stofffixierenden Bakterien  die  Assimilation  des  elementaren  at- 
mosphärischen N2  und  seine  Verwendung  zum  Aufbau  des  Protoplasmas 
vollziehen,  zumal  wenn  man  die  geringe  Reaktionsfähigkeit  und  die 
träge  Affinität  des  freien  Stickstoffs  gegenüber  anderen  Körpern  in 
Rücksicht  zieht.  Nach  Winogradsky's  (C.  R.  118.  335)  Versuchen  mit 
einem  solchen  N-fixierenden  Bakterium,   welches  gleichzeitig  Gährung 


|5()  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

zu  erregen  vermochte,  ist  die  Assimilation  des  N2  vielleicht  in  der 
Weise  zu  denken,  dass  sich  derselbe  zuerst  mit  nascierendem,  im  Zell- 
leib entstandenen  H  verbindet;  von  da  aus  böte  das  Verständnis  des 
weiteren  Assimilationsprozesses  keine  besondere  Schwierigkeit  mehr. 

Neben  diesen  beiden  ganz  einzig  dastehenden  Gruppen  der  Nitro- 
bakterien  und  der  stickstofffixierenden  Mikroorganismen  lassen  sich  unter 
den  Bakterien  bezüglich  der  Ernährung  nach  Loew  (a.  a.  0.)  und  Beije- 
EiNCK(r:  C.  8)  folgende  physiologische  Typen  unterscheiden:  1.  solche,  die 
Proteine  oder  ihnen  sehr  nahestehende  Körper  und  daneben  noch  eine  be- 
sondere Kohlenstoffquelle,  Z.B.Traubenzucker  verlangen;  2.  solche,  die  nur 
Proteine  und  ähnlicher  Verbindungen,  aber  keiner  besonderen  Kohlen- 
stoffcjuelle  bedürfen;  3.  solche,  die  aus  einfacheren  Verbindungen,  Amiden 
etc.  ihren  Bedarf  decken  können.  Die  zweite  Gruppe,  zu  der  einige 
Leuchtbakterien,  sowie  Beijerinck's  Bac.  cyaneofuscus  gehören,  ist 
nach  diesem  Autor  deshalb  besonders  interessant,  weil  ihr  Verhalten 
nicht  in  das  hergebrachte  Schema  der  Atmung  passt,  wonach  der  Er- 
satz für  die  aus  dem  lebenden  Eiweiss  abgespaltene  C02  stets  durch 
Kohlehydrat  bewirkt  werden  soll;    hier  tritt  das  Pepton  dafür  ein.  — 

Das  Wesen  der  Assimilation  besteht,  wie  schon  der  Name  besagt, 
darin,  dass  heterogene,  von  aussen  eingeführte  Stoffe  unter  dem  Ein- 
fluss  des  lebenden  Plasmas  so  umgeformt  werden,  dass  sie  ebenfalls 
zum  lebenden  Plasma  werden,  ein  Prozess,  den  man  sich  nur  als  eine 
komplizierte  Synthese  vorstellen  kann.  Der  direktive  Einfluss  des 
lebenden  Plasmas  auf  diese  bei  der  Assimilation  stattfindende  Syn- 
these ist  nach  den  neueren  Untersuchungen  von  E.  Fischer  über 
Synthesen  in  der  Zuckergruppe  nicht  mehr  ohne  Analogie.  Auch 
hier  hat  sich  allgemein  gezeigt  (B.  Ch.  27.  3230),  dass  bei  ein- 
mal gegebener  Asymmetrie  eines  Zuckermoleküls  auch  der 
weitere  Aufbau  asymmetrisch  und  zwar  in  demselben  Sinne 
verläuft,  dass  also  auch  hier  eine  Elektion  unter  den  möglichen  Pro- 
dukten der  Synthese  stattfindet.  Denkt  man  sich  z.  B.,  dass  die  durch 
3  malige  Blausäureanlagerung  an  die  aktive  d-Mannose  entstehende, 
ebenfalls  aktive  d-Mannononose  so  gespalten  wird,  dass  sich  die  ur- 
sprüngliche aktive  d-Hexose  zurückbildet,  so  müsste  auch  die  neu 
entstehende  Triose  optisch  aktiv  und  zwar  eine  d -Verbindung 
;sein.  „Das  eine  aktive  Molekül  hätte  dann  ein  zweites  ge- 
boren". In  ähnlicher  Weise  lässt  sich  vielleicht  die  Entstehung  neuen 
lebenden  Plasmas  durch  Anlagerung  der  eintretenden  Gruppen  an  alte 
lebende  Moleküle  erklären,  worauf  eine  Abspaltung  eines  neuen,  gleich- 
artigen, lebenden  Moleküls  stattfindet,  das  dann  ev.  durch  Polymeri- 
sation sich  vergrössern,  wachsen  kann.  Das  alte  Molekül  wird  dabei 
nach  Analogie   des  Verhaltens  beim  Zucker  zurückgebildet  und  kann 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  \§\ 

sich  neue,  zu  assimilierende  Atomgruppen  anlagern;  auf  diese  Weise 
würde  sich  erklären,  wie  eine  minimale  Menge  lebender  Substanz,  einem 
Fermente  ähnlich,  ungleich  grössere  Massen  von  Nährstoffen  zu  ver- 
arbeiten und  zu  assimilieren  vermag.  — 

Über  die  quantitative  Ausnutzung  der  Nährstoffe  sind 
systematische  Untersuchungen  bisher  noch  nicht  angestellt.  Gelegent- 
liche Beobachtungen  sind  von  Kappes  (a.  a.  0.  Diss.)  und  Gramer 
(A.  16.  170  und  190;  22.  188)  mitgeteilt,  Kappes  fand  von  einem 
l,5proz.  Agar,  der  insgesammt  4  °/0  Trockensubstanz  enthielt,  den  Trocken- 
gehalt der  Ernte  bei  Bac.  prodigiosus  zu  0,26%,  bei  Bac.  xerosis  zu 
0,36%,  beim  Soorpilz  zu  0,33%  des  frischen  Nährbodens;  es  waren  also 
im  Mittel  etwa  12  %  der  Trockensubstanz  des  Substrats  zu  plastischen 
Zwecken  ausgenutzt;  durch  Erhöhung  der  Koncentration  des  Nähr- 
mediums Hess  sich  dieser  Ertrag  nicht  steigern.  Gramer  fand  beimPneu- 
moniebacillus,  beim  Rhinosklerombacillus,  beim  PFEiFEER'schen  Kapsel- 
bacillusund  einem  Wasserbakterium  bei  Wachstum  auf  Agar  verschiedener 
Zusammensetzung  eine  relativ  geringe  Ausnützung  der  Trockensubstanz, 
welche  zwischen 4,4  und  7,5  %  schwankte.  Sehrbemerkenswertistfernerdie 
schon  oben  erwähnte  Thatsache,  dass  der  Eiweissgehalt  des  Bakterien- 
leibes, welcher  vom  Eiweissgehalt  des  Nährmediums  abhängt,  mit 
steigendem  Gehalt  des  letzteren  unverhältnismässig  viel  langsamer  zu- 
nimmt; hiernach  scheint  die  Ausnutzung  des  Nährbodens  mit  steigen- 
der Stickstoffzufuhr  ungünstiger  zu  werden  oder  auch  die  Zerlegung 
mit  der  Aufnahme  gleichen  Schritt  zu  halten.  Eine  sehr  vollständige 
Ausnützung  des  dargebotenen  Stickstoffs  fand  dagegen  Cramer  für 
Cholerabacillen  in  alkalischer  Bouillon;  90 — 95  %  desselben  fanden  sich 
in  der  Leibessubstanz  der  Vibrionen  wieder.  Sehr  ungenügend  war 
wiederum  die  Ausnützung  des  Stickstoffs  in  der  eiweissfreien  Uschinsky- 
schen  Nährlösung,  wo  sie  häufig  nur  2 — 3%  betrug;  dabei  traten 
zwischen  verschiedenen  Cholerarassen  bemerkenswerte  Differenzen  auf, 
indem  ältere,  lange  Zeit  im  Laboratorium  fortgezüchtete  Kulturen  auf 
diesem  Nährboden  besser  fortkamen,  als  frisch  aus  dem  menschlichen 
Körper  isolierte.  Vollständige  Aufzehrung  des  Asparagins  als  alleiniger 
Stickstoffquelle  wiesen  Arnattd  u.  Charrin  (C.  R.  112.  755)  für  den 
Bac.  pyocyaneus  nach.  Gramer  (A.  22.  176  ff.)  fand  für  Cholera- 
bacillen, dass  der  direkte  Kontakt  mit  der  atmosphärischen 
Luft  sie  zu  einer  weit  grösseren  Ausnützung  des  N  ährmaterials 
befähigt,  als  wenn  die  Luft  durch  eine  Flüssigkeitsschicht  zu  ihnen 
diffundieren  muss.  In  ganz  analoger  Weise  vermögen  übrigens  auch 
Tuberkelbacillen  nur  in  unmittelbarer  Berührung  mit  der  atmosphärischen 
Luft  sich  fortzuentwickeln;  untergesunkene  Kulturbröckchen  zeigen 
selbst  in  mit  Luft  geschüttelter  Nährlösung  kein  Wachstum  mehr. 


152  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Das  Verhältnis  der  dynamogenen  zur  plastischen  Er- 
nährung wird  häufig  zu  Ungunsten  der  ersteren  falsch  beurteilt,  in- 
dem nieist  nur  das  Resultat  der  plastischen  Prozesse,  die  Anlagerung  neuer 
Körpersubstanz,  Wachstum  und  Vermehrung,  ins  Auge  fällt,  während  die 
für  die  Energieentwicklung  aufgewendeten  Umsetzungen  der  makrosko- 
pischen Betrachtung  entgehen  und  nur  durch  chemische  Analyse  nach- 
weisbar sind.  In  der  That  ist  aber  sehr  häufig  der  dynamogene  Teil 
des  Stoffwechsels  viel  bedeutender  als  der  plastische.  So  fanden 
Aenaud  und  Charein  (a.  a.  0.)  beim  Wachstum  des  Bac.  pyocyaneus 
in  einer  5  °/00  Asparaginlösung  nach  15  Tagen  folgende  Verteilung 
des  im  Substrat  vorhanden  gewesenen  Kohlenstoffs:  72,5  °/0  waren  in 
C02  abgeschieden,  also  zu  Zwecken  der  Atmung  bestimmt  und  nur 
13,8  °/0  zum  Aufbau  der  Bakterienleiber  verwendet;  13,5  %  waren 
ausserdem  zur  Darstellung  von  nicht  flüchtigen  Stoffwechselprodukten 
verbraucht  worden.  Ähnliche  Resultate  ergab  die  Berechnung  für  die 
Ausnutzung  des  Stickstoffs  aus  dem  Asparagin:  91,1  %  des  N  waren 
in  Form  von  Ammoniakverbindungen  ausgeschieden,  und  zwar  hiervon 
50,0  %  durch  direkte  Hydratation  des  Asparagins,  41,1  %  auf  einem 
Umwege  durch  Bildung  aus  einem  intermediären  Produkt,  der  Aspara- 
ginsäure;  4,04  °0  waren  in  andere  Stoffwechselprodukte  eingegangen 
und  nur  4,66  0,0  waren  zum  Aufbau  der  Bakterienleiber  verbraucht 
worden.  Bei  Wachstum  auf  Gelatine  änderte  sich  das  Verhältnis  etwas 
zu  Gunsten  der  plastischen  Ernährung,  indem  nur  70  °/0  des  Stickstoffs 
in  Form  von  Ammoniakverbindungen  ausgeschieden  wurden  (C.  R.  112. 
1157).  Auch  die  oben  erwähnten  Angaben  Hesse's  über  die  Sauerstoff- 
retention  beim  Gaswechsel  der  Bakterien  lassen  vielleicht  gewisse 
Schlüsse  über  das  Verhältnis  zwischen  Stoffverbrauch  und  Stoffanlage- 
rung zu,  wenn  auch  wohl  nicht  die  ganze  Menge  des  zurückgehaltenen 
Sauerstoffs  zu  plastischen  Zwecken,  sondern  teilweise  zur  Herstellung 
nicht  flüchtiger  Stoffwechselprodukte  verwendet  worden  sein  mag.  Nach 
diesen  Zahlen  ist  im  Beginn  der  Kultur,  wo  ein  üppiges  Wachstum 
und  massenhafte  Neubildung  von  Individuen  stattfindet,  der  plastische 
Stoffwechsel  bedeutender  als  der  dynamogene;  so  ist  z.  B.  aus  den 
Tabellen  zu  entnehmen,  dass  beim  PEEiFFER'schen  Kapselbacillus 
(a.  a.  0.  35.  Nr.  7  a)  binnen  2  Tagen  20,9  °/0  02  aufgenommen,  aber  nur 
10,0  °/0  C02  abgegeben  worden  sind;  in  der  C02  sind  also  nur  7,3  °/0  02 
ausgeschieden,  während  zum  Aufbau  der  Bakterienleiber  13,6  %  02 
verbraucht  wurden;  die  Gesamtmenge  des  aufgenommenen  Sauerstoffs 
verteilt  sich  also  zu  etwa  35  %  für  dynamogene  und  zu  65  %  für 
plastische  Zwecke.  Über  die  Beschaffenheit  dieses  Verhältnisses,  sowie 
über  die  absolute  Grösse  des  Stoffwechsels  bei  verschiedenen  Arten 
und  unter  verschiedenen  Versuchsbedingungen  müssen  spätere  Unter- 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  153 

suchungen  entscheiden;  auf  diesem  Wege  wird  es  möglich  sein,  für 
die  Mikroorganismen  eine  quantitative  Haushaltsbilanz  aufzustellen 
und  vielleicht  auch  hier  die  Giftigkeit  des  Gesetzes  von  der  Erhaltung 
der  Energie  durch  Vergleichung  der  Verbrennungswärmen  der  auf- 
genommenen und  ausgeschiedenen  Stoffe,  sowie  durch  Messung  der 
abgegebenen  Energiemengen  empirisch  zu  beweisen. 

Die  Frage,  ob  es  spezielle  dynaniogene  Nährstoffe  für  ein- 
zelne Punktionen  der  Mikroorganismen  giebt,  ähnlich  wie  man  sich 
etwa  zuckerartige  Körper  als  spezielles  Kraftmaterial  für  den  quer- 
gestreiften Muskel  vorstellt,  scheint  für  manche  Lebensäusserungen 
der  Bakterien  bejaht  werden  zu  müssen.  Besonders  auffallend  ist  in 
dieser  Beziehung  die  Thatsache,  dass  alle  Leuchtbakterien  zur 
Produktion  ihres  Lichtes  eines  ziemlich  hohen  Gehaltes  an 
NaCl  im  Nährboden  absolut  notwendig  bedürfen.  In  ähnlicher 
Weise  beobachtete  Gessard  (P.  92.  801),  dass  zur  Erzeugung  der  fluo- 
rescierenden  Substanz  durch  den  Bac.  pyocyaneus  unbedingt  ein  Ge- 
halt von  mehr  als  0,25  °/00  an  Phosphaten  erforderlich  sei,  und  dass 
andererseits  zur  Bildung  des  anderen  Farbstoffes,  des  Pyocyanins,  ein 
gewisser  minimaler  Gehalt  an  N- haltigen  Stoffen  vorhanden  sein 
müsse;  die  gleichzeitige  Bildung  beider  Farbstoffe  ist  nur  bei  einem 
gewissen,  innerhalb  bestimmter  Grenzen  schwankenden  Verhältnis 
beider  Arten  von  Körpern  möglich.  Neuerdings  fand  jedoch  Lepierre 
(P.  95.'  643)  diese  Angaben  für  einen  anderen  fluorescierenden  Bacillus 
nicht  bestätigt;  bei  diesem  war  das  Vermögen  der  Fluorescenz  an  die 
ganze  Zusammensetzung  des  Nährsubstrats,  besonders  was  C-  und  N- 
Zufuhr  betraf,  gebunden;  Phosphate  wurden  nur  insoweit  erfordert, 
als  sie  überhaupt  zum  Leben  nöthig  sind.  Vor  allem  ist  aber  der 
Sauerstoff  ein  ganz  unentbehrlicher  dynamogener  Nährstoff 
für  viele  Funktionen  der  Spaltpilze,  so  für  Lichtentwicklung,  Bildung 
peptonisierender  Fermente  etc.,  während  seine  Beziehung  zur  Farb- 
stoffbildung  wohl  aus  einem  anderen  Gesichtspunkte  erklärt  werden 
muss,  wie  noch  weiter  unten  zu  besprechen  sein  wird. 

Interessant  ist,  dass  manche  Nährstoffe  für  verschiedene 
Entwicklungsstadien  von  Schimmelpilzen  eine  verschiedene  Be- 
deutung haben;  so  sind  nach  Duclattx  (P.  89.  111)  Essigsäure,  Milch- 
säure und  Glycerin  für  Penicillium  glaucum  und  Aspergillus  niger  in 
den  Keimungsstadien  eine  viel  schlechtere  Nahrung  als  für  das  ent- 
wickelte Mycel.  Auch  dies  spricht  vielleicht  dafür,  dass  bestimmten 
Nährstoffen  vorzugsweise  die  Deckung  bestimmter  Funktionen  vor- 
behalten ist;  die  Bedeutung  dieser  Nährstoffe  könnte  dann  zeitlich  eine 
verschiedene  sein,  je  nachdem  dieses  oder  jenes  Bedürfnis  dringender 
hervortritt.   In  anderen  Fällen  erklärt  sich  ein  solcher  zeitlicher  Wechsel 


154  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

in  dem  Nährwert  einer  Substanz  auch  auf  andere  Weise,  so  z.  B. 
scheidet  erst  das  entwickelte  Mycel  der  beiden  genannten  Schimmel- 
pilze ein  milchzuckerspaltendes  Ferment  ab,  so  dass  Milchzucker  erst 
für  den  voll  ausgewachsenen,  nicht  aber  für  den  keimenden  Pilz  brauch- 
bar ist;  oder  es  kann  ein  vorher  dringend  benötigter  Nährstoff  in  den 
späteren  Entwicklungsstadien  ohne  Schaden  entbehrt  werden  (wie  z.  B. 
der  Rohrzucker  für  die  Sporenbildung  beim  Aspergillus  niger),  weil 
inzwischen  Reservestoffe  abgelagert  worden  sind,  auf  deren  Kosten 
bestimmte  Funktionen  des  Pilzes  vor  sich  gehen.  — 

Die  Entscheidung,  ob  eine  bei  der  Analyse  als  Bestandteil  der 
Leibessubstanz  nachgewiesene  Substanz  als  plastischer,  zu  weiterer  Ver- 
wendung geeigneter  Stoff  oder  als  Produkt  des  dynamogenen  Stoff- 
wechsels, als  Exkret  aufgefasst  werden  mnss,  ist  bei  den  Spaltpilzen 
im  allgemeinen  leichter,  als  bei  höheren  Pflanzen,  bei  denen  die  durch 
die  intramolekulare  Atmung  gebildeten  Spaltungsprodukte  teilweise  in 
denselben  oder  doch  in  anderen  Zellen  des  Gesamtorganismus  wieder 
zur  Verwendung  gelangen  können.  Von  den  N-haltigen  Körpern 
sind  als  plastische  Stoffe  vor  allem  die  ganze  Gruppe  der  protein- 
ähnlichen Substanzen  anzusehen;  dieselben  sind  teilweise  in  festerem 
Zustande  in  der  Zellwand  und  der  Gerüstsubstanz  des  Zellleibes  ein- 
gelagert und  konstituieren  so  die  wirkenden  Maschinenteile  des  Orga- 
nismus; teilweise  finden  sie  sich  gelöst  im  Zellsaft,  wo  sie  als  Träger 
der  intramolekularen  Atmung  und  als  plastisches  Material  für  Wachs- 
tum und  Zellteilung  fangieren.  Auffallenderweise  konnte  allerdings 
Nägeli  konstatieren,  dass  Hefezellen  auch  Eiweiss  und  Peptone 
ausscheiden,  und  zwar  Peptone  in  nicht  gährenden,  neutralen  oder 
sauren  Nährmedien,  Eiweiss  in  gährenden  oder  in  alkalisch  reagieren- 
den, nicht  gährenden  Flüssigkeiten.  Auch  die  in  Spross-  und  Spalt- 
pilzen gefundenen  Amide,  wie  Leuein,  Tyrosin,  Guanin,  Sarkin  etc., 
sind  häufig  als  plastische,  zur  Synthese  der  Protei'nstoffe  dienende 
Stoffe  aufzufassen,  weil  es  zweifellos  ist,  dass  aus  ihnen  allein  der 
N-Bedarf  gedeckt  werden  kann;  andererseits  deutet  ihr  Auftreten  bei 
ausschliesslicher  Eiweissnahrung,  sowie  bei  der  Selbstvergährung  der 
Hefe  darauf  hin,  dass  sie  in  diesen  Fällen  Spaltungsprodukte  höher 
konstituierter  Körper,  also  Exkrete  darstellen.  In  Mischkulturen  können 
demnach  diese  Körper  gleichzeitig  für  eine  Art  als  Exkrete  und  für  andere 
Mikroben  wieder  als  plastische  Stoffe  dienen;  es  ist  bezeichnend  für 
die  Sparsamkeit,  mit  welcher  der  Haushalt  der  Pilze  bei  der  Zerlegung 
der  N-haltigen  Substanzen  verfährt,  dass  hierbei  meistens  wieder  be- 
nutzbare Reste  entstehen.  Hieraus  ergiebt  sich  die  Möglichkeit,  dass 
eine  Pilzkolonie  auf  Kosten  einer  kleinen  Menge  N-haltiger  Substanz 
ausserordentlich  lange   zu  existieren  und  sich  zu  regenerieren  vermag. 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  155 

indem  die  Zerlegungsprodukte  der  Proteinstoffe  sich  immer  von  neuem  mit 
N-losen  Komplexen  zusammenlagern  und  so  neue  zerlegbare  Proteinsub- 
stanzen bilden.  Durch  diese  Einrichtung  gelangen  wir  einigermassen  zu 
einem  Verständnis  der  schon  oben  erwähnten  Versuche  von  Bolton,  in 
denen  einige  Bakterienarten  in  reinem  destillierten  Wasser  lebten  und  sich 
stark  vermehrten,  also  offenbar  mit  den  minimalsten  Nährstoffmengen 
auskamen.  Ja,  diese  Versuche  führten  auch  dann  immer  wieder  zu 
der  gleichen  starken  Vermehrung,  wenn  in  demselben  Wasser  bereits 
mehrere  Generationen  bis  zum  Maximum  ihrer  Vermehrung  sich  ent- 
wickelt hatten  und  nach  erfolgter  Sterilisierung  eine  neue  Aussat 
gemacht  Wurde.  Hier  müssen  also  die  Stoffwechselprodukte  und  wohl 
auch  die  abgetöteten  Leiber  der  früheren  Generationen  zur  Ernäh- 
rung der  neu  ausgesäten  Individuen  gedient  haben. 

In  anderen  Fällen  ist  allerdings  das  Vorhandensein  N-haltiger, 
nicht  weiter  verwerteter  Exkrete  nachgewiesen.  So  haben  für 
Hefe  die  Untersuchungen  von  Pasteue  (A.  eh.  ph.  [3]  58.  507), 
Schützenbeegee  (C.  R.  78),  Mayee  (Unters,  üb.  d.  alkohol.  Gährung. 
Heidelberg  1869)  u.  A.  gezeigt,  dass  bei  Kultivierung  derselben  in  reiner 
Zuckerlösung  die  N-Menge  des  Substrats  abnimmt,  und  zwar  nicht 
nur  der  prozentische  Gehalt,  sondern  auch  die  absolute  Menge; 
es  müssen  also  N-haltige  exkrementitielle  Stoffe  in  Gasform  abgeschieden 
sein.  Ein  solcher  Stickstoffverlust  wird  vor  allem  dadurch  oft 
eintreten,  dass  eine  rasche  und  massenhafte  Bildung  flüchtiger  N- 
haltiger  Substanzen  stattfindet,  mit  der  die  N-Assimilation  nicht  Schritt 
zu  halten  vermag.  Fehlen  ferner  diejenigen  Nährstoffe,  welche  den 
Pilzzellen  den  C  zu  liefern  vermögen,  so  müssen  alle  solche  N-hal- 
tigen  Spaltprodukte  als  unbrauchbare  Exkrete  fungieren,  die  nicht 
gleichzeitig  auch  verwertbaren  C  im  Molekül  enthalten  (als  Ammo- 
niumsalz, Harnstoff,  Oxamid);  in  diesem  Falle  findet  ein  Stickstoff- 
verlust eigentlich  nur  deshalb  statt,  weil  mit  dem  C  nicht  in  gleicher 
Weise  sparsam  verfahren  wird,  und  das  fortgesetzte  Entweichen  von 
CO  2  eine  Erschöpfung  an  diesem  Element  herbeizuführen  vermag. 
Endlich  ist  auch  der  Gehalt  des  Nährsubstrats  an  anderen  N-haltigen 
Substanzen  von  Einfiuss;  sind  reichlich  bestnährende  N-haltige  Körper 
zugegen,  so  wird  das  Zustandekommen  stickstoffhaltiger  Exkrete  sehr 
begünstigt;  insbesondere  kommt  ein  Stickstoffverlust  bei  der  Re- 
duktion der  Nitrate  des  Nährbodens  vor,  wie  bereits  früher  er- 
wähnt; doch  handelt  es  sich  in  diesen  Fällen  oft  nicht  mehr  um 
N-haltige  Ausscheidungsprodukte  des  Bakt-erienleibes,  son- 
dern um  übrig  gebliebene  Produkte  einer  am  äusseren  Sub- 
strat vorgenommenen  Spaltung,  wobei  die  denitrifizieren'de 
Thätigkeit    der    Bakterien    als     Gährthätigkeit    aufzufassen    ist. 


156  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Weiteres    über    die    Bedingungen    der   Denitrifikation   folgt   noch    bei 
Besprechung  der  Fäulnis. 

Wo  also  eine  Produktion  N-haltiger  echter  Exkrete  stattfindet, 
ist  sie  mehr  als  Luxusproduktion  oder  als  ein  accidenteller,  den 
inneren  Stoffwechsel  der  Mikroben  nicht  unmittelbar  angehender  Gähr- 
vorgang  anzusehen.  Im  Notfall  aber  bildet  ein  Teil  der  N-haltigen 
Spaltungsprodukte  stets  wieder  von  neuem  nährtüchtiges  Material,  so 
einen  seltsam  sparsamen  Kreislauf  vollendend.  — 

Stickstofflose  plastische  Stoffe  scheinen  bei  den  Mikro- 
organismen eine  weit  geringere  Rolle  zu  spielen  als  bei  den  höheren 
Pflanzen.  Stärke  ist  nur  ausnahmsweise,  und  von  sonstigen  Kohle- 
hydraten ist  in  Schimmelpilzen  nur  d-Glukose  und  Trehalose,  bei  einigen 
ferner  der  den  Kohlehydraten  nahe  verwandte  Alkohol  Mannit  gefunden. 
Über  das  Vorkommen  von  Cellulose  und  Hemicellulosen,  die  bei 
Schimmel-  und  Sprosspilzen  fast  ausschliesslich,  bei  Spaltpilzen  nur 
ausnahmsweise  die  Zellwand  konstituieren,  ist  bereits  früher  berichtet. 
Eine  wichtige  Rolle  scheinen  in  den  Zellen  und  ganz  besonders  in  den 
Sporen  fette  Öle  zu  spielen.  Diese  Stoffe  werden  wohl  nur  zum  kleinsten 
Teil  präformiert  aus  dem  Nährmaterial  aufgenommen;  meist  werden 
sie  entweder  aus  einfacheren  Verbindungen  synthetisch  dargestellt, 
wie  dies  bei  ausschliesslicher  Ernährung  mit  einfacheren  Verbinclungen 
bei  Ausschluss  von  Eiweissstoffen  der  Fall  sein  muss,  oder  sie 
entstehen  durch  Abspaltung  aus  komplizierteren  Molekülen,  wie  bei 
ausschliesslicher  Eiweissernährung,  z.  B.  bei  den  oben  erwähnten 
BEUERiNCKschen  „Peptonbakterien".  Die  Möglichkeit  der  Entstehung 
von  Fett  aus  Kohlehydraten  wird  nach  Versuchen  von  Nägeli  u.  Loew 
für  Penicillium  glaucum,  von  Gramer  für  den  Bac.  Friedländer,  den 
Rhinosklerombacillus  und  ein  Wasserbakterium  wahrscheinlich  gemacht, 
indem  mit  steigendem  Zuckergehalt  des  Nährbodens  eine  erheblich 
gesteigerte  Fettablagerung  in  den  Mikroben  zu  konstatieren  war.  Dtr- 
clattx  (P.  89.  413)  glaubt  für  die  Hefezellen  eine  Fettbildung  aus  N- 
haltigem  Material  mit  Sicherheit  ausschliessen  zu  können.  Die  stick- 
stofflosen plastischen  Stoffe  werden  teilweise  als  solche  zur  Bildung 
von  Organteilen  verwendet,  wie  Fett  und  Cellulose,  teilweise  gehen 
sie  wahrscheinlich  durch  Anlagerung  an  N-haltige  Komplexe  in  die 
Synthese  der  Prote'instoffe  ein. 

Die  stickstofffreien  Exkrete  können  teilweise  wahrscheinlich 
auch  wieder  als  plastische  Stoffe  Verwendung  finden,  so  z.  B.  die  or- 
ganischen Säuren,  die  bei  gleichzeitig  vorhandenen  besseren  C-Quellen 
kaum  weiter  benutzt  werden,  während  sie  in  Ermangelung  solcher 
sehr  wohl,  wie  früher  erwähnt,  zur  Deckung  des  C-Bedarfs  heran- 
gezogen  werden  können.     Einige  stickstofflose  Exkrete  dagegen  sind 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  157 

für  die  meisten  Bakterienarten  ganz  unverwendbar,  so  die  Oxalsäure,  die 
Ameisensäure,  obgleich  auch  diese  noch  von  vereinzelten  Arten  auf- 
genommen werden  können;  vor  allem  aber  ist  die  C02  stets  als 
echtes  Exkret  anzusehen,  da  sie  von  keinem  Mikroorganismus,  mit 
Ausnahme  der  Nitrobakterien,  verwendet  werden  kann  und  ihre  exkre- 
mentitielle  Natur  auch  dadurch  deutlich  kundgiebt,  dass  sie  das  Wachs- 
tum vieler  Arten  zu  hindern  vermag  (C.  Fkänkel:  Z.  5);  sie  ist  daher 
auch  zur  Verdrängung  der  atmosphärischen  Luft  für  anaerobe  Versuchs- 
bedingungen vielfach  unbrauchbar.  Ferner  sind  einige  aromatische  Pro- 
dukte, die  bei  Besprechung  der  Fäulnis  näher  behandelt  werden  sollen, 
wie  Phenol,  Indol,  Skatol,  als  Nährstoffe  nicht  mehr  verwendbar  und 
wirken  sogar  direkt  giftig. 

Auf  die  Gestaltung  der  Stoffumwandlungen  im  Zellleib  der  Mikro- 
organismen ist,  wie  schon  öfters  betont,  der  Sauerstoff  von  ein- 
greifendster Bedeutung.  Seine  Teilnahme  am  Stoffwechsel  charakterisiert 
sich  durch  sehr  tiefgehende  Zerlegungen,  bis  zu  den  letzten 
Endprodukten  C02  und  H20,  demgemäss  auch  durch  bedeutende 
Energieentwicklung.  Bei  Sauerstoffabschluss  hingegen  finden 
sich  unter  den  Exkreten  auch  Körper  von  hochkomplizierter 
Struktur,  die  je  nach  dem  zur  Verfügung  stehenden  Material  sehr  ver- 
schieden sind.  Insbesondere  ist  dies  dann  der  Fall,  wenn  bei  An- 
wesenheit gährfähiger  Substanzen  durch  die  Vergährung  derselben  ein 
Ersatz  für  die  Energieentwicklung  gegeben  ist,  die  sonst  durch  die 
Teilnahme  des  Sauerstoffs  am  Stoffwechsel  geschaffen  wird;  es  findet 
dann  eine  ausserordentlich  umfangreiche,  aber  nur  wenig  tief- 
gehende Spaltung  statt,  welche  hochkonstituierte  Produkte 
zurücklässt.  Die  sonstigen  weitgehenden  Unterschiede  im  Verhalten 
der  Aeroben  und  Anaeroben  haben  bereits  ihre  Besprechung  gefunden. 

D.   Die  physikalischen  Leistungen  der  Mikroorganismen. 

I.    Lokomotion. 

Diese  ist  einer  sehr  grossen  Zahl  von  Bakterienarten,  insbesondere 
den  Spirillen  und  Vibrionen,  vielen  Bacillen  und  auch  einigen  Kokken 
und  Sarcinen  eigen.  Die  Intensität  und  Mannigfaltigkeit  der  Be- 
wegung ist  bei  verschiedenen  Arten  ausserordentlich  verschieden, 
worüber  bei  den  einzelnen  Arten  im  speziellen  Teil  näheres  nach- 
zusehen. Neben  der  Ortsveränderung  besteht  häufig  noch  eine  Dreh- 
ung um  die  Längsaxe  oder  Wirbelbewegungen  auf  der  Stelle.  Bei 
den  meisten  Arten,  denen  überhaupt  Eigenbewegung  zukommt,  besitzt 
jedes  Individuum  diese  Fähigkeit;  einige  dagegen  bilden  nur  zu  Zeiten 
bewegliche  Keime,    den  Schwärmern  der  Algen   vergleichbar,    so   die 


158  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Cladothricheen.  Aerobe  Formen  verlieren  die  Eigenbewegung  bei  der 
Sporulation,  während  anaerobe  sie  auch  in  diesem  Zustand  beibehalten. 
Die  Sporen  selbst  sind  ausnahmslos  ohne  Eigenbewegung.  Die  Lo- 
'komotion  wird  durch  besondere  Organe,  die  Geissein,  vermittelt;  die- 
selben sind  nicht  als  pseudopodienartige  Fortsätze  des  Protoplasmas, 
sondern  als  differenzierte,  von  der  Hülle  entspringende  Cuticularorgane 
anzusehen.  Eine  Einziehung  derselben  in  den  Bakterienkörper  ist  nie 
beobachtet;  im  Gegenteil  spricht  das  Fortbestehen  derselben  bei  deut- 
licher Plasmolyse  des  Protoplastes  durch  massig  koncentrierte  Salz- 
lösungen mit  aller  Bestimmtheit  gegen  eine  solche  Annahme  (Fischer, 
Unters,  üb.  Bakt.  Berlin  1894.  36).  Diese  Versuche  beweisen  gleich- 
zeitig, dass  die  Schwärmbewegung  nur  durch  die  Wirkung  der  Geissein, 
nicht,  wie  man  früher  annahm,  durch  direkte  Kontraktionen  des  Proto- 
plasmas zustande  kommt,  welches  in  plasmolysiertern  Zustande  derselben 
gar  nicht  fähig  wäre.  Doch  ist  wahrscheinlich  in  Analogie  mit  dem 
Verhalten  der  Geissein  bei  Flagellaten,  Flimnierepithelien  etc.  der  Zu- 
sammenhang zwischen  Protoplast  und  Geissein  notwendige  Vorbedingung 
für  die  Thätigkeit  der  letzteren. 

Die  Bildung  der  Geissein  ist  von  der  normalen  morphologischen 
Entwicklung  der  Bakterien  unzertrennlich  und  erfolgt  daher  unter 
allen  Umständen,  die  überhaupt  Wachstum  zulassen;  hiermit  sind  aber 
noch  keineswegs  die  notwendigen  Bedingungen  für  die  normale 
Funktion  der  Geissein  erfüllt;  unter  ungünstigen  Umständen  kann 
bei  vollständig  normaler  Entwicklung  der  Cilien  die  Eigenbewegung 
sistiert  werden  oder  von  vornherein  fast  ganz  fehlen.  Als  solche 
hemmende  Einflüsse  sind  nach  A.  Fischer  (a.  a.  0.)  zu  nennen:  un- 
genügende Nährstoffzufuhr,  übermässiger  Gehalt  des  Substrats  an 
Neutralsalzen  (über  5  °/0  KN03)  und  Anwesenheit  von  Giften  (z.  B. 
0,1  °/0  Carbolsäure).  Stark  koncentrierte  Lösungen  von  Neutralsalzen 
wirken  wahrscheinlich  nicht  allein,  wie  schon  Wladimiroff  (Z.  10.  89) 
zeigte,  durch  Wasserentziehung,  sondern  auch  durch  spezifische  chemische 
Einflüsse,  da  verschiedene  Salze  nicht  immer  im  Verhältnis  ihrer  isoto- 
nischen Koncentrationen  wirken.  Durch  Auswaschen  mit  Wasser  kann 
in  wenigen  Minuten  die  Bewegung  vollständig  wieder  hergestellt  werden. 
Ausser  durch  Wasserverlust  und  Gifte  kann  auch  durch  Säuren  „Geissei- 
starre" hervorgerufen  werden.  Die  auf  ungeeignetem  Nährsubstrat  auf- 
tretende „Hungerstarre",  von  Pfeffer  (Üb.  chemotakt.  Bewegungen 
von  Bakterien,  Flagellaten  und  Volvocineen.  630)  als  Trophotonus  be- 
zeichnet, lässt  sich  durch  Zusatz  geeigneter  Nährstoffe  aufheben;  die 
bewegungs  anregen  de  Wirkung  dieser  Stoffe  ist  keineswegs  mit  dem 
nachher  zu  besprechenden  bewegungsrichtenden  chemotaktischen  Ein- 
fluss    mancher  Stoffe    zu*  verwechseln,    kann    sich   aber  mit  letzterem 


Gotschlich,  Lebensäussemngen  der  Mikroorganismen.  159 

kombinieren.  Die  roten  Schwefelbakterien  bedürfen  zu  ihrer  Bewegung, 
wie  überhaupt  zu  ihrem  Leben  der  Anwesenheit  reichlicher  Menge  von 
H2S  (Winogeadskt,  Zur  Morphologie  u.  Physiol.  d.  Schwefeibakt. 
1888.   S.  52). 

Ausser  vom  Nährsubstrat  ist  die  Beweglichkeit  hauptsächlich  von 
der  Temperatur  und  dem  Sauerstoffzutritt  abhängig.  Was  erstere 
anlangt,  so  fallen  wohl  meist  Grenzen  und  Optimum  für  die  Eigen- 
bewegung mit  denen  des  Wachstums  zusammen.  Mit  steigender  Tem- 
peratur nimmt  die  Intensität  der  Bewegung  zu;  zu  hohe  und  zu  niedere 
Temperatur  rufen  Starre  hervor,  die  jedoch  innerhalb  gewisser  Grenzen 
wieder  rückgängig  gemacht  werden  kann.  Besonders  gegen  Kälte  sind 
auch  in  dieser  Beziehung  die  Bakterien  recht  resistent;  Zopf  fand  selbst 
nach  3  stündigem  Aufenthalt  seines  Bact.  vermicosum  (Beitr.  z.  Physiol. 
und  Morphologie  niederer  Organismen.  Heft  1.  1892)  bei  — 83°  das 
Schwärmvermögen  erhalten;  Bac.  subtilis  war  etwas  empfindlicher. 
Der  Sauer  stoff  zutritt  ist  für  aerobe  Arten  Vorbedingung  zur  Fähigkeit 
der  Lokomotion;  doch  sind  verschiedene  Arten  auf  sehr  verschiedene 
Sauorstoffspannungen  abgestimmt,  wie  sich  besonders  schön  mit  der 
ENGELMANN'schen  Bakterienmethode  oder  durch  Darstellung  der 
BEUEEiNCK'schen  Atmungsfiguren  zeigen  lässt;  manche  Proteusarten 
z.  B.  entfalten  bei  maximaler  Sauerstoffspannung  ihre  grösste  Energie, 
während  andere,  z.B.  Spirillen,  auf  niedrigere  Grade  der  Sauerstoffspannung 
abgestimmt  sind  und  durch  vermehrte  Zufuhr  schädlich  beeinflusst 
werden;  besonders  interessant  ist  das  Verhalten  der  Chromatien,  die 
einer  minimalen  Sauerstoffmenge  dringend  bedürfen,  bei  der  geringsten 
Erhöhung  der  Sauerstoffspannung  aber  ihre  Eigenbewegung  einstellen 
(Winogeadskt,  a.  a.  0.  51).  Anaeroben  hingegen  entfalten  ihre  Be- 
wegung nur  bei  Sauerstoffabschluss. 

Nach  Engelmann  (Pflüger's  Ar  eh.  1882)  ist  auch  das  Licht  für  eine  Bak- 
terienart, von  ihm  als  Bakterium  photometricura  bezeichnet  und  nach  Wino- 
gradsky  zur  Reihe  der  Chromatien  gehörig,  notwendige  Vorbedingung  ihrer  Eigen- 
bewegung; die  letztere  soll  überhaupt  nur  bei  Lichtzutritt  erweckt  werden  können 
und  in  ihrer  Geschwindigkeit  zu  der  Stärke  der  Beleuchtung  in  direktem  Ver- 
hältnis stehen;  im  Dunkeln  soll  die  Beweguug  durch  „photokinetische  Nach- 
wirkung" nur  eine  gewisse  Zeit  fortdauern,  und  zwar  um  so  länger,  je  intensiver 
die  vorangegangene  Beleuchtung  war.  Winogradsky  (a.  a.  0.  90  ff.)  konnte  bei 
der  Nachprüfung  dieser  Befunde  nicht  zu  demselben  Resultat  gelangen;  er  fand 
bei  Chromatien  erst  nach  10  tägigem  Aufenthalt  imDunkeln  einErlöschen  der  Eigen- 
bewegung; starke  Beleuchtung  schien  sogar  eher  das  Festsitzen  der  Chromatien 
zu  begünstigen.  Für  die  Bewegung  der  übrigen  Bakterien  ist  Beleuchtung  keine 
notwendige  Bedingung. 

Die  Richtung  der  Bewegung  wird  durch  mannigfache  äussere 
Einwirkungen  bestimmt.     Vor  allem  spielen    chemische    Einflüsse 


160  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

eine  Rolle;  viele  chemische  Stoffe  üben  hei  ungleichmässiger  Verteilung 
im  Nährmedium  auf  die  Bakterien  chemotaktische  Reize  aus,  in- 
folge deren  die  Mikroben  dem  betr.  Stoff  bezw.  der  Stelle  seiner  stärkeren 
Koncentration  sich  nähern  (positive  Chemotaxis),  oder  sich  von  ihm 
entfernen  (negative  Chemotaxis).  Die  chemotaktische  Bewegung 
des  Bakteriums  erfolgt  in  der  Diffusionszone  des  reizenden  Stoffes  so, 
dass  die  Längsaxe  und  die  Bewegungsrichtung  senkrecht  gegen  die 
Kurven  gleicher  Koncentration  gerichtet  sind. 

Unter  den  chemotaktisch  wirksamen  Stoffen  nimmt  der  Sauer- 
stoff eine  ganz  besondere  Stellung  ein,  indem  er  je  nach  seiner  Span- 
nung positiv  oder  negativ  chemotaktisch  wirkt.  Wie  schon  mehrfach 
betont,  sind  verschiedene  Bakterien  auf  verschiedene  Sauerstoffspan- 
nungen abgestimmt;  jede  Art  sammelt  sich  in  derjenigen  Zone  an, 
in  welcher  die  ihr  zusagende  Sauerstoffspannung  herrscht,  während  sie 
höhere  Spannungen  flieht.  Für  obligate  Anaeroben  wirkt  nach 
Beijebinck's  direkten  Beobachtungen  schon  die  geringste  Sauerstoff- 
spannung negativ  chemotaktisch.  Von  diesem  Autor,  sowie  vor 
allem  schon  früher  von  Engelmann  sind  diese  Verhältnisse  in  sehr 
anschaulicher  Weise  zur  Darstellung  gebracht  worden.  Die  hierbei  in 
Anwendung  gezogene  „Bakterienmethode"  Engelmann's,  sowie  die 
Darstellung  der  BEUEEiNCKschen  „Atmungsfiguren"  und  „Bak- 
terienniveaus" ist  bereits  an  früherer  Stelle  besprochen  (s.  S.  129). 

Die  chemotaktische  Wirkung  fester  und  flüssiger  Stoffe  in  Lösung 
ist  sehr  eingehend  von  Peeffer  (Üb.  chemotakt.  Bewegungen  von 
Bakterien,  Flagellaten  und  Volvocineen)  studiert  worden.  Die  Methodik 
der  Beobachtung  ist  eine  sehr  einfache;  in  einen,  mit  dem  zu  prüfen- 
den Bakterium  beschickten  hängenden  Tropfen  wird  von  der  einen 
Seite  eine  Kapillare  eingeschoben,  die  mit  der  auf  ihre  chemotaktische 
Wirkung  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  gefüllt  ist.  Nach  kurzer  Zeit, 
oft  schon  nach  wenigen  Minuten,  bildet  sich  dann  um  den  Kapillar- 
mund eine  charakteristische  Anordnung  der  Bakterien  aus,  indem  bei 
positiver  Chemotaxis  die  Bakterien  in  dichten  Haufen  den  Kapillar- 
mund umdrängen  und  sogar  in  die  Kapillare  selbst  massenhaft  ein- 
wandern, bei  abstossender  Wirkung  dagegen  rings  um  den  Kapillar- 
mund eine  vollständig  bakterienfreie  Zone  entsteht.  Das  wesentliche 
der  Resultate  Pfeffers  ist  im  Folgenden  wiedergegeben. 

Positive  Chemotaxis  wird  unter  anorganischen  Körpern  am  stärksten  durch 
Kaliumsalze  bewirkt;  unter  den  organischen  Verbindungen  übten  vor  allem  Pepton, 
demnächst  Asparagin  eine  starke,  Harnstoff  und  Xanthinkörper  eine  schwächere 
Wirkung  aus;  Kohlehydrate  sind  nur  bei  einigen  Arten  wirksam,  und  dem  Glycerin 
kommt  merkwürdigerweise  gar  keine  chemotaktische  Wirkung  zu.  Negative 
Chemotaxis  wird    allgemein  durch  Alkohol,  ferner  durch  saure  und  alkalische  Re- 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  Ißl 

aktion,  oft  auch  durch  genügende  Steigerung  der  Koncentration  einer  Lösung  er- 
reicht. Die  geringste,  noch  eben  wirksame  Koncentration,  welche  die  „Reiz- 
schwelle" bezeichnet,  ist  bei  verschiedenen  Körpern  ausserordentlich  verschieden; 
sie  beträgt  z.  B.  beim  Trikaliumphosphat  nur  0,001  %,  beim  Traubenzucker  da- 
gegen 10%.  Zwischen  den  einzelnen  Arten  bestehen  spezifische  Unterschiede  der 
chemotaktischen  Reizbarkeit;  z.  B.  ist  Dextrin  ein  sehr  wirksames  Anlockungs- 
mittel für  Bact.  termo,  während  es  auf  Spirillum  undula  kaum  merklich  wirkt; 
andererseits  wird  Bact.  termo  durch  stark  koncentrierte  Salzlösungen  fast  gar 
nicht,  Spirillum  undala  dagegen  sehr  energisch  zurückgetrieben.  Manche  Arten 
scheinen  ganz  unempfindlich  zu  sein.  Schon  diese  spezifisch  verschiedene  Empfind- 
lichkeit differenter  Arten  zeigt,  dass  die  chemotaktische  Wirkung  einer  Verbindung 
ebensowenig  wie  der  Nährwert  im  allgemeinen  schematischer  Weise  aus  der 
chemischen  Zusammensetzung  derselben  hergeleitet  werden  kann.  Aber  auch 
für  einen  einzelnen  Mikroben  lässt  sich  vorläufig  der  chemotaktische  Reizwert 
einer  Verbindung  nicht  in  jedem  speziellen  Falle  gesetzmässig  ableiten;  so  steht 
der  Reizwert  eines  Metalls  in  keiner  direkten  Beziehung  zum  Atomgewicht  des- 
selben; ferner  lässt  sich  z.  B.  der  Reizwert  der  Kaliumsalze  nicht  durch  ihren 
Gehalt  an  Kalium  bemessen;  das  Kaliumchlorat  übt  erst  bei  10 fach  höherem 
Kaliumgehalt  in  der  Lösung  die  gleiche  Wirkung  aus  wie  Kaliumphosphat,  wobei 
aber  der  Phosphorsäure  kein  besonderer  Reizwert  zukommen  kann,  da  Mono- 
und  Trikaliumphosphat  bei  gleichem  Kaliumgehalt  annähernd  die  gleiche  Reiz- 
wirkung ausüben.  Der  Reizwert  einer  Verbindung  entsteht  also  nicht  etwa 
durch  Summation  der  Wirkungen  der  in  derselben  enthaltenen  Atome  oder 
Radikale,  sondern  hängt  in  einer  bisher  unbekannten  Weise  von  der  Kon- 
figuration des  Moleküls  ab,  wobei  die  Reizwirkung  jeder  einzelnen  Gruppe 
durch  Verbindung  mit  anderen  in  weitem  Umfange  modifiziert,  ja  sogar  ganz  aus- 
gelöscht werden  kann;  eine  Analogie  hierzu  bietet  das  chemotaktische  Verhalten 
der  Apfelsäure  gegenüber  den  Samenfäden  der  Farne,  die  sowohl  frei  als  auch  in 
ihren  Alkalisalzen  eine  mächtige  und  ziemlich  gleichbleibende  anziehendeWirkung 
entfaltet,  während  ihr  Diäthyläther  völlig  wirkungslos  ist.  Auch  von,  der  Dif- 
fusionsbewegung und  der  osmotischen  Wirksamkeit  einer  Lösung  ist  der  chemo- 
taktische Wirkungswert  nicht  abhängig,  wie  man  wohl  besonders  betr.  der  repul- 
siven  Wirkung  stärker  koncentrierter  Lösungen  geglaubt  hatte ;  Spirillum  undula 
wird  durch  Lösungen  von  Metallsalzen  schon  bei  geringer  Koncentration  zurück- 
getrieben, während  Glycerin  selbst  in  17,1  proz.  Lösung  gar  keine  Wirkung- äussert; 
auch  finden  sich  gute  Reizmittel  sowohl  unter  krystalloiden  Körpern  (Kali- 
salze), wie  unter  kolloiden  (Pepton,  Dextrin).  Sehr  bemerkenswert  ist  ferner 
das  Fehlen  einer  bestimmten  Beziehung  zwischen  Nährwert  und  chemotak- 
tischer Wirksamkeit  einer  Verbindung;  so  z.  B.  kommt  dem  Glycerin,  welches 
ein  guter  Nährstoff  für  Bakterien  ist,  gar  keine  chemotaktische  Wirksamkeit  zu; 
andererseits  stellen  Lithiumsalze,  welche  für  die  Ernährung  der  Mikroben  ganz 
entbehrlich  sind,  ein  gutes  Anlockungsmittel  für  Bact.  termo  dar.  Auch  kommt 
entwicklungshemmenden,  schädlichen  Substanzen  durchaus  nicht  immer  repulsive 
Wirksamkeit  zu.  So  z.  B.  steuern  Bakterien  in  tötliche  Koncentrationen  von 
Glycerin,  ferner  noch  in  20  proz.  Chlornatrium-  oder  40  proz.  Chlorcalciumlösungen 
hinein,  in  denen  sie  sehr  bald  ihre  Bewegungen  einstellen  müssen;  selbst  intensive 
Gifte,  z.  B.  Sublimat,  haben  oft  keine  repulsive  Wirksamkeit;  Bakterien  lassen 
sich  durch  zugesetzte  Reizmittel  in  0,05 proz.  Sublimatlösung  hineinlocken,  wo  sie 
sehr  rasch  absterben.  In  ganz  analoger  Weise  fehlt  auch  für  die  Samenfäden 
Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  11 


162  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

der  Farne  eine  Repulsion  gegenüber  Sublimat  und  Strychnin.  Die  Erklärung  vom 
teleologischen  Gesichtspunkt  aus,  welche  in  den  chemotaktischen  Bewegungen 
ein  Mittel  sieht,  die  Bakterien  zu  günstigen  Nährstoffen  zu  führen  und  Schädlich- 
keiten zu  vermeiden,  ist  also  keineswegs  für  alle  Fälle  zutreffend. 

Interessant  ist  das  Verhalten  der  Bakterien  bei  antagonistisch  wirkender 
Anlockung  und  Abstossung,  wie  sie  in  Gemischen,  oder  auch  in  einheitlichen 
Lösungen  bei  Steigerung  der  Koncentration  zustande  kommt,  wo  dann  durch  die 
spezifische  qualitative  Wirkung  des  betr.  Stoffes  eine  Anziehung,  durch  die  er- 
höhte Koncentration  dagegen  eine  Abstossung  stattfindet;  soweit  bekannt,  ist  die 
resultierende  Wirkung  hierbei  durch  einfache  algebraische  Addition  der  einzelnen 
wirksamen  Komponenten  bestimmt,  im  Gegensatz  zur  chemischen  Verbindung, 
in  welcher,  wie  oben  ausgeführt,  eine  funktionelle  Abhängigkeit  der  einzelnen 
chemotaktischen  Reizwerte  der  eintretenden  Atome  oder  Gruppen  besteht.  Für 
die  einfache  Summation  in  Gemischen  spricht  insbesondere  die  Thatsache,  dass 
ein  positiver  chemotaktischer  Erfolg  durch  Vereinigung  zweier  Reizmittel  erzeugt 
werden  kann,  von  denen  jedes  einzelne  in  einer  so  geringen  Menge  vorhanden 
ist,  dass  es  für  sich  allein  unwirksam  wäre;  und  zwar  muss  zur  Erzielung  gleichen 
Erfolges  von  dem  weniger  wirksamen  Natriumsalz  entsprechend  mehr  zugesetzt 
werden  als  von  dem  stärker  anlockenden  Kaliumsalz.  Eine  scheinbare  Ausnahme 
kann  zustande  kommen,  wenn  durch  den  Einfluss  eines  Stoffes  die  Reizbarkeit 
der  betr.  Mikroorganismen  so  alteriert  wird,  dass  ein  gegebener  Stoff  nunmehr 
einen  quantitativ  anderen  Reizerfolg  erzielt.  Dass  dies  in  der  That  der  Fall  ist, 
erhellt  aus  der  Betrachtung  der  quantitativen  Verhältnisse  zwischen  Reiz-  und 
Reaktionsgrösse  bei  der  chemotaktischen  Wirkung.  Für  diese  gilt  nämlich, 
so  lange  nicht  durch  übermässig  steigende  Koncentration  störende  repulsive 
Wirkungen  herbeigeführt  werden,  dieselbe  Beziehung,  welche  im  WEBER'schen 
Gesetz  ausgesprochen  und  von  Fechner  (Elemente  d.  Psychophysik.  I)  für  die 
Abhängigkeit  zwischen  Empfindungs-  und  Reizgrösse  beim  Menschen  festgestellt 
worden  ist.  Dieses  Abhängigkeitsverhältnis  liess  sich  ebensowenig  wie  bei  den 
menschlichen  Empfindungen  durch  direkten  Vergleich  der  auf  Reize  von  ver- 
schiedener Stärke  erzeugten  Reaktionen  feststellen;  es  gelang  aber,  genau  wie 
beim  FECHXER'schen  Verfahren,  auf  einem  Umweg,  nämlich  durch  Bestimmung 
der  Unterschiedsschwelle,  d.h.  derjenigen  Reizgrösse,  die  zu  dem  schon  vor- 
handenen Reiz  hinzutreten  muss,  um  einen  eben  merklichen  Erfolg  herbei- 
zuführen, bei  verschiedener  Grösse  des  ursprünglichen  Reizes.  Es  wurde  nun  er- 
mittelt, dass  zur  Erzielung  einer  eben  merklichen  chemotaktischen  Anlockung  eine 
um  so  grössere  Koncentration  der  reizenden  Aussenflüssigkeit  geboten  werden 
musste,  je  grösser  der  Gehalt  des  Mediums,  in  welchem  sich  die  Bakterien  be- 
fanden, an  derselben  oder  einer  im  gleichen  Sinne  wirkenden  Substanz  be- 
reitswar. Wegen  der  gleichmässigen  Verteilung  der  Substanz  in  dem  flüssigen  Medium 
konnte  dieselbe  natürlich  nicht  einseitig  richtend  wirken;  sehr  wohl  aber  beein- 
fiusste  sie  die  Reaktionsfähigkeit  der  Bakterien  gegen  eine  einseitige  Verstärkung 
des  Reizes.  Zur  Erzeugung  einer  wirksamen  Unterschiedsschwelle  war  also  bei 
verschiedenen  Koncentrationen  der  Nährflüssigkeit  nicht  eine  konstante  Dif- 
ferenz, sondern  ein  konstantes  direktes  Verhältnis  zwischen  Innen-  und 
Aussenflüssigkeit  erforderlich,  so  dass  bei  erhöhter  Koncentration  des  Mediums 
die  Differenz  zwischen  beiden  Flüssigkeiten  im  steten  Wachsen  begriffen  war. 
So  z.  B.  war  bei  Bact.  termo  in  0,01  proz.  Fleischextraktlösung  zur  Erzeugung  einer 
deutlichen  chemotaktischen  Anlockung  eine  Koncentration  der  Kapillarflüssigkeit 


Gotschxich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  j[63 

von  0,05%  Fleischextrakt  vollkommen  ausreichend,  während  aus  einer  hundert- 
mal koncentrierteren  Nährlösung  von  1  %  Gehalt  an  Fleischextrakt  die  Kapillar- 
flüssigkeit erst  bei  einem  Gehalt  von  5%  deutliche  Anlockung  erzielte;  dagegen 
war  eine  3proz.  Aussenflüssigkeit  noch  von  durchaus  unsicherer  Wirkung,  trotzdem 
die  absolute  Differenz  hier  fünfzigmal  grösser  war  als  die  kleinste  noch  eben 
wirksame  absolute  Differenz  im  vorigen  Falle.  Genau  dasselbe  Resultat  ergab 
sich  bei  Anwendung  von  Dextrinlösung  in  der  Kapillarflüssigkeit  bei  verschiedenem 
Gehalt  an  Fleischextrakt  im  ursprünglichen  Medium;  merkwürdiger  Weise  war 
sogar  der  Wert  der  Unterschiedsschwelle  bei  beiden  annähernd  in  gleicher  Weise 
wirksamen  Substanzen  nahezu  gleich,  nämlich  5;  d.  h.  zur  Erzielung  eines  chemo- 
taktischen Erfolges  muss  die  Reizflüssigkeit  eine  5  mal  höhere  Koncentration  besitzen 
wie  das  ursprüngliche  Medium,  und  zwar  in  gleicher  Weise  innerhalb  einer  bis  zum 
hundertfachen  Betrage  gehenden  Koncentrationsänclerung  des  letzteren.  Pfeffer 
betont  übrigens  ausdrücklich,  dass  die  hier  zwischen  Reiz-  und  Reaktions grosse 
gefundene  Beziehung  nicht  ohne  weiteres  zu  der  von  Fechner  aufgedeckten  Be- 
ziehung zwischen  Reiz-  und  Empfindungs grosse  beim  Menschen  in  Parallele 
gestellt  werden  dürfe,  wenn  sie  auch  beide  gleichen  mathematischen  Ausdrucks  sind. 
Dass  für  die  Reaktion  nicht  ohne  weiteres  Empfindung  substituiert  werden 
darf,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  die  Reaktion  den  Schlusseffekt  der  durch 
den  Reiz  im  Protoplasma  bewirkten  Kette  von  Umsetzungen  darstellt;  mit  welchem 
Glied  dieser  Kette  aber  und  ob  überhaupt  mit  irgend  einem  derselben  eine  Em- 
pfindung funktionell  verknüpft  ist,  wissen  wir  nicht.  Auch  beweist  die  Existenz 
einer  Reaktion  auf  einen  Reiz  nicht  im  mindestens  mit  Notwendigkeit  das  Vor- 
handensein einer  Sensibilität;  nach  Analogie  kann  man  eine  solche  mit  ebenso 
viel  Recht  annehmen,  wie  bei  anderen  Lebewesen.  Dieselbe  wäre  dann  bei  den 
Bakterien  gegenüber  anderen  niederen  Lebewesen,  die  nur  auf  wenige  Reize 
reagieren,  wie  z.  B.  die  Spermatozoen  der  Farne  auf  Apfel-  und  Maleinsäure, 
verhältnismässig  vielseitig  ausgebildet,  um  so  mehr,  als  ausser  den  chemischen 
Einflüssen  auch  noch  viele  andere  äussere  Agentien  Reaktionen  der  Bakterien 
hervorrufen. 

Unter  diesen  ist  vor  allem  der  Einwirkung  des  Lichtes  zu  ge- 
denken, welches  nachWiNOGRADSKT  (Zur  Morphologie  und  Physiologie 
der  Schwefelbakterien.  S.94  u.  f.)  und  Beijeeinck  (C.  14.  844)  auf  die  Be- 
wegungen der  Chromatien  einen  deutlichen  richtenden  Einfiuss  aus- 
übt. Dieselben  sammeln  sich  stets  an  der  hellsten  Stelle,  sind  also 
positiv  phototaktisch;  ihre  Empfindlichkeit  ist  eine  so  bedeutende, 
dass  sie  nach  Beijeeinck  zu  den  besten  Photometern  gezählt  werden 
können.  Sehr  merkwürdig  ist  ferner  ihre  äusserst  heftige  Reaktion 
auf  plötzliche  Abnahme  der  Lichtintensität,  die  schon  von 
Engelmann  festgestellt  und  als„S ehr e ckb e we gung" bezeichnet  wurde; 
selbst  auf  die  leiseste  plötzliche  Beschattung  erfolgt  momentaner  Still- 
stand oder  heftiges  Zurückprallen,  worauf  dann  sehr  bald  die  Bewegung 
meist  mit  geänderter  Richtung  fortgesetzt  wird.  Plötzliche  Verstärkung 
der  Lichtintensität  ruft  solche  „Schreckbewegungen"  nicht  hervor. 

Nach  Schenk  (C.  14.  37)  soll  auch  Wärme  einen  richtenden 
Einfiuss  auf  die  Bewegung  ausüben,    und    zwar   im  Sinne    einer  An- 

11* 


164  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

lockung  zu  einem  wärmeren  Punkte.  Da  dieses  Zuströmen  auch  an 
unbeweglichen  Mikroorganismen  beobachtet  wurde,  z.  B.  am  Staphy- 
lokokkus pyogen,  aureus,  so  fragt  es  sich  sehr,  ob  hier  nicht  rein 
physikalische  Strömungen  vorliegen. 

Ferner  will  Roth  (D.  1893.  Nr.  15)  einen  Einfluss  schwacher 
Flüssigkeitsströmungen  beobachtet  haben,  und  zwar  in  dem  Sinne, 
dass  die  Bakterien  gegen  den  Strom  schwimmen.  Diese  Erscheinung 
stände  in  Analogie  zu  dem  von  Stahl  (B.  Z.  1884.  147)  beobachteten 
„Rheotropismus"  der  Myxomyceten. 

Nach  Mass art  soll  auch  die  Oberflächenspannung  (r:  C.  11. 
566),  sowie  die  Schwerkraft  (Bull,  de  FAcad.  Royale  de  Belgicpie. 
Serie  III.  t.  XXII,  no.  8)  auf  die  Bewegungsrichtung  bei  einigen  Spi- 
rillen einwirken,  und  zwar  bei  verschiedenen  Arten  bald  in  positivem, 
bald  in  negativem  Sinne. 

Die  von  demselben  Autor  (a.  a.  0.)  beobachteten  Bewegungen  von 
Mikroorganismen  gegen  koncentriertere  oder  verdünntere  Salzlösungen, 
die  er  als  positiven  bezw.  negativen  Tonotaxismus  bezeichnet,  fallen 
vielleicht  mit  den  oben  geschilderten  chemotaktischen  Bewegungen 
zusammen. 

Ebenso  wie  innerhalb  der  Gruppe  der  chemotaktischen  Wirkungen 
kann  auch  zwischen  diesen  und  anderen  bewegungsrichtenden  Einwir- 
kungen Antagonismus  bestehen;  in  sehr  merkwürdiger  Weise  zeigt  sich 
derselbe  bei  Chromatien,  die  selbst  bei  stärkster  Beleuchtung  nie  bis 
an  den  Rand  des  Tropfens  kommen,  weil  dort  eine  zu  hohe  Sauerstoff- 
spannung herrscht,  sondern  sich  in  einer  bestimmten  Entfernung  vom 
Rande  halten.  Auch  die  BEUERiNCKschen  Atmungsfiguren  und  Bak- 
terienniveaus sind  Produkte  antagonistischer  Wirkungen  verschiedener 
bewegungsrichtender  Faktoren. 

II.  Wärmeproduktion. 

Ahnlich  wie  bei  höheren  Lebewesen,  ist  auch  bei  den  niederen 
Pilzen  eine  deutlich  wahrnehmbare  Wärmeproduktion  beobachtet.  Die- 
selbe ist  minimal,  wenn  nur  die  intramolekulare  Atmung  vor  sich  geht 
und  weder  durch  Sauerstoff  noch  durch  Gährung  von  aussen  Energie 
erzeugt  wird;  in  solchem  Falle  wurde  für  Hefe  in  Wasserstoffatmo- 
sphäre ein  Temperaturüberschuss  von  0,2°  über  die  Temperatur  der 
Umgebung  konstatiert;  bei  Luftzutritt  steigerte  sich  der  Überschuss 
auf  1,2°,  bei  Gährung  auf  3,9°  (Eriksson,  Unters,  a.  d.  bot.  Inst,  in 
Tübingen.  1881.  H.  1).  Sehr  bedeutende  chemische  Effekte  kommen 
durch  die  Lebensthätigkeit  von  Bakterien  bei  der  sog.  Selbsterhitzung 
verschiedener  Stoffe,  wie  Malz,  Dünger,  Baumwolle,  Heu  u.  s.  w.,  die  in 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  j^ß5 

feuchtem  Zustande  und  in  grossen  Massen  dicht  zusammengepresst 
aufeinander  lagern,  zustande;  in  solchen  Fällen  kann  sogar  Selbst- 
entzündung erfolgen.  Schloesing  (Ann.  agronom.  XVIII.  5)  wies  zu- 
erst als  Ursache  der  Erwärmung  des  Düngers  die  Thätigkeit  von  Mikro- 
organismen nach;  er  fand  im  geimpften  Dünger  eine  über  17 mal 
stärkere  C02 -Produktion  wie  im  sterilisierten.  Für  die  Selbsterhitzung 
des  Heus  machte  es  Berthelot  (C.  R.  117.  1039)  wahrscheinlich,  dass 
sie  durch  Fermentthätigkeit  von  Mikroorganismen  eingeleitet  werde. 
Insbesondere  hat  F.  Cohn  (Jahresber.  d.  schles.  Ges.  1890)  die  Erhitzung 
keimender  Gerste  bis  64,5°  auf  die  intensive  Vegetation  des  Aspergillus 
fumigatus  zurückgeführt;  wurde  die  Gerste  durch  Behandlung  mit 
Kupfervitriol  von  Aspergillussporen  befreit,  so  erwärmte  sie  sich  beim 
Keimen  nur  auf  40  °.  Die  Selbsterhitzung  der  Baumwolle  kommt  nach 
demselben  Autor  (B.  G.  1893.  66)  durch  Mikroorganismen  zustande, 
die  an  den  durch  den  Reisswolf  entfernten  Unreinigkeiten ,  den  sog. 
Nisseln,  haften;  bei  reichlicher  Befeuchtung  erfolgt  die  Entwicklung 
der  Mikroben  unter  Produktion  von  Trimethylamin  und  humusartigen 
Körpern  mit  einer  Temperatursteigerung  bis  67°.  Die  Erhitzung  geht, 
wie  alle  fermentativen  Selbsterhitzungsprozesse,  mit  lebhafter  Sauer- 
stoffaufnahme und  Kohlensäureabgabe  einher  und  steht  beiLuftabschluss 
still;  der  Prozess  ist  also  durch  die  Atmung  aerober  Mikroorganismen 
bedingt.  Sterilisierte  Baumwollabfälle  zeigen  nie  spontane  Erhitzung; 
erst  auf  Zusatz  von  Waschwasser  frischer  Abfälle  beginnt  der  Prozess. 

III.  Lichtentwicklung. 

Pflüger  (Pf.  10.  275;  11.  222)  war  der  erste,  der  das  zuweilen 
vorkommende  Leuchten  faulender  organischer  Substanzen,  das  ins- 
besondere an  toten  Seefischen  zur  Beobachtung  gelangt,  auf  die 
Lebensthätigkeit  von  Mikroorganismen,  und  zwar  eines  Mikrokokkus 
zurückführte.  Die  von  Ludwig  (Z.  f.  Mikroskopie.  I)  und  Nüesch  (r: 
C.  B.  27.  161)  beobachteten  Leuchtbakterien  sind  wahrscheinlich  mit 
dem  PFLÜGER'schen  Mikrokokkus  identisch.  Seitdem  ist  eine  grosse 
Anzahl  leuchtender  Bacillen  beschrieben  worden,  so  von  B.  Fischer 
ein  solcher  aus  den  westindischen  Gewässern  (Z.  2.  54),  sowie  mehrere 
Arten  aus  der  Nord-  und  Ostsee  (C.  3.  105  und  137),  ferner  von  Katz 
(C.  9.  157)  6  Arten  aus  dem  stillen  Ocean,  eine  Art  aus  Java  von 
Eukmann  (r:  K.  1892.  71),  eine  interessante  für  Krustaceen  pathogene 
Art  von  Giard  (r:  C.  6.  645);  ferner  mehrere  Arten  leuchtender  Vi- 
brionen von  Dunbar  u.  Kutscher  (C.  15. 44)  aus  der  Elbe  bei  Hamburg, 
vouKänsche  (r:  Kruse, Z.  17.33)  aus  einem  oberschlesischenGrenzfluss  etc. 
Das  Licht  ist  bei  den  verschiedenen  Arten  von  verschiedener  Intensität 


Ißß  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

und  Farbe;  letztere  ist  entweder  rein  weiss  oder  bläulich  bis  grünlich. 
Mehrfach  sind  Spektraluntersuchungen  des  Lichtes  angestellt  worden; 
so  fand  Fischer  beim  einheimischen  Leuchtbacillus  ein  kontinuierliches 
Spektrum  von  D  bis  etwas  über  G  hinaus;  das  Maximum  der  Hellig- 
keit befand  sich  zwischen  E  und  der  Mitte  von  F  und  G.  Das  Licht 
einiger  von  Fischer  isolierter  Arten  besass  eine  solche  Intensität,  dass 
man  beim  Scheine  desselben  den  Stand  der  Uhr  ablesen  konnte;  die 
Kulturen  phosphorescierender  Bakterien  sind  sogar  schon  in  ihrem 
eigenen  Lichte  photographiert.  Hauptbedingung  für  das  Zustande- 
kommen desLeuchtensist  reichlicher  unmittelbarer  Sauerstoffzutritt;  feste 
Kulturen  leuchten  nur  an  der  Oberfläche,  flüssige  Kulturen  können  durch 
Schütteln  mit  Luft  für  kurze  Zeit  in  ihrer  ganzen  Masse  leuchtend  ge- 
macht werden.  —  Nächst  dem  Sauerstoffzutritt  ist  eine  gewisse  Temperatur 
notwendige  Bedingung  für  das  Leuchten,  deren  Grenzen  jedoch  keines- 
wegs mit  den  Grenzen  des  Temperaturbereichs  zusammenzufallenbrauchen, 
in  denen  das  Leben  für  die  betr.  Arten  möglich  ist;  vielmehr  können 
diese  Bakterien  auch  leben  und  wachsen,  ohne  Licht  zu  entwickeln.  Die 
für  das  Leuchten  notwendige  Temperatur  ist  bei  verschiedenen  Arten 
verschieden;  ein  von  Forster  (C.  2.  337)  und  Fischer  (C.  4.  89)  be- 
schriebenes Leuchtbakterium  leuchtet  z.  B.  noch  bei  0°  und  in  geringem 
Grade  sogar  noch  bei  —  12  °  (Tollhausen, Unters,  üb.  Bakt.  phosphoresc. 
Fischer  [Diss.],  Würzburg  1S89).  Die  einheimischen  Leuchtbacillen 
Fischer's  leuchten  zwischen  5°  und  25°;  jenseits  25°  erfolgt  Beein- 
trächtigung und  bei  35  °  schon  nach  5  Minuten  völliges  Erlöschen  des 
Lichtes.  Beim  westindischen  Leuchtbacillus  zeigte  sich,  entsprechend 
seiner  Abkunft  aus  einer  wärmeren  Zone,  die  untere  Grenze  bei  10°, 
das  Optimum  bei  25  bis  30°,  deutliche  Schädigung  erst  bei  37  °.  Kul- 
turen, deren  Leuchtkraft  durch  Abkühlung  oder  vorsichtige  Erwärmung 
erloschen  ist,  können  dieselbe  wiedergewinnen.  —  Belichtung  hatte 
auf  das  Leuchtvermögen  meist  gar  keinen  Einfluss;  nur  Dubois  (C.  R. 
d.  1.  soc.  d.  biol.  1893.  160)  berichtet  von  einer  Abschwächung  der 
Lichtentwicklung  nach  mehrtägigem  Aufenthalt  im  Licht.  —  Elektro- 
lyse hebt  nach  Dubois  (C.  R.  111.  363)  das  Leuchten  auf,  und  zwar 
an  der  Anode  durch  Säureentwicklung,  an  der  Kathode  durch  die  re- 
duzierende, sauerstoffverdrängende  Wirkung  des  naszierenden  Wasser- 
stoffs; durch  Neutralisation  mit  Ammoniak  auf  der  einen  Seite,  durch 
Lufteinblasen  auf  der  anderen  Seite  wird  dieser  schädigende  Effekt 
rückgängig  gemacht.  —  Alle  chemischen  Agentien,  welche  das  Leben 
der  Mikroorganismen  schwächen  oder  zerstören,  heben  auch  die  Licht- 
entwicklung auf;  auch  Fäulnis  sistiert  dieselbe.  —  Von  dem  bestimmen- 
den Einfluss  des  Nährsubstrats  auf  die  Lichtentwicklung  ist  vor  allem 
>die  Begünstigung   derselben  durch   Natrium-  und  Magnesiumsalze   zu 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  167 

erwähnen  daher  eignet  sich  auch  das  Seewasser  besonders  gut  zur  Be- 
reitung von  Kultursubstraten  für  Leuchtbakterien.  Meerwasser  kann 
nach  Fischer  durch  Impfung  mit  Leuchtbacillen  künstlich  leuchtend 
gemacht  werden;  dieser  Autor  hält  es  auch  für  sehr  wahrscheinlich, 
dass  beim  natürlichen  Meerleuchten  diese  Mikroben  eine  wichtige  ur- 
sächliche Rolle  spielen.  Über  die  sonstigen  Ernährungsbedingungen 
und  über  die  chemischen  Leistungen  der  Leuchtbacillen  hat  Beijerinck 
(ref.  Koch's.  Jahresber.  1890.  180)  eingehende  Untersuchungen  ange- 
stellt; einige  dieser  Mikroorganismen  vermögen  mit  Pepton  und  eiweiss- 
artigen  Körpern  allein  auszukommen,  während  andere  neben  diesen 
noch  eine  besondere  Kohlenstoffcmelle  (Kohlehydrate,  Salze  organischer 
Säuren  etc.)  verlangen.  —  Die  Dauer  des  Leuchtens  einer  Kultur  kann 
nach  Tollhausen  eine  sehr  lange  sein;  an  einer  und  derselben  Kultur 
des  Bact.  phosphoresc.  Fischer  war  noch  nach  einem  Jahre  deutliches 
Leuchten  wahrzunehmen;  allerdings  schwächt  sich  die  Intensität  des 
Lichtes  schon  nach  einigen  Tagen  ab. 

Die  Ursache  des  Leuchtens  kann  in  zweifacher  Weise  gedacht 
werden:  entweder  ist  die  Lichtentwicklung  eine  direkte  Funktion  des 
lebenden  Protoplasmas  und  von  diesem  ebenso  unzertrennlich,  wie  die 
Wärmeproduktion,  die  Gährthätigkeit  etc.;  oder  die  lebende  Zelle 
produziert  ein  nach  aussen  abgeschiedenes  „Photogen",  eine  Substanz, 
die  extracellulär  leuchtet.  Die  erste  Theorie  ist  die  wahrscheinlichere 
und  vermag  allen  Thatsachen  Rechnung  zu  tragen;  auch  die  Erschei- 
nung, dass  tief  unter  0°  abgekühlte  Kulturen  noch  einige  Zeit  fortfahren 
zu  leuchten,  bereitet  ihr  keine  ernstliche  Schwierigkeit,  da  bei  den 
betr.  Bakterien  ungestörte  Ausübung  aller  Lebensfunktionen  'noch  bei 
0°  beobachtet  ist  und  demnach  ein  langsames  Eintreten  der  Kältestarre 
bei  —  12°  sehr  wohl  begreiflich  wird.  Gegen  die  Theorie  eines  extra- 
cellulären  Leuchtstoffes  spricht  vor  allem  die  Unmöglichkeit,  einen 
solchen  Stoff  bisher  mit  Sicherheit  zu  isolieren;  Dubois  (C.  R.  107.  502) 
allerdings  will  bei  einem  auf  Seetieren  lebenden  Leuchtbacillus  eine 
solche  Substanz,  die  er  „Luciferin"  nennt,  sogar  in  krystallinischem 
Zustand  gefunden  haben;  auch  sollen  nach  Ludwig  (C.  2.  40)  beim 
Mikrokokkus  Pfmegeri  nicht  die  Kolonien  selbst,  sondern  ausgeschie- 
dene Stoffwechselprodukte  desselben  leuchten.  In  allen  übrigen  Ver- 
suchen über  die  Isolierung  eines  Leuchtstoffes  aber  war  das  Resultat 
ein  durchaus  negatives;  man  müsste  also  annehmen,  dass  das  hypo- 
thetische Photogen  gegen  äussere  Eingriffe  fast  ebenso  empfindlich  sei 
wie  das  lebende  Plasma.  So  wenig  wahrscheinlich  hiernach  diese 
Theorie  ist,  so  lässt  sie  sich  doch  freilich  bisher  auch  nicht  mit  zwin- 
gender Sicherheit  ausschliessen. 


Ißg  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

E.  Stoffwechselprodukte  der  Mikroorganismen. 

Eine  allgemein  umfassende,  rationelle  Darstellung  der  Lehre  von 
den  Stoffvvechselprodukten  der  Mikroorganismen  ist  vor  der  Hand  nicht 
möglich,  weil  es  uns  an  der  hierzu  erforderlichen  Kenntnis  der  chemischen 
Fähigkeiten  der  Bakterien  mangelt,  mittelst  deren  wir  für  jedes  Produkt 
die  Quelle  und  den  Entstehungsmodus  anzugeben  vermöchten.  "Wir 
müssen  uns  also  mit  einer  speziellen  Aufzählung  der  vorkommenden 
Produkte  begnügen;  ausserdem  können  einige  genauer  studierte  Klassen 
von  Stoffvvechselprodukten,  deren  Entstehungsbedingungen  und  Be- 
deutung sich  unter  allgemeine  Gesetzmässigkeiten  subsumieren  lassen, 
wie  die  Reduktionsprozesse,  die  Schwefelwasserstoffproduktion,  die  Farb- 
stoffbildung, die  Veränderungen  der  Reaktion  des  Substrats,  in  speziellen 
Kapiteln  behandelt  werden.  Endlich  sind  noch  einige  allgemeinere 
Fragen,  wie  die  nach  der  Spezifität  einzelner  Stoffwechsel- 
produkte bestimmter  Arten  und  ihrer  differential-diagno- 
stischen  Bedeutung,  sowie  nach  Konstanz  und  Variabilität 
des  Stoffwechsels  innerhalb  eines  gegebenen  Kreises  von  Lebens- 
bedingungen, zu  erledigen. 

Die  Reihe  der  gelegentlich  bei  Kulturen  der  Mikroorganismen 
beobachteten  Stoffwechselprodukte  ist  eine  ausserordentlich  grosse:  Gase 
wie  C02,  H2,  CH4,  H2S,  NHs;  Nitrate;  Wasser;  Schwefel;  flüchtige 
Körper,  wie  Trimethylamin,  Alkohol,  Ameisensäure,  Essigsäure,  Propion- 
säure, Buttersäure;  Oxysäuren  und  mehrbasische  Säuren,  wie  Milchsäure, 
Apfelsäure,Bernsteinsäure,Oxalsäure,Weinsäure;  Sulfosäuren,  wieTaurin; 
Amide,  namentlich  Leucin,  Alanin  u.  s.  w.;  aromatische  Körper,  wie 
Tyrosin,  Phenol,  Kresol,  Hydroparacumarsäure;  Indol;  Farbstoffe;  Kohle- 
hydrate; Peptone;  alkaloidähnliche  und  eiweissähnliche  giftige  Substanzen; 
hydrolytische  Fermente.  Je  nach  der  spezifischen  Art  des  herrschenden 
Mikroben  und  je  nach  der  im  Nährmedium  gebotenen  Bedingungen 
treten  bald  diese,  bald  jene  Produkte  auf;  eine  besonders  grosse  Zahl 
derselben  und  darunter  ganz  eigentümliche,  sonst  nicht  vorkommende 
Produkte  finden  sich  bei  Entfaltung  der  Gährthätigkeit  vor. 

Die  allgemein  beim  Lebensprozess  sämtlicher  oder  doch 
der  meisten  Mikroorganismen  auftretenden  Stoffwechsel- 
produkte wurden  schon  im  vorigen  Abschnitt  unter  den  N-haltigen 
und  N-freien  Exkreten  behandelt.  Unter  den  spezielleren,  nur  einzelnen 
Klassen  oder  Arten  der  Mikroben  zukommenden  chemischen  Leistungen 
erheischen  die  giftigen  Produkte,  die  isolierbaren  Fermente  und  die 
Gährprodukte  eine  gesonderte  Besprechung  in  eigenen  Abschnitten. 
Hier  ist  noch  auf  folgende,  spezielle  chemische  Leistungen  der  Mikroben 
einzugehen. 


Gotschuch,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  169 

I.  Reduktionsvorgänge 

durch  Bakterien  kommen  insbesondere  bei  der  Fäulnis  yor,  wo  sie 
später  noch  eingehend  zu  besprechen  sind,  und  wurden  hier  zuerst 
von  Helmholtz  (A.  f.  Ph.  1843)  mittelst  lakmushaltiger  flüssiger 
Nährböden  (Glutinlösungen)  erkannt.  Ferner  ist  hier  noch  die  be- 
reits erwähnte  Reduktion  der  Nitrate  und  die  Reduktion  des  Wasser- 
stoffsuperoxyds zu  nennen;  auch  die  weiter  unten  zu  besprechende 
H2S-Bildung  beruht  in  vielen  Fällen  auf  Reduktionsvorgängen.  Be- 
sonders energische  reduzierende  Wirksamkeit  kommt  den  Anaeroben 
zu,  bei  welchen,  wie  bereits  dargelegt,  diese  Thätigkeit  für  die 
direkte  Sauerstoffaufnahme  der  aeroben  Arten  als  Energiequelle 
einzutreten  vermag.  Die  reduzierende  Wirkung  der  Bakterien  lässt 
sich  durch  Verwendung  gefärbter  Nährböden  sehr  hübsch  demonstrieren; 
nach  Behring  (Z.  6.  177)  eignen  sich  hierzu  am  besten  Strichkulturen 
auf  mit  Lakmus  gefärbtem  Agar,  die  bei  37°  gehalten  werden;  zu 
demselben  Zweck  wurde  früher  von  Buchner  (A.  3.  361)  Lakmus- 
bouillon verwendet.  Der  blaue  Lakmusfarbstoff  wird  durch  die  redu- 
zierende Thätigkeit  der  Bakterien  entfärbt;  es  bildet  sich  ein  farb- 
loses Leukoprodukt.  Durch  starkes  Schütteln  mit  Luft  geht  dasselbe 
infolge  von  Oxydation  wieder  in  den  blauen  Farbstoff  über.  Lakmus- 
gelatine verwendete  F.  Cahen  (Z.  2.  386)  und  konnte  hierbei  kon- 
statieren, dass  alle  Bakterien,  welche  die  Gelatine  verflüssigen,  auch 
Reduktionen  bewirken;  die  Entfärbung  ging  in  vielen  Fällen  infolge 
von  Diffusion  der  Stoffwechselprodukte  über  den  Verflüssigungsbereich 
weit  hinaus.  Auch  unter  den  nichtverfiüssigenden  Bakterien  "fanden 
sich  reduzierende  Arten.  Ausser  Lakmus  sind  noch  Methylenblau  von 
Spina  (C.  2.  71),  ferner  indigschwefelsaures  Natrium  von  Kitasato 
und  Weyl  (Z.  8.)  sowie  Rosolsäure  von  Sommarttga  (Z.  12.  290)  zur 
Erkennung  von  Reduktionsvorgängen  in  Bakterienkulturen  empfohlen 
worden.  Die  Ergebnisse  solcher  Versuche  können  auch  oft  in  differen- 
tial-diagnostischer  Hinsicht  verwertbare  Aufschlüsse  liefern. 

Die  reduzierenden  Wirkungen  der  Bakterien  scheinen  in  vielen 
Fällen  durch  nascierenden  Wasserstoff  hervorgebracht  zu  werden, 
worüber  weiter  unten  bei  der  H2S-Produktion  noch  eingehend  gehan- 
delt werden  soll.  In  anderen  Fällen  überträgt  das  Protoplasma  Wasser- 
stoff und  Sauerstoff;  so  wird  z.  B.  nach  Loew  (B.  Ch.  1890.  675) 
bei  Luftabschluss  und  gleichzeitiger  Gegenwart  von  Äthylalkohol  und 
Kaliumnitrat  der  N  des  letzteren  zu  Ammoniak  reduziert  und  der 
Alkohol  zu  Essigsäure  oxydiert;  es  findet  also  eine  Wanderung  des 
H-  und  O-Atoms  statt,  die  sich  nach  Loew  durch  den  sehr  heftigen 
Bewegungszustand  des  Protoplasmas   erklärt;    derselbe  rege  die  Mole- 


170  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

küle  des  Salpeters  und  Alkohols  zu  energischem  Mitschwingen  an 
und  ermögliche  auf  diese  Weise  den  Austausch  der  Affinitäten.  In 
ganz  ähnlicher  Weise  wirkt  nach  Loew  Platinmohr,  welches  durch 
den  an  seiner  Oberfläche  verdichteten  Sauerstoff  denselben  lebhaften 
Schwingungszustand  auszulösen  vermag. 

Es  kommen  also  gleichzeitig  mit  den  Reduktionsvorgängen  auch 
mächtige  Oxydationen  zustande,  die  entweder  wie  in  dem  soeben  be- 
trachteten Falle  durch  Atomaustausch  oder  wie  bei  freiem  Luftzutritt 
nach  der  Annahme  von  Hoppe  -Seyler  durch  Aktivierung  des  Sauer- 
stoffs mittelst  nascierenden  H  bewirkt  werden. 

IL  Die  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff 

bei  der  Fäulnis  und  bei  gewissen  krankhaften  Harnzersetzungen  (Hydro- 
thionurie)  ist  eine  längst  bekannte  Thatsache.  Schon  Chevallier  (cit. 
nach  Rosenheim  und  Gutzmann,  D.  88.  Nr.  10)  vermutete,  dass  es  sich 
hierbei  um  eine  Gährungserscheinung  handle.  Mit  Bestimmtheit  ver- 
lieh Ranke  (cit.  ebd.)  dieser  Ansicht  Ausdruck,  dem  es  bereits  gelang, 
durch  Übertragung  solchen  zersetzten  Harns  auch  im  gesunden  Urin 
H2  S-Entwicklung  zu  erzeugen.  Die  Isolierung  bestimmter  Mikroorga- 
nismen aus  derartigem  Harn,  deren  Reinkultur  dann,  in  sterilisierten 
Harn  überimpft,  H2 S-Entwicklung  bewirkte,  gelang  zuerst  F.  Müller 
(B.  87.  Nr.  23)  und  Hartling  (Üb.  d.  Vorkommen  von  H2S  im  Harn. 
Diss.  Berlin  1886),  später  Rosenheim  u.  Gutzmann  (F.  87.  345  und 
D.  88.  Nr.  10)  und  neuerdings  Karplus  (V.  131.  210).  Ferner  war 
schon  1879  von  Miquel  (r:  B.  Ch.  12.  2152)  in  Jauche,  Trink-  und 
Regenwasser  eine  anaerobe  Bakterienart  gefunden  worden,  welche  aus 
Eiweisskörpern  oder  bei  Anwesenheit  von  Schwefel  oder  vulkanisiertem 
Kautschuk  H2S  bildete.  Schwefelwasserstoff  erzeugende  Bakterien  aus 
Wasser  und  Schlamm  wurden  ferner  von  Holschewnikoff  (F.  89, 
201)  beschrieben;  Strassmann  und  Strecker  (r:  C.  4.  Nr.  3)  fanden 
ein  solches  bei  der  Leichenfäulnis.  Neuere  Versuchsreihen  von  Stag- 
nitta-Balistreri  (A.  16.  10),  sowie  von  Petri  und  Maassen  (A. 
G.  8.  319  u.  490)  haben  nachgewiesen,  dass  die  Schwefelwasserstoff- 
bildung unter  den  Bakterien  sehr  weit  verbreitet  ist;  die  letzteren 
Autoren  fanden  bei  sämtlichen  von  ihnen  untersuchten  Arten,  worunter 
sich  auch  alle  wichtigen  pathogenen  Arten  befanden,  unter  geeignetenEr- 
nährungsbedingungen  deutliche  Schwefelwasserstoffproduktion;  auch  bei 
denjenigen  Bakterien,  welche  in  den  Versuchen  Stagnitta-Balistreri's 
ein  negatives  Resultat  ergeben  hatten,  nämlich  beim  Mikrokokk.  tetra- 
genus,  beim  Milzbrand-  und  Diphtheriebacillus,  beim  Wurzelbacillus, 
Heu-   und  Kartoffelbacillus,  wurde  H,S  mit   Sicherheit  nachgewiesen. 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  171 

Der  scheinbare  Widerspruch  der  beiden  Arbeiten  erklärt  sich  offenbar 
durch  Verschiedenheiten  der  Ernährungsbedingungen;  so  zeigten  Petei  u. 
Maassen,  dass  in  peptonfreien  Substraten  bei  manchen  Arten  die  H2S- 
Bildung  ausbleibt,  während  sie  in  5 — 10%  Pepton  enthaltenden  Nähr- 
lösungen bei  allen  Arten  ausnahmslos  in  Erscheinung  trat.  Die  Energie 
der  H2 S-Produktion  hält  mit  der  Wachstumsenergie  gleichen  Schritt; 
sie  ist  je  nach  dem  Gehalt  des  Substrats  an  Nährstoffen  und  locker 
gebundenem  Schwefel,  sowie  nach  der  Art  der  Erreger  bedeutenden 
quantitativen  Unterschieden  unterworfen. 

Selbst  ganz  geringe  Differenzen  in  der  Beschaffenheit  des  Nähr- 
bodens, wie  der  Unterschied  zwischen  koaguliertem  und  frischem  Ei- 
weiss,  bewirken  nach  Holschewnikofe's  und  Stagnitta-Balisteeei's 
Versuchen  erhebliche  Änderungen  im  Ausfall  des  Versuches.  Eine 
scharfe  Trennung  zwischen  Sulfidbildnern  und  Nichtsulfidbildnern  halten 
Petei  u.  Maassen  hiernach  für  unthunlich.  Durch  gleichzeitig  sich 
abspielende  anderweitige  Stoffwechselvorgänge  kann  die  Schwefel- 
wasserstoffbildung teilweise  verdeckt  werden;  so  fand  Rubnee  (A. 
12.  78),  dass  bei  ausgiebiger  Lüftung  einer  Kulturflüssigkeit  die 
Schwefelwasserstoffproduktion  erheblich  vermindert  wurde,  die  Sulfate 
dagegen  eine  sehr  bedeutende  Vermehrung  erfuhren;  es  ist  also  wahr- 
scheinlich der  erzeugte  H2S  zu  H2S04  oxydiert  worden.  Als  Quellen 
des  H2S  sind  ausser  komplizierten  schwefelhaltigen  Molekülen,  wie  z.B. 
Eiweissstoffen,  noch  alle  diejenigen  Stoffe  zu  nennen,  welche  Schwefel 
in  leicht  reduzierbarer  Form  enthalten,  als  Sulfate,  Sulfide,  Thiosulfate 
und  regulinischer  Schwefel.  Letzterer  giebt,  in  feinverteilter  Form 
flüssigen  Kulturen  zugesetzt,  bei  allen  bisher  untersuchten  Arten  zur 
Bildung  von  H2  S  Anlass.  H2  S-Entwicklung  aus  Sulfaten  ist  von 
Rubnee  und  Beijeeinck,  aus  Sulfiden  und  Thiosulfaten  von  Beijeeinck, 
Holschewnikoef  und  Zelinsky  (r:  C.  C.  1.  6)  unter  Ausschluss  an- 
derer S- haltiger  Verbindungen  festgestellt.  Andere  schwefelwasser- 
stoffbildende Bakterien  scheinen  hingegen  ganz  auf  kompliziertere 
Stoffe  angewiesen  zu  sein;  so  konnte  Kaeplus  (a.  a.  0.)  feststellen, 
dass  ein  von  ihm  gefundenes  Bakterium  im  Harn  nur  aus  dem  Neutral- 
schwefel H2S  zu  entwickeln  vermochte,  den  oxydierten  Schwefel  da- 
gegen gar  nicht  angriff.  Über  die  quantitative  Beteiligung  von  Sulfaten 
und  organischen  Schwefelverbindungen,  sowie  über  das  Verhältnis 
der  H2S-Ausscheidung  zum  gesamten  Schwefelstoffwechsel 
der  Bakterien  hat  Rubnee  (A.  16.  78)  Untersuchungen  angestellt. 
Er  fand,  dass  zwischen  Sulfidbildnern  und  Nichtsulfidbildnern  im  ge- 
samten Schwefelstoffwechsel  eine  sehr  grosse  Ähnlichkeit  besteht;  in 
beiden  Fällen  werden  die  organischen  Schwefelverbindungen  in  stärkerem 
Masse  herangezogen  als   die  Sulfate;    22,8—40,1  %    des   dargebotenen 


172  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Schwefels  fanden  sich  in  der  Leibessubstanz  der  Bakterien  wieder. 
Besonders  interessant  ist,  dass  in  einem  Falle  bei  einer  Proteuskultur 
trotz  intensiver  H2S-Entwicklung  nicht  nur  keine  Verminderung, 
sondern  sogar  eine  Vermehrung  der  Sulfate  stattgefunden  hatte; 
hier  waren  also  Sulfate  als  Stoffwechselprodukte  der  Bakterien  erzeugt 
worden. 

Nach  der  chemischen  Natur  der  Substanzen,  welche  als  Quellen 
der  H2 S-Entwicklung  zu  dienen  vermögen,  kann  der  Chemismus 
dieses  Prozesses  in  zweierlei  Weise  gedacht  werden:  als  Reduktions- 
prozess  oder  als  Resultat  einer  Spaltung.  Erstere  Art  der  Ent- 
stehung muss  überall  da  angenommen  werden,  wo  H2  S  aus  oxydiertem 
oder  regulinischem  Schwefel  entsteht,  weil  hier  eine  andere  Art  der 
Entstehung  überhaupt  nicht  möglich  ist;  bei  der  Bildung  von  H2S 
aus  Eiweissstoffen  aber  könnte  ebensowohl  auch  eine  Abspaltung  prä- 
formierter H2  S-Gruppen  unter  dem  Einfluss  des  Bakterienlebens  zu- 
stande kommen,  ganz  wie  sie  bei  viel  einfacheren  Eingriffen,  z.  B.  beim 
Erhitzen  des  Eieralbumins  oder  sterilisierter  Würze  beobachtet  ist. 
Neuerdings  haben  jedoch  Petei  u.  Maassen  (a.  a.  0.)  versucht,  auch 
diese  Fälle  als  Reduktionswirkungen  aufzufassen.  Ihre  allgemeine 
Theorie  über  die  Entstehung  des  biogenen  H2  S  gründen  sie  auf  die 
Annahme,  dass  unter  dem  Einfluss  des  Bakterienlebens  nascierender 
Wasserstoff  entstehe,  der  neben  anderen  wohl  bekannten  Reduktions- 
vorgängen auch  die  Hydratation  des  in  Säuren  oder  komplizierten  Ver- 
bindungen vorhandenen  Schwefels  bewirke.  Als  Hauptstütze  für  diese 
Ansicht  lässt  sich  die  Thatsache  anführen,  dass  bei  Gegenwart  fein 
verteilten  regulinischen  Schwefels  alle  Bakterienarten  H2  S  entwickeln, 
was  überhaupt  gar  nicht  anders,  als  durch  reduzierende  Wirkung 
nascierenden  Wasserstoffs  zu  erklären  ist.  Ferner  spricht  hierfür  die 
von  Petki  u.  Maassen  konstatierte  Thatsache,  dass  nur  diejenigen 
S-haltigen  Verbindungen,  welche  ihren  Schwefel  ganz  oder  teilweise 
an  nascierenden  H  abgeben,  den  Bakterien  als  Quelle  der  H2S- 
Produktion  zu  dienen  vermögen,  während  diejenigen,  welche  ihren 
Schwefel  nur  durch  tiefgreifende  Spaltung  abgeben,  hierzu  unfähig 
seien.  Andererseits  bildet  auch  das  Argument,  dass  freier  Wasser- 
stoff bisher  nur  bei  Anaeroben,  nicht  aber  bei  Aeroben  gefunden 
sei,  kein  Hindernis  für  die  Petri  -  MAASSEN'sche  Anschauung;  bei 
Aeroben  geht  eben  der  nascierende  H  sogleich  in  chemische  Ver- 
bindungen ein. 

Überhaupt  ist  nach  den  angeführten  Versuchen  nicht  daran  zu 
zweifeln,  dass  in  gewissen  Fällen  die  H2S-Bildung  durch  nascierenden 
H  vermittelt  wird;  auch  die  Existenz  analog  wirkender,  stark  redu- 
zierender Stoffe,    wie  z.  B.  des  von  de  Rey-Pailhade    (r:  K.  9<>.  32 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  173 

und  C.  R.  soc.  biol.  1893.  46)  in  Hefezellen  nachgewiesenen  „Philo- 
thions"  kann  als  Erweiterung  der  PETRi-MAASSEisr'schen  Theorie 
angesehen  werden.  Gegen  die  allgemeine  Geltung  derselben  jedoch 
lässt  sich  manches  einwenden.  So  hat  Rubner  mit  Recht  dagegen 
geltend  gemacht,  dass  die  Thatsache  der  synthetischen  Entstehung 
des  H2S  in  Kulturen,  die  regulinischen  Schwefel  enthalten,  noch  lange 
nicht  denselben  Modus  der  Entstehung  für  schwefelfreie  Substrate 
beweist;  im  Gegenteil  sah  er  vielfach  beim  Fehlen  des  regulinischen 
Schwefels  in  der  sonst  in  gleicher  Weise  zusammengesetzten  Nährlösung 
Ausbleiben  der  H2S-Produktiou.  Es  liegt  also  nahe  anzunehmen,  dass 
dieH2S-Entwicklung  aus  komplizierteren  Molekülen,  als  Eiweissstoffen  etc., 
nicht  auf  indirektem  synthetischen  Wege,  durch  Reduktion  zu- 
stande kommt,  sondern  vielmehr  einer  Spaltung  des  Moleküls,  wobei 
präformierte  H2S-Gruppen  frei  werden,  seine  Entstehung  verdankt. 
Zwar  hatten  auch  Petri  und  Maassen  sich  einer  derartigen  An- 
schauung insofern  angenähert,  als  sie  betonten,  dass  der  zur  Erzeugung 
des  H2S  erforderliche  nascierende  Wasserstoff  auch  aus  demselben 
Molekül  entstehen  könne,  welches  den  Schwefel  dazu  hergiebt,  dass  also 
hier  eine  Wanderung  des  Wasserstoffs  im  Molekül,  eine  „innere  Re- 
duktion" zustande  komme;  doch  halten  sie  ersichtlich  auch  hier  die  Not- 
wendigkeit des  nascierenden  Wasserstoffs  für  die  Schwefel  wasserstoff- 
entwicklung  fest,  während  Rubner  einfach  die  Existenz  des  H2S  als 
eines  Abspaltungsproduktes  von  Eiweissmolekülen  konstatiert,  ohne  über 
den  vorläufig  unbekannten  Modus  desselben  sich  zu  verbreiten.  In  der 
That  stehen  nun  auch  auf  diesem  Punkte  der  Petri -MAASSEN'-schen 
Anschauung  gewichtige  Bedenken  gegenüber.  So  betont  Beijerinck 
(a.  a.  0.),  dass  manchen  Bakterien,  welche  freien  Wasserstoff  in  grossen 
Mengen  ausscheiden,  wie  die  anaeroben  Granulobakterarten,  und  sehr 
intensive  Reduktionsvorgänge  Joewirken,  doch  das  Vermögen  fehlt,  H2S 
aus  Sulfaten  zu  bilden;  ferner  ist  es  in  Rubner' s  Versuchen  höchst 
auffallend,  dass  die  orange  Sarcine  trotz  lebhaftester  H2S-Entwicklung 
doch  Nitrate  nicht  zu  Nitriten  zu  reduzieren  vermag.  Auch  die  von 
Rubner  gefundene  Thatsache,  dass  bei  energischer  Durchlüftung  der 
Kulturflüssigkeit,  wobei  an  die  Wirksamkeit  nascierenden  Wasserstoffs 
nicht  wohl  gedacht  werden  kann,  doch  die  H2 S- Ausscheidung  fort- 
besteht, bereitet  der  PETRi-MAASSENschen  Anschauung  mindestens 
grosse  Schwierigkeiten. 

Jedenfalls  ist  hiernach  die  ausschliessliche  Auffassung  jeder 
H2S-Entwicklung  als  eines  Reduktionsprozesses  bedenklich  erschüttert, 
und  man  wird,  wie  dies  auch  Petri  und  Maassen  in  ihrer  letzten  Mit- 
teilung thun,  für  gewisse  Fälle  die  Möglichkeit  der  Entstehung  des  H2S 
als  eines  primären  Spaltungsproduktes  anerkennen  müssen. 


174  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Ganz  ähnlich  liegt  die  Frage  nach  der  Entstehung  des  häufig  neben  dem  H2S 
auftretenden  und  zuerst  von  Nencki  (M.  Ch.  10.  526)  bei  der  Fäulnis  nach- 
gewiesenen Merkaptans.  Auch  hier  kann  entweder  eine  synthetische  Ent- 
stehung aus  gleichzeitig  erzeugtem  B>S  und  Alkylen  vorliegen,  oder  das  Merkaptan 
bei  der  Spaltung  der  Eiweisskörper  als  fertige,  relativ  resistente  Gruppe  abge- 
spalten werden.  Wahrscheinlich  kommen  in  der  That  beide  Prozesse  vor  und 
ist  die  Entstehung  des  Merkaptans  bei  verschiehenen  Arten  verschieden.  Für  die 
Existenz  der  synthetischen  Bildung  des  Merkaptans  spricht  der  Befund  bei  dem 
von  Maassen  entdeckten  Bac.  esterificans ,  bei  welchem  in  den  ersten  Tagen  der 
Kultur  intensive  Entwicklung  von  Merkaptan,  später  aber  eine  durch  den  Ge- 
ruch nach  Ananasäther  sich  kundgebende  Esterbildung  vorliegt;  ferner  fand 
Rübner  (A.  19. 187)  in  gährenden  Hefekulturen,  die  aus  beigemengtem  feinverteilten 
Schwefel  gleichzeitigH2S  entwickelten,  Erzeugung  von  Aethylmerkaptan.  Anderer- 
seits spricht  für  die  Möglichkeit  einer  direkten  Abspaltung  der  Merkaptangruppe 
die  von  Rubner  gefundene  Thatsache,  dass  Eiweissstoffe  beim  Schmelzen  mit 
Kali  Merkaptan  abgeben.  Sporen  von  Penicillium  glaucum,  Reinkulturen  von 
Hefe  und  Bac.  prodigiosus  entwickelten  bei  derselben  Behandlung  nur  wenig 
Merkaptan;  also  sind  abgestorbene  Zellleiber  keine  sehr  ergiebige  Merkaptanquelle; 
doch  spricht  dieses  Resultat  indirekt  für  die  thatsächliche  Existenz  der  Ab- 
stossung  von  Merkaptangruppen  aus  dem  als  Nahrung  dargebotenen  Eiweiss- 
molekül,  bevor  es  zum  Aufbau  der  Leibessubstanz  von  der  Bakterienzelle  ver- 
wendet werden  kann. 

Auch  Sulfate  können,  wie  oben  erwähnt,  nach  Rubnee's  Ver- 
suchen gelegentlich  als  Stoffwechselprodukte  der  Bakterien  auftreten; 
bei  den  Schwefelbakterien  bilden  sie  nach  Winogeadsky  das  wich- 
tigste Stoffwechselprodukt,  welches  in  seiner  Bedeutung  für  die  dyna- 
mogene  Ernährung  dieser  Mikroben  der  C02  -  Ausscheidung  anderer 
Lebewesen  gleichzustellen  ist.  —  Der  Kreislauf  des  Schwefels  im  Stoff- 
wechsel der  Bakterien,  speziell  die H2S- Ausscheidung  hat  wahrscheinlich 
eine  grosse  Bedeutung  in  der  Natur:  einerseits  für  die  grosse  Fauna  und 
Flora,  die  speziell  auf  H2S  als  Lebensbedingung  angewiesen  ist,  anderer- 
seits auch  für  die  chemischen  Formen,  in  denen  der  Schwefel  auf  der 
Erde  auftritt;  so  ist  nach  Beijeeinck  (a.  a.  0.)  der  Gehalt  ausgedehnter 
Schlammlager  am  Grunde  von  Seen  und  besonders  am  Boden  des 
schwarzen  Meeres  an  Schwefeleisen  auf  die  Thätigkeit  von  Sulfidbak- 
terien zurückzuführen;  auch  erklärt  sich  nach  demselben  Autor  die 
Armut  mancher  Grundwässer,  z.  B.  im  südlichen  Holland,  an  Sul- 
faten vielleicht  durch  die  reduzierende  Thätigkeit  anaerober  Mikro- 
organismen. 

III.  Die  Bildung  von  Farbstoffen 

ist  unter  den  Mikroorganismen  ausserordentlich  verbreitet.  Rotes  Pig- 
ment wird  beispielsweise  gebildet  von  der  Rosahefe,  vom  Mikrokokkus 
cinnabareus,  Bac.  prodigiosus,  Bac.  indicus  ruber,  Spirillum  rubrum,  den 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  j_75 

roten  Schwefelbakterien  u.a.m.;  grünenFarbsto  ff  erzeugen  unter  anderem 
der  Bac.  pyocyaneus  und  die  ihm  nahestehenden  Arten,  B.  fluoresc.  putidus, 
B.  erythrosporus,  B.  fluoresc.  liquefac,  Feick's  Bac.  des  grünen  Sputums; 
blauer  Farbstoff  findet  sich  beim  B.  cyanogen.,  beim  BEUEEiNCK'schen 
Bac.  cyaneo-füscus,  violetter  beim  Bac.  janthinus,  brauner  beim  Bac. 
fuscus,  schwarzbrauner  bei  der  Cladothrix  dichotoma,  schwarzer 
bei  einigen  Torulaarten,  gelber  bei  zahlreichen  Mikrokokken,  Sarcinen 
und  Bacillen,  orangegelber  beim  Staphylokokkus  pyogenes  aureus,  der 
Sarcina  aurantiaca  etc.  Ihrer  physiologischen  Dignität  nach  sind  nun 
aber  diese  Farbstoffe  sehr  verschieden;  nach  Beijeeinck  (B.  Z.  1891) 
kann  man  hiernach  folgende  drei  Hauptgruppen  der  chromogenen 
Bakterien  unterscheiden:  1.  Chromophore  Bakterien,  bei  denen  der 
Farbstoff  in  der  Leibessubstanz  selbst  abgelagert  ist  und  wahrschein- 
lich eine  bestimmte  biologische  Bedeutung  hat,  analog  dem  Chlorophyll 
der  höheren  Pflanzen;  hierher  gehören  zunächst  die  wenigen  durch 
van  Tieg-hem  und  Engelmann  (cit.  nach  de  Baet,  Vgl.  Morphologie 
der  Pilze  etc.  1884)  beschriebenen  Bakterienarten,  welche  echtes  Chloro- 
phyll führen  und  nachweislich  genau  wie  die  höheren  Pflanzen  im 
Lichte  Sauerstoff  ausscheiden,  ferner  vor  allem  die  schon  mehrfach 
erwähnten  roten  Schwefelbakterien,  deren  Farbstoff  nach  neueren 
Untersuchungen-  Engelmann's  (Pf.  42)  ebenfalls  ein  echtes  Chromo- 
phyll  sein  und  im  Lichte  Sauerstoffausscheidung  veranlassen  soll. 
2.  Chromopare  oder  echte  Pigmentbakterien  scheiden  den  Farbstoff 
als  nutzloses  Exkret  aus,  und  zwar  wahrscheinlich  oft  nicht  als  solchen 
präformiert,  sondern  in  Form  einer  ungefärbten  Vorstufe,  eines  Leuko- 
körpers,  der  dann  mit  dem  atmosphärischen  Sauerstoff  sich,  erst  zu 
dem  gefärbten  Produkt  verbindet;  die  Individuen  selbst  sind  also  farb- 
los und  lassen  sich  unter  veränderten  Versuchsbedingungen  leicht  in 
farblosen  Varietäten  züchten;  hierher  gehört  insbesondere  der  Bac. 
prodigiosus,  der  Bac.  cyanogenes,  B.  cyaneo-fuscus,  B.  pyocyaneus.  Die 
Farbstoffe  diffundieren  häufig  weit  in  das  Nährsubstrat,  wie  z.  B.  beim 
Bac.  fluoresc.  non-liquefac,  Cladothrix  dichotoma,  oder  lagern  sich  in 
Krystallen  in  der  Kulturmasse  ab,  wie  beim  Bac.  cyaneo-fuscus  und 
den  weiter  unten  zu  beschreibenden  Lipochrombildnern.  3.  Para- 
chromophore  Bakterien  bilden  den  Farbstoff  zwar  als  Exkret,  doch 
haftet  er  ihrer  Hülle  an;  hierher  sollen  B.  janthinus  und  violaceus 
gehören. 

Die  Bedingungen  der  Farbstoffproduktion  fallen  bei  den 
chromophoren  Bakterien  vollständig  mit  den  Lebensbedingungen  zu- 
sammen, da  bei  ihnen  die  Farbstoffbildung  ein  notwendiges  Glied  des 
allgemeinen  Lebensprozesses  darstellt.  Die  anderen  chromogenen  Mikro- 
ben hingegen  bedürfen  zur  Ausübung  der  Farbstoffbildung,  welche  für 


176  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

sie  gewisserniassen  eine  Luxusproduktion  darstellt,  gewisser  optimaler 
Bedingungen,  während  sie  unter  minder  günstigen  Verhältnissen  farb- 
lose Kulturen  bilden,  aber  immer  noch  lebhaft  wachsen.  Betr.  der 
Nährstoffzufuhr  ist  bereits  oben  erwähnt,  dass  Gessaed  einen  gewissen, 
0,25  °  0  übersteigenden  Gehalt  an  Phosphaten  als  notwendige  Vor- 
bedingung für  die  Erzeugung  des  fluorescierenden  Farbstoffs  des  Bac. 
pyocyaneus  nachwies;  in  ähnlicher  Weise  zeigt  Feick  (V.  116),  dass 
sein  Bac.  virescens  den  grünen  Farbstoff  in  mineralischer  Nährlösung 
trotz  üppiger  Kulturentwicklung  nicht  bildet,  sondern  ihn  offenbar 
nur  aus  hochkomplizierten  Molekülen  abzuspalten  vermag.  Auf  ver- 
schiedenen Nährböden  sind  auch  häufig  die  Nuancen  des  Farb- 
stoffs verschieden,  z.  B.  in  den  Kulturen  des  Prodigiosus,  Cyanogenes, 
Pyocyaneus  auf  Gelatine  einerseits,  Kartoffel  andererseits.  Von  ein- 
greifendster Bedeutung  für  das  Zustandekommen  gefärbter  Kulturen 
ist  reichlicher  Zutritt  freien  Sauerstoffs;  insbesondere  Liboeius  (Z.  1. 
115)  hat  nachgewiesen,  dass  schon  bei  massiger  Behinderung  des 
Luftzutritts,  z.  B.  durch  Bedeckung  mit  einer  Olschicht,  die  Farbstoff- 
produktion sistiert  wird,  während  das  Wachstum  ungehemmt  bleibt; 
hiernach  schien  der  Schluss  geboten,  dass  die  Bakterien  zunächst  nur 
ein  Leukoprodukt  ausscheiden,  welches  bei  Luftzutritt  zu  dem  gefärb- 
ten Stoffe  oxydiert  wird.  Indessen  existieren  auch  Bakterien,  die  ihren 
Farbstoff  gerade  nur  bei  Luftabschluss  bilden,  so  das  Spirillum 
rubr.  von  Esmarch.  Bei  manchen  chromogenen  Arten  ist  die  Farb- 
stoffproduktion nicht  innerhalb  des  ganzen,  das  Wachstum  gestatten- 
den Temperaturbereichs,  sondern  nur  in  engeren  Grenzen  möglich; 
am  bekanntesten  ist  wohl  das  Beispiel  des  Bac.  prodigiosus,  der  nach 
Schottelius  (Biolog.  Stud.  üb.  d.  Mikr.  prodigios.  Leipzig  1887)  bei 
Brüttemperatur  völlig  farblose  Kulturen  bildet.  Dieudonne  (A.  G.  9. 
492)  hat  ein  ähnliches  Verhalten  auch  für  mehrere  andere  Arten  kon- 
statiert, gleichzeitig  aber  gefunden,  dass  durch  eine  allmähliche  An- 
gewöhnung an  diese  ungünstigen  Temperaturen  die  Farbstoffproduktion 
annähernd  oder  vollständig  restituiert  werden  kann.  Gegen  das  Licht 
verhalten  sich  die  chromogenen  Arten  sehr  verschieden;  notwendige 
Vorbedingung  ist  dasselbe  allein  für  die  Farbstoffbildung  des  Mikro- 
kokkus  ochroleucus  von  Peove  (B.  B.  IV),  der  im  Dunkeln  farblos 
wächst,  im  Lichte  schwefelgelbe  Kulturen  bildet;  andere  Farbstoff - 
bildner,  wie  Feick's  Bac.  virescens,  sind  gegen  massige  Belichtung 
indifferent,  während  noch  andere  durch  Licht  geschädigt  werden,  wie 
z.  B.  ein  von  Geoteneeld  (F.  89.  41)  beschriebener  Bacillus,  der 
seinen  roten  Farbstoff  nur  im  Dunkeln  bildet.  Durch  längere  Fort- 
züchtung oder  schädigende  Einwirkungen  können  farblose  Rassen 
entstehen;     besonders     ist    dies    vom    B.    cyanogenes    (Behe,    C.    8. 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  177 

485)    und  Pyocyaneus  (u.  A.  Chaeein  u.  Phisalix,    C.  R.  114.  1565) 
bekannt. 

Die    chemische  Untersuchung   der   Pigmente    hat   ergeben, 
dass  sie  sehr  verschiedenen  Gruppen  von  Körpern  angehören.    Am  ge- 
nauesten ist  ein  Farbstoff  des  B.  pyocyaneus,  das  Pyocyanin,  von  Gessaed 
untersucht;  dasselbe  ist  eine  den  Ptomamen  nahestehende  Base,  dessen 
Sulfat   und  Chlorid   in   rötlichen   Nadeln    krystallisieren,    und    dessen 
Lösungen  krystallinisch  gefällt  werden  durch  Goldchlorid,  Platinchlorid, 
Kaliumcmecksilberjodid,  Quecksilberchlorid,  Tannin,  Phosphormolybdän- 
säure; aus  einem  Gemisch  von  Ferridcyankalium  und  Eisenchlorid  fällt 
das  Pyocyanin  allmählich  Berlinerblau.     Ferner  sind  von  Babes  noch 
3   andere    Farbstoffe    des    Bac.    pyocyaneus   beschrieben   worden:    ein 
azurblauer,  der  auf  Säuren  und  Alkalien  in  ähnlicher,  aber  noch  feinerer 
Weise  wie  Lakmus  reagiert,  und  2  dichroitische  Farbstoffe.     Auch  ein 
gelbbrauner  Farbstoff,  Pyoxanthin,  ist  von  Foedas   aus  Pyocyaneus- 
kulturen  isoliert  worden.     Die  fluorescierende  Substanz  des  Bac.  fluo- 
resc.  liquefac.  ist  von  Hoeea  (M.  91.  Nr.  14)  als  EiweisskÖrper  erkannt 
worden,  der  jedoch  nur  in  ammoniakalischer  Lösung  fluoresciert.   Das 
Ammoniak  scheint  auch  noch  in  mehreren  anderen  Fällen  ein  Bestand- 
teil des  Farbstoffs  zu  sein;  so  ist  nach  Hueppe  und  Scholl  (F.  89.  807) 
der  in  Milch  gebildete  Farbstoff  des  Bac.  cyanogenes  ein  Salz,  bestehend 
aus  Ammoniak  und  einer  fetten  Säure.  Der  Farbstoff  des  Bac.  prodigiosus 
hat  nach  Geieeiths  (C.  R.  115.  321)  die  Zusammensetzung  C38  H56  N05 
und  zeigt  in   seinem   Spektrum  je   einen  Absorptionsstreifen  im  Blau 
und  im   Grün.     Dieser  Farbstoff  war  bereits   früher,    von   Scheoetee 
(B.  B.  I.  Heft  2,  109),  allerdings  ohne  Verwendung  von  Reinkulturen, 
eingehend    untersucht    worden;    hierbei    hatte    sich    eine    interessante 
Übereinstimmung  mancher   chemischer  Reaktionen  desselben 
mit  denen  von  gleichfarbigen  Anilinfarbstoffen  herausgestellt;  ähn- 
liche Übereinstimmungen  waren  auch  von  Erdmann  (J.  pr.  Ch.  1866. 
385)  beobachtet  worden.   Der  Farbstoff  des  Bac.  cyaneo-fuscus  ist  nach 
Beijeeinck   mit    dem  Indigblau    sehr   nahe    verwandt,    vielleicht    gar 
identisch.    Endlich  sind  noch  neuerdings  von  Zope  (B.  Z.  89.  Nr.  5/6  und 
B.  G.  IX.  22)  und  Oveebeck  (Nova  Acta  d.  K  Leop.  Carol.  Deutschen 
Akad.  d.  Naturf.  Bd.  55.  Nr.  7)  in  Bakterien  Farbstoffe  von  fettartigem 
Charakter,     Lipochrome,    isoliert    worden;     dieselben    machen    auf 
Papier  Fettflecken,  lassen  sich  verseifen,  geben  die  Acrolei'nreaktion  und 
zeigen  bei  Behandlung  mit  Schwefel-  oder  Salpetersäure  Blaufärbung 
(Lipocyan).    Gelbe  Lipochrome  mit  zwei  charakteristischen  Absorptions- 
streifen bei  F  und  G,  sog.  Dilipoxanthine,  werden  von  B.  egregium  Z., 
B.  Chrysogloia  Z.  und  von  Staphylokokk.  pyogen,  aur.  gebildet;  rote,  mit 
einem  Absorptionsstreifen  beiF,  sind  bei  zwei  Mikrokokken  nachgewiesen. 

Flügge,  Mikroorganismen.   3.  Auflage.  I.  12 


178  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

IV.  Die  Veränderung  der  Reaktion   des  Nährsubstrats   durch 
Bildung  von  Säuren  oder  Alkalien 

lässt  unbeschadet  der  Verschiedenheit  der  erzeugten  chemischen  Pro- 
dukte doch  einen  gewissen  Einblick  in  die  allgemeine  Natur  des  Stoff- 
wechsels zu,  indem  ein  gegebener  Mikroorganismus  unter  bestimmten 
Versuchsbedingungen  entweder  saure  Affinitäten  freimacht  oder  solche 
sättigt.  Freilich  ergeben  sich  je  nach  der  Natur  des  Nährmaterials  und 
vor  allem  durch  gleichzeitige  Gährungen  oft  ganz  veränderte  Verhält- 
nisse. Hierauf  sind  auch  die  häufig  geradezu  widersprechenden  An- 
gaben  der  Autoren  zurückzuführen. 

Zur  Erkennung  der  Reaktionsveränderung  bediente  sich  zuerst  Buchner 
(A.  3.  418)  des  Zusatzes  von  Lakmus  zu  den  Nährböden;  doch  traten  bei 
dieser  Versuchsanordnung  besonders  in  eiweiss-  und  peptonhaltigen  Medien  in 
störender  Weise  die  Reduktionswirkungen  der  Bakterien  hinzu.  Eine  Verbesserung 
der  Methode  erreichte  Petruschky  (C.  6.  657)  durch  Verwendung  von  Lakmus- 
Molke.  Sommaruga  (Z.  12.  273)  prüfte  die  Reaktion  der  Stoffwechselprodukte 
beim  Wachstum  in  den  gewöhnlichen  Nährmedien  durch  nachträgliche  Titration 
der  ausgewachsenen  Kultur  mit  Rosolsäure;  in  einigen  Versuchsreihen  setzte  er 
den  Indikator  gleich  von  vornherein  dem  Nährmedium  zu.  Freilich  kommen 
hierbei  häufig  wieder  intensive  Reduktionsvorgänge  ins  Spiel,  die  jedoch  nach 
Sommaruga's  Angabe  leicht  von  den  Veränderungen  der  Reaktion  zu  unter- 
scheiden sind  und  das  Resultat  nicht  beeinträchtigen.  Phenolphthalein  eignet 
sich  für  diese  Zwecke  nicht,  weil  es  in  den  gebräuchlichen  Nährmedien  erst 
auf  Alkalimengen  reagiert,  die  schon  entwicklungshemmend  wirken.  Kauf- 
mann (C.  10.  Nr.  2/3)  empfiehlt  für  die  Prüfung  der  Säure-  oder  Alkaliproduktion 
als  Nährsubstrat  ein  Dekokt  von  Jequiritysamen ,  welches  bei  neutraler  Reaktion 
von  hellgelber  Farbe  ist,  durch  Säuren  entfärbt  und  durch  Alkalien  grün  gefärbt 
wird.  Ein  hübsches,  für  demonstrative  Zwecke  geeignetes  Verfahren  zur  Er- 
kennung selbst  kleiner  Säuremengen  hat  Beijerinck  (C.  9.  781)  angegeben;  die 
zu  prüfenden  Mikroorganismen  werden  auf  Gelatineplatten  gebracht,  die  mittelst 
einer  Aufschwemmung  von  Kreide  oder  anderer  unlöslicher  Karbonaten  undurch- 
sichtig gemacht  sind;  um  die  säurebildende  Kolonie  entsteht  dann  durch  Auf- 
lösung der  Kreideteilchen  ein  heller  Hof. 

Die  bisher  mit  diesen  Methoden  erreichten  Ergebnisse  sind  folgende. 
Büchner  (a.  a.  0.)  wies  für  den  Bac.  neapolitan.  Emmerich,  den 
Typhusbacillus,  einen  aus  Darminhalt  isolierten  Bacillus,  den  Cholera- 
vibrio und  den  Vibrio  Proteus  intensive  Säurebildung  durch  Zersetzung 
des  Traubenzuckers  nach;  Weisser  (Z.  1.  335  ff.)  bestätigte  im  we- 
sentlichen diesen  Befund.  Petruschky  (C.  7.  49)  fand,  dass  nur 
wenige  Arten,  als  Hühnercholera,  Kaninchenseptikämie,  Mäusesepti- 
kämie  die  Reaktion  der  neutralen  Lakmusmolke  gar  nicht  verän- 
dern; die  Mehrzahl  der  untersuchten  Arten  brachte  eine  deutliche,  so- 
wohl ihrem  Sinne  als  auch  annähernd  ihrer  Grösse  nach  unter  gleichen 
Versuchsbedingungen    konstante    Reaktionsveränderung   hervor;    unter 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  179 

den  Säurebildnern  fanden  sich  in  aufsteigender  Reihe  Mikrokokkus 
tetragenus,  Bacillus  typhi  abd.,  Bac.  crassus  sputigen.,  Bac.  Fried- 
länder, Bac.  prodigiosus,  Bac.  neapolitan.,  Bac.  capsulat.  Pfeiffer,  Bac. 
acid.  lactici;  zu  den  Alkalibildnern  gehörten  Bac.  der  Schweineseuche, 
Proteus  Zenkeri,  Spirill.  Deneke,  rosa  Hefe,  Oidium  lact.,  Staphy- 
lokokkus pyogen,  aureus,  Spirill.  Finkler,  Sarcine,  Proteus  vulgaris, 
Streptokokk.  erysipel.,  Bac.  des  Schweinerotlaufs,  Spirill.  choler. 
asiat.,  Bac.  violaceus,  Bac.  fluoresc.  licpiefac.,  Bac.  indicus  ruber, 
Pyocyaneus,  Cyanogenes.  Sommartjga  (a.  a.  0.)  hingegen  fand,  dass 
die  von  ihm  untersuchten  Arten,  auf  den  gewöhnlichen  Nährmedien 
gezüchtet,  fast  sämtlich  Alkali  bilden;  auf  Agar,  mit  Fleisch- 
wasserpeptonbouillon  bereitet,  wird  überhaupt  nur  Alkali  produziert; 
unter  ungünstigen  Ernährungsbedingungen  bewirken  der  Mikrokokkus 
tetragenus,  der  Wurzelbacillus,  Milzbrandbacillus  und  Heubacillus 
Säurebildung.  Die  Werte  schwanken  schon  bei  verschiedenen  Proben 
von  Bouillon  sehr  erheblich.  Der  scheinbare  Widerspruch  mit  den 
Versuchen  Petruschky's  erklärt  sich  dadurch,  dass  in  dessen  Ver- 
suchen gährfähiges  Material  in  Form  von  Milchzucker  vorhanden  war, 
welches  demgemäss  zur  Bildung  von  Säure  Veranlassung  gab.  Auch 
fand  Sommaeuga  (Z.  15.  291)  in  einer  späteren  Versuchsreihe,  dass 
eine  grosse  Anzahl  von  Bakterien  auf  glycerinhaltigen  Nährböden 
so  viel  Säure  aus  dem  Glycerin  abspalten,  dass  die  sonst  gebilde- 
ten alkalischen  Stoffwechselprodukte  neutralisiert  werden  und  freie 
Säure  auftritt,  was  auch  durch  eine  Angabe  von  Bueki  (A.  19.  29) 
bestätigt  wird.  Die  gleichzeitige  Entstehung  alkalischer  und  saurer 
Stoffwechselprodukte  durch  denselben  Bacillus  aus  2  verschiedenen 
Stoffen  des  Substrats  beobachtete  ferner  Smith  (C.  8.  389);  selbstver- 
ständlich hängt  dann  der  Ausfall  der  Reaktion  des  ganzen  Kultur- 
mediums von  dem  Verhältnis  beider  Substanzen  ab,  ist  also  nicht 
eindeutig.  Nimmt  man  noch  hinzu,  dass  nach  Tataroff's  (Die  Dor- 
pater  Wasserbakterien.  Diss.  Dorpat  1891)  Versuchen  mit  Petruschky- 
scher  Lakmusmolke  die  Tendenz  einer  Art,  Alkali  oder  Säure  zu  produ- 
zieren, ganz  wesentlich  von  den  äusseren  Umständen  abhängt,  und  dass 
die  Resultate  sich  schon  bei  geringen  Differenzen  der  Temperatur,  der 
Zusammensetzung  des  Substrats  etc.  ändern,  so  wird  man  von  einer 
allgemeinen  Einteilung  der  Bakterien  in  Säure-  und  Alkalibildner  ganz 
absehen  müssen;  für  differential-diagnostische  Zwecke  zwischen  man- 
chen Arten  vermag  aber  vielleicht  die  Reaktionsbestimmung,  besonders, 
wenn  es  sich  nur  um  cpialitative  Differenzen  handelt,  etwas  zu  leisten. 

Alle  diese  verschiedenartigen  Stoffwechselprodukte    verteilen    sich 
nun  nicht  etwa  in  der  Weise  auf  die  produzierenden  Pilzarten,  dass  jede 

12* 


180  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Art  nur  einige,  zur  gleichen  Gruppe  gehörige  Produkte  liefert,  sondern 
sehr  häufig  beobachten  wir,  dass  dieselbe  Bakterienart  gleichzeitig 
z.  B.  C02,  Fettsäure,  Ptornaine,  Fermente,  Farbstoff  produzieren  und 
ausserdem  Gährung  erregen  kann  oder  zu  parasitärer  Existenz  und 
Krankheitserregung  befähigt  ist.  Die  Bakterien  entfalten  also  eine 
ausserordentliche  Vielseitigkeit  in  ihren  chemischen  Leistungen. 

Was  sodann  die  Beantwortung  jener  auf  die  Konstanz  und 
Spezifität  der  Stoffwechselprodukte  bezüglichen  Fragen  anlangt, 
so  ergiebt  sich  zunächst  aus  zahlreichen  Beobachtungen,  dass  die  einzelne 
Bakterienart  nicht  etwa  auf  jedem  beliebigen  Nährsubstrat  alle  die 
Stoffe  liefern  kann,  zu  deren  Produktion  sie  überhaupt  befähigt  ist; 
viele  Produkte  setzen  vielmehr  ganz  bestimmte  physikalische  Lebens- 
bedingungen und  eine  bestimmte  Beschaffenheit  des  Substrats  voraus, 
wofür  z.  B.  die  voraufgegangene  Behandlung  der  Bedingungen  der 
Farbstoffproduktion  zahlreiche  Belege  liefert.  Endlich  veranlassen  zu- 
weilen abnorme  Veränderungen  oder  mehr  zufällige  Beimengungen 
des  Nährmediums  das  vorübergehende  Auftreten  abnormer  Produkte. 
Bei  höheren  Pflanzen  beobachtet  man  in  diesem  Sinne  die  massenhafte 
Bildung  von  Amiden  beim  Fortfall  der  C- Assimilation;  ferner  die 
Bildung  vonBenzoesäure,  wenn  den  Pflanzen  Hippursäure  als  N-haltiges 
Nährmaterial  geboten  wird.  Ebenso  vermögen  z.  B.  Schimmelpilze  zu- 
fällig vorhandene  Gallusgerbsäure  in  der  Weise  zu  verarbeiten,  dass 
Gallussäure  und  Glukose  gebildet  werden;  in  analoger  Weise  ist  auch 
die  von  Gosio  (A.  Bi.  92.  253)  beobachtete  Spaltung  von  Arsenver- 
bindungen durch  Penicillium  und  vielleicht  auch  die  mehrfach  erwähnte 
Zerlegung  von  Nitraten  durch  Bakterien  aufzufassen. 

Wenn  nun  also  auch,  wie  von  vornherein  zu  erwarten  war,  keine 
absolute  Konstanz  der  Stoffwechselprodukte  unter  den  verschiedensten 
Versuchsbedingungen  besteht,  so  ist  doch  die  Variationsbreite 
konstant,  und  innerhalb  derselben  vollziehen  sich  die  chemischen 
Leistungen  in  streng  gesetzmässiger  Abhängigkeit  von  den  äusseren 
Faktoren,  so  dass  unter  vollständig  gleichen  Bedingungen  auch  die  er- 
zeugten Produkte  bei  derselben  Bakterienart  stets  die  gleichen  sind. 
Es  ist  also  zulässig,  charakteristische  Stoffwechselprodukte 
als  differential-diagnostisches  Hilfsmittel  zur  Erkennung  und 
Unterscheidung  der  einzelnen  Bakterienarten  zu  benutzen.  Manchmal 
reicht  ein  einzelnes  Merkmal  nicht  aus,  um  diese  Trennung  verschiedener 
Arten  zu  vollziehen,  wie  dies  z.  B.  bei  der  Unterscheidung  zwischen  dem 
Typhusbacillus  und  den  typhusähnlichen  Bacillen  der  Fall  ist;  dann 
wird  die  Charakterisierung  durch  das  Zusammensein  verschiedener 
biologischer  Merkmale  ermöglicht.  Als  Artcharakteristica  werden 
namentlich  die  Produktion  von  Farbstoffen,  Peptonisierung  der  Gelatine 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  \%l 

und  Gährprodukte  benutzt.  Selbst  wenn  diese  charakteristischen  Pro- 
dukte unter  dem  Einfluss  abnormer  äusserer  Bedingungen  in  Wegfall 
gekommen  sind,  lassen  sie  sich  doch  gewöhnlich  wieder  zur  Anschauung 
bringen,  sobald  die  Mikroben  wieder  in  günstige  Bedingungen  versetzt 
werden.  Die  Konstanz  der  chemischen  Wirkung  einer  Art  erhält  sich 
also  selbst  nach  Einwirkung  schädigender  äusserer  Momente.  Die 
Bakterien  verhalten  sich  in  dieser  Beziehung  offenbar  im  ganzen  ähnlich 
wie  die  höheren  Pflanzen,  die  auch  nicht  die  Produktion  bald  dieser, 
bald  jener  spezifischen  Stoff  Wechselprodukte  ablegen  oder  erwerben;  so 
verliert  wohl  der  Schierling  unter  abnormen  Bedingungen  die  Fähig- 
keit, Coniin  zu  produzieren;  doch  kehrt  die  Produktion  wieder,  wenn 
günstigere  Lebensbedingungen  den  überlebenden  Exemplaren  oder 
deren  Nachkommen  die  volle  Ausübung  aller  Lebensfunktionen  ge- 
statten. Nur  bezüglich  der  Gährungs-  und  Krankheitserregung  zeigen 
die  Bakterien  eine  eigentümliche  Abweichung  von  dem  Verhalten  der 
höheren  Pflanzen;  die  Spaltpilze  können  nämlich  diese  Fähigkeiten 
unter  dem  Einfluss  abnormer  äusserer  Bedingungen  auch  dauernd 
einbüssen,  und  dieser  Verlust  vererbt  sich  dann  auf  die  Nachkommen 
durch  mehrere  Generationen,  selbst  wenn  wieder  normale  Existenz- 
bedingungen Platz  gegriffen  haben.  Auf  diese  Punkte,  sowie  auf  die 
Rassenbildung  bei  den  Bakterien  überhaupt  ist  in  einem  besonderen 
Kapitel  „Variabilität"  näher  eingegangen. 

F.   Ptomame,  Toxine  und  Toxalbumine. 

Giftige  Produkte,  die  unter  dem  Einfluss  des  Bakterienlebens  ent- 
stehen, sind  zuerst  aus  Fäulnisgemischen  isoliert  worden.  So  gewannen 
Panum  sein  „extraktförmiges  putrides  Gift",  Bergmann  und  Schmiede- 
berg ihr  Sepsin,  Zuelzer  und  Sonnenschein,  Hager,  Otto,  Selmi  u.  A. 
aus  faulenden  Substanzen  giftige  Extrakte,  die  meist  dem  Coniin,  zu- 
weilen aber  auch  dem  Atropin,  Curare,  Delphinin,  Morphin  etc.  in 
ihrer  Giftwirkung  ähnlich  waren  und  in  ihrem  ganzen  chemischen  Ver- 
halten eine  sehr  nahe  Verwandtschaft  mit  den  pflanzlichen  Alkaloiden 
zeigten.  Eine  genaue  historische  Aufzählung  der  älteren  Arbeiten  über 
Ptomai'ne  würde  hier  zu  weit  führen;  vgl.  Husemann's  Bericht  im  Arch. 
f.  Pharmazie.  3.  R.  Bd.  16 — 22,  ferner  Otto,  Anleitung  zur  Ausmitte- 
lung der  Gifte.  6.  Aufl.  Braunschweig  1885,  Brieger,  Ptomaine.  I — III. 
Berlin  1885  u.  1886  und  Maly's  Jahresber.  f.  Tierchemie.  Selmi 
(B.  Ch.  1878)  schlug  für  die  ganze  Gruppe  dieser  N-haltigen  Basen, 
mit  Einschluss  auch  derjenigen,  welchen  eine  Giftwirkung  fehlte,  den 
gemeinsamen  Namen  der  Kadaveralkaloide  oder  Ptomaine  [pixcoy,a, 
Leichnam)    vor.     Die   bisher   erwähnten   Untersuchungen   hatten    aber 


182  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

noch  nicht  zur  Isolierung  wohl  charakterisierter  chemischer  Individuen 
geführt,  sondern  waren  bei  der  Herstellung  toxischer  Extrakte  von  un- 
sicherer Zusammensetzung  stehen  geblieben. 

Die  Reindarstellung  und  die  Ermittlung  der  Elementarzusammen- 
setzung und  Struktur  eines  Ptoma'ins  gelang  zuerst  Nencki  (Üb.  d. 
Zersetzung  der  Gelatine  u.  d.  Eiweisses.  Bern  1876).  Derselbe  stellte 
aus  gefaulter  Gelatine  einen  krystallinischen  Körper  dar,  welcher  die 
Zusammensetzung   CsHnN  und  mit  Wahrscheinlichkeit  die   Struktur 

OTT 
C6H4    <pTT:! i^tt     hatte;  die  Base  ist  also  isomer  mit  dem  Collidin, 

jedoch  durch  das  Verhalten  beim  Erhitzen  etc.  von  diesem  unterschieden. 
Später  stellten  Gautier  u.  Etard  (C.  R.  94)  aus  gefaulten  Fischen 
2  Alkaloide  dar,  das  Parvolin,  C9H13N  und  das  stark  reduzierend 
wirkende  Hydrocollidin,  CSH13N.  Ferner  erhielten  Guareschi 
u.  Mosso  (A.  Bi.  II)  aus  faulem  Rindfleisch  die  Base  C,0H15N,  E.  u. 
H.  Salkowski  aus  faulem  Fibrin  und  Fleisch  eine  wahrscheinlich  noch 
nicht  ganz  reine  Base,  ferner  Pouchet  (C.  R.  97)  aus  Abwässern  von 
Fleisch-  und  Knochenabfällen  2  sauerstoffhaltige  Produkte,  deren 
Platinsalzen  die  Formeln  (C7H,8N206,  HCl).,  PtCl4  bezw.  (C5H12N204, 
HC1)2  PtCl4  zukamen. 

Die  chemischen  Methoden,  welcher  sich  die  genannten  Autoren  zur  Isolierung 
der  Ptomaine  bedienten,  können  hier  nur  kurz  berührt  werden.  Am  ältesten  ist 
die  Methode  von  Stas-Otto;  die  faulenden  Stoffe  werden  mit  Alkohol  mehrmals 
digeriert  und  dann  mit  Äther  unter  Zusatz  von  Acicl.  tartaric.  etc.  ausgeschüttelt; 
diese  Methode  ist  jedoch  nicht  imstande,  die  Ptomaine  völlig  rein  zu  isolieren. 
Vollkommener  ist  das  Verfahren  von  Dragendorff,  bei  welchem  nach  Analogie 
der  Gewinnung  von  Pflanzenalkoloiden  die  Ptomaine  zuerst  durch  Ansäueruug 
mit  H2S04  in  Sulfate  übergeführt  werden,  die  sich  durch  ihre  Löslichkeit  in 
Alkohol  von  der  übrigen  Masse  trennen  lassen;  durch  Behandlung  mit  Alkalien 
werden  dann  die  Ptomaine  frei  und  lassen  sich  in  Äther  oder  Amylalkohol  auf- 
nehmen. Durch  mehrmalige  Wiederholung  dieser  Prozedur  gelingt  eine  Reiniguno- 
der  Alkaloide.  Freilich  zersetzen  sich  manche  Ptomaine  bei  der  Behandlung 
mit  Alkali;  andere  gehen  wieder  in  den  Äther  nicht  über.  Mit  verbesserten  che- 
mischen Methoden  nahm  Brieger  (Üb.  Ptoma'ine.  I— III.  Berlin  1S85— 86)  das 
Studium  dieser  Körper  in  Angriff.  Der  Grundzug  der  BRiEGER'schen  Methode 
besteht  darin,  dass  das  Filtrat  der  unter  Ansäueruug  gekochten  faulenden  Sub- 
stanzen zuerst  mit  Bleiacetat,  dann,  nach  Entfernung  des  Bleies  durch  HoS,  mit 
Quecksilberchlorid  gefällt  wird;  die  Ptomaine  lassen  sich  dann  schon  teilweise 
durch  die  verschiedene  Löslichkeit  ihrer  Quecksilberdoppelverbindungen,  teilweise 
aber  erst  durch  das  differente  Verhalten  ihrer  Phosphormolybdänsäure-,  Gold- 
chlorid-, Platinchloriddoppelverbindungen  und  Pikrate  trennen;  die  Darstellung  der 
Basen  aus  den  Doppelsalzen  gelingt  dann  durch  Entfernung  der  Metalle  mittelst 
Schwefelwasserstoff,  aus  den  Pikraten  durch  Ansäuerung  mit  Salzsäure  und  wieder- 
holte Ausschüttelung  mit  Äther.  In  einzelnen  Fällen  sind  oft  spezielle  Modi- 
fikationen der  Methode  erforderlich. 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  igß 

Bei  der  Beurteilung  der  mittelst  dieser  Methoden  gewonnenen 
Resultate  ist  jedoch  gewisse  Vorsicht  geboten.  Denn  abgesehen  davon, 
dass  die  Reagentien,  besonders  der  Amylalkohol,  häufig  stark  giftige 
Verunreinigungen  enthalten  oder  selbst  giftig  sind,  ist  es  auch  sehr 
wohl  möglich,  dass  durch  die  eingreifenden  chemischen  Manipulationen 
aus  dem  Eiweiss  oder  ungiftigen  Spaltungsprodukten  desselben  Gifte  ab- 
gespalten werden,  die  dann  fälschlich  als  präexistent  angenommen  und 
derLebensthätigkeit  der  Mikroorganismen  zugeschrieben  werden  können; 
so  hat  z.  B.  Geam  (A.  P.  XX.  116)  darauf  hingewiesen,  dass  das 
Cholin,  welches  nach  Beleges  die  Muttersubstanz  vieler  Ptomai'ne 
darstellt,  gegenüber  chemischen  Eingriffen  sehr  wenig  widerstandsfähig 
ist  und  leicht  das  giftige  Neurin  abspaltet.  Andererseits  ist  es  auch 
möglich,  dass  präexistente  kompliziertere  Giftstoffe  durch  die  schonungs- 
lose chemische  Behandlung  so  tief  gespalten  werden,  dass  nur  einfache 
ungiftige  Produkte  übrig  bleiben;  hierdurch  erklärt  sich  vielleicht  der 
negative  Erfolg  mancher  Untersuchungen.  — 

Mittelst  dieser  Verfahren  gelang  es  nun  Beleges,  eine  grosse  An- 
zahl N-haltiger  Basen  aus  faulendem  Material  darzustellen,  von  denen 
viele  ohne  besondere  toxische  Wirkung  waren,  während  andere  sich 
stark  giftig  zeigten.  Diese  letzteren  giftigen  Basen  fasste  Beleges 
unter  dem  speziellen  Namen  der  Toxine  zusammen. 

1.  Zu  den  ungiftigen  oder  höchstens  in  grossen  Dosen  toxisch 
wirkenden  Basen  gehören: 

Neuridin,  C-H14N2,  sehr  verbreitet,  erhalten  bei  der  Fäulnis 
von  Fleisch,  Käse,  Leim  (in  besonders  grossen  Mengen),  aus  faulenden 
menschlichen  Leichenteilen  vom  dritten  Tage  ab.  Es  ist  seiner  Struktur 
nach  ein  Diamin  und  chemisch  durch  seine  schwerlösliche  Pikrinsäure- 
verbindung ausgezeichnet;  in  ganz  reinem  Zustande  völlig  ungiftig. 

Gadinin,  C7H17N02,  unbekannter  Struktur,  aus  faulenden  Dorschen 
und  faulender  Gelatine  erhalten;  Mäuse  reagieren  auf  grössere  Gaben 
mit  einem  der  akuten  aufsteigenden  Paralyse  ähnlichen  Symptomen- 
komplex. Vielleicht  ist  dasselbe  an  den  Symptomen  bei  Fischver- 
giftung auch  beim  Menschen  beteiligt. 

TT 

Dimetliylamin,   N<,ptTN| 

Triniethylamin,  N(CH3)3. 

Putreszin,  C4Hi2N9,  der  Struktur  nach  Tetramethylendiamin: 
NH2-CH2— CH2-CH2— CH2  -NH2. 

Kadaverin,  CjH^jNo,  der  Struktur  nach  Pentamethylendiamin: 
NH2-CH2— CH2— CH2-CH-2CH2-NH2. 

Wie  das  vorige  in  faulenden  Leichenteilen,  aber  erst  vom  4.  Tage 
ab  nachzuweisen.    Kadaverin  tritt  bei  der  Fäulnis  eher  auf  als  Putreszin. 


]  84  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Beide  vermögen  eine  lokale  entzündungserregende  Wirkung  auszulösen; 
in  grösseren  Dosen  ist  ausserdem  Kadaverin  nach  Behring  (D.  88. 
Nr.  24)  ein  für  Kaninchen,  Meerschweinchen  und  Mäuse  tätliches  Gift. 

Saprin,  ebenfalls  Kadaveralkaloid,  prozentisch  wie  Kadaverin  zu- 
sammengesetzt, aber  durch  Eigenschaften  des  Chlorids  und  des  Gold- 
salzes von  diesem  unterschieden. 

Cholin  tritt  in  den  ersten  Tagen  der  Kadaverfäulnis  auf;  bald 
zersetzt  es  sich  und  als  Zerfallsprodukte  entstehen  Di-  und  Trirnethyl- 
amin,  sowie  Triäthylamin.  Das  Cholin  hat  die  Zusammensetzung 
C5H15  NO 2  und  ist  als  Trimethyloxäthylammoniumhydroxyd:  (CH3)3. 
N.OH.C2H4.OH  aufzufassen.  Mit  Distearylglycerinmetaphosphorsäure 
gepaart  ist  es  im  Lecithin  sehr  verbreitet  im  Organismus  und  entsteht 
wahrscheinlich  durch  Zerlegung  des  Lecithins.  Wirkt  nur  in  sehr 
grossen  Gaben  toxisch. 

Mydatoxin  und  Mydin,  von  Brieger  aus  faulenden  menschlichen 
Leichenteilen  dargestellt;  ersteres  ist  wenig,  letzteres  gar  nicht  toxisch. 
Mydin  hat  stark  reduzierende  Wirkung.  Ferner  isolierte  nach  Briegee' s 
Methoden  A.  Eheenberg  (Z.  physiol.  Ch.  11.  239)  aus  Wurst,  deren 
Genuss  zu  Vergiffcungsersch einungen  geführt  hatte,  neben  Ammoniak 
Cholin,  Neuridin,  Trimethylamin,  Dimethylamin,  wahrscheinlich  auch 
etwas  Methylamin. 

Ferner  gehört  hierher  ein  von  Garcia  (Z.  physiol.  Ch.  17.  543) 
aus  fauligem  Pferdefleisch  isoliertes  Ptoma'in  von  der  Zusammen- 
setzung C6H10N2,  das  vielleicht  als  Hexamethylendiamin  aufzu- 
fassen ist. 

2.  Zu  den  schon  in  kleinen  Dosen  stark  giftigen  Basen  ge- 
hören: 

Peptotoxin,  der  giftige  Bestandteil  mancher  Peptone;  entsteht 
z.  B.  bei  der  Verdauung  von  Fibrin  durch  künstlichen  Magensaft,  wahr- 
scheinlich auch  durch  die  peptonisierende  Thätigkeit  von  Bakterien. 
Durch  Kontrollversuche  überzeugte  sich  Brleger,  dass  aus  gleich  be- 
handeltem unzersetzten  Eiweiss  kein  derartiges  Gift  sich  abspalten  lässt. 
Die  Zusammensetzung  des  Peptotoxins  ist  noch  unbekannt;  Frösche 
und  Kaninchen  werden  unter  Lähmungs-  und  Insensibilitätserschei- 
nungen getötet.1) 


1)  Nach  E.  Salkowski  (V.  124.  409)  ist  das  Peptotoxin  Brieger's  kein  nor- 
males Produkt  der  Fibrinverdauung;  er  konnte  unter  7  künstlichen  Verdauungs- 
versuchen nur  einmal  giftige  Produkte  erhalten  und  schliesst  demnach,  dass  die- 
selben entweder  zufällige  durch  ßakterienwirkung ,  oder  artefizielle ,  durch  die 
chemische  Präparation  entstandene  Beimengungen  darstellen.  Die  Erwiderung 
Brieger's  und  die  Diskussion  heider  Autoren  s.  D.  91.  Nr.  20—31. 


Gotschxich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  185 

Neurin,  aus  5 — 6  Tage  gefaultem  Fleisch  gewonnen.     Es  hat  die 

Zusammensetzung  C5H13NO,  unterscheidet  sich  also  von  Cholin  durch 

ein  Minus  von  einem  Molekül  H20  und  ist  aufzufassen  als  Trimethyl- 

CH  \ 
vinylammoniumhydroxyd,   (CH3)3.C2H3.N.OH  (Vinylgruppe  =  qjjM' 

Das  Neurin  ist  schon  in  kleinen  Dosen  giftig  für  Frösche  und  Säuge- 
tiere; für  1  Kilo  Katze  sind  5  Milligr.  die  tötliche  Dosis.  Als  Ver- 
giftungssymptome beobachtet  man  Speichelfiuss,  Dyspnoe,  zuest  Be- 
schleunigung, dann  Absinken  der  Herzaktion;  daneben  heftige  Darm- 
peristaltik, diarrhoische  Entleerungen,  Konvulsionen  und  Kollaps.  Das 
Vergiftungsbild  ist  dem  durch  Muscarin  erzeugten  am  ähnlichsten.  Als 
wirksamstes  Antidot  erwies  sich  Atropin. 

Das  Neurin  entsteht  höchstwahrscheinlich  aus  dem  Cholin  des 
Lecithins  durch  Wasserabspaltung;  Jeseeich  und  Niemann  (R.  93. 
813)  haben  den  Nachweis  geliefert,  dass  eine  Reihe  von  Bakterien- 
arten diese  Umwandlung  vollziehen.  Daneben  sind  aber  auch  rein 
chemische  Eingriffe  imstande,  Neurin  aus  Cholin  abzuspalten. 

Eine  dem  Athylendiamin  ähnliche  und  isomere  Base  von  der 
Formel  C2  H4  (NH2)2  wurde  bei  der  Fischfäulnis  erhalten. 

Muscarin,  C5H15N03.  Oxydationsprodukt  des  Cholins,  längst 
als  Gift  des  Fliegenpilzes  bekannt,  von  Beiegee  ebenfalls  in  faulenden 
Fischen  gefunden. 

Bei  der  Fäulnis  menschlicher  Leichenteile  erhielt  Beiegee  neben 
den  oben  genannten  ungiftigen  auch  toxische  Basen,  aber  erst  vom 
7.  Tage  ab,  und  reichlich  erst  nach  2—3  Wochen.  Für  die  chemische 
Charakterisierung  reichten  die  gewonnenen  Mengen  nicht  aus.  Das 
eine  Ptomai'n  erzeugte  bei  Kaninchen  starke  Diarrhöen,  das  andere, 
My dal ei'n  genannt,  bewirkte  zunächst  Pupillen dilatation.  Injektion 
der  Ohrgefässe,  Steigerung  der  Körpertemperatur,  starker  Speichel- 
fiuss und  Kotabgang,  schliesslich  unter  Dyspnoe  und  Temperaturabfall 
der  Tod. 

Aus  gefaultem  Pferdefleisch  gewann  Beiegee  ein  in  seiner  Wirkung 
dem  Curare  ähnliches,  nicht  näher  charakterisiertes  Toxin,  sowie 
Methylguanidin  (vielleicht  durch  Oxydation  des  Kreatinins  ent- 
standen); in  einer  Dosis  von  0,01  gr  injiziert  tötet  es  Frösche  unter 
fibrillären  Zuckungen,  tetanischen  Krämpfen  und  diastolischer  Herz- 
lähmung. 

Aus  den  giftigen  Miesmuscheln,  welche  1S85  in  Wilhelmshafen 
eine  Massenvergiftung  verursachten,  hat  Beiegee  (D.  85.  Nr.  53)  eine 
giftige  Base,  das  Mytilotoxin,  C6H15N02  isoliert.  Merkwürdiger- 
weise waren  die  Muscheln  nicht  in  Fäulnis  begriffen,  sondern  äusserten 
ihre  toxische  Wirkung  im  frischen  Zustande.    Hier  muss  also  entweder 


186  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

eine  Produktion  von  Ptomainen  durch  die  Muscheln  selbst  oder  eine  Auf- 
nahme solcher  Gifte  aus  dem  umgebenden  Wasser  stattgefunden  haben. 

Ferner  ist  hier  noch  das  von  Vaughan  (A.  7.  420)  aus  Vanille- 
eis und  aus  Milch,  die  mit  Buttersäureferment  infiziert  worden  war, 
dargestellte  Tyrotoxicon  zu  erwähnen,  welches  seinem  chemischen 
Verhalten  nach  den  Diazobenzolverbindungen  nahestehen  soll.  Die 
toxischen  Wirkungen  bestehen  in  Diarrhoe  und  schweren  Allgemein- 
erscheinungen. — 

Von  der  Überlegung  ausgehend,  dass  im  Darmkanal  des  Men- 
schen stets  intensive  Fäulnisprozesse  stattfinden  und  demnach  die  Be- 
dingungen zur  Entstehung  von  Ptomainen  gegeben  sind,  versuchte 
man  auch,  in  frischen  Organteilen  und  Abscheidungsprodnkten  des 
lebenden  Organismus  nach  Ptomainen  zu  fahnden.  Man  stellte  sich 
z.  B.  vor,  dass  ähnlich,  wie  die  ihren  Ursprung  im  Darmkanal 
nehmenden  gepaarten  Schwefelsäuren  und  das  Indican,  so  auch  etwaige 
bei  der  Darmfäulnis  entstehende  Ptomaine  im  Harn  auftreten  könnten. 
In  der  That  hatten  auch  schon  Bence,  Jones  u.  Dupre  einen  alkaloid- 
ähnlichen  Körper  im  Harn  nachgewiesen,  dem  sie  wegen  der  blauen 
Fluorescenz  seiner  schwefelsauren  Lösung  den  Namen  „Quinoidine 
animale"  beilegten;  ferner  isolierte  Gautier  (Journ.  de  l'anat.  et  de 
physiol.  XVII.  333)  aus  normalem  menschlichen  Harn  ein  fixes,  äusserst 
giftiges  Alkaloid.  Um  so  auffallender  war  es,  dass  nach  eingehenden 
Untersuchungen  von  Stadthagen  (Z.  M.  15.  H.  5  u.  6),  sowie  von 
v.  Udranszky  und  Baumann  (Z.  physiol.  Ch.  XIII.)  Ptomaine  im 
normalen  Harn  und  normalen  Fäces  nicht  nachzuweisen 
waren.  Nur  in  einem  Falle  von  Cystinurie  konnten  die  beiden 
letztgenannten  Autoren  während  einer  langdauernden  Beobachtungs- 
zeit Diamine  (Kadaverin  und  Putreszin)  im  Harn  konstant  nach- 
weisen; in  ähnlichen  Fällen  konstatierten  auch  Stadthagen  und 
Brieger  (B.  89.  Nr.  16)  und  Roos  (Z.  physiol.  Ch.  12.  192)  Diamin- 
urie.  Schon  die  Seltenheit  des  Vorkommens  solcher  Ptomaine  im 
Harn  musste  darauf  hinweisen,  dass  hierzu  ganz  besondere  Beding- 
ungen, vielleicht  die  Lebensthätigkeit  bestimmter  Mikroorganismen 
im  Darmkanal,  zusammenwirken  müssen;  die  letztere  Vermutung  ge- 
wann um  so  mehr  an  Wahrscheinlichkeit,  als  Garcia  nachwies,  dass 
Flüssigkeiten,  die  mit  Fäces  des  v.  Udranszky  -  BAUMANNschen 
Patienten  geimpft  waren,  eine  stark  erhöhte  Bildung  von  Diaminen 
aufwiesen  und  sogar  unter  solchen  Umständen,  wo  bei  Kontroll- 
flüssigkeiten keine  Diaminbildung  stattfand,  z.  B.  bei  Luftabschluss 
innerhalb  der  ersten  Tage.  Ferner  war  schon  durch  Brieger  be- 
kannt, dass  in  Cholerastühlen  reichlich  Kadaverin  und  Putreszin  ent- 
halten  seien,  übereinstimmend  mit  der  noch  nachher  zu  erwähnenden 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  1§7 

Bildung  dieser  Körper  in  den  Reinkulturen  dieser  Mikroben.  Aus 
frischen  Organteilen  von  Typhusleichen  hatte  ferner  Dixon  Manns 
(r:  J.  88.451)  neben  Cholin  eine  neius  giftige  Base  gewonnen,  während  in 
Leichen,  bei  denen  keine  spezifische  Infektionskrankheit  die  Todesursache 
gewesen  war,  sich  nur  das  erstere  vorfand;  ob  eine  direkte  Beziehung 
zwischen  dieser  neuen  Base  und  der  Lebensthätigkeit  der  Typhusbacillen 
bestehe,  rnusste  er  freilich  unentschieden  lassen.  Dann  war  es  Hoefa  (A. 
Ch.  39.  273)  gelungen,  bei  der  experimentell  erzeugten  Kanin  chensepti- 
kämie  aus  den  Organen  der  erlegenen Kaninchen  ein  Toxin  von  der  chemi- 
schen Zusammensetzung  des  Methylguanidins  zu  isolieren.  Griffiths  und 
Lodek  (C.  R.  117.  744)  fanden  im  Harn  bei  Influenza  die  giftige  Base 
C9H9N04,  die  im  normalen  Harn  nicht  vorkommt  und  ihre  Existenz 
vielleicht  der  Lebensthätigkeit  der  Influenzabacillen  verdankt;  ein 
anderes  Ptomai'n  Hess  sich  bei  Pneumonie  im  Harn  nachweisen.  Von 
fast  allen  auf  diese  Weise  gefundenen  Ptomai'nen  musste  es  aber  durch- 
aus zweifelhaft  bleiben,  ob  sie  wirklich  direkte  Stoffwechselprodukte 
der  Bakterien  seien,  oder  nicht  vielmehr  indirekt  durch  rein  chemische 
Änderungen  des  Gesamtstoffwechsels  in  der  betr.  Infektionskrankheit, 
durch  Abspaltung  aus  Gewebsbestandteilen  ohne  jede  Mitwirkung  der 
Mikroben  zustande  kommen.  Gatjtier  hatte  ja  schon  1872  angenommen, 
dass  auch  im  normalen  Stoffwechsel  der  tierische  Organismus,  gerade 
so  wie  der  pflanzliche,  Alkaloide,  sog.  Leukomai'ne  erzeuge,  wozu  er 
z.  B.  die  Gruppe  der  Extraktivstoffe,  Xanthin,  Kreatinin  etc.  rechnete. 
Die  Erforschung  der  aus  dem  lebenden  Organismus  oder  frischen  Teilen 
desselben  dargestellten  Alkaloide  giebt  daher  keinen  sicheren  Beitrag 
zur  Erkenntnis  der  Produkte  der  Bakterien,  wenn  auch  einzelne  Be- 
funde mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  darauf  hindeuten  mussten,  dass 
verschiedene  Bakterienarten  auch  verschiedene  und  spezifische  Ptomai'ne 
erzeugen. 

Die  wertvollsten  Versuche  auf  diesem  Gebiete  sind  also  die  mit 
Reinkulturen.  Auch  hier  stammen  die  ersten  Befunde  von  Brieger 
(B.  86.  281)  her.  Aus  Reinkulturen  von  Staphylokokkus  pyogenes 
aureus  und  Streptokokkus  pyogenes  auf  Eleischbrei  Hessen  sich 
nur  ungiftige  Ptomaine  darstellen;  der  Staphylokokkus  produzierte 
vorwiegend  Ammoniak,  der  Streptokokkus  hauptsächlich  Trimethylamin. 
Dagegen  Hess  sich  aus  Kulturen  von  Typhusbacillen  auf  Fleisch- 
brei ein  wohl  charakterisiertes  Toxin,  das  Typhotoxin,  von  der  Zu- 
sammensetzung C7H17N02  gewinnen,  welches  bei  Meerschweinchen 
Speichelfluss,  Diarrhoe,  frequente  Atmung,  Pupillen dilatation  und  den 
Tod  hervorrief.  Aus  Kulturen  vom  Choleravibrio  (B.  87.  303)  ex- 
trahierte Brieger  neben  zwei  nur  in  Spuren  erhältlichen  spezifischen 
Toxinen   reichlich  Kadaver  in;    letzteres    war    auch   in   Kulturen  des 


lg§  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

FiNKLEK-PEiOR'schen  Vibrios  zu  konstatieren.  Als  Stoffwechselprodukt 
des  Choleravibrio  hat  Kunz  (M.  Ch.  1888.  361)  ausserdem  das  Sper- 
min nachgewiesen.  Aus  Kulturen  der  Tetanusbacillen  stellte 
Brieger  (B.  87.  311  und  D.  87.  303)  4  Toxine  dar:  1.  das  sehr 
giftige  Tetanin,  eine  ölige  Substanz,  deren  Platindoppelsalz  die 
Zusammensetzung  C13  H32  N2  04  Pt  Cl6  besitzt;  im  Vergiftungsbilde 
tritt  zuerst  eine  eigentümliche  Starre  auf,  worauf  sehr  bald  klonische 
und  tonische  Krämpfe  mit  tötlichem  Ausgange  folgen;  2.  das  lang- 
samer, aber  ähnlich  wirkende  Tetanotoxin;  3.  das  ähnlich  wirkende 
Spasmotoxin;  4.  eine  unbenannte  Base,  die  neben  den  tetanischen 
Attacken  noch  eine  enorme  Steigerung  der  Speichel-  und  Thränen- 
sekretion  bewirkt.  Doch  sind  diese  Gifte,  wie  aus  dem  weiteren  hervor- 
gehen wird,  noch  nicht  als  die  ursprünglichen,  vom  Tetanusbacillus 
gebildeten  Giftstoffe  anzusehen,  wie  auch  schon  daraus  hervorgeht,  dass 
ihre  Wirkung  auf  den  Tierkörper  sich  nicht  ganz  mit  der  bei  Tetanus- 
infektion beobachteten  deckt. 

Aus  Milzbrandkulturen,  die  früher  mehrfach  vergeblich  auf 
Toxine  untersucht  waren,  gelang  es  Hoffa  (Die  Natur  des  Milzbrand- 
giftes. 1886),  sowie  Heim  u.  Geyger  (L.  Heim,  Lehrbuch  d.  bakteriol. 
Untersuchung  und  Diagnostik.  S.  229  u.f.)  solche  giftige  Substanzen  dar- 
zustellen. Ferner  fand  Novy  (r:  C.  9.  Nr.  25)  in  Kulturen  des 
Schweineseuchebacillus  das  giftige  „Susotoxin",  ebenso  v.  Schwei- 
nitz  (r:  C.  9.  Nr.  24)  in  Kulturen  des  Hog-Cholerabacillus  neben 
Kadaverin  und  einem  primären  Amin  ein  Ptomain,  dessen  Platindoppel- 
salz die  Zusammensetzung  C{ 4  H3 4  N2  Pt C1B  zukam,  das  jedoch  nur 
geringe  toxische  Wirkungen  entfaltete. 

Aus  verflüssigten  Gelatinekulturen  des  Proteus  Hauseri  stellte  neuer- 
dings Levy  (A.  P.  24)  durch  Fällung  mit  Alkohol  oder  Chlorcalcium 
ein  Gift  dar,  welches  in  seiner  physiologischen  Wirkung  dem  oben 
besprochenen,  von  Bergmann  und  Schmiedeberg  aus  faulender  Hefe 
isolierten  Sepsin  gleich  und  vielleicht  mit  diesem  identisch  ist.  Levy. 
gelang  es  auch,  in  faulenden  Hefegemischen  den  Proteus  Hauseri  nach- 
zuweisen. — 

3.  Ausser  den  bisher  betrachteten  alkaloidähnlichen  Stoffen  wurden 
bei  den  Reinkulturen  anderer  spezifisch  pathogener  Bakterien  noch 
Gifte  isoliert,  die  eine  eminente  toxische  Wirkung  entfalten,  dabei  aber 
in  ihrem  chemischen  Verhalten  sich  den  Eiweisskörpern  nähern,  wes- 
halb sie  zum  Unterschied  von  den  bisher  besprochenen  Toxinen  als 
Toxalbumine  bezeichnet  wurden.  Gegen  höhere  Hitzegrade  sind  diese 
Körper  in  wässriger  Lösung  meist  sehr  unbeständig;  schon  durch 
Temperaturen  von  etwa  60  °  werden  sie  in  kurzer  Frist,  durch  Kochen 
augenblicklich  zerstört.     Anwesenheit  von  Neutralsalzen  verleiht  nach 


Gotschxich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganisraen.  Jgo, 

Buchner  (A.  17.  138)  eine  etwas  gesteigerte  Resistenz.  Weitere  ge- 
meinsame Charakteristica  dieser  Substanzen  sind,  dass  sie  in  Wasser 
löslich,  aus  der  Lösung  durch  Alkohol  oder  Aussalzen  (Zusatz  von 
Ammoniaksulfat,  Calciumchlorid)  fällbar  sind,  durch  Porzellanfilter  gehen, 
sehr  langsam  oder  gar  nicht  dialysieren  und  die  bekannten  chemischen 
Eiweissreaktionen  geben.  Letztere  liefern  freilich  für  sich  allein,  wie 
u.  A.  Behring-  (Die  Geschichte  d.  Diphtherie.  Leipzig  1893)  undDucLAüx 
(P.  91.  783;  92.  199,  274  u.  369)  betonen,  keinen  einwandfreien  Nach- 
weis für  die  Eiweissnatur  dieser  Stoffe,  da  auch  viele  Spaltungspro- 
dukte des  Eiweiss  jene  Reaktionen  liefern  (vgl.  Heim,  Lehrb.  d.  bakt. 
Unters,  u.  Diagnostik.  1894.  219).  In  vielen  Fällen  ist  das  eigentliche 
Gift  wahrscheinlich  überhaupt  keine  eiweissähnliche  Substanz  und  die 
„Eiweissreaktionen"  rühren  nur  von  den  dem  Gift  anhängenden  Ver- 
unreinigungen her.  In  der  That  gelang  es  ganz  neuerdings  Brieger 
und  Boer  (Z.  21.  267),  die  Giftstoffe  der  Tetanus-  und  der  Diph- 
theriebacillen  durch  Fällung  der  Bouillonkulturen  mittelst 
Zinkchlorid  in  Gestalt  von  Zinkdoppelverbindungen  voll- 
ständig quantitativ  zu  gewinnen,  die  keine  Spur  von  „Eiweiss" 
oder  seinen  Derivaten  im  landläufigen  Sinne  des  Wortes  ent- 
halten, da  alle  Fällungs-  und  Farbenreaktionen  versagen;  trotzdem 
zeigt  die  unverminderte  toxische  Wirksamkeit,  dass  man  den 
spezifischen  Giftstoff  in  der  That  in  dieser  Zinkdoppelverbindung  in 
Händen  hat.  Diese  merkwürdigen  Doppelverbindungen  sind  in  Wasser 
gänzlich  unlöslich,  in  kochsalzhaltigem  oder  schwach  alkalischem 
Wasser  dagegen  löslich;  durch  Einleiten  von  C02  wird  die  Zinkdoppel- 
verbindung als  solche  gefällt.  Sprengung  der  Doppelverbindnng  liess 
sich  bisher  nur  durch  Natriumphosphat  bewerkstelligen,  wobei  die 
Toxine  als  solche,  allerdings  noch  mit  anorganischen  Beimengungen 
behaftet,  in  Freiheit  gesetzt  wurden.  — 

Die  Gewinnung  der  Toxalbumine  geschieht  im  allgemeinen  nach  folgendem 
Gang:  Zunächst  wird  die  Kulturflüssigkeit  von  den  Bakterien  mittelst  Chamber- 
land'scher  Porzellan-  oder,  da  diese  nach  Sirotinin  (Z.  4.  288)  nicht  alle  ge- 
lösten Stoffe  durchlassen,  besser  durch  BERCKEFELD-NoRDTMEYER'sche  Infusorien - 
erdefilter  getrennt;  dasselbe  kann  auch  zuweilen  geschehen  durch  einfaches  Ab- 
heben der  über  dem  Kulturbodensatz  stehenden  klaren  Flüssigkeit,  oder  bei  wenig 
resistenten  sporenfreien  Bakterien  durch  mehrmalige  Erhitzung  nicht  über  50°, 
wobei  manche  Bakterien  absterben;  bei  letzterem  Verfahren  tritt  jedoch  schon 
sehr  leicht  eine  Schädigung  der  überaus  empfindlichen  Toxalbumine  ein.  Die 
keimfreie  Giftlösung  wird  dann  im  Vakuumdestillierapparat,  wie  solche  von  Brieger 
(Z.  M.  17.  Suppl.),  Dzierzgowski  u.  Rekowski  (C.  11.  685)  und  in  sehr  einfacher 
Weise  von  Petri  (A.  G.  6.  374)  angegeben  sind,  bei  konstanter  niedriger  Tem- 
peratur eingedampft;  aus  der  so  koncentrierten  Lösung  erfolgt  dann  die  Aus- 
fällung, wie  oben  erwähnt,  mittelst  Alkohols  oder  Aussalzens;  bei  letzterer  Methode 
wird  nach    Roux  und    Yersin    (P.  S9.    284)    zweckmässig    eine    fraktionierte 


190  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Fällung  vorgenommen,  wobei  die  späteren  Niederschläge  das  Gift  in  reinerem 
Zustande  enthalten,  und  endlich  das  Gift  durch  Dialyse  von  Salzen  etc.  befreit 
und  im  Exsikkator  getrocknet;  es  erscheint  dann  meist  in  Gestalt  eines  weissen, 
leichten,  amorphen  Pulvers.  Ist  das  Gift  durch  Alkoholfällung  gewonnen,  so 
erfolgt  seine  weitere  Reinigung  durch  mehrmaliges  Auflösen  in  Wasser,  wieder- 
holte Alkoholfällung  und  Filtration.  — 

In  die  Gruppe  dieser  Körper  gehört  vor  allem  das  Diphtherie- 
gift, welches  zuerst  von  Roux  u.  Yersin  (P.  88.  629  und  89.  273) 
dargestellt  und  von  diesen  Autoren  seinem  chemischen  Verhalten  nach 
den  Enzymen  an  die  Seite  gestellt  wurde;  später  gelang  die  Dar- 
stellung Brieger  u.  Feänkel  (B.  90.  Nr.  11),  die  jedoch  nach  der 
Widerstandsfähigkeit  des  Giftes  beim  Eindampfen  bei  50°,  selbst  bei 
Gegenwart  überschüssiger  Salzsäure,  die  Zugehörigkeit  desselben  zu 
den  Enzymen  bestreiten  und  es  vielmehr  als  unmittelbaren  Abkömm- 
ling der  Eiweisskörper  und  speziell  der  Serumalbumine  auffassen. 
Die  chemische  Analyse  ergab  nämlich  45,35%  C,  7,13%  H,  16,33%  N, 
1,39%  S,  29,80%  0.  Die  Substanz  paart  sich  mit  Benzoylchlorid, 
nicht  aber  mit  Phenylhydrazin.  In  abgeschwächten,  ungiftigen  Kul- 
turen der  Diphtheriebacillen  war  dieser  wirksame  Eiweisskörper  nicht 
vorhanden;  statt  dessen  fand  sich  eine  un giftige,  der  vorigen 
übrigens  sehr  ähnliche  Verbindung,  die  auch  aus  giftigen  Kulturen 
spurweise  neben  dem  Toxalbumin  erhalten  worden  war.  Ihre  Ana- 
lyse ergab  49,0%  C,  7,0%  H,  15%  N,  2,23%  S  und  26,97%  O. 
Sie  giebt  sämtliche  chemische  Reaktionen  des  wirksamen  Körpers, 
unterscheidet  sich  aber  von  ihm  durch  die  dunkelbraune  Farbe,  die  Lös- 
lichkeit in  verdünntem  Alkohol  und  die  Eingehung  einer  Doppelver- 
bindung mit  Phenylhydrazin.  Dieselben  Autoren  fanden  das  Diphtherie- 
gift auch  im  Blute  einer  frischen  Diphtherieleiche.  Nach  einer  etwas 
abgeänderten  Methode  stellte  Löefler  (D.  90.  109)  aus  Diphtherie- 
kultur auf  Fleischbrei  das  Gift  dar.  Später  wiesen  Wassermann  u. 
Proskaüer  (D.  91.  Nr.  17)  nach,  dass  in  dem  bei  der  Darstellung 
des  Diphtheriegiftes  erzeugten  Alkoholniederschlag  zwei  chemisch  ver- 
schiedene Körper  enthalten  seien,  die  beide  die  Eiweissreaktionen  geben, 
von  denen  aber  nur  der  eine,  schon  mit  60 — 70  %  Alkohol  fällbare, 
das  eigentliche  Gift  enthält.  Die  Fällung  und  Reindarstellung  des 
Diphtheriegiftes  mittelst  Zinkchlorid  in  Gestalt  einer  absolut  eiweiss- 
freien  Zinkdoppelverbindung  ist  bereits  oben  erwähnt.  Freund  und 
Grosz  (C.  M.  95.  Nr.  38)  fanden,  dass  das  Diphtheriegift  durch  Nu- 
kleohiston  und  Nukleinsäure  gefällt  wird.  Histon  übt  diese  Wirkung 
nicht  aus.  Über  die  charakteristische  Wirkung  des  Diphtheriegiftes, 
sowie  der  anderen  Toxalbumine  wird  an  anderer  Stelle  dieses  Werkes 
verhandelt.  Von  seinen  sonstigen  Eigenschaften  ist  noch  zu  erwähnen, 
dass   es  bei  Erhitzung  auf  58°  in  2  Stunden,  bei  Siedehitze  schon  in 


Gotschuch,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  191 

20  Minuten  seine  Giftigkeit  vollständig  verliert;  als  trockenes  Pulver, 
wie  es  von  Roux  und  Yersin  erhalten  wurde,  zeigt  es  bedeutend 
grössere  Resistenz  gegen  Hitze,  verträgt  z.  B.  Einwirkung  von  70  ° 
ohne  Schaden.  Das  Diphtheriegift  wird  ferner  durch  direkte  Inso- 
lation bei  Luftzutritt,  sowie  durch  Säurezusatz  geschädigt;  im  letzteren 
Falle  kann  durch  Neutralisieren  eine  teilweise  Restitution  des  Giftes 
erreicht  werden. 

Andere  äusserst  giftige,  aber  in  ihrer  Wirkung  deutlich  vorn  Diph- 
theriegift unterschiedene  Toxalbumine  stellten  Beleges  u.  Feänkel 
(a,  a.  0.)  aus  Bouillon-  und  Blutserumkulturen  von  Typhus-  und 
Cholerabacillen,  Tetanusbacillen  und  Staphylokokkus  pyogen, 
aur.  (aus  welchem  übrigens  bereits  Cheistmas  [P.  88.  478]  einen 
wirksamen  Eiweisskörper  gewonnen  hatte),  aus  den  Organen  von  an 
Milzbrand  verendeten  Tieren,  aus  dem  Harn  eines  Erysipelkranken 
dar.  Die  aus  den  Kulturen  des  Typhus-  und  Cholerabacillus,  sowie 
des  Staph.  pyog.  aur.  gewonnenen  Körper  unterscheiden  sich  von  den 
anderen  durch  ihre  geringe  Löslichkeit  in  Wasser;  sie  sind  daher  eher 
den  Globulinen,  als  den  Serumalbuminen  verwandt,  lösen  sich  aber 
auch  schwierig  in  verdünnten  NaCl-Lösungen. 

Besonders  genau  gekannt  ist  durch  die  Untersuchungen  von 
Kitasato  (Z.  10.  267)  das  Tetanusgift,  Beim  Erhitzen  auf  65° 
ist  es  in  wenigen  Minuten,  bei  55°  erst  in  1 1/2  Std.  zerstört;  beim 
Eintrocknen  im  Exsikkator  wird  es  nicht  geschädigt,  beim  Trocknen  im 
Brütofen  jedoch  rasch  zerstört;  auch  in  Lösung  wird  es  bei  längerem 
Verweilen  bei  35 — 37°  stark  geschädigt.  Zerstreutes  Tageslicht  zerstört 
das  Gift  in  mehreren  Wochen,  direktes  Sonnenlicht  bei  Luftzutritt  in 
15 — 18  Std.;  bei  Sauerstoffabschluss  dagegen  bleibt  es  nach  Vaillaed 
u.  Vincent  (S  90.  51)  trotz  direkter  Insolation  erhalten.  Kalt  und 
dunkel  aufbewahrt,  ist  es  sehr  lange  haltbar;  auch  wird  es  durch 
beliebige  Verdünnung  mit  Wasser  oder  Bouillon  nicht  geschädigt. 
Gegen  Säuren,  insbesondere  Mineralsäuren,  und  auch  gegen  Al- 
kalien ist  es  ziemlich  empfindlich.  Seine  toxische  Wirksamkeit  ist 
ganz  ausserordentlich.  In  den  Versuchen  von  Beiegee  und  Cohn 
(Z.  15.  444)  genügten  0,000000  3  gr,  um  eine  weisse  Maus  von  20  gr 
binnen  4  Tagen  zu  töten.  Die  früher  besprochenen,  von  Beiegee  aus 
Tetanuskulturen  gewonnenen  Toxine  entfalten  eine  ungleich  geringere 
Wirksamkeit  und  sind  daher  vielleicht  als  Spaltungsprodukte  des  pri- 
mären, sehr  labilen  Toxins  infolge  der  eingreifenden  chemischen  Be- 
handlung anzusehen.  Betr.  der  neuerdings  gelungenen  Reindarstellung 
des  Tetanusgiftes  mittelst  Fällung  durch  Zinkchlorid  vgl.  oben  S.  189. 

Vor  allem  gehört  dann  ferner  hierher  das  von  R.  Koch  (D.  91. 
Nr.   343)     aus    Tuberkelbacillen  -  Kulturen    gewonnene    Tuberkulin, 


192  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

das  durch  Extraktion  von  Massenkulturen  des  Tuberkelbacillus  mit- 
telst Glycerin  dargestellt  und  mittelst  Filtration  durch  Kieseiguhr, 
sowie  durch  mehrmalige  sorgfältige  Ausfällung  mit  60proz.  Alko- 
hol gereinigt  wird.  Die  Asche  enthält  keine  Chloride  und  bestand 
fast  ganz  aus  Kalium-  und  Magnesiumphosphat.  Trockensubtanz:  Die 
Elementaranalyse  ergiebt  folgende,  auf  aschefreie  Trockensubstanz  be- 
rechnete mittlere  Werte: 

47,61  °0  C,  7,26  °/0  H,  14,55  %  N,  1,16  °/0  S. 

Das  Tuberkulin  giebt  alle  Eiweissreaktionen,  wird  durch  Salpeter- 
säure, Phosphorwolframsäure,  Eisenacetat,  Ammoniumsulfat,  Gerbsäure, 
Chlornatrium  und  60proc.  Alkohol  vollständig  ausgefällt;  Pikrinsäure 
bewirkt  einen  bei  Erwärmung  löslichen  Niederschlag,  der  beim  Erkal- 
ten wieder  erscheint.  Verdünnte  Salzsäure  und  Schwefelsäure  bewir- 
ken keinen  Niederschlag.  In  Glycerin  ist  es  leicht  und  vollständig,  in 
60proz.  Alkohol  teilweise  löslich;  der  geringste  Kochsalzzusatz  genügt 
aber,  um  es  aus  der  letzteren,  unvollkommenen  Lösung  wieder  auszu- 
fällen. Das  Tuberkulin  scheint  in  zwei  Modifikationen  von  gleicher 
Wirksamkeit  vorzukommen,  deren  eine  in  Wasser  löslich  ist,  während 
sich  die  andere  darin  nicht  löst.  Die  unlösliche  Modifikation  bildet 
sich  beim  Eindampfen  der  wässrigen  Lösung,  sowie  auch  beim  scharfen 
Trocknen  des  Präparats.  Wässrige  Lösungen  sind  wenig  haltbar 
und  büssen  oft  schon  nach  1 — 2  Wochen  den  grössten  Theil  ihrer 
Wirksamkeit  ein.  Lösungen  des  gereinigten  Tuberkulins  in  50% 
Glycerin  sind  dagegen  sehr  lange  haltbar  und  auch  sehr  hitzebestän- 
dig; selbst  nach  zweistündigem  Kochen  im  Autoklaven  bei  160°  bleibt 
ihre  Wirksamkeit  erhalten.  Durch  diese  Beständigkeit  erscheint  das 
Tuberkulin  von  den  Albumosen,  denen  es  sonst  sehr  nahe  steht,  ver- 
schieden. Die  aus  dem  Tuberkulin  von  W.  Kühne  (Z.  f.  Biol.  N.  F. 
11.  24;  12.  221)  isolierten  Albumine,  Albumosen  und  Peptone  reprä- 
sentieren, wie  Kühne  selbst  ausdrücklich  betont,  keineswegs  das  spe- 
zifisch wirksame  Prinzip  desselben,  sondern  stammen  aus  dem  als  Nähr- 
substrat verwendeten  Handelspepton,  aus  dem  sie  zum  Teil  durch  eine 
der  tryptischen  Verdauung  ähnliche  Thätigkeit  des  Bacillus  entstehen. 
Über  die  Wirkungen  des  Tuberkulins  auf  den  Tierkörper  wird  an 
anderer  Stelle  dieses  Werkes  berichtet. 

Aus  Tuberkulosekulturen  sind  ferner  durch  Weyl  (D.  91.  256) 
das  schon  früher  (vgl.  S.  105)  kurz  besprochene  Toxomucin,  welches 
in  Dosen  von  0, 000  145  gr  bei  Mäusen  lokale  Nekrose  bewirkt,  sowie 
von  Crookshank  und  Herroun  (r:  J.  91.  669)  nicht  näher  chemisch 
charakterisierte,  ziemlich  wenig  wirksame  Produkte  dargestellt  worden. 

Aus  Bouillonkulturen  der  Geflügeltuberkulose  gewannen 
Hericoürt   und  Richet   (S.  91.  103)    eine  toxische  Substanz.     Toxal- 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  193 

buniine  wurden  ferner  von  v.  Schweinitz  (a.  a.  0.)  und  Novt  (a.  a.  0.) 
aus  Hog-Cholerakulturen  neben  den  oben  besprochenen  basischen  Pro- 
dukten isoliert. 

Aus  Kulturen  des  Bac.  lact.  aerogen.  Escherich  stellten  Dents  und 
Beion  (r:  C.  16.  126)  eine  toxische,  durch  Alkohol  und  Aussalzen  fäll- 
bare,  aber  gegen  Erhitzung  sehr  widerstandsfähige  Substanz   dar. 

Beim  Rotzbacillus  ist  es  bisher  noch  nicht  gelungen,  ein  chemisch 
wohl  charakterisiertes  Toxalbumin  zu  gewinnen;  die  aus  Kulturen  des- 
selben durch  Extraktion  gewonnenen  „Malieine"  sind  nicht  als  chemische 
Individuen  anzusehen. 

Aus  Kulturen  des  Choleravibrio  isolierte  Petei  (A.  Gr.  6.  374) 
eine  giftige,  in  ihren  Reaktionen  den  Peptonen  sehr  ähnliche  Substanz, 
die  er  Toxopepton  nannte;  sie  erträgt  Erhitzen  auf  100°  im  strömen- 
den Dampf.  Ahnliche,  aber  gegen  Erhitzung  unbeständige  Giftstoffe 
sind  Scholl's  (r:  J.  90.  382)  Cholera-Toxoglobulin  und  Cholera- 
Toxopepton,  Hueppe's  (D.  91.  Nr.  53)  Cholerapepton  etc.,  die 
diese  Autoren  durch  anaerobe  Züchtung  der  Choleravibrionen  in  Hühner- 
eiern erhielten  und  als  Spaltprodukt  des  Ei  weisses  unter  dem  Einfluss 
der  Lebensthätigkeit  des  Choleravibrio  auffassen;  auch  in  aeroben  Kul- 
turen bilden  sich  diese  Giftstoffe  in  geringer  Menge,  werden  aber  rasch 
oxydiert  und  weiter  zerlegt. 

Neuerdings  hat  Peeifeee  (Z.  11)  in  den  Leibern  der  Cholera- 
vibrionen selbst  Giftstoffe  von  hoher  Wirksamkeit  und  ausserordent- 
licher Labilität  gegenüber  äusseren  Einwirkungen  nachgewiesen;  nur 
durch  Abtöten  der  Kultur  mit  Chloroform  oder  vorsichtiges  Trocknen 
derselben  bei  37  °  lassen  sie  sich  fixieren;  eingreifendere  Reägentien, 
wie  Alkohol,  koncentrierte  Salzlösungen,  Erhitzung,  zerlegen  diese 
„primären  Toxine"  in  die  ungleich  beständigeren  „sekundären  Toxine", 
die  aber  eine  10 — 20  fach  geringere  Wirksamkeit  entfalten.  Die  pri- 
mären Toxine  sind  unmittelbar  an  die  Leibessubstanz  der  Bakterien 
gebunden;  in  filtrierten  Kulturen  fehlen  sie.  Ahnliche,  aber  in  ihrer 
Tierwirkung  vom  spezifischen  Choleratoxin  scharf  unterschiedene  Gift- 
stoffe sind  auch  in  mehreren  choleraähnlichen  Vibrionen  nachgewiesen. 
Im  Gegensatz  zu  diesen  Angaben  Pfeiefee's  haben  in  neuester 
Zeit  Behring  und  Ransom  (D.  95.  18.  Juli)  aus  Cholerakulturen  ein 
lösliches  giftiges  Produkt  erhalten,  welches  sie  für  den  spezifischen 
Giftstoff  ansehen.  — 

Toxalbumine  von  starker  Giftwirkung  wurden  ferner  auch  bei  ge- 
wöhnlichen Fäulnisprozessen  durch  Bakterien gemi sehe  von  Scholl 
(A.  15.  210),  sowie  von  Nielsen  (r:  Z.  92.  368)  in  den  ersten  Tagen 
der  Fäulnis  erhalten;  am  15.  Tage  vermisste  letzterer  Forscher  bereits 
die  Giftstoffe. 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  13 


194  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Endlich  ist  hier  noch  das  von  Centanni  (Ri.  93.  256)  aus  einer 
grossen  Zahl  verschiedener,  teils  pathogener,  teils  saprophytischer 
Bakterienkulturen  gewonnene  „Pyrotoxin"  zu  erwähnen,  welches  im 
Tierversuche  fiebererregende  Wirkungen  zeigt.  Das  Pyrotoxin  ist  kein 
Ei weisskörper  im  jetzigen  Sinne  des  Wortes.  Es  zeigt  eine  ausser- 
ordentliche Beständigkeit  gegen  Erhitzung,  wie  schon  daraus  hervor- 
geht, dass  die  bei  der  Darstellung  angewandte  3  Stunden  dauernde 
Einwirkung  der  Siedehitze  den  Körper  nicht  zerstört.  Vielleicht  ist 
das  Pyrotoxin  aber  überhaupt  kein  in  der  Kultur  präformiertes,  un- 
mittelbares Stoffwechselprodukt  der  Bakterien,  sondern  ein  erst  durch 
die  eingreifende  chemische  Präparation  artificiell  erzeugtes  Abbaupro- 
dukt ursprünglich  vorhandener,  komplicierterer  und  labilerer  Körper; 
diese  letzteren  können  auch  sehr  w^ohl  bei  verschiedenen  Bakterien- 
arten verschieden  und  für  jede  Art  spezifisch  gewesen  sein  und  nur 
bei  Zersetzung  ein  gemeinsames.,  einfacheres  und  darum  resistenteres 
Restprodukt  liefern. 


Die  Entstehung  der  Ptomai'ne,  Toxine  und  Toxalbumine  durch  die 
Lebensthätigkeit  der  Mikroorganismen  kann  offenbar  in  zweifacher 
Weise  gedacht  werden:  entweder  sind  dieselben  Abbauprodukte  der 
Eiweisssubstanzen,  welche  die  Bakterien  bei  der  Spaltung  ihrer  Nähr- 
stoffe übrig  gelassen  haben,  oder  es  handelt  sich  um  integrierende  Be- 
standteile des  Zellleibes  selbst  resp.  um  deren  nächste  Derivate.  Die 
Frage  hat  deshalb  ein  sehr  grosses  Interesse,  weil  im  ersten  Falle  die 
Bildung  jener  Gifte  offenbar  ganz  vom  Nährsubstrat  und  den  Ver- 
suchsbedingungen abhängen  wird,  während  sie  im  letzten  Falle  von 
dem  Leben  und  Wachstum  des  Erregers  unzertrennlich  und,  in  dem- 
selben Umfang  wie  dieses,  von  äusseren  Umständen  unabhängig  sein 
muss.  Als  eine  Modifikation  der  ersten  Vorstellungsweise  ist  noch  die 
Annahme  von  Sidney  Martin  (B.  M.  1892)  anzuführen,  nach  welcher 
das  im  tierischen  oder  menschlichen  Organismus  gebildete  Diphtherie- 
gift mittelbar  durch  die  Wirkung  eines  vom  Bacillus  ausgeschiedenen 
Enzyms  auf  das  Körpereiweiss  entstehen  soll.  Ob  diese  oder  jene  der 
beiden  möglichen  Annahmen  zutrifft,  lässt  sich  durch  Züchtung  auf 
verschiedenen  Nährmedien,  insbesondere  auch  auf  eiweissfreiem  Sub- 
strat entscheiden.  Versuche  derart  sind  noch  nicht  in  allgemeinem 
Massstab  durchgeführt;  doch  soweit  das  vorliegende  Material  Schlüsse 
zulässt,  wird  man  zunächst  den  erstangeführten  Entstehungsmodus  für 
die  BRiEGEE'schen  Ptoma'me  annehmen  müssen.  Die  Bildung  derselben 
hängt  in  weitem  Umfange  von  dem  Nährsubstrat  ab ;  Fleischbreikulturen 
z.B.  geben  eine  besonders  reiche  Ausbeute;  bei  Sauerstoffabschluss  bilden 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  ^95 

sie  sich  in  viel  reichlicherer  Menge,  als  bei  Luftzutritt,  wo  sie  rasch  durch 
Oxydation  zerfallen;  das  Ternperaturoptimum  für  ihre  Entstehung  ist 
nach  KiJANiziN  (Viertel,  f.  ger.  Med.  u.  öff.  San.  3.  Folge.  III.  1)  etwa 
bei  20°.  Dieselbe  Art  der  Entstehung  ist  ebenso  für  manche  Toxal- 
bumine  anzunehmen;  insbesondere  sind  die  von  Hueppe,  Scholl  u.  A. 
aus  anaeroben  Cholera-Eikulturen  gewonnenen  Eiweisskörper  als  Spalt- 
produkte des  Nährsubstrats  anzusehen,  die  nur  unter  den  gegebenen, 
eng  begrenzten  Versuchsbedingungen  zustande  kommen.  Solche  Körper 
werden  daher,  wie  dies  aue-h  von  einigen  BpiEGEB'schen  Ptoma'inen 
direkt  nachgewiesen  ist,  unter  gleichen  Züchtungsbedingungen  von 
vielen  verschiedenen  Mikroorganismen  gebildet  werden  und  demnach 
keine  spezifische  Bedeutung  besitzen.  Von  einer  Reihe  von  Toxal- 
buminen  hingegen  und  speziell  von  den  wichtigsten,  dem  Diphtheriegift, 
dem  Tuberkulin  etc.  ist  mit  Bestimmtheit  anzunehmen,  dass  sie  Be- 
standteile des  Bakterienleibes  oder  unmittelbare  Derivate 
solcher  darstellen,  dass  sie  also  nicht  aus  dem  Nährsubstrat  als  ein- 
fachere Produkte  abgespalten,  sondern  vielmehr  synthetisch  auf- 
gebaut sind.  Daher  kann  ihre  Bildung  auch  in  eiweissfreien 
Lösungen  zustande  kommen,  wie  dies  Guinochet  (A.  E.  92) 
für  das  Diphtheriegift,  W.  Kühne  (Z.  f.  Biol.  N.F.  12.  221),  Peoskauer 
und  Beck  (Z.  18.  152)  für  das  Tuberkulin,  C.  Fränkel  (R.  94.  769)  für 
das  Tuberkulin  und  Malle'in,  Wesbrook  (P.  94.  333)  für  ein  aus  Cholera- 
kulturen dargestelltes  Toxalbumin  nachwiesen.  Diese  Körper  geben  uns 
also  Aufschluss  über  die  charakteristischen  chemischen  Fähigkeiten  und 
die  chemische  Beschaffenheit  der  Leibessubstanz  einer  Bakterienart;  sie 
werden  daher  nur  von  dieser,  mit  Ausschluss  aller  anderen  Aften  ge- 
bildet und  sind  demnach  etwas  für  ihre  Art  absolut  Spezifisches. 
Freilich  mögen  unsere  relativ  rohen  chemischen  Reagentien  gegenüber 
der  Unterscheidung  so  nahe  verwandter  Giftstoffe  verschiedenerBakterien- 
arten  manchmal  versagen;  dann  tritt  als  feinstes  chemisches  Reagens 
das  lebende  Plasma,  das  Studium  der  spezifischen  Tierwirkung  dieser 
Stoffe,  in  sein  Recht. 

G.  Die  isolierbaren  Fermente. 

Unter  Fermenten  oder  Enzymen  versteht  man  kompliziert  zu- 
sammengesetzte organische,  leicht  veränderliche  Stoffe,  welche  inner- 
halb bestimmter  Temperaturgrenzen  relativ  sehr  grosse  Mengen  anderer 
Stoffe  derart  umzuwandeln  vermögen,  dass  Körper  von  zusammen  ge- 
ringerer Verbrennungswärme -entstehen,  als  den  vorher  vorhandenen 
Stoffen  zukam. 

Solche  Fermente   spielen  bei  physiologischen  Prozessen,  nament- 

13* 


196  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

lieh  bei  der  Ernährung  der  Organismen,  eine  bedeutende  Rolle.  Sie 
haben  hier,  allgemein  ausgedrückt,  die  Aufgabe,  Stoffe,  die  als  solche 
nicht  fähig  sind,  in  den  Organismus  einzutreten  oder  in  ihm  verwertet 
zu  werden,  so  umzuwandeln,  class  sie  löslich,  diffusibel  und  als  Nähr- 
stoffe verwendbar  werden.  So  wird  z.  B.  Eiweiss  in  Peptone,  Stärke 
und  Cellulose  in  Zucker  verwandelt;  Fette  werden  gespalten;  der  als 
solcher  im  Protoplasma  nicht  zerlegbare  Rohrzucker  wird  in  die  leicht 
zersetzbare  d-Glukose  und  d- Fruktose  gespalten.  Freilich  können  alle 
diese  Umwandlungen  auch  durch  einfache  chemische  Manipulationen 
bewirkt  werden;  so  kann  Eiweiss  durch  gespannten  Wasserdampf  pep- 
tonisiert,  Rohrzucker  durch  Kochen  mit  Säuren  invertiert  werden;  aber 
diese  Mittel  sind  zu  eingreifend,  um  mit  dem  Bestände  des  Organismus 
selbst  vereinbar  zu  sein,  und  erfordern  auch  einen  weit  grösseren  Stoff- 
und  Kraftaufwand,  um  zu  demselben  Ziele  zu  gelangen.  Die  Organismen 
bedürfen  daher  zu  ihren  Leistungen  sämtlich  notwendig  der  Fermente, 
die  höchst  organisierten  Tiere  ebenso  wie  die  niedersten  einzelligen 
Lebewesen;  bei  ersteren  liegt  die  Fermentproduktion  besonderen  drüsigen 
Organen  ob,  aber  auch  bei  den  Mikroorganismen,  bei  denen  wir  keine 
Organe  mehr  zu  unterscheiden  vermögen,  sind  doch  Fermente  ein  weit 
verbreitetes  und  zur  Ernährung  unumgänglich  notwendiges  Stoff- 
wechselprodukt. 

Die  höchst  auffallende,  allen  Fermentwirkungen  gemeinsame  Er- 
scheinung, dass  eine  minimale  Menge  des  Ferments  genügt,  um  eine 
grosse,  scheinbar  unbegrenzte  Menge  Substanz  umzuwandeln,  und  zwar 
ohne  dass  das  Ferment  selbst  irgend  welche  Veränderungen  erkennen 
lässt,  Hess  diese  merkwürdigen  Prozesse  mit  den  unmittelbaren  Lebens- 
wirkungen niederster  Organismen,  wie  sie  bei  Gährung  und  Fäulnis  statt- 
finden, in  eine  Klasse  setzen.  Lebende  Gährungserreger  und  Enzyme 
wurden  häufig  genug  mit  dem  gemeinsamen  Namen  „Fermente"  belegt. 
Die  Unterscheidung  warum  so  schwieriger,  als  die  Gährungserreger  häufig 
neben  ihrer  unmittelbaren  Gährthätigkeit  gleichzeitig  Ferment  produ- 
zieren und  als  kompliziertere  Gährungsvorgänge  häufig  durch  Ferment- 
wirkung eingeleitet  und  erst  ermöglicht  werden.  Eine  strenge  Scheidung 
beider  Begriffe  ist  erst  nach  eingehendem  Studium  der  Bedingungen 
und  des  Charakters  beider  Klassen  von  Vorgängen  zustande  gekommen. 
Die  Begründung  dieser  Scheidung,  welche  eine  ganz  getrennte  Be- 
handlung der  Ferment-  und  der  Gährungserscheinungen  erfordert, 
liegt  darin,  dass  die  Fermente  von  den  sie  erzeugenden  Lebe- 
wesen vollständig  abgetrennt  werden  können  und  dann  im 
isolierten  Zustand  dieselbe  Wirkung  ungestört  selbständig 
weiter  entfalten,  die  ihnen  vorher  in  Verbindung  mit  der  leben- 
den Zelle    eigen    war,   während    die   Gährthätigkeit  von  dem  Be- 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  197 

stände  des  Lebens  der  Gährungserreger  unzertrennlich  ist 
und,  soweit  bisher  bekannt,  durch  kein  chemisch  isoliertes  Produkt  der- 
selben hervorgebracht  werden  kann. 

Weitere  Unterschiede  beider  Klassen  von  Vorgängen  werden  sich 
aus  der  speziellen  Betrachtung  der  Fermentwirkungen  ergeben. 

Unter  den  isolierbaren  Fermenten  lassen  sich  mehrere  Haupt- 
gruppen unterscheiden,  innerhalb  deren  wiederum  Unterabteilungen  zu 
machen  sind. 

I.  Fermente,  welcheKohlehydrate  und  derenDerivate  spalten. 

a)  Fermente,  welche  den  Abbau  der  Stärke  und  verwandter  Körper 
bewirken. 

Für  diese  Gruppe,  die  sog.  diastatischen  Fermente  schlägt 
Beij^binck  (C.  C.  1.  221)  neuerdings  nach  dem  Vorgange  französischer 
Forscher  die  Bezeichnung  „Amylasen"  vor.  Allen  diesen  Fermenten 
gemeinsam  ist  die  Fähigkeit,  Stärke  in  Zuckerarten  (d-Glukose,  Mal- 
tose etc.)  zu  verwandeln. 

Sie  finden  sieb  sehr  häufig  in  Tieren  und  Pflanzen  vor.  Von  tierischen 
Fermenten  sind  hier  zu  nennen  das  Ptyalin  des  Speichels,  das  diastatische 
Ferment  des  Pankreassaftes ,  das  diastatische  Ferment  in  der  Leber,  welches 
auf  Glykogen  einwirkt,  analog  wirkende  Fermente  im  Harn  (Selmi,  Atti  del 
Lincei  V;  Bechamp  und  Baetus,  C.  R.  92)  und  im  Blut  (Bial,  Röhmann). 
In  Pflanzen  sind  diastatische  Fermente  sehr  verbreitet,  in  besonders  grosser  Menge 
im  keimenden  Samen  von  Gerste,  Weizen,  Hafer,  Buchweizen,  Mais  etc.  in  dem 
stärkehaltigen  Reservestoffbehälter;  ob  die  bedeutende  Umsetzung  der  "Stärke  in 
den  Blättern  höherer  Pflanzen  ebenfalls  unter  der  Mitwirkung  eines  solchen  Fer- 
ments zustande  kommt,  muss  nach  Versuchen  vohWortmam  (B.Z.  90.  581)  zweifel- 
haft erscheinen,  da  es  ihm  nicht  gelang,  in  dem  wässrigen  Auszug  der  Blätter 
Diastase  nachzuweisen;  freilich  hat  hiergegen  Jentys  (r:  K.  93.  279)  eingewendet, 
dass  doch  Diastase  in  den  Blättern  vorhanden  gewesen  sein  könne  und  dass  viel- 
leicht nur  ihre  Löslichkeit  in  Wasser  durch  beigemengte  Gerbstoffe  etc.  verhindert 
worden  ist.  Auch  in  den  Mikroorganismen  sind  diastatische  Fermente  häufig  vor- 
zufinden. So  wies  Marcano  (C.  R.  95)  ein  solches  in  Bakterien  nach,  welche 
häufig  in  der  äusseren  Hülle  der  Maiskörner  vorkommen;  ferner  konstatierte 
Htjeppe  (M.  G.  Bd.  II)  eine  diastatische  Wirkung  der  Milchsäurebacillen,  Miller 
(D.  S5.  49)  eine  solche  bei  einer  aus  menschlichem  Darminhalt  gezüchteten  Bak- 
terienart, Wortmann  (Z.  physiol.  Ch.  VII.  287)  für  Gemische  von  Fäulnisbak- 
terien; nach  Bitter  (A.  5)  übt  auch  der  Choleravibrio,  nach  Vignal  (r:  D.  89) 
der  Kartoffelbacillus  diastatische  Wirkung  aus.  Bei  allen  diesen  Untersuchungen 
und  auch  noch  bei  den  neueren  Mitteilungen  von  Cavazzani  (C.  13.  587)  über 
diastatische  Wirkung  eines  neuen,  aus  Stärkekleister  gezüchteten  Bacillus,  so- 
wie von  Heyder  und  Carraroli  (ref.  bei  Cavazzani)  über  analoge  Wirkung 
des  Bac.  maydis,  von  Maumus  (C.  R.  soc.  biol.  1893.  107)  über  Umwandlung 
von    Kartoffelstärke    in    Zucker    durch    den    Milzbrandbacillus ,    ist    aber    nicht 


198  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

immer  mit  Sicherheit  eine  Mitwirkung  des  Lebensprozesses  der  Erreger  aus- 
geschlossen. Nur  dann  kann  eine  reine  Ferment  Wirkung  sicher  behauptet 
werden,  wenn  es  gelingt,  das  Ferment  isoliert  von  den  lebenden  Bakterien 
darzustellen  und  seine  Wirksamkeit  zu  erweisen.  Zwar  hatten  schon  Marcano 
und  Wortmann  in  dieser  Beziehung  einen  Schritt  gethan;  ersterer  fand,  dass 
auch  die  mittelst  Filtration  durch  Porzellan  oder  Chloroformzusatz  von  den  leben- 
den Bakterien  befreite  Kulturflüssigkeit  noch  diastatische  Wirkung  zeigte;  Wort- 
mann war  es  sogar  schon  gelungen,  durch  Extraktion  seines  Bakteriengemenges 
und  Fällung  mit  Alkobol  ein  isoliertes  wirksames  Ferment  zu  gewinnen;  doch 
war  die  Mirwirkung  lebender  Keime  nicht  als  absolut  ausgeschlossen  zu  er- 
achten, und  verliert  auch  das  Resultat  an  Beweiskraft,  weil  nicht  mit  Rein- 
kulturen, sondern  mit  einem  unkontrollierbaren  Bakteriengemenge  gearbeitet 
wurde.  Neuerdings  gelang  es  jedoch  Fermi  (A.  10.  1  und  C.  12.  713)  für  eine 
grosse  Zahl  von  Mikroorganismen  mit  Sicherheit  eine  echte  diastatische  Fer- 
mentwirkung nachzuweisen  und  die  wirksamen  Fermente  bei  einigen  Arten, 
welche  ein  besonders  intensives  diastatisches  Vermögen  zeigten,  wie  Milzbrand- 
bacillus,  Vibrio  cholerae  asiat. ,  Vibrio  Finkler-Prior,  Spirillum  tyrogenum, 
B.  megaterium,  Heubacillus  etc.  durch  Füllung  mit  Alkohol  zu  isolieren.  Keine 
diastatische  Wirkung  zeigten  Staphylokokk.  pyogen,  citr.,  Mikrokokkus  ascoform., 
B.  prodigiosus,  B.  pyocyan.  und  der  Soorpilz. 

Über  die  Natur  der  durch  diese  bakteriellen  Diastasen  erzeugten  Zucker  ist 
nichts  mitgeteilt,  so  dass  sich  hiernach  der  speziellere  chemische  Charakter  der 
Fermente  nicht  bestimmen  lässt;  übrigens  scheinen  nach  dem  verschiedenen  Ver- 
halten zu  den  Versuchsbedingungen,  z.  B.  zur  Temperatur,  sowie  nach  der  Ver- 
schiedenheit der  quantitativen  Leistung  die  von  differenten  Arten  producierten 
Fermente  chemisch  verschiedene  Körper  darzustellen. 

Betreffs  der  Bedingungen  für  die  Bildung  vonDiastase  durch 
Bakterien  hatte  Wortmann  (a.  a.  0.)  festgestellt,  dass  dieselbe  nur 
bei  Gegenwart  freien  Sauerstoffs  und  nur  dann  stattfinde,  wenn  den 
Bakterien  keine  andere  C-Quelle  ausser  der  Stärke  zur  Verfügung  steht; 
in  eiweisshaltigen  Nährlösungen  wird  kein  diastatisches,  sondern  ein 
peptonisierendes  Ferment  gebildet.  Da  jedoch  Wortmann,  wie  er- 
wähnt, nur  mit  unkontrollierbaren  Bakteriengemischen  arbeitete,  so  ist 
es  sehr  wohl  möglich,  dass  auf  den  verschiedenen  Nährsubstraten  ganz 
differente  Arten  zur  Entwicklung  gelangt  waren.  Fermi  fand  in  seinen 
mit  Reinkulturen  angestellten  Versuchen,  dass  auch  auf  stärkefreiem 
Substrat  Bildung  des  diastatischen  Ferments  stattfinde;  dagegen  ver- 
misste  er  dasselbe  bei  Züchtung  auf  eiweissfreiem  Substrat,  also  unter 
ungünstigeren  Ernährungsbedingungen.  — 

Von  den  Bedingungen  der  fermentativen  Wirksamkeit  der 
Diastase  ist  vor  allem  die  Temperatur  einfiussreich;  das  Optimum 
liegt  bei  etwa  63°;  die  Wirkung  beginnt  schon  bei  +5°  und  er- 
lischt zwischen  65  und  75  °.  Glycerinbeimengung  lässt  die  schäd- 
liche Temperatur  höher  rücken,  Alkoholzusatz  wirkt  in  umgekehr- 
tem Sinne.     Geringe  Acidität  ist  für  die  meisten  diastatischen  Fermente 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  199 

günstig;  Ptyalin  und  Pankreasferment  wirken  dagegen  nur  in  alka- 
lischer Lösung. 

Die  chemische  Wirkung  der  diastatischen  Fermente  auf 
die  Stärke  ist  keine  einheitliche;  es  existieren  mehrere  Gruppen 
solcher  Körper,  die  sich  durch  die  verschiedene  Natur  der  bei  ihrer 
Einwirkung  auf  die  Stärke  entstehenden  Zwischen-  und  Endprodukte 
unterscheiden  und  die  in  den  gebräuchlichen  Diastasepräparaten  häufig 
vereinigt  vorkommen.  Die  ersten  positiven  Angaben  über  das  Vor- 
kommen zweier  Enzyme  im  Gerstenmalz  rühren  von  Dubruneaut 
und  Cuisinier  (cit.  nach  BeiJERiNCK  [C.  C.  1.  229]  her;  die  Trennung 
derselben  gelang  mittelst  ihrer  ungleichen  Diffusionsgeschwin- 
digkeit in  Gelatine  zuerst  Wijsman  (r:  K.  90.  155),  welcher  sie 
nach  Cuisinier' s  Vorgang  als  Maltas e  und  Dextrinase  benannte. 
Diese  „Zweienzymtheorie"  stützt  sich  auf  die  Thatsache,  dass  bei 
Einwirkung  von  Gerstenmalzdiastase  auf  Stärke  bei  Temperaturen 
bis  zu  60  °  viel  mehr  Maltose  als  Dextrine  entsteht,  während  bei 
höherer  Temperatur  die  Dextrine  überwiegen;  ferner  unterscheiden 
sich  die  unter-  und  oberhalb  60°  gebildeten  Dextrine  dadurch,  dass 
letztere  durch  neu  hinzugefügtes  Malzextrakt  in  Zucker  übergeführt 
werden  können,  während  dies  bei  den  unter  60°  gebildeten  nicht  ge- 
lingt. Hiernach  muss  nach  Wusmaist  angenommen  werden,  dass  in 
der  Stärke  zwei  Fermente  existieren:  eines,  die  Maltase,  welche  schon 
bei  55°  zerstört  wird,  verwandelt  Stärke  in  Maltose  und  Erythro- 
granulose  (identisch  mit  Erythrodextrin);  das  andere,  welches  gegen 
diese  Temperatur  noch  resistent  ist,  die  Dextrinase,  verwandelt 
Stärke  in  Isomaltose,  welche  ihrerseits  weiter  durch  Maltase  in 
Maltose  umgewandelt  werden  kann.  Nach  Beijerinck  (a.  a.  0.)  be- 
darf diese  Anschauung  noch  insofern  einer  Korrektur,  als  die  Dextri- 
nase wahrscheinlich  nicht  im  Gerstenmalz  präformiert  vor- 
kommt, sondern  aus  einer  „Granulase",  d.  h.  nach  Beijerinck's 
Definition  einem  Enzym,  das  bei  seiner  Einwirkung  auf  Stärke  Maltose 
und  Achroodextrine  erzeugt,  durch  die  Erhitzung  als  Kunstprodukt  ge- 
bildet wird;  hierbei  soll  die  Granulase  das  Vermögen  der  Maltose- 
produktion verlieren,  während  ihre  Fähigkeit,  Dextrin  zu  erzeugen,  er- 
halten bleibe,  und  hierdurch  zu  Wijsman's  Dextrinase  werden.  Andere 
Granulasearten,  wie  z.  B.  die  im  Mais-  und  Buchweizenmalz  enthaltenen, 
zeigen  eine  solche  Veränderung  bei  Erhitzung  nicht,  woraus  eine 
chemische  Verschiedenheit  der  Granulasen  verschiedener  Herkunft  er- 
sichtlich ist. 

Unter  den  weitverbreiteten  Granulasen  lassen  sich  dann  nach 
Beijerinck:  wiederum  mehrere  Arten  unterscheiden;  davon  sei  hier 
nur    erwähnt    die   Trennung   in  „Alkaligranulasen",    wozu  Ptyalin 


200 


Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 


und  Pankreasferment  gehören,  und  „Säuregranu lasen",  zu  denen 
z.  B.  auch  das  diastatische  Ferment  der  anaeroben  Granulobakterarten, 
der  Erreger  der  Buttersäuregährung,  zu  rechnen  ist. 

Neben  diesen  beiden  Hauptgrnppen  der  Maltasen  und  Granulasen 
ist  als  dritte  gleichwertige  die  der  Glukasen  anzuführen.  Die  Glukase 
wurde  1SS5  von  Cuisinier  im  Maismalz  entdeckt  und  von  Geduld 
(r.:  Koch's  Jahresber.  1891.  250)  rein  dargestellt.  Sie  liefert  als  End- 
produkt d -Glukose  durch  Spaltung  der  Maltose,  vermag  aber  auch 
höhere  Stärkederivate,  z.  B.  Isomaltose  und  Stärke  selbst  zu  spalten. 
Hierbei  werden  aber  Zwischenprodukte  (Maltose  bezw.  Isomaltose)  nur 
vorübergehend  gebildet;  die  Spaltung  geht  stets  vollständig  bis  sur 
d-Glukose  als  Endprodukt.  Die  Glukase  ist  in  Wasser  schwer  löslich; 
ihr  Vorkommen  kann  daher  leicht  übersehen  werden.  Thatsächlich 
sind  Glukasen  nach  Belterinck  (a.  a,  0.),  Röhmann  (B.  Ch.  27. 
3251),  Bial  (Pf.  52.  137)  im  pflanzlichen  und  tierischen  Orga- 
nismus, wenn  auch  nur  in  geringen  Mengen,  doch  sehr  weit  verbreitet. 
Auch  in  Mikroorganismen  sind  dieselben  mehrfach  nachgewiesen,  so 
von  Bourquelot  (cit.  nach  E.  Fischer,  B.  Ch.  28.  1430)  im  Asper- 
gillus niger  und  neuerdings  von  Lintner  (cit.  ebd.  1433),  Belterinck, 
E.  Fischer  (a.  a.  O.)  in  der  Hefe.  Manche  dieser  Fermente  zeigen 
deutliche  Unterschiede  von  derGEDULD'schenMaisglukase;  Beijerinck's 
„Zymoglukase"  z.  B.  ist  gegen  Erhitzung  empfindlicher,  Lintner  u. 
Kröber's  Hefeglukase  vermag  nur  Maltose,  nicht  auch  Dextrin  zu 
spalten.  Eine  Verwirrung  der  ohnedies  schwierigen  Nomenklatur 
auf  diesem  Gebiete  droht  dadurch,  dass  Botjrquelot  und  E.  Fischer 
für  die  im  Aspergillus  bezw.  in  der  Hefe  enthaltene  Glukase  den 
Namen  „Maltase"  vorschlagen,  der  bekanntlich  längst  für  andere  Fer- 
mente vergeben  ist.  Wir  halten  uns  im  Folgenden  an  die  unzweideutige 
Bezeichnungsweise  Beijerinck's.  Nach  diesem  Autor  lassen  sich  die 
chemischen  Leistungen  der  drei  Hauptgruppen  der  Amylasen  folgen- 
dermassen  tabellarisch  veranschaulichen,  wobei  -j-  die  endgiltige,  -|-v  die 
vorübergehende  Erzeugung",  —  das  Fehlen  des  betr.  Produkts  be- 
deuten: 


Amylase- 

Umwandlungsprodukt  aus  Stärkegranulose 

Gattungen 

Erythrodextrin 

Isomaltose             Maltose               d-Glukose 

Glukase 
Maltase 
Granulase 

+ 

+ 
+ 

+ 

Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen. 


201 


Amylase- 

Umwandlungsproclukte  mit  Erythrodextrin 

Gattungen 

Isomaltose 

Maltose                     d-Glukose 

Glukase 
Maltase 
Granulase 

+ 
+ 

+ 

Amylase- 

Umwandlungsprodukte  aus  Isomaltose 

Umwandlungsp  rodukt 

Gattungen 

Maltose 

d-Glukose 

aus  Maltose 

Glukase 
Maltase 
Granulase 

-j-V 

+ 
+ 

+ 

+ 

Ausser  den  genannten  entsteht  noch  ein  als  Leukodextrin  be- 
zeichnetes, wegen  ungleichmässiger  Diffusionsgeschwindigkeit  offenbar 
als  Gemenge  anzusehendes  Zwischenprodukt,  welches  schliesslich  auch 
in  Maltose  übergehen  kann.  Diese  Auffassung  zeigt  eine  ziemlich  gute 
Übereinstimmung  mit  den  Resultaten,  welche  bei  der  Beobachtung 
des  Stärkeabbaus  durch  natürliche  Diastasen,  die  stets  ein  Gemenge 
der  BEUEKiNCKschen Typen  darstellen,  gewonnen  wurden.  Insbesondere 
scheint  durch  Untersuchungen  von  Lintner  (r:  K.  92.  254)  und  Schie- 
ferer (Über  die  nicht  krystallisierten  Produkte  der  Einwirkung  der 
Diastase  auf  Stärke.  Diss.  Basel)  sichergestellt  zu  sein,  dass  die 
früher  als  Zwischenprodukte  angesprochenen  „Maltodextrine"  (vgl. 
z.  B.  Brown  u.  Morris,  r:  K.  90.  68)  nur  als  Gemische  von  Achroo- 
dextrin  und  Isomaltose  aufzufassen  sind,  sowie  dass  das  letzte  vor 
der  Maltose  auftretende  Zwischenprodukt  Isomaltose  ist.  Lintner 
(B.  Ch.  26.  2533)  nimmt  an,  dass  die  Stärke  zunächst  in  eine  Anzahl 
hoch  komplizierter  Komponenten  zerfalle,  und  formuliert  von  dem 
relativ  einfachsten  derselben,  dem  Amylodextrin  (Cl2H20O10)54  an 
den  Prozess  folgendermassen: 

(C12H20O10)54  +  3  H20  =3  [(C12H20O10)l7  CiaHM0„]  (Erythrodextrin). 
3  [(C12H20OI0)17  C12H22Cn]  +  6  H20  =  9  [(C12H20OI0)5  C12H22Ou]  (Achroodextrin). 
9  [(C12H20O10)5-  C12H22On]+45H20  =  54  C12H22Ou  (Isamaltose). 
54  ^oHsaOj !  (Maltose). 

Das  Erythrodextrin  wird    übrigens  von  einigen  Autoren,    so   von 


202  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Schieferer  (a.  a.  0.)  u.  Rühmann  (B.  Ch.  25.  3654)  für  ein  Gemenge 
gehalten. 

Vor  der  chemischen  Spaltung  wird  die  verkleisterte  Stärke  einem 
Verflüssigungsprozess  unterzogen;  diese  Arbeit  wird  nach  Beijerinck 
durch  die  Granulase  geleistet.  Hierbei  kommen  Korrosionen  der  Stärke- 
körner zustande,  und  zwar  nach  Keabbe  (r.  K.  90.  149)  nur  durch 
Einwirkung  der  Diastase  von  aussen,  also  durch  gleichmässigen 
Schwund  oder  durch  kraterähnliche  Korrosionen  oder  tiefe  Poren- 
kanäle; eine  Verflüssigung  der  Stärke  von  innen  heraus,  die  ein  Ein- 
dringen der  Diastase  in  die  intermicellaren  Räume  der  Stärke  vor- 
aussetzen würde,  soll  nicht  stattfinden,  was  allerdings  von  anderer 
Seite  bestritten  wird.  Die  Korrosionsfiguren  können  je  nach  der  Natur 
der  Diastase  verschieden  sein;  so  zeigt  Kartoffelstärke  nach  Krabbe 
(a.  a.  0.)  unter  der  diastatischen  Wirkung  von  Fäulnisbacillen  eine 
andere  Einschmelzung,  wie  in  Malzdiastaselösungen. 

Von  analoger  Wirkung,  wie  die  besprochenen  diastatischen  Fermente, 
ist  die  von  Bourquelot  (C.  R.  116.  826  u.  1143;  CR.  soc.  biol.  1893. 
653)  in  Aspergillus  niger  und  Penicillium  glaucum  aufgefundene 
In  u läse,  welche  Inulin  fast  vollständig  in  Lävulose  verwandelt. 

b)  Invertierende  Fermente. 

Verwandeln  Disaccharide  (Rohrzucker,  Maltose)  in  einfache  Hexosen 
(d-Glukose,  d-Fruktose).  Ambekanntesten  ist  daslnvertin,  auchlnver- 
tase  genannt,  welches  Saccharose  in  d-Glukose  und  d-Fruktose  spaltet. 

Im  tierischen  Verdauungstraktus  verbreitet,  in  höheren  Pflanzen  noch  nicht 
nachgewiesen.  Dagegen  ist  ein  solches  Ferment  in  Penicillium-  und  Aspergillus- 
arten  von  Gayon  (Bull.  soc.  chim.  35.  58)  nachgewiesen;  Bourquelot  (C.  R.  97) 
gelang  es,  aus  dem  Aspergillus  niger  ein  invertierendes  Ferment  zu  extrahieren. 
Ferner  wird  dasselbe  regelmässig  und  in  reichlicher  Menge  von  der  gewöhnlichen 
Hefe  geliefert,  welche  nur  vermöge  dieses  Ferments  zur  Vergährung  des  Rohr- 
zuckers befähigt  ist.  Doch  produzieren  nicht  alle  Hefearten  Invertin;  so  fand 
Roux  (Bull.  soc.  chim.  35)  eine  kleine  runde  Hefe,  welche  in  Traubenzuckerlösungen 
intensive  Gährung  veranlasste,  auf  Rohr-  und  Milchzucker  aber  gar  keine  Wir- 
kung ausübte.  Auch  Hansen  (C.  R.  laborat.  Carlsberg.  IL  144)  fand  bei  mehreren, 
keine  Endosporen  bildenden  Saccharoniyceten  und  Saccharornyces  membra- 
naefaciens  keine  Invertinbildung,  konnte  sie  aber  bei  der  Mehrzahl  der  echten 
Saccharomyeeten  nachweisen.  Beijerinck  (C.  4)  konnte  beim  Saccharornyces 
Kefir  und  Sacch.  Tyrocola  invertierende  Wirkung  nachweisen;  Kellner,  Mori 
und  Nagaoka  (Z.  physiol.  Ch.  14.  297)  schrieben  dem  Eurotium  oryzae  inver- 
tierende Wirkung  zu;  Kulturen  desselben  auf  Reisbrei  werden  unter  dem  Namen 
Koji  in  Japan  zur  Herstellung  alkoholischer  Getränke  verwandt.  In  Mukorarten 
konnte  weder  Gayon  (a.  a.  0.),  noch  Hansen  (a.  a.  0.)  Invertin  nachweisen.  Über 
das  Vorkommen  des  Invertins  in  Bakterien  ist  Folgendes  bekannt:  Gayon  schrieb 
dem  Bac.  anthracis  invertierende  Wirkung  zu,    was    aber  durch  die  sogleich  zu 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  203 

erwähnende  Untersuchungen  von  Feemi  und  Montesano  (C.  C.  1.  482  u.  542) 
widerlegt  wurde;  Htjeppe  (a.  a.  0.)  nahm  für  die  Milchsäurebacillen  invertie- 
rende Wirkung  an,  was  aber  weder  Bourqtjelot  (a.  a.  0.)  noch  Fermi  und 
Montesano  bestätigen  konnten;  freilich  bleibt  hierbei  die  Möglichkeit,  dass  diesen 
Autoren  verschiedene  Arten  vorgelegen  haben;  Sclavo  (cit.  nach  Fermi-Montesano) 
fand  beim  Choleravibrio  und  beim  Vibrio  Metschnikoff  eine  inkonstante  inver- 
tierende Wirkung.  Besonders  eingehend  ist  die  Frage  neuerdings  von  Fermi  u. 
Montesano  untersucht.  Sie  fanden  unter  etwa  70  Mikrobenarten  in  gewöhnlichen, 
mit  Rohrzucker  versetzten  Bouillonkulturen  nur  bei  Bac.  Megaterium,  Bac.  des 
Kieler  Hafens,  Bac.  fiuoresc.  liquefac,  Proteus  vulgaris,  weisser  und  rosa  Hefe 
Inversionsvermögen,  inkonstant  ausserdem  beim  Choleravibrio  und  Vibrio  Metsch- 
nikoff. 

Bei  veränderter  Reaktion  der  Nährflüssigkeit  verlieren  einige  der 
genannten  Mikroben  ihre  Invertinproduktion.  An  die  Gegenwart  von 
Rohrzucker  ist  dieselbe  nicht  gebunden,  wie  schon  Feenbach  (P.  90. 
1.  u.  641)  für  den  Aspergillus  niger  nachgewiesen  hatte,  der  in 
RAULiN'scher  Flüssigkeit  stets  Invertin  bildete.  Einen  guten  Ersatz 
des  Rohrzuckers  bildete  für  die  meisten  invertierenden  Spaltpilze 
das  Glycerin,  während  in  einfacher  oder  traubenzuckerhaltiger  Bouillon 
keine  oder  eine  nur  sehr  unbeständige  Wirkung  stattfand.  Auch  auf 
eiweissfreien  Substraten  erfolgt  nach  Feenbach,  sowie  nach  Feemi 
und  Montesano  bei  den  meisten  überhaupt  zur  Invertinproduktion  be- 
fähigten Hypho-,  Blasto-  und  Schizomyceten  ungestörte  Fermentbildung 
statt.  Die  Quantität  des  Invertins,  zu  deren  Messung  Feenbach  eine 
etwas  komplizierte  Methode  angegeben  hat,  ist  bei  differenten  Arten  von 
Mikroben  sehr  verschieden.  Ebenso  zeigt  der  zeitliche  Verlauf 
der  Invertinproduktion  grosse  Verschiedenheiten;  während  z,  B. 
Proteus  in  Glycerinbouillon  schon  nach  24  Stunden  invertierende  Wirkung 
zeigt,  tritt  diese  bei  manchen  Hefen  erst  nach  8 — 9  Tagen  ein;  bei 
einer  und  derselben  Art  ergeben  sich  wieder  je  nach  der  Natur  des 
Nährbodens  Verschiedenheiten.  Besonderes  Interesse  verdienen  Feen- 
bach's  Resultate  über  das  Verhältnis  der  im  Zellleib  des  Aspergillus 
enthaltenen  und  der  an  dieKulturflüssigkeit  abgegebenenlnver- 
tinmengen  in  verschiedenen  Stadien  der  Kultur;  merkwürdiger- 
weise findet  sich  die  gesamte  Menge  des  Invertins  schon  nach 
24  Stunden  in  den  Zellen  fertig  gebildet  vor,  aus  denen  sie 
successive,  und  zwar  zuerst  sehr  langsam  an  die  Kulturfiüssigkeit  ab- 
gegeben wird;  erst  bei  nahezu  vollständigem  Verbrauch  des  Zuckers 
steigt  die  Invertinabgabe  beträchtlich,  was  mit  Rücksicht  auf  gleich- 
zeitige degenerative  Erscheinungen  am  Mycel  auf  Inanition  zurück- 
geführt werden  muss.  Wird  dem  Mycel  frische  Zuckerlösung  geboten, 
so  erfolgt  sofort  Sistierung  der  Invertinabgabe.  Letztere  erfolgt  ferner 
sehr  reichlich  bei  ungenügendem  Sauerstoffzutritt.    Ahnliche  Resultate 


204  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

erhielt  Feenbach  auch  für  die  Invertinab  gäbe  derHefezellen.  O.Suleivan 
(r:  K.  92.  256)  findet  sogar,  dass  jede  Abgabe  von  Invertin  aus  der 
Hefezelle  in  das  Medium  auf  Degenerationserscheinungen  der  Hefe 
zurückzuführen  sei;  gesunde  Hefe  giebt  an  Wasser  kein  Invertin  ab, 
dagegen  wie  bereits  früher  erwähnt,  reichliche  Mengen  stickstoffhaltiger 
Substanzen. 

Hiernach  müsste  bei  der  Einwirkung  lebender  Hefe  auf  Rohrzucker 
der  Ort  der  invertierenden  Wirkung  als  innerhalb  des  Zellleibes  an- 
genommen werden. 

Invertin  ist  auch  aus  der  Hefe  isoliert  dargestellt  mittelst  Extraktion 
und  nachträglicher  Fällung  mit  Äther.  Die  Analyse  ergiebt  40,5  %  C, 
6,9  °/o  H,  9,5  °/0  N.  Die  vollständige  Reinigung  des  Präparates  scheitert 
an  seiner  leichten  Zersetzlichkeit;  insbesondere  wird  es  auch  bei  Luft- 
zutritt sehr  bald  oxydiert.  0.  Sullivan  und  Tompson  (r.  K.  90. 
170)  haben  eine  Reihe  von  Zersetzungsprodukten  des  Invertins,  die 
sie  Invertane  nennen  und  die  aus  einem  Eiweisskörper  und  einem 
Kohlehydrat  bestehen  sollen,  eingehend  studiert.  Die  von  verschiedenen 
Mikroben  gebildeten  Invertine  scheinen  chemisch  differente  Körper  zu 
sein ,  wie  sich  aus  ihrem  verschiedenen  Verhalten  gegen  Dialyse  und 
Filtration  durch  Chamberland-Filter,  sowie  aus  ihrer  ungleichen  Resistenz 
gegen  schädigende  Einwirkungen  ergiebt.  So  sind  z.  B.  nur  die  von 
Penicillium  glaucum  und  Aspergillus  niger  gebildeten  Invertine  der 
Dialyse  fähig;  ferner  geht  das  Invertin  der  Bierhefe  durch  Porzellan- 
filter, während  die  von  den  beiden  oben  erwähnten  Schimmelpilzen 
gebildeten  Fermente  hierbei  ja  auch  schon  durch  Papierfilter  zurück- 
gehalten werden;  auch  sind  die  von  Hyphomyceten  gebildeten  Inver- 
tine gegen  abnorme  Reaktion  des  Mediums  und  Temperaturen  über  60° 
viel  widerstandsfähiger,  als  die  aus  Bakterien  stammenden. 

Das  Temperaturoptimum  für  die  Wirkung  des  Invertins  von 
Schimmel-  und  Sprosspilzen  liegt  bei  etwa  56°  C.  Zur  Erreichung 
maximaler  Wirkung  ist  ferner  eine  schwachsaure  Reaktion  erforderlich; 
der  Aciditätsgrad  ist  bei  verschiedenen  Invertinen  sehr  verschieden;  so 
zeigt  das  von  Aspergillus  niger  ausgeschiedene  Ferment  nach  Feenbach 
seine  optimale  Wirkung  bei  Gegenwart  von  T^jy  Essigsäure,  das  der 
Tautonville-Hefe  aber  bei  t^töü-  Alkaliüberschuss  wirkt  schon  in  ge- 
ringsten Spuren  schädigend  ein.  Auch  Alkohol  setzt  die  Intensität  der 
Inversion  herab.  Auffallend  ist  auch  hier,  dass  das  Invertin  bei  Gegen- 
wart von  Rohrzucker,  im  Zustande  der  Thätigkeit,  gegen  schädigende 
Einwirkungen  sich  viel  widerstandsfähiger  zeigt,  als  isoliert  im  inaktiven 
Zustande.  —  Die  Zersetzung  des  Rohrzuckers  durch  Invertin  ist  als 
hydrolytische  Spaltung  aufzufassen: 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  205 

Cia  H22  Ou  +  H20  =  CG  H12  06  +  C6  H12  06. 

(d-Glukose)      (d-Fruktose) 

Die  Inversionsprodukte  scheinen  auf  die  Intensität  des  Prozesses 
keinen  Einfluss  auszuüben.  Die  invertierende  Thätigkeit  einer  gegebenen 
Fermentmenge  scheint  bis  ins  Unbegrenzte  fortzugehen;  wenigstens 
fanden  0.  Sttllivan  u.  Tompson  (a,  a.  0.)  noch  Fortgehen  des  Prozesses, 
nachdem  das  angewandte  Präparat  bereits  das  lOOOOOfache  seines  Eigen- 
gewichtes an  Rohrzucker  zerlegt  hatte.  Sehr  bemerkenswert  ist,  dass 
der  Inversionsprozess  in  quantitativer  Beziehung  bei  optimalem  Säure- 
grad fast  vollständig  dem  für  einfache  chemische  Umsetzungen  giltigen 
HAKCOURT'schen  Gesetz  folgt,  wonach  unter  gleichbleibenden  Versuchs- 
bedingungen (abgesehen  von  der  Verminderung  der  umzusetzenden  Sub- 
stanz) die  Intensität  der  Umsetzung  proportional  der  Menge  der  ange- 
wandten Substanz  ist;  für  jeden  Zeitpunkt  der  Umsetzung  ist  ein  Wert 

1  1 

K  =  — ^ —  log konstant,  wo  Q  die  Zeit  in  Minuten  und  x  den  in  der 

0        °  1  — x 

Zeiteinheit  umgesetzten  Bruchteil  der  ursprünglich  vorhanden  gewesenen 
Substanzmenge  bezeichnet.  Die  Zeit,  die  zur  Erreichung  eines  bestimmten 
Inversionsstadiums  erforderlich  ist,  steht  also  im  umgekehrten  Verhältnis 
zur  Menge  des  vorhandenen  Invertins.  Bei  Temperaturerhöhung  bis  30° 
steigt  dieUmsatzgrösse  entsprechend Haecotjrt's  Gesetz,  jenseits 30°  lang- 
samer. Die  Grösse  des  optimalen  Säuregehalts  ist  mit  der  Temperatur 
und  der  Menge  des  Invertins  in  einer  vorläufig  noch  nicht  bestimmt 
formulierbaren  Weise  gesetzmässig  verknüpft.  Die  eben  dargelegte 
mathematische  Gesetzmässigkeit  gilt  nun  aber  nach  0.  Sullivan 
(r:  K.  92.  256)  auch  für  die  invertierende  Wirkung  lebender 
Hefe  auf  Zuckerlösungen  bei  12 — 20  °;  nur  ist  hier  die  hydro- 
lytische Energie  der  angewandten  Hefe  ohne  Säurezusatz  der 
Menge  derselben  direkt  proportional,  weil  in  der  Hefezelle  selbst  schon 
die  für  das  Invertin  geeignetste  Säuremenge  sich  vorfindet.  Trotz- 
dem also  die  Inversion  des  Rohrzuckers  im  Zellleib  der  Hefe  selbst 
vor  sich  geht,  folgt  sie  doch  einer  für  alle  einfachen  chemischen  Pro- 
zesse giltigen  mathematischen  Gesetzmässigkeit;  sie  bildet  daher  ein 
Mittelglied  zwischen  einfachen  chemischen  Prozessen  und  Ferment- 
wirkungen einerseits,  Gährwirkungen  und  direkter  Thätigkeit  des  Proto- 
plasmas andererseits.  — 

In  diese  Gruppe  gehört  ferner  die  Zerlegung  von  Polysac- 
chariden durch  Hefe,  z.B.  der  Melitriose  in  d-Fruktose  und  Meli- 
biose,  sowie  der  Melibiose  in  d-Glukose  und  d-Galaktose;  das  die  Me- 
litriose spaltende  Ferment  ist  nach  Bat;  (Chemiker-Zeitung  1895.  Nr.  89) 
das  gewöhnliche  Invertin,  während  die  Spaltung  der  Melibiose  durch 
ein  besonderes,  nur  in  Unterhefe  enthaltenes  Enzym,  die  Melibiase, 


2()(3  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

zu  stände  kommt.  Auch  die  Zerlegung  der  Maltose,  deren  Ferment, 
die  Glukase,  bereits  oben  besprochen  ist,  lässt  sich  unter  diese  Gruppe 
rechnen.  Ferner  ist  hier  der  milchzuckerspaltenden  Fermente,  der 
Laktasen,  zu  gedenken,  die  u.a.  von  E. Fischer (B.  Ch.  27.  2991  u.  3481) 
in  Kefirkörnern,  sowie  in  der  Milchzuckerhefe  nachgewiesen  sind  und 
Milchzucker  in  d-Galaktose  und  d-Glukose  zerlegen.  Endlich  wird 
auch  die  Trehalose  durch  ein  von  E.  Bourquelot  (C.  R,  116,  826) 
im  Aspergillus  niger  gefundenes  Ferment,  das  er  Trehalase  nennt, 
gespalten;  da  neuerdings  indessen  E.  Fischer  (B.  Ch.  28.  1432)  die- 
selbe Zerlegung  durch  Malzdiastase  eintreten  sah,  so  wird  an  der 
Existenz  eines  spezifischen,  nur  Trehalose  zerlegenden  Fermentes  viel- 
leicht zu  zweifeln  und  diese  Fähigkeit  vielmehr  einer  besondern  Art 
von  diastatischen  Fermenten  zu  vindizieren  sein;  dann  würde  sich  die 
Trehalase  in  ähnlicher  "Weise  wie  die  Glukase  in  die  Hauptgruppe  der 
Diastasen  einreihen. 

c)  Glukosidspaltende  Fermente. 

Wirken  auf  Glukoside,  d.  h.  auf  Körper,  die  durch  ätherartige 
Zusammenlagerung  der  d-Glukose  mit  einer  anderen  Komponente  unter 
Wasseraustritt  entstanden  zu  denken  sind.  In  ganz  analoger  Weise 
leiten  sich  von  der  Fruktose  und  der  Galaktose,  sowie  ihren  optischen 
Antipoden,  d-  bezw.  1-Fruktoside  und  Galaktoside  ab.  Da  die  im  vori- 
gen Kapitel  besprochenen  Disaccharide  nach  der  neueren  Auffassung 
von  E.  Fischer  ebenfalls  als  Glukoside  der  Zucker  unter  sich  aufzu- 
fassen sind,  so  bieten  sie  mit  den  eigentlichen  Glukosiden  viel  Ge- 
meinsames; auch  werden  manchmal  durch  dasselbe  Ferment,  wie  z.  B. 
durch  Invertin,  gleichzeitig  Disaccharide  und  andere  Glukoside  gespal- 
ten. Bei  der  Spaltung  zerfällt  das  Glukosid-Molekül  unter  Wasser- 
aufnahme in  seine  ursprünglichen  Komponenten;  es  wird  also  stets 
d-Glukose  und  daneben  ein  sehr  verschiedenartig  ausfallender  anderer 
Körper  gebildet.  Bekannte  Beispiele  dieser  Art  sind  die  Einwir- 
kung des  Emulsins  auf  Amygdalin,  wodurch  dieses  in  Glukose, 
Benzaldehyd  und  Blausäure  gespalten  wird: 

C20H27NOn  +  2H20  =  2C6H1206  +  C6H5 .  COH  -f-  CNH; 
ferner  die  Spaltung  des  myronsauren  Kalis  durch  Myrosin  in  Glu- 
kose und  Senföl,  die  analogen  Zerlegungen  des  Salicins,  Coniferins, 
Arbutins  etc.  Emulsin  ist  von  Bourquelot  (C.  R.  soc.  biol.  1893.  653) 
im  Aspergillus  niger,  von  Gerard  in  Penicillium  glaucum  (C.  R.  soc. 
biol.  1893.  651)  nachgewiesen  worden.  Unter  den  Bakterien  fanden 
Fermi  und  Montesano  (C.  15.  722)  nur  bei  drei  Arten  konstant 
das  Vermögen,    Amygdalin    zu    spalten,    ausserdem  bei  einigen  Arten 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  207 

eine  unsichere  Wirksamkeit.  Doch  scheint  diese  Spaltung  direkt  durch 
das  lebende  Protoplasma  der  Mikroben  und  nicht  durch  ein  isolier- 
bares, von  denselben  ausgeschiedenes  Ferment  zustande  zu  kommen. 
Eine  Zersetzung  des  Amygdalins  beim  Fäulnisprozess  wurde  schon 
von  Geisson  (Jahresber.  d.  Tierchem.  1883)  beobachtet. 

d)  Celluloselösende  Fermente 

werden  vermutlich  von  manchen  Arten  des  Bac.  butyricus,  sowie  von 
Vibrio  Rugula  gebildet;  auch  ist  wohl  ihre  Mitwirkung  bei  der  Cellulose- 
gährung  anzunehmen,  van  Senus  (r:  K.  90.  136)  gelang  es,  aus  Wasser, 
in  dem  Rüben  faulten,  durch  Alkoholfällung  ein  celluloselösendes  Fer- 
ment darzustellen.  Nähere  Untersuchungen  über  diese  Fermente  fehlen 
jedoch  bisher. 

II.   Eiweissspaltende  (peptonisierende)  Fermente. 

Sie  führen  die  Eiweissstoffe  durch  hydrolytische  Spaltung  in  lös- 
liche, diffusible  Produkte  über.  Ausser  den  hierher  gehörigen  Fermenten 
des  Magensaftes  und  Pankreassekrets  sei  hier  als  Beispiel  für  die  weite 
Verbreitung  dieser  Körper  noch  ein  Ferment  pflanzlicher  Herkunft, 
das  Papai'n  aus  Carica  Papaya  erwähnt,  das  ebenso  wie  Trypsin  in 
alkalischer  Lösung  wirksam  ist.  —  Bei  den  Mikroorganismen  sind  offen- 
bar diese  Fermente  ebenfalls  sehr  häufig  vertreten;  die  von  so  vielen 
Arten  bekannte  Verflüssigung  der  Gelatine  und  anderer  eiweisshaltiger 
Nährböden  kommt  lediglich  durch  Produktion  eines  eiweiss-  und  leim- 
lösenden Ferments  zustande.  Da  diese  Verflüssigung  meist  bei  alka- 
lischer Reaktion  erfolgt,  so  nähern  sich  diese  Fermente  in  ihrem  Ver- 
halten mehr  dem  Papai'n  und  Trypsin,  als  dem  Pepsin. 

Der  Nachweis,  dass  dieses  peptonisierende  Ferment  auch  unabhängig  von 
der  lebenden  Bakterienzelle  zu  wirken  vermöge,  gelang  zuerst  Bitter  (A.  5. 
241);  eine  durch  halbstündiges  Erwärmen  auf  60°  sterisilierte  Fleisch  wasser- 
peptonkultur  des  Choleravibrio  zeigte  noch  energisches  peptonisierendes  Vermögen. 
Auch  Sexger  (D.  87.  Nr.  33/34)  und  Jerosch  (r:  J.  S7.  104,  Anm.  173)  kamen  zu  der 
Ansicht,  dass  die  Verflüssigung  der  Gelatine  durch  Bakterienkulturen  durch  cbemische 
Umsatzprodukte  derselben  zustande  kommt.  Rietsch  und  Sternberg  (ref.ebd.362.f.) 
konnten  in  den  Kulturen  verflüssigender  Bakterienarten,  wie  beim  Cholera  vibrio, 
Spirill.  Finkler-Prior,  Bac.prodigiosus,Pyocyaneus,  pyogenen  Staphylokokken  pepto- 
nisierende Fermente  nachweisen,  während  in  Kulturen  nicht  verflüssigender  Bak- 
terien, wie  des  Tuberkel-  u.  Typhusbacillus,  bei  gleicher  Behandlung  solche  Fer- 
mente nicht  aufzufinden  waren.  Fermi  (A.  10. 1)  wies  in  einwandsfrei er  Weise  bei  einer 
grösseren  Zahl  von  Mikroorganismen  Leim  und  Fibrin  peptonisierende  Fermente 
nach,  indem  er  nach  Ausschaltung  der  Wirkung  des  lebenden  Protoplasmas 
mittelst  Desinficientien  oder  fraktionierter  Sterilisation  Verflüssigung  der  Gelatine 
und  des  Fibrins  konstatierte.     Auch  gelang  es  ihm  mittelsct  Fällung  durch  abso- 


208  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

luten  Alkohol  die  Fermente  einer  Anzahl  von  Arten ,  z.  B.  vom  Choleravibrio, 
Spirillum  Finkler-Prior,  Prodigiosns,  Pyoeyaneus,  Heubacillus,  Megaterium  etc.,  zu 
isolieren.  Weitaus  am  wirksamsten  war  das  Ferment  vom  Finkler- PRioit'schen 
Spirillum. 

Die  Fermente  dialysieren  nicht,  sind  im  trockenen  Zustande  gelb- 
liche amorphe  Pulver;  gegen  trockene  Hitze  sind  manche,  ähnlich  wie 
das  Trypsin,  sehr  widerstandsfähig;  das  Ferment  des  Spirillum  Finkler- 
Prior  ertrug  unbeschadet  eine  10  Minuten  dauernde  Einwirkung  einer 
Temperatur  von  1 20 — 140°.  Bei  Erwärmung  über  70  °  in  wässriger  Lösung 
hingegen  werden  alle  Fermente  zerstört,  jedoch  nicht  gefällt.  Ver- 
schiedene Bakterienfermente  zeigen  eine  ungleiche  Resistenz  gegen  hohe 
Temperaturen;  so  wird  das  Ferment  des  Prodigiosns  schon  bei  55° 
zerstört,  während  dies  beim  FiNKLER-PitiOB'schen  erst  bei  70°  der  Fall 
ist.  Gegen  Zusatz  von  Alkali  selbst  in  hohen  Koncentrationen  sind 
die  peptonisierenden  Fermente  der  Bakterien  sehr  resistent;  dagegen 
werden  sie  schon  durch  geringe  Acidität  erheblich  beeinträchtigt.  Or- 
ganische Säuren  wirken  weit  weniger  ungünstig  als  anorganische; 
unter  letzteren  zeigen  sich  besonders  HNO:i  und  H2S04  stärkt  schä- 
digend; verschiedene  Spezies  zeigen  eine  ungleiche  Empfindlichkeit 
ihrer  Fermente  gegen  ein  und  dieselbe  Säure.  Nur  bei  Schimmelpilzen 
Hess  sich  ein  Ferment  nachweisen,  welches  ähnlich  dem  Pepsin  nur 
in  Gegenwart  von  HCl  seine  peptonisierende  Wirksamkeit  ausübte;  ein 
Ferment,  welches  in  saurer  Lösung  Fibrin  peptonisiert,  liess  sich  nirgends 
nachweisen.  Die  Gelatine  wird  von  den  Fermenten  viel  leichter  an- 
gegriffen als  das  Fibrin;  viele  verflüssigende  Arten  vermögen  Fibrin 
überhaupt  nicht  zu  peptonisieren,  bei  anderen  wird  diese  Fähigkeit 
durch  schädigende  Einwirkungen  viel  leichter  beeinträchtigt  als  die 
Verflüssigung  der  Gelatine.  Flüssige  Gelatine  wird  von  einigen 
Fermenten  leichter*  angegriffen,  d.  h.  an  der  Erstarrung  verhindert, 
als  starre;  im  letzteren  Falle  ist  eben  noch  die  Arbeit  der  Verflüssigung 
zu  leisten.  In  feuchtem  Zustande  aufbewahrt,  werden  die  Fermente 
mit  der  Zeit  unwirksam.  Das  Sonnenlicht  vermag  ihre  Wirksamkeit 
sehr  herabzusetzen.  Die  meisten  Fermente  wirken  auch  in  Stickstoff-, 
Wasserstoff-,  Kohlenoxyd-  und  Kohlensäureatmosphäre;  letztere  vermag 
nur  einige  Fermente  sehr  wenig  abzuschwächen;  durch  Schwefelwasser- 
stoff hingegen  werden  die  Enzyme  des  Prodigiosus,  Pyoeyaneus  und 
des  Choleravibrio  stark  beeinträchtigt,  während  andere  resistenter  sind. 
Gegen  Carbolsäure  und  Sublimat  zeigen  die  Fermente  eine  noch  grössere 
Resistenz  als  die  Sporen.  Ebenso  wie  unter  sich  sind  die  peptoni- 
sierenden Fermente  auch  unterschieden  von  den  oben  besprochenen 
diastatischen;  häufig  werden  freilich  mehrere  Arten  von  Fermenten  von 
demselben  Mikroorganismus  produziert. 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  209 

Die  Fermentbildung  hängt  von  einigen  besonderen  Bedingungen 
ab,  unter  denen  nach  Febmi  der  Eiweissgehalt  des  Nährbodens  und 
nach  Liborius  (Z.  1.  115)  der  Zutritt  freien  Sauerstoffs  besonders 
wichtig  sind.  Auf  eiweissfreien  Nährböden  sah  Fermi  nur  beim  Bac. 
subtilis  Bildung  eines  peptonisierenden  Enzyms.  Bei  Sauerstoffabschluss 
geht  die  Verflüssigung  der  Gelatine  bekanntlich  viel  langsamer  vor  sich; 
eine  Ausnahme  machen  gewisse  Anaeroben.  Zusatz  von  Carbol-  oder 
Salicylsäure  zum  Nährboden  hebt  die  Fermentproduktion  auf,  wirkt 
aber  gleichzeitig  wachstumshemmend.  Ohne  jede  Beeinträchtigung  der 
vegetativen  Entwicklung  vermögen  dagegen  bei  einigen  Mikroben 
Chinin,  Antipyrin  und  Strychnin  die  Fermentproduktion  ganz  zu 
sistieren.  Dieselbe  ist  also  kein  notwendiges  Glied  im  Lebens- 
prozess  dieser  Mikroben.  — 

Auch  in  Hefezellen  scheint  ein  peptonisierendes  Ferment,  von 
Delbrück  (r:  K.  93.  139)  „Peptase"  genannt,  vorzukommen. 

III.  Labfermente 

bewirken   eine  Alteration   der  Eiweissstoffe  der  Milch,   welche  sich  in 
der  Gerinnung  des  Kaseins  äussert. 

Derartiges  Ferment  ist  bekanntlich  im  Kälbermagen  enthalten.  Das  Vor- 
kommen desselben  bei  Bakterien  ist  zuerst  von  Dtjclaux  (C.  R.  91)  und  Htjeppe 
(D.  84.  Nr.  48  und  49)  beobachtet  worden;  das  Kasein  der  Milch  wird  bei  schwach 
saurer,  amphoterer  oder  gar  alkalischer  Reaktion  gefällt  und  häufig  nachträglich 
durch  ein  anderes  tryptiscbes  Ferment  peptonisiert.  Hierher  gehören  die  Dtjclatjx- 
schen  Tyrothrixarten,  der  Bac.  pyocyaneus,  Sarcina  aurantiaca  und  vor  allem  die 
FLÜGGE'schen  (Z.  17.272)  peptonisierenden  Bakterien  der  Milch.  Auch  Warington 
(La.  88.  No.25  u.  r:  C.  6.  498)  erschloss  aus  der  Thatsache,  dass  bei  manchen  Erregern 
einer  Milchgerinnung  die  Säurebildung  ganz  fehlte  oder  doch  zu  gering  war,  um  für 
'die  Kase'infällung  verantwortlich  gemacht  werden  zu  können,  die  Produktion  lab- 
artiger Fermente  durch  diese  Mikroben.  Andere  Bacillen  dagegen  bewirken  Milch- 
gerinnung nur  durch  Säuerung;  bei  noch  anderen  wirken  beide  Faktoren  zusammen. 
Den  Beweis  dafür,  dass  die  Kase'infällung  durch  Bakterien  mittelst  eines  isolier- 
baren, vom  lebenden  Bakterienleib  unabhängigen  Enzyms  zustande  komme,  er- 
brachte Cohn  (C.  9.  653),  indem  er  auch  bei  Gegenwart  von  Chloroform  und  voll- 
ständiger Wachstumshemmung  doch  die  Fermentthätigkeit  der  Kultur  völlig  intakt 
fand.  Später  gelang  es  demselben  Autor  (C.  12.  223  und  r:  C.  16.  916)  das  Lab- 
ferment mehrerer  Arten  von  Bakterien  zu  isolieren  und  von  etwaigen  gleichzeitig 
vorhandenen  tryp tischen  Fermenten  zu  trennen;  dasselbe  besitzt  durchaus  die 
Eigenschaften  des  typischen,  im  Molkereibetriebe  bekannten  Labs  und  wird  durch 
Temperaturen  von  63—75°  zerstört.  Ferner  wies  Gorini  (ref.  C.  12.  666  und 
R.  93.  381)  beim  Bac.  prodigiosus  ein  Labferment  nach,  welches  sich  von  den 
anderen  in  gleicher  Weise  wirkenden  Enzymen  durch  seine  bedeutende  Re- 
sistenz gegen  Hitze  unterscheidet;  durch  einstündige  Einwirkung  einer  Temperatur 
von  70—80°  wird  es  noch  nicht  geschädigt;  erst  bei  halbstündiger  Erhitzung  auf 
100°  wird  es  zerstört. 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  14 


210  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Die  Menge  des  erzeugten  Labfermentes  ist  bei  verschiedenen  Arten 
und  mit  verschiedenem  Alter  der  Kultur  verschieden.  Bei  20°  wird 
merkwürdigerweise  viel  mehr  Lab  erzeugt  als  bei  37°,  während  sich 
das  proteolytische  Ferment  gerade  umgekehrt  verhält.  Das  Ferment 
wirkt,  wie  Kälbermagen,  bei  Brütwärme  viel  intensiver  als  bei  niederer 
Temperatur;  durch  Alkalien  wird  seine  Wirksamkeit  gehemmt.  Bei  gleich- 
zeitiger Produktion  tryptischer  Enzyme  kommt  bisweilen  das  langsamer 
gebildete  Labferment  nicht  zur  Wirkung,  weil  das  Kasein  peptonisiert 
wird,  ehe  seine  Ausfällung  zustande  kommt;  in  solchen  Fällen  kann 
die  Labproduktion  leicht  übersehen  werden.  Bei  Gegenwart  von  1% 
Fluornatrium  wird  die  Wirkung  des  Labfermentes  nach  Feeudenreich 
(r. :  K.  93.  291)  gehemmt,  während  andere  Enzyme  durch  diese  Kon- 
centration nicht  geschädigt  werden  (Arthus  u.  Huber,  C.  R.  115.  839). 

Der  Chemismus  der  Labwirkung  geht  nach  Untersuchungen  von 
Arthits  u.  Pages  (A.  Ph.  V.  ser.  t.  IL  331  u.  540)  und  Ringer 
(Journ.  of  Physiol.  XI.  464)  wahrscheinlich  in  zwei  Phasen  vor  sich: 
zuerst  wird  das  Kasein  (oder  nach  Ringer  Kasei'nogen)  in  ein 
oder  wahrscheinlich  mehrere  noch  nicht  näher  bekannte  Zwischen- 
produkte umgewandelt;  darauf  tritt  Fällung  dieser  Körper  durch  die 
in  der  Milch  vorhandenen  Kalksalze  ein.  Für  diese  letzteren  können 
auch  Barium-  oder  Magnesiumsalze  eintreten,  nicht  aber  die  Salze  der 
leichten  Alkalien.  Nach  dieser  Vorstellung  vom  Chemismus  der  Lab- 
wirkung erklärt  sich  z.  B.  die  schon  von  Hammarsten  gefundene 
Thatsache,  dass  möglichst  reines,  von  Zucker,  Fett  und  Asche  befreites 
Kasein  durch  Labferment  allein  nicht  gefällt  wird,  wohl  aber,  wenn 
man  noch  Calciumphosphat  hinzusetzt;  ebenso  koagulierte  in  den  Ver- 
suchen von  Arthus  u.  Pages  entkalkte  Milch  nicht  direkt  durch  Lab, 
sondern  erst  nach  Zusatz  von  Chlor  calcium;  andererseits  wurde  frische, 
nicht  entkalkte  Milch  durch  kleine  Mengen  Lab,  die  an  sich  erst  spät 
Koagulation  hervorgebracht  hätten,  so  verändert,  dass  beim  Erwärmen 
oder  durch  Chlorcalciumzusatz  sofortige  Gerinnung  eintritt.  Die  Be- 
dingungen für  beide  Phasen  der  Lab  Wirkung  sind  durchaus  verschie- 
den; die  Umwandlung  des  Kaseins  wird  durch  niedere  Temperatur 
verlangsamt,  durch  Alkalien  aufgehoben,  durch  verdünnte  Säuren  be- 
schleunigt; die  Verbindung  mit  Kalksalzen  geht  aber  auch  bei  0°  und 
in  schwach  alkalischer  Lösung  vor  sich.  Man  kann  daher  das  Ferment 
nach  seiner  Einwirkung  auf  das  Kasein  durch  Alkali  zerstören,  ohne 
die  nachträgliche  Koagulation  zu  beeinträchtigen;  auf  diese  Weise  er- 
hellt deutlich  die  Unabhängigkeit  jener  zweiten  Phase  des  Gerinnungs- 
prozesses von  der  Wirkung  des  Ferments.  —  Fick  (Pf.  45)  erblickt 
eine  fundamentale  Verschiedenheit  des  Labfermentes  von  den  hydro- 
lytischen  Fermenten   darin,    dass   bei   ersterem   nicht,    wie  bei  diesen, 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  211 

Molekül  der  umzusetzenden  Substanz  mit  einem  Fermentmolekül 
in  Berührung  komme,  sondern  dass  sich  der  durch  ein  Fermentmole- 
kül irgendwo  angeregte  Umsetzungsprozess  ausserhalb  desselben  und 
ohne  seine  weitere  direkte  Mitwirkung  von  Molekül  zu  Molekül  der 
umzuwandelnden  Substanz  fortsetze.  Zum  Beweise  für  diese  Auf- 
fassung macht  Fick  geltend,  dass  jedes  Fermentmolekül  durch  seine 
eigene  Wirksamkeit  sich  mit  einer  festen  Schicht  geronnener  Substanz 
umgiebt  und  dadurch  den  Kontakt  mit  anderen  Molekülen  der  gerin- 
nungsfähigen Substanz  unmöglich  macht;  auch  kann  bei  der  Käse- 
bereitung ein  halber  Kubikmeter  Milch  in  weniger  als  5  Minuten  ge- 
rinnen, wenn  man  mit  dem  Lab  nur  einige  Male  darin  herumfährt, 
wobei  nach  Fick's  Ansicht  an  eine  vollständige  Verbreitung  des  Labs 
in  der  Milch  in  so  kurzer  Zeit  nicht  gedacht  werden  kann.  Gegen 
diese  Auffassung  Fick's  und  auch  gegen  die  ihr  zu  Grunde  liegenden 
thatsächlichen  Angaben  sind  nun  aber  von  Lea  u.  Dickinson  (r:  K. 
90.  175)  und  Walthee,  (Pf.  48.  529)  gewichtige  Einwände  erhoben 
worden;  bei  vorsichtigem  "Oberschichten  von  Milch  mit  Lablösung, 
wobei  eine  schnelle,  direkte  Vermischung  beider  Flüssigkeiten  völlig 
ausgeschlossen  war,  beobachteten  sie  den  Eintritt  der  Gerinnung  in 
den  von  der  Lablösung  entferntesten  Schichten  der  Milch  erst  nach 
mehreren  Stunden. 

IV.   Harnferment, 

welches  eine  hydrolytische  Spaltung  gewisser  Amidverbindungen  des 
Harns  bewirkt;  Harnstoff  wird  in  Ammoniumcarbonat,  Hippursäure 
in  Glykokoll  und  Benzoesäure  verwandelt.  Man  schrieb  frühe?  diese 
Fermentwirkung,  die  sich  beim  normalen  Harn  nach  längerem  Stehen 
an  der  Luft,  bei  Cystitis  dagegen  schon  innerhalb  der  Blase  voll- 
zieht, ausschliesslich  dem  Mikrokokkus  ureae  zu.  Musculus  (Pf. 
XII.  214)  isolierte  aus  einem  stark  schleimigen  Harn  bei  Cystitis  ein 
im  Wasser  lösliches,  Harnstoff  zerlegendes  Enzym,  das  von  diesen  Kokken 
gebildet  sein  sollte.  Ladukeau  (C.  R.  99)  stellte  die  Bedingungen  der 
Wirksamkeit  desselben  fest;  er  fand  es  bei  Gegenwart  von  Sauerstoff, 
Wasserstoff,  Stickstoff,  sowie  im  luftleeren  Raum  und  auch  bei  einem 
Druck  von  3  Atmosphären  wirksam.  Da  jedoch  Leube  (V.  100.  540) 
nachwies,  dass  Reinkulturen  des  Mikrokokkus  ureae  nach  Filtration 
durch  Thonzellen  unwirksam  werden,  so  musste  es  mindestens  zwei- 
felhaft erscheinen,  ob  das  von  Musculus  isolierte  Ferment  wirklich 
von  den  Bakterien  gebildet  worden  sei.  Später  gelang  es  jedoch  Miquel, 
mit  Sicherheit  die  Existenz  eines  isolierbaren,  unabhängig  von  den 
lebenden  Mikroben  wirksamen  Enzyms  darzuthun,  welches  er  als 
Urase  bezeichnet.     In   einer  Reihe  von  Abhandlungen  (A.  Mi.  I.  414, 

14* 


212  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

470,  506,  552,  II.  53,  122,  145,  367,  488,  III.  No.  6,  V.  162;  CR.  111. 
397)  beschreibt  er  an  60  verschiedene  aus  der  Luft,  Flusswasser  und 
besonders  aus  Abwässern  gezüchtete  Harnstoffbakterien  —  teils  „Uro- 
kokken",  teils  „Urobacillen"  und  eine  „Urosarcine  Hansenii"  — ,  welche 
sich  durch' die  Intensität  der  erzeugten  Umsetzung  und  kulturelle  Merk- 
male scharf  unterscheiden.  Ein  besonders  kräftiger  Harnstoffspalter, 
der  Urobacillus  Pasteurii,  wandelt  3  gr  Harnstoff  pro  Stunde  um, 
während  ein  Urokokkus  nur  0,5  gr  pro  Tag  zu  zerlegen  vermochte. 
Dass  es  sich  bei  diesem  Prozess  nicht,  wie  man  bisher  glaubte,  um 
eine  Harnstoff- Gährung,  um  eine  direkte  Zerlegung  des  Harnstoffs 
durch  das  lebende  Bakterienplasma,  sondern  um  eine  unabhängig  von 
der  lebenden  Zelle  erfolgende  Enzymwirkung  handle,  entnimmt  Miqüel 
zunächst  aus  der  Thatsache,  dass  die  Bakterien  den  Harnstoff  keines- 
wegs zum  Aufbau  ihres  Zellleibes  verwenden,  sondern  Pepton  und  ähn- 
liche Körper  als  Stickstoffquelle  bei  weitem  vorziehen,  daher  denn  auch 
der  Eiweissstickstoff  in  der  Kulturflüssigkeit  nicht  vermehrt,  sondern 
vermindert  wird.  Ferner  findet  eine  intensive  Fermentwirkung  noch 
bei  55  °  statt,  bei  welcher  Temperatur  die  Harnstoffbakterien  bereits 
abgestorben  sind.  Endlich  gelang  es  auch  nach  vielen  vergeblichen 
Bemühungen,  das  Ferment  rein  darzustellen;  die  Schwierigkeit,  an  der 
frühere  Versuche  scheiterten,  besteht  in  der  sehr  leichten  Zersetzlich- 
keit  der  Urase,  welche  fast  der  Labilität  des  lebenden  Plasma  gleich- 
kommt. Bei  50°  zersetzt  sich  die  Urase  in  3 — 4  Stunden,  bei  70° 
in  20 — 30  Minuten,  bei  80°  in  wenigen  Sekunden;  bei  0°  ist  sie  einige 
Wochen  lang  haltbar.  Von  den  gebräuchlichen  Fällungsmitteln  wird 
sie  fast  vollständig  zerstört,  auch  ist  sie  sehr  leicht  oxydierbar;  bei 
Filtration  einer  Kultur  durch  Porzellanerde  ohne  besondere  Vorsichts- 
massregeln wird  sie  häufig  ganz  oxydiert  und  in  den  Filterporen  zurück- 
gehalten, woher  sich  wohl  auch  die  oben  erwähnten  negativen  Resul- 
tate Leube's  erklären.  Die  Darstellung  der  Urase  gelingt  nur  in  Lösung, 
und  zwar  aus  sehr  urasereichenKulturflüssigkeitenmittelstFiltration  durch 
Porzellanerde  bei  Sauerstoffabschluss,  also  z.  B.  in  Leuchtgasatmosphäre. 
Verschiedene  Harnstoffbakterien  erzeugen,  wie  bereits  aus  dem  obigen 
hervorgeht,  sehr  verschiedene  Mengen  Urase.  Alle  bedürfen  zu  ihrer 
Erzeugung  der  Zufuhr  freien  Sauerstoffs.  Die  fermentative  Thätigkeit 
scheint  auch  bei  demselben  Erreger  nicht  immer  den  vegetativen  parallel 
zu  gehen,  indem  bei  Urosarcina  Hansenii  mit  fortschreitender  Harnstoff- 
zersetzung das  Verhältnis  der  umgewandelten  Harnstoffmenge  zum  Gewicht 
der  vorhandenen  Zellen  sinkt.  Wahrscheinlich  erklärt  sich  dies  aus  einer 
schädigenden  Einwirkung  des  gebildeten  kohlensauren  Ammoniums  auf 
die  Bakterien;  daher  ist  auf  harnstofffreiem  Substrat  das  Wachstum 
derselben  weit  üppiger  und  die  Lebensdauer  der  einzelnen  Kultur  viel 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  213 

länger.  Verschiedene  Harnstoffbakterien  zeigen  übrigens  eine  sehr  un- 
gleiche Resistenz  gegenüber  dem  Ammoniumkarbonat.  Auch  auf  die 
isolierte  Urase  wirkt  Ammoniumkarbonat  schädigend  ein,  wie  sich  bei 
der  reinen  Ferment  Wirkung  mit  Ausschluss  der  lebenden  Mikroben 
konstatieren  lässt.  Bei  letzterem  Prozess  erreicht  die  Reaktion  sehr 
bald  ein  Maximum  und  wird  dann  viel  schwächer;  unter.  Umständen 
kann  sogar  die  Urase  in  harnstoffreichen  Lösungen  schwächer  arbeiten, 
als  in  einer  weniger  konzentrierten  Kulturflüssigkeit.  Das  Optimum 
der  Wirkung  der  Ursache  liegt  bei  50°;  jenseits  dieser  Temperatur 
tritt  sehr  bald  Schädigung  und  Zerstörung  des  Enzyms  ein. 

V.   Fettspaltende  Fermente, 

welche  Neutralfette  in  Glycerin  und  Fettsäure  zerlegen,  sind  bisher  in 
Mikroorganismen  noch  nicht  nachgewiesen;  v.  Sommarttga  (Z.  18.  441) 
sah  zwar  eine  solche  Spaltung  der  Fette  durch  eine  Reihe  von  Mikro- 
organismen eintreten,  die  dann  das  Glycerin  als  wertvolles  Nährmaterial 
auszunützen  vermögen;  doch  muss  es  unentschieden  bleiben,  ob  dieser 
Prozess  als  Wirkung  eines  isolierbaren  Enzyms  oder  nicht  vielmehr 
als  direkte  Leistung  des  lebenden  Plasmas  aufzufassen  sei. 


In  ihrer  chemischen  Zusammensetzung  scheinen  die  Fermente  einen 
gemeinsamen  Typus  zu  repräsentieren,  über  dessen  Zugehörigkeit  zu 
den  sonst  bekannten  Klassen  von  Körpern  jedoch  noch  nichts  Be- 
stimmtes feststeht.  Die  quantitative  elementare  Zusammensetzung  zeigt 
eine  grosse  Annäherung  an  die  der  Eiweisskörper.  Den  älteren  Ana- 
lysen haben  noch  stark  verunreinigte  Fermente  zu  Grunde  gelegen; 
später  jedoch  gelang  es  Loew  (Pf.  27)  durch  möglichste  Reinigung 
derselben  namentlich  von  gummi-  und  dextrinähnlichen  Körpern  Fer- 
mente darzustellen,  die  eine  den  Eiweisskörpern  sehr  ähnliche  Zu- 
sammensetzung aufweisen.  So  ergab  die  Analyse  des  Pankreasferments: 
52,75  °/0  C,  7,51%  H,  16,55  °/0  N,  23,19%  0  +  S,l,77°/0  Asche. 

Jegoeow  (r:  K.  93.  279)  giebt  für  Weizendiastase  folgende  Zu- 
sammensetzung an:  40,24%  C,  6,78 °'0  H,  4,7%  N,  0,7%  S,  1,45%  P, 
4,6%  Asche.  Der  Gehalt  an  C,  H  und  S  in  der  Diastase  kommt  hier- 
nach dem  in  den  Nuklei'nen  sehr  nahe. 

Auch  in  ihrem  chemischen  Verhalten  zeigen  die  isolierbaren  Fer- 
mente viel  Gemeinsames.  Sämtlichen  Fermenten  kommt  die  Fähig- 
keit zu,Wasserstoffsuperoxyd  zu  zerlegen;  diese  allgemeine  Reak- 
tion hängt  aber,  wie  Jacobson  (Z.  physiol.  Ch.  16.  340)  angiebt,  durch- 
aus nicht  in  derselben  Weise  von  den  Versuchsbedingungen  ab,  wie 
die  spezielle  spezifische  Wirksamkeit  des   einzelnen  Fermentes.     Alle 


214  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Fermente  sind  löslich  in  "Wasser  und  unlöslich  in  Alkohol;  durch 
Fällung  mit  letzterem  können  sie  daher  aus  ihrer  Lösung  abgeschieden 
und  rein  dargestellt  werden.  Gegen  äussere  Einwirkungen  sind 
die  Fermente  sehr  empfindlich;  im  einzelnen  ergeben  sich  natürlich 
noch  grosse  Differenzen.  Nur  innerhalb  eines  bestimmten  Temperatur- 
bereichs und  in  besonders  intensiver  Weise  an  einem  Temperatur- 
optimum wird  die  Fermentwirkung  ausgeübt;  Optimum  und  Temperatur- 
grenzen sind  bei  verschiedenen  Enzymen  verschieden;  das  Optimum  liegt 
meist  bei  50  °  oder  etwas  höher,  über  70  °  werden  fast  alle  gelösten 
Fermente  (mit  Ausnahme  des  resistenten  Labferments  des  Bac.  prodi- 
giosus)  rasch  zerstört.  In  trockenem  Zustande  dagegen  ertragen  die 
Fermente  Temperaturen  von  120 — 160°  ohne  Schädigung.  Alkaliüber- 
schuss,  sowie  stärkere  Säuregrade  sind  für  die  meisten  Fermente  schäd- 
lich; geringe  Acidität  wirkt  auf  manche  fördernd.  Die  Salze  der 
schweren  Metalle  und  sonstige  Eiweissfällungsmittel  wirken  zerstörend; 
Diastase  wird  schon  in  einer  Sublimatlösung  von  1  —  200000  voll- 
ständig gehemmt.  Carbolsäure  dagegen  beeinträchtigt  die  Diastase  in 
1 — 2prozentigen  Lösungen  noch  gar  nicht;  Salicylsäure  hinwiederum 
wirkt  schon  bei  einem  Gehalt  von  0,1  %  zerstörend.  Fluornatrium, 
sowie  Wasserstoffsuperoxyd,  welche  alle  echten,  auf  unmittelbare  Lebens- 
thätigkeit  von  Mikroorganismen  zurückzuführenden  Gährungen  hemmen, 
schädigen  die  isolierten  Fermente  fast  gar  nicht;  ebenso  unwirksam 
sind  Blausäure,  Chloroform,  Äther,  Benzol,  Terpentinöl. 

Sehr  merkwürdig  ist  die  Thatsache,  dass  manche  Salze  und  N- 
haltige  Verbindungen  die  Wirksamkeit  der  Fermente  intensiv 
zu  steigern  vermögen.  So  wies  Effront  (C.  R.  115.  1324)  nach,  dass 
die  verzuckernde  Kraft  von  Diastase,  Glukase  und  des  Fermentes  von 
Aspergillus  oryzae  durch  eine  passende  Mischung  von  Aluminiumsalzen, 
Phosphaten  und  Asparagin  auf  den  zehnfachen  Wert  erhöht  werden 
kann.  Möglicherweise  erklärt  sich  diese  Begünstigung  durch  Bildung 
von  Zwischenprodukten,  die  leichter  von  den  Fermenten  gespalten  werden 
als  das  ursprüngliche  Material;  inParallele  hierzu  steht  der  begünstigende 
Einfluss,  den  nach  Friedel  u.  Crafts  (A.  eh.  ph.  [6]  1.  449;  14.  433) 
manche  Mineralsalze  auf  organische  Synthesen  ausüben. 

Alle  Fermente  zeigen,  soweit  sie  daraufhin  untersucht  sind,  im 
Zustand  der  Thätigkeit  eine  grössere  Resistenz  gegen  äussere 
schädigende  Einwirkungen  als  in  rein  dargestelltem  Zustand;  hierbei 
scheint  vor  allem  das  umzusetzende  Material  und  demnächst  auch  noch 
andere  Körper,  wie  Salze,  sowie  endlich  eine  günstige  Reaktion  des 
Substrats  auf  das  Ferment  einen  schützenden  Einfluss  auszuüben.  So 
fand  Petzoldt  (r:  K.  90.  163)  dass  Malzdiastase  gegen  schädigende 
Einwirkung  abnorm  hoher  Temperatur  durch   die  Gegenwart  von  ver- 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  215 

zu ckerter  Maische  geschützt  werden  kann;  Invertin  hält  nach  O'Sulliv an 
(r:  K.  92.  258)  in  Gegenwart  von  Zucker  eine  um  25°  höhere  Tem- 
peratur aus  als  sonst;  Trypsin  und  Ptyalin  werden  nach  Biernacki  (Z. 
f.  Biol.  28.  H.  1)  durch  alkalische  Reaktion  der  Lösung,  sowie  durch 
Neutralsalze  in  ihrer  Resistenz  gegen  zerstörende  hohe  Temperatur 
gefestigt,  ähnlich  Pepsin  durch  Acidität  und  Peptongehalt  der  Lösung. 
Die  Wirkung  der  schützenden  Körper  erklärt  sich  vielleicht  dadurch, 
dass  sie  mit  dem  Ferment  resistentere  Zwischenprodukte  bilden.  Die 
schützende  Wirkung  der  Neutralsalze,  die  übrigens  nach  Buchner 
(A.  17.  183)  in  ganz  analoger  Weise  auch  auf  Toxalbumine  und  Se- 
rumalexime  sich  erstreckt,  beruht  nach  diesem  Autor  vielleicht  auf  der 
wasserentziehenden  Wirkung  der  Salze;  hiermit  würde  die  Thatsache, 
dass  der  Grad  dieser  schützenden  Wirkung  mit  dem  Grade  der  wasser- 
entziehenden Kraft  des  Salzes  parallel  geht,  dass  z.  B.  die  stark  wasser- 
entziehenden Sulfate  einen  wirksameren  Schutz  verleihen  als  die  Chloride 
und  Nitrate,  wohl  zusammenstimmen. 

Die  chemische  Wirkungsweise  sämtlicher  isolierbarer  Fermente 
ist  relativ  einfach  und  besteht  allgemein  in  einer  hydrolytischen 
Spaltung,  bei  welcher  das  Molekül  der  zu  zerlegenden  Substanz  unter 
Aufnahme  eines  oder  mehrerer  Moleküle  H20  in  zwei  oder  mehrere 
Moleküle  gespalten  wird.  Für  eine  Reihe  von  Fermentwirkungen  ist 
es  möglich,  den  Prozess  bestimmt  zu  formulieren,  wie  bei  der  Wirkung 
des  Invertins,  des  Emulsins,  der  Urase  etc.  oben  angegeben;  bei  anderen 
sind  die  speziellen  Formulierungen  mehr  oder  minder  hypothetischer 
Natur  oder,  wie  bei  den  eiweissspaltenden  Fermenten,  überhaupt  noch 
nicht  aufstellbar.  Jedenfalls  steht  die  Einfachheit  dieser  chemischen 
Leistung  in  scharfem  Gegensatz  zu  den  später  zu  betrachtenden  Gäh- 
rungsvorgängen,  bei  denen  ungleich  kompliziertere  und  eingreifendere 
Veränderungen  im  Bau  des  Moleküls  stattfinden. 

Jedes  Ferment  wirkt  nur  auf  eine  bestimmte,  ihrer  chemischen 
Natur  nach  ganz  nahe  verwandte  Klasse  von  Körpern;  systematische 
Untersuchungen  über  den  Einfluss  der  Zusammensetzung  und  Kon- 
figuration der  zu  zerlegenden  Stoffe  auf  die  Enzyme  sind  in  neuester 
Zeit  von  E.  Fischer  (B.  Ch.  27.  2985  u.  3479;  28.  1429)  angestellt 
worden.  Dieselben  haben  dargethan,  dass  die  Enzyme  ebenso  eine 
Elektion  ihres  Angriffsmaterials  zeigen,  wie  dielebendenMikroorganismen 
in  Bezug  auf  Nährstoffe  und  gährungsfähige  Stoffe.  Als  Angriffsmaterial 
wurden  Glukoside  gewählt,  und  zwar  sowohl  die  in  der  Natur  vorkommen- 
den mit  aromatischem  Bestandteil,  als  die  von  E.  Fischer  durch  Kochen 
der  betr.Zucker  mit  Alkoholen  in  salzsaurerLösung  künstlich  dargestellten 
Alkoholglukoside  (B.  Ch.  26.  III.  2400),  als  endlich  auch  einige  Disac- 
charide,  die  nach  E.  Fischer  als  Glukoside  der  Zucker  mit  ein- 


216  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ander  aufzufassen  sind.  Es  ergab  sich  nun,  dass  Hefeauszug  die 
Maltose  und  das  «-Methyl-d-Glukosid  spaltete,  die  entsprechende  /9-Ver- 
bindung  und  die  hiernach  zur  ß-Reihe  gehörigen  natürlichen  aromatischen 
Glukoside  aber  unverändert  Hess;  die  korrespondierenden  a-  und  ß- 
Methyl-1-Glukoside  blieben  wegen  der  abweichenden  stereochemischen 
Konfiguration  unverändert;  das  Methyl-d-Fruktosid  hingegen  wurde 
wegen  der  nahen  Verwandtschaft  zwischen  d- Glukose  und  d-Fruktose 
gespalten  (diese  Spaltungen  sind  übrigens  nicht  durch  das  Invertin, 
sondern  durch  die  Glukase  der  Hefe  ausgeführt).  Eniul sin  hingegen 
verhielt  sich  in  mancher  Beziehung  gerade  umgekehrt;  es  spaltet  das 
^-Methyl -d-Glukosid  und  die  zur  /?-Reihe  gehörigen  natürlichen  aro- 
matischen Glukoside,  nicht  aber  das  a-Methyl-d-Glukosid;  es  spaltet 
ferner  das  /3-Methyl-d-Galaktosid  wegen  seiner  auch  durch  die  Ver- 
gährbarkeit  der  Galaktose  evidenten  nahen  Verwandtschaft  mit  dem 
d-Glukosid;  die  1-Glukoside  sind  ebenso,  wie  für  den  Hefeauszug,  auch 
für  das  Emulsin  nicht  spaltbar.  Ebenso  indifferent  gegen  beide  Enzyme 
verhalten  sich  die  Methylderivate  der  mit  grösseren  Abweichungen  der 
Konfiguration  behafteten  Glukoheptose,  Rhamnose,Arabinose  undXylose. 
Der  spezifische  Gegensatz  zwischen  beiden  Fermenten  wird  also  durch 
den  Gegensatz  von  a-  und  ^-Modifikation  beherrscht;  gemeinsam  ist 
beiden,  dass  eine  geringe  Änderung  der  Konfiguration  (wie  zum 
-Fruktosid  oder  -Galaktosid)  die  Fermentwirksamkeit  nicht  stört;  bei 
grösseren  Änderungen  jedoch  hört  dieselbe  sehr  bald  auf,  wie  das  ge- 
meinsame Verhalten  beider  Fermente  gegen  die  1-Glukoside  und  gegen 
die  Derivate  der  zuletzt  genannten  Zucker  beweist.  Beide  Fermente 
unterscheiden  sich  endlich  von  dem  My rosin,  welches  weder  das  «-, 
noch  das  ß-Methyl-d-Glukosid  spaltet,  also  unabhängig  von  der  a-  und 
/^-Modifikation  Widerstände  im  Molekül  vorfindet,  die  es  nicht  über- 
winden kann.  Die  Ursache  dieses  elektiven  Verhaltens  der  Enzyme 
mag,  wie  bei  den  lebenden  Gährimgserregern  in  dem  asymmetrischen 
Bau  ihrer  Eiweisskörper  liegen.  E.  Fischer  stellt  sich  vor,  dass  nur 
bei  ähnlichem  geometrischen  Bau  des  Enzym-  und  desGlukosid-Moleküls 
diejenige  räumliche  Annäherung  des  Moleküls  stattfinden  kann,  welche 
zur  Auslösung  des  chemischen  Vorganges  erforderlich  ist,  ähnlich  wie 
Schloss  und  Schlüssel  zu  einander  passen  müssen,  um  die  Aufschliessung 
des  ersteren  zu  bewirken. 

Was  die  quantitativen  Verhältnisse  der  Ferment  Wirkungen 
anlangt,  so  hat  eine  genauere  Beobachtung  gezeigt,  dass  die  Menge 
der  zerlegten  Substanz  durchaus  nicht  unbegrenzt  ist,  wie  es  den 
Anschein  hat.  Insbesondere  hat  es  Tammann  (Z.  physiol.  Ch.  16.  271) 
geradezu  als  Charakteristikum  der  Fermentreaktionen  hingestellt, 
dass  sie  unvollständig  sind;    ein  Teil  der  zu  zerlegenden  Substanz 


Gotschlich,  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen.  217 

bleibt  unverändert.  Die  einzige  sichere,  sogleich  zu  erklärende  Aus- 
nahme von  diesem  Gesetz  bildet  die  Labwirkung.  Das  Zustandekommen 
eines  Endzustandes  ist  nach  Tammann  so  zu  erklären,  dass  das 
Ferment  mit  den  Spaltungsprodukten  der  zerlegten  Substanz  sich  zu 
einer  unwirksamen  Modifikation  verbindet;  diese  letztere  ist  aber 
nur  in  Gegenwart  der  Spaltungsprodukte  beständig  und  wandelt  sich 
leicht  wieder  in  das  ursprüngliche  Ferment  zurück.  Werden  also  die 
Spaltungsprodukte  beseitigt,  wie  dies  z.  B.  bei  der  Labwirkung  durch  ihr 
Ausfallen  geschieht,  so  wird  die  ursprüngliche  wirksame  Modifikation  des 
Fermentes  regeneriert,  und  die  Reaktion  wird  ausnahmsweise  vollständig. 
Die  unwirksame  Modifikation  ist  offenbar  gegen  schädigende  äussere 
Einwirkungen  beständiger,  wodurch  sich  gleichzeitig  die  oben  erwähnte 
schützende  Einwirkung  von  Spaltungsprodukten  etc.  auf  das  gelöste 
Ferment  gegenüber  demselben  in  isoliertem  Zustande  erklärt.  Die  im 
Endzustand  gespaltene  Menge  der  Substanz  hängt  von  der  Temperatur 
und  der  Menge  des  angewandten  Fermentes  ab;  mit  beiden  Faktoren 
'steigt  sie  bis  zu  einem  gewissen  Maximum,  welches  bei  weiter  zu- 
nehmender Fermentmenge  einen  konstanten  Wert  zu  behalten  scheint, 
während  bei  weiterer  Steigerung  der  Temperatur  sehr  bald  Abnahme 
und  endlich  völliges  Erlöschen  der  Fermentwirkung  stattfindet.  Ahnlich 
verhält  sich  die  Geschwindigkeit  der  Fermentreaktion.  Die  Abnahme 
der  Energie  der  Fermentwirkung  bei  abnorm  hohen  Temperaturen  bildet 
nur  eine  scheinbare  Ausnahme  von  dem  Fundamentalgesetz  über  den 
Einfluss  der  Temperatur  auf  die  Reaktionsgeschwindigkeit;  sie  erklärt 
sich  daraus,  dass  das  Ferment  oberhalb  einer  bestimmten  Temperatur 
mit  zunehmender  Geschwindigkeit  in  unwirksame  Komponenten  "zerfällt, 
aus  denen  es  sich  nicht  wieder  zurückbilden  kann;  die  Geschwindigkeit 
dieses  Zerfalls  des  Fermentes  wächst  mit  steigender  Temperatur  viel 
schneller  als  die  Geschwindigkeit  der  spezifischen  Fermentreaktion  und 
wird  endlich  bei  70 — 80°  meist  so  gross,  dass  das  Ferment  augenblicklich 
zerfällt,  ohne  seine  Thätigkeit  ausgeübt  zu  haben.  Ganz  ähnlichen 
Verhältnissen  sind  wir  schon  bei  dem  Einfluss  der  Temperatur  auf 
das  lebende  Plasma  begegnet;  auch  hier  findet  Steigerung  der  Lebens- 
äusserungen bis  zu  einem  Temperatur  Optimum  statt,  von  da  ab  aber 
mit  zunehmender  Beschleunigung  eine  deletäre  Zersetzung  desselben, 
welche  seine  Lebensthätigkeiten  beeinträchtigt  und  schliesslich  ver- 
nichtet. Die  besonders  genau  studierten  quantitativen  Verhältnisse  der 
Invertinwirkung  sind  schon  oben  im  speziellen  Teil  besprochen. 

Was  endlich  den  Chemismus  der  Fermentwirkung  anbe- 
langt, so  lassen  sich  darüber  gegenwärtig  noch  keine  bestimmten 
Vorstellungen  machen.  Am  ehesten  wird  man  sich  den  Vorgang  wohl 
so    denken   müssen,    dass   zuerst  Zwischenprodukte   des  Ferments  ent- 


218  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

stehen,  die  leicht  wieder  zerfallen  und  zu  Regeneration  des  ursprüng- 
lichen Fermentes  führen;  sei  es  nun,  dass  das  Ferment  als  Überträger 
des  einzulagernden  Wassers  wirke,  oder  nach  Bunsen-Hüfner  (ähnlich 
wie  die  Schwefelsäure  bei  der  Ätherbildung)  direkt  mit  gewissen  Atom- 
gruppen der  zu  zerlegenden  Sustanz  interimistische,  leicht  zerfallende 
Produkte  bildet,  nach  deren  Zerfall  dann  einerseits  eine  neue  Atom- 
gruppierung geschaffen  und  andererseits  das  Ferment  regeneriert  ist. 
Auf  die  Annahme  der  Bildung  solcher  Zwischenprodukte  sind  wir  ja 
bisher  schon  durch  eine  Reihe  von  Gründen  geführt  worden.  Daneben 
stellt  sich  Nägeli  in  Übereinstimmung  mit  seiner  unten  zu  besprechen- 
den Gährungstheorie  vor,  dass  die  Fermente  durch  Übertragung  ihres 
intramolekularen  Bewegungszustandes  auf  die  umliegenden  Moleküle 
Umlagerung  und  Neugruppierung  der  Atome  bewirken.  Neuerdings 
wird  sogar  mehrfach  eine  Fernwirkung  bei  der  Fermentwirkung  an- 
genommen (vgl.  oben  Fick's  Theorie  der  Labwirkung);  de  Jager 
(V.  121.  182)  möchte  die  Fermente  sogar  den  früheren  Im- 
ponderabilien an  die  Seite  stellen  und  will  Übertragung  der  Ferment- 
wirkung durch  Äther  oder  gar  Luft  (?!)  beobachtet  haben;  die  experi- 
mentellen Grundlagen  dieser  Anschauungen  sind  aber  mindestens 
äusserst  zweifelhaft. 

Soweit  unsere  jetzige  Kenntnis  über  die  Fermentwirkungen  reicht, 
nehmen  dieselben  eine  interessante  Mittelstellung  zwischen  einfachen 
chemischen  Prozessen  und  den  Gährungsprozessen  sowie  überhaupt 
den  Lebensäusserungen  der  Mikroorganismen  ein.  Die  Berechtigung 
und  Notwendigkeit  einer  Trennung  zwischen  Ferment-  und  Gähr- 
wirkung  ist  nach  allen  Eigenschaften  der  ersteren,  speziell  mit  Rück- 
sicht auf  ihre  Isolierbarkeit,  auf  ihre  relativ  beschränkten  chemischen 
Fähigkeiten,  auf  ihr  von  den  Mikroorganismen  vielfach  völlig  ab- 
weichendes Verhalten  zu  äusseren  Momenten,  evident.  Doch  ist  nicht 
zu  verkennen,  dass  auch  grosse  Ähnlichkeiten  der  Fermente  mit  dem 
lebenden  Plasma  bestehen,  so  die  z.  B.  bei  der  Urase  ganz  ausser- 
ordentliche Labilität,  ferner  ganz  besonders  das  Wahlvermögen  für  die 
zu  zerlegenden  Substanzen,  die  Fähigkeit,  eine  im  Vergleich  zur  wir- 
kenden Masse  des  Ferments  unverhältnismässig  grosse  Menge  Simstanz 
zu  spalten,  sowie  endlich  das  merkwürdige  Verhalten  zur  Temperatur, 
wenn  auch  das  Optimum  und  die  deletäre  Grenze  der  Temperatur  im 
Durchschnitt  höher  liegt,  als  bei  den  meisten  Mikroorganismen.  Nach 
diesen  Ähnlichkeiten  sind  die  Fermente  von  Ad.  Mayer  als  „Plasma- 
splitter", von  Hueppe  (Naturwissenschaftl.  Einführung  in  d.  Bakterio- 
logie. 1896.  31)  als  „ausgestossenes  Zellprotoplasma"  bezeichnet  worden. 

Trotz  aller  Ähnlichkeiten  besteht  aber  immer  noch  der  Kardinal- 
unterschied   zwischen    den    Trägern    der    Ferment-  und   der   Gährwir- 


Gotschlich,  Gährungserregung.  219 

kungen,  dass  die  ersteren  nur  leblose,  wenn  auch  noch  so  komplizierte, 
Substanz  darstellen,  während  die  Gährung  eine  Funktion  lebender, 
organisierter,  fortpflanzungsfähiger  Elemente  ist. 


Drittes  Kapitel. 
(jährungserregung 

von 
Dr.  E.  Gotschlich. 

Unter  besonderen  Umständen  tritt  eine  eigenartige  Veränderung 
in  dem  biologischen  Verhalten  der  Mikroorganismen  ein,  die  mit  einer 
ausserordentlich  umfangreichen  Zersetzung  des  Nährmaterials  und  mit 
der  Bildung  eigentümlicher,  durch  Qualität  und  Quantität  auffallender 
Produkte  einhergeht.  Unter  den  letzteren  pflegen  namentlich  massen- 
haft entweichende  Gase  eine  wichtige  Rolle  zu  spielen;  ferner  entstehen 
dabei  stets  Produkte  von  zusammen  geringerer  Verbrennungswärme, 
als  derjenigen  Stoffe,  aus  denen  sie  gebildet  sind,  so  dass  bei  der  Zer- 
legung immer  lebendige  Kraft  frei  wird.  Die  Gesamtheit  dieser  Er- 
scheinungen pflegt  man  als  Gährung  zu  bezeichnen. 

Als  allgemeines  äusseres  Charakteristikum  jedes  Gähr- 
prozesses,  wodurch  sich  derselbe  von  dem  gewöhnlichen  Stoffwechsel 
der  Mikroben  unterscheidet,  erscheint  das  ausserordentliche  Über- 
wiegen der  durch  den  Gährungserreger  bewirkten  äusseren 
Zersetzungsprozesse  üb  er  dieplastischeThätigkeit  desselben, 
über  die  gleichzeitig  stattfindenden  Assimilations-  und  Fort- 
pflanzungsprozesse. Die  Masse  des  Gährungserregers  verschwindet 
gegenüber  der  Grösse  der  Umsetzungen,  welche  er  hervorruft;  auch 
hier  besteht,  wie  bei  den  leblosen  isolierbaren  Fermenten,  dasselbe  er- 
staunliche scheinbare  Missverhältnis  zwischen  Ursache  und  Wirkung, 
und  dieser  Umstand  hat  früher  Veranlassung  gegeben,  beide  Prozesse 
zu  konfundieren.  Der  Hauptunterschied  jeder  Gährung  von  den  reinen 
Enzymwirkungen  besteht  aber,  wie  bereits  erwähnt,  darin,  dass  die 
Enzymwirkungen,  wenn  auch  häufig  ebenfalls  bei  Lebewesen  auftretend, 
an  ein  lebloses,  isolierbares  Substrat  geknüpft  sind,  während  die  Gähr- 
wirkung  mit  dem  lebenden  Individuum  unzertrennlich  ver- 
bunden und  noch  nie  ohne  Mitwirkung  lebender  Zellen  be- 
obachtet worden  ist. 

Der  bei  den  Gährungsvorgängen  stattfindende  Chemismus  wird  in 
seiner  Bedeutung  erst  eingehend  gewürdigt  werden  können,  wenn  wir 


220  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

die  einzelnen  Gährungsprozesse  einer  speziellen  Besprechung 
unterworfen  haben.  Doch  zeigen  sich  schon  jetzt  einige  Unterschiede 
ganz  allgemeiner  Natur,  welche  der  Chemismus  bei  verschiedenen 
Klassen  von  Gährungen  erkennen  lässt,  und  die  daher  zweckmässig 
als  Einteilungsprinzipien  für  die  spezielle  Betrachtung  verwandt  werden 
können.  Der  Prozess,  durch  welchen  die  Gährprodukte  aus  dem  Gähr- 
material  entstehen,  ist  nämlich  entweder  eine  Spaltung  oder  eine 
Oxydation,  oder  es  wirken  bei  komplizierteren  Gährphänomenen  diese 
beiden  Kardinalprozesse  kombiniert.  Hiernach  unterscheiden  wir 
a)  Gährungen  durch  Spaltung,  b)  Gährungen  durch  Oxydation, 
c)  zusammengesetzte  Gährungen.  Zwar  finden  sich  auch  bei  den 
Spaltungsgährungen  sogar  stets  Produkte,  die  nur  als  Oxydations- 
produkte aufgefasst  werden  können,  wie  z.  B.  vor  allem  die  C02 ;  doch 
findet  hierbei  immer  die  Oxydation  innerhalb  der  Moleküle  des  Gähr- 
materials,  ohne  Mitwirkung  des  äusseren  Sauerstoffs,  also  stets  erst 
nach  vorgängiger  Spaltung  statt,  während  bei  den  Oxydationsgährungen 
ein  synthetischer  Prozess,  eine  Oxydation  des  Gährmaterials  durch 
den  von  anderwärts,  aus  der  Luft  bezogenen  Sauerstoff  zustande  kommt. 
Hiernach  müssen  offenbar  Bedingungen,  Material  und  Erreger  des 
Gährprozesses  bei  beiden  Klassen  von  Vorgängen  grundverschieden 
sein,  was  schon  an  sich  als  genügende  Berechtigung  unseres  Ein- 
teilungsprinzips erscheint.  Innerhalb  der  3  grossen  Gruppen  scheiden 
wir  dann  die  Gährungen  nach  dem  Material,  ein  Einteilungsprinzip, 
das  auf  der  Thatsache  basiert,  dass  nur  ganz  bestimmte  Arten 
von  chemischen  Körpern  als  Gährmaterial  fungieren  können 
und  dass  unter  diesen  immer  für  jeden  einzelnen  Gährungserreger  und 
jede  einzelne  Art  der  chemischen  Umsetzung  nur  wenige  auserlesen 
sind.  Die  Benennung  der  einzelnen  Gährungen  erfolgt  entweder  nach 
dem  zu  zerlegenden  Material  oder  nach  einem  charakteristischen  Gähr- 
produkt,  oder  auch  wohl  nach  dem  Erreger.  Bei  jeder  einzelnen  Gährung 
sind  vor  allem  Material,  Erreger,  Chemismus  und  Produkte  derselben, 
dann  ihre  Abhängigkeit  von  den  Versuchsbedingungen  und  eventuelle 
hygienische  oder  gewerblich-technische  Bedeutung  derselben  zu  erörtern. 

A.  Gährungen  durch  Spaltung. 

I.  Vergährungen  der  Kohlehydrate. 

1.  Die  alkoholische  Gährung  der  Zuckerarten  durch  Hefe. 

Das  Material  der  alkoholischen  Gährung  kann  entweder  in  direkt 

vergährbarer  Form  dargeboten  werden,    oder  es  ist  nur  indirekt, 

nach   vorangegangener  chemischer  Umformung    durch    Fermente,    die 

unter  Umständen  auch  von  dem  Gährungserreger  selbst  geliefert  sein 


Gotschlich,  Gährungserregung.  221 

können,  vergährbar.  Für  Hefe  direkt  vergährbare  Zuckerarten  finden 
sich  nur  unter  denjenigen  Monosacchariden,  deren  Anzahl  von 
C-Atomen  3  oder  ein  Multiplum  dieser  Zahl  beträgt;  so  sind 
nach  E.  Fischer  (B.  Ch.  23.  IL  2137)  ausser  den  noch  näher  zu 
charakterisierenden  gährfähigen  Hexosen  (C6H12Oti)  nur  die  Glycerose 
(C3H603)  und  die  Mannononose  (C9H1809)  durch  Hefe  direkt  ver- 
gährbar,  während  Tetrosen,  Pentosen,  Heptosen  und  Oktosen  hierzu 
nicht  fähig  sind;  einige  derselben  können  indessen  sehr  wohl  durch 
Bakterien  vergohren  werden,  woraus  schon  erhellt,  dass  die  Gährfähig- 
keit  nicht  blos  von  der  Beschaffenheit  des  Substrats,  sondern  auch 
von  der  Natur  des  Erregers  abhängig  ist  und  demnach  eine  kombi- 
nierte Funktion  beider  darstellt.  Unter  den  Hexosen  spielt  nun  weiter 
die  Struktur  und  die  molekulare  Konfiguration  der  Verbindung 
eine  ausschlaggebende  Rolle  für  die  Gährfähigkeit.  Was  zunächst  den 
Unterschied  zwischen  Aldosen  und  Ketosen  anbelangt,  so  findet 
sich  unter  den  letzteren  (d.  h.  Zuckern,  die  die  Ketongruppe  -CO-  ent- 
halten) nur  ein  gährfähiger  Zucker,  die  d-Fruktose  (früher  als  Lävu- 
lose  bezeichnet);  unter  den  Aldosen  (Zuckern,  in  deren  Molekül  die  Alde- 
hydgruppe  -CHO  sich  vorfindet)  sind  leicht  vergährbar  die  d-Mannose 
und  d-  Glukose  (früher  als  Traubenzucker,  Dextrose, bezeichnet);  schwie- 
riger vergährbar  ist  die  d- Galaktose,  welche  von  minder  gährkräfti- 
gen  Arten,  z.  B.  nach  F.  Voit  (Z.  f.  Biol.  29.  149)  vom  Sacch.  apicu- 
latus,  überhaupt  nicht  angegriffen  werden  kann.  Alle  anderen  bekann- 
ten Hexosen,  also  die  optischen  Antipoden  der  d-Mannose,  d-Glukose, 
d-Galaktose  und  d-Fruktose,  die  Talose,  die  Gulose  und  die  zur  Ketosen- 
reihe  gehörige  Sorbose,  sind  unvergährbar.  Die  Konfigurationsformeln 
der  drei  gährfähigen  Aldosen  sind  nach  E.  Fischee  (B.  Ch.  24.  II.  2685; 

27.  I.  385): 

H    HOHH 
d-Glukose :        CH2OH  -  C  -  C  -  C  -  C  -  COH 
ÖHÖHH    ÖH 

H    H    OH  OH 
d-Mannose:      CH2OH  -  C  -  C  -  C  -  C  -  COH 
ÖHÖHH    H 

H    OHOHH 
d-Galaktose:    CH2OH  -  C  -  C  -  C  -  C  -  COH 
ÖHH   H    ÖH 
Jede  weitere  Veränderung  in  der  Stellung  der  H-  und  OH-Gruppen 
an  den  4  asymmetrischen  C-Atomen  hebt  die  Gährfähigkeit  auf.     Ein 
besonders  interessantes  Beispiel  hierfür  bildet  die  d-Talose: 

H   OH  OH  OH 
CH2OH  -  C  -  C  -  C  -  C  -  COH 
ÖHH    H   H 


222  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

welche,  wie  ersichtlich,  in  der  Konfiguration  zur  d-Galaktose  in  dem- 
selben Verhältnis  steht,  wie  die  d-Mannose  zur  d-Glukose;  in  beiden 
Fällen  handelt  es  sich  um  eine  Vertauschung  in  der  Stellung  des  H 
und  OH  am  letzten,  der  Aldehydgruppe  benachbarten  asymmetrischen 
C-Atom;  während  aber  bei  der  leicht  vergährbaren  d-Glukose  diese 
Verschiebung  noch  nichts  ausmacht  und  aus  ihr  die  ebenfalls  leicht 
vergährbare  d-Mannose  hervorgeht,  genügt  bei  der  d-Galaktose,  die 
wegen  der  von  der  d-Glukose  abweichenden  Konfiguration  am  zwei- 
ten asymmetrischen  C-Atom  schon  schwieriger  der  Gährung  unter- 
liegt, die  weitere  kleine  Verschiebung  am  letzten  asymmetrischen 
C-Atom,  um  die  Gährfähigkeit  der  d-Talose  ganz  zu  vernichten.  Die 
Gährfähigkeit  verschiedener  Zucker  ist  also  nicht  etwa  blos,  wie  das 
verschiedene  Verhalten  optisch  isomerer  Verbindungen,  von  einem  Unter- 
schied in  der  Stellung  einer  Atomgruppe,  sondern  von  der  Kon- 
figuration des  gesamten  Moleküls  abhängig.  Endlich  gehört 
hierher  die  Thatsache,  dass  nur  die  d-Verbindungen  vergährbar 
sind,  während  die  korrespondierenden  1- Zuck  er  unvergohren  blei- 
ben. Daher  werden  nach  Fischer  (B.  Ch.  23.  I.  375  ff;  IL  2114)  die  in- 
aktiven racemischen  Zucker  durch  Penicillium  glaucum  oder  Bierhefe  so 
gespalten,  dass  der  1-Zucker  übrig  bleibt,  während  der  d-Zucker  vergoh- 
ren  wird;  diese  Spaltung  ist  für  i-Glukose,  i-Fruktose,  i-Mannose  und 
i-Mannonsäure  nachgewiesen. 

Zu  den  indirekt  gährfähigen  Substanzen,  die  erst  nach  Be- 
handlung mit  Fermenten  oder  analogen  chemischen  Einwirkungen 
direkt  vergährbare  Spaltprodukte  liefern,  gehören  zunächst  die  Di-  und 
Polysaccharide,  als  Saccharose  (Rohrzucker),  Maltose,  Isomaltose, 
Milchzucker,  Raffinose  etc.  Durch  die  im  vorigen  Abschnitt  be- 
sprochenen und  teilweise  von  den  Hefen  selbst  gelieferten  Fermente 
werden  diese  Körper  in  einfache,  direkt  gährfähige  Hexosen  zerlegt 
(so  z.  B.  Saccharose  in  d-Glukose  und  d-Fruktose,  Milchzucker  in  d-Glu- 
kose und  d-Galaktose,  Raffinose  in  d-Fruktose  und  Melibiose)  und  dann 
vergohren.  Eine  scheinbare  Ausnahme  von  dem  Verhalten  der  Disac- 
charide  macht  der  Rohrzucker,  indem  er  durch  Monilia  Candida  nach 
Hansen  direkt  ohne  vorangegangene  Inversion  vergohren 
wird;  wenn  aber  auch  aus  diesem  Pilz  ein  isolierbares  invertierendes 
Ferment  nicht  gewonnen  werden  konnte,  und  demgemäss  die  direkte 
Vergährung  des  Rohrzuckers  durch  denselben  gefolgert  wurde,  so  ist 
doch  wahrscheinlich  der  Prozess  so  aufzufassen,  dass  auch  hier  zuerst 
eine  Spaltung  des  Rohrzuckers  durch  die  lebende  Zelle  selbst 
zustande  kommt  und  erst  die  Komponenten  desselben  der  direkten  Ver- 
gährung anheimfallen;  auch  in  der  lebenden  Hefe  kommt  ja,  wie  oben 
dargelegt,   die  Inversion   mittelst  Invertin  nur  innerhalb  des  Zellleibes 


Gotschlich,  Gährungserregung.  223 

zustande;  der  Unterschied  gegenüber  der  Monilia  würde  also  nur  darin 
liegen,  dass  bei  letzterer  eine  Trennung  des  invertierenden  Prinzips 
vom  lebenden  Plasma  bisher  unausführbar  ist.  Neuerdings  ist  es  übrigens 
E.  Fischer  u.  P.  Lindneb  (B.  Ch.  28.  3034)  gelungen,  durch  frische, 
mit  Glaspulver  zerriebene  oder  durch  getrocknete  Monilia  Candida,  die 
keinerlei  Gährwirkung  mehr  auszuüben  vermochte,  doch  eine  deutliche 
Inversion  des  Rohrzuckers  (mit  Bildung  von  Invertzucker  bis  zu  60  °/0) 
zu  erzielen;  das  invertierende  Agens  war  in  Wasser  nicht  löslich  und 
konnte  nicht  rein  dargestellt  werden.  Jedenfalls  ist  aber  hiermit  er- 
wiesen, dass  auch  bei  der  Monilia  Candida  Inversion  und  Vergährung 
getrennte  Funktionen  sind.  Ferner  wurde  früher  die  Maltose  für 
direkt  vergährbar  gehalten;  doch  ist  für  viele  Fälle  bereits  die 
Existenz  maltose-spaltender  glukaseartiger  Fermente  in  der  Hefe  nach- 
gewiesen (vgl.  S.  200);  in  anderen  Fällen  mögen  vielleicht  ähnliche  Ver- 
hältnisse obwalten,  wie  bei  der  „direkten"  Vergährung  des  Rohrzuckers 
durch  Monilia.  Als  auch  vom  chemischen  Standpunkte  wahrschein- 
lichste Annahme  lässt  sich  wohl  also  die  dargelegte  Ansicht  aufstellen, 
dass  nur  Monosaccharide  unmittelbar  gährfähig  sind,  während  bei 
Disacchariden  stets  vorgängige  Spaltung,  sei  es  durch  isolierbare  Fermente, 
sei  es  durch  das  lebende  Plasma  selbst,  stattfindet.  Ferner  ist  eine  solche 
Spaltung  in  allen  Fällen  anzunehmen,  wenn  höhere  Zuckerderivate  als 
Gährmaterial  dienen;  hierher  gehören  Dextrine,  Stärke,  Inulin,  zwei  neue 
vonTATTEET  (CR.  117.  50)  in  Topinambour-Knollen  nachgewiesene  Kohle- 
hydrate Helianthenin  und  Synarthrin  etc.;  diese  Stoffe  werden  zuerst  durch 
diastatische  Fermente  verzuckert  und  erst  dann  vergohren.  Glykogen 
dagegen  kann  nach  A.  Koch  und  HosÄus  (C.  16.  157)  selbst  von  kräftigen 
Hefen  nicht  vergohren  werden.  Praktisch  hat  wegen  der  leichten 
Spaltbarkeit  der  Disaccharide  und  Stärkesubstanzen  durch  Fermente 
das  Unvermögen  derselben  zur  direkten  Vergährung  gar  keine  Be- 
deutung; im  Gegenteil  finden  gerade  diese  Stoffe  in  den  Gährungsgewerben 
ausgedehnte  Verwendung.  Für  die  Gährungserreger  selbst  bedeutet  ihre 
Ausstattung  mit  verzuckernden  und  invertierenden  Fermenten  eine 
wichtige  Erweiterung  ihrer  Lebens-  und  Wirkungsfähigkeit.  ■ — 

Wenngleich  eine  Abspaltung  von  Alkohol  undC02  aus  Kohlehydraten 
auch  durch  die  Lebensthätigkeit  zahlreicher  Schimmelpilze  und  Bakterien 
gelegentlich  zustande  kommt,  so  ist  doch  die  massenhafte  und  fast 
ausschliessliche  Bildung  dieser  Produkte  aus  bestimmten 
Zuckerarten,  wie  sie  für  die  alkoholische  Gährung  charakte- 
ristisch ist,  nur  bei  Hefen  und  hefeartigen  Sprossungen  einiger 
Schimmelpilze  zu  finden.  Eine  physiologische  Einteilung  der 
Alkoholgährungspilze  nach  dem  Gährsubstrat  lässt  sich  im 
wesentlichen  den  Angaben  Hansens  (Meddedelser  etc.  Bd.II.  Heft  5),  der 


224  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Zusammenstellung  Jörgensen's  (Die  Mikroorg.  d.  Gährungsindustrie. 
S.  131  ff.)  und  den  Untersuchungen  von  E.  Fischer  und  Thierfelder 
(B.  Ch.  27.  2031)  gemäss  etwa  folgendermassen  aufstellen. 

d)  Echte  Saccharomyceten  mit  endogener  Sporenbildung. 

1.  Solche,  die  Alkoholgährung  verursachen  und  isolierbare  inver- 
tierende Fermente  ausscheiden. 

a)  Solche,  die d-Glukose,  d-Mannose,  d-Galaktose,  d-Fruktose,  sowie  Saccharose, 
Maltose,  aber  nicht  Laktose  vergähren.  Hierzu  gehören  Hansen's  6  Hefearten: 
S.  cerevis.  I,  S.  Pastorian.  I,  II,  III,  S.ellipsoid.I,  II,  sowie  sämtliche  in  der  Brauerei- 
industrie verwandten  untergährigen  Rassen.  Die  d-Galaktose  wird  von  einigen 
Arten,  so  von  S.  ellipsoid.  II  nur  schwach  vergohren.  Bei  gleichzeitigem  Vor- 
handensein von  d-Glukose  und  d-Fruktose,  wie  z.  B.  nach  Inversion  des  Rohr- 
zuckers, wird  von  den  meisten  Hefen  die  d-Glukose  bevorzugt  und  daher  rascher 
vergohren  als  die  d-Fruktose;  es  giebt  aber  nach  Gayon  u.  Dubourg  (C.  R.  110.  865) 
auch  Hefen,  die  das  umgekehrte  Verhalten  zeigen. 

ß)  Solche,  die  von  den  Disacchariden  nur  Saccharose  vergähren,  Maltose 
und  Laktose  dagegen  nicht  angreifen;  S.  Marxianus,  S.  exiguus,  S.  Ludwigii. 

y)  Solche,  die  Laktose  vergähren,  als  die  von  Duclaux  (P.  87.  573), 
Adametz  (C.  5.  116),  Grotenfeldt  (F.  89.  121),  Beijerinck  (C.  6.  44),  Kayser 
(P.  91.  395),  Schnurmatjs-Stekhoven  (ref.  K.  1891.  136),  Bociccmo  (C.  XV.  548), 
Fischer  und  Thierfelder  (B.  Ch.  27.  2031)  beschriebenen  Arten. 

2.  Solche,  die  weder  gährende,  noch  invertierende  Wirksamkeit 
äussern.  Hierher  gehören  Sacc.  membranaefaciens  Hansen  und  zwei  demselben 
sehr  ähnliche,  von  Pichi  entdeckte  Arten. 

b)  Sprosspilze  ohne  Endosporenbildung. 

1.  Sacch.  apiculatus  vergährt  nur  d-Mannose,  d-Fruktose,  d-Glukose,  und  zwar 
sehr  langsam,  gar  nicht  die  d-Galaktose;  invertierende  Wirkung  fehlt,  daher  werden 
Rohrzucker,  Milchzucker  und  Maltose  nicht  vergohren. 

2.  Torula- Arten  geben  grossenteils  nur  wenig  Alkohol;  einige  bewirken  In- 
version des  Rohrzuckers  und  vergähren  d-Glukose  und  Invertzucker,  nicht  aber 
Maltose. 

3.  Monilia  Candida  produziert  kein  isolierbares  invertierendes  Fer- 
ment, vergährt  Rohrzucker  „direkt",  vergährt  d-Glukose  leicht,  Maltose 
schwieriger  und  nur  in  Gegenwart  N-haltigen  Nährmaterials. 

4.  Mykoderma  zeigt  weder  Gährthätigkeit,  noch  invertierende  Wirksamkeit. 

c)  Hefeartige  Sptrossungen  von  Schimmelpilzen. 

Werden  Schimmelpilze,  besonders  Mukorarten  in  zuckerhaltige  Nährlösungen 
untergetaucht  und  so  zu  anaerober  Existenz  gezwungen,  so  bilden  sich,  wie  be- 
reits erwähnt,  hefeartige  Sprossungen,  die  eine  ziemlich  energische  Gährthätigkeit 
entfalten  können.  Verschiedene  Arten  zeigen  nach  Hansen  (a.  a.  0.)  Verschieden- 
heit ihrer  chemischen  Leistung;  so  vergährt  Mucor  erectus  d-Glukose  und  Maltose, 
Dextrin  und  sogar  Stärke  nach  vorangegangener  Verzuckerung;  Rohrzucker  wird 
weder  invertiert  noch  vergohren;  Mucor  racemosus  vergährt  schwächer  d-Glukose 


Gotschxich,  Gährungserregung.  225 

und  Maltose,  auch  Rohrzucker  nach  vorgängiger  Inversion;  Mucor  spinosus  und 
Mucor  mucedo  vergähren  nur  d-Glukose  und  Maltose,  letztere  aber  nur  schwach. 
Ausserdem  sind  in  neuester  Zeit  mehrfach  hefeartige  Sprossungen  von 
Schimmelpilzen  beschrieben  worden,  die  sich  durch  ihre  Endosporenbildung  und 
Gährthätigkeit  als  echte  Saccharomyceten  erwiesen,  so  dass  hiernach  vielleicht 
sämtliche  Saccharomyceten  in  den  Entwicklungskreis  von  Schimmelpilzen  gehören 
würden.  So  fand  Jtjhler  (C.  C.  I.  16  u.  326),  dass  Konidien  des  Aspergillus 
oryzae  in  zuckerhaltigen  Nährlösungen  sich  zu  typischen  Saccharomyceten  um- 
bilden. Jörgensen  (ebd.  322)  bestätigte  dieses  Resultat  und  wies  auch  für  die 
Weinhefe,  den  Sacch.  ellipsoideus,  einen  ähnlichen  Ursprung  aus  dematium-  oder 
chalaraähnlichen  Schimmelpilzen ,  die  auf  den  Trauben  vegetieren ,  nach.  Gegen 
die  Richtigkeit  dieser  Angaben  hat  sich  jedoch  bereits  von  Kosai  u.  Yabe  (C.  C. 
I.  609  und  Kxöcker  u.  Schiönning  (ebd.  777)  Widerspruch  erhoben;  endgiltige 
Entscheidung  bleibt  abzuwarten. 

Unter  den  Angehörigen  der  einzelnen  Gruppen  finden  sich  wieder 
Verschiedenheiten  je  nach  der  Art  und  Grösse  der  Leistung  bei  der 
Vergährung.  Bekannt  ist  die  alte  Unterscheidung  der  Brauereihefen 
in  Ober-  und  Unterhefe;  bei  ersterer  bilden  sich  die  Sprossungen 
rascher  aus,  es  entstehen  zusammenhängende  Zellkomplexe,  welche  durch 
den  Strom  von  C02 -Bläschen  leicht  an  die  Oberfläche  gerissen  werden; 
bei  der  Unterhefe  erfolgen  die  Sprossungen  langsam,  es  entstehen  nur 
kleine  Sprossverbände,  die  am  Boden  liegen  bleiben;  die  Gährung 
erfolgt  bei  der  Unterhefe  weniger  stürmisch  und  meist  bei  einem 
niedrigeren  Temperaturoptimum  wie  bei  der  Oberhefe.  Ein  Unterschied 
besteht  ferner  darin,  dass  die  in  der  Bierbrauerei  verwendeten  Unter- 
hefen Melibiose  nach  vorgängiger  Spaltung  in  Glukose  und  Galaktose 
vergähren,  während  Oberhefen  dazu  nicht  imstande  sind  (Fischee  u. 
LiNDNEE,B.Ch.28.3034;BAU,Chemiker-Ztg.l895.Nr.83).  Während  früher 
nach  Reess  und  Pasteue  angenommen  wurde,  dass  die  eine  dieser  Formen 
sich  leicht  in  die  andere  umbilden  könne,  ist  jetzt  von  Hansen  (Unters,  a. 
d.  Praxis  d.  Gährungsindustrie.  I.  70f.  1895)  mit  Bestimmtheit  nachge- 
wiesen, dass  derartige  Umbildungen  selbst  bei  jahrelanger  Fortzüchtung 
nicht  vorkommen;  jede  Hefeart  bewahrt  vielmehr  ihren  Charakter  als 
Ober-  oder  Unterhefe  als  konstantes  Merkmal.  —  Ferner  unterscheidet 
man  je  nach  dem  Umfang  und  der  Geschwindigkeit  der  Vergährung 
schwache  und  kräftige  Hefen.  — 

Die  Art  und  Weise  der  Zerlegung  der  Hexosen  durch  die  Hefe- 
gährung  hat  man  früher  durch  eine  sehr  einfache  chemische  Gleichung 
dargestellt.  Man  glaubte,  dass  eine  Spaltung  des  Zuckermoleküls  in 
2  Moleküle  Alkohol  und  2  Moleküle  C02  stattfinde;  C6H12  06  = 
2C2H5OH+  2C02.  Pasteite  wies  zuerst  nach,  dass  regelmässig 
noch  eine  Reihe  von  Nebenprodukten  auftritt,  selbst  wenn  mög- 
lichst reines  Gährmaterial  benutzt  wird;  die  thatsächlich  gefundene 
Menge  Alkohol   ist   stets    geringer    als    die    aus    der  obigen  einfachen 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  15 


22(3  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Formel  theoretisch  hergeleitete;  ca.  6%  des  umgesetzten  Zuckers  sind 
für  die  Entstehung  der  Nebenprodukte  verbraucht.  Unter  diesen  letzteren 
treten  in  vorwiegender  Menge  Glycerin  und  Bernsteinsäure  auf; 
die  Menge  des  ersteren  entspricht  im  Durchschnitt  2,5 — 3,6  %  des  ver- 
gohrenen  Zuckers,  die  der  Bernsteinsäure  0,4 — 0,7 %  desselben;  ausser- 
dem finden  sich  konstant  als  Beimengungen  Spuren  von  Aldehyd  und 
Essigsäure,  ferner  Acetal,  höhere  Alkohole,  wie  Propyl-,  Butyl-, 
Amyl-,  Hexylalkohol  (letzterer  besonders  im  Spiritus  aus  Rübenmelasse), 
deren  Gemenge  als  Fuselöl  bekannt  ist,  Furfurol  und  ätherartige 
Stoffe,  welche  letzteren  insbesondere  bei  der  Gährung  des  Weines  als 
Boucjuetbildner  eine  wichtige,  noch  zu  •  besprechende  Rolle  spielen. 
Während  für  die  früheren  Gährversuche  die  Möglichkeit  bestand,  dass 
diese  Nebenprodukte  nicht  der  alkoholischen  Gährung  selbst,  sondern 
der  Mitwirkung  fremder,  zufällig  eingedrungener  Mikroben  ihre  Ent- 
stehung verdanken,  kann  dieser  Einwand  einer  ganzen  Reihe  neuerer 
Untersuchungen  gegenüber,  die  mit  tadellosen  Hefe-Reinkulturen  unter 
allen  Vorsichtsmassregeln  angestellt  wurden  und  bei  denen  trotzdem 
die  erwähnten  Nebenprodukte  auftraten,  nicht  mehr  aufrecht  erhalten 
werden;  vgl.  z.  B.  Boegmann  (C.  1.  8),  Lindner  (r.  ebd.  3.  749), 
Amthoe  (r.  ebd.  4.  650;  Z.  physiol.  Ch.  XII.  64),  Maetinaud  (C.  R, 
107),  Thylmann  und  Hilgee  (A.  8.  451),  Rau  (ebd.  14.  225), 
Woetmann  (Landw.  Jahrb.  1892.  906  u.  r.  Koch  1893.  159),  Katsee 
(P.  90.  321),  Mach  und  Portele  (L.  V.  41.  233),  Roesee  (P.  93. 
41).  Diese  Untersuchungen  haben  ferner  ergeben,  dass  das  Ver- 
hältnis der  einzelnen  Produkte  bei  verschiedenen  Hefearten  ein  ver- 
schiedenes ist;  es  ist  deshalb  nicht  möglich,  der  Bildung  dieser 
Nebenprodukte  durch  eine  allgemein  giltige,  kompliziertere  Gährungs- 
gleichung  Genüge  zu  leisten,  wie  dies  früher  von  Pasteue  u.  Monotee 
versucht  worden  ist.  Sehr  wichtig  für  die  Praxis  der  Gährungsindustrie 
sind  ferner  jene  Unterschiede  in  der  chemischen  Leistung  verschiedener 
Hefearten,  die  die  ätherartigen,  aromagebenden  oder  Bouquetstoffe  des 
Gährproduktes,  speziell  des  Weines  betreffen  und  sich  deutlich  in  ver- 
schiedenem Geschmack  und  Aroma  der  verschiedenen  Gährprodukte 
kundgeben;  hierauf  ist  später  noch  zurückzukommen.  Die  Bildung  der 
Nebenprodukte  der  alkoholischen  Gährung  ist  aber  nicht  nur  von  der 
Natur  des  Erregers,  sondern  ausserdem  noch  von  den  äusseren  Versuchs- 
bedingungen abhängig.  So  fand  Beefeld,  dass  die  Nebenprodukte 
sich  um  so  mehr  anhäufen,  je  ungünstiger  die  Verhältnisse  für  den 
Gährungserreger  liegen;  daher  häufen  sich  dieselben  gegen  Ende  der 
Gährung  an  und  kommen  besonders  reichlich  bei  solchen  Gährungs- 
erregern  zustande,  die  nur  mühsam  eine  Gährung  unterhalten  und 
eigentlich  auf  andere  Existenzbedingungen  angewiesen  sind,    z.  B.  bei 


Gotschlich,  Gährungserregung.  227 

Mucor  stolonifer  und  mucedo;  auch   scheint  nach  Pasteue  sowie  nach 
Mach  und  Poetele  (L.  V.  41.  261)    alte  Hefe   mehr   Bernsteinsäure 
und  Glycerin  zu  liefern  als  frische.    Für  die  Bedingungen  der  Glycerin- 
und  Bernsteinsäurebildung  konstatierten  Thylmann  u.  Hilgee  (a.  a.  0.) 
bezw.   Ratt   (a.  a.  0.)  Folgendes:     Niedere    Temperatur    verringert    die 
Glycerinbildung,    nicht  aber  die  Bernsteinsäureproduktion;    Nährstoff- 
zusatz zum  Gährgemisch  ruft  erhöhte  Glycerinbildung  hervor,  vermehrt 
aber    die  Bernsteinsäuremenge   nicht;    die    Entstehung   beider  Neben- 
produkte geht  in  gleicher  Weise  bei  Zutritt  und  Abschluss   der  Luft 
vor  sich.     Auffallend   gering   war  die  Glycerinproduktion  in  mehreren 
Fällen,    in    denen   reine   Hefen    angewandt  wurden.      Die  Produktion 
der  höheren  Alkohole  erfolgt  nach  Lindet  (C.  R.  107.  182;   112.  102) 
erst  in    den   späteren  Stadien   der  Gährung   und    wird    durch   niedrige 
Temperaturen  unterdrückt.     Aldehyd  entsteht  nach  Roesee  (a.  a.  0.) 
bei  Luftzutritt  in  weit  grösserer  Menge  als  bei  Luftabschluss  und  ver- 
dankt wahrscheinlich,  wenigstens  teilweise,  seine  Existenz  einer  durch 
die  Hefe  vollzogenen  Oxydation  des  Alkohols.    Man  kann  sich  vielleicht 
vorstellen,  dass  in  einigen  der  besprochenen  Nebenprodukte  nicht  direkte 
Abbauprodukte  des  vergohrenen  Zuckers  zu  sehen  sind,    sondern  dass 
sie  dem  von  der  Gährwirkung  unterschiedenen  und  neben  ihr  hergehen- 
den Stoffwechsel   der   Hefe    angehören.     Für    diese  Ansicht    könnten 
manche  Punkte  herangezogen  werden,  so  z.  B.  die  Thatsache,  dass  die 
Aldehydbildung  nach  Roesee  auch  in  Nährlösungen  vor  sich  geht,    die 
gar  kein  gährfähiges  Substrat  enthalten,  ferner  die  durch  v.  Udeanszky 
(Z.    physiol.    Ch.    13.    539)    bei    Hefe    beobachtete    Glycerinproduktion 
ohne  gleichzeitige  C02 -Bildung  unter  Umständen,  unter  denen, sowohl 
Gährwirkung  als  Selbstvergährung  der  Hefe  ausgeschlossen  waren,  sowie 
die  von  demselben  Autor  beim  Absterben  der  Hefe  festgestellte  Glycerin- 
produktion  ohne  C02 -Entwicklung.     Indessen  spricht  doch  auch  man- 
ches, so  insbesondere  die  eigentümliche  Qualität  der  Produkte,  ihr  fast 
regelmässiges  Auftreten  bei  jeder  alkoholischen  Vergährung  des  Zuckers, 
gegen  die  allgemeine  Zulässigkeit  einer  solchen  Annahme.   Die  Frage  nach 
der  Bedeutung  der  Nebenprodukte  ist  offenbar  noch  nicht  abgeschlossen. 

Über  die  Veränderungen,  welche  dasGährprodukt  der  Hefe  bei  jahrelangem  Ver- 
weilen der  letzteren  in  dem  gegohrenen  Substrat  erleidet,  haben  Raymann  und 
Kruis  (r.  K.  J.  1891.  125)  Untersuchungen  unter  Verwendung  von  Reinkulturen  an- 
gestellt. Der  Alkohol  verbleibt  neben  der  Hefe  jahrelang  unverändert,  wenn  die 
Flüssigkeit  bei  niedriger  Temperatur  und  Luftabschluss  aufbewahrt  wird;  anderen- 
falls steigt  die  Hefe  an  die  Oberfläche,  bildet  hier  eine  Kahmhaut  und  oxydiert 
den  gebildeten  Alkohol  weiter  zu  C02  und  H20.  Die  in  der  Flüssigkeit  ent- 
haltenen Eiweisskörper  werden,  sobald  der  Hefe  keine  gährfähigen  Kohlehydrate 
mehr  zur  Verfügung  stehen,  angegriffen  und  bis  zu  Amiden  und  Ammoniaksalzen 
organischer  Säuren  hydratisiert ;  ausserdem  findet  eine  Oxydation  der  Eiwei 

15* 


228  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

produkte  zu  Ameisen-  und  Valeriansäure  statt.  Auch  Dtjclaux  (P.  93.  537) 
fand  bei  längerem  Lagern  von  Weinproben  mit  Krankheitshefen  Fortgehen  der 
Oxydationsprozesse  im  Wein;  in  sterilisierten  Weinen  fand  dagegen  selbst  nach 
20jähriger  Lagerung  keine  weitere  Oxydation,  jedoch  eine  erhebliche  Ester- 
bildung statt. 

Unter  normalen  Verhältnissen,  wo  wie  in  der  Gährungsindustrie 
von  einer  ganz  geringen  Aussaatmenge  ausgegangen  wird,  findet  stets 
bei  der  Vergährung  des  Zuckers  eine  gleichzeitige  Vermehrung 
der  Hefe zellen  statt.  Diese  Vermehrung  steht  cet.  par.  in  direktem 
Verhältnis  zur  Menge  des  umgesetzten  Zuckers,  bezw.  des  neugebilde- 
ten Alkohols;  nach  Ad.  Mayer  (L.V.  16. 301)  beträgt  sie,  berechnet 
auf  trockene  Hefesubstanz,  etwa  1,38 — 2,03  °/0  des  neugebildeten  Alko- 
hols. Durch  reichliche  Lüftung  kann  die  Vermehrung  der  Hefe 
erheblich  gesteigert  werden.  Selbstverständliche  Voraussetzung  zum 
Zustandekommen  einer  reichlichen  Hefevermehrung  ist  die  Anwesen- 
heit genügender  Mengen  organischer  Nährstoffe.  In  einer  gegebenen 
Gährflüssigkeit  kann  daher  nur  eine  ganz  begrenzte  Anzahl  von  Hefe- 
zellen vegetieren,  die  Hefeernte  ist  daher  unabhängig  von  der  Aus- 
saatstärke (Brown:  r.  K.  92.  101);  werden  von  vornherein  mehr  Hefe- 
zellen in  die  Gährflüssigkeit  gebracht,  als  darin  nach  Massgabe  der 
Versuchsbedingungen  sich  überhaupt  entwickeln  könnten,  so  tritt  gar 
keine  Vermehrung  ein.  Nichtsdestoweniger  findet  hierbei  doch 
Gährung  statt;  auf  diese  Weise  ist  es  auch  möglich,  sogar  in  reinen 
Zuckerlösungen  durch  grosse  Hefegaben  Gährung  hervorzurufen,  wo- 
bei freilich  eine  an  N-haltigen  Stoffen  sehr  erschöpfte  Hefe  zurück- 
bleibt. Auch  unter  normalen  Verhältnissen  bei  Hefevermehrung  gehen 
die  vegetative  und  die  Gährungsenergie  der  einzelnen  Hefe- 
zelle nicht  immer  parallel.  Ob  im  zeitlichen  Verlauf  der  Gährung 
das  Maximum  der  Energieentfaltung  bezüglich  Teilung  und  Gähr- 
wirkung  zusammenfällt,  ist  noch  nicht  eindeutig  entschieden;  Brown 
(a.  a.  0.)  behauptet  es,  während  Andere,  wie  z.  B.  Mach  u.  Portele 
(r:  K.  1892.  130),  annehmen,  dass  zuerst  die  vegetative,  dann  die 
Gährungsenergie  ihr  Maximum  zeige.  Sicher  geht  die  Vergährung 
noch  weiter  fort,  nachdem  die  Vermehrung  der  Zellen  längst  aufgehört 
hat.  Ferner  besteht  ein  solcher  Parallelismus  nicht  bei  der  Erhöhung 
der  Vermehrungsenergie  der  Hefe  durch  ausgiebige  Lüftung;  hier  ist 
nach  van  Laer  (r:  K.  1893.  137)  zwar  die  Gesammtmenge  der 
in  einer  gegebenen  Zeit  stattfindenden  Zuckerumsetzung  wegen  der 
grösseren  Zahl  der  beteiligten  Individuen  vermehrt,  doch  die  Gäh- 
rungsenergie der  einzelnen  Zelle  geringer  als  bei  Luft- 
abs chluss.  In  merkwürdigem  Gegensatz  zu  diesem  Verhalten  der 
normal    sprossenden  Hefe    steht    die   Thatsache,    dass  Hefe,    die  in  so 


Gotschlich,  Gährungserregung.  229 

grossen  Mengen  in  die  Gährflüssigkeit  gebracht  ist,  dass  keine  weitere 
Vermehrung  mehr  stattfinden  kann,  doch  durch  Sauerstoffzufuhr  in 
ihrer  Gährleistung,  also  natürlich  auch  in  der  Gährungsenergie  jeder  ein- 
zelnen Zelle  gefördert  wird  (Brown,  1.  c).  Es  hat  vorläufig  noch  nicht 
gelingen  wollen,  diese  divergenten  Thatsachen  zwanglos  unter  einen 
Gesichtspunkt  zu  vereinen.  Hierher  gehört  endlich  noch  Effront's 
(r:  K.  1891.  156)  Beobachtung,  dass  durch  Fluorverbindungen  in 
bestimmten  Koncentrationen  Hefe  zwar  in  ihrer  Vermehrungsfähig- 
keit beeinträchtigt  wird,  wobei  jedoch  die  Gährenergie  der  Einzelzelle 
sogar  eine  Steigerung  erfährt;  ein  analoges  Resultat  ergiebt  sich  aus 
den  Versuchen  von  Foth  (C.  1.  502)  für  Hefe  in  C02 -Atmosphäre. 

Betreffs  der  Abhängigkeit  der  Gährung  von  äusseren  Beding- 
ungen kommt  neben  dem  bereits  besprochenen  Nährstoffgehalt 
der  Lösung  die  Koncentration  der  Zuckerlösung  in  Betracht. 
Zuckerlösungen  von  5 — 20°/0  werden  nach  Brown  (1.  c.)  annähernd 
mit  der  gleichen  Intensität  vergohren;  30proz.  Lösungen  vergähren 
langsamer.  Nach  Dumas  (A.  eh.  ph.  1874)  ist  die  Dauer  der 
Gährung  annähernd  der  vorhandenen  Zuckermenge  direkt  proportional. 
Die  Diffusion  kann  nicht  der  beherrschende  Faktor  bei  der  Gährung 
sein,  da  Gayon  u.  Dubourg  (C.  R.  110.  865)  fanden,  dass  verschiedene 
Hefen  verschiedene  Zuckerarten  in  einem  ganz  anderen  Verhältnis  ver- 
gähren, als  deren  Diffusionsfähigkeit  entspricht.  Als  Temperatur- 
optimum ist  im  allgemeinen  etwa  25°  anzusehen,  doch  ist  dasselbe 
unter  dem  Einfiuss  verschiedener  anderer  äusserer  Faktoren  verschieb- 
bar. —  Der  Fortdauer  der  Gährung  wird  sehr  bald  ein  Ziel  gesetzt 
durch  die  Ansammlung  der  Gährprodukte;  ein  Gehalt  von  12°/0 
Alkohol  hemmt  bereits  das  Wachstum  der  Hefe,  und  bei  mehr  als 
14°/0  Alkohol  sistiertjede  Gährung.  Für  Mukorhefe  liegt  diese  Grenze 
noch  viel  tiefer,  bei  374  —  4  °0  (bei  Mucor  stolonifer  gar  nur  bei  1,3  °/0); 
Mukorhefe  ist  auch  gegen  stärkere  Koncentration  der  Zuckerlösung 
viel  empfindlicher,  da  nur  bis  zu  einem  Zuckergehalt  von  7  °/0  aus- 
giebige Gährung  eintritt.  Verschiedene  Hefearten  scheinen  gegen  die- 
selbe Koncentration  ihrer  flüchtigen  Gährprodukte  sehr  verschiedene 
Resistenz  zu  zeigen;  so  soll  nach  Prior  (C.  C.  1.  432)  der  durch 
die  „schwache"  Saazer  Hefe  erreichte  niedrige  Endvergährungsgrad  sich 
durch  die  Empfindlichkeit  dieser  Hefe  gegen  ihre  Gährprodukte  erklä- 
ren; werden  dieselben  durch  Überdestillieren  im  Vakuum  stetig  ent- 
fernt und  sonst  für  günstige  Gährungsbedingungen  Sorge  getragen, 
so  lässt  sich  auch  mit  dieser  schwachen  Hefe  eine  fast  vollständige 
Vergährung  erreichen. 

Den  zeitlichen  Verlauf  der  Gährung  hat  Cochin  (CR. 96)  durch 
fortlaufende  Messung  der  entwickelten  C02 -Mengen  zu  bestimmen  ge- 


230  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

sucht.  Er  fand,  dass  immer  zunächst  10 — 20  Minuten  vergehen,  bis 
lebhafte  Gährung  eintritt,  in  verdünnten  Lösungen  noch  längere  Zeit. 
Diese  Inkubationszeit  kommt  nicht  etwa  dadurch  zustande,  dass  die 
Zuckerlösung  zunächst  ins  Innere  der  Zellen  eindringen  muss  und 
dazu  eine  gewisse  Zeit  verbraucht;  denn  sie  ist  auch  dann  zu  beob- 
achten, wenn  die  Hefe  direkt  aus  bereits  gährender  Zuckerlösung  in 
neue  Lösung  übertragen  wird.  Der  weitere  Verlauf  der  Gährung  lässt 
sich  durch  eine  steil  aufsteigende  Curve  versinnlichen,  die  nach  neueren 
Untersuchungen  von  Bkown  (1.  c.)  sich  sehr  der  Geraden  nähert,  jeden- 
falls von  einer  für  rein  chemische  Umsetzungen  berechneten  Kurve 
völlig  abweicht;  die  Gährung  kann  also  nicht  etwa  als  ein  durch  eine 
von  der  Zelle  ausgeschiedene  chemische  Substanz  zustande  kommender 
einfacher  chemischer  Prozess  angesehen  werden. 

Besondere  Beachtung  ist  von  vielen  Forschern  der  sog.  Selbstvergährung 
der  Hefe  geschenkt.  Dieselbe  findet  statt,  wenn  grosse  Massen  frischer,  lebens- 
kräftiger Hefe  mit  reichlich  Wasser  bei  ungenügendem  Luftzutritt  und  günstiger 
Temperatur  (25 — 30°)  sich  selbst  überlassen  werden.  Es  wird  unter  diesen  Um- 
ständen reichlich  C02  und  Alkohol  gebildet;  die  Hefe  geht  in  einen  erweichten 
Zustand  über  und  lässt  in  das  wässrige  Extrakt  zahlreiche  Stoffe  übertreten, 
die  zum  Teil  als  Eiweissspaltprodukte  (Tyrosin,  Butalanin,  Carnin,  Sarkin,  Guanin, 
Xanthin  etc.)  angesprochen  werden  müssen.  Die  Produktion  von  C02  und  Alkohol 
Hesse  sich  entweder  dadurch  erklären,  dass  vergährbarer  Zucker  in  der  Hefe  vor- 
handen war,  oder  dass  irgend  ein  Bestandteil  der  Hefe,  sei  es  ein  Kohlehydrat 
oder  eineProtei'nsubstanz,  sich  leicht  in  Zucker  umwandelte.  Nach  Pasteur  finden 
sich  nun  in  der  That  stets  in  der  Hefe  zuckerähnliche  Stoffe,  die  als  solche  schwer 
extrahierbar  sind,  aber  z.  B.  durch  Mineralsäuren  die  Umwandlung  in  Zucker  er- 
leiden; diese,  sowie  die  Cellulose  der  Zellmembran  sollten  nach  Pasteur  das 
Material  der  Selbstvergährung  liefern.  Liebig  vertrat  eine  andere  Anschauung; 
da  er  zuweilen  bei  der  Selbstvergährung  so  grosse  Mengen  von  C02  und  Alkohol 
entstehen  sah  (8 — 13,5%  Alkohol  vom  Trockengewicht  der  Hefe),  dass  der  ge- 
samte Gehalt  der  Hefe  an  Kohlehydraten  nicht  ausreichte,  um  diese  Menge  von 
Gährprodukten  zu  liefern,  nahm  er  an,  dass  dieselben  aus  einer  Spaltung  der 
Eiweisssubstanzen  der  Hefezellen  hervorgehen,  und  sah  darin  eine  Stütze  seiner 
allgemeinen  Anschauung,  nach  welcher  der  wesentliche  bei  jeder  Gährung  statt- 
findende Vorgang  stets  die  Zersetzung  einer  komplizierten  Protemsubstanz  und 
Übertragung  der  chemischen  Bewegung  von  dieser  auf  die  Zuckermoleküle  sei. 
Nägeli  wies  jedoch  nach,  dass  bei  der  Selbstvergährung  kein  auf  die  Hefe  allein 
beschränkter  Prozess  vorliege,  sondern  dass  in  den  früheren  Versuchen  zweifellos 
Spaltpilze  an  der  Zersetzung  mitgewirkt  haben.  Die  C02-  und  Alkohol-Produktion 
kann  dann  ebenso  wie  die  Bildung  der  N-haltigen  Produkte  auf  die  Gährthätigkeit 
dieser  Spaltpilze  zurückgeführt  werden,  für  deren  Vermehrung  ja  alle  Bedingungen 
gegeben  waren.  Wurde  die  Ansiedlung  dieser  fremden  Eindringlinge  z.  B.  durch 
Zusatz  von  Citronensäure  erschwert,  so  fanden  sich  immer  nur  minimale  Spuren 
Alkohol,  die  vielleicht  durch  Vergährung  der  geringen  in  der  Hefe  präformierten 
Zuckermengen  entstanden.  Dieser  letztere  Vorgang  würde  den  Zersetzungen  im 
hungernden  Tier  ganz  analog  sein.    Dass  aber  weiterhin  auch  die  Prote'insubstanzen 


Gotschlich,  Gährungserregung.  231 

der  erschöpften  Hefezellen  durch  die  Gährthätigkeit  anderer  lebender  Hefezellen 
angegriffen  werden,  dafür  fehlen  bisher  alle  sicheren  Anhaltspunkte. 

In  der  technischen  Verwertung  der  Alkoholgährung  bei 
der  Brauerei,  Brennerei,  Weinbereitung  etc.  benutzte  man  früher  als 
Gährungserreger  unkontrollierbare  Hefegemische,  die  als  "Weinhefe,  Bier- 
hefe u.  dgl.  bezeichnet  wurden  Nachdem  sich  aber  durch  die  Unter- 
suchungen von  E.  Che.  Hansen  (C.  R.  laborat.  d.  Carlsberg:  Unters,  a. 
d.  Praxis  d.  Gährungsindusrie.  H.  1  u.  2)  herausgestellt  hat,  dass  viele 
Krankheiten  des  Bieres,  als  schlechter  bitterer  Geschmack,  mangelhafte 
Klärung,  geringe  Haltbarkeit  etc.  durch  „wilde  Hefen"  bewirkt  werden, 
die  zufällig  in  die  Gährbottiche  gelangen  und  die  Thätigkeit  der  Kultur- 
hefen stören,  —  nachdem  ferner  durch  die  Arbeiten  desselben  Autors  die 
Möglichkeit  gegeben  war,  Hefe  sicher  rein  zu  züchten  und  durch  Aus- 
sat derselben  ein  ganz  bestimmtes  zuverlässiges  Gährprodukt  zu  er- 
halten, erschien  es  geboten,  auch  bei  der  Brauerei  im  grossen 
reine  Hefearten  und  sterilisierte  Würze  anzuwenden.  Dies  ist 
zuerst  von  Hansen,  später  von  vielen  Anderen  mit  durchweg  aus- 
gezeichnetem Erfolge  unternommen  worden;  zahlreiche  Brauereien 
arbeiten  bereits  mit  grossem  Vorteil  nach  diesem  Prinzipe,  welches 
wirksam  vor  dem  Eindringen  von  Krankheitshefen  und  anderen  Bier- 
krankheiten verursachenden  Mikroben  (als  Bacillen,  Sarcinen  etc.)  schützt 
und  jede  Unsicherheit  aus  dem  Gährungsbetriebe  verbannt.  Das  zuerst 
für  Untergährung  angegebene  Prinzip  Hansen's  ist  nach  Jörgensen 
auch  in  obergährigen  Brauereien  anwendbar.  Berichte  über  die  Er- 
fahrungen, welche  man  mit  Hansens  Verfahren  gemacht  hat,  finden 
sich  in  grosser  Anzahl  in  den  erwähnten  Werken  Hansens  und 
Jörgensen' s  zusammengestellt.  Neuerdings  ist  das  HANSEN'sche  Prinzip 
mit  grossem  Vorteil  auch  bei  der  Wein-  und  Schaumweinberei- 
tung (vgl.  u.  a.  Wortmann,  r:  K.  1893.  159),  sowie  von  Greg 
(r:  C.  15.  46)  bei  der  Rumfabrikation  angewandt  werden.  Ja,  man 
ist  noch  einen  Schritt  weiter  gegangen:  auf  die  Überlegung  gestützt, 
dass  verschiedene  Arten  von  Hefen  verschiedene  charakteristische  Aroma- 
stoffe erzeugen,  auf  denen  teilweise  die  verschiedene  Qualität  differenter 
Weinsorten  beruht,  hat  man  versucht,  minderwertige  Weine  durch 
Impfung  mit  vorzüglich  aromagebenden  Hefen  zu  veredeln. 
Diese  Versuche,  die  schon  in  grosser  Zahl  angestellt  sind,  haben  im 
allgemeinen  ein  günstiges  Resultat  ergeben;  nur  darf  man  nicht  ver- 
langen, dass  die  Thätigkeit  der  Hefe  den  ganzen  Charakter  des  Weines 
ändern  und  etwa  aus  einem  ganz  minderwertigen  Gährmaterial  ein  vor- 
zügliches Produkt  erzeugen  soll.  Der  Grundcharakter  des  Weines, 
beruhend  auf  den  von  der  Rebe  fertig  gelieferten  „primären  Bouquet- 
stoffen"  (Müller-Thurgau,  Wortmann)  bleibt  ungeändert;    die  von 


232  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

der  Hefe  gelieferten  „sekundären  Bouquetstoffe"  vermögen  auf 
dieser  Grundlage  jedoch  Modifikationen  des  Geschmacks  und  Aromas 
hervorzurufen.  Eine  besonders  dankbare  Wirkung  wird  daher  bei  Ver- 
edlung minderwertiger  Moste,  die  wenig  primäre  Bouquetstoffe  enthalten, 
beispielsweise  bei  Veredlung  von  Obstwein  durch  Weinhefen  (Nathan, 
r:  K.  1893.  1601  erzielt, 

2.  Oxalsäuregährung 

in  Lösungen  von  d- Glukose,  Galaktose,  Maltose,  Rohrzucker,  Milchzucker,  Mannit, 
Dulcit  und  Glycerin  konstatierte  Zopf  (Ber.  d.  dtsch.  botan.  Ges.  1889.  94)  bei 
seinem  echten  endosporen  „Saccharomyces  Hansemi". 

3.  Citronensäuregährung 

von  Zuckerarten  sah  Wehmer  (C.  15.  427)  durch  zwei  neu  entdeckte  Schimmel- 
pilze: Citromyces  Pfefferianus  und  glaber,  zustande  kommen.  Die  Ausbeute  ist  so 
reichlich,  dass  an  eine  technische  Verwertung  des  Verfahrens  gedacht  werden  kann. 

4.  Milchsäuregährung. 

Das  Material  für  die  Milchsäuregährung  liefern  Traubenzucker, 
Rohrzucker,  Milchzucker  (letztere  beiden  wahrscheinlich  erst  nach  vor- 
gängiger Inversion),  Rhamnose,  Mannit,  Sorbit. 

Spontan  tritt  die  Milchsäuregährung  regelmässig  in  der  Milch  auf, 
wenn  diese  3 — 4  Tage  bei  Zimmertemperatur  oder  besser  noch  bei 
30°  gehalten  wird;  ausserdem  wird  sie  sehr  häufig  bei  Fruchtsäften, 
Rübensaft,  vegetabilischen  Stoffen,  wie  Rübenschnitzeln,  beobachtet  und 
bei  der  Herstellung  des  Sauerkrauts  und  Sauerfutters  verwertet.  Künst- 
lich erhält  man  Milchsäuregährung  auch  durch  mehrtägiges  Stehenlassen 
einer  mit  etwas  altem  Käse  und  geschlemmter  Kreide  versetzten  Rohr- 
zuckerlösung von  geringer  Koncentration  bei  30  —  35°;  der  milchsaure 
Kalk  lässt  sich  in  einfacher  Weise  gewinnen. 

Als  Erreger  dieser  Gährung  können  eine  ganze  Reihe  von 
Bakterien  fungieren.  Bei  der  spontanen  Milchsäuregährung  in  der 
Milch  sind  zuerst  von  Hueppe  (M.  G.  II),  später  von  Grotenfelt 
(F.  1889.  121)  u.  A.  Bacillen  als  Erreger  isoliert  worden,  die  in  Rein- 
kultur auf  sterile  Milch  übertragen  typische  Milchsäuregährung  hervor- 
riefen. Daneben  sind  aber  auch  noch  viel  andere  Bacillen,  ferner 
Kokken,  so  von  Lübbert  (Biolog.  Spaltpilzunters.  S.  35),  ferner  von 
Fokker(Z.9.41),  auch  Sarcinen,so  vonLiNDNER(r:C.2.340)beschrieben, 
und  nach  Gosio  (A.  21.  114;  22.  1)  und  Kuprianow  (ebd.  19.  H.  3)  auch 
Vibrionen  zu  dieser  Gährwirkung  befähigt.  Das  Hauptprodukt  der 
Gährung  ist  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  die  Athyliden- 
milchsäure:  CH3-CHOH.COOH;  nur  Hilger  (A.  Ch.  Pharm.  160.  336) 
will  in  einem  Falle  neben  Propion-  und  Buttersäure  die  isomere  Äthylen- 


Gotschlich,  Gährungserregxmg.  233 

milchsäure:  CH2OH-CH2.COOH  erhalten  haben.  Die  Äthylidenmilch- 
säure  tritt  in  drei  optisch  isomeren  Modifikationen  als  Gährprodukt 
auf:  erstens  als  gewöhnliche,  optisch  inaktive  sog.  Gährungsmilch- 
säure,  ausserdem  aber  in  zwei  optisch  aktiven  Formen  als  Rechts- 
bezw.  Linksmilchsäure,  deren  erstere  mit  der  längst  bekannten 
Fleisch-  oder  Paramilchsäure  des  Muskels  identisch  ist.  Die  Linksmilch- 
säure wurde  erst  neuerdings  von  Schakdinger  (M.  Ch.  11.  545)  als 
Produkt  einer  durch  einen  Wasserbacillus  erzeugten  Gährung  erhalten. 
Die  Zinksalze  der  beiden  optisch  aktiven  Milchsäuren  verhalten  sich  in 
optischer  Beziehung  gerade  umgekehrt  wie  die  zugehörigen  Säuren; 
das  Paralaktat  dreht  links,  während  das  Zinksalz  der  Linksmilchsäure 
rechtsdrehend  ist.  Die  inaktive  Gährungsmilchsäure  ist  als  eine  race- 
mische  Verbindung,  analog  der  Traubensäure  aufzufassen;  hierfür  sprechen 
die  Krystallisationsversuche  Scharding-er's,  sowie  die  durch  Lewkowitsch, 
Linossier  (r:K.  1891.  177)  und  Frankland  u.Mac  Gregor  (r:  ebd.  1893. 
193)  konstatierte  Spaltung  der  inaktiven  Säure  durch  Mikro- 
organismen, wobei  nach  Angabe  letzterer  Autoren  die  linksdrehende 
Säure  zuerst  zersetzt  wird  und  die  Fleischmilchsäure  übrig  bleibt.  Welche 
der  drei  optisch  isomeren  Athylidenrnilchsäuren  als  Gährprodukt  auf- 
tritt, hängt  zunächst  von  der  Natur  des  Erregers  ab.  So  fand  Schar- 
dinger (r:  C.  15.  48)  unter  9  Arten  von  Milchsäure  produzierenden  Bak- 
terien bei  2  die  inaktiven,  bei  7  Arten  die  aktiven  Milchsäuren;  ferner 
unterscheiden  sich  nach  Gosio  und  Kttprianow  selbst  nahe  verwandte, 
zu  derselben  Gruppe  gehörige  Bakterien,  nämlich  die  choleraähnlichen 
Vibrionen,  durch  die  Natur  der  entstehenden  Milchsäure:  der  Vibrio 
choleraeasiaticae,  sowie  die  Vibrionen  von  Finkler-Prior,  Metscbznikofe, 
Weibel,  Dunbar,  Wernicke  I,  II  und  III,  Vibrio  Massaua  und  Vibrio 
danubicus  bilden  Linksmilchsäure,  während  die  Vibrionen  von  Deneke 
und  Bonhoef  a  die  rechtsdrehende  und  endlich  Vibrio  aquatilis,  Bero- 
linensis  und  Bonhoee  b  die  inaktive  Modifikation  erzeugen;  analoge 
Differenzen  existieren  nach  Blachstein  (r:  K.  1892.  80)  zwischen 
Typhus-  und  manchen  Colibacillen.  Ausserdem  hängt  aber  die 
Natur  der  gebildeten  Säure  auch  von  der  chemischen  Natur  des 
Gährsubstrats  und  den  sonstigen  Versuchsbedingungen,  insbesondere 
den  Ernährungsverhältnissen  des  Erregers  ab;  so  fand  Täte  (r:  K. 
1893.  191)  bei  demselben  Bakterium  Bildung  von  Linksmilchsäure 
aus  d- Glukose  und  Mannit,  von  inaktiver  Milchsäure  dagegen  bei 
der  Vergährung  von  Rhamnose;  nach  Pere  (P.  92.  512)  bildet  dasselbe 
Bact.  coli  bei  Vergährung  der  d-Glukose  unter  Luftzutritt  Rechtsmilch- 
säure, aus  d-Fruktose  inaktive  Milchsäure;  bei  länger  fortgesetzter  Kultur 
unter  schwierigen  Ernährungsbedingungen  hingegen  wird  letztere  ge- 
spalten  und  von    den  entstehenden  Komponenten  die  Linksmilchsäure 


234  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

stärker  angegriffen.  Derselbe  Autor  fand  in  einer  späteren  Unter- 
suchung (P.  93.  737),  dass  manche  Colibacillen,  die  bei  günstigen  Er- 
nährungsbedingungen Rechtsmilchsäure  liefern,  unter  ungünstigeren 
Verhältnissen  Linksmilchsäure  produzieren;  andere  Arten  vermögen 
überhaupt  nur  Linksmilchsäure  zu  bilden;  entweder  muss  also  die  Pro- 
duktion der  Linksmilchsäure  für  die  Zelle  leichter  sein,  als  die  der 
rechtsdrehenden  Form,  oder  die  Linksmilchsäure  wird  schwieriger  weiter 
zersetzt  als  die  Rechtsmilchsäure.  Jede  Zuckerart  scheint  also,  je  nach 
der  Natur  des  Erregers  und  der  Gährungsbedingungen,  zur  Abspaltung 
aller  3  optischen  Isomeren  der  Athylidenmilchsäure  fähig  zu  sein. 

Die  Art  der  chemischen  Umsetzung  stellte  man  sich  früher 
in  sehr  einfacher  Weise  so  vor,  dass  ein  Molekül  Hexose  glatt  in  zwei 
Moleküle  Milchsäure  gespalten  würde: 

CcHi206  =  2C3HC03. 

Eine  solche  einfache  Spaltung,  die  unter  allen  übrigen  Gähr- 
prozessen  ganz  ohne  Analogie  dastände  und  überhaupt  kaum  mehr  zur 
Gährung  zu  rechnen  wäre,  findet  aber  hierbei  mit  Bestimmtheit  nicht 
statt.  Nur  etwa  83°/0  des  umgesetzten  Zuckers  finden  sich  nämlich 
in  Form  von  Milchsäure  wieder;  der  Rest  wird  auf  die  Produktion 
von  Nebenprodukten  verwandt.  Zwar  haben  die  von  früheren  Beob- 
achtern erhaltenen  Nebenprodukte  (Alkohol,  Buttersäure,  Mannit,  Gummi) 
wahrscheinlich  keine  direkte  Beziehung  zur  Milchsäuregährung,  son- 
dern sind  vielfach  nur  der  gleichzeitigen  Wirksamkeit  anderer  Mikro- 
organismen zuzuschreiben;  doch  ist  es  auch  gelungen,  bei  Gährung 
mit  Reinkulturen  solche  Nebenprodukte  zu  beobachten,  die  bei  ver- 
schiedenen Erregern  verschieden  ausfielen;  so  wies  Hueppe  (a.  a.  0.) 
neben  der  Milchsäureproduktion  eine  Entwicklung  von  C02  nach; 
Leichmann  fand  (r:  C.  16.  826)  bei  seinem  von  dem  HuEPPE'schen 
scharf  unterschiedenen  Erreger  deutliche  Spuren  von  Äthylalkohol, 
aber  keine  Spur  C02;  Adametz  (C.  C.  1.  465)  sah  bei  der  durch 
seinen  Mikrokokkus  Sornthalii  eingeleiteten  Milchsäuregährung  sogar 
erhebliche  Gasentwicklung;  auch  konnte  Kuprianow  (a.  a.  0.)  konsta- 
tieren, dass  bei  der  durch  Vibrionen  vermittelten  Gährung  die  Menge 
der  erzeugten  Milchsäure  durchaus  nicht  immer  der  Menge  des  zer- 
setzten Zuckers  parallel  geht,  ein  Teil  des  letzteren  also  auf  Neben- 
produkte verbraucht  worden  sein  muss.  Hiernach  ist  die  alte  oben 
erwähnte  Formel  als  unrichtig  anzusehen,  da  sie  der  Erzeugung  der 
Nebenprodukte,  insbesondere  der  C02- Entwicklung  nicht  Rechnung 
trägt.  Eine  allgemein  giltige  Formel  dürfte  bei  dem  differenten  Ver- 
halten der  einzelnen  Arten  überhaupt  nicht  möglich  sein;  vielmehr 
wird  der  Prozess  wahrscheinlich  in  den  verschiedenen  Fällen  einen 
verschiedenen  und  wohl  recht  komplizierten  Verlauf  nehmen. 


Gotschlich,  Gährungserregung.  235 

Von  besonderer  Bedeutung  ist  die  verschiedene  chemische  Leistung 
differenter  Arten  von  Milchsäurebakterien  für  die  technische  Verwer- 
tung der  Rahmsäuerung  im  Molkereibetriebe,  welche  meist  zur 
Erleichterung  des  Ausbutterns  vorgenommen  wird.  Nachdem  durch 
eine  Reihe  von  Untersuchungen,  z.  B.  von  Storch  (r:  K.  1890.  85), 
Jensen  (ebd.  1891.  181),  Conn  (C.  9.  653),  Adametz  (r:  nach 
Klecki,  C.  15.  354),  Weigmann  (r:  ebd.)  festgestellt  ist,  dass  eine 
grosse  Anzahl  von  Butterfehlern,  sowohl  bezüglich  der  Haltbarkeit  als 
bezüglich  des  Aromas  der  Butter,  durch  die  Wirkung  zufällig  ein- 
gedrungener fremder  Bakterien  zustande  kommt,  erscheint  es  dringend 
geboten,  durch  Anwendung  von  pasteurisiertem  Rahm  und  Säuerung 
mittelst  Reinkulturen  solche  Vorkommnisse  zu  verhüten.  In  der  That 
ist  dies  auch  auf  dem  angegebenen  Wege  nach  den  umfangreichen 
Erfahrungen  von  Weigmann  (r:  K.  1890.  84;  1891.  178;  1892.  179), 
Adametz  und  Wilkens  (Landw.  Jahrb.  XXI.  131),  Conn  (r:  K. 
1893.  181),  Zirn  (r:  C.  C.  1.  706)  in  überraschend  zufriedenstellender 
Weise  gelungen.  Die  zur  Butterbereitung  verwendeten  Kulturen 
sind  bereits  käuflich  zu  haben;  einige  derselben,  wie  z.  B.  die  Quist- 
schen  Milchsäurebakterien,  erzeugen  eine  reinschmeckende  Süssrahm- 
butter  ohne  Beigeschmack,  andere  geben  der  Butter  verschiedenartige, 
zuweilen  vorzügliche  Aromen;  eine  solche  Aromaerzeugung  kann,  wie 
z.  B.  bei  einem  von  Conn  isolierten  Bacillus  (C.  C.  1.  385)  auch  ohne 
Säuerung  zustande  kommen.  In  manchen  Fällen  übertraf  die  künstlich 
mittelst  Reinkulturen  hergestellte  Butter  sowohl  an  Haltbarkeit  als  an 
Geschmack  selbst  die  feinsten  natürlichen  Produkte. 

Von  den  äusseren  Bedingungen  der  Milchsäur egährung  ist 
vor  allem  der  merkwürdige  Einfluss  des  Sauerstoffs  zu  erwähnen; 
Zutritt  freien  Sauerstoffs  ist  nach  A.  Mater  (r:  K.  1891.  173  und 
Gährungschemie.  1895.  191)  zum  Zustandekommen  der  Gährung  zwar 
nicht  notwendig,  begünstigt  aber  die  Energie  der  Umsetzung 
erheblich.  Diese  Begünstigung  beruht  wahrscheinlich  nicht  blos, 
wie  bei  der  Einwirkung  des  Sauerstoffs  auf  die  Erreger  der  alko- 
holischen Gährung,  auf  einer  Anregung  zur  Vermehrung,  sondern 
auf  einer  unmittelbaren  direkten  Förderung  der  Gährthätig- 
keit  selbst,  freilich  wiederum  nicht  in  dem  Sinne,  dass  der  atmosphä- 
rische Sauerstoff  in  der  Gährungsgleichung  eine  Rolle  spielte,  wie  dies 
bei  den  Oxydationsgährungen  kennen  zu  lernen  sein  wird.  Das  Tem- 
peraturoptimum liegt  bei  30 — 35°;  bei  50°  hört  die  Gährung  auf, 
doch  werden  die  Keime  bei  kurzem  Verweilen  auf  dieser  Temperatur 
noch  nicht  getötet;  bei  sehr  niedrigen  Temperaturen,  2—3°,  findet 
keine  Gährung  statt.  Eine  Kurve  für  die  Vermehrungsenergie  eines 
gewöhnlichen  Bac.  acid.  lact.  bei  verschiedenen  Temperaturen  findet  sich 


236  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

bei  Flügge  (Z.  17.  300).  Gegen  freie  Säure  sind  die  gewöhn- 
lichen Milchsäurebacillen  sehr  empfindlich;  die  Gährung  kommt 
daher  durch  die  vom  Bacillus  selbst  erzeugte  Säure  sehr  bald  ins 
Stocken,  wenn  nicht  für  Neutralisation  derselben  gesorgt  ist.  In  Milch 
wird  trotzdem  unter  gleichen  Umständen  stets  mehr  Milchsäure  ge- 
bildet als  in  zuckerhaltigen  Nährlösungen,  was  sich  nach  Timpe 
(A.  18.  1)  und  Kabkhel  (Z.  19.  392)  dadurch  erklärt,  dass  ein 
Teil  der  produzierten  Säure  sich  mit  dem  Kasein  chemisch  ver- 
bindet und  so  für  die  Bakterien  unschädlich  gemacht  wird;  daneben 
wird  noch  ein  anderer  Teil  durch  Umsetzung  der  in  der  Milch  vor- 
handenen neutralen  in  saure  Phosphate  neutralisiert.  —  Metallsalze 
fördern  in  sehr  schwacher  Dosis  (CuS04  und  HgCl2  z.  B.  in  0,0005  gr 
pro  Liter)  nach  Richet  (C.  R.  114.  1494)  die  Gährung;  bei  Steigerung 
der  Dosis  tritt  zuerst  eine  Verlangsamung,  dann  völlige  Hemmung 
ein.  Diese  letztere  gährungshemmende  Koncentration  („dose  antibio- 
ticpie")  fällt  aber  durchaus  nicht  immer  mit  derjenigen  zusammen, 
welche  die  Vermehrung  der  Erreger  sistiert  („dose  antigeneticpie");  letz- 
tere ist  vielmehr  nach  Chassevant  u.  Richet  (C.  R.  117.  673)  oft  schon 
bei  einer  dreimal  schwächeren  Koncentration  erreicht,  so  dass  also  die 
Gährung,  analog  dem  Verhalten  der  Saccharomyceten  gegenüber  Fluor- 
verbindungen, unabhängig  von  der  Fortpflanzungsfähigkeit  des  Er- 
regers ungestört  fortbestehen  kann.  Das  lebende  Plasma  kann  also  die 
eine  Funktion,  die  Gährungserregung,  noch  ausüben,  während  es  zu 
bedeutenderer  Kraftentfaltung,  zur  Erzeugung  neuer  Individuen,  nicht 
mehr  fähig  ist. 

5.   Buttersäuregährung. 

Stärke,  Dextrin,  Inulin,  Rohrzucker,  Traubenzucker  liefern  das 
Material  für  diese  Gährung;  die  Di-  und  Polysaccharide  werden  vor 
der  eigentlichen  Vergährung  erst  durch  Fermente,  an  denen  die  hier 
in  Betracht  kommenden  Bakterienarten  sehr  reich  sind,  gespalten;  Milch- 
zucker kann  nur  in  bereits  invertiertem  Zustande  angegriffen  werden. 
Spontan  kommt  die  Buttersäuregährung  sehr  verbreitet  vor,  so  in  lange 
gestandener  Milch,  wo  sie  sich,  wie  noch  unten  zu  besprechen,  der 
Milchsäuregährung  als  zweite  Phase  anschliesst,  in  Sauerkraut,  Rüben- 
schnitzeln, Sauerfutter  und  vielfach  in  den  Gährungsgewerben,  in 
Brennereien,  Brauereien  etc.,  wo  sie  eine  grosse  Gefahr  für  den  Betrieb 
darstellt;  vielleicht  spielt  sie  auch  eine  Rolle  bei  der  Käsereifung  (vgl. 
unten).  Auch  bei  der  „Nassfäule"  der  Kartoffeln  scheint  nach  Kramer 
(r:  K.  1891.  228)  eine  Buttersäuregährung  wesentlich  mit  im  Spiele 
zu  sein.  Zur  künstlichen  Herstellung  von  Buttersäure  mischt  man 
nach   Fitz  100  gr  Kartoffelstärke    (oder  Dextrin),    1  gr   Salmiak   und 


Gotschlich,  Gährungserregung.  237 

die  üblichen  Nährsalze  mit  2  Liter  Wasser  und  fügt  zur  Neutralisation 
der  gebildeten  Buttersäure  50  gr  CaC03  zu.  Das  Gährgemisch  wird  mit 
Acker-  oder  Gartenerde,  in  der  sich  nach  Deherain  u.  Maquenne 
(Bull.  soc.  chim.  (2.)  Bd.  39)  die  Erreger  der  Buttersäuregährung  in 
grossen  Mengen  finden,  oder  mit  etwas  altem  Käse  oder  Kuhexkrementen 
u.  dgl.  infiziert  und  bei  40°  gehalten. 

Die  Buttersäuregährung  wurde  zuerst  von  Pasteur  (C.  R.  45.  913) 
und  Cohn  (B.  B.  IL  H.  1.  172)  beobachtet.  Peazmowski  (Unters,  üb. 
d.  Entwicklungsgesch.  u.  Fermentwirkung  einiger  Bakt.  Leipzig  1880) 
beschrieb  als  den  Erreger  das  Clostridium  butyricum  (Amylobakter), 
welches  jedoch  nach  neueren  Untersuchungen  nur  noch  als  Sammel- 
name einer  grossen  Gruppe  von  Bacillen,  denen  sämtlich  die  Fähigkeit, 
Buttersäuregährung  zu  erregen,  zukommt,  angesehen  werden  darf.  So 
beschrieben  Fitz  (B.  Cb.  XVII.  1188),  Hueppe  (M.  G.  IL  319), 
Liborius  (Z.  I.  160),  Botkin  (Z.  XL  421),  Gruber  (C.  I.  367),  Perdrix 
(P.  91.  286),  Kedrowski  (Z.  XVI.  445),  Beijerinck  (r:  K.  1893.  258j, 
Baier  (C.  C.  1.  118)  Arten,  welche  Buttersäuregährung  erregen;  die 
systematische  Beschreibung  derselben  s.  Bd.  IL  Die  weitaus  über- 
wiegende Mehrzahl  derselben  sind  obligate  Anaeröben.  Viele  sind, 
besonders  in  physiologischer  Hinsicht,  sehr  wenig  gekannt.  So  viel 
steht  jedoch  fest,  dass  die  Zersetzung  in  allen  Fällen  nach  einem 
komplizierten  Prozess  erfolgt,  bei  dem  noch  grosse  Mengen  von  Neben- 
produkten gebildet  werden,  und  dass  die  Art  und  Weise  der  Zersetzung 
bei  den  einzelnen  Arten  sehr  verschieden  ist.  Man  kennt  Buttersäure- 
gährungen  in  neutraler,  saurer  und  alkalischer  Lösung;  die  Buttersäure- 
erzeugung tritt  vielfach  so  wenig  vor  den  anderen  Umsetzungen  hervor, 
dass  eine  Abgrenzung  dieser  Gährung  von  verwandten  Prozessen  oft 
sehr  schwierig  ist  und  Baier  z.  B.  eine  eigentliche  Buttersäuregährung 
überhaupt  nicht  mehr  gelten  lassen  will.  Auf  die  älteren  Analysen 
der  Gährprodukte  ist  kein  allzu  grosser  Wert  zu  legen,  da  dieselben 
nicht  mit  zuverlässigen  Reinkulturen  angestellt  sind;  neuerdings  sind 
jedoch  für  einige  Arten  die  Gährprodukte  in  einwandfreier  Weise  nach- 
gewiesen und  auch  ein  Verständnis  des  dabei  stattfindenden  chemischen 
Prozesses  angebahnt.  So  fand  Beijerink  (a.  a.  0.)  bei  seinem  Granulo- 
bakter  saccharobutyricum,  welches  den  echten  Erreger  der  Buttersäure- 
gährung in  Zuckerlösungen  darstellt,  Produktion  von  Buttersäure,  da- 
neben normalen  Butylalkahol,  C02  und  H2 ;  dagegen  erzeugt  das  nahe 
verwandte  Granulobakter  butylicum  aus  Maltose  nur  normalen  Butyl- 
alkohol,  C02  und  H2,  aber  keine  Buttersäure.  Perdrix  (a.  a.  O.)  fand 
bei  seinem  „Bacille  amylozyme",  dass  die  Vergährung  des  Trauben- 
zuckers in  den  ersten  Tagen  des  Versuchs  einen  anderen  Verlauf  nahm, 
als  in  der  späteren  Zeit;  in  den  ersten  3  Tagen  entsteht  nämlich  neben 


238  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Buttersäure,  C02  und  H2  noch  Essigsäure,  die  im  späteren  Stadium 
nicht  mehr  gebildet  wird;  auch  überwiegt  anfangs  die  Menge  des 
Wasserstoffs  erheblich  die  der  C02,  was  sich  später  ausgleicht.  Für 
das  erste  Stadium  der  Gährung  gilt  die  Gleichung: 

56  C6H1206  +  42  H20  =  312  H  +  114  C02  -f-  30  C2H402  +  38  C4Hs02. 
Traubenzucker  Essigsäure      Buttersäure 

Im  späteren  Stadium   aber  lässt   sich  der  Prozess  so  formulieren: 

C6H1206  =  4H  +  2  C02  +  C4  H8  02. 
Traubenzucker  Buttersäure 

Bei  der  Vergährung  der  Stärke,  die  der  Bacillus  vorher  verzuckert, 
nimmt  die  Menge  der  erzeugten  Kohlensäure  und  Buttersäure  im  Ver- 
laufe der  Gährung  successive  zu. 

Sehr  eingehend  ist  der  Verlauf  der  Buttersäuregährung  und  ihre  Ab- 
hängigkeit von  den  äusseren  Bedingungen  von  Geimbeet  (P.  93.  353) 
für  seinen  anaeroben  „Bac.  orthobutylicus"  untersucht.  Der  Bacillus 
vergährt  Glycerin,  Mannit,  Arabinose.  Glukose,  Galaktose,  Invertzucker, 
Rohrzucker,  Maltose,  Milchzucker,  Stärke,  Dextrin,  Inulin,  greift  da- 
gegen Glykol,  Erythrit,  Trehalose,  arabisches  Gummi,  milchsauren  und 
weinsauren  Kalk  nicht  an.  Es  findet  also,  ähnlich  wie  bei  der  alko- 
holischen Gährung  durch  Hefe,  selbst  unter  einander  sehr  nahe  stehen- 
den Körpern  eine  Elektion  des  Gährmaterials  statt.  Der  Bacillus  ver- 
gährt die  Disaccharide  ohne  vorgängige  Inversion,  ebenso  das  Inulin 
ohne  vorgängige  Umwandlung  zu  d-Fruktose,  eine  Ausnahme,  die  wohl 
analog  wie  bei  der  Monilia  Candida  so  erklärt  werden  muss,  dass  das 
lebende  Plasma  selbst  die  Spaltung  bis  zu  einfachen  Hexosen  besorgt, 
die  dann  sofort  weiter  vergohren  werden,  so  dass  reduktionsfähiger 
Zucker  niemals  nachweisbar  ist.  Gährungsprodukte  sind  normaler  Butyl- 
alkohol,  etwas  Isobutylalkohol,  normale  Buttersäure,  Essigsäure,  zu- 
weilen etwas  Ameisensäure,  daneben  C02  und  H2.  Der  Gesamtverlauf 
der  Gährung  lässt  sich  folgendermassen  formulieren: 

7C6H1206  =  2  C4H10O  +  2C2H402  +  5C4HS02  +  10  C02  +  4H  +  6H20. 
Hexose     Butylalkohol  Essigsäure     Buttersäure 

Im  Fortgang  der  Gährung  verändert  sich,  analog  den  Resultaten 
von  Peedeix,  das  Verhältnis  von  H2  :  C02  zu  Gunsten  der  letzteren; 
ebenso  nimmt  die  Menge  des  Butylalkohols  kontinuierlich  zu,  die  der 
Butter-  und  Essigsäure  dagegen  ab.  Dies  beruht  wahrscheinlich  auf 
dem  hemmenden  Einfmss,  den  die  produzierte  Säure  auf  das  Weiter- 
gehen der  Gährung  ausübt;  erfolgt  Neutralisation  durch  CaC03,  so  be- 
ginnt sofort  wieder  eine  stärkere  Säurebildung.  Auch  das  Alter  der 
verwandten  Kultur,  sowie  das  Substrat,  auf  dem  sie  gewachsen  war, 
ist  auf  den  Verlauf  der  Gährung  von  Einfmss.    Jede  Zelle  des  Erregers 


Gotschlich,  Gährungserregung.  239 

macht  eine  biologische  Entwicklung  durch,  in  deren  Verlauf  sie  ein 
Maximum  ihrer  GTährkraft  erreichen  soll;  es  ist  also  eine  vergebliche 
Hoffnung,  den  vollständigen  Verlauf  der  Gährung  rationell  durch  eine 
einzelne  Gleichung  darzustellen;  die  Gährung  kann  vielmehr  nur  durch 
ein  System  von  Gleichungen  erschöpfend  dargestellt  werden,  von  denen 
jede  einzelne  nur  für  ein  ganz  bestimmtes  Stadium  des  Gährprozesses 
und  für  ganz  bestimmte  Versuchsbedingungen  giltig  ist. 

6.  Schleimige  Gährungen. 

Unter  diesem  Namen  kann  man  eine  Reihe  von  Gährprozessen  zu- 
sammenfassen, die  in  zuckerhaltigen  Nährsnbstraten  vor  sich  gehen 
und  wobei  als  Hauptprodukt  Massen  schleimiger,  fadenziehender  bis 
gallertiger  Substanz  auftreten.  Unmittelbar  vergährbares  Material  sind 
für  viele  Arten  nur  d-Glukose  und  Invertzucker;  andere  Arten  aber 
können  auch  den  Rohrzucker  angreifen,  den  sie  vorher  durch  ein  in- 
vertierendes Ferment  zerlegen.  Künstlich  erhält  man  solche  Gährungen 
am  besten  mit  Hefendekokt,  welches  filtriert  und  mit  Zucker  versetzt 
ist,  oder  auch  mit  zuckerhaltigem  Stärke-,  Reis-  oder  Gerstenwasser; 
das  Temperaturoptimum  ist  etwa  30°.  Auch  spontan  kommt  diese 
Gährung  häufig  in  einer  ganzen  Reihe  von  Substraten  vor. 

1.  Im  Wein,  besonders  in  gerbstoffarmen  Weiss  weinen  ist  sie  schon  von  Pasteur 
(Etud.  s.  1.  vin.  p.  57)  beschrieben  und  auf  die  Gährthätigkeit  des  Mikrokokkus 
viscosus  zurückgeführt.  Als  Gährprodukte  sollen  hierbei  konstant  eine  dem 
Dextrin  nahestehende  Gummiart,  welche  von  Bechamp  (CR.  93.  78)  als  „Viskose" 
bezeichnet  wird,  ferner  Mannit  und  C02  auftreten.  Die  Viskose  ist  in  kaltem 
Wasser  löslich,  wird  durch  Alkohol  gefällt,  reduziert  nicht  die  Fehling'sche  Lösung, 
zeigt  die  Zusammensetzung  der  Stärke  und  ein  Drehungsvermögen  ähnlich  dem 
der  löslichen  Stärke.  Aus  100  Teilen  Zucker  erhält  man  bis  zu  51,1  Teile  Mannit, 
45,5  Teile  Gummi  und  6,2  Teile  C02;  danach  würde  diese  Gährung  einen  ent- 
sprechenden Ausdruck  finden  durch  die  Formel: 

50  (C6H1206)  =  12  (CI2H20O10)  +  24  (C6H1406)  +  12  C02  +  12  H20. 
Traubenzucker  Gummi  Mannit 

Nach  Schmidt-Mülheim  laufen  bei  dieser  Gährung  wahrscheinlich  zwei  Pro- 
zesse neben  einander  her:  durch  den  einen  wird  Mannit  und  C02,  durch  den 
anderen  die  schleimige  Substanz  produziert.  Hiernach  würde  sich  erklären,  dass 
nach  Pasteur  bei  verschiedenen  Gährungen  bald  das  Mannit,  bald  das  Gummi 
überwiegt;  auch  stimmt  hiermit  die  Thatsache,  dass  bei  den  weiter  zu  besprechenden 
schleimigen  Gährungen  die  Mannitbildung  fehlt,  für  welche  demnach  ein  be- 
sonderer Entstehungsmodus  anzunehmen  wäre.  Diese  Gährung  kommt  nur  in 
neutraler  Lösung  zustande,  während  eine  andere  ähnliche  von  Kramer  (M.  Ch. 
10.  167)  beschriebene  Zersetzung  auch  in  saurer  Lösung  erfolgt. 

2.  In  Bier  und  Würze  konstatierte  van  Laer  (Mein.  publ.  par  l'Acad.  roy. 
d.  Belgique.  Bd.  43)  als  Ursache  der  schleimigen  Gährung  3  Arten  von  „Bac.  vis- 
cosus". Bemerkenswert  ist,  dass  die  Produktion  der  schleimigen  Substanz  von 
der  Gegenwart  N-haltiger  Stoffe  abhängt;  in  reinen  Zuckerlösungen  tritt  sie  nicht 


240  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ein,  dagegen  um  so  leichter,  je  höher  der  N-Gehalt  des  Substrats  ist,  und  je 
weniger  freie  Säure  sich  vorfindet.  In  stickstoffarmen  Lösungen  vermag  schon  eine 
sehr  geringe  Acidität  die  Schleimproduktion  vollständig  zu  hemmen.  Das  Gähr- 
produkt  besteht  aus  einer  stickstoffhaltigen,  in  Wasser  unlöslichen  und  einer 
stickstofffreien,  wasserlöslichen  Substanz.  —  Langwerden  der  Würze  durch  De- 
matium  pullulans  beobachtete  auch  Lindner  fr:  C.  3.  750). 

3.  Im  Saft  der  Zuckerrüben  kommt  häufig  Bildung  massenhafter  schlei- 
miger bis  gallertiger  Substanz  als  sog.  „Froschlaich"  der  Zuckerfabriken 
vor  und  stellt  in  den  letzteren  eine  gefürchtete  Betriebsstörung  dar.  Der  Erreger 
wurde  zuerst  von  von  Jubert  (cit.  b.  Stift,  C.  C.  278)  nachgewiesen  und 
von  Cienkowski  (cit.  ebd.)  und  van  Tieghem  (Ann.  d.  sc.  natur.  1878.  180) 
alsLeuconostocmesenterioides  beschrieben,  ein  Name,  der  j  edoch  nicht  eine 
einzelne  Art,  sondern  eine  ganze  Gruppe  bezeichnet.  Später  wurde  das  Leuconostoc 
nicht  nur  bei  der  Rübenverarbeitung,  sondern  auch  von  Däumichen  (cit.  b.  Stift) 
im  Osmosezucker  und  von  Strohmer  (cit.  ebd.)  im  Raffineriebetrieb  nachgewiesen. 
Die  gallertartige  Substanz  ist  am  eingehendsten  von  Scheibler  (Z.  d.  Vereins  f. 
Rübenzuckerindustrie  d.  dtsch.  Reiches.  24.  309)  untersucht  und  als  Dextran  be- 
zeichnet. Beim  Kochen  mit  Säuren  wird  sie  in  Traubenzucker  übergeführt.  Über 
die  Bildungsbedingungen  des  Dextrans  und  die  sonstigen-  Gährprodukte  des 
Leuconostoc  haben  Liesenberg  und  Zopf  (r:  K.  1892.  89)  Untersuchungen 
angestellt.  Auf  Substraten,  welche  frei  von  Trauben-  oder  Rohrzucker  sind,  bildet 
Leuconostoc  keine  Gallertmassen  und  erscheint  demnach  in  einer  hüllenlosen 
Varietät;  in  dieser  Form  kommt  es  vielleicht  häufig  in  der  Natur  vor,  wo  ihm 
nicht  immer  Zucker  zu  Gebote  steht;  sobald  es  aber  in  Zuckerlösungen  gelangt, 
beginnt  sofort  die  Dextranproduktion ;  so  erklärt  sich  wohl  das  manchmal  ganz 
plötzliche  Auftreten  dieser  Betriebsstörung  in  der  Zuckerindustrie.  Von  den  Kohle- 
hydraten werden  nur  Trauben-  und  Rohrzucker,  letzterer  nach  Inversion  durch 
den  Pilz,  zur  Dextranbildung  verwandt.  Ausserdem  wird  aus  diesen  beiden  Zucker- 
arten, sowie  aus  Maltose,  Milchzucker  und  Dextrin  Milchsäure  gebildet.  Einen 
sehr  fördernden  Einfluss  auf  die  Gährthätigkeit  des  Leuconostoc  übt  ein  Zusatz 
von  Chlorcalcium  in  3 — 5%  oder  NaCl  in  1—3%  oder  NaN03  in  1%  aus;  bei- 
spielsweise wurde  unter  auch  sonst  günstigen  Bedingungen  und  bei  einem  Zu- 
satz von  4,5%  CaCL  binnen  4  Tagen  aus  50  gr  Rohrzucker  eine  Gallertmasse  , 
von  101,5  gr  Frischgewicht  produziert;  auch  kommt  es  dabei  zu  einer  sichtbaren 
Gasentwicklung.  Leuconostoc  ist  fakultativ  anaerobiotisch;  durch  Sauerstoff  - 
abschluss  wird  die  Gährung  beschleunigt.  Das  Temperaturoptimum  liegt  für  die 
gewöhnliche  in  Europa  vorkommende  Form  bei  30 — 35°,  für  eine  indische  Form 
bei  37°.  —  Ein  merkwürdiger  anderer  Erreger  des  Froschlaiches  der  Zuckerfabriken 
wurde  von  A.  Koch  u.  Hosäus  (C.  16.  225)  als  Bact.  pediculatum  beschrieben; 
die  Schleimproduktion  erfolgt  nur  an  der  einen  Längsseite  des  Bakteriums.  Die 
erzeugte  Gallertmasse  verquillt  schon  bei  massiger  Erwärmung  und  löst  sich  auf.  — 
Ferner  beobachtete  Leichmann  (Landw.  Versuchsstat.  43.  375)  eine  durch  einen 
Bacillus  verursachte  schleimige  Gährung,  deren  Bedingungen  sich  von  der  vorigen 
wesentlich  dadurch  unterschieden,  dass  auch  in  zuckerhaltigen  Lösungen  erst  von 
einem  bestimmten  Trockengehalt  ab  Schleimbildung  erfolgte,  während  vorher  nur 
hüllenloses  Wachstum  stattfand.  Als  Gährsubstrat  waren  verwendbar:  Trauben- 
zucker, Fruchtzucker,  Galaktose,  Rohrzucker,  Maltose,  Milchzucker,  Dextrin,  da- 
gegen nicht  Stärke  und  Mannit.  Ausser  dem  Schleim  entstehen  als  Nebenprodukte 
Ätliylideninilchsäure  und  Äthylalkohol;  Gasbildung  findet  nicht  statt. 


Gotschlich,  Gährungserregung.  241 

4.  Zahlreiche  Untersuchungen  sind  über  die  Erreger  der  schleimigen  oder 
fadenziehenden  Milch  angestellt  worden.  Schmidt  -  Mülheim  (L.  V.  28.  91), 
Htjeppe  (D.  84.  777),  Ratz  (r:  K.  1890.  87),  Weigmann  (Milchztg.  1889.  Nr.  48. 
Beil.),  Guillebeatt  (r:  K.  1891.  185)  beschrieben  als  Erreger  derselben  Kokken; 
Dtjclaux  (Le  lait.  1887),  Freudenreich  (r:  K.  1890.  95),  Guillebeatt  (a.  a.  0.), 
Adametz  (Landw.  Jahrb.  20.  H.  1)  sahen  ähnliche  Prozesse  durch  Bacillen 
zustande  kommen;  auch  einige  unter  den  FLÜGGE'schen  (Z.  17.  273)  pepto- 
nisierenden  Bakterien  der  Kuhmilch  bewirken  eine  intensive  Produktion  schlei- 
miger, fadenziehender  Substanz.  Einige  der  oben  genannten  Mikroben  sind  auch 
von  pathogener  Wirkung  und  erzeugen  im  Kuheuter  schwere  Mastitis.  —  In 
chemischer  Beziehung  ist  die  produzierte  schleimige  Substanz  sicher  nicht  in  allen 
Fällen  von  gleicher  Entstehungsweise;  in  einigen  Untersuchungen,  wie  z.  B.  bei 
Adametz,  hat  sich  gezeigt,  dass  der  Schleim  sicher  nicht  als  Gährprodukt  von 
Kohlehydraten  anfzufassen  ist,  da  er  sich  auch  in  zuckerfreien,  reinen  Pepton- 
lösungen  bildet;  er  stellt  hier  vielmehr  wahrscheinlich  ein  Quellungsprodukt  der 
Bakterienhüllen,  einen  Abkömmling  des  Zellprotoplasmas  dar.  Nur  des  praktischen 
Zusammenhangs  halber,  den  diese  Fälle  mit  der  echten  schleimigen  Gährung 
gemein  haben,  seien  sie  an  dieser  Stelle  erwähnt. 

5.  Aus  demselben  äusseren  Grunde  seien  hier  auch  die  Betrachtungen  von 
Malerba  u.  Sanna  -  Salaris  (Z.  physiol.  Ch.  XV.  539)  über  schleimigen, 
fadenziehenden  Harn  erwähnt,  wobei  das  „Baki  gliscrogenum"  ursächlich 
beteiligt  ist.  Die  produzierte  weisse,  ausserordentlich  viskose,  in  trockenem  Zu- 
stande dagegen  elastische  Masse  charakterisiert  sich  durch  ihre  Reaktionen  als 
Eiweisskörper. 

6.  Schleimigwerden  von  Pflanzeninfusen  wurde  schon  1878  von 
Binz  (Pharm.  Ztg.  36.  707  u.  766)  auf  die  Wirkung  von  Schimmelpilzen  zurück- 
geführt. Bräutigam  (Pharm.  Centralhalle.  32.  427),  Ritsert  (Pharm.  Ztg.  36.  774) 
und  Happ  (r:  K.  1893.  247)  isolierten  als  Erreger  desselben  verschiedene  Bacillen 
und  Kokken.  Als  Nebenprodukte  der  schleimigen  Gährung  fand  Happ  Mannit, 
Milchsäure,  Buttersäure  und  C02.  Hery  (r:  K.  1893.  223)  fand  auch  als  Ursache 
des  Fadenziehendwerdens  der  Tinte  zwei  Bakterienformen. 

7.   Cellulosevergährung  (Sumpfgasgährung). 

Cellulose  in  Form  von  abgestorbenen  Pflanzen,  Stroh,  Papier,  Baum- 
wolle unterliegt  häufig  einer  Lösung  und  Vergährung  durch  Bakterien. 
Diese  Vergährung  wurde  zuerst  von  Mitscherlich  (Monatsber.  d.  Berlin. 
Akad.  1850. 104)  beobachtet  und  auf  die  Thätigkeit  von  Mikroorganismen 
bezogen.  Dieselbe  scheint  in  der  Natur  ausserordentlich  weit  verbreitet 
zu  sein;  so  ist  zuerzt  von  Popoff  (Pf.  10. 113)  wahrscheinlich  gemacht,  dass 
die  in  Sümpfen  häufig  beobachtete  Entwicklung  von  CH4  und  C02  auf 
Cellulosevergährung  beruht;  auch  kommt  sie  nach  Deherain  und 
Gaton  (C.  K  98)  sehr  oft  im  Dünger  vor.  van  Tieghem  (C.  R.  88.  205; 
89.  5)  sprach  als  Erreger  der  Gährung  Bakterien  an,  die  mit  der  von 
ihm  als  Amylobakter  bezeichneten  Art  übereinstimmten;  als  Neben- 
produkt fand  er  eine  Säure,  welche  bei  zunehmender  Anhäufung  den 
weiteren  Fortgang  der  Gährung  hemmt.     Tappeiner   (Z.   f.   Biol.  19. 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  16 


242  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

288;  20.  52)  wies  nach,  dass  auch  im  Intestinaltractus  des  Rindes  durch 
die  Bakterien  des  Pansens,  der  Haube  und  des  Dickdarms  Cellulose 
vergohren  wird.  Tappeiner  konnte  hierbei  je  nach  der  Reaktion  des 
Substrats  einen  verschiedenen  Verlauf  der  Vergährung  konstatieren;  bei 
neutraler  Reaktion  wurde  die  in  1  proz.  Fleischextraktlösung  suspendierte 
Cellulose  (in  Form  von  gereinigtem  Papierbrei  oder  Baumwolle)  zu  C02 
und  CH4  vergohren,  wobei  in  den  ersten  Tagen  das  Methan  stärker 
überwog  wie  in  der  späteren  Zeit;  in  alkalischer  Fleischextraktlösung 
hingegen  ergab  die  Vergährung  der  Cellulose  C02  und  H2  als  End- 
produkte; in  beiden  Fällen  entstanden  als  Nebenprodukt  kleine  Mengen 
von  H2S,  Aldehyd,  Essigsäure  und  Isobuttersäure,  die  aber  vielleicht 
gar  nicht  aus  der  Cellulose,  sondern  aus  einer  gleichzeitigen  Vergährung 
des  Fleischextraktes  stammen.  Hoppe-Seylee  (Z.  physiol.  Ch.  10.  401) 
vermochte  die  Cellulosegährung  durch  jeden  Schlamm,  Acker-,  Wiesen- 
und  Walderde  in  Gang  zu  setzen;  Bedingungen  waren  nur  vollständiger 
Luftabschluss,  genügende  Feuchtigkeit  und  relativ  hohe  Temperatur; 
analoge  Bedingungen  konstatierten  auch  Schlösing  (C.  R.  109.  835)  und 
Hebert  (C.  R.  115.  1321)  für  die  Vergährung  der  Cellulose  im  Stall- 
dünger. Als  Erreger  nahm  Hoppe-Seyler  ebenfalls  die  von  van  Tieghem 
als  Arnylobakter  bezeichneten  Arten  an.  Als  Produkte  ergaben  sich 
bei  Vergährung  von  reinem,  feuchtem  Fliesspapier  mit  etwas  Schlamm 
nur  CH4  und  C02 ,  und  zwar  in  annähernd  gleichen  Volumina;  H2 
war  nicht  nachweisbar.  Das  Mengenverhältnis  zwischen  CH4  und  C02 
ändert  sich  zu  Grünsten  der  letzteren,  wenn  Spuren  freien  Sauerstoffs 
oder  solche  Stoffe  zugegen  sind,  die  bei  ihrer  Reduktion  Sauerstoff  ab- 
geben, wie  Sulfate,  Eisenoxyd,  Manganoxyd.  Die  Menge  der  ent- 
wickelten Gase  war  grösser,  als  dem  Gehalt  des  Schlamms  an  orga- 
nischer Substanz  entsprach,  so  dass  sie  hiernach  mit  Sicherheit  als 
Gährprodukte  der  Cellulose  anzusprechen  sind.  Die  Gährung  ging 
nur  so  lange  vor  sich,  als  noch  lebende  Bacillen  vorhanden  waren. 
vanSenus  (r:  K.  1890. 136)  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  Bac.  amylobacter 
für  sich  allein  die  Vergährung  der  Cellulose  nicht  bewirken  könne; 
wohl  aber  ist  er  dies  in  Symbiose  mit  einer  anderen  sehr  kleinen,  aus 
dem  Kaninchendarm  isolierten  Form  imstande,  die  ihrerseits  ebenfalls 
isoliert  Cellulose  nicht  anzugreifen  vermag.  Den  Prozess  der  Ver- 
gährung denkt  er  sich  so,  dass  die  Bakterien  zuerst  durch  ein  cellulose- 
lösendes  Ferment(vgl.  oben  S.  207)  die  Cellulose  spalten  und  die  Spaltungs- 
produkte sofort  zu  H2,  C02  und  Essigsäure  zerlegen;  die  Essigsäure 
soll  dann  durch  den  Wasserstoff  successive  zu  Aldehyd,  Alkohol,  Äthan 
und  Methan  reduziert  werden,  wobei  in  Medien,  die  an  anderen  reduzier- 
baren Stoffen  sehr  arm  sind,  Wasserstoff  und  Essigsäure  vollständig 
verbraucht  werden  und  als  Endprodukte  der  Vergährung  wie  in  Hoppe- 


Gotschlich,  Gährungserreguug.  243 

Seyler's  Versuchen  CH4  und  C02  übrig  bleiben;  sind  aber  noch  andere 
reduzierbare  Verbindungen  vorhanden,  wie  z.  B.  im  Darmkanal,  so  bleibt 
die  Essigsäure  unzersetzt.  Durch  direkte  mikroskopische  Betrachtung 
konnte  van  Senus  die  zunehmende  Verquellung  und  Auflösung  der 
cellulosehaltigen  Zellwände  durch  die  angelagerten  Bakterien,  die  sich 
hierbei  mit  Schleimmassen  umgeben  hatten,  konstatieren. 

Eine  ganz  ähnliche  Vergährung  erleidet  nach  Hoppe -Setlee  (Z. 
physiol.  Ch.  13.  82)  auch  das  Holzgummi. 

Die  Cellulosevergährung  hat  vielleicht  eine  gewisse  technische  Be- 
deutung bei  der  Flachsbereitung  und  spielt  möglicherweise  im  Darm 
der  Herbivoren  eine  physiologisch  wichtige  Rolle. 

8.  Verschiedene  Vergährungen  der  Kohlehydrate. 

In  diesem  Kapitel  werden  eine  Reihe  von  Gährungen  behandelt, 
die  sich  unter  allgemein  durchgreifende  Gesichtspunkte  bisher  nicht 
bringen  Hessen,  hauptsächlich  deshalb  nicht,  weil  die  Spaltung  oft  sehr 
kompliziert  ist  und  kein  Spaltungsprodukt  so  vor  den  anderen  hervor- 
tritt, dass  eine  besondere  Bezeichnung  der  Gährung  nach  diesem  einen 
Produkt  gerechtfertigt  wäre.  Unter  den  Produkten  finden  sich  neben 
C02  und  H2  hauptsächlich  Milchsäure,  Essigsäure,  Buttersäure,  Äthyl- 
alkohol etc. 

So  beobachtete  Fitz  bei  verschiedenen  Kohlehydraten  eine  Gährung,  bei 
welcher  Äthylalkohol  als  vorherrschendes  Produkt  gebildet  wurde. 

Die  Kenntnis  einer  Reihe  von  Vergährungen  der  Kohlehydrate  durch  patho- 
gene  Bakterien  verdanken  wir  namentlich  Brieger  (Z.  physiol.  Ch.  8.  306 
und  9.  1).  So  zerlegt  der  Bac.  cavicida  Traubenzucker  derart,  dass  Propionsäure 
als  Hauptprodukt  entsteht.  Der  Bac.  Friedländer  ruft  in  traubenzuckerhaltigem  Nähr- 
substrat starke  Gasentwicklung  hervor  und  bildet  als  Hauptprodukt  Essigsäure, 
daneben  kleine  Mengen  von  Ameisensäure  und  Äthylalkohol.  Die  bei  dieser 
Gährung  entwickelten  Gase  wurden  von  Frankland,  Stanley  und  Frew  (r :  K. 
1S91.  234)  quantitativ  untersucht;  es  ergaben  sich  neben  geringen  Mengen 
von  Sauerstoff  und  Stickstoff  aus  der  anfangs  über  der  Kultur  befindlichen 
atmosphärischen  Luft  nach  einer  Gährdauer  von  11  Tagen  51,14%  C02  und 
47,41%  H,  nach  einer  Gährdauer  von  21  Tagen  56,57%  C02  und  43,24%  H;  im 
Mittel  wurden  auf  10  Moleküle  H  13  Moleküle  C02  ausgegeben  (vgl.  unten  die 
korrespondierende  Mannitvergährung).  Eine  ganz  ähnliche  Vergährung  konstatierte 
Smith  (C.  10.  Nr.  6)  für  mehrere  dem  Bac.  Friedländer  sehr  ähnliche  Darmbakterien. 
—  Die  normalen  Darmbakterien  des  Menschen,  speziell  des  Säuglings  sind  auf 
ihr  Gährvermögen  mehrfach  untersucht.  Nach  Escherich  (Die  Darmbakt.  d.  Säug- 
lings. Stuttg.  1881)  bewirkt  Bac.  lactis  aerogenes  ausgiebige  Zuckerspaltung,  wo- 
bei als  Hauptprodukt  Milchsäure  auftritt.  Ein  von  Baginsky  (Z.  physiol. 
Ch.  12.  434)  isolierter  Bacillus,  vielleicht  mit  dem  eben  genannten  EscHERiCH'schen 
identisch,  bildet  aus  Milchzucker  hauptsächlich  Essigsäure,  daneben  etwas 
Aceton  und  sehr  wenig  Milchsäure;  aus  milchsauren  Salzen  wird  wesentlich  Butter- 
säure gebildet;    auch    bei  der  Spaltung  der  Stärke  entsteht  hauptsächlich  Essig- 

16* 


244  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

säure;  die  Analyse  der  entwickelten  Gase  ergab  H2,  CH4  und  C02.  Bei  Sauer- 
stoffabschluss  entsteht  nach  Oppenheim  (r:  C.  VI.  5SG)  statt  Essigsäure  ganz 
überwiegend,  vielleicht  ausschliesslich  Milchsäure;  vielleicht  ist  diese  über- 
haupt stets  das  primäre  Produkt  und  wird  erst  bei  Luftzutritt  zu  Essigsäure 
oxydiert,  wodurch  sich  auch  erklären  würde,  dass  im  Säuglingsstuhl  selbst  stets 
nur  Milchsäure,  nicht  Essigsäure  nachgewiesen  ist.  —  Ferner  sind  sehr  zahlreiche 
Arten  des  Bact.  coli  comm.  zur  Vergährung  der  Zuckerarten  befähigt,  wobei  die 
Produkte  je  nach  der  Art  des  Erregers  verschieden  sind:  so  fand  z.  B.  Bagixsky 
(Z.  physiol.  Ch.  13.  352)  bei  der  Spaltung  des  Milchzuckers  neben  Essigsäure 
und  geringen  Mengen  höherer  Fettsäuren,  als  Propion-  und  Buttersäure,  erhebliche 
Mengen  von  Ameisensäure  und  Milchsäure,  Bovet  (r:  K.  1891.  239)  bei  Ver- 
gährung des  Traubenzuckers  Milchsäure,  Bernsteinsäure,  Äthyl-  und  Propyl- 
alkohol  u.  s.  w.  Über  die  optische  Verschiedenheit  der  bei  der  Vergährung  von 
Zucker  durch  Typhus-  und  Coli  -  Bacillen  entstehenden  Milchsäuren  ist  bereits 
oben  verhandelt.  Manche  Bakterien  erzeugen  bei  der  Zuckerspaltung  auch  wohl- 
riechende Produkte,  so  der  von  Sclavo  und  Gosio  (r:  K.  1891.  242) 
beschriebene  „Bac.  suaveolens",  der  neben  Alkohol,  Aldehyd,  Ameisen-  Essig- 
und  Buttersäure  wohlriechende  Butter-  und  Valeriansäureester  produziert;  ferner 
ein  von  Went  (r:  K.  1893.  248)  entdeckter  Schimmelpilz,  der  neben  Alkohol, 
Essigsäure  und  Äthylacetat  einen  Ananasäther  erzeugt.  —  Von  anaeroben 
Gährungen  sei  die  von  Kerry  und  Fränkel  (M.  Ch.  11.  268  u.  Z.  12.  204) 
beobachtete  Spaltung  des  Traubenzuckers  durch  Bac.  oedemat.  malign.  erwähnt, 
wobei  als  Gährprodukte  Äthylalkohol,  Buttersäure,  Ameisensäure  und  Gährungs- 
milchsäure  gefunden  wurden. 

Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  endlich  die  von  Frankland  u. 
Mac  Gregor  (r:  K.  1892.  232)  erforschte  Vergährung  der 
Arabinose  durch  den  „Bac.  esthaceticus",  weil  hierdurch  gezeigt 
wird,  dass  die  Pentosen  nicht  an  sich  und  für  alle  Gährungs- 
erreger  unvergährbar  sind,  sondern  nur  von  der  Hefe  wegen  des 
spezifischen  asymmetrischen  Baues  ihrer  wirksamen  Protoplasmasub- 
stanz nicht  angegriffen  werden  können.  Als  Produkte  der  Arabinose- 
vergährung  fanden  sich  neben  C02  und  H2  hauptsächlich  Äthylalkohol 
und  Essigsäure,  ferner  etwas  Bernsteinsäure  und  eine  Spur  eines  höheren 
Alkohols;  bei  Luftabschluss  entstand  auch  etwas  Ameisensäure.  Auf 
2  Moleküle  Äthylalkohol  entstehen  nahezu  3  Moleküle  Essigsäure. 

II.  Vergährung  der  mehrwertigen  Alkohole. 

Während  für  die  zweiwertigen  Glykole  noch  keine  Gährungen  mit 
Sicherheit  ermittelt  sind,  hat  man  für  den  dreiwertigen  Alkohol  Glycerin, 
den  vierwertigen  Alkohol  Erythrit,  den  fünfwertigen  Quercit  und  die 
sechswertigen  Alkohole  Mannit  und  Dulcit  verschiedene  Gährungen 
durch  Spaltpilze  festgestellt.  Die  Gährprodukte  sind  meist  den  bei 
Kohlehydratvergährungen  sehr  ähnlich,  was  bei  der  nahen  Verwandt- 
schaft der  Struktur  beider  Reihen  von  Körpern  nicht  Wunder  nehmen 
darf.  — 


Gotschxich,  Gährungserregung.  245 

Für  Glycerin  beobachtete  Fitz  4  Gährungen.  Erstens  liefert  es  unter  dem 
Einnuss  des  an  anderer  Stelle  zu  beschreibenden  Bac.  Fitzianus  reichlich 
Äthylalkohol  (z.  B.  29  gr  Alkohol  aus  100  gr  Glycerin)  und  als  Nebenprodukt 
Kapronsäure ,  Buttersäure  und  etwas  Essigsäure.  Zweitens  wird  durch  Heuinfus 
eine  Vergährung  des  Glycerins  ausgelöst,  bei  der  hauptsächlich  Butylalkohol 
entsteht  und  deren  Erreger  wahrscheinlich  zu  den  Heubacillen  zu  rechnen  ist. 
Drittens  entsteht  aus  Glycerin  durch  die  Gährthätigkeit  des  Bac.  pyocyaneus 
reichlich  Buttersäure  und  daneben  etwas  Äthylalkohol  und  Bernsteinsäure. 
Viertens  wurde  Glycerin  durch  kleine  Stäbchen,  die  nämlichen,  die  auch  äpfelsauren 
Kalk  vergähren,  derart  gespalten,  dass  reichlich  Äthylalkohol  und  daneben  Ameisen- 
und  Bernsteinsäure  entstanden.  Auch  von  anderen  Autoren  wurden  noch  Ver- 
gährungen  des  Glycerins  mitgeteilt;  so  fand  Vandevelde  (Z.  physiol.  Ch.  8.367) 
eine  Vergährung  des  Glycerins  durch  Bac.  subtilis,  wobei  als  wesentliche  Produkte 
Milchsäure  und  Buttersäure  (letztere  wohl  erst  indirekt  aus  der  Milchsäure  ge- 
bildet), daneben  etwas  Bernsteinsäure  entstanden.  Doch  bot  in  allen  genannten 
Fällen  die  Methode  nicht  hinreichende  Garantie  für  reine  Einsat,  wodurch 
die  Verwertbarkeit  der  sorgfältigen  chemischen  Untersuchungen  leider  beein- 
trächtigt wird.  Dagegen  erhielt  Frankxand  (Proc.  Lond.  1889.  345)  mittelst 
eines  reingezüchteten  Bacillus  (Bac.  esthaceticus)  eine  einwandfreie  Vergährung 
des  Glycerins;  als  Gährprodukte  traten  wesentlich  Äthylalkohol  und  Essigsäure, 
daneben  etwas  Ameisensäure  und  Spuren  von  Bernsteinsäure  auf. 

Für  Erythrit  fand  Fitz  ebenfalls  verschiedene  Gährungen:  ein  Spaltpilz 
bewirkte  eine  Zersetzung,  die  sich  als  Spaltung  von  2  Mol.  Erythrit  in  1  Mol. 
Buttersäure  und  1  Mol.  Bernsteinsäure  unter  Austritt  von  2  H20  und  1 H  auf- 
fassen Hess;  ein  anderer  Spaltpilz  ergab  bei  der  Gährung  nur  geringe  Spuren 
von  Bernsteinsäure. 

Quercit  liefert  nach  Fitz  eine  Gährung  mit  fast  ausschliesslicher  Bildung 
von  Normalbuttersäure. 

Mannit  und  Dulcit  liefern  zunächst  die  oben  besprochene  Milchsäure- 
gährung.  Ausserdem  ist  von  Fitz  für  Mannit  eine  Vergährung  mit  Bildung  von 
Normalbutylalkohol ,  Äthylalkohol,  Bernsteinsäure  und  Milchsäure,  sowie  eine 
andere  mit  Bildung  von  Äthylalkohol  (26%),  Ameisensäure  (5,6%)  und  etwas 
Bernsteinsäure  nachgewiesen,  ebenso  für  Dulcit  eine  Gährung  mit  etwas  Alkohol 
und  viel  Buttersäure.  Eingehende  quantitative  Untersuchungen  über  die  Ver- 
gährung von  Mannit  und  Dulcit  mit  Verwendung  sicherer  Reinkulturen  sind  von 
Fbankland  in  Verbindung  mit  anderen  Forschern  angestellt  worden.  So  fanden 
z.  B.  Frankland,  Stanley  u.  Frew  (a.  a.  0.),  dass  sowohl  durch  den  Fried- 
EÄNDER'schen  Bacillus  als  durch  den  Bac.  esthaceticus  von  den  beiden  isomeren 
Körpern  Mannit  und  Dulcit  nur  der  erstere  vergohren  wird;  als  Gährprodukte 
ergaben  sich  hauptsächlich  Alkohol  und  Essigsäure,  daneben  etwas  Propionsäure 
und  Bernsteinsäure.  Das  Verhältnis  des  Alkohols  zu  den  flüchtigen  Säuren  (als 
Essigsäure  berechnet)  war  bei  beiden  Gährungserregern  annähernd  gleich  dem 
Molekularverhältnis :  2  C2  H5  OH  :  CH3  COOH  =  1,53. 

Die  Mengen  der  gebildeten  Produkte  waren  aber  bei  der  durch  Friedländer 
hervorgerufenen  Gährung  viel  geringer  als  bei  der  durch  Esthaceticus  bewirkten. 
Als  Umsetzungsgleichung  ergab  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  für  den  Fried- 
länder' sehen  Bacillus: 

6  C6H1406  +  H20  =  9  C2H60  +  4  C2H402  +  10  C02  +  8  H2. 
Mannit  Äthylalkohol   Essigsäure 


246  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Für  die  durch  den  Bac.  esthaceticus  hervorgerufene  Mannitgährung  dagegen 
gilt  nach  Frankland  und  Lttjisdex  (r:  K.  1892.  231)  folgende  Gleichung: 

3  C6H1406  +  H20  =  C2H402  +  5  C2H60  -f  5  CH202  +  C02. 
Mannit  Essigsäure  Äthylalkohol  Ameisensäure 

Die  Ameisensäure  wird,  besonders  bei  Luftzutritt,  rasch  weiter  zersetzt. 
Ferner  fanden  Frankxand  und  Frew  (ref.  ebd.  229)  einen  Bacillus,  der  Mannit 
und  Dulcit  vergäkrt;  als  Gährprodukte  fanden  sich  neben  C02  und  H2  Äthyl- 
alkohol, Essigsäure  und  ziemlich  viel  Bernsteinsäure  (nahezu  10%  der  vergohrenen 
Substanz),  weshalb  der  Erreger  als  Bac.  esthacetosuccinicus  bezeichnet  wurde; 
ein  grosser  Teil  der  C02  und  des  H2  stammen  aus  Ameisensäure,  welche  bei  der 
Gährung  gebildet,  aber  besonders  bei  Luftzutritt  rasch  weiter  zersetzt  wird. 
Auffallender  Weise  blieb  trotz  langer  Gährdauer  (85  Tage)  ein  grosser  Teil, 
etwa  3/4  der  angewandten  Substanz,  unvergohren  zurück;  hierbei  handelte  es  sich 
aber  nicht  etwa  um  eine  Spaltung  des  optisch  inaktiven  Dulcits  mit  Zurücklassung 
der  einen  unbrauchbaren  optischen  Komponente,  da  der  unvergohrene  Rest  eben- 
falls optisch  inaktiv  war. 

111.  Vergährungen  der  Fettsäuren  und  Oxysäuren. 

Zahlreiche  Fettsäuren  und  Oxysäuren  liefern  ein  geeignetes  Gähr- 
material,  sobald  sie  den  Spaltpilzen  in  Form  neutraler  Salze  dargeboten 
werden.  Am  geeignetsten  scheint  das  Kalksalz  dieser  Säuren  zu  sein, 
und  mit  diesem  wurden  auch  fast  durchgehends  die  betreffenden  Gähr- 
versuche  angestellt.  Es  zeigten  sich  gährfähig:  Ameisensäure  [H.COOH], 
Essigsäure  [CH3.COOH],  ferner  die  Oxysäuren:  Milchsäure  [C2H4.OH- 
COOH],  Glycerinsäure  [C0H3.(OH)2.COOH] ,  Apfelsäure  [C,H3.OH. 
(COOH)2],  Weinsäure  [CoH~(OH>>.(COOH)9],  Citronensäure  [C3H4.OH. 
(COOH)3]. 

Ameisensaurer  Kalk  liefert  nach  Hoppe  - Seyler  (Z.  physiol.  Ch.  11.  561) 
mit  Schlamm  versetzt  CaC03,  C02  und  H2;  essigsaurer  Kalk  liefert  bei  gleicher 
Behandlung  CaC03,  C02  und  CH4  (Methangährung  der  Essigsäure).  Hierbei 
findet  eine  Vermehrung  der  Spaltpilze  nur  in  sehr  geringem  Umfange  statt.  Eine 
ähnliche  chemische  Wirkung  wird  auch  von  fein  verteiltem  Rhodium  oder  Iridium 
ausgeübt. 

Milchsaurer  Kalk  geht  nach  Fitz  4  verschiedene  Gährungen  ein:  erstens 
unter  dem  Einfluss  eines  dünnen  Bacillus,  der  oft  lange  Ketten  bildet,  die  Pro- 
pionsäuregährung,  bei  der  als  Nebenprodukte  etwas  Essigsäure,  Bernstein- 
säure und  Alkohol  auftreten.  Zweitens  liefert  das  Calciumlaktat  bei  anderer 
Einsat  neben  Propionsäure  reichlich  Normalvaleriansäure;  aus  3  kgr 
Calciumlaktat  wurden  etwa  126  gr  Propionsäure  und  101  gr  Valeriansäure  ge- 
wonnen. Drittens  erfolgt  unter  der  Gährwirkung  eines  kurzen  aeroben  Butter- 
säurebacillus  gleichzeitige  Produktion  von  Buttersäure  und  Propion- 
säure. Viertens  ist  schon  früher  von  Pasteur  (C.  R.  1861)  die  Buttersäure- 
gährung  des  Calciumlaktats  beobachtet,  bei  der  nur  geringe  Mengen  von  Neben- 
produkten entstehen;  Fitz  erhielt  aus  500  gr  Calciumlaktat  etwa  34  gr  buttersauren 
Kalk,  ausserdem  3,6  gr  Äthyl-  und  Butylalkohol.  Der  wesentliche  Teil  dieses 
Gährprozesses  kann  also  folgendermassen  formuliert  werden: 


Gotschlich,  Gährungserregung.  247 

2  (C2H4  .  OH .  COO)2Ca  =  C03Ca  +  3  C02  +  4  H20  +  (C3H7COO)2Ca. 
Milchsaurer  Kalk  Calciumkarbonat  Buttersaurer  Kalk. 

Glycerinsaurer  Kalk  wird  nach  Frankland  und  Frew  (r:  K.  1891. 
237  f.)  durch  den  Bac.  esthaceticus  vergohren,  wobei  Äthylalkohol  und  Essigsäure, 
sowie  Spuren  von  Ameisensäure  und  von  Bernsteinsäure  entstehen.  Sehr  annähernd 
werden  hierbei  auf  1  Mol.  Äthylalkohol  4  Mol.  Essigsäure  gebildet;  der  wesent- 
liche Teil  der  Zersetzung  kann  also  folgendermassen  formuliert  werden: 

5  C3Hc04  =  C2H5 .  OH  +  4  C2H402  +  H20  +  5  C02  -+■  3  H2. 
Glycerinsäure  Äthylalkohol  Essigsäure 

Ungefähr  die  Hälfte  der  angewandten  optisch  inaktiven  Glycerinsäure  bleibt 
nach  Ablauf  der  Gähruug  zurück;  dieser  Rest  ist  rechtsdrehend  und  bildet  links- 
drehende Na-  und  Ca-Salze.  Es  findet  also  bei  der  Gährung  eine  Spaltung  der 
inaktiven  Glycerinsäure  statt,  wobei  die  Linksglycerinsäure  weiter  vergohren  wird, 
die  rechtsdrehende  Modifikation  dagegen  übrig  bleibt.  —  Nach  Fitz  kann  glycerin- 
saurer Kalk  noch  eine  andere  Vergährung  durch  mittelgrosse  Bacillen  erleiden, 
wobei  Ameisensäure  mit  etwas  Methylalkohol  und  Essigsäure  als  Nebenprodukte 
entsteht. 

Äpfelsaurer  Kalk  ist  ebenfalls  mehreren  Gährungen  unterworfen.  Unter 
der  Einwirkung  dünner  Bacillen  —  derselben,  die  auch  Glycerin  vergähren  — 
wird  hauptsächlich  Bernsteinsäure  (etwa  60%  des  vergohrenen  Materials)  und 
etwas  Essigsäure  gebildet.  Mit  anderen,  kürzeren  Bacillen  entsteht  Propionsäure 
als  Hauptprodukt,  daneben  wieder  Essigsäure.  Drittens  tritt  zuweilen  eine  Butter- 
säureproduktion unter  H2 -Entwicklung  ein;  endlich  wird  nach  Schützenberger 
(Die  Gährungserscheinungen.  1876)  der  äpfelsaure  Kalk  auch  unter  Produktion 
von  Milchsäure  und  C02  zerlegt. 

Weinsaurer  Kalk  liefert  entweder  die  schon  Pasteur  bekannte  und  auch 
von  Fitz  erhaltene  Propionsäuregährung,  die  vielleicht  nach  der  Gleichung 
verläuft: 

3  C4H606  =  C2H5  .  COOH  +  2  CH3 .  COOH  +  5  C02  +  2  H20.  • 
Weinsäure      Propionsäure  Essigsäure 

Oder  es  entsteht  Buttersäuregährung,  oder  drittens  findet  eine  Zerlegung  statt,  bei 
der  hauptsächlich  Essigsäure  gebildet  wird  (aus  100  gr  weinsaurem  Kalk  erhielt 
Fitz  45  gr  essigsauren  Kalk)  und  daneben  etwas  Äthylalkohol,  Buttersäure  und 
B  ernsteinsäure. 

Citronensaurer  Kalk  liefert  nach  Versuchen  von  Fitz  unter  der  Gähr- 
wirkung  kleiner  dünner  Bacillen  (aus  Heuwaschwasser)  reichlich  Essigsäure,  als 
Nebenprodukte  Äthylalkohol  und  Bernsteinsäure. 

Auch  die  Schleimsäure  wird  nach  Schützenberger  leicht  unter  Ent- 
stehung von  Essigsäure,  C02  und  H2  vergohren. 

Anhangsweise  sei  hier  auch  noch  der  von  Loew  beobachteten  Vergährung 
des  chinasauren  Kalkes  gedacht,  bei  welcher  unter  dem  Einfluss  von  Spalt- 
pilzen bei  Luftzutritt  Protokatechusäure,  bei  Sauerstoffabschluss  statt  dieser  Essig- 
säure und  Propionsäure  entstehen  soll. 

Der  Wert  vieler  älteren,  in  diesem  Kapitel  aufgeführten  Versuche 
wird  leider  dadurch  sehr  beeinträchtigt,  dass  nicht  mit  völlig  einwand- 
freien Reinkulturen  gearbeitet  worden  war.   Insbesondere  ist  es  erforder- 


248  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

lieh,  nach  Beendigung  der  Gährung  die  restierende  Gährflüssigkeit  genau 
daraufhin  zu  untersuchen,  ob  keine  anderen  Bakterien  als  die  einge- 
säten vorhanden  sind.  Nur  wenn  auf  diese  Weise  absolut  ausgeschlossen 
ist,  dass  andere  Mikroorganismen  zufällig  eingedrungen  sind  und  sich 
in  unkontrollierbarer  Weise  an  den  Zersetzungsvorgängen  beteiligt 
haben,  ist  man  vor  Irrtum  in  der  Beurteilung  der  chemischen  Leistungen 
einer  Art  geschützt. 


B.  Gährungen  durch  Oxydation. 

I.  Die  Essiggährung. 

Als  Essiggährung  bezeichnet  man  den  bereits  seit  Jahrtausenden 
bekannten  Vorgang,  durch  welchen  verdünnte  alkoholische  Lösungen 
spontane  Säuerung  erfahren,  wobei  der  Alkohol  in  Essigsäure  verwan- 
delt wird.  Dabei  ist  stets  auf  der  gährenden  Flüssigkeit  die  Ent- 
wicklung einer  oberflächlichen  Haut  oder  eines  schleimigen  Boden- 
satzes zu  konstatieren,  Bildungen,  die  als  „Essigmutter",  „Essigkahm" 
oder  dergl.  bezeichnet  wurden.  Die  Zusammensetzung  dieser  Kahm- 
haut aus  kleinsten  Lebewesen  wurde  schon  1837  von  Kützing  er- 
kannt; die  Mikroben  wurden  dann  von  Thomson  (Ann.  Ch.  Pharm.  83) 
und  Pasteur  (Etud.  s.  1.  vinaigre.  —  C.  R.  54.  265)  als  Mykoderma 
aceti  beschrieben.  Hansen  (Medd.  Carlsberg  Laborat.  1879)  wies  1879 
nach,  dass  unter  dem  Namen  Mykoderma  aceti  zwei  botanisch  ver- 
schiedene Bakterienarten  zusammengefasst  worden  waren,  die  er  als 
Bakt.  aceti  und  Bakt.  Pasteurianum  bezeichnete;  die  Kahmhäute  des 
ersteren  färbten  sich  mit  Jod  gelb,  die  des  letzteren  blau.  Später 
fand  Hansen  (R.  G.  1893.  69  u.  C.  R.  Carlsberg.  III.  182)  noch  eine 
dritte  Art,  das  Bakt.  Kuetzingianum.  Ferner  hat  Wermischeff 
P.  93.  213)  zwei  neue  Essigbakterien  isoliert,  die  weder  die  gelbe 
noch  die  blaue  Jodreaktion  gaben  und  sich  ausserdem  von  einer  durch 
Duclaux  (r:  bei  Wermischeff)  beschriebenen  Art  deutlich  unterschie- 
den. Es  ist  also  nicht  nur  eine  Art,  sondern  eine  ganze  Reihe 
von  Bakterien  zu  dieser  Gährthätigkeit  befähigt.  (Betr.  der  morpho- 
logischen Eigenschaften  der  Essigbakterien  s.  Bd.  II). 

Nach  Lafae  (C.  13.  684)  scheint  auch  ein  Sprosspilz  als  Erreger 
von  Essiggährung  funktionieren  zu  können.  Dagegen  ist  der  sehr 
häufig  gleichzeitig  mit  den  Essigbakterien,  besonders  im  Anfang  der 
Gährung  auftretende  Saccharomyces  mycoderma,  Weinkahm,  nicht  als 
Erreger  der  Essiggährung  aufzufassen;  er  oxydiert  vielmehr  den  Alko- 
hol bis  zu  den  Endprodukten  C02  und  H20.  Das  auffallend  häufige 
Zusammentreffen  beider  Pilze  erklärt  sich  nach  Nägeli    daraus,    dass 


Gotschlich,  Gährungserregung.  249 

die  Hefeart  oft  erst  den  Essigbakterien  den  Nährboden  bereitet,  indem 
sie  bei  einem  starken  Gehalt  des  Nährmaterials  an  Fruchtsäuren  diese 
aufzehrt  und  dadurch  die  Acidität  des  Substrats  verringert;  doch  be- 
friedigt diese  Annahme  deshalb  nicht  Yollkommen,  weil  ja  gerade  die 
Essigbakterien  in  viel  höherem  Grade  als  andere  Spaltpilze  saure  Reaktion 
des  Substrats  ohne  Schaden  ertragen. 

Ob  die  Essigbakterien  bei  der  Essiggährung  wirklich  eine  ursäch- 
liche Rolle  als  Gährungserreger  spielen,  ist  lange  zweifelhaft  ge- 
wesen. Dieselbe  Umsetzung  von  Alkohol  in  Essigsäure  Hess  sich 
nämlich  in  derselben  Weise,  allerdings  in  geringerem  Grade  auch 
durch  Platinmohr  erreichen.  Hiernach  stellte  sich  Liebig  (Ann.  Ch. 
Pharm.  153.  144)  den  Vorgang  in  beiden  Fällen  in  ganz  gleicher  Weise 
als  rein  chemische  Wirkung  vor;  wie  das  Platinmohr  so  sollte  auch 
der  Essigkahm  als  ausserordentlich  poröser  Körper  den  Sauerstoff  auf 
seiner  Oberfläche  kondensieren  und  so  die  Umwandlung  des  Alkohols 
in  Essigsäure  bewirken;  hiermit  stimmt  scheinbar  die  Begünstigung 
der  Essiggährung  durch  andere  poröse  Substanzen,  wie  die  in  der 
Schnellessigfabrikation  angewencletenHobelspäne,wohl  überein.  Pasteur 
betonte  zwar,  dass  zum  Zustandekommen  der  Essiggährung  in  allen 
Fällen  die  Anwesenheit  des  Essigpilzes  unumgänglich  nothwendig  sei, 
führte  jedoch  die  Art  der  Wirksamkeit  des  letzteren  auf  eine  in  ganz 
analoger  Weise  wie  beim  Platinmohr  vor  sich  gehende  Sauerstoff- 
kondensierung  und  -Übertragung  zurück  (vgl.  Etud.  s.  1.  vinaigre. 
p.  72).  Ad.  Mayer  und  Knierim  (L.  V.  16.  305)  wiesen  nun  aber 
in  überzeugender  Weise  nach,  dass  die  Bedingungen  beider  Vorgänge 
ganz  verschieden  sind,  indem  die  Essigbildung  durch  Platinmohr  in 
gleicher  Weise  bei  niedriger  wie  bei  höchster  Koncentration  des  Alko- 
hols sich  vollzieht  und  durch  Temperaturen  über  35°  eher  begünstigt 
wird,  während  die  durch  den  Essigpilz  vermittelte  Gährung  nur  in 
Lösungen  bis  zu  einem  Alkoholgehalt  von  etwa  10°/0  und  nur  unter- 
halb 35°,  am  besten  zwischen  20  und  30°  vor  sich  geht;  ferner  Hess 
sich  nachweisen,  dass  Essigkahmhäute,  die  durch  massige  Erhitzung 
über  50°  nachweislich  abgetötet,  aber  in  ihrer  mechanischen  Struktur 
gar  nicht  verändert  worden  waren,  sich  unfähig  zeigten,  Essiggährung 
hervorzurufen,  und  dass  ebenso  unorganisiertes  poröses  Material,  wie 
Fliesspapier,  selbst  bei  sehr  langer  Dauer  des  Versuchs,  nicht  durch 
Sauerstoffübertragung  Essigsäure  aus  Alkohol  zu  bilden  vermochte,  so 
lange  das  Hinzutreten  von  Essigbakterien  von  aussen  absolut  verhin- 
dert war.  Hiernach  ist  also  die  Funktion  der  Essiggährung  unmittelbar 
mit  dem  Leben  der  Essigbakterien  verknüpft  und  als  echte  physiologische 
Leistung  derselben  zu  betrachten.  Hierfür  sprechen  auch  die  übrigen 
Bedingungen  der  Essiggährung.   Dieselbe  kommt  nämlich  nur  dann  zu- 


250  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

stände,  wenn  die  Essigbakterien  ausser  dem  verdünnten  Alkohol,  der 
ihnen  als  hauptsächlichster  Nährstoff  dient,  noch  stickstoffhaltiges 
Nährmaterial  und  Aschebestandtheile  vorfinden.  Die  N-haltige  Nah- 
rung wird  am  besten  in  Gestalt  von  Prote'instoffen,  weniger  günstig 
durch  Ammoniaksalze  geliefert.  Über  den  Bedarf  an  Salzen  ist  nichts 
näheres  bekannt;  doch  scheint  derselbe  ähnlich  zu  sein  wie  bei  den 
Hefepilzen,  da  dieselben  Nährsalzlösungen  für  beide  Gattungen  von 
Mikroorganismen  brauchbar  sind.  Besonders  begünstigt  wird  die  Ent- 
wicklung der  Essigbakterien,  wenn  schon  eine  gewisse  Menge  Essig- 
säure (1 — 2%)  vorhanden  ist.  Unbedingtes  Erfordernis  für  die  Essig- 
gährung  ist  reichlicher  Luftzutritt,  da  die  Oxydation  des  Alkohols  zu 
Essigsäure  auf  Kosten  des  atmosphärischen  Sauerstoffs  vor  sich  geht. 
Daher  wirkt  auch  die  Anwendung  porösen  Materials,  z.  B.  der  Hobel- 
späne, über  welche  das  Essiggut  bei  der  Schnellessigfabrikation  sickert, 
durch  die  Yergrösserung  der  Oberfläche,  zu  welcher  der  Sauerstoff  un- 
gehinderten Zutritt  hat,  indirekt  begünstigend  auf  den  Prozess. 

Gegen  die  Temperatur  zeigen  verschiedene  Arten  der  Essigbakterien 
ein  verschiedenes  Verhalten;  nachLAEAR  (C.  C.  1. 145)  vermag  das  Bakt. 
Pasteurian.  bei  4,5 — 5°  C.  selbst  bei  einer  Versuchsdauer  von  über  drei 
Monaten  keine  Essiggährung  hervorzurufen,  während  Bakt.  aceti  Hansen 
noch  bei  4 — 4,5°  intensive  Gährthätigkeit  äussert.  Die  Säureproduktion 
erfolgt  anfangs  um  so  langsamer,  je  niedriger  die  Temperatur;  ist  aber 
erst  einmal  eine  bestimmte  Menge  von  Essigsäure  gebildet,  so  steigt 
unter  deren  begünstigender  "Wirkung  die  weitere  Produktion  auch  bei 
niederer  Temperatur  ganz  rapid.  Das  Temperaturoptimum  liegt  zwischen 
30  und  34°;  bei  weiterer  Steigerung  der  Temperatur  nimmt  die  Gähr- 
intensität  rasch  ab,  um  bei  42°  ganz  zu  sistieren;  Erhitzung  auf  etwa 
50°  tötet  die  Essigbakterien  ab.  —  Während  die  Essigbakterien  gegen 
ziemlich  hohen  Gehalt  an  Essigsäure  sehr  widerstandsfähig  sind  und 
durch  einen  Gehalt  von  2°/0  dieser  Säure  sogar  gefördert  werden,  sind 
sie  gegen  andere  Säuren  viel  empfindlicher.  Salzsäure  wirkt  nach 
Hirschfeld  (r:  K.  1890.  139)  schon  in  einer  Koncentration  von 
0.06—0,07%  störend,  während  0,01— 0,02%  den  Prozess  fördern  sollen; 
auch  Phosphorsäure  wirkt  nach  Cohn  (ebd.  1890.  140)  schon  in  0,05  bis 
0,07  proz.  Lösung  hindernd.  Thymol  soll  nach  Ad.  Mater  (Gährungs- 
chemie.  1895.  181)  schon  in  der  Verdünnung  von  1:10000  nachteilig 
wirken;  Salicylsäure  in  gleicher  Verdünnung  ist  unschädlich,  soll  sogar 
fremde  Mikroben  ausschliessen,  so  dass  sie  vielleicht  zur  Reinerhaltung 
der  Essiggährung  verwendet  werden  könnte.  —  Der  chemische 
Prozess  bei  der  Essiggährung  lässt  sich  einfach  folgendermassen  aus- 
drücken: 

C2H5.OH  +  02  =  CHg.COOH  +  H20. 


Gotschlich,  Gährungserregung.  251 

Wahrscheinlich  wird  als  Zwischenprodukt  Aldehyd  gebildet,  der  be- 
sonders bei  ungenügendem  Sauerstoffzutritt  in  merkbarer  Menge  auf- 
tritt, so  dass  der  Prozess  in  folgenden  2  Phasen  verläuft: 

C2H5  .  OH  +  0  =  CH3 .  CHO  +  H20 
CH3.CHO  +  0  =  CH3 .  COOH. 

Daneben  sollen  nach  Nägeli  auch  ausserordentlich  kleine  Mengen 
von  C02  entstehen.  Endlich  tritt  als  sekundäres  Produkt  durch  Ver- 
bindung der  neugebildeten  Essigsäure  mit  dem  Alkohol  des  Gährsub- 
strats  Essigäther  auf.  Unter  Umständen  kann  nach  Verbrauch  sämt- 
lichen vorhandenen  Alkohols  auch  die  neu  erzeugte  Essigsäure  selbst 
weiter  zu  C02  und  H20  verbrannt  werden,  weshalb  bei  längerer  Gäh- 
rungsdauer  der  Säuregehalt  des  Essiggutes  wieder  abnimmt;  diese 
bereits  von  Pasteue  beobachtete  Thatsache  ist  neuerdings  von  Laeae 
für  das  B.  Pasteurian.  Hansen  sichergestellt  worden.  Da  die  ver- 
schiedenen Arten  von  Essigbakterien  in  ihrer  Gährthätigkeit  nach  Laeae 
durchaus  nicht  gleichwertig  sind  und  häufig  durch  fremde  Eindring- 
linge Störungen  des  Prozesses  herbeigeführt  werden  können,  so  er- 
scheint die  Forderung  von  Beesch  (r:  K.  1893.  252),  in  den  Be- 
trieb der  Essigfabrikation  behufs  besserer  Materialausnutzung  und  Er- 
zeugung eines  qualitativ  feineren  Gährproduktes  Reinkulturen  von 
Essigbakterien  einzuführen,  durchaus  berechtigt. 

IL  Nitrifikation. 

Im  Ackerboden  vollzieht  sich  beständig  eine  Oxydation  des  Am- 
moniaks, welches  das  letzte  Abbauprodukt  der  bei  der  Fäulnis  zer- 
störten komplizierten  N-haltigen  Substanzen  darstellt,  zu  Nitrat,  das 
dann  von  den  Pflanzen  aufgenommen  und  zur  Synthese  der  N-haltigen 
Proteinsubstanzen  verwandt  wird.  Hiermit  ist  der  Kreislauf  des  Stick- 
stoffs in  der  Natur  geschlossen.  Dasjenige  Glied  dieses  Kreislaufs  nun, 
welches  den  Übergang  vom  Ammoniak  zum  Nitrat  darstellt,  war  bis 
vor  kurzem  in  seinem  Mechanismus  und  seinen  Bedingungen  noch  un- 
aufgeklärt. Nachdem  dieser  Nitrifikationsprozess  bisher  stets  als  rein 
chemischer  Oxydationsvorgang  aufgefasst  worden  war,  wiesen  zuerst 
Müllee  (L.  V.  6.  263)  und  Scklösing  u.  Müntz  (C.  R.  84.  301;  85. 1018) 
nach,  dass  zum  Zustandekommen  der  Nitrifikation  die  Lebensthätigkeit 
gewisser,  vorläufig  noch  nicht  näher  zu  definierender  Mikroorganismen 
unumgänglich  notwendig  ist;  in  erhitztem  oder  mit  desinfizierenden 
Mitteln  behandeltem  Boden  kommt  dieser  Prozess  nicht  zustande.  Diese 
Ansicht  der  Forscher  fand  durch  Waeington,  Emich,  Mttneo  (cit. 
n.  Btjeei,  C.  C.  1.  23)  weitere  Bestätigung.  Die  Bemühungen  je- 
doch, die  nitrifizierenden  Mikroorganismen  des  Bodens  rein  zu  züchten, 


252  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

schlugen  lange  Zeit  völlig  fehl.  Zwar  gelang  es  Heraus  (Z.  1. 193)  von  einer 
ganzen  Anzahl  von  Bakterien,  so  vom  Bac.  prodigios.,  Typhusbacillus, 
Milzbrandbacillus ,  Spirillum  Finkler,  Spirillum  Denecke,  eine  Nitrit- 
bildung aus  Ammoniak  nachzuweisen;  doch  waren  sowohl  hier,  wie  bei 
analogen  Befunden  Hueppe's  (Tagebl.  d.  Naturf.-Vers.  Wiesbaden  1887), 
die  stattfindenden  Umsetzungen  so  geringfügig,  dass  sie  die  ausgiebig 
unter  natürlichen  Verhältnissen  im  Boden  stattfindende  Nitrifikation 
in  keiner  Weise  zu  erklären  vermochten.  Das  Misslingen  aller  bis- 
herigen Versuche,  die  spezifischen  nitrifizierenden  Mikroorganismen 
rein  zu  züchten,  hatte  seinen  Grund  darin,  dass  zur  Züchtung  die  ge- 
bräuchlichen, an  organischen  Stoffen  reichen  Nährsubstrate  verwendet 
wurden,  in  denen,  wie  sogleich  gezeigt  werden  soll,  die  nitrifizierenden 
Organismen  nicht  zu  wachsen  vermögen.  In  der  That  gelang  es  Wino- 
gradsky (P.  1890.  213,  257,  760)  zuerst  bei  Züchtung  in  rein  minera- 
lischer Nährlösung  (1  gr  Ammonsulfat,  1  gr  Kaliumphosphat,  0,5  bis 
1,0  gr  basisches  Magnesiumkarbonat  auf  1  Liter  Wasser)  durch  fortge- 
setzte Übertragung  einen  nitrifizierenden  Organismus  rein  zu 
züchten,  den  er  als  „Nitromonas"  bezeichnete.  Auf  ähnlichem  Wege 
vermochten  auch  P.  u.  G.  Frankland  (Proc.  Lond..  47.  289;  Ph.  Tr. 
181.  107),  sowie  Warington  (r:  K.  1S90.  109;  1891.  215)  nitrifizierende 
Mikroben  zu  isolieren. 

Auffallend  war  dabei,  dass  in  den  mit  den  nitrifizierenden 
Mikroorganismen  infizierten  Ammoniaksalzlösungen  stets 
viel  mehr  Nitrite  als  Nitrate  gebildet  wurden,  obgleich  im 
Ackerboden  sich  nur  die  letzteren  finden,  Nitrite  dagegen  ganz  fehlen. 
In  den  Kulturen  von  P.  u.  G.  Frankland  fanden  sich  überhaupt  nur 
Nitrite,  gar  kein  Nitrat.  Durch  ungenügenden  Luftzutritt  konnte  diese 
unvollständige  Oxydation  nicht  erklärt  werden;  denn  bei  vergrösserter 
Oberfläche  der  Kulturflüssigkeit,  also  bei  vermehrtem  Sauerstoffzutritt 
sah  Winogradsky  die  Energie  der  gesamten  Oxydation  zwar  steigen, 
doch  das  Verhältnis  zwischen  Nitriten  und  Nitraten  sich  noch  mehr 
zu  Ungunsten  der  letzteren  verschieben.  Das  Überwiegen  der  Nitrite 
über  die  Nitrate  konnte  nun  entweder  in  der  Weise  erklärt  werden, 
dass  die  nitrifizierenden  Organismen  die  Oxydation  des  Ammoniaks  stets 
nur  bis  zum  Nitrit  treiben,  welches  dann  durch  den  atmosphärischen 
Sauerstoff  auf  rein  chemischem  Wege  weiter  zu  Nitrat  oxydiert  werde, 
oder  durch  die  Existenz  verschiedener  Arten  von  Nitrifikationserregern, 
deren  einer  das  Ammoniak  nur  bis  zum  Nitrit  oxydiert,  während  der 
andere  die  Oxydation  zu  Nitraten  bewirkt.  Letztere  Annahme  bewährte 
sich  als  zutreffend;  die  Trennung  beider  Arten  von  Organismen  gelang 
Warington  noch  unvollständig,  Winogradsky  (P.  91;  S.  92  u.  577) 
dagegen    vermochte    sie    mit  Hilfe    einer  verbesserten  Methode   durch 


Gotschlich,  Gährangserregung.  253 

Züchtung  auf  dein  von  W.  Kühne  (C.  8.  410)  angegebenen  rein 
mineralischen,  gelatinierenden  Kieselsäure  -  Nährboden  mit  Sicherheit 
durchzuführen  und  erhielt  so  zwei  ganz  verschiedene  Arten  von  nitri- 
fizierenden  Mikroorganismen,  deren  eine  Ammoniak  zu  Nitriten 
oxydiert,  während  die  andere  auf  Ammonsalze  gar  nicht  ein- 
zuwirken vermag  und  Nitrite  in  Nitrate  überführt.  Durch 
zahlreiche  Untersuchungen  von  Bodenproben  aus  den  verschiedensten 
Erdteilen  überzeugte  sich  Winogradsky  (r:  C.  C.  1.  243)  von  der 
geradezu  ubiquitären  Verbreitung  seiner  Nitrifikationsorganismen, 
wodurch  ihre  Bedeutung  als  das  spezifische  Salpeterferment  des  Bodens 
eine  weitere  Stütze  erhielt.  Diejenige  Klasse  von  Mikroben,  welche 
Ammoniak  in  Nitrite  oxydiert,  zerfällt  in  2  Arten,  deren  eine,  Nitro  - 
somonas,  mit  2  Unterarten  europaea  und  javanensis  in  der  alten  Welt 
gefunden  wurde,  während  die  andere,  Nitrosokokkus,  aus  Bodenproben 
von  Südamerika  und  Australien  stammt;  dasjenige  Bakterium,  welches 
die  Verwandlung  der  Nitrite  in  Nitrate  vollzieht,  ist  als  Nitrobakter 
benannt.  Die  morphologischen  Eigenschaften  der  Nitrobakterien  s.  Bd.II. 
Die  ausserordentlich  merkwürdige  physiologische  Stellung,  welche  diese 
Mikroorganismen  dadurch  einnehmen,  dass  sie  ihren  C-Bedarf  ohne 
Chlorophyll  und  ohne  Mitwirkung  des  Lichtes  aus  der  C02 
der  Atmosphäre  decken,  ist  früher  bereits  besprochen.  Die 
Mengen  des  assimilierten  C  und  des  oxydierten  N  zeigten  bei  den 
einzelnen  Versuchen  Winogeadsky's  ein  ziemlich  konstantes  Verhältnis, 
das  zwischen  1  :  33  und  1  :  37  schwankte;  im  Mittel  bedurfte  es  der 
Oxydation  von  35,4  mgr  N,  um  1  mgr  C  in  organische  Verbindungen 
überzuführen.  Dieses  gewaltige  Überwiegen  des  Nitrifikationsprozesses 
über  die  Assimilationsvorgänge  berechtigt  uns  vollauf,  den  Vorgang 
als  eine  Gährung  zu  bezeichnen;  der  Unterschied  von  den  gewöhnlichen 
Gährungen  liegt  hier,  wie  bei  den  übrigen  Oxydationsgährungen,  darin, 
dass  diese  Existenz  unter  Gährthätigkeit  überhaupt  die  für  den  betr. 
Pilz  einzig  mögliche  ist,  während  andere  Gährungserreger,  wie  z.  B  die 
Hefe,  auch  ohne  Gährthätigkeit  zu  vegetieren  vermögen.  Die  Nitri- 
fikation des  NH3  stellt  für  die  Nitrobakterien  die  einzige  Kraftquelle 
dar;  auf  organischem  Nährmaterial  vermögen  sie  nicht  zu  existieren; 
die  bezüglichen  vermeintlichen  positiven  Befunde  von  P.  u.  G.  Feank- 
land  und  Waeington  erklären  sich  nach  Winogeadskt's  sorgfältigen 
Kontrollversuchen  durch  Verunreinigungen  der  Kulturen  jener  Autoren. 
Ganz  neuerdings  wollen  indessen  Btteei  und  Sttjtzee  (C.  C.  1.  721) 
einen  nitrifizierenden  Bacillus  gezüchtet  haben,  der  auch  auf  Gelatine 
wächst,  hier  jedoch  seine  nitrifizierende  Thätigkeit  nicht  ausübt.  Von 
der  Einwirkung  äusserer  Bedingungen  auf  den  Nitrifikationsprozess  sei 
der  von  Dumont  u.  Ceochetelle  (C.  R.  117.  670;  118.  601;  119.  93) 


254  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

konstatierte  begünstigende Einfluss  niancherSalzehervorgehoben;  Kaliurn- 
karbonatbefördert  denselben  bei  einem  Zusatz  von  0,2 — 0,3  %,  Kaliumsulf'at 
in  etwa  0,7—0,8  °/0,  doch  nur  bei  einem  gewissen  Kalkgehalt  des  Bodens. 
Chlorkaliumzusatz  wirkt  schädlich,  aber  nur  indirekt,  indem  im  Boden 
eine  teilweise  Umsetzung  zu  Chlorcalcium  erfolgt;  wird  letzteres  aus 
dem  Boden  ausgewaschen,  so  tritt  sogar  ein  günstiger  Erfolg  des  Salz- 
zusatzes zu  Tage;  hiernach  glauben  die  Verff.  den  sehr  wechselnden 
Einfluss  des  Zusatzes  von  Chloriden  auf  die  Erntegrösse  je  nach  der 
Durchspülung  des  Ackers  mit  Regen  erklären  zu  können.  Selbst- 
verständliche Voraussetzung  zum  Zustandekommen  des  Nitrifikations- 
prozesses  ist  reichlicher  Zutritt  von  atmosphärischem  Sauerstoff,  da  auf 
dessen  Kosten  die  Oxydation  erfolgt.  Die  Konkurrenz  zwischen  der 
Ammoniakbildung  und  der  Nitrifikation  im  Ackerboden  wird  daher 
wesentlich  durch  die  Porosität  und  Luftdurchgängigkeit  des  Bodens 
entschieden  (Müntz:  C.  R.  110.  1206);  in  sehr  dichtem  Boden  findet 
nur  NH3 -Entwicklung  statt.  So  erklärt  sich  auch  die  von  Deherain 
(C.  R.  116.1091)  festgestellte  Thatsache,  dass  in  stark  durchgearbeitetem, 
energisch  zerkleinertem  Boden  die  Nitrifikation  viel  energischer  vor 
sich  geht.  Ausserdem  zeigt  die  Energie  der  Nitrifikation  im  Boden 
jahreszeitliche  Schwankungen  und  ist  speziell  vom  Frühling  bis  zum 
Herbst  viel  intensiver  als  im  Winter.  Genauere  Aufklärung  dieser 
auch  praktisch  hochwichtigen  Verhältnisse  muss  späteren  Untersuchungen 
aufbewahrt  bleiben. 

Zu  den  Oxydationsgährungen  ist  wohl  noch  zu  rechnen  die  von 
Bottteoux  (CR.  102.  924)  beobachtete  Vergährung  des  Trauben- 
zuckers zu  Glukonsäure:  C6H1207,  oder  einer  mit  dieser  isomeren 
Zymoglukonsäure,  sowie  die  weitere  Vergährung  dieser  zur  Oxyglukon- 
säure:  C6H|2Os.  Ferner  lässt  sich  auch  die  früher  besprochene  Oxydation 
von  Eisenoxydulsalzen  zu  Ferrihydrat  durch  Winogeadsky's  Eisen- 
bakterien, sowie  die  Oxydation  des  H2S  zu  H2S04  durch  die  Schwefel- 
bakterien desselben  Autors  unter  dem  Gesichtspunkt  einer  Oxydations- 
gährung  betrachten.  Die  Grenzbestimmung  zwischen  einfachem  Stoff- 
wechsel und  Gährthätigkeit  ist  hier  mindestens  sehr  schwierig. 

C.  Zusammengesetzte  Gährungen. 

I.  Die  Fäulnis. 

Unter  Fäulnis  oder  fauliger  Gährung  begreift  man  die  rasche  und 
intensive  Zerlegung  N-haltiger,  hauptsächlich  eiweissartiger  Substanzen 
durch  gewisse  Spaltpilze,  bei  welcher  gasige,  übelriechende  Produkte 
in  grösserer  Menge  gebildet  werden. 


Gotschlich,  Gährungserregung.  255 

Das  Material  für  diese  Gährung  liefern  zunächst  die  eigent- 
lichen Eiweissstoffe;  dieselben  scheinen  allerdings  niemals  direkt  der 
Zerlegung  anheimzufallen,  sondern  zunächst  einer  Verwandlung  in  Peptone 
zu  unterliegen;  da  aber  peptonisierendes  Ferment  den  fäulniserregen- 
den und  vielen  anderen  Spaltpilzen  zuzukommen  pflegt,  so  ist  prak- 
tisch nur  ein  zeitlicher  Unterschied  zwischen  der  Fäulnis  löslicher  und 
unlöslicher  eiweissartiger  Stoffe;  durch  Hinzufügen  von  peptonisieren- 
dem  Pankreasferment  wird  aber  dementsprechend  die  Fäulnis  besonders 
beschleunigt.  Ferner  sind  die  leimartigen  und  leimgebenden 
Stoffe  zur  Fäulnis  disponiert,  dann  die  Peptone,  endlich  einige 
N-haltige  Körper  von  viel  einfacherer  chemischer  Zusammensetzung 
als  die  Eiweisssubstanzen,  die  jedoch  den  letzteren  dadurch  nahe  stehen, 
dass  sie  als  Komponenten  des  Eiweissmoleküls  angesehen  werden 
müssen,  so  namentlich  das  Leu  ein. 

Auffallend  ist,  dass  Milch  sehr  wenig  zur  Fäulnis  neigt  und  sogar 
andere  fäulnisfällige  Stoffe,  "wie  Fleisch,  gegen  Fäulnis  zu  schützen 
vermag.  Dies  ist  schon  eine  alte  Erfahrung  aus  der  Haushaltung,  wird  aber 
noch  besonders  durch  Versuche  von  Winternitz  (Z.  physiol.  Ch.  16.  460)  bestätigt, 
Auch  im  Darmkanal  äussert  sich  diese  fäulnishemmende  Eigenschaft  der  Milch; 
daher  fehlen  in  den  Säuglingsstühlen  gänzlich  Indol,  Skatol,  Phenol;  ebenso  ist 
die  Darmfäulnis  beim  Erwachsenen  bei  Milch-  oder  Kefyrdiät  nach  Pohl  (Maly's 
Jahrb.  1S87.  277),  Biernacki  (A.  M.  49),  Rovighi  (Z.  physiol.  Ch.  16.  43), 
Winternitz  (a.  a.  0.)  sehr  herabgesetzt,  wie  sich  in  der  verminderten  Ausschei- 
dung der  Athersckwefel  säuren  im' Harn  kundgiebt.  Diese  fäulniswidrige  Wirkung 
der  Milch  beruht  auf  ihrem  Gehalt  an  Milchzucker,  in  Übereinstimmung  mit  Ver- 
suchen von  Hirschler  (Z.  physiol.  Ch.  10.  302),  der  allgemein  eine  fäulnisverzögernde 
Wirkung  der  Kohlehydrate  beobachtete.  Nach  den  Fütterungsversuchen  von 
K.  Schmitz  (ebd.  14.  378;  15.  401)  übt  auch  frischer  Käse  eine  solche  fäulnis- 
widrige Wirkung  aus;  doch  beruht  diese  nur  auf  seinem  Gehalt  an  Milchzucker ; 
reines  Kasein  setzt  der  Fäulnis  keinen  Widerstand  entgegen.  Die  fäulniswidrige 
Wirkung  der  Kohlehydrate  erklärt  sich  nach  Hirschler  dadurch,  dass  bei  gleich- 
zeitiger Anwesenheit  von  Eiweisskörpern  und  Kohlehydraten  eine  Elektion  des 
Nährmaterials  statthat,  wobei  die  letzteren  leichter  angegriffen  werden  und  da- 
durch das  Eiweissmolekül  vor  Zerfall  schützen,  oder  nach  Winternitz  und 
K.  Schmitz  dadurch,  dass  unter  den  durch  den  Zusatz  von  Zucker  oder  dgl.  ganz 
veränderten  Verhältnissen  des  Nährbodens  nicht  die  zur  fauligen  Zersetzung  des 
Eiweiss  befähigten  spezifischen  Fäulniserreger,  sondern  eine  ganz  andere  Bakterien- 
flora mit  anderen  chemischen  Fähigkeiten  auftritt.  —  Übrigens  ist  die  Milch  nicht 
gegen  jeden  Fäulnisprozess  gefeit;  vielmehr  konstatierte  Flügge  (Z.  17)  eine  mit 
Produktion  ausserordentlich  übelriechender  Gase  einhergehende,  durch  Anaeroben 
eingeleitete  faulige  Zersetzung  derselben. 

Die  Art  der  Zerlegung  des  Eiweissmoleküls  bei  der  Fäulnis  ver- 
läuft in  vieler  Beziehung  analog  der  durch  einfache  chemische  Eingriffe, 
z.  B.  durch  Behandlung  mit  Säuren  oder  Alkalien  hervorgerufenen 
Spaltung.     Zuerst    erfolgt    eine    hydrolytische  Spaltung   in  Albumosen 


256  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

und  weiterhin  in  Peptone.  Diese  komplizierten  Moleküle  werden 
dann  zunächst  in  der  Weise  abgebaut,  dass  Amidoderivate  der  Fett- 
reihe (namentlich  Amidosäuren),  N-haltige  Körper  aus  der  aromatischen 
Reihe  (z.  B.  Indol,  Skatol),  Sulfosäuren  (Taurin)  und  vielleicht  noch 
peptonartige  Reste  entstehen.  Unter  diesen  ersten  Fäulnisprodukten 
findet  sich  anch  das  von  Stadelmann  (Z.  f.  Biol.  26)  beschriebene 
Tryptophan,  das  sich,  mit  Bromwasser  versetzt,  purpurrot  färbt. 

Meist  unterliegen  diese  erstgebildeten  Produkte  rasch  einer  weiteren 
Zerlegung,  so  dass  sie  wenig  bemerkbar  werden;  z.  B.  die  Amidosäuren 
in  NH3  und  Fettsäuren,  von  denen  die  letzteren  noch  weiter  nach 
einer  der  oben  gegebenen  Gleichungen,  gewöhnlich  unter  Freiwerden 
von  C02,  H2,  CH4  gespalten  werden.  So  hat  man  speziell  für  das  Leucin 
eine  Gährung  feststellen  können,  die  nach  folgender  Gleichung  zu  ver- 
laufen scheint: 

C5H10.NH2.COOH  +  2H20  =  C4H!).COOH  +  NE,  +  C02  +  2H2. 

Leucin  Valeriansäure. 

Leucinsäure  unterliegt  nach  Stolnikofe  (Z.  physiol.  Ch.  I.  345) 
einer  ähnlichen  Zersetzung,  bei  welcher  ein  Teil  zu  Kapronsäure  redu- 
ziert wird,  während  der  grössere  Teil  eine  tiefer  gehende  Spaltung  zu 
Buttersäure,  Essigsäure,  CH4 ,  C02  und  H2  erfährt.  Ahnliche  Zer- 
setzungen erleiden  ferner  vielleicht  das  Glykokoll  und  andere  Amido- 
säuren. Auch  für  das  Tyrosin  muss  man  eine  baldige  weitere  Zerlegung 
supponieren,  da  dasselbe  in  grösserer  Menge  nur  im  Anfang  der  Fäulnis 
gefunden  wird. 

Die  Entstehung  der  N-freien  aromatischen  Substanzen,  der  Homo- 
logen der  Benzoesäure,  als  Phenylessigsäure  und  Phenylpropionsäure, 
erfolgt  nach  Baumann  (B.  Ch.  13.  385)  aus  einer  im  Eiweissmolekül 
präformierten  Phenylamidosäure,  wie  eine  solche  von  Schulze  u.  Bar- 
biert (ebd.  14.  1785)  bei  anderer  Gelegenheit  als  Eiweissspaltungs- 
produkt  nachgewiesen  ist;  auch  giebt  Phenylamidopropionsäure  nach 
Baumann  (Z.  physiol.  Ch.  7.  282)  bei  der  Fäulnis  in  der  That  Phenyl- 
essigsäure. Daneben  könnten  aber  die  Homologen  der  Benzoesäure 
nach  E.  u.  H.  Salkowski  (ebd.  7.  450)  wahrscheinlich  auch  direkt 
aus  dem  Tyrosinkern  des  Eiweissmoleküls  entstehen,  da  es  gelang,  aus 
reinem  Tyrosin  Hydrozimmtsäure  zu  erhalten. 

Die  N-haltigen  aromatischen  Fäulnisprodukte,  als  Indol,  Skatol, 
Skatolkarbonsäure,  entstehen  nach  E.  Salkowski  (ebd.  8.  417)  wahr- 
scheinlich aus  einer  gemeinsamen,  im  Eiweissmolekül  präformierten 
Muttersubstanz,  da  Indol  und  Skatol  sich  vertreten  können;  ausserdem 
wird  das  Indol  nicht  direkt  als  solches  aus  dem  Eiweissmolekül  abge- 
spalten, sondern  zunächst  in  Form  einer  Zwischensubstanz,  die  dann 
ihrerseits  bei  weiterer  Zerlegung  Indol  liefert;  daher  steigt  in  der  ersten 


Gotschlich,  Gährungserregung.  257 

Zeit  des  Fäulnisprozesses  die  Menge  des  gebildeten  Indols  in  stärkerer 
Progression  als  die  Zersetzung  des  Eiweisses.  Die  quantitative  Aus- 
beute an  Indol  ist  bei  verschiedenen  Fäulnisgemischen  verschieden,  kann 
aber  bis  über  1  °'0  betragen.  —  Von  den  äusserst  zahlreichen  Körpern, 
die  überhaupt  als  Fäulnisprodukte  auftreten  können,  seien  genannt: 
C02,  CH4,  H2,  N2 ,  H2S;  Ameisensäure,  Essigsäure,  Buttersäure, 
Valerian säure,  Palmitinsäure,  Akrylsäure,  Krotonsäure,  Glykolsäure, 
Milchsäure,  Valerolaktonsäure;  Oxalsäure,  Bernsteinsäure;  Leucin,  Gly- 
kokoll,  Glutaminsäure,  Asparaginsäure,  Amidostearinsäure;  Ammoniak, 
Ammoniumkarbonat,Ammoniumsulfid;Propylamin,Trimethylaminu.s.w.; 
die  oben  besprochenen  aromatischen  Körper,  sowie  Ortho-  und  Para- 
kresol,  Hydroparacumarsäure;  endlich  die  früher  eingehend  behandelten 
Ptomai'ne. 

Schon  die  Zahl  und  Mannigfaltigkeit  dieser  Produkte  lässt  darauf 
schliessen,  dass  ihre  Bildung  nicht  in  dem  gleichen  Umfang  bei  jedem 
Fäulnisakte  wiederkehrt.  In  der  That  finden  wir  durchaus  nicht  immer 
alle  die  aufgezählten  Produkte,  sondern  die  Zerlegung  des  Eiweissmole- 
küls  verläuft  in  wechselnder  Weise  und  fördert  bald  diese,  bald  jene 
Produkte  zu  Tage.  An  diesem  schwankenden  Verlauf  der  Fäulnis  kann 
teilweise  wohl  die  Verschiedenheit  des  Gährmaterials,  sowie  eine  Diffe- 
renz der  äusseren  Bedingungen  beteiligt  sein;  zum  grössten  Teil  ist 
aber  die  Verschiedenheit  der  die  Fäulnis  erregenden  Bakterien  die  Ur- 
sache. Je  nachdem  die  eine  oder  die  andere  Bakterienart  oder  ein 
wechselndes  Gemenge  derselben  im  Fäulnisgemisch  vorherrscht,  kommt 
es  zu  qualitativ  oder  quantitativ  anderer  Zusammensetzung  der  Pro- 
dukte. In  der  That  ist  durch  Versuche  mit  Reinkulturen  bereits  eine 
grosse  Zahl  von  Bakterienarten  bekannt  geworden,  welche  sämtlich  in 
reiner  Kultur  eine  rasche  Zerlegung  des  Eiweissmoleküls  unter  Bil- 
dung übelriechender  Gase  bewirken,  deren  Leistung  aber  sowohl  hin- 
sichtlich der  Qualität  der  Produkte,  wie  nach  der  quantitativen  Seite 
hin  sehr  verschieden  ist.  Bei  vielen  Arten  giebt  allerdings  einstweilen 
nur  die  Entwicklung  chemisch  nicht  näher  definierter  übelriechender 
Gase  das  Kriterium,  auf  welches  hin  wir  eine  Zerlegung  des  Eiweiss- 
moleküls im  Sinne  der  Fäulnis  annehmen,  so  bei  Bac.  saprogenes  I, 
II,  III,  Bac.  coprogen.  foetidus,  Proteus,  Bac.  pyogen,  foetidus,  Mikrok. 
foetidus  und  verschiedenen  Anaeroben.  Bei  anderen  ist  eine  schärfere 
Charakterisierung  der  entstehenden  Produkte  bereits  möglich;  so  ist  z.  B. 
die  Bildung  von  Trimethylamin  durch  Bac.  ureae,  Bac.  prodigiosus,  Bac. 
fiuorescens  putidus  erwiesen;  Bac.  fluorescens  liquefac.  bildet  Pepton 
und  flüchtige  Fettsäuren,  Bac.  butyricus  Hueppe  Pepton,  Leucin, 
Tyrosin,  Ammoniak,  Bac.  putrificus  coli  Bienstock  (Z.  M.  8)  Pepton, 
Ammoniak,   Fettsäuren,   Tyrosin,   Phenol,  Indol,  Skatol.    Nach  Kuhn 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  17 


258  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

(A.  13.  40)  sind  als  hauptsächlichste  Erreger  der  Leichenfäulnis  Pro- 
teus vulgaris  und  Zenkeri  zu  betrachten;  nur  der  erstere  bildet  In- 
dol.  Es  sind  also  zahlreiche  Bakterien  zur  Eiweissspaltung 
befähigt;  die  meisten  lassen  jedoch  grosse  Reste  des  Eiweissmole- 
küls  unzerlegt  und  bewirken  nur  in  einzelnen  Teilen  desselben  tiefere 
Spaltungen;  nur  wenige  bewirken  so  vollständige  und  tiefgehende  Zer- 
legungen, wie  etwa  Bienstock's  Bac.  putrificus  coli,  der  Repräsentanten 
der  verschiedensten  Gruppen  von  Fäulnisprodukten  erzeugt,  und  bei 
diesen  wenigen  muss  es  zweifelhaft  bleiben,  ob  die  ganze  Spaltung 
unter  direkter  Einwirkung  des  Bakterienlebens  erfolgt',  oder  ob  nicht 
nach  einer  oberflächlichen  direkten  Zerlegung  der  weitere  Abbau  der 
Zwischenprodukte  mittelbar  durch  Reduktionen  und  Oxydationen,  her- 
vorgerufen durch  nascierenden  H,  bewirkt  wird.  Jedenfalls  kann  von 
der  Aufstellung  einer  allgemein  giltigen  Umsetzungsgleichung  für  die 
als  Fäulnis  bezeichnete  Zerlegung  der  Eiweisskörper  nicht  die  Rede 
sein,  sondern  es  werden  bestimmte  chemische  Gleichungen  nur  für  jede 
einzelne,  durch  einen  bestimmten  Mikroben  verursachte  Art  der  Zer- 
legung anzunehmen  sein. 

Hiernach  wird  die  spontan  verlaufende  Fäulnis  je  nach  den  zu- 
fällig vorhandenen  Bakterien  und  nach  den  jeweiligen,  der  einen  oder 
anderen  Art  günstigeren  Existenzbedingungen  ausserordentlich  viele 
Verschiedenheiten  zeigen.  Welche  Pilze  namentlich  im  Anfang  zur 
Herrschaft  gelangen,  das  hängt  von  der  chemischen  Zusammensetzung, 
der  Koncentration,  Reaktion  und  Temperatur  des  fäulnisfähigen  Sub- 
strats ab;  im  Laufe  der  Zeit  und  unter  dem  Einfluss  der  allmählich 
fortschreitenden  Fäulnis  ändern  sich  diese  Bedingungen  vollständig;  aus 
neutralen  Körpern  können  Säuren  abgespalten  werden,  durch  Zerfall 
der  N-haltigen  Moleküle  unter  Bildung  von  NH3  kann  andererseits  die 
Alkalescenz  vermehrt  werden;  die  Relation  der  einzelnen  chemischen 
Bestandteile  ändert  sich,  weil  die  eine  Art  stärker  in  die  Zerlegung 
hineingezogen  wird,  als  die  andere.  Dadurch  bieten  sich  immer  wieder 
für  andere  Spaltpilze  günstige  Existenzbedingungen,  und  so  stellt  sich 
die  spontan  verlaufende  Fäulnis  gewöhnlich  als  eine  fast  regellose,  von 
nicht  übersehbaren  Einzelbedingungen  abhängige  Folge  von  Umsetzungen 
dar,  welche  durch  die  verschiedensten  und  in  ganz  verschiedener  Weise 
wirksamen  Spaltpilzarten  hervorgebracht  wird.  Im  Anfang  der  Fäul- 
nis beobachtet  man  gewöhnlich  mehrere  Arten  von  Mikrokokken  so- 
wie grosse  Bacillen,  später  finden  sich  auch  Massen  von  kürzeren  Bak- 
terien ein;  an  der  Oberfläche  des  Fäulnisgemisches  scheinen  Formen 
zu  prävalieren,  wie  sie  früher  unter  dem  Sammelnamen  Bakt.  termo 
beschrieben  wurden  und  unter  denen  nach  Ausweis  der  Plattenkultu- 
ren  der  Bac.  fluorescens  liquefac.  in   grösster  Zahl  vertreten  ist.     Da- 


Gotschlich,  Gährungserregung.  259 

bei  ist  nicht  zu  vergessen,  class  ausserdem  zahlreiche  Spaltpilze  in 
faulenden  Gemischen  sich  ansiedeln,  denen  überhaupt  keine  Gährwir- 
kung  zukommt,  oder  die  doch  einstweilen  noch  kein  für  sie  passendes 
Gährmaterial  vorfinden;  später  freilich,  wenn  erst  intensive  Gährung 
eingeleitet  ist,  pflegen  die  dabei  aktiv  beteiligten  Pilze  die  Entwick- 
lung anderer  Formen  zu  hemmen.  Alle  diese  Massen  von  begleitenden 
Mikroorganismen  müssen  den  Fäulnisprozess  noch  dadurch  komplizie- 
ren, dass  auch  ihre  Stoffwechselprodukte  sich  mit  den  Gährprodukten 
mischen. 

Von  grösstem  Einfrass  auf  den  Verlauf  des  Fäulnisprozesses  ist 
der  Sauerstoff.  Schon  längst  ist  bekannt,  dass  nur  bei  Beschränkung 
des  Luftzutritts  eigentliche  stinkende  Fäulnis  stattfindet.  Bei  reich- 
licher Luftzufuhr  dagegen  fehlen  die  übelriechenden  Gase,  vielmehr 
beobachtet  man  hierbei  eine  rasche  und  sehr  vollständige  Oxydation 
aller  fäulnisfähigen  Stoffe  und  bezeichnet  daher  diese  Art  von  Fäul- 
nis mit  einem  besonderen  Namen  als  „Verwesung".  Pastettb,  hob 
den  Unterschied  der  Fäulnis  mit  Sauerstoffzutritt  und  derjenigen  ohne 
Sauerstoff  zuerst  schärfer  hervor;  nach  seiner  Ansicht  sind  die  eigent- 
lichen Fäulnispilze  Anaeroben  und  bedürfen  zu  ihrer  Entwicklung 
durchaus  der  vorbereitenden  Thätigkeit  aerober  Mikroorganismen,  welche 
bei  Luffcabschluss  nur  den  in  der  Faulflüssigkeit  gelösten  Sauerstoff 
zu  verzehren  brauchen  und  dann  ihre  Thätigkeit  einstellen,  bei  Luft- 
zutritt dagegen  während  der  ganzen  Dauer  des  Fäulnisprozesses  auf 
der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  unter  Häutchenbildung  intensiv  wuchern 
und  so  den  Zutritt  des  Sauerstoffs  zum  Innern  durch  Konsumption 
desselben  hindern;  die  erste  Spaltung  der  Eiweisskörper  wird  dann 
durch  die  in  der  Tiefe  des  Substrats  vegetierenden  Anaeroben  bewirkt, 
während  die  hieraus  hervorgehenden  komplizierten  Zwischenprodukte 
durch  die  Thätigkeit  der  an  der  Oberfläche  wuchernden  Aeroben  rasch 
und  vollständig  bis  zu  den  Endprodukten  zerlegt  werden.  Pasteue. 
suchte  also  den  Unterschied  zwischen  Fäulnis  bei  Sauerstoffzutritt  und 
-Abschluss  entsprechend  seiner  auf  der  Anaerobiose  basierenden  Gähr- 
theorie  zu  erklären.  Doch  ist  durch  neuere  Untersuchungen  zweifel- 
los erwiesen,  dass  einige  Bakterien  sowohl  bei  Fehlen  wie  bei  reich- 
licher Anwesenheit  von  Sauerstoff  imstande  sind,  das  Eiweissmolekül 
unter  Erzeugung  charakteristischer  Fäulnisprodukte  zu  zerlegen.  Ausser- 
dem ergiebt  sich  eine  teilweise  Erklärung  für  den  Einfluss  der  Sauer- 
stoffzufuhr schon  aas  den  rein  chemischen  Vorgängen,  die  sich  bei 
der  Fäulnis  abspielen.  Unter  Abschluss  des  Sauerstoffs  treten  um- 
fangreiche Reduktionen  auf,  teils  direkt  durch  den  Gährvorgang 
selbst,  teils  indirekt  durch  den  hierbei  entstehenden  Wasserstoff.  Über 
den   Chemismus   und   die   Produkte    dieser  Reduktionen   ist   schon  in 


250  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

einem  früheren  Abschnitt  bei  der  Behandlung  der  Stoffwechselpro- 
dukte eingehend  gehandelt,  worauf  hier  verwiesen  sein  mag.  Im  gan- 
zen ist  jedenfalls  die  Veränderung  des  Gährmaterials  und  der  Gähr- 
produkte  hierbei  nur  eine  geringfügige,  und  es  ist  somit  für  den  Ver- 
lauf der  Fäulnis  ohne  Sauerstoff  charakteristisch,  dass  die  eigentlichen 
Gährprodukte  meist  unverändert  zu  Tage  treten,  ohne  dass  eine  um- 
fangreichere Zerstörung  und  Oxydation  derselben  erfolgt;  auch  ist  es 
begreiflich,  dass  unter  diesen  Bedingungen  nur  solche  Spaltpilze  existie- 
ren können,  denen  der  Sauerstoff  völlig  entbehrlich  ist,  so  lange  ihnen 
Gährmaterial  zur  Verfügung  steht. 

Anders  bei  reichlichem  Sauerstoffzutritt.  Hier  spielt  der  nascierende 
Wasserstoff  vermutlich  eine  viel  bedeutsamere  Rolle.  Hoppe-Setler 
hat  es  wahrscheinlich  zu  machen  gesucht,  dass  der  nascierende  H  das 
Sauerstoffmolekül  zerreissen  und  so  den  Sauerstoff  aktivieren  muss; 
der  Vorgang  ist  hierbei  so  vorzustellen,  dass  je  2  Atome  des  nascierenden 
H  immer  ein  Atom  des  Sauerstoffmoleküls  02  an  sich  reissen  und  damit 
Wasser  bilden,  während  nun  das  andere  Atom  Sauerstoff  in  freiem 
Zustand  zu  den  kräftigsten  Oxydationen  befähigt  ist.  Auch  auf  anderem, 
rein  chemischem  Wege  entstandener  H  vermag  diese  Aktivierung  des 
Sauerstoffs  auszuführen,  so  der  aus  Palladiumwasserstoff  durch  Disso- 
ciation  allmählich  austretende  H.  Unter  dieser  Annahme  wird  es  leicht 
verständlich,  weshalb  bei  Luftzutritt  die  Fäulnis  so  völlig  anders  ver- 
läuft, als  bei  Luftabschluss.  Nicht  nur  dass  die  eigentlichen  Reduktions- 
produkte,  wie  H2,  H2S,  überhaupt  nicht  zu  Tage  treten,  sondern  der 
Oxydation  anheimfallen,  auch  eine  Menge  anderer  Substanzen,  die  sonst 
dem  geschlossenen  Sauerstoffmolekül  gegenüber  bei  gewöhnlicher  Tempe- 
ratur völlig  resistent  sind,  werden  von  dem  aktivierten  Sauerstoff  an- 
gegriffen und  in  einfachste  Verbindungen  übergeführt.  Die  Zerstörung 
der  fäulnisfähigen  Stoffe  erfolgt  so  in  gleich  vollständiger  Weise  wie 
bei  der  Zerlegung  im  lebenden  tierischen  Organismus  oder  auch  in 
Spaltpilzen,  die  bei  Sauerstoffzufuhr  in  normaler  Weise  die  gebotenen 
Nährstoffe  oxydieren.  Ausserdem  werden  nicht  selten  auch  an  der 
Oberfläche  der  Faulflüssigkeit  angesiedelte  Mikroorganismen  sich  von 
den  Gährprodukten  ernähren  und  diese  zu  einfachsten  Verbindungen 
verbrennen.  —  In  unserer  natürlichen  Umgebung  sind  beide  Vorgänge 
—  Fäulnis  und  Verwesung  —  reichlich  vertreten.  Häufig  findet  man 
beide  Prozesse  neben  einander  auf  demselben  toten  organischen  Substrat; 
so  kann  an  der  Oberfläche  einer  Faulflüssigkeit  vollständige  Verwesung 
erfolgen,  während  in  der  Tiefe  unter  anaeroben  Bedingungen  Fäulnis- 
prozesse vor  sich  gehen;  ferner  findet  man  Überwiegen  der  Oxydations- 
prozesse an  der  Bodenoberfläche,  während  in  tieferen  Schichten  haupt- 
sächlich Reduktionsprozesse  sich  abspielen.    Auch  die  Zersetzungen  im 


Gotschlich,  Gährungserregung.  261 

Stallmist,  sowie  im  gedüngten  Acker  sind  nach  Wollny  (C.  1.  441)  und 
Severin  (C.  C.  1)  teils  als  Reduktions-,  teils  als  Oxydationsprozesse 
aufzufassen.  Reine  Fäulnis  kommt  leicht  überall  da  zustande,  wo  für 
vollständige  Fernhaltung  des  Sauerstoffs  gesorgt  ist,  sei  es  in  der  Tiefe 
der  faulenden  Substrate,  sei  es  nach  vorgängiger  Konsumption  des  vor- 
handenen Sauerstoffs  durch  aerobe  Arten.  Vollständige  Verwesung 
dagegen  ohne  jede  Entwicklung  von  übelriechenden  Gasen  und  kom- 
plizierten Reduktionsprodukten  kommt  viel  seltener  vor,  weil  hierzu 
eine  äusserst  innige,  beständige  Berührung  des  Fäulnismaterials  mit 
Luft  vorausgesetzt  wird;  am  günstigsten  scheinen  die  Bedingungen 
hierfür  in  leicht  durchgängigem  und  zeitweise  durchfeuchtetem  Boden 
zu  liegen;  dort  geht  geradezu  eine  Mineralisierung  organischer  Sub- 
stanzen in  so  vollkommener  Weise  vor  sich,  dass  bald  weder  kompli- 
ziertere C-Verbindungen,  noch  H2S,  noch  NH3  vorhanden  sind,  sondern 
nur  noch  C02,  Sulfate  und  Nitrate.  (Vgl.  den  vorangegangenen  Ab- 
schnitt Nitrifikation.)  —  Endlich  beobachtet  man  noch  häufig,  be- 
sonders bei  der  Zersetzung  pflanzlicher,  N-armer,  cellulosehaltiger  Sub- 
stanzen im  Boden  einen  nicht  näher  charakterisierten  Prozess,  bei  dem 
es  zur  Bildung  von  Huminsubstanzen  und  CH4  kommt;  dieser  Prozess, 
der  sowohl  in  Bezug  auf  seine  Erreger  als  auf  seinen  Chemismus  noch 
ganz  unklar  ist,  wird  als  „Vermoderung"  bezeichnet. 

Von  besonderem  Interesse,  zumal  in  praktischer  Hinsicht,  sind  die 
unter  gewissen  Bedingungen  bei  der  Fäulnis,  z.  B.  im  gedüngten  Boden 
und  bei  verwandten  Prozessen,  auftretenden  Stickstoffverluste,  wo- 
bei elementarer  N2  entweicht  und  für  die  Ausnutzung  für  landwirt- 
schaftliche Zwecke  verloren  geht.  Der  Prozess  ist  als  eine  Reduktion 
der  Nitrate  anzusehen  und  geht  nur  bei  völligem  Luftabschluss 
vor  sich.  In  faulendem  Material,  das  weder  Nitrate  noch  Nitrite  ent- 
hält, findet  daher  nach  den  übereinstimmenden  Angaben  zahlreicher 
Beobachter,  wie  König  (Der  Kreislauf  des  Stickstoffs.  1878.  19),  Morgen 
(L.  V.  30.  213),  Lowes,  Gilbert  u.  Pugh  (Ph.  Tr.  1861.  II.  497), 
Rüge  (Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  math.  Kl.  43.  758),  Tacke  (Landw. 
Jahrb.  1887.  917),  Ehrenberg  (Z.  physiol.  Ch.  11.  145),  Kellner  u. 
Yoshii  (ebd.  12.  95),  Burri,  Hereeldt  u.  Stutzer  (Journ.  f.  Landw. 
1894.  329),  kein  Stickstoffverlust  statt.  Bei  Gegenwart  von  Nitraten 
oder  Nitriten  hingegen  kann  elementarer  N2  abgespalten  werden,  wie 
durch  Gayon  u.  Dupetit  (C.  R.  95.  644  u.  1365),  Deherain  u.  Maquenne 
(ebd.  691,  732,  854),  Heraus  (Z.  1. 193),  Tacke  (a.  a.  0.),  Ehrenberg  (a.  a. 
0.),  Springer  (B.  Ch.  16.  1278),  Leone  (r:  K.  90.  111),  Dietzell  (r: 
Z.  physiol.  Ch.  11.  153),  Breal  (C.  R.  114.  681),  Giltat  u.  Aberson 
(r:  K.  92.  226),  Burri  u.  Stutzer  (C.  C.  1.  353)  festgestellt  ist. 
Der  Stickstoffverlust   in    dem    faulenden  Material  betrug  in  manchen 


262  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Versuchen  nur  einige  Prozent,  in  anderen  Fällen  aber,  wie  bei  Bueei 
u.  Stutzek,  etwa  80  % ;  Giltay  u.  Abeeson  geben  sogar  an,  dass  fast 
der  ganze  Nitratstickstoff  in  freien  Stickstoff  umgewandelt  worden  sei. 
Bedingung  für  das  Zustandekommen  der  Nitratreduktion  ist  ausser  dem 
Luftabschluss  noch  starker  Wassergehalt  der  Substrate;  ferner  scheint, 
wenigstens  für  manche  Arten,  der  Gehalt  des  Fäulnisgemisches  an  be- 
stimmten organischen  Nährstoffen  notwendig  zu  sein.  Die  älteren  Ver- 
suche sind  meist  nicht  mit  Reinkulturen,  sondern  mit  Fäulnisgemischen 
angestellt,  oder  die  Beschreibung  der  verwendeten  Arten  ist  nur  eine 
unvollständige,  so  dass  ein  Wiedererkennen  derselben  unmöglich  wäre. 
Neuerdings  haben  aber  Bueei  u.  Stützee  mehrere  Arten  nitrat- 
zerlegender Bakterien  sehr  eingehend  beschrieben,  die  sie  aus  Pferde- 
fäces  und  Stroh  isolierten.  Besonders  bemerkenswert  sind  zwei  dieser 
Arten,  deren  eine  fakultativ  anaerob,  deren  andere  obligat  aerob  ist, 
und  die  nur  in  Symbiose  mit  einander  zur  Nitratzerlegung  befähigt 
sind,  während  jede  einzelne  Art  diesen  Prozess  nicht  auszulösen  vermag. 
Doch  kann  die  fakultativ  anaerobe  Art  in  ihrer  Funktion  sehr  wohl 
durch  Bact.  coli  comm.  und  durch  den  Typhusbacillus  vertreten  werden, 
während  dies  bei  der  anderen  Art  nicht  angeht.  Ein  dritter  denitri- 
fizierender  Bacillus  übte  für  sich  allein  seine  Wirkung  aus,  ja  sogar 
in  einer  Lösung,  die  das  Nitrat  als  einzige  N-Quelle  enthielt.  Bei  der 
Reduktion  des  Salpeters  werden  bedeutende  Mengen  von  Alkali  frei, 
die  schliesslich  hemmend  auf  den  Fortgang  der  Gährung  einwirken. 

II.    Komplizierte,  ihrem   chemischen  Verlauf  nach  noch  un- 
bekannte  Gährungen,   die  in  den  Gährungsgewerben  Anwen- 
dung finden. 

1.  Kefir  gährung.  Kefir  und  Kumys  sind  alkoholische  Getränke,  die  seit 
Alters  von  kaukasischen  Völkern  durch  die  Vergährung  der  Milch  gewonnen 
werden.  Hierbei  findet  ein  Zusammenwirken  von  Milchsäurebakterien  und  Hefe 
statt;  erstere  bewirken  die  Umwandlung  des  Milchzuckers  in  gährfähigen  Trauben- 
zucker, der  dann  durch  die  Hefe  zu  Alkohol  vergohren  wird;  ausserdem  bilden 
die  Milchsäurebakterien  natürlich  noch  Milchsäure.  Das  Ferment  der  Kefirgährung, 
welches  diese  Erreger  enthält,  kann  in  Gestalt  der  sog.  „Kefirkörner"  lange 
Zeit  trocken  aufbewahrt  und  versandt  werden.  Die  in  den  Kefirkörnern  ent- 
haltenen Mikroorganismen  sind  zuerst  von  Krannhals  (A.  M.  35)  und  Kern 
(Biol.  Centralbl.  2.  137)  genau  beschrieben  worden,  (vgl.  Bd.  II).  Im  Kumys 
fanden  Nencki  u.  Fabian  (r:  C.  IL  523)  zwei  ähnliche  Mikroben.  Beijerinck 
(r:  K.  92.  182)  fand,  dass  die  Hefe  der  Kefirkörner  ein  Milchzucker  spalten- 
des Ferment,  eine  Laktase  besitzt  und  so  zur  Vergährung  desselben  befähigt  ist; 
durch  die  von  den  Milchsäurebakterien  ausgeschiedene  Säure  wird  die  Entwicklung 
der  Hefe  begünstigt. 

Die  im  Kaukasus  übliche  Methode  der  Kefirbereitung  ist  sehr  einfach;  frische 
Kuh-  oder  Ziegenmilch  wird  in  einen  Schlauch  gefüllt,  mit  einigen  frischen  Kefir- 


Gotsohlich,  Gährungserregung.  263 

hörnern  versetzt,  der  Schlauch  geschlossen,  bei  mittlerer  Temperatur  verwahrt 
und  häufig  durchgeschüttelt;  nach  1 — 2  Tagen  ist  das  Getränk  fertig  und  wird 
abgefüllt;  der  im  Schlauch  verbleibende  Rückstand  von  Kefirkörnern  kann  sogleich 
zu  einer  neuen  Gährung  verwendet  werden.  —  Zur  Bereitung  ausserhalb  des 
einheimischen  Gebietes  sind  2  Methoden  anwendbar.  Nach  der  ersten  lässt  man 
die  trockenen  bräunlichen  Kefirkörner  des  Handels  5—6  Stunden  in  lauem  Wasser 
liegen,  bis  sie  quellen;  dann  spült  man  sie  sorgfältig  ab  und  bringt  sie  in  frische 
Milch,  die  täglich  1 — 2  mal  zu  erneuern  ist,  bis  die  Körner  rein  weiss  werden 
und  in  frischer  Milch  rasch  (nach  20 — 30  Min.)  an  die  Oberfläche  steigen.  Auf 
einen  vollen  Esslöffel  der  so  vorbereiteten  Körner  giesst  man  dann  in  einer  Flasche 
etwa  1  Liter  Milch,  lässt  5 — 8  St.  offen  stehen,  verschliesst  dann  die  Flasche  fest 
und  hält  dieselbe  bei  ca.  18°,  indem  man  sie  etwa  alle  2  Stunden  schüttelt.  Nach 
8 — 24  Stunden  giesst  man  die  Flüssigkeit  durch  ein  feines  Sieb  in  eine  andere 
Flasche,  die  höchstens  zu  4/5  gefüllt  werden  darf,  und  lässt  wieder  verschlossen 
nnd  unter  Umschütteln  stehen.  Nach  24  Stunden  erhält  man  dann  den  sog.  ein- 
tägigen Kefir,  der  noch  wenig  C02  und  Alkohol  enthält;  gewöhnlich  trinkt  man 
erst  den  2tägigen,  der  nach  längerem  ruhigen  Stehen  2  Schichten,  eine  untere  molken- 
artige, durchscheinende  und  eine  obere,  aus  feinsten  Kasei'nflöckchen  bestehende 
unterscheiden  lässt  und  nach  dem  Durchschütteln  rahmähnliche  Konsistenz  zeigt. 
3tägiger  Kefir  ist  wieder  dünnflüssiger  und  sehr  saner.  —  Der  beim  Absieben  er- 
haltene Rückstand  kann  nach  gründlichen  Abspülen  mit  Wasser  sogleich  zu  einer 
neuen  Gährung  verwandt  werden.  Die  im  Gebrauch  befindlichen  Körner  sind 
stets  von  Zeit  zu  Zeit  gründlich  zu  reinigen  und  immer  wieder  bis  zu  Erbsen- 
grösse  zu  zerkleinern.  Im  lufttrockenen  Zustand  bewahren  die  Körner  ihre  Keim- 
fähigkeit jahrelang.  —  Eine  zweite  einfachere  Methode  ist  da  anwendbar,  wo 
man  einen  guten  2 — 3tägigen  Kefir  fertig  bekommen  kann.  Man  fügt  dann  von 
diesem  1  Teil  zu  3  —4  Teilen  frischer  Kuhmilch,  füllt  auf  Flaschen  und  lässt  etwa 
48  Stunden  unter  zeitweisem  Umschütteln  stehen.  Von  dem  fertigen  Getränk 
lässt  man  etwa  1/5 — i/3  in  der  Flasche  zurück,  als  Ferment  für  die  neu  anzusetzende 
Gährung.  —  Schuppan  (C.  13.  527)  empfiehlt,  Kefir  aus  sterilisierter  Milch 
mittelst  aus  Kefirkörnern  gewonnenen  Reinkulturen  zu  bereiten. 

Die  chemische  Untersuchung  ergiebt  als  wesentlichste  Gährprodukte  Äthyl- 
alkohol, Milchsäure  und  C02;  daneben  treten  kleine  Mengen  von  Glycerin,  Bern- 
stein-, Essig-  und  Buttersäure  auf.  Der  Gehalt  an  Milchsäure  beträgt  in  fertigem 
Kefir  gewöhnlich  1,5%,  der  Alkoholgehalt  1°  Tr.;  beide  entstehen  nachweislich 
nur  aus  dem  Milchzucker;  in  den  ersten  24  Stunden  überwiegt  die  Milchsäure- 
bildung, in  den  folgenden  Tagen  dagegen  die  Alkoholproduktion.  Dnrch  höhere 
Temperatur  (25—30°)  wird  die  Milchsäuregährung  zu  stark  gegenüber  der  Alkohol- 
gährung  begünstigt;  bei  etwa  18°  laufen  beide  gleichmässig  neben  einander  her. 
Der  Eiweissgehalt  der  Milch  scheint  durch  die  Kefirgährung  nicht  verändert  zu 
werden;  Peptone  sind  nicht  nachweisbar,  doch  erfährt  das  Kasein  eine  Verände- 
rung in  der  Weise,  dass  es  äusserst  feinflockig  verteilt  wird,  so  dass  die  Flüssig- 
keit eine  fast  rahmartige  Konsistenz  erhält.  Auf  dieser  Veränderung  beruht  ver- 
mutlich der  hohe  diätetische  Wert  des  Präparats  (in  Deutschland  zuerst  in  der 
Kuranstalt  des  Hofrats  Dr.  Stern  in  Kissingen  eingeführt). 

2.  Käsereifung  und  abnorme  Käsegährungen.  Der  normale  Käse- 
rei fungsprozess,  bei  welchem  zuerst  eine  Peptonisierung  der  Eiweisskörper,  in 
späteren  Phasen  eine  tiefergehende  Zersetzung  mit  Freiwerden  von  Ammoniak, 
Leucin  und  Tyrosin  (Macigiora,    A.  14.    217)    stattfindet,    erfolgt   nur   unter 


264  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

der  Einwirkung  bestimmter  Mikroorganismen.  Bei  Ausschluss  der 
letzteren,  z.  B.  durch  Verwendung  von  gekochter  oder  pasteurisierter  Milch  und 
sterilisiertem  Lab  (Schaffer  u.  Bondzynski,  r:  Koch's  J.  1S90.  92;  Freudenreich, 
r:  ebd.  1891.  135)  oder  durch  Zusatz  von  Antisepticis ,  wie  Thymol  oder  Kreolin 
(Adametz,  Landw.  Jahrb.  18.  228)  kommt  keine  Käsereifung  zustande.  DieMikroben, 
welchen  diesen  Prozess  verursachen,  müssen  offenbar  in  der  Milch  selbst  enthalten 
sein ;  doch  ist  die  Frage,  welche  Arten  als  Erreger  der  Käsereifung  anzusprechen 
sind,  noch  nicht  endgiltig  entschieden.  Nachdem  schon  F.  Cohn  (B.  B.  H.  3. 
191)  eine  ursächliche  Beteiligung  des  Bac.  subtilis  an  diesem  Prozesse  für  wahr- 
scheinlich erklärt  hatte,  wies  Benecke  (C.  I.  521)  denselben  im  Käse  nach, 
und  glaubten  insbesondere  Duclaux  (Le  lait.  1887),  sowie  Marchal  (C.  C.  1. 
506)  und  W.  Winckler  (ebd.  609)  den  nahe  verwandten  Tyrothrixarten 
die  Hauptrolle  bei  der  Käsereifung  vindizieren  zu  müssen,  v.  Freudenreich 
(ebd.  349)  hat  es  dagegen  mindestens  für  den  Emmenthaler  Käse  sehr  wahrschein- 
lich gemacht,  dass  hier  die  Milchsäurebakterien  als  wesentliche  Erreger  anzusehen 
sind,  und  die  Tyrothrixarten  eine  nur  ganz  sekundäre  Bedeutung  haben,  da  die 
letzteren  gewöhnlich  nur  in  geringer  Zahl  im  Käse  vorhanden  sind,  in  ihm  keine 
Vermehrung  zeigen,  sondern  sogar  rasch  absterben  und  bei  Verimpfung  auf  einen 
Käse  dessen  Reifung  nicht  beschleunigen.  In  Weichkäsen  scheinen  Oi'dium  lactis 
und  verwandte  Formen  bei  der  Reifung  wesentlich  beteiligt  zu  sein  (Marchal  1.  c). 
—  Die  Lochbildung  im  Käse  wird  durch  eine  grosse  Anzahl  von  gasentwickeln- 
den Mikroorganismen  bewirkt,  unter  denen  sich  hauptsächlich  Bacillen,  aber  auch 
Kokken  und  Hefen  befinden ;  der  von  Batjmann  (L.  V.  42.  181)  besonders  benannte 
„Bac.  diatrypeticus  casei"  ist  also  nur  als  ein  Repräsentant  einer  grossen  Gruppe 
anzusehen.  Viele  von  diesen  gasentwickelnden  Mikroben,  die  sich  z.  B.  bei 
Adametz  (r:  bei  Bocicchto,  C.  15.  548)  übersichtlich  zusammengestellt  finden, 
können  unter  Umständen  abnorm  stark  geblähte  oder  „nisserige",  d.  h.  mit  zahl- 
losen kleinen  Löchern  durchsetzte  Käse  erzeugen  und  so  arge  Betriebsstörungen 
hervorrufen;  daneben  verleihen  solche  abnorme  Gährungserreger  häufig  noch 
einen  schlechten  Geschmack.  Die  Käseblähung  kann  nach  Freudenreich  (r: 
K.  93.  206)  durch  Zusatz  von  etwa  2,5%  Kochsalz  verhindert  werden,  ohne  dass 
dadurch  der  normale  Reifungspro zess  beeinträchtigt  wird.  Auch  durch  Anwendung 
höherer  Temperaturen  (bis  60°)  beim  „Nachwärmen"  des  Käses  lassen  sich  nach 
Schaffer  und  v.  Freudenreich  (r:  C.  C.  1.  760  und  763)  übermässige  Zer- 
setzungen hintanhalten,  weil  hierbei  die  Erreger  teilweise  abgetötet  werden.  —  An- 
hangsweise sei  endlich  noch  den  Störungen  in  der  Käsefabrikation  durch  chro- 
mogene  Bakterien  gedacht,  wie  solche  z.  B.  von  de  Vries,  Beijerinck 
(r:  K.  1891.  82),  Adametz  (r:  ebd.  91.  196;  92.  184)  u.  A.  beschrieben  sind. 

3.  Brotgährung.  Während  bei  der  Weissbrotbereitung  wahrscheinlich  nur 
eine  mechanische  Auflockerung  des  Teiges  durch  die  bei  der  alkoholischen  Gähr- 
thätigkeit  einer  Hefe  entstehende  C02  zustande  kommt  (Lehmann,  C.  15.  350), 
haben  wir  es  bei  der  durch  Sauerteig  vermittelten  Brotgährung  mit  einem  viel 
komplizierteren  Prozesse  zu  thun.  Im  Sauerteig  sind  stets  neben  Hefen  noch 
Spaltpilze  in  überwiegender  Mehrzahl  vorzufinden.  Einige  Autoren,  wie  Chic  andard 
(C.  R.  Bd.  96  u.  97) ,  Marcano  (ebd.),  Laurent  (C.  I.  504) ,  Popoff  (P.  90.  679), 
glaubten  daher  verschiedenen  Bakterienarten  die  Hauptrolle  bei  der  Brotgährung 
zuschreiben  zu  müssen.  In  der  That  gelang  es  Popoff  sowie  Wolffin,  der  bei 
Lehmann  (1.  c.)  arbeitete,  durch  Verimpfung  von  Reinkulturen  von  gährungs- 
erregenden  Bakterien  aus  Sauerteig    auf  steriles  Material  typische  Brotgährung 


Gotschlich,  Gährungserregung.  265 

wie  durch  Sauerteig  zu  bewirken;  als  Gährprodukte  fand  Wolffin  bei  seinem 
wahrscheinlich  zur  Coli-Gruppe  gehörigen  Bakterium  H2,  C02,  Essigsäure,  Milch- 
säure und  Buttersäure.  In  der  Regel  scheint  aber  nach  Boutroux  (CR.  97;  113. 
203),  Arcangeli  (r:  C.  3.  717),  Peters  (B.  Z.  47.  405)  eine  kombinierte  Gähr- 
wirkung  von  Hefen  (von  denen  häufig  eine  dem  S.  minor.  Engel  sehr  ähnliche 
Form  gefunden  wurde)  und  Bakterien  stattzufinden,  wobei  durch  die  Hefe  eine 
alkoholische  Gährung  bewirkt  wird,  während  die  Bakterien  diastatische  Wirkung 
ausüben  und  Lösungsvorgänge  und  Säuregährungen  von  keineswegs  nebensäch- 
licher Bedeutung  einleiten.  In  welcher  Weise  in  den  einzelnen  Fällen  das  Zu- 
sammenwirken von  Hefe  und  Bakterien  zustande  kommt,  ist  noch  unbekannt. 
Auch  über  die  Abhängigkeit  des  Gährungsverlaufes  von  den  Versuchsbedingungen 
ist  noch  wenig  ermittelt;  nach  Lehmann  (A.  19.  H.  4)  gähren  Schrotmehl- 
teige viel  rascher  und  intensiver  als  Feinmehl teige;  aus  jedem  Teige  lassen  sich 
aber  durch  Anwendung  reiner  Hefen  annährend  säurefreie  Gebäcke  herstellen. 
Die  Triebkraft  einer  Hefe  im  Teig  lässt  sich  nicht  nach  ihrer 
Gährungsenergie  (gemessen  durch  die  C02-Menge)  bestimmen  (Elion,  C.  14.  53); 
Hefen  von  ausgezeichneter  Triebkraft  entwickeln  manchmal  erheblich  weniger  C02, 
als  Hefen  von  geringerer  Triebkraft.  Das  Aufgehen  des  Teiges  wird  also  wohl 
nicht  allein  durch  die  Menge  der  entwickelten  C02 ,  sondern  noch  durch  ander- 
weitige Veränderungen  des  Teiges,  vielleicht  durch  ein  von  der  Hefe  ausgeschiedenes 
Ferment  bewirkt.  —  Von  Anomalien  des  Brotes  sahen  Uffelmann  (C.  8), 
sowie  Kratschmer  u.  Niemxlowicz  (cit.  bei  Uffelmann)  Klebrig-  und  Schleimig- 
werden des  Brotes  durch  Bac.  liodermos  und  Bac.  mesenter.  vulgat.  zustande 
kommen. 

4.  Gährungen  im  Gerbereibetriebe.  Die  während  des  Gerbeprozesses 
eintretende  Säuerung  der  aus  Rinden  hergestellten  Gerbebrühen  ist  nach 
Hänlein  (r:  K.  93.  225;  C.  C.  1.  30)  wahrscheinlich  auf  Bakterienwirkung  zurück- 
zuführen; vielleicht  spielt  dabei  der  von  Hänlein  regelmässig  auf  Fichtenrinde 
gefundene  Bac.  corticalis  eine  Rolle,  der  die  kohlehydratartigen  Bestandteile  der 
Rinde  unter  Säureentwicklung  vergährt. 

Genauer  gekannt  ist  nach  den  Untersuchungen  von  Wood  u.  Willcox 
(r:  K.  93.  256)  die  Gährung  der  in  der  Lederfabrikation  behufs  Schwellung 
der  Häute  angewandten  Weizenkleie nbeize.  Als  Gährprodukte  finden 
sich  C02  und  H2,  die  vielleicht  erst  sekundär  aus  Ameisensäure  hervorgehen, 
ferner  N,  H2S,  Butter-,  Essig-  und  Milchsäure.  Als  Gährmaterial  dient  nicht  die 
Cellulose  der  Kleie,  sondern  die  vorher  durch  ein  Enzym  verzuckerte  Stärke. 
Als  Erreger  soll  ein  „B.  furfuris"  fungieren.  Durch  Antiseptica  wird  die  Gährung 
sistiert. 

5.  Tabaksgährung.  Nach  Erreichung  der  Dachreife  werden  die  Tabaks- 
blätter in  grossen  Haufen  fest  zusammengepackt  und  gehen  eine  unter  starker 
Erwärmung  verlaufende  Gährung  ein.  Die  Produkte  derselben  sind  von  Behrens 
(L.  V.  43.  293)  eingehend  untersucht;  in  reichlicher  Menge  entsteht  C02,  daneben 
wahrscheinlich  Buttersäure  und  Bernsteinsäure;  die  Vergährung  geht  auf  Kosten 
der  Kohlehydrate,  des  Nikotins  und  der  organischen,  nicht  flüchtigen  Säuren  vor 
sich;  das  Verhältnis  der  Eiweisskörper  zu  den  übrigen  N-haltigen  Verbindungen 
ändert  sich  dagegen  bei  der  Fermentation  nicht.  Ausserdem  entstehen  bei  der 
Tabaksgährung  die  spezifischen  Aromastoffe,  welche  die  Qualität  verschiedener 
fertiger  Tabakssorten  bedingen.  Verschiedene  bei  der  Tabaksgährung  beteiligte 
Bakterien  üben  in  dieser  Beziehung  eine  verschiedene  Wirkung  aus.     Suchsland 


266  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

(B.  G.  9-  79)  hat  daher,  und  zwar  mit  günstigem  Erfolge,  versucht,  in- 
ländische, bei  der  gewöhnlichen  Verarbeitung  minderwertig  ausfallende 
Tabakssorten  durch  künstliche  Vergährung  mit  Reinkulturen,  die 
aus  feinen  ausländischen  Tabaken  gewonnen  waren,  zu  veredeln,  ein 
Verfahren,  welches  nach  Hanatjsek  (r:  K.  92.  242)  bereits  in  Cuba  in  primi- 
tiverer Gestalt  zur  Verbesserung  des  Aromas  Anwendung  findet. 

6.  Bei  der  Opiumgährung,  der  das  zum  Rauchen  dienende  Opium  10 — 12 
Monate  vor  dem  Konsum  unterworfen  sein  muss,  ist  nach  Calmette  (r:  K. 
K.  92.  242)  hauptsächlich  der  Aspergillus  niger  beteiligt,  der  Zucker  und 
Dextrin  des  Gährmaterials  zu  Oxalsäure  vergährt,  die  Alkaloide  aber  nicht  anzu- 
greifen scheint.  Durch  Zusatz  von  Reinkulturen  konnte  der  Prozess  beschleunigt 
werden. 

7.  Bei  der  Indigofabrikation  fand  Alvarez  (C.  R.  105.  286)  einen  dem 
Bac.  Friedländer  und  Rhinosklerombacillus  sehr  ähnlichen  „Bac.  indogen.",  der 
ebenso  wie  jene  die  Produktion  des  Farbstoffs  aus  den  Indigopflanzen  besorgt. 
Sterilisierte  Indigopflanzen  bilden  selbst  nach  monatelangem  Lagern  keinen  Farbstoff. 

D.  Allgemeine  Eigenschaften  und  Theorie  der  Gährungsprozesse. 

So  verschieden  auch  im  einzelnen  der  chemische  Vorgang  bei 
den  Gährungen  ist,  so  lassen  sich  doch  einige  allgemeine  Gesichtspunkte 
aufstellen,  die  bei  allen  echten  Gährungen  zur  Geltung  kommen.  Wäh- 
rend bei  den  Wirkungen  isolierbarer  Enzyme  nur  eine  geringe  chemische 
Arbeit  geleistet  wird,  gehen  bei  der  Gährung  weitgehende  Unilagerungen 
der  Atome  vor  sich  und  werden  stets  neue  Bindungen  zwischen 
Sauerstoff  einerseits  und  am  häufigsten  Kohlenstoff,  seltener 
anderen  Elementen  andererseits  geschaffen.  Bei  den  Oxydationsgäh- 
rungen,  bei  denen,  wie  schon  der  Name  andeutet,  stets  eine  solche 
neue  Bindung  geschaffen  wird,  ist  die  hierbei  geleistete  chemische  Ar- 
beit am  grössten,  indem  erstens  eine  Verbindung  äusseren  freien  Sauer- 
stoffs mit  dem  Gährmaterial,  also  eine  echte  Synthese,  vollzogen  wird, 
und  indem  zweitens  die  Oxydation  nicht  allein,  wie  z.  B.  in  der  Essig- 
säuregährung,  am  C-Atom,  das  die  grösste  Affinität  zum  Sauerstoff  be- 
sitzt, sondern  auch  an  anderen  Elementen,  z.  B.  bei  der  Nitrifikation 
am  N,  beim  Lebensprozess  der  Schwefel-  und  Eisenbakterien  (sofern 
dieser  überhaupt  als  Gährungsprozess  anerkannt  wird)  am  S  bezw.  Fe 
zustande  kommt.  Freilich  sind  diese  Oxydationsgährungen  mit 
ihrer  gewaltigen  chemischen  Leistung  ja  auch  die  einzige  Energie- 
quelle für  ihre  Erreger,  die  ausserhalb  ihres  Gährsubstrats  über- 
haupt nicht  zu  vegetieren  vermögen. 

Bei  den  Spaltungsgährungen  wird  kein  ausserhalb  des  zu  vergäh- 
renden  Moleküls  stehendes  Atom  in  den  Chemismus  einbezogen  und 
beschränkt  sich  die  chemische  Arbeit  nur  auf  Umlagerung  der  schon 
zu  einem  Molekül  vereinigt  gewesenen  Atome;    immerhin   treten  auch 


Gotschlich,  Gährungserregung.  9ß7 

hier  sehr  erhebliche  Mengen  chemischer  Energie  in  Aktion.  Stets 
werden  nene  Bindungen  zwischen  C  und  0  geschaffen,  was 
sich  in  der  Bildung  von  C02  kundgiebt.  Auf  Kosten  der  neu  zustande 
kommenden  Bindungen  des  Sauerstoffs  werden  andere  Bindungen 
zwischen  0  und  H,  C  und  H,  C  und  C  gelöst  (vgl.  Hoppe-Seylee, 
Physiol.   Ch.   S.   124  und  Pf.    12.   1).      So    wird  bei    der    Vergährung 

der  Ameisensäure  H-C<qtt  die  Bindung  des  0-  und  H- Atoms  in  der 

OH-Gruppe  und  die  zwischen  H  und  C  gelöst;  die  frei  gewordenen 
Haftstellen  des  0-  und  des  C- Atoms  lagern  sich  aneinander,  die  ge- 
lösten H- Atome  verbinden  sich  miteinander;  so  entstehen  C02  und  H2. 
Bei  dieser  ganzen  Bewegung  findet  Sättigung  stärkerer  Affinitäten  statt 
und  wird  Energie  frei.  Die  Wanderung  des  0- Atoms  findet  jedoch 
nur  dann  statt,  wenn  das  Molekül  nicht  zu  gross  ist  im  Verhältnis  der 
verschiebbaren  O-Atome,  weil  sonst  die  durch  die  Sättigung  der  Affi- 
nitäten zwischen  C  und  0  disponible  Energie  zur  Sprengung  des  ganzen 
Molekularkomplexes  nicht  ausreicht.  Sind  also,  wie  in  vielen  Benzol- 
derivaten, in  den  höheren  Fettsäuren,  zahlreiche  C-Atome  miteinander 
verknüpft,  während  nur  eine  OH-Gruppe  vorhanden  ist,  die  in  Carboxyl 
übergehen  kann,  so  findet  überhaupt  keine  solche  Wanderung  im  Mole- 
kül statt;  sie  wird  dagegen  wieder  möglich,  wenn  mehrere  O-Atome 
neue  C-Bindungen  eigehen  können,  so  bei  der  Vergährung  der  Hexosen, 
wo  innerhalb  der  6  C-Atome  3  Carboxylbindungen  stattfinden  und  zum 
Zerfall  des  relativ  grossen  Moleküls  führen.  Bei  der  Essigsäure  und 
noch  mehr  bei  der  Propionsäure  tritt  dagegen  die  Vergährung  schwie- 
riger ein;  denn  hier  ist,  wie  bei  der  Ameisensäure,  nur  ein-  O-Atom 
zur  Carboxylbildung  befähigt,  aber  das  Molekül  schon  erheblich  grösser; 
bei  den  korrespondierenden  Oxysäuren,  z.  B.  der  Milchsäure,  hinwiederum 
kommt  durch  das  Hinzutreten  des  neuen  in  der  OH-Gruppe  enthaltenen 
verschiebbaren  O-Atoms  die  Vergährung  leichter  zustande.  Sonach 
werden  überhaupt  nicht  gährfähig  (durch  Spaltung)  sein:  Kohlenwasser- 
stoffe, Amine,  die  überhaupt  keinen  0  enthalten;  ferner  die  grossen  und 
O-armen  Fettsäuren  und  Benzolderivate  (letztere  natürlich  nur  in  Be- 
zug auf  den  Benzolkern,  während  in  den  Seitenketten  eine  O-Wande- 
rung  stattfinden  kann).  Gährfähig  dagegen  müssen  unter  anderen 
sein  die  mehrwertigen  Alkohole,  die  niederen  einbasischen  Fettsäuren, 
die  Oxysäuren  und  mehrbasischen  Fettsäuren,  die  Kohlehydrate  und 
die  Eiweissstoffe;  mit  diesen  Forderungen  der  Theorie  stimmt  die  Er- 
fahrung in  der  That  üb  er  ein. 

Ohne  ausgiebige  Verschiebung  der  Atome  ist  also  keine  Gährung 
denkbar,  und  gerade  hierin  liegt  der  Hauptunterschied  im  Chemismus 
gegenüber  den  Enzymwirkungen,  bei  denen  nur  hydrolytische  Spaltung 


268  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

zustande  kommt,  die  Anzahl  der  C-O-Bindungen  dagegen  nicht  ver- 
mehrt wird.  Wegen  dieses  verschiedenen  Verhaltens  von  Gährung  und 
Enzymwirkung  ist  auch  die  Vorstellung  unannehmbar,  dass  die  Gähr- 
wirkung  im  Innern  des  lebenden  Zellleibes  durch  einen  besonderen,  von 
der  Zelle  produzierten  fermentartigen  Stoff,  —  der  sich  nur  wegen  seiner 
grossen  Labilität  nicht  isolieren  lässt,  —  also  doch  nach  Analogie  einer 
Enzymwirkung  zustande  komme;  als  der  Träger  der  Gährwirkung 
ist  vielmehr  das  lebende  Plasma  selbst  aufzufassen.  Hiermit  ver- 
trägt sich  sehr  wohl  die  von  E.  Fischee  festgestellte  Thatsache,  dass 
die  lebenden  Gährungserreger  ebenso  wie  die  Enzyme  ein 
elektives  Vermögen  in  Bezug  auf  das  Gährmaterial  äussern;  die 
asymmetrisch  strukturierten  Stoffe,  die  hiernach  in  beiden  anzunehmen 
sind  und  die  nur  bei  ähnlicher  Konfiguration  von  Erreger  und  Sub- 
strat diejenige  örtliche  Annäherung  der  wirkenden  Moleküle  zustande 
kommen  lassen,  die  zur  Erzeugung  der  Enzym-  bezw.  Gährwirkung 
erforderlich  ist,  sind  eben  bei  den  Enzymen  unorganisierte,  isolierbare 
Substanzen,  bei  den  Gährungserregern  aber  die  lebende  Substanz 
selbst.  Dasselbe,  in  gleicher  Weise  auf  asymmetrische  Konfiguration  zu- 
rückzuführende Wahlvermögen  tritt  uns  ja  auch  bei  der  Elektion 
der  Nährstoffe  entgegen,  und  die  Ernährung  ist  doch  gewiss  eine 
unmittelbare  Funktion  der  lebenden  Substanz.  An  der  vorgetragenen 
Auffassung  kann  auch  die  Thatsache  nichts  ändern,  dass  Gährwirkung 
noch  unter  Umständen  zustande  kommen  kann,  unter  denen  keine  Fort- 
pflanzung mehr  möglich  ist  (s.S.  228 f.  u.  236);  dies  beweist  durchaus  nicht, 
dass  die  Gährwirkung  nur  eine  mittelbare  Funktion  des  Lebensprozesses 
ist,  sondern  nur,  dass  Gährungserregung  und  Fortpflanzungsfähigkeit  zwei 
getrennte,  von  einander  unabhängige  Funktionen  der  lebenden  Mikroben 
sind;  kommt  ja  doch  auch  in  „abgeschwächten"  Kulturen  von  Milch- 
säure- und  Buttersäuregährungserregern  vegetatives  Leben  und  Fort- 
pflanzung ohne  Entfaltung  der  Gährwirksamkeit  vor. 

Wenn  also  hiernach  die  Trennung  zwischen  Enzym-  und  Gähr- 
wirkung sich  ebenso  scharf  ziehen  lässt,  wie  die  zwischen  leblosen 
und  lebenden  Wesen,  so  dürfte  andererseits  eine  scharfe  Scheidung 
zwischen  der  Gährungserregung  und  dem  gewöhnlichenStoff- 
wechsel  auf  die  grössten  Schwierigkeiten  stossen.  Pasteur 
stellte  sich  die  Beziehungen  zwischen  beiden  Formen  der  Lebensthätig- 
keit  so  vor,  dass  der  gewöhnlich  unter  Zutritt  des  atmosphärischen 
Sauerstoffs  erfolgende  Stoffwechsel  die  normale  Art  und  Weise  dar- 
stelle, in  welcher  die  für  die  Lebensäusserungen  erforderlichen  Ener- 
giemengen beschafft  werden;  bei  Luftabschluss  hingegen,  wo  alle  die 
Energiemengen  wegfallen,  welche  sonst  durch  die  mächtige  Mitwirkung 
des  Sauerstoffs,  durch  die  vollständige  Verbrennung  der  ersten  bei  der 


Gotschlich,  Gährungserregung.  269 

intramolekularen  Atmung  gelieferten  komplizierten  Produkte  entstan- 
den, bedarf  es  eines  Ersatzes;  dieser  wird  durch  die  Anwesenheit  gähr- 
fähigen  Substrats  geliefert,  welches  nunmehr  in  die  intramolekulare 
Atmung  einbezogen  und,  wenn  auch  nicht  sehr  tief,  so  doch  in  um 
so  umfangreicherem  Masse  gespalten  wird;  die  hierdurch  freiwerden- 
den Energiemengen  treten  für  jene  ein,  die  sonst  durch  die  vom  Luft- 
sauerstoff eingeleiteten  oxydatorischen  Prozesse  geliefert  wurden.  Gäh- 
rung  sei  also  Leben  ohne  freien  Sauerstoff!  Diese  Theorie,  welche 
die  Erscheinungen  der  Gährung  und  der  Anaerobiose  unter  einem  Gesichts- 
punkte in  glücklicher  Weise  vereinigte,  vermag  sicherlich  vielen  That- 
sachen  gerecht  zu  werden;  insbesondere  spricht  für  die  Richtigkeit 
ihres  Grundgedankens,  der  prinzipiellen  Identität  des  Gährpro- 
zesses  mit  dem  gewöhnlichen  Lebensprozess,  dass  auch  Zellen 
höherer  Pflanzen  unter  Luftabschluss  Produkte  bilden  können,  die 
denen  der  Gährung  sehr  ähnlich  sind.  Doch  ist  diese  Theorie  Pastettk's 
in  ihrer  überkommenen  engen  Begrenzung  gegenüber  einer  ganzen 
Reihe  neuerer  Thatsachen  nicht  mehr  haltbar.  Schon  bei  der  Be- 
sprechung der  Anaerobiose  haben  wir  gesehen,  dass  die  Theorie  nicht 
genügt,  um  die  Erscheinungen  derselben  zu  erklären;  es  giebt  z.  B. 
obligate  Anaeroben,  die  gar  keine  Gährwirkung  äussern.  Andererseits 
aber  sehen  wir  bei  den  Gährungserscheinungen,  dass  Sauerstoffzutritt 
in  einigen  Fällen  nicht  nur  nicht  hindernd,  sondern  geradezu  fördernd 
auf  die  Gährungsenergie  wirkt;  bei  den  Oxydationsgährungen  vollends 
ist  er  absolut  notwendig  zum  Zustandekommen  der  Gährung.  Aber 
sehen  wir  selbst  von  den  Oxydationsgährungen,  für  die  Pasteue/s 
Theorie  absolut  keine  Erklärung  hätte,  einmal  ganz  ab,  so  ist  auch  im 
Gebiet  der  Spaltungsgährungen  der  Einfluss  des  Sauerstoffs  durch- 
aus nicht  immer  derart,  wie  es  die  Theorie  erfordern  würde.  Die  Theorie 
bedarf  also  auf  der  Basis  des  von  Pasteuk,  überkommenen  Axioms, 
dass  die  Gährung  eine  der  Energiequellen  des  lebenden  Plas- 
mas darstellt,  einer  Erweiterung,  die  wir  vielleicht  in  dem  Sinne  machen 
dürfen,  dass  wir  eine  Gährung  überall  da  statuieren,  wo  im  Le- 
bensprozess eines  Mikroben  mittelst  eines  bestimmten  che- 
mischenProzesses  an  einembestimmten  chemischenStoff  (dem 
Gährmaterial)  so  unverhältnismässig  grosse  Mengen  Energie 
erzeugt  werden  —  der  dynamogene  Stoffwechsel  so  auffal- 
lend den  plastischen  überwiegt  — ,  wie  es  bei  demselben  Mikro- 
ben unter  anderen  Ernährungsbedingungen  nicht  der  Fall  ist.  Hiermit 
ist  freilich  eine  scharfe  Unterscheidung  des  Gährprozesses  von 
der  gewöhnlichen  dynamogenen  Ernährung  unmöglich  ge- 
worden; doch  dies  liegt  in  der  Natur  der  Sache  begründet  und  erklärt 
sich  daraus,    dass    der  Begriff  der  „Gährung"  sich  zunächst  nach  rein 


270  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

äusserlichen  Kriterien,  nämlich  vor  allem  nach  der  Gasentwicklung 
im  populären  Sprachgebrauch  herangebildet  hat.  Beispielsweise  wird 
wohl  jeder  die  Zerlegung  des  Traubenzuckers  unter  C02 -Entwicklung 
durch  Bakt.  coli  als  „Gährung"  bezeichnen,  während  man  die  ohne  Gas- 
entwicklung einhergehende  Zersetzung  desselben  Zuckers  durch  den 
Typhusbacillus,  wobei  Linksmilchsäure  entsteht,  vielleicht  nicht  ohne 
weiteres,  vor  allem  aus  didaktischen  Gründen,  mit  diesem  Namen  be- 
legen wird.  Hier  kann  nur  die  quantitative  Untersuchung  der  Produkte 
und  die  Feststellung  des  Verhältnisses  zwischen  dynamogenem  und 
plastischem  Stoffwechsel  bei  Verwendung  des  fraglichen  „Gähr"- 
materials  einerseits  und  anderen  Ernährungsbedingungen  andererseits 
den  Ausschlag  geben.  — 

Endlich  sei  noch  die  von  Nägeli  aufgestellte  molekular- 
physikalische Theorie  der  Gährung  erwähnt.  Hiernach  braucht 
das  Gährmaterial  nicht  wie  die  übrigen  Nährstoffe  in  unmittelbare 
Berührung  mit  der  lebenden  Substanz  des  Gährungserregers  zu  treten,, 
sondern  es  wird  bereits  ausserhalb  der  Zelle,  allerdings  nur  in  deren 
nächster  Umgebung,  durch  die  infolge  der  intramolekularen  Bewegungs- 
energie im  Protoplasma  nach  aussen  übertragenen  Schwingungen  zer- 
setzt; freilich  sind  hierzu  nur  solche  Moleküle  geeignet,  die  infolge 
ihrer  besonderen  gährfähigen  Struktur  durch  die  in  der  Umgebung  des 
Protoplasmas  geschaffenen  Bewregungszustände  leicht  zum  Mitschwingen 
veranlasst  werden.  Für  diese  Theorie  spricht  vielleicht  der  Umstand, 
dass  bei  der  Gährung  so  grosse  Massen  von  Material  in  der  Zeiteinheit 
zerlegt  werden,  dass  eine  chemische  Verbindung  zwischen  Protoplasma 
und  Nährstoff  nicht  füglich  anzunehmen  ist.  Andererseits  würde  auch 
die  von  Cochin  (C.  R.  96)  gefundene  Thatsache,  dass  ein  Teil  des 
Zuckers  nachweislich  in  die  Hefezellen  eintritt  und  dort  rasch  zerlegt 
wird,  nicht  unbedingt  gegen  Nägeli's  Theorie  sprechen,  da  die  nach- 
gewiesene Aufnahme  nur  einen  kleinen  Teil  des  ganzen  vergährbaren 
Zuckers  betrifft,  der  sehr  wohl  zu  plastischen  Zwecken  aufgebraucht 
werden  könnte.  Endlich  hat  Nägeli  selbst  noch  einige  direkte,  be- 
stimmte Gründe  für  die  Existenz  einer  extracellulären  Vergährung  an- 
gegeben, die  aber  sämtlich  sehr  diskutabel  sind. 


Kruse,  Kranklieitserregung.  21 1 

Viertes  Kapitel. 
Krankheitserregung  *) 

von 
Dr.  W.  Kruse. 

A.   Einteilung  der  Bakterien  nach  Wachstumsfähigkeit  und  Wirkung  im 
lebenden  Körper. 

Das  Hauptinteresse  der  Medizin,  im  besonderen  der  Gesundheits- 
lehre an  den  Bakterien  besteht  in  den  krankmachenden  Wirkungen, 
die  sie  im  lebenden  menschlichen  oder  tierischen  Organismus  entfalten.2) 
Der  pathogene  Effekt  hängt  von  verschiedenen  Bedingungen  ab:  von 
der  Fähigkeit  der  Bakterien  sich  im  lebenden  Körper  zu  vermehren, 
von  ihrem  Vermögen  örtlich  und  allgemein  wirkende  Stoffe  zu  pro- 
duzieren, von  der  Menge,  dem  Virulenzgrad  und  der  Eintrittspforte  der 
Mikroorganismen,  von  der  angeborenen  oder  erworbenen  Widerstands- 
kraft der  angegriffenen  Organismen  und  von  den  Mitteln,  die  angewandt 
werden  zur  Bekämpfung  der  Krankheit. 

Von  einem  pathogenen  oder  nicht  pathogenen  Bakterium  schlecht- 
hin darf  man  im  strengen  Sinne  des  Wortes  nicht  sprechen,  denn  es 
giebt  kein  Bakterium,  das  nicht  unter  Umständen  Krankheit  erregen 
könnte,  und  andererseits  können  als  sehr  pathogen  bekannte  Mikro- 
organismen in  vielen  Fällen  ohne  Wirkung  bleiben. 

Man  kann  nach  dem  Wachstumsvermögen  der  Bakterien  im  lebenden 
Körper  und  ihren  Wirkungen  auf  den  letzteren  folgende  Typen  unter- 
scheiden. 

1.  Die  Bakterien  vermögen  im  lebenden  Organismus  nicht 
zu  wachsen.  Hierher  gehört  die  grosse  Masse  derjenigen  Mikro- 
organismen, die  in  der  Aussenwelt  vegetieren,  Zersetzungen  erregen, 
Pigmente  erzeugen  u.  s.  f.,  die  Saprophyten  de  Baey's.  Injiziert 
man  z.  B.  beliebige  Mengen  des  gemeinen  Heubacillus  (B.  subtilis)  in 
das  Blut  eines  Kaninchens,  so  findet  von  Anfang  an  eine  Abnahme 
der  Bacillen  im  Blut  und  in  den  Organen  statt,  die  nach  24  Stunden 
schon  steril  sind.  Sporen  von  Heubakterien  wachsen  ebenfalls  nicht 
aus,  bewahren  aber  im  Körper  viel  länger  ihre  Lebensfähigkeit.  So 
fand  Wtssokowitsch  (Z.  1)  in  einem  Versuchstier,  das  78  Tage  vor 
der  Tötung  injiziert  worden  war,  noch  einige  Keime. 


1)  Im  wesentlichen  bezieht  sich  dieses  Kapitel  nur  auf  die  Krankkeitserregung 
durch  Bakterien. 

2)  Die  durch  Bakterien  verursachten  Pflanzenkrankheiten  werden  am  Ende 
dieses  Kapitels  (Anhang)  besprochen. 


272  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Die  Saprophyten  werden  im  allgemeinen  als  nicht  pathogene 
Bakterien  bezeichnet,  nicht  mit  Recht,  denn  auch  von  ihnen  können 
Krankheitserscheinungen  hervorgerufen  werden,  und  z  war  erstens  lokale, 
wie  es  scheint,  durch  alle  Mikroorganismen  ohne  Ausnahme.  Dem 
Bakterienprotoplasma  wohnt  die  Fähigkeit  inne,  in  genügender  Menge 
und  Koncentration  in  das  subkutane  Gewebe  von  Warmblütern  injiziert, 
daselbst  Entzündungen  und  in  den  meisten  Fällen  Eiterungen  zu  er- 
regen (vgl.  B  S.  279).  Die  Intensität  der  Wirkung  ist  freilich  bei  den 
einzelnen  Bakterienarten  ausserordentlich  verschieden. 

Aber  auch  zweitens  einen  allgemeineren,  einen  toxischen 
Effekt  kann  man  häufig  durch  saprophytische  Mikroorganismen  erzielen. 
Von  den  Bakterien  der  Fäulnis  ist  diese  Eigenschaft  schon  lange  be- 
kannt und  immer  wieder  bestätigt  (Panum  u.  A.).  Die  wirksamen  Stoffe 
finden  sich  teils  in  den  Kulturen  gelöst,  teils  in  den  Bakterienleibern 
(vgl.  C  S.  285).  Nicht  blos  im  Experiment,  sondern  auch  unter  natür- 
lichen Verhältnissen  kommen  die  von  saprophytischen  Mikroorganismen 
gebildeten  Gifte  als  krankheitserregende  Momente  in  Betracht.  Manche 
Fälle  von  Vergiftung  mit  verdorbenen  Nahrungsmitteln,  die  sog.  Autoin- 
toxicationen  vom  Darm  aus  bei  Stagnationen  von  dessen  Inhalt  (vgl. 
Bouchard,  Autointoxications.  Paris  87),  ferner  die  „putriden  Intoxi- 
kationen" bei  fauligen  Prozessen  im  Körper  müssen  hierher  gezählt  werden. 

Im  Gegensatz  zu  den  giftigen  saprophytischen  Bakterien  werden 
diejenigen  Bakterien,  die  sich  im  Organismus  ihrer  Wirte  vermehren, 
als  parasitische  oder  besser  als  infektiöse  oder  virulente  bezeichnet. 
Sie  sind  sämtlich  pathogen,  mit  anderen  Worten,  ein  Wachstum  von 
Bakterien  im  lebenden  tierischen  Körper  bedingt  nach  unseren  Er- 
fahrungen stets  eine  Krankheit  desselben.1)  Es  kommen  verschiedene 
Fälle  vor. 

2.  Die  Bakterien  vermehren  sich  nur  an  einer  begrenzten 
Stelle  des  von  ihnen  infizierten  lebenden  Organismus.  Es 
schliesst  das  nicht  aus,  dass  vereinzelte  Exemplare  durch  Resorption 
mittelst  des  Blut-  oder  Lymphgefässsystems  auch  in  andere  Körper- 
teile gelangen.  Eine  weitere  Vermehrung  daselbst  findet  aber 
nicht  statt. 


1)  Ausgenommen  sind  natürlich  die  Bakterien,  die  regelmässig  im  Mund- 
und  Darminlialt  schmarotzen,  ohne  die  Schleimhäute  selbst  anzugreifen.  Nur 
unter  besonderen  Umständen  werden  auch  diese  pathogen  (vgl.  dieses  Kap.  u.  N). 
Das  Vorkommen  einer  „Symbiose"  zwischen  Bakterien  und  tierischen  Zellen  ist 
mehr  als  zweifelhaft  (vgl.  Blochmann,  C.  11.  234;  Dubois,  r:  J.  88.  337).  Dass 
die  Darrnbakterien  zur  Verdauung  nicht  nötig  sind,  haben  neuerdings  Nuttall 
und  Thierpelder  (Z.  phys.  Chem.  21.  2/3)  gezeigt.  Über  die  Symbiose  zwischen 
Bakterien  und  Pflanzen  vgl.  den  Bac.  radicicola  (Bd.  II).  Die  merkwürdige  Theorie 
der  „Nosoparasiten"  hat  Liebreich  (B.  95.  14/15)  aufgestellt. 


Kruse,  Krankheitserregung.  273 

a)  Ausserordentlich  spärlich  ist  die  Vermehrung  des  Infektions- 
erregers bei  den  natürlichen  Infektionen  mit  Tetanus.  Nach  den  Unter- 
suchungen von  Vaillard,  Rouget  und  Vincent  (P.  91 — 93)  wird  selbst 
dieses  beschränkte  Wachstum  erst  ermöglicht  durch  eine  Mischinfektion 
(vgl.  F.  S.  313)  mit  anderen  Bakterien.  Entsprechend  den  enorm  giftigen 
Eigenschaften  der  Produkte  des  Tetanusbacillus  ist  dennoch  der  Effekt 
meist  ein  sehr  starker.  Ahnlich  dem  Tetanus  verhält  sich  oft  die 
experimentelle  Infektion  mit  Diphtheriebacillen.  Geringe,  aber  doch 
totliche  Mengen  der  letzteren  scheinen  in  der  Subcutis  des  Meer- 
schweinchens, wenn  überhaupt,  dann  doch  nur  sehr  mangelhaft  und 
vorübergehend  zu  gedeihen.  Mithin  steht  die  Vergiftung  im  Vor- 
dergrunde. Daneben  bestehen  hier  bedeutende  örtliche  Wirkungen,  die 
bei  der  Tetanusinfektion  fehlen. 

b)  Anders  ist  der  Verlauf  bei  der  menschlichen  Diphtherie,  ferner 
bei  Abscedierungen  verschiedenster  Art  von  der  Aknepustel  bis  zum 
faustgrossen  Abscess,  beim  Erysipel,  bei  Pneumonie,  Pleuritis,  Peritonitis, 
desgleichen  bei  lokalisierter  Tuberkulose.  Das  sind  der  Regel  nach 
örtliche  Infektionen  mit  mehr  oder  weniger  reichlicher  Vermehrung  der 
Infektionserreger  (Diphtherie-  und  Tuberkelbacillen,  Staphylo-,  Strepto- 
und  Pneumokokken)  und  mit  geringeren  oder  grösseren  (Diphtherie) 
toxischen  Wirkungen  sowie  stets  erheblichen  Lokaleffekten. 

c)  Weniger  in  der  Tiefe  des  Gewebes,  wie  die  letztgenannten 
Bakterien,  vielmehr  hauptsächlich  in  den  oberflächlichsten  Schichten 
desselben  (Epithel)  schmarotzen  die  Gonokokken,  die  Konjunktivitis- 
bacillen,  die  Influenzabakterien  und  die  Mikroorganismen  anderer 
katarrhalischer  Infektionen  der  Schleimhäute  (Streptokokken,  Pneumo- 
kokken), ferner  die  Spirillen  der  Cholera  asiatica  und  wahrscheinlich 
auch  die  Erreger  der  Cholera  nostras.  Trotz  der  oberflächlichen  Lage 
der  wuchernden  Bakterien  ergeben  sich  manchmal  bedeutende  Gift- 
wirkungen (Influenza,  Cholera). 

3.  Die  Bakterien  entfalten  ein  fortschreitendes  Wachs- 
tum und  zwar 

a)  durch  Ausbreitung  in  contiguo.  Solcher  Art  ist  die  Entwick- 
lang der  Streptokokken  bei  bösartigen  Phlegmonen,  der  Bacillen  beim 
experimentellen  malignen  Ödem.  Bei  dieser  letzteren  Affektion  pflegen 
die  Bacillen  auch  nach  dem  Tode  des  Versuchstieres  noch  weiter  zu 
wuchern,  bis  sie  schliesslich  den  ganzen  Körper  erfüllen. 

b)  Durch  Metastasen  pflanzt  sich  die  Infektion  fort  erstens  bei  den 
verschiedenenFormenderPyämie.  Den  Ausgangspunkt  bildet  immer  ein 
ursprünglich  rein  örtlicher  Wucherungsherd  von  Streptokokken,  Staphylo- 
kokken, seltener  Pneumokokken.  Gewöhnlich  nach  Resorption  auf  dem 
Wege  des  Lymphstroms  vermittelt  das  Blutgefässsystem  die  Ausbreitung 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  18 


274  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

der  Krankheitserreger,  die  sich  aber  nur  an  einer  verhältnismässig  be- 
schränkten Zahl  von  Stellen  festzusetzen  vermögen.  Häufig  besteht 
dabei  eine  gewisse  Auswahl  der  Organe,  so  dass  in  dem  einen  Fall 
nur  die  Gelenke,  im  anderen  das  Mark  der  Knochen,  in  einem  dritten 
die  Haut  und  in  einem  vierten  nur  die  inneren  Organe  von  den  Krankheits- 
erregern betroffen  werden.  In  ihrer  Ausbreitung  werden  die  Infektions- 
erreger meistenteils  aufgehalten,  wenn  auch  oft  nur  für  kurze  Zeit,  durch 
die  regionalen  Lymphdrüsen;  eine  Zwischenstation  finden  sie  nicht  selten 
in  den  Lungen  und  auf  den  Herzklappen.  Gerade  die  Ansiedelung  an 
letzterem  Orte  wird  dem  übrigen  Körper  besonders  verderblich,  weil 
von  hier  aus  grössere,  leichter  haftende  Bakterienmassen  in  den  arteriellen 
Blutstrom  hineingeworfen  werden  (Bakterienembolie). 

"Während  bei  der  Pyämie  die  lokale  Affektion  in  einer  Eiterung 
besteht,  gehören  die  durch  Tuberkulose-,  Lepra-,  Rotz-  und  Syphilis- 
bacillen  verursachten  metastatischen  Prozesse  in  die  Gruppe  der 
Granulationsgeschwülste  (proliferativen  Entzündungen,  vgl.  S.  277).  Das 
Zustandekommen  der  Metastasen  geschieht  in  ähnlicher  Weise  wie  bei 
der  Pyämie,  nur  hat  jede  Infektion  ihre  Besonderheiten. 

Der  Typhus  muss  auch  als  eine  metastasierende  Erkrankung  auf- 
gefasst  werden,  wenn  man  als  erwiesen  annimmt,  dass  die  Bacillenhaufen, 
die  in  den  lymphatischen  Apparaten  des  Darms,  den  Mesenterialdrüsen, 
der  Milz  gefunden  werden,  einer  Vermehrung  der  Bacillen  während 
des  Lebens  ihres  Wirtes  ihr  Dasein  verdanken.  Die  Lokalisationen 
unterscheiden  sich  aber  dadurch  von  den  oben  erwähnten,  dass  ihnen 
keine  histologischen  Veränderungen  in  der  Umgebung  der  Herde  ent- 
sprechen. Die  Lymphknoten,  die  sich  häufig  in  den  Unterleibsdrüsen 
bei  Typhus  entwickeln,  konnten  noch  nicht  mit  Sicherheit  auf  Bacillen- 
ansiedelungen  zurückgeführt  werden. 

c)  Als  Septikämien  werden  diejenigen  Infektionen  be- 
zeichnet, deren  Erreger  sich  von  einem  primären  Herd  aus 
über  das  ganze  Blutgefässsystem  verbreiten  und  in  dem- 
selben gleichmässig  vermehren.  Beispiele  hierfür  bietet  nament- 
lich die  experimentelle  und  Tierpathologie  (Pneumokokken,  Strepto- 
kokken, Tetragenus,  Milzbrand,  hämorrhagische  Septikämie,  Schweine- 
rotlauf). Beim  Menschen  tritt  diese  Form  verhältnismässig  selten  auf, 
und  zwar  in  typischer  "Weise  bei  Recurrens  (Spirillen),  ferner  bei  sog. 
hämorrhagischer  Infektion  (vgl.  Bd.  II),  die  durch  verschiedene  Ba- 
cillen verursacht  zu  werden  scheint,  und  bei  den  Strepto-  und  Pneu- 
mokokkenseptikämien,  die  sich  in  bösartigen  Fällen  aus  örtlichen 
Affektionen  der  Haut  (Erysipel,  Phlegmonen),  des  Rachens  (Diphtherie), 
der  Lunge  (Pneumonie,  Mischinfektion  bei  Tuberkulose),  des  Endome- 
triums u.s.w.  entwickeln.  In  der  vorbakteriologischen  Zeit  wurden  manche 


Kruse,  Krankheitserregung.  275 

Krankheiten,  z.  B.  die  putride  Intoxikation  und  lokale  Infektionen  mit 
schweren  allgemeinen  Vergiftungserscheinungen,  wie  Fälle  von  Peri- 
tonitis und  Diphtherie  mit  der  Septikämie  (Sepsis,  „Blutvergiftung") 
zusammengeworfen.  Jetzt,  wo  man  die  Mittel  zur  Entscheidung  dieser 
Fragen  in  der  Hand  hat,  sollten  die  Kliniker  und  Pathologen  mit  dem 
Begriff  der  Septikämie  etwas  vorsichtiger  umgehen.1)  Wohl  bemerkt 
bedeutet  das  Vorkommen  von  Mikroorganismen  im  Blut  noch  nicht 
eine  Septikämie  im  bakteriologischen  Sinne,  sondern  nur  die  nachge- 
wiesene Vervielfältigung  der  resorbierten  Keime  im  Gefässsystem. 
Im  cirkulierenden  Blut  kann  die  Zahl  der  Keime  dabei  sehr  wechseln, 
manchmal  sogar  eine  geringe  sein.  Man  erklärt  sich  das  leicht,  wenn 
man  sich  die  Genese  der  Blutinfektion  veranschaulicht. 

Die  durch  Resorption  mittelst  der  Lymphgefässe  oder  direkt  ins 
Blut  gelangten  Bakterien  werden,  wie  die  vielfach  bestätigten  Versuche 
von  Wtssokowitsch  (Z.  1)  ergeben,  in  recht  kurzer  Zeit,  d.  h.  oft  schon 
im  Laufe  von  Minuten  oder  wenigen  Stunden  aus  der  Cirkulation 
entfernt.  Die  Kapillaren,  namentlich  der  grossen  drüsigen  Organe, 
fungieren  dabei  als  Filter,  das  die  Mikroorganismen  wie  andere 
feinste  Körperchen  zurückhält.  Sind  die  so  fixierten  Bakterien  im- 
stande, an  Ort  und  Stelle  sich  zu  vermehren,  dann  wachsen  sie  durch 
das  Filter,  in  diesem  Falle  das  Kapillargefässsystem,  hindurch  und  ge- 
langen schliesslich  in  die  Venen  hinein,  aus  denen  sie  durch  den 
schnellen  Blutstrom  in  die  Cirkulation  mitgerissen  werden.  Der  reich- 
liche Eintritt  von  Keimen  aus  den  Kapillaren  der  Organe  in  die  Venen 
bezeichnet  den  Höhepunkt  der  Septikämie,  der  bei  unseren  Versuchs- 
tieren erst  einige  Stunden  vor  dem  Tode  eintritt  (vgl.  Frank  u.  Eubarsch, 
Kruse  u.  Pansini,  Z.  11.)  Beim  Menschen  kommt  es  nur  selten  so  weit, 
weil  der  Patient  gewöhnlich  früher  stirbt;  die  Kapillaren  der  Organe 
können  aber  reichlich  mit  Bakterien  durchsetzt  sein,  obwohl  es  intra 
vitam  nicht  gelungen  ist,  sie  im  cirkulierenden  Blute  in  erheblichen 
Mengen  nachzuweisen. 

Wenn  von  einer  gleichmässigen  Verteilung  der  Bakterien  im  Blut- 
gefässsystem  bei  der  Septikämie  gesprochen  wurde,  so  ist  das  so  auf- 
zufassen, dass  keine  so  ausgesprochenen  Lokalisationen  wie  bei  den 
metastatischen  Prozessen  vorkommen;  eine  Vorliebe  der  einzelnen 
Mikroorganismen   für    gewisse    Organe    lässt    sich    dennoch    öfter    be- 


1)  Das  Recht,  diesen  bis  dahin  schwankenden  Begriff  zu  fixieren,  ist  der 
Bakteriologie  wohl  nicht  zu  bestreiten.  Statt  Septikämie  schlagen  Kocher  und 
Tavel  (Vorl.  üb.  chir.  Infektionskrankh.  Basel  u.  Leipzig  95)  den  Ausdruck 
Bakteriämie  vor,  die  Vergiftung  des  Blutes  durch  bakterielle  Produkte  nennen 
sie  Toxinämie. 

18* 


276  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

obachten.     So  treten  die  Tetragenuskokken  besonders  reichlich  auf  in 
den  Kapillaren  der  Lunge,  die  Milzbrandbacillen  in  der  Milz. 

Nach  allen  Erfahrungen  muss  der  Septikämie  eine  örtliche  Affektion 
vorangehen,  dieselbe  kann  allerdings  sehr  verschiedenen  Umfang  haben. 
Bei  der  äusserst  akut  verlaufenden  sog.  Kaninchenseptikämie  ist  z.  B. 
die  Veränderung  an  der  Impfstelle  unter  der  Haut  eben  angedeutet, 
bei  einer  Pneumokokkenseptikämie,  die  in  einigen  Tagen  zum  Tode  führt, 
zeigt  sich  ein  grösserer  Entzündungstumor  entwickelt.  In  manchen 
Fällen,  den  sog.  kryptogenetischen  Septikämien  des  Menschen,  ist 
die  örtliche  Affektion  so  versteckt,  dass  man  sie  nicht  aufzufinden  ver- 
mag. Beim  Febris  recurrens  ist  man  —  wie  bei  der  durch  Pro- 
tozoen verursachten  Malaria  —  über  den  Modus  der  Blutinfektion 
ganz  im  Unklaren,  da  die  Spirillen  bisher  nur  im  Blute  gesehen 
worden  sind.     Aus   dem  Vorstehenden  ergiebt  sich  folgendes  Schema: 

I.  Saprophyten  (  1.  nicht  toxische  Bakterien, 
(nicht  infekt.  B.)  \  2.  toxische  „ 

!i    t  ^i    -\a  t  fai      (  a)  gering.  Wachst.,    starke  Toxinbildung. 
Vnl    i?  b)  stark.  Wachst,  in    d.  Tiefe   d.  Gewebe, 

üonserreger        ( c     t    fc  w    h{        &     Oberfläche. 
(  a)  m  contiguo  fortschreit.  W. 
2.  Allgem.  Infektionserreger     \  b)  metastatisches  W. 
I  c)  septikämisches  W. 

So  wichtig  es  ist,  sich  die  Unterschiede,  die  in  diesem  Schema  aus- 
gedrückt sind,  zu  vergegenwärtigen,  so  nötig  ist  die  Erinnerung,  dass 
es  an  Übergängen  zwischen  den  einzelnen  Kategorien  nicht  fehlt  (z.  B. 
zwischen  2b  und  3  a — c),  und  dass  manche  Mikroorganismen  —  das 
gilt  in  besonderem  Grade  von  den  Pneumokokken  und  Streptokokken  — 
unter  verschiedenen  Bedingungen  bald  in  diese,  bald  in  jene  Unter- 
abteilung gehören.  Auf  diese  Bedingungen,  nämlich  die  Menge  des 
Virus,  den  Virulenzgrad,  den  Einfmss  der  Mischinfektion,  der  Eintritts- 
pforte, die  Empfänglichkeit  und  Immunität  des  Wirtsorganismus  wird 
in  den  Abschnitten  D— L  näher  einzugehen  sein. 

B.  Lokale  Wirkungen  der  Bakterien. 

Die  Formen,  in  denen  die  lokalen  Wirkungen  pathogener  Bakterien 
zu  Tage  treten,  sind  die  der  gewöhnlichen  Entzündung  und  der  spezi- 
fischen proliferativen  Entzündung  (spezifische  Entzündung  Rindfleisch's, 
Granulationsgeschwulst  Virchow's,  Infektionsgeschwulst  Klebs',  infekti- 
öse Granulationsgeschwulst  Ziegler' s).  Rein  nutritive  Störungen  (Dege- 
neration und  Nekrose)  und  rein  formative  (Proliferation)  werden  selbst 
in  gefässlosen  Geweben  (Hornhaut:  Leber1))  durch  Bakterien  nicht  be- 


1)  Die  Entstehung  der  Entzündung.    Leipzig  1891. 


Kruse,  Krankheitserregimg.  277 

obachtet,  sondern  sind  immer  mit  entzündlichen  Gefässalterationen  kombi- 
niert. Dass  aber  durch  Bakterienprodnkte  in  gewissen  Fällen  doch  einfache 
Degenerationen  und  Nekrosen  verursacht  werden  können,  wird  im  folgen- 
den Abschnitt  unter  den  Fernwirkungen  zu  berichten  sein.  Fast  alle  be- 
kannten Formen  der  akuten  Entzündung  sehen  wir  als  örtliche  Folge 
von  Bakterienwucherungen  auftreten. 

Entzündungen  mit  wesentlich  serösem  Exsudat  können  wir  im 
Experiment  hervorrufen  in  der  Subcutis  der  Versuchstiere  durch 
Pneumokokken  und  Milzbrandbacillen,  seröse  Ergüsse  finden  wir 
bei  der  durch  Pneumokokken  verursachten  Pleuritis  und  Pericarditis 
des  Menschen,  bei  der  tuberkulösen  Erkrankung  der  serösen  Flächen. 
Fibrinöse  Beimischungen  sind  bei  den  genannten  Prozessen  sehr  ge- 
wöhnlich, vorwiegend  fibrinösen  Charakter  tragen  viele  durch  Pneumonie- 
kokken  erzeugte  experimentelle  und  spontane  Affektionen,  ferner  die  ex- 
perimentelle Diphtherie  des  Meerschweinchens  und  Kaninchens.  Eitrige 
Infiltrationen  werden  vorwiegend  durch  Streptokokken,  Staphy- 
lokokken und  Pneumokokken  erzeugt,  Abscesse  und  Empyeme 
ausserdem  durch  Tuberkel-  und  Kolonbacillen,  selten  durch  Tetragenus- 
kokken und  Typhusbacillen,  ausnahmsweise  durch  Milzbrandkeime. 
Diese  Aufzählung  umfasst  nur  die  eigentlichen  infektiösen  Bakterien, 
wir  werden  später  sehen,  class  auch  durch  Saprophyten,  wenn  sie  in 
geeigneter  Form  zur  Wirkung  gelangen,  cirkumskripte  Eiterung  ver- 
ursacht werden  kann. 

Eitrige  Katarrhe  erregen  Pneumokokken,  Gonokokken,  Influenza-, 
Konjunktivitisbacillen.  Hämorrhagische  Exsudate  haben  wir  bei  der 
fibrinösen  Pneumonie  des  Menschen,  beim  Milzbrand,  malignen  Odem 
und  Rauschbrand  und  anderen  Tierkrankheiten.  Nekrotisierende 
Entzündungen  charakterisieren  die  Diphtherie  des  Rachens  beim  Menschen 
(Diphtheriebacillen  und  Streptokokken)  und  bei  Kälbern  und  Tauben 
(Bacillen  von  Löfflee),  die  Brustseuche  der  Pferde,  die  Schweineseuche 
und  Schweinepest,  den  Typhus  abdominalis,  die  diphtherischen  Darm- 
erkrankungen des  Menschen  (Bacillen  und  Streptokokken),  die  Darm- 
diphtherie des  Kaninchens  (Ribbert's  Bacillen).  Nekrosen  in  kleinerem 
Umfang  kommen  ausserdem  bei  fast  allen  heftigen  (eitrigen)  bakteriellen 
Entzündungen  vor,  besonders  schön  lassen  sie  sich  nach  Leber  (a.  a.  0.) 
an  der  Kornea  studieren.  In  manchen  Fällen  werden  Nekrosen  durch 
das  Milzbrandvirus  erzeugt  (Czaplewski,  Z.  12.  400;  K.  Müller,  Milz- 
brand der  Ratten.  F.  93).  Auch  die  Tuberkelbacillen  verursachen 
einfache  exsudative  Entzündungen  mit  Ausgang  in  Nekrose  (käsige 
Pneumonie). 

Als  spezifische  proliferative  Entzündungen  sind  am  besten 
die  lokalen  Produkte  der  Tuberkulose,  der  Pseudotuberkulose,  der  Lepra., 


278  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

des  Rotzes,  der  Syphilis  und  des  Rhinoskleroms  zu  bezeichnen. !)  Arn 
genauesten  studiert  ist  der  Vorgang  der  Tuberkelbildung,  besonders 
durch  Baumgabten,  der  die  unter  dem  Einfluss  der  Tuberkelbacillen 
stattfindende  Gewebsneubildung  auf  karyokinetische  Teilung  der  fixen 
Gewebszellen  zurückgeführt  hat.  Nebenher  geht  zellige  Exsudation, 
und  den  Prozess  beschliesst  die  Nekrobiose  des  Tuberkels  (Verkäsung). 
Histologisch  in  mancher  Beziehung  ähnlich  ist  die  Pseudotuberkulose 
der  Nagetiere  (Malassez  u.  Vignab,  Ebektii,  Manfbedi,  Chantemesse 
U.A.,  s.Bd.II).  Bei  der  Lepra  fehlt  der  ausgedehnte  Zerfall  der  Neubildung, 
es  findet  nur  eine  langsame  Resorption  derselben  statt.  Beim  Rotz 
tritt  die  Gewebsproliferation  zu  Gunsten  der  eitrigen  Exsudation  oft  sehr 
in  den  Hintergrund.  Die  anatomisch  sehr  vielgestaltige  Syphilis  kann 
wegen  der  durchaus  ungenügenden  Bekanntschaft  mit  ihrem  Erreger 
hier  nicht  weiter  in  Betracht  kommen.  Das  Gewebe  des  Rhinoskleroms 
ähnelt  dem  eines  Granulationsgewebes,  wie  dieses  geht  es  meist  in 
Schrumpfung  über.  Charakteristisch  ist  hier  die  vakuoläre  und  hyaline 
Degeneration  der  Zellen,  die  an  manchen  Stellen  der  Geschwulst  unter 
dem  direkten  Einfluss  der  spezifischen  Bacillen  eintritt. 

Man  darf  sich  nicht  vorstellen,  dass  die  im  Vorstehenden  aus- 
geführte Scheidung  eine  absolute  wäre,  vielmehr  bestehen  hier  ähn- 
liche Übergänge,  wie  wir  sie  bei  Besprechung  des  infektiösen  Ver- 
mögens der  Bakterien  haben  zugeben  müssen.  Ein  und  derselbe 
Mikroorganismus  kann  einfache  und  proliferative  Entzündungen  erregen 
(Tuberkel-  und  Rotzbacillus).  Unter  den  Entzündungserregern  sind 
einige,  die  seröse,  serofibrinöse,  eitrige  und  hämorrhagische  Exsudatio- 
nen verursachen  können,  z.  B.  Strepto-  und  Pneumokokken,  Staphy- 
lokokken, Typhus-  und  Tuberkelbacillen.  Der  Erfolg  hängt  teils  von 
dem  Virulenzgrade  und  der  Menge  der  wirkenden  Bakterien,  teils 
von  der  Stelle  der  Infektion  und  von  der  Art  des  Wirtsorganismus 
ab.  Die  nekrotisierende  Entzündung,  die  man  pathologisch-anatomisch 
als  Diphtherie  bezeichnet,  ist  ebensowenig  spezifisch  für  ein  einziges 
Bakterium  (s.  o.) 

Es  fragt  sich,  wie  man  sich  das  Zustandekommen  der  lokalen 
Veränderungen  zu  denken  hat.  Man  könnte  a  priori  vielleicht  voraus- 
setzen —  und  das  ist  von  manchen  Autoren  früher  in  ausgedehntem 
Masse  geschehen  —  dass  die  Bakterien  selbst  als  Fremdkörper  ge- 
wisse Erscheinungen  auslösen  könnten.  Dieselben  müssten  aber  dann 
durchaus  gleichartig  sein.  Das  ist  nicht  der  Fall;  werden  z.  B.  Tuber- 
kelbacillen   im    abgetöteten  Zustand  ins  Blut  von  Tieren  gespritzt,  so 


1)  Bezüglich    der  Aktinomykose  und  verwandter  Prozesse,    die  histologisch 
in  dieselbe  Gruppe  gehören,  vgl.  Band  II  S.  48:  Streptothricheen. 


Kruse,  Krankheitserregung.  279 

verursachen  sie,  wo  sie  hinkommen,  durch  Gewebsproliferation  Knöt- 
chen, die  an  echte  Tuberkulose  erinnern  (Peudden  u.  Hodenptl,  New- 
York  med.  Journ.  91 ;  Steatjs  u.  Gamaleia,  A.E.  91;  Vissmann,  V.  129; 
Geancheb  u.  Ledottx-Lebaed,  A.  E.  92;  Mastte  u.  Kockel,  Zi.  16.  2); 
andere  Bakterien  haben  diese  Wirkung  nicht.  Die  Erklärung  liegt  darin, 
dass  die  Bakterien  nicht  als  indifferente  Fremdkörper,  sondern  durch  die 
chemischen  Stoffe,  die  von  ihnen  ausgehen,  wirken.  Die  Versuche  von 
Lebee  (a.  a.  0.)  beweisen,  dass  selbst  scheinbar  unangreifbare  Stoffe, 
wie  die  Edelmetalle,  ihre  Umgebung  chemisch  beeinflussen,  um  wie 
viel  mehr  müssen  das  organische  Substanzen  thun. j)  Der  Beweis, 
dass  die  Bakterien  sogar  in  die  Ferne  wirken,  ist  auf  anatomischem 
Wege  bei  allen  Infektionen  zu  erbringen:  die  Exsudation  geht  regel- 
mässig weit  über  den  Ort  der  Bakterienwucherung  hinaus. 

Es  gelingt  leicht,  den  Einwand  abzuschneiden,  dass  nur  die  leben- 
den Bakterien  zu  einer  solchen  Wirkung  befähigt  sind.  Schon  Pasteue  2) 
hat  durch  abgetötete  Kulturen  eines  Eitermikroben  Eiterung  erzielt. 
Geawitz  und  de  Baet  (V.  108),  sowie  Scheueelen  (F.  87.  23)  be- 
wiesen dasselbe  für  Staphylokokkenkulturen,  Wtssokowitsch  (r :  J.  88. 
399)  für  Milzbrandsporen,  B.  prodigiosus  und  B.  Neapolitanus,  Chaeein 
für  B.  pyocyaneus.  Buchnee  (B.  90.  10,  30  u.  47)  that  einen  Schritt 
weiter;  er  zeigte,  dass  den  Bakterien  im  allgemeinen,  Saprophyten  und 
Parasiten,  die  Fähigkeit  zukommt,  in  ihrem  Körper  Substanzen  zu 
produzieren,  die  Entzündung  und  Eiterung  erregen.  Durch  Injektion 
der  mittelst  Siedehitze  abgetöteten  Leiber  des  Staphylokokkus  pyoge- 
nes  aureus,  St.  cereus  albus,  der  Sarcina  aurantiaca,  des  Bacillus  pro- 
digiosus, Fitzianus,  cyanogenus,  Megatherium,  ramosus,  subtilis,  coli  com- 
munis, acidi  lactici,  anthracis,  mallei,  Proteus  vulgaris,  des  Kieler 
Wasserbacillus,  des  Spirillum  Finkler-Prior  in  das  subkutane  Ge- 
webe von  Versuchstieren  liess  sich  eine  mehr  oder  weniger  intensive 
Eiterung  hervorrufen.  Durch  Auskochen  der  Bakterienkörper  mit 
0,5  Proz.  Kalilauge  und  nachherige  wiederholte  Fällung  mit  Essigsäure 
und  Lösung  in  leicht  alkalischem  Wasser  wurde  als  wirksame  Substanz 
das  die  Reaktionen  des  Alkalialbuminats  gebende  „Bakterienprotein" 
gewonnen.  Freilich  giebt  die  subkutane  Einspritzung  dieses  Stoffes 
gewöhnlich  keine  Eiterung,  sondern  nur  Entzündung,  weil  die  Re- 
sorption durch  den  Lymphstrom  zu  schnell  erfolgt,  aber  mit  Hilfe 
von    CoHNHEiM-CouNCiLMAN'schen    Glasröhrchen,    die    mit    der    Sub- 

1)  z.  B  auch  diejenigen  unbelebten  Stoffe,  die  Pseudotuberkulose  erregen 
(Seidenfäden,  Kanin chenhaare)  [vgl.  Baumgarten,  Histogenese  d.  tuberkulös. 
Prozesses.  Berlin  85].     Eine  einfache  Fremdkörperwirkung   ist   hier   völlig    aus- 

iossen. 

1)  Vgl.  Steinhaus,  Ätiologie  der  akuten  Eiterungen.    Leipzig  1889. 


2g0  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

stanz  gefüllt  an  einem  Ende  geschlossen  unter  die  Haut  der  Versuchs- 
tiere geschoben  werden,  gelingt  es,  die  Aufsaugung  zu  verlangsamen  und 
dann  eine  deutliche  Ansammlung  von  Eiterkörperchen  zu  erzielen.  Die 
in  den  Bakterienleibern  aufgespeicherten  und  ausziehbaren  Substanzen 
besitzen  also  eine  positiv  chemotaktische  Wirkung  gegenüber 
Leukocyten  (Pfeffer1)).  Diese  BucHNER'schen  Experimente 
geben  eine  genügende  Erklärung  für  die  Erscheinungen  der 
durch  Bakterien  hervorgerufenen  Eiterungen.  Wir  wissen  durch 
die  systematische  Untersuchung  der  natürlich  vorkommenden  pyogenen 
Prozesse  beim  Menschen  und  beim  Tier,  dass  für  dieselben  nicht  nur 
die  sogenannten  Eitermikroorganismen  (Staphylokokken,  Streptokokken) 
in  Betracht  kommen,  sondern  noch  eine  grosse  Anzahl  anderer  Bak- 
terien, unter  denen  sich  manche  befinden,  die  wir  gewohnt  sind  als 
Erreger  anderer  Arten  von  Entzündung  und  sogar  als  Septikämieerreger 
zu  betrachten.  Der  Tierversuch  unter  verschiedenen  Verhältnissen  hat 
die  Reihe  dieser  Mikroorganismen  noch  erheblich  vergrössert. 

Das  gemeinsame  Merkmal  aller  dieser  Eiterungen  ist, 
dass  sie  an  Stellen  entstehen,  wo  Bakterien  in  grösserer  An- 
zahl zugrunde  gehen.  Die  genaue  histologische  Verfolgung  des 
örtlichen  Prozesses  lehrt,  dass  die  Bakterien  auf  dem  Höhepunkt 
ihrer  Wucherung  allerdings  schon  zellige  Exsudationen  verursachen, 
dass  diese  sich  aber  erst  nach  dem  Ueb erschreiten  dieses  Maximums  der 
Entwicklung,  d.  h.  beim  Beginn  des  Absterbens  der  Keime  in  lebhafterer 
Weise  einstellen.  Die  Umwandlung  der  harten  Entzündungsgeschwulst 
in  den  fluktuierenden  Abscess,  z.  B.  bei  Staphylokokkeninfektion,  fällt 
mit  diesem  Stadium  zusammen.    Die  Septikämieerreger,  z.  B.  der  Milz- 

1)  Vgl.  S.  402.  Ähnlich  den  Bakterienproteinen  wirken  nach  Buchner 
Pflanzenkasei'ne  und  Alkalialbuminate  stark  chemotaktisch  und  entzündungs- 
erregend, nicht  dagegen  —  oder  in  geringerem  Grade  —  die  meisten  Produkte 
der  Eiweisszersetzung.  Die  starken  chemischen  Reizmittel,  die  unter  Umständen 
ohne  Beihilfe  von  Bakterien  Eiterung  zu  bewirken  imstande  sind,  wie  Ammoniak, 
Terpentinöl,  Krotonöl,  Quecksilber  u.  s.  w.  (Leber  a.  a.  0.;  Uskofp,  V.  86;  Orth- 
mann,  V.  90;  Councilman,  V.  92;  Grawitz  und  de  Bary,  V.  108  u.  110;  Christmas, 
P.  88;  Steinhaus  a.  a.  O.;  P.  Kaupmann,  A.  P.27;  Poliakoff,  C.18.  2/3  u.A.  gegen 
Straus,  S.  B.  83;  Klemperer,  Z.M.10;  Scheurlen,  A.  Ch.32  u.  F.  87. 23)  sollen  nach 
Buchner  nicht  direkt  chemotaktisch  wirken,  sondern  indirekt  durch  die  Produkte, 
die  aus  der  Schädigung  des  Gewebes  hervorgehen.  Leber  bezeichnet  dagegen  die  ein- 
zelnen Prozesse  von  der  Nekrose  bis  zur  Entzündung  als  direkte  Folgen  der  Reize. 
Letzterer  Autor  hat  übrigens  durch  beweiskräftige  Experimente  dargethan,  dass  die 
Verflüssigung  des  Gewebes  bei  der  Eiterung  nicht,  wie  man  früher  glaubte, 
durch  Enzyme  der  Bakterien  —  höchstens  bei  den  Staphylokokken  kämen  diese  ja  in 
Betracht  —  sondern  durch  enzymartige  Wirkung  der  Leukocyten  selbst  verur- 
sacht wird. 


Kruse,  Krankheitserregung.  281 

brandbacillus,  pflegen  im  empfänglichen  Tiere,  z.  B.  im  Meerschwein- 
chen, an  der  Infektionsstelle  keine  Eiterung  zu  verursachen,  weil  sie 
unaufhaltsam  weiter  wachsen.  Nur  die  Pneumokokken,  deren  Lebens- 
dauer innerhalb  wie  ausserhalb  des  Körpers  eine  sehr  beschränkte  ist,, 
machen  davon  eine  Ausnahme,  sie  erregen  durch  ihr  Absterben  eine 
starke  zellige  Exsudation,  die  oft  den  Namen  der  eitrigen  Infiltration 
verdient.  Dasselbe  gilt  von  den  Milzbrandbacillen,  wenn  sie  in  einem 
für  sie  ungünstigen  Terrain,  d.  h.  in  unempfänglichen  Tieren  (Ratten) 
sich  nicht  behaupten  können.  Da  wir  durch  Büchner  wissen,  dass 
gerade  die  Bakterienkörper  die  pyogenen  Subtanzen  enthalten,  erklären 
wir  uns  die  Eiterung  durch  Auslaugung  dieser  Stoffe  aus  den  ab- 
sterbenden oder  abgestorbenen  Bakterienindividuen  (vgl.  S.  335  ff.). 

Bei  dieser  Auffassung  lässt  sich  freilich  die  Auffassung  der  Eite- 
rung als  einer  spezifischen  Entzündungsform  nicht  beibehalten.  Sie 
entspricht  aber  auch  durchaus  nicht  den  thatsächlichen  Verhältnissen. 
Ueberall  sind  Uebergänge  zu  beobachten.  Beim  Erysipel  der  Haut 
z.  B.  ist  eine  eigentliche  makroskopisch  sichtbare  Eiterung  in  dem 
Gewebe  der  Cutis,  wo  die  Bakterien  Wucherung  stattfindet,  nicht  zu 
beobachten.  Dagegen  finden  sich  bei  mikroskopischer  Untersuchung 
reichliche  Anhäufungen  von  Eiterzellen  vor  und  zwar  gerade  an  den 
Stellen,  wo  die  Erysipelstreptokokken  nicht  mehr  üppig  wuchern,  son- 
dern sichtlich  im  Absterben  begriffen  sind.  Dieselben  Streptokokken 
erzeugen  beim  Menschen  im  subkutanen  Gewebe  grosse  Eiteransamm- 
lungen. Beim  Tier  kann  man  ebenfalls  beiderlei  Prozesse  künstlich 
hervorrufen.  Teilweise  ist  die  Lokalität  entscheidend:  das  straffe  Ge- 
webe der  Cutis  verträgt  keine  Eiterherde.  Andererseits  ist  aber  auch 
der  Virulenzgrad  und  die  Empfänglichkeit  des  Versuchstieres  von  Be- 
deutung, wovon  man  sich  gerade  leicht  bei  den  gewöhnlichen  Eiterungs- 
erregern überzeugen  kann. 

Es  ist  vorläufig  nicht  sicher  zu  sagen,  ob  die  entzündungs erregen- 
den Stoffe  der  Bakterienzelle  sich  qualitativ  im  wesentlichen  gleich 
verhalten,  quantitative  Unterschiede  ergeben  sich  für  die  einzelnen 
Bakterien  aus  der  verschiedenen  Schnelligkeit,  mit  der  die  „Proteine" 
aus  den  Bakterienleibern  ausgezogen  werden.  Beim  B.  pyocyaneus 
macht  die  Auslaugung  keine  Schwierigkeit,  beim  Tuberkelbacillus  ge- 
hört schon  eine  energische  Behandlung  dazu.  Die  Kenntnis  der  che- 
mischen Komposition  der  in  Rede  stehenden  Substanzen  ist  zunächst 
durch  Römer  (W.  K.  91.  45)  und  Büchner  (M.  91.  49),  die  eine  verein- 
fachte Ausziehung  der  „Proteine"  durch  Kochen  der  Kulturen  und 
Stehenlassen  bei  gewöhnlicher  Temperatur  gelehrt  haben,  ganz  besonders 
durch  Centanni  (D.  94.  7/8;  vgl.  auch  C.  286  ff.)  gefördert  worden. 
Aus  den  Angaben  des  letzteren  Forschers  wäre  zu  schliessen,  dass  die 


282  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

pyogene  Substanz  der  Bakterien  gar  nicht  zu  den  Eiweissstoffen,  freilich 
auch  nicht  zu  einer  anderen,  besser  bekannten  Gruppe  zu  rechnen  wäre. 

Für  manche  Mikroorganismen  sind  ausser  den  eben  besprochenen 
Stoffen  für  die  Entstehung  der  örtlichen  Wirkungen  sicher  noch  andere 
Substanzen  verantwortlich  zu  machen.  Die  Diphtheriebacillen  erzeugen 
z.  B.  ein  Gift  (vgl.  unt.  C),  das  sich  chemisch  schon  durch  seine  geringere 
Widerstandsfähigkeit  gegen  Hitze  und  andere  Agentien  von  den 
BüCHNERschen  Entzündungsgiften  unterscheidet.  Die  ausgesprochene 
nekrotisierende  Wirkung  der  Diphtheriemikroben  ist  auf  dieses  Produkt 
zurückzuführen.  Weniger  bedeutsam  sind  gewisse  bei  einzelnen  Bakterien 
nachgewiesene  Substanzen,  die  zu  den  Alkaloiden  (Ptomainen)  zu  rechnen 
sind,  z.  B.  das  Phlogosin  der  Staphylokokken  nach  Leber,  das 
Kadaverin  und  Putrescin  der  Cholerabacillen  und  Fäulnisbakterien 
nach  Brieger  (vgl.  S.  292).  Obwohl  es  nach  den  Arbeiten  von  Leber, 
Grawitz  und  Scheurlen  (s.  Anm.  S.  280)  nicht  zweifelhaft  sein  kann, 
dass  die  genannten  Produkte  erhebliche  örtliche  Wirkungen,  Nekrosen 
und  Eiterungen,  verursachen  können,  spielen  sie  dennoch  wegen  der 
Inkonstanz  ihres  Vorkommens  resp.  wegen  ihrer  cpuantitativ  unge- 
nügenden Sekretion  keine  wichtige  Rolle. 

Bezüglich  der  Ursachen  der  Proliferation,  die  durch  Tuberkel-, 
Rotz-  und  Rhinosklerombacillen  u.  s.  w.  bewirkt  wird,  sind  wir 
bis  jetzt  über  die  schon  citierten  Experimente  von  Prudden  und 
Hodenpyl  (S.  279)  nicht  hinausgekommen. 

Aus  unserer  Darstellung  ergiebt  sich  wohl,  dass  ein  vielversprechen- 
der Anfang  gemacht  ist,  die  lokalen  Wirkungen  der  Bakterien  zu  er- 
klären, dass  aber  die  Forschung  noch  sehr  ins  Einzelne  zu  gehen  hat, 
um  die  „spezifischen"  Erscheinungen  der  lokalen  Infektion  auf  ihre 
Ursache  zurückzuführen. 

Dass  meistenteils  örtliche  und  allgemeine  Wirkungen  an  ein  und 
dieselbe  Substanz  gebunden  zu  sein  scheinen,  wird  der  folgende  Ab- 
schnitt ergeben. 

C.   Allgemeinwirkungen  der  Bakterien. 

Schon  seit  langer  Zeit  spricht  man  bei  Infektionskrankheiten  von 
örtlichen  und  allgemeinen  Symptomen,  erst  die  Bakteriologie  hat  uns 
aber  die  Mittel  an  die  Hand  gegeben  zur  sicheren  Unterscheidung 
derselben. 

Wir  wissen  jetzt,  dass  die  infektiösen  Bakterien  rein  lokal  wuchern 
und  dennoch  höchst  kräftige  Allgemeinwirkungen  entfalten  können. 
Heutzutage  zweifelt  zwar  Niemand  mehr  daran,  dass  solche  Effekte  nur 
durch  die  Verbreitung  gelöster  Substanzen  von  der  Stelle  der  Infektion 


Kruse,  Krankheitserregung.  283 

aus  zustande  kommen  können,  dass  also  mit  anderen  Worten  die 
Infektion  immer  begleitet  ist  von  einer  Vergiftung,  es  ist 
aber  nützlich,  daran  zu  erinnern,  dass  diese  Anschauung  sich  erst  all- 
mählich hat  Bahn  brechen  müssen.  Auch  bei  den  Septikämien,  d.  h. 
denjenigen  Krankheiten,  deren  Erreger  in  grossen  Massen  und  gleich- 
massig  über  das  ganze  Blutgefässsystem  verteilt  sind,  muss  man  der- 
artige Gifte  voraussetzen,  der  Unterschied  besteht  gegenüber  den  ört- 
lichen Infektionen  nur  darin,  dass  die  Giftstoffe  der  septikämischen 
Bakterien  einen  kleineren  Weg  zu  machen  haben,  um  die  empfindlichen 
Elemente,  nämlich  die  Nervenzellen,  Nervenfasern,  Epithelien  u.  s.  w. 
zu  beeinflussen.  Gerade  bei  diesen  „Allgemeininfektionen"  hat  man 
sich  übrigens  noch  bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  bemüht,  die  Annahme 
giftiger  Bakterienprodukte  zu  umgehen.  Einerseits  hat  man  darauf 
hingewiesen,  dass  bei  manchen  dieser  Krankheiten,  z.  B.  beim  Milz- 
brand, eine  so  massenhafte  Bakterienentwicklung  im  Blute  stattfindet, 
dass  sich  dadurch  mechanische  Hindernisse  der  Cirkulation,  die  nicht 
ohne  schädlichen  Einfmss  auf  die  Thätigkeit  dazugehöriger  Zellterri- 
torien bleiben  können,  ergeben. 

Die  Bedeutung  solcher  mechanischen  Momente  soll  nicht  unter- 
schätzt werden,  sie  ist  aber  gerade  bei  der  Septikämie  lange  nicht  so 
hoch  anzuschlagen,  wie  bei  der  Pyämie  (vgl.  S.  273).  Hier  kommt  es 
allerdings  oft  genug  vor,  dass  durch  Bakterienzooglöen,  die  von  einem 
Venenthrombus  oder  vom  Endokardium  losgerissen  werden,  kleinere  oder 
grössere  arterielle  Gefässgebiete  vollständig  verstopft  werden.  Infarkte, 
ischämische  Erweichungen,  Abscesse  sind  die  Folge  davon,  Prozesse, 
die  je  nach  ihrer  Lokalisation  verschiedene  Bedeutung  für  den  Körper 
haben.  Solche  Effekte  werden  durch  Metastasen  der  Krankheits- 
erreger verursacht,  sie  sind  nicht  Allgemeinwirkungen  im  gewöhn- 
lichen Sinne. 

Andererseits  hat  man  geglaubt  annehmen  zu  dürfen,  dass  die  un- 
gemein lebhafte  Bakterienvegetation  bei  Septikämien  durch  Nahrungs- 
entziehung auf  die  Körperzellen  einen  schädlichen  Einfmss  ausüben 
könnte.  Abgesehen  davon,  dass  die  allgemeinen  Symptome  der  Infektion 
nicht  mit  denen  der  Inanition  übereinstimmen,  erscheint  eine  solche 
Schätzung  der  in  den  Gefässen  befindlichen  Bakterienmasse  und  ihres 
Stoffwechsels  denn  doch  sehr  übertrieben.  Nur  ein  anderer  Ausdruck 
für  „Bakteriengifte"  ist  es  schliesslich,  wenn  man  die  schädlichen  All- 
gemeinwirkungen der  Septikämieerreger  auf  die  Zersetzungstoffe,  die 
sie   durch  ihren  Vegetationsprozess  im  Körper  erzeugen,  zurückführt. 

Die  vorstehende  Erörterung  würde  überflüssig  sein,  wenn  wir  schon 
bei  allen  Infektionen  imstande  wären,  die  giftigen  Produkte  ihrer  Er- 
reger unmittelbar  nachzuweisen.     Man  darf  sich  nicht  verhehlen,   dass 


2S4  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

dazu  bis  jetzt  nur  ein  Anfang  gemacht  ist.  Das  Ziel  ist  allerdings  er- 
reicht bei  zwei  Krankheiten,  die  sich  durch  ein  besonders  starkes  und 
charakteristisches  Gift  auszeichnen:  beim  Tetanus  (Kitasato,  Z.  10)  und 
bei  der  Diphtherie  (Roux  u.  Yersin,  P.  88  u.  89;  Löefler, D. 90. 5/6 ; 
Brieger  u.  C.  Fränkel,  B.  90.  11/12).  Es  gelingt  hier  durch  Kul- 
turen der  spezifischen  Mikroorganismen,  die  keine  lebenden  Keime 
mehr  enthalten,  und  auch  durch  daraus  auf  chemischem  Wege  her- 
gestellte Präparate  das  Vergiftungsbild  zu  reproduzieren,  das  durch 
die  Bakterien  selbst  im  Tier  und  im  Menschen  erzeugt  wird.  Die 
selben  Giftstoffe  konnten  auch  aus  dem  Blut  und  den  Sekreten  an  natür- 
licher oder  künstlicher  Infektion  gestorbener  Tiere  und  Menschen  darge- 
stellt werden  (Wassermann  u.  Proskauer,  D.  91.  17;  Immerwahr,  D.  91. 
30).  Bei  der  Cholera  besteht  die  Schwierigkeit,  dass  die  Infektion  sich 
nur  unvollkommen  experimentell  reproduzieren  lässt,  dementsprechend  ist 
der  Erfolg  der  vielfachen  Bemühungen,  das  Choleragift  darzustellen  J), 
nicht  unzweifelhaft.  In  noch  höherem  Grade  gilt  dasselbe  vom  Typhus.2) 
Der  Anerkennung  der  experimentell  erhaltenen  Cholera-  und  Typhus- 
gifte steht  in  den  Augen  mancher  Forscher  besonders  der  Umstand  ent- 
gegen, dass  durch  viele  andere  Bakterien  und  ihre  Produkte  (vgl.  Hueppe, 
B.  92. 17;  Klein,  C.  13. 13  u.  15.  16;  Sobernheim,  R.  93. 22  und  besonders 
Centanni,  D.  94.  7  u.  8)  ganz  ähnliche  Symptomenkomplexe  hervor- 
gerufen werden  können.  Die  Identität  dieser  Gifte  wird  zwar  z.  B. 
von  Sanarelli  (P.  94.  6)  und  Gamaleia  (A.  E.  92)  auf  Grund 
bestimmter  biologischer  Reaktionen  geleugnet,  aber  selbst  wenn  sie 
in  weiter  Ausdehnung  bestände,  würde  das  unserer  Meinung  nach  nicht 
beweisen,  dass  man  nach  anderen  „spezifischen"  Giften  zu  suchen  hätte. 
Das  Beispiel  der  Cholera  zeugt  dafür,  dass  ein  und  dasselbe  klinische 
Krankheitsbild  durch  sehr  verschiedene  Agentien  nicht  nur  bakterieller 
(Choleraspirillen,  B.coli  communis,  Streptokokken,  Fleisch-  und  Käsegifte), 
sondern  sogar  anorganischer  Natur  (Arsenik)  erzeugt  werden  kann. 
Auch  die  Allgemeinerscheinungen  des  Typhus  sind  bekanntlich  nicht 
so  spezifisch,  dass  nicht  Verwechselungen  mit  anderen  Affektionen 
häufig  vorkämen.  Es  wäre  also  wohl  möglich,  dass  die  Gifte  des 
Cholera-  bez.  Typhuserregers  sich  von  denen  vieler  anderer  Bakterien 
gar  nicht  unterschieden.  Wenn  man  aber  fragt,  warum  z.  B.  die  Spirillen, 
die  so  oft  im  Wasser  gefunden  worden  sind  und  sich  im  Tierexperiment 


1)  Nicati  u  Rietsch  (C.  R.  99.  123),  Cantani  (D.  86.  45),  R.  Pfeiffer  (Z.  11), 
Petri  (A.  G.  6),  Gruber  (W.  K.  92.  48  u.  A.  15),  Scholl  (A.  15),  Gamaleia  (A. 
E.  92),  Sobernheim  (Z.  14),  Wesbrook  (P.  94.  5),  Hueppe  (B.  94.  17/18),  Klem- 
perer  (Z.  M.  25),  Sluyts  (Cell.  10). 

2)  Brieger  (B.  86.  18),  Sirotinin  (Z.  1),  Beumer  u.  Peiper  (Z.  1  u.  2), 
Brieger  u.  Fränkel  (B.  90.  12),  Sanarelli  (P.  94.  4  u.  6)  u.  A. 


Kruse,  Krankheitserregung.  285 

ganz  ähnlich  den  Cholerabakterien  verhalten,  beim  Menschen  keine 
Cholera  hervorrufen,  so  ist  zu  entgegnen,  dass  ihnen  eben  im  mensch- 
lichen Organismus  die  ausgesprochenen  infektiösen  Eigenschaften  der 
letzteren  fehlen,  d.  h.  sie  sind  nicht  imstande,  im  Darmlumen  und  auf 
dem  Darm  epithel  des  Menschen  sich  genügend  zu  vermehren,  um 
toxische  Wirkungen  auszuüben  (vgl.  Metschnikoee,  P.  93). 

Diejenigen  Bakterien,  die  so  stark  infektiös  sind,  dass  sie  beim 
Menschen  oder  bei  Tieren  Septikämie  erregen  können,  produzieren 
natürlich  nicht  so  heftige  Gifte,  wie  die  vorgenannten  Bakterien,  denn 
sonst  würden  sie  ihre  Wirte  töten,  bevor  sie  das  ganze  Blutgefäss- 
system  erfüllt  haben.  Deswegen  erscheint  es  paradox,  wenn  Selandee 
(P.  90)  und  Metschnikoee  (P.  9*2)  für  die  Hogcholerabacillen  die 
Angabe  machen,  dass  schon  verhältnismässig  geringe  Mengen  septi- 
kämischen  Blutes  von  damit  infizierten  Kaninchen  für  andere  Tiere 
gleicher  Art  eminent  toxisch  sind.  Bei  anderen  hierher  gehörigen  In- 
fektionen ist  der  Nachweis  von  Giften  nur  unvollkommen  geführt,  so 
von  Pastette  (C.  R.  90)  für  Hühnercholera,  von  Hoefa  (A.  Ch.  39) 
für  Kaninchenseptikämie,  von  Hoeea  (A.  Ch.  39),  Martin  (r:  J.  90.  159), 
Balp  u.  Caebone  (r:  J.  91. 147),  Hankin  u.  Wesbeook  (P.  92),  Aeloing 
(L.  280),  Maemiee  (P.  95.  7)  für  Milzbrand,  von  Bonabdi  (r:  J.  89), 
G.  u.  F.  Klempeeee  (B.  91.  35)  und  Keuse  u.  Pansini  (Z.  11)  für 
Pneumokokken1),  von  Meieeowitsch  (r:  J.  88.  39),  Maneeedi  u. 
Teaveesa  (G.  J.  88)  und  Rogeb  (S.  B.  91)  für  Streptokokken. 

Die  Angaben  der  genannten  Autoren  haben  nur  einen  beschränkten 
Wert,  so  ist  z.  B.  das  Milzbrandgift  Hankin's  und  Wesbeook's  nur 
schädlich  für  Ratten  und  Frösche,  nicht  für  andere  Tiere.  Öfter  sind 
die  quantitativen  Verhältnisse  nicht  genügend  berücksichtigt,  z.  B.  das 
„Pneumotoxin",  das  G.  u.  F.  Klempeeee  aus  1li  1  Bouillonkultur 
der  Pneumokokken  darstellten,  war  gerade  imstande,  ein  Kaninchen 
von  dem  dreifachen  Gewichte  (765  gr)  zu  töten! 

Der  B.  pyocyaneus,  der  in  der  Mitte  steht  zwischen  den  stark 
toxischen  Bakterien  und  den  Septikämieerregern,  erzeugt  nach  Chaeein 
(Maladie  pyocyanique.  Paris  1889)  in  seinen  Kulturen  Gifte,  die  die 
hauptsächlichsten  Symptome  der  Krankheit  reproduzieren. 

Die  metastasenbildenden  Bakterien  (s.S.  273)  veranlassen  im  allgemei- 
nen subakute  und  chronische  Affektionen,  bei  denen  die  Intoxikation  in  den 
Hintergrund  tritt.  Dass  aber  auch  Staphylokokken,  Tuberkel-  und 
Rotzbacillen  tötliche  Gifte  entwickeln  können,  beweisen  die  akuten, 


1)  Emmerich  u.  Tsuboi  (Verh.  d.  XL  Kongr.  f.  inn.  Mediz.  92)  konnten  durch 
Verarbeitung  ganzer,  an  der  Infektion  verstorbener  Tiere  überhaupt  keine  Gift- 
substanz extrahieren. 


286  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

durch  sie  verursachten  Infektionen  (Pyämie  in  ihren  verschiedenen 
Formen,  die  Miliartuberkulose,  der  akute  Rotz).  Der  Nachweis  der 
wirksamen  Substanzen  ist  für  die  Staphylokokken  am  schwierigsten, 
nach  ihren  besten  Kennern,  Rodet  u.  Cottrmont  (Re.  93.  2),  deswegen, 
weil  ihre  Produkte  eine  sehr  variable  Zusammensetzung  haben  (vgl. 
ferner  Brieger  u.  Fränkel,  B.  90.  12;  Nannoti,  C.  15.  17;  Nissen, 
D.  92.  2).  Die  Gifte  der  Tuberkelbacillen  sind  namentlich  durch  R.  Koch 
(D. 90. 46a)  und  Maeettcci  (CR  90),  die  der  Rotzbacillen  durch  V.  Bares 
u.  A.  (s.  J.  91  u.  92)  bekannt  geworden. 

Von  den  Produkten  saprophytischer  Mikroorganismen,  die  nicht 
blos  im  Experiment,  sondern  auch  unter  natürlichen  Verhältnissen,  z.  B. 
bei  Einfuhr  verdorbener  Nahrungsmittel  (Fleisch,  Fisch,  Mais,  Kinder- 
milch, Käse),  bei  Stagnation  des  Darminhalts,  bei  Perforationen  des 
Magen-Darmkanals,  bei  fauligen  Zersetzungen  im  Uterus,  auf  Wunden 
u.  s.  w.  in  Betracht  kommen,  sind  schädliche  Wirkungen  seit  Panum's 
berühmten  Untersuchungen  oft  konstatiert  worden.1)  — 

Gehen  wir  zur  Besprechung  der  einzelnen  Erscheinungen  über,  so 
steht  in  erster  Linie  das  Fieber  als  dasjenige  Symptom,  das  allen  in- 
fektiösen Krankheiten  ohne  Ausnahme  zukommt.  Die  klinische  Erfah- 
rung hat  das  schon  lange  gelehrt,  und  die  bakteriologische  Forschung 
hat  es  bestätigt,  nicht  in  dem  Sinne,  dass  ein  Infektionserreger  unter 
allen  Umständen  febrile  Temperatursteigerungen  erzeugen  muss  — 
das  Gegenteil  lehrt  schon  der  Milzbrand  unserer  Versuchstiere  und  die 
unkomplizierte  chronische  Lungentuberkulose  des  Menschen  — ,  sondern 
dass  er  unter  bestimmten  Verhältnissen  die  Fähigkeit  dazu  besitzt. 
Erste  Bedingung  dafür  ist,  dass  die  fiebererregenden  Stoffe  in  ge- 
nügender Menge  erzeugt  werden  —  ein  kleiner  Furunkel  verläuft 
fieberlos,  mehrere  und  grössere  Furunkel  können  selbst  beträcht- 
liche Temperatursteigerungen  veranlassen.  Zweitens  darf  der  tem- 
peraturerhöhende Einfluss  nicht  durch  entgegengesetzt  wirkende  Mo- 
mente aufgehoben  werden.  Bei  einer  Reihe  experimenteller  Infek- 
tionen unserer  kleinen  Versuchstiere  kann  man  einen  deutlichen 
Unterschied  konstatieren,  je  nachdem  die  Krankheit  schnell  oder  lang- 
sam verläuft:  im  ersteren  Fall  tritt  häufig  kein  Fieber  auf,  sondern 
recht  schnell  sogar  ein  Abfall  der  Körperwärme;  im  zweiten  Fall  um- 
gekehrt eine  kürzere  oder  längere  Periode   der  Temperatursteigerung, 


1)  Vgl.  Brieger' s  Untersuchungen  über  Ptomaine  18S5— 86  u.  D.87.  22,  Vau- 
ghan,  A.  7;  Nielsen,  r:  J.  92;  Kijanizin,  Viertelj.  f.  gericht.  Med.  92;  Hauser, 
Fäulnisbakterien.  Leipzig  85;  Brunner,  M.  95.  5;  E.  Levy,  A.  P.  34.  5/6;  Gärtner, 
r:  J.  88.  249;  van  Ermenghem,  r:  J.  92.  285;  Paltauf  u.  Heider,  W.  J.  88; 
Flügge,  Z.  17.  2,  Fischel  u.  Enoch,  F.  92.  Vgl.  auch  den  Pellagrabacillus,  Bac. 
der  bittern  Milch,  die  Gruppe  des  Proteus,  des  B.  coli  in  Bd.  IL 


Kruse,  Krankheitserregung.  287 

der  dann  der  Abfall  folgt.  Beschleunigend  für  die  Infektion  wirken 
grössere  Dosis  des  Virus  und  die  Wahl  einer  Infektionsstelle,  von  der 
aus  die  Resorption  schneller  erfolgt  (Peritoneum).  Man  kann  sich  den 
Vorgang  entweder  so  vorstellen,  dass  im  zweiten  Fall  die  fiebererregen- 
den Substanzen  von  antagonistisch  wirkenden  paralysiert  werden,  oder 
dass  eine  und  dieselbe  Substanz  in  geringer  Menge  temperaturerhöhend, 
in  grösserer  temperaturvermindernd  wirkt.  Für  die  intraperitoneale  Injek- 
tion käme  vielleicht  noch  ein  chokartiger,  temperaturerniedrigender  Effekt 
mit  inBetracht.  Eine  sichere  Entscheidung  darüber  ist  noch  nicht  zu  liefern, 
denn  die  Isolierung  des  Fiebergiftes  lässt  noch  manches  zu  wünschen  übrig. 
Ein  grosser  Fortschritt  ist  freilich  durch  die  Untersuchungen  Centanni's 
(D.94.7u.8)  gemacht.  Derselbe  zieht  zur  Darstellung  seines  „Pyrotoxins" 
die  Bakterienkulturen  (auf  flüssigen  peptonlosen  Nährböden)  drei 
Stunden  bei  60°  und  ebenso  lange  bei  100°  aus,  scheidet  die  Bakterien- 
leiber durch  Filtration  ab,  dampft  das  Filtrat  ein,  fällt  mit  Alkohol, 
löst  in  Wasser,  dialysiert  24  Stunden  zur  Reinigung  von  fremden,  leicht 
dialysierbaren  Beimengungen  und  dann  mehrere  Tage  zur  Gewinnung 
einer  schwerer  dialysierbaren  Substanz,  die  aus  der  durch  das  Perga- 
ment gegangenen  Flüssigkeit  durch  Eindampfen,  wiederholte  Fällung 
mit  Alkohol  und  Lösung  in  Wasser  isoliert  wird.  Der  in  destilliertem 
Wasser,  leicht  sauren,  alkalischen,  salzhaltigen  Flüssigkeiten  lösliche, 
in  absolutem  Alkohol  unlösliche  Stoff  giebt  keine  Eiweissreaktionen, 
ist  kein  Ptomain.  Centanni  hat  ihn  aus  Kulturen  von  Pneumo-, 
Strepto-,  Staphylokokken,  aus  Milzbrand-,  Typhus-,  Kolon-,  Tetanus-,. 
Diphtherie-,  Influenza-,  Tuberkelbacillen,  Cholera-,  Finkler  -  Prior-, 
Metschnikoff-,  Deneke-Spirillen  und  einer  grösseren  Reihe  saprophy- 
tischer Bakterien  darstellen  können.  Die  chemischen  Eigenschaften 
des  Pyrotoxins  verschiedenen  Ursprunges  sind  nicht  nur 
gleich,  sondern  ebenso  die  physiologischen.  Das  Hauptsymptom 
besteht  in  einer  Temperaturerhöhung,  die  bei  gut  präpariertem  Pyrotoxin 
schon  in  zwei  Stunden  ihren  Höhepunkt  (41,5°)  und  ihr  Ende  erreichen, 
bei  schlecht  ausgezogenen  Kulturen  aber  tagelang  andauern  kann. 
Bemerkenswert  ist,  dass  der  Temperaturerhöhung  eine  Erniedrigung  der- 
selben (bis  zu  1,5°)  vorhergehen  soll.  Ausser  dieser  Beeinflussung  der 
Körperwärme  gehört  zu  den  Folgen  der  Pyrotoxineinspritzung  eine 
kräftige  Wirkung  auf  den  Verdauungsapparat,  die  sich  klinisch  in 
Diarrhöen,  anatomisch  in  Hyperämie  des  Darms,  Hypersekretion  der 
Schleimdrüsen  und  starker  Schwellung  der  Lymphfollikel  äussert. 
Namentlich  nach  grösseren  oder  wiederholten  Dosen  des  Giftes  tritt 
eine  ausgesprochene  Abmagerung  des  Körpers  ein.  Die  Herzaktion  ist 
beschleunigt,  die  Atmung  dyspnoisch,  das  Sensorium  benommen,  die 
Muskelkraft    geschwächt.      Die    örtlichen   Effekte    sind    entzündlicher 


288  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Natur;  Eiterung  bewirkt  das  Pyrotoxin  wegen  seiner  schnellen  Resor- 
birbarkeit  nur  bei  Prüfung  mittels  der  Kapillarröhrchen-Methode,  die 
zum  Nachweis  chemotaktischer  Wirkungen  im  Gebrauch  ist  (s.  S.  279), 
nicht  nach  Injektion  ins  Gewebe,  vielmehr  bemerkt  man  hier  oft  ein 
gelatinöses  Odem  und  Hämorrhagien. 

Diese  Angaben  Centanni's  über  das  Fiebergift  sind,  wenn  sie 
auch  in  vielen  Punkten  noch  der  Vervollständigung  und  Bestätigung 
bedürfen,  von  ausserordentlichem  Interesse.  Der  Autor  bemerkt  selbst, 
dass,  abgesehen  von  dem  „spezifischen"  Tetanus-,  Diphtherie-  und  In- 
fluenzagift, die  übrigen  bekannten  Giftwirkungen  durchaus  mit  denen 
seines  Pyrotoxins  übereinstimmen.  Die  Unterschiede  zwischen  den 
einzelnen  Bakterien  bestehen  hauptsächlich  in  der  grösseren  oder  ge- 
ringeren Schnelligkeit,  mit  der  das  Gift  innerhalb  der  natürlichen  Kul- 
turen in  Lösung  übergeht,  und  in  der  verschiedenen  Schwierigkeit,  die 
die  künstliche  Extraktion  des  Giftes  bietet.  Keinem  Zweifel  kann  es  unter- 
liegen, dass  die  wirksamen  Stoffe  ursprünglich  in  den  Bakterienzellen  ihren 
Sitz  haben,  sie  ähneln  in  ihren  örtlichen  wie  allgemeinen  Reaktionen 
den  Bakterienproteinen  Büchners  (s.  S.  279)  ausserordentlich.  Büch- 
ner hat  die  fiebererregende  Wirkung  seiner  Proteine  wohl  gewürdigt 
und  nicht  blos  durch  Versuche  am  Tier,  sondern  auch  am  Menschen 
nachgewiesen  (B.  90.  11  u.  47).  Eine  klassische  Demonstration  für  die 
Fieberwirkung  von  Bakterienprodukten  im  menschlichen  Körper  gab 
dann  R.  Koch,  der  mit  seinem  Tuberkulin  beim  Gesunden  ein  typi- 
sches Fieber  mit  allen  seinen  Nebenerscheinungen,  Schüttelfrost,  Übel- 
keit, Erbrechen,  Gliederschmerzen  u.  s.  w.,  erzeugen  konnte  (D.  90.  46a). 
Das  Tuberkulin  gehört  ebenso  wie  das  Mallein  (s.  J.  91  u.  92),  das 
in  gleicher  Weise  Fieber  verursacht,  nach  seiner  Darstellungsart  zu 
den  Bakterienextrakten  (vgl.  Römer,  B.  91.  51;  Buchner,  M.  91.  41), 
die  den  BüCHNERschen  Proteinen  und  dem  ÜENTANNi'schen  Pyrotoxin 
sehr  nahe  stehen.1) 

Ausser  dem  Symptomenkomplex,  der  gewöhnlich  als  Fieber  be- 
zeichnet wird,  bewirken  Proteine  wie  Bakterienextrakte  und  wahr- 
scheinlich auch  das  Pyrotoxin  eine  Beschleunigung  des  Lymph- 
stromes (Gärtner  und  Römer,  W.  K.  92.  S.  22)  und  akute  Leuko- 
cytose  (Römer,  V.  128;  Kanthack,  r:  C.  14.  573).  Durch  klinische 
Untersuchungen  haben  v.  Limbeck  (Z.  Heil.  89),  Rieder  (M.  92.  511), 
Everard  u.  Demoor  (r:  R.  94.  1)  das  Vorkommen  von  Hypo-  und 
Tlyperleukocytose   bei   einer  Reihe   von  Infektionen   festgestellt.     Die 

1)  Die  fiebererzeugende  Wirkung  von  Bakterienprodukten  (Streptokokken,  Pro- 
digiosus  etc.)  wurde  am  Menschen  ausser  von  Coley,  Rümpf  u.  A.  (s.  S.  315)  be- 
sonders von  Friedrich  (B.  95.  49/50)  studiert.  Nicht  selten  wurde  dabei  als  Begleit- 
erscheinung ein  doppelseitiger  „Intoxicationsherpes"  des  Gesichts  beobachtet. 


Kruse,  Krankheitserregung.  289 

Deutung  der  Erscheinung  ist  eine  verschiedene;  nach  Goldscheider 
und  Jakob  (Z.  M.  25.  5/6)  beruht  die  Hypoleukocytose  nicht  auf 
Zerstörung  von  weissen  Blutzellen,  sondern  auf  der  Zurückhaltung 
derselben  in  bestimmten  Gefässgebieten,  und  die  Hyperleukocytose 
nicht  auf  Neubildung,  sondern  auf  reichlicherem  Zufiuss  aus  demKnochen- 
mark.  Die  positiv  chemotaktischen  Eigenschaften  der  Bakterienprodukte 
spielen  dabei  wohl  die  Hauptrolle  (vgl.  S.  280). 

In  manchen  Infektionen  tritt  eine  Verminderung  des  Hämo- 
globingehalts des  Blutes  auf.  Bianchi-Mariotti  haben  eine  solche 
im  Tierversuch  bei  Injektion  filtrierter  Kulturen  immer  beobachtet, 
Fischel  u.  Adler  bei  Streptokokken  ein  besonderes  blutkörpertöten- 
des  Vermögen  gefunden  (Z.  Heil.  14.  4). 

Die  Fähigkeit,  Hämorrhagien  im  ganzen  Blutgefässsystem  zu 
erzeugen,  scheint  manchen  Mikroorganismen  spezifisch  anzuhaften 
(hämorrhagische  Septikämie  [Htjeppe,  B.  86.  44],  Typhus  und  hämor- 
rhagische Infektion  des  Menschen  vgl.  Bd.  II).  In  manchen  Fällen 
von  hämorrhagischer  Infektion  handelt  es  sich  wohl  um  Individuen, 
deren  Gefäss wände  zu  einer  gewissen  Brüchigkeit  disponiert  sind.  Nach 
Centanni  käme  übrigens  dem  Pyrotoxin  die  Eigenschaft  zu,  am  Orte 
der  Injektion  und  auch  sonst  im  Körper  (Darm)  Extravasate  her- 
vorzurufen. 

Der  ungünstige  Einfmss  der  Infektionen  auf  den  allgemeinen 
Ernährungsstand  ist  durch  klinische  und  experimentelle  Erfahrungen 
genügend  sichergestellt.  Auch  die  Bakterienprodukte  besitzen  diese 
Eigenschaft,  nicht  blos  die  lebenden  Bakterien.  Bei  Immunisierungs- 
versuchen macht  sich  diese  Nebenwirkung  leider  oft  allzu  intensiv  gel- 
tend; es  ist  das  offenbar  ein  allgemeines  Symptom  der  Bakterienver- 
giftung (vgl.  Centanni's  Pyrotoxin). 

Wahrscheinlich  lässt  sich  dasselbe  sagen  von  den  lokalen  Er- 
nährungsstörungen, den  parenchymatösen  Denegerationen  derinnern 
Organe  (Nieren,  Leber,  Herz),  die  die  Infektionskrankheiten  zu  begleiten 
pflegen.  Beim  Menschen  werden  sie  viel  häufiger  beobachtet  als  bei 
den  Versuchstieren,  vielleicht  deswegen,  weil  bei  den  letzteren  die 
Wirkungsdauer  des  Giftes  eine  kürzere  zu  sein  pflegt.  Sie  sind  aber 
auch  hier  öfters  konstatiert  worden  (vgl.  Fattlhaber,  Zi.  10;  Ribbert, 
D.  89.  39  u.  Staphylokokkuserkrankungen.  Bonn  91;  Charrin,  r:  J.  93. 
285;  Pernice  u.  Sclagiosi,  r:  C.  17.  13/14;  Roger,  r:  C.  15.  17).  Die 
schweren  Entartungen  der  Nieren,  die  bei  Cholera  vorkommen,  werden 
wohl  nicht  blos  auf  toxische  Einflüsse  zurückzuführen  sein,  sondern  we- 
sentlich auf  die  Ischämie.  Ganz  regelmässig  ist  der  Befund  einer  weit 
fortgeschrittenen  Degeneration  der  Leber  und  Nieren  bei  Intoxikation 
mit  Diphtheriegift.     Hiermit  sind  auch  nekrobiotische  Prozesse  in 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  19 


290  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

den  Lymphdrüsen,  Milz  und  hyaline  Veränderungen  der  Gefässwände 
verbunden  (Oertel,  Pathogenese  der  epidemischen  Diphtherie.  87;  Welch 
u.  Flexner,  r:  J.  91.  232;  Babes,  r:  J.  91.  231).  Vielleicht  erklären 
diese  letzteren  die  charakteristischen  Transsudationen,  die  bei  der  expe- 
rimentellen Diphtherie  im  Peritoneum  und  in  der  Pleura  beobachtet 
werden. 

Entzündliche  Vorgänge,  namentlich  in  den  Nieren  (kleinzellige 
Herde)  sind  den  pathologischen  Anatomen  bei  Infektionen  aller  Art 
bekannt  (vgl.  Faulhaber,  Zi.  10)  und  werden  auch  bei  experimen- 
teller Behandlung  von  Tieren  mit  bakteriellen  Giftstoffen  angetroffen 
(Pernice  und  Scagliosi,  r:  C.  17.  13/14;  K.  Müller,  Rattenmilz- 
brand: F.  93,  Masur  u.  Kockel,  Zi.  16;  Bonhoff,  R.  96.  3).  Manche 
Autoren  sind  geneigt,  die  Häufigkeit  der  Nierenveränderungen  da- 
durch zu  erklären,  dass  diese  Organe  hauptsächlich  die  Ausscheidung 
nicht  nur  der  gelösten  Gifte,  sondern  auch  der  Bakterien  selbst  be- 
sorgen. Das  letztere  ist  aber  doch  recht  zweifelhaft,  nach  Wyssoko- 
witsch  (Z.  1.  32 — 33)  scheint  es,  als  ob  Leber,  Milz  und  Knochenmark 
viel  besser  imstande  wären,  die  Bakterienleiber  zurückzuhalten,  als  die 
Nieren  (vgl.  dies.  Kap.  u.  M). 

Chronische  fibröse  Entzündungen  sind  als  Folgekrankheiten 
von  Infektionen  beim  Menschen  nicht  selten  und  auch  experimentell  in 
seltenen  Fällen  konstatiert  worden,  z.  B.  cirrhotische  Zustände  in  der  Leber 
nach  Pneumokokkeninfektion  (Banti,  Z.  11.  347).  Man  wird  nicht 
fehlgehen,  wenn  man  hierbei  eine  direkte  Wirkung  von  Bakterien  oder 
deren  Produkten  ausschliesst  und  die  Bindegewebsentwicklung  als  eine 
vikariierende  auffasst,  die  zum  Ersatz  von  durch  Degeneration  verloren 
gegangenem  Drüsenparenchym  eintritt. 

Die  Bedeutung  der  Bakteriengifte  für  das  Nervensystem  ist 
von  der  Schule  Bouchard's  u.  Arloing's  zum  Gegenstand  eingehen- 
der Studien  gemacht  worden.  Die  Nerven  des  Cirkulationsapparates 
unterliegen  besonders  mannigfachen  Einflüssen. 

Zuerst  wurde  von  Charrin  u.  Gley  (A.  Ph.  90  u.  91)  eine  lähmende 
Wirkung  der  Pyocyaneusprodukte  auf  die  Vasoclilatatoren  beobachtet, 
und  zwar  waren  die  flüchtigen  Substanzen  aus  den  Kulturen  die  wirk- 
samen. Dann  entdeckten  Bouchard  u.  Arloing  (C.  R.  1891)  beim 
Tuberkulin  die  entgegengesetzte  Eigenschaft,  d.  h.  einen  gefässerweitern- 
den  Effekt.  Rodet  u.  Courmont  (Re.  93.  2)  fanden  bei  demjenigen 
Teil  der  Staphylokokkenprodukte,  der  in  Alkohol  löslich  ist,  eine  intensiv 
lähmende  Wirkung  auf  das  Herz  und  die  sensiblen  Nerven,  bei  dem 
durch  Alkohol  fällbaren  Teil  eine  beschleunigende  Wirkung  auf  das 
Herz  und  eine  Steigerung  der  Reflexerregbarkeit  bis  zum  Tetanus. 
Roger  konstatierte  bei  dem  Bac.  septicus  putidus  und  Proteus  vulgaris 


Kruse,  Krankt eitserregung.  291 

eine  verlangsamte,  aber  kräftige  Herzaktion  durch  die  mit  Alkohol  ge- 
fällten Substanzen  (A.  Ph.  93).  Nach  Guinabd  u.  Aetaud  j)  verursachen 
die  sterilisierten  Produkte  des  Pneumobacillus  liquefaciens  bovis  und  des 
B.  heminecrobiophilus  Erniedrigung  des  Blutdrucks  durch  Reizung 
der  Vasodilatatoren  mit  starker  Kongestion  der  Darmgefässe,  Erbrechen 
und  Diarrhoe.  Wir  erinnern  hier  daran,  dass  auch  Centanni  eine 
ähnliche  Wirkung  seines  Pyrotoxins  gesehen  hat.  Solche  Darmer- 
scheinungen spielen  überhaupt  bei  bakteriellen  Vergiftungen "  sowohl 
wie  bei  der  Infektion  eine  grosse  Rolle;  sie  sind  für  Pneumokokken  von 
Keuse  u.  Pansini  (Z.  1.1),  für  Streptokokken  von  Pasquale  (Zi.  12),  für 
die  Gruppe  des  Typhusbacillus  und  B.  coli  von  Sieotinin  und  vielen  An- 
deren (Z.  1),  für  den  Diphtheriebacillus  von  Couemont  u.  Doyon  (S.  B.  95) 
sichergestellt.  Eine  Vermehrung  der  schleimigen  Darmsekretion  findet 
dabei  vielfach  statt.  Ihr  zur  Seite  zu  stellen  ist  die  Hypersekretion 
derSchweiss-  und  Speicheldrüsen,  die  Aetaud  (s.o.)  und  Cadiot  u.  Rogee 
(S.  93.  45)  nach  Injektion  von  Bakteriengiften  gefunden  haben. 

Palpable  Veränderungen  (Degeneration)  an  den  peripheren  Nerven 
und  dem  centralen  Nervensystem  im  Gefolge  von  Infektionskrankheiten 
sind  vielfach  nachgewiesen.2)  Dahin  gehören  z.  B.  die  Nervenverände- 
rungen, die  als  Ursache  der  diphtherischen  Lähmungen  des  Menschen 
auftreten.  Bei  der  experimentellen  Diphtherie  kommen  ähnliche  Läh- 
mungen vor,  müssen  aber  erst  noch  anatomisch  erklärt  werden  (vgl.Bd. II). 
Paralytische  Zustände  progressiver  Natur,  die  als  Nachkrankheit  bei 
anderen  Infektionskrankheiten  (LANDEv'sche  Paralyse3))  vorkommen, 
hat  man  neuerdings  auf  Myelitis  zurückführen  und  auch  experimentell 
z.  B.  durch  Streptokokken  (Rogee,  P.  92.  6;  Boueges,  A.  E.  93;  Widal 
u.  Bezancon,  S.  95.  5)  und  Kolonbacillen  (Gilbeet  u.  Lion,  S.  B.  92. 
283)  erzeugen  können.  Chaeein  beschreibt  eine  durch  Pyocyaneus- 
produkte  verursachte  Affektion  des  Kaninchens  als  spastische  Paralyse 
mit  erkennbarer  Muskelatrophie,  Urinretention,  trophischen  und  sensiblen 
Störungen,  ohne  auf  die  Anatomie  derselben  einzugehen  (S.  95.  27). 

Die  spastischen  Erscheinungen  bei  Einverleibung  von  Bestand- 
teilen der  Staphylokokkuskulturen  (Rodet  u.  Couemont)  wurden  oben 
erwähnt,  sie  werden  bei  Injektion  der  ganzen  Kulturen  durch  anta- 
gonistische, lähmende  Wirkungen  verdeckt,  wenn  auch  nicht  völlig  auf- 
gehoben. Vielleicht  ist  dasselbe  der  Fall  beiderPneumokokkeninfektion; 
Keuse  u.  Pansini   haben   wenigstens  aus   dem  Blute  infizierter  Tiere 


1)  Artatjd,  Les  toxines  microbiermes.    Paris  95. 

2)  Ygl.  Ziegler's  Patholog.  Anatomie.  8.  Aufl.    Bd.  IL    1895. 

3)  Vgl.  die  Referate  über  die  Myelites  infectieuses  auf  d.  Kongr.  f.  inn.  Mediz. 
in  Paris  (S.  95.  40). 

19* 


992  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ein  Gift  hergestellt,  das  starke  klonische  Krämpfe  erregte  (Z.  11.  345). 
Ein  rein  tetanisches  Gift  wird  dagegen  bekanntermassen  vom  Tetanus- 
bacillus  erzeugt;  Gumprecht  (Pf.  59  u.  D.  95.  42;  ibid.  Litt.;  vgl.  auch 
Goldscheider,  D.  95.  44)  hat  dessen  physiologischen  Effekte  unter- 
sucht und  dabei  eine  nahe  Übereinstimmung  mit  dem  Strychnin  ge- 
funden. Nach  ihm  scheint  es  direkt  auf  die  refiexerregenden  Nerven- 
zellen des  Rückenmarks  zu  wirken.  Beek  (r:  C.  W.  95.  19)  will 
sogar  erhebliche  degenerative  Veränderungen  derselben  gefunden 
haben.  Mit  dem  Strychnin  verglichen  ist  das  Tetanusgift  etwa 
100 mal  stärker,  schon  0,23  mgr  würden  genügen,  um  einen  Men- 
schen zu  töten  (Brieger  u.  Cohn,  Z.  15.  1).  Ein  eigentümliches  Ver- 
halten des  Tetanusgiftes  ist  von  Courmont  und  Doton  (S.  B.  93) 
behauptet  worden.  Schon  längere  Zeit  bekannt  war  die  Thatsache, 
dass  nach  Injektion  des  aus  Kulturen  gewonnenen  Giftes  eine  In- 
kubationszeit bis  zum  Eintritt  der  Wirkung  verfliesst,  die  je  nach 
der  Dosis  Stunden  bis  Tage  dauert.  Aus  den  Muskeln  tetanisierter 
Tiere,  weniger  aus  ihrem  Blut  und  Urin,  lässt  sich  aber  eine  Substanz 
ausziehen,  die  unmittelbar  nach  Art  des  Strychnins  wirkt.  Die  franzö- 
sischen Autoren  haben  darauf  die  Theorie  gegründet,  dass  in  den 
Kulturen  nur  ein  nicht  giftiger  Stoff  vorgebildet  sei,  der  nach  Art  eines 
Ferments  erst  im  Körper  des  Tieres  das  wirkliche  Gift  erzeuge. 
Das  letztere  unterscheide  sich  von  dem  ersteren  durch  seine  Rezistenz 
gegen  die  Siedehitze.  Enriquez  u.  Hallion  behaupten  ebenfalls  die 
Fermentnatur  des  Diphtheriegiftes  (S.  B.  94). 

"Wie  man  sieht,  sind  schon  eine  grössere  Zahl  interessanter  That- 
sachen  bezüglich  der  Wirkungen  der  Bakterien  bekannt  geworden. 
Es  wird  aber  noch  vieler  Arbeit  benötigen,  um  in  dem  Chaos  der 
Beobachtungen  Klarheit  zu  schaffen.  Die  Hauptschwierigkeit,  die  man 
sich  nicht  verhehlen  darf,  besteht  darin,  dass  es  mit  den  bisherigen 
physiologisch  -  chemischen  Methoden  nur  unvollkommen  gelingt,  be- 
stimmt charakterisierte  Substanzen  (vgl.  dies.  Bd.  S.  183 — 194)  aus  den 
giftigen  Bakterienprodukten  abzuscheiden. 

In  der  ersten  Zeit  der  chemisch -bakteriologischen  Forschung  er- 
schien das  Problem  verhältnismässig  leicht,  da  es  einer  Reihe  von  For- 
schern, unter  denen  besonders  Brieger1)  zu  nennen  ist,  glückte,  giftige, 
alkaloidähnliche  Stoffe,  sog.  Ptomaine  (Selmi, „Toxine"  Brieger' s)  aus 
Bakterienrein-  und  -Mischkulturen,  sowie  aus  dem  infizierten  Körper  zu 
gewinnen.  Allein  die  Zahl  derselben  blieb  eine  beschränkte:  wir  nennen 
das  Kadaverin,  Putrescin,  die  Brieger  aus  faulenden  Kadavern  und 


1)  Brieger,  Untersuchungen  über  Ptomaine.    Berlin  1S85 — 86.    I — III.     Vgl. 
auch  die  Übersicht  von  Schwalbe  in  D.  90.  36. 


Kruse,  Krankheitserregung.  293 

Cholerakulturen  darstellte  und  die  in  grossen  Dosen  giftig  sind,  in  kleine- 
ren Nekrose  und  Eiterung  bewirken  (Scheuelen,  F.  87.  23).  Giftiger  sind 
dasTyrotoxikon  Vaughan's  (aus  faulem  Käse;  A.  7),  die  ebenfalls  von 
Beiegee  gefundenen  Ptomaine  Neurin  und  Cholin  (aus  Kadavern), 
Gadinin  undMuskarin(aus  faulendenFischen),  Methylguanidin  (ans 
faulem  Pferdefleisch  und  Cholerakulturen),  Mytilotoxin  (aus  Mies- 
muscheln, die  in  faulem  Wasser  leben).  Aus  Typhuskulturen  isolierte  der- 
selbeForscher  das  Typhotoxin,  aus  Tetanuskulturen  dasTetanin,Te- 
tanotoxin  und  Spasmotoxin.  Hoefa  (A.  Ch.  39)  fand  das  Methyl- 
guanidin beiKaninchenseptikämie,  dasAnthracin  bei  Milzbrand,  Fol u. 
Bonome  (Z.  5)  das  N  eurin  in  Kulturen  des  B.  proteus  vulgaris,  Meieeo  witsch 
(r:  J.  88.  39)  ein  giftiges  Alkaloid  in  Streptokokkenkulturen,  Geieeith 
u.  Ladell  (C.  R.  113,  114  und  117)  eine  ganze  Reihe  solcher  im  Urin 
von  Scharlach-,  Diphtherie-,  Pneumonie-,  Masern-,  Keuchhusten-,  Rotz- 
und  Infiuenzakranken,  Lebee1)  das  stark  entzündungserregende  Phlo- 
gosin  in  Staphylokokkenkulturen. 

Leider  genügen  die  meisten  dieser  Stoffe  weder  quantitativ  noch 
qualitativ,  um  die  toxische  Wirkung  der  Mikroorganismen  zu  erklären. 
Dazu  kommt  die  Inkonstanz  der  Befunde,  die  gegen  die  gewonnenen 
Resultate  misstrauisch  machen  muss.  Eine  Fehlerquelle  besteht  für 
den  Fall,  dass  die  Darstellung  aus  dem  tierischen  Körper  (im  ganzen 
oder  aus  dem  Fleisch,  dem  Urin)  erfolgt,  in  dem  regelmässigen  Vor- 
handensein mehr  oder  weniger  giftiger  Alkaloide  (Leukomaine  Gautiee's) 
im  gesunden  Organismus  (Bouchaed  2)).  Ebenso  wichtig  ist  der  Um- 
stand, dass  durch  die  Methode  der  Behandlung,  durch  das  Eindampfen 
mit  Salzsäure  und  Ausziehen  mit  Alkohol,  aus  den  Substanzen  des 
Nährbodens  selbst  giftige  Alkaloide  entstehen  können  (das  Peptotoxin 
Beiegee's  aus  Eiweissstoffen  nach  Bottveeet  et  Devic,  Re.  92.  2;  das 
giftige  Neurin  aus  Cholin  nach  Geam,  A.  P.  20). 

Diese  Gründe  geben  Veranlassung,  nach  anderen  Substanzen  als  den 
Trägern  der  Giftwirkung  auszuschauen.  Roux  u.  Yeesin  (P.  88.  12) 
sowie  Löeelee  (D.  90.  5/6)  haben  aus  Diphtheriekulturen  zuerst  Stoffe 
dargestellt,  die  sie  als  eine  Art  Enzyme  bezeichnen,  weil  sie  in  Wasser 
und  Alkohol  löslich,  durch  Alkohol  fällbar  sind,  durch  Hitzegrade  von 
58 — 100  °  zerstört  werden.  Beiegee  und  C.  Feänkel  gingen  dieser 
Frage  weiter  nach  und  glaubten  (B.  90.  1 1/12)  das  Diphtheriegift  viel- 
mehr als  einen  den  Serumalbuminen  verwandten  Körper,  als  ein  Tox- 
albumin,  auffassen  zu  dürfen.  Ahnlich  sollten  sich  verhalten  die  Gifte 
des  Milzbrand-  und  Tetanusbacillus,  mehr  den  Globulinen  nahestehen 


1)  Leber,  Entstehung  der  Entzündung.    Leipzig  91.  p.  154ff. 

2)  Bouchard,  Autointoxications.  Paris  1887.    Vgl.  Albu,  D.  94.  1. 


294  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

die  des  Staphylokokkus  pyogenes  (vgl.  Christmas,  P.  88),  des  Typhus- 
bacillus  und  Choleraspirillum.  Für  den  Milzbrand  hatte  schon  früher 
Hankin  (B.  M.  89.  810)  die  Existenz  einer  giftigen  „Albumose" 
behauptet.  Petei  (A.  G.  6)  gewann  aus  Cholerakulturen  ein  Toxo- 
pepton,  Scholl  (B.  90.  41)  ein  Toxoglobulin  und  Toxopepton? 
Weyl  aus  Tuberkelbacillen  ein  Toxomucin  (D.  91.  7).  Von  einem 
anderen  Gesichtspunkt  ausgehend,  nicht  um  eine  spezifische  Giftwirkung 
zu  erhalten,  sondern  um  die  entzündungserregenden  Bestandteile  der 
Bakterien  zu  isolieren,  stellte  Buchnee  aus  allen  möglichen  Bakterien,  in- 
fektiösen und  saprophytischen,  durch  längeres  Auskochen  mit  verdünnter 
Kalilauge,  wie  sie  schon  von  Nencki  zur  Gewinnung  seines  Mukoprotein 
benutzt  war,  alkalialbuminatähnliche  Stoffe  dar,  die  er  Bakterien- 
proteine (s.  S.  279)  nannte.  In  ihrer  Wirkung  den  letzteren  ähnlich, 
aber  durch  einfaches  Auskochen  der  Bakterienleiber  hergestellt,  sind 
die  proteinhaltigen  Bakterienextrakte  JRömee's  (W.  K.  91.  45) 
und  Buchnee's  (M.  91.  49)  chemisch  dadurch  unterschieden,  dass 
diese  Proteine  bei  schwachem  Ansäuern  nicht  gefällt  werden. 
Gamaleia  (A.  E.  92.  4)  will  zweierlei  Arten  von  Eiweisskörpern  in 
Cholerakulturen  unterscheiden:  das  spezifische  Gift,  ein  „Nukleoalbu- 
min",  das  durch  Hitze  unschädlich  gemacht  wird,  und  eine  einfach 
entzündungserregende  Substanz,  ein  Nuklein,  das  starke  Hitzegrade 
verträgt.  Beide  Stoffe  sitzen  in  den  Bakterienleibern  und  müssen  ihnen, 
wenn  sie  zur  Wirkung  gelangen  sollen,  entzogen  werden.  Diese 
GAMALEiA'schen  Gifte  erinnern  an  das  primäre  und  sekundäre  Cholera- 
gift R.  Pfeiefee's  (Z.  11),  die  dieser  Autor  nur  nicht  chemisch  näher 
charakterisiert  hat  (vgl.  auch  Klempeeee,  Z.  M.  25.  5/6). 

Aus  diesen  Arbeiten  könnte  man  den  Schluss  ziehen,  dass  die 
Bakteriengifte  zu  den  Eiweisssubstanzen  gehörten,  indessen  haben  die 
Untersuchungen  der  letzten  Jahre  die  Irrigkeit  dieser  Folgerung  dar- 
gethan.  Schon  die  Inkonstanz  der  Giftausbeute  aus  gleichen  Kulturen 
durch  die  gleichen  Fällungsmittel  (Wasseemann  u.  Peoskauee,  D.  91. 17), 
ferner  die  scheinbare  Differenz  der  Gifte  bei  Kulturen  verschiedener 
Nährböden  sprechen  dafür,  dass  der  Niederschlag  nicht  nach  Art  einer 
chemischen  Reaktion  erfolgt,  sondern  dass  die  Gifte  durch  andere  ge- 
fällte Körper  in  grösserer  oder  geringerer  Menge  mechanisch  mit 
niedergerissen  werden,  wobei  sie  natürlich  die  Reaktionen  der  letzteren 
mit  aufweisen.  Dass  in  der  That  die  früher  erhaltenen  Eiweissreaktio- 
nen  der  Gifte  auf  solche  Beimischungen  zurückzuführen  sind,  haben 
neuerdings  Beiegee  und  Cohn  (Z.  15.  1)  für  Tetanus  und  Cholera, 
Beiegee  (Z.  19.  1)  für  Diphtherie,  Wesbeook  (P.  94.  5)  für  Cholera  sehr 
wahrscheinlich  gemacht.  Der  Nachweis  wird  dadurch  erleichtert,  dass 
man  nach  dem  Vorgange  von  Guinochet  (A.  E.  92. 4),  Uschinsky  (C.  14. 


Kruse,  Krankheitserregung.  295 

316),  Buchnee  u.  A.  eiweissfreie  Nährböden  benutzt.  Es  fehlen  auch  dann 
zwar  in  der  ausgewachsenen  Kultur  die  Eiweissstoffe  nicht  ganz,  da  die 
Bakterienkörper  solche  ausscheiden,  aber  durch  geeignete  Behandlung 
lassen  sich  diese  fast  vollständig  von  dem  Gifte  trennen,  so  dass  die  Ei- 
weissreaktionen  an  diesem  höchstens  noch  spurweise  auftreten  (vgl.  auch 
Beiegeeu.Boee,  Z.21.2).  Durch  diese  grössere  Reinigung  der  Giftsubstan- 
zen sind  wir  allerdings  noch  nicht  in  den  Stand  gesetzt,  über  ihre 
chemische  Natur  zu  entscheiden.  Charakteristisch  ist  für  das  Tetanus- 
und  Diphteriegift  namentlich  die  geringe  Widerstandskraft  gegen  höhere 
Temperaturen,  für  das  erstere  ausserdem  die  leichte  Zersetzlichkeit 
selbst  bei  niederer  Temperatur,  die  eine  längere  Konservierung  nur  im 
trockenen  Zustande  gestattet.  Das  Choleragift  und  ebenso  das  desTyphus- 
und  Kolonbacillus  reagieren  insofern  anders,  als  durch  Erhitzen  (auf 
100 — 120°)  zwar  ihre  Wirksamkeit  quantitativ  verringert,  aber  quali- 
tativ nicht  verändert  werden  soll  (Beleges,  Wesbeook1)).  Es  fragt 
sich,  welche  Deutung  dieser  Beobachtung  zu  geben  ist,  ob  durch 
die  höhere  Temperatur  eine  Umwandlung  des  kräftigen  (primären)  in 
ein  schwächer  wirksames  (sekundäres)  Gift  (Pfeiffee)  stattfindet,  oder 
ob  neben  dem  leichter  zerstörbaren  Gift  durch  die  Methode  der  Dar- 
stellung zugleich  ein  resistentes  gewonnen  wird. 

Dieses  letztere  würde  dann  vielleicht  mit  der  wirksamen  Substanz 
des  Bakterienproteins  (Buchnee),  der  protei'nhaltigen  Bakterienextrakte 
(Römee)  und  mit  dem  Pyrotoxin  Centanni's  (vgl.  S.  287  ff.)  zu  identifi- 
zieren sein.  Soweit  aus  den  vorliegenden  Angaben  ein  Schluss  gestattet 
ist,  sind  alle  diese  Körper  ihrer  Wirkung  nach  wesentlich  gleich.  Das 
CENTANNi'sche  Präparat  ist  nur  gegenüber  den  beiden  Proteinen  viel 
besser  gereinigt,  besonders  von  den  eiweissartigen  Beimischungen  so  gut 
wie  völlig  befreit. 

Das  Ergebnis  wäre  also  etwa  folgendes: 

Die  eigentlichen  Bakteriengifte  sind  weder  Alkaloide  noch 
Eiweissstoffe,  obwohl  giftige  Körper  der  ersteren  Gruppe  manchmal 
als  Nebenbefunde  in  Kulturen  konstatiert  worden  sind.  Man  kann 
nach  ihrer  Resistenz  gegenüber  der  Erhitzung  zweierlei  Arten  von 
Substanzen  unterscheiden.  Zu  den  weniger  widerstandsfähigen  gehört 
das  Tetanus-  und  Diphtheriegift  —  zweifellos  spezifische  Gifte  —  ferner 
die  primären  Gifte  des  Cholera-,  Typhus-  und  Kolonbacillus  (wie 
vielleicht  vieler  anderer  Bakterien?).  Ausserdem  werden  von  allen 
Bakterien  sekundäre  Gifte  gewonnen,  die  Temperaturen  von  100 — 120° 
vertragen,  und  die  möglicherweise  aus  den  primären  hervorgehen.    Wie 


1)  Nach  Gamaleia   (A.  E.  92.  4)   sind    allerdings    das    primäre  und   sekun- 
däre Gift  in  ihrer  Wirkung  ganz  verschieden. 


296  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

weit  dieselben  für  die  einzelnen  Mikroorganismen  spezifisch  sind,  muss 
noch  festgestellt  werden.  In  gewissen  Eigenschaften  (Erregung  von 
Fieber,  Entzündung)  stimmen  sie  mit  einander  überein.  Andererseits 
unterscheiden  sie  sich  durch  die  verschiedene  Zähigkeit,  mit  der  sie 
an  den  Bakterienkörpern  haften.  Dass  sie  an  die  letzteren  ursprüng- 
lich gebunden  sind,  folgt  aus  der  ganz  allgemeinen  Regel,  dass  junge 
Kulturen  meist  un  giftige  Filtrate  liefern  und  dass  mit  dem  Alter  der- 
selben die  Giftigkeit  der  Filtrate  wächst.  Da  das  Wachstum  in  den 
künstlichen  Nährböden  schon  früh  aufhört,  hat  man  Grund  anzuneh- 
men, dass  die  wirksamen  Substanzen  allmählich  aus  den  Leibern  aus- 
gelaugt werden. 

Neben  den  genannten  Stoffen  werden,  sei  es  in  den  Bakterien 
selbst,  sei  es  durch  Vermittlung  von  fermentativer  Thätigkeit  ausser- 
halb im  Substrat,  noch  andere  Substanzen  gebildet,  die  vielleicht  ge- 
wisse Eigentümlichkeiten  in  den  physiologischen  Wirkungen  der  einzel- 
nen Bakterienspezies  bedingen  helfen  (z.  B.  Ptomaine). l) 

Die  Beobachtung  Courmont  u.  Doyon's,  nach  der  das  Tetanusgift 
in  zweierlei  Formen  erscheinen  soll:  einer  labilen,  in  den  Kulturen 
enthaltenen,  die  sie  Ferment  nennen,  und  einer  resistenten,  dem  im  leben- 
den Körper  auftretenden  eigentlichen  Gift,  steht  vorläufig  isoliert  da. 
Der  Ausdruck  Ferment  passt  nicht,  da  die  Umwandlung  des  ursprüng- 
lichen Stoffes  der  Kulturen  in  Gift  seiner  ursprünglichen  Menge  streng 
proportional  erfolgt. 

Die  Eigenschaft  der  Bakterien,  prädisponierende,  vaccinierende  und 
heilende  Stoffe  zu  entwickeln  (Lysine,  Antilysine,  Antitoxine)  wird  un- 
ter J,  L  u.  P  in  diesem  Kapitel  erörtert  werden. 

D.   Einfluss  der  Menge  des  Virus. 

Der  Einfluss  der  Menge  der  -in  den  lebenden  Organismus  ein- 
geführten Bakterien  ist  ohne  weiteres  verständlich,  wenn  es  sich  um 
Saprophyten  handelt,  d.  h.  um  solche  Mikroorganismen,  die  sich  im  Körper 
ihres  Wirtes  nicht  vermehren,  aber  dennoch  durch  Produktion  giftiger 
Stoffe  (Proteine  Büchners;  allgemeines  Bakteriegift  Hueppe's;  Fiebergift 
Centanni's  s.  u.  C  S.  284 ff.)  schädlich  wirken  können.  Bei  Einspritzung 
geringer  Mengen  von  lebenden  oder  abgetöteten  Kulturen  solcher 
Bakterien  ins  Unterhautgewebe  von  Versuchstieren  entsteht  kaum  eine 
Reizung,  bei  grösseren  Mengen  eine  Entzündung,  die  sich  zurückbildet, 


1)  Hierher  gehört  auch  die  von  Cholerabakterien  in  Kulturen  häufig  gebildete 
salpetrige  Säure,  die  nach  der  Hypothese  Emmerich-Tsuboi's  (M.  93.  25/26)  das 
wesentliche  Agens  der  Choleravergiftung  darstellt.  Vor  der  Kritik  Pfeiffer's, 
Klemperer's  u.  A.  hat  diese  Vermutung  nicht  Stich  gehalten. 


Kruse,  Krankheitserregung.  297 

und  bei  noch  grösseren  Dosen  Eiterung.  Bei  intraperitonealer  Injektion 
derselben  Kulturen  entsteht  in  entsprechender  Steigerung  entweder  nur 
eine  Temperaturerhöhung  oder  eine  vorübergehende  Temperaturerhöhung 
mit  nachfolgendem  Abfall  oder  endlich  ein  bis  zum  Eintritt  des  Todes 
andauerndes  Sinken  der  Körperwärme.  Auf  kleine  Dosen  des  Fieber- 
giftes von  Centanni  reagieren  die  Tiere  mit  vorübergehender  Tempe- 
ratursteigerung und  geringer  Störung  des  Allgemeinbefindens,  auf  grosse 
mit  tagelang  währendem  Fieber  und  chronischem  Marasmus. 

Bei  den  infektiösen  Bakterien  werden  die  Verhältnisse  dadurch 
komplizierter,  dass  je  nach  der  Menge  des  eingeführten  Virus-  die 
Intensität  seines  Wachstums  im  Körper  eine  verschiedene  sein  kann.1) 
Zwar  die  stärksten  Infektionserreger  aus  der  Klasse  der  septikämischen 
und  metastasierenden  Bakterien,  z.  B.  der  Milzbrand-  und  Tuberkel- 
bacillus,  vermögen  die  empfänglichsten  Tiere  (Meerschweinchen)  nach- 
gewiesenermassen  schon  in  der  charakteristischen  Weise  zu  infizieren 
und  zu  töten,  wenn  nur  wenige  (z.  B.  bis  10)  lebende  Individuen 
subkutan  zur  Wirksamkeit  gelangen.  Auch  die  übrigen  Septikämie- 
erreger  (Pneunioniekokken.  Mäuse-,  Kaninchenseptikämiebacillen)  dürften 
oft  dazu  imstande  sein.  Aber  auch  bei  diesen  so  energischen  Bakterien 
macht  sich  allgemein  der  Einfluss  der  Menge  dadurch  bemerkbar,  dass 
je  grösser  die  Dosis,  desto  schneller  der  Infektionsverlauf 
ist.  Viel  grösser  ist  die  Bedeutung  der  ursprünglich  eingeführten 
Quantität  des  Virus,  wenn  dasselbe  eine  schwächere  Infektionskraft 
besitzt  oder  —  was  auf  dasselbe  hinausläuft  —  wenn  ein  kräftiges 
Virus  auf  weniger  empfängliche  Tiere  einwirkt.  Wählen  wir  als  Bei- 
spiel die  Wirkung  einer  wenig  virulenten  Pneumokokkenkultur  auf 
das  Kaninchen.  In  sehr  kleiner  Dosis  subkutan  eingespritzt,  macht 
sie  das  Tier  überhaupt  nicht  krank,  die  Bakterien  kommen  offenbar 
gar  nicht  zum  Wachstum;  nach  etwas  grösseren  Dosen  entsteht  durch 
sehr  begrenzte  Wucherung  der  Bakterien  eine  schwache  Entzündung, 
die  ohne  Spuren  resorbiert  wird.  Mittlere  Dosen  erzeugen  durch  er- 
hebliche, aber  doch  immerhin  lokal  begrenzte  Vermehrung  ein  starkes 
Exsudat,  das  in  Abscedierung  übergeht.  Grosse  Dosen  töten  das  Tier 
unter  den  Erscheinungen  der  Septikämie  (Kruse  u.  Pansini,  Z.  11). 
Sogar  ein  interessanter  Übergang  von  der  lokalen  Affektion  zur  Septikämie, 
nämlich  die  Metastasenbildung  (vgl.  S.  273),  kann  unter  Umständen  bei 
der  Diplokokkeninfektion  auftreten.  So  sahen  Fol  und  Boedoni- 
Ueeeedüzzi  (Z.  4)  bei  Kaninchen  multiple  eitrige  Gelenkentzündungen 


1)  Auf  den  Einfluss  der  Menge  des  Virus  hat  zuerst  besonders  aufmerksam 
gemacht  Chatjveatj  (C.  R.  90.  1526),  und  Watson  Cheyne  (Brit.  medic.  Journ.  86. 
31.  July)  hat  dieselbe  durch  Zählung  der  Keime  präzisiert. 


298  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

nach  intravenöser  Injektion  und  Kruse  u.  Pansini  nach  subkutaner 
beim  Meerschweinchen  ulceröse  Endocarditis  (Z.  11.  347).  Ganz  ähn- 
liche Verhältnisse  ergeben  sich  bei  der  Mehrzahl  der  übrigen  In- 
fektionserreger. Man  kann  den  Satz  aufstellen,  dass  dieselben  je 
nach  der  Dosis,  in  der  sie  zur  Wirkung  kommen,  entweder 
gar  nicht  im  Tierkörper  wachsen,  oder  lokal  sich  entwickeln, 
oder  an  mehreren  Körperste'llen  Lokalisationen  (Metastasen) 
bilden,  oder  im  Blute  selbst  zum  Wachstum  gelangen,  d.  h. 
Septikämie  erregen.  Dass  nicht  nur  die  Variation  der  Menge, 
sondern  auch  die  Schwankungen  des  Virulenzgrades  und  die  Wahl  der 
Eintrittspforte  einen  solchen  Einfluss  auf  den  Infektionsverlauf  haben, 
werden  wir  später  sehen. 

Bei  den  natürlichen  Infektionen  des  Menschen  und  der  Tiere  spielt 
die  Quantität  des  Infektionsstoffes  keine  so  deutliche  Rolle  wie  im  Tier- 
versuch, weil  die  ursprünglich  infizierende  Substanz,  soweit  unsere 
Kenntnisse  reichen,  stets  in  verhältnismässig  geringer  Menge  in  den 
Körper  gelangt.  Indessen  weisen  die  Erfahrungen,  die  bei  Laparotomien 
bezüglich  des  Eintritts  von  Infektionserregern  ins  Peritoneum  und  bei 
Infektionen  des  Blutes  von  älteren  Krankheitsherden  aus  gemacht  worden 
sind,  auf  die  Wichtigkeit  der  quantitativen  Verhältnisse  hin.  Je  nach 
der  Menge  der  auf  letztere  Weise  in  das  Blut  gelangten  Tuberkel- 
bacillen  und  Eiterkokken  ist  die  Verbreitung  und  Intensität  der  darauf 
folgenden  metastatischen  Affektionen  eine  verschiedene.  Die  Erfolge, 
die  andererseits  die  gründliche  Reinigung  des  Bauchfells  nach  Darm- 
oder Abscessperforationen  gehabt  hat,  sind  auch  nicht  dem  Umstände 
zu  verdanken,  dass  alle  in  die  Peritonealhöhle  hineingelangten  Krank- 
heitserreger weggeschafft  oder  abgetötet  werden  —  denn  das  wäre  wohl 
nur  ausnahmsweise  möglich  —  sondern,  dass  die  Zahl  derselben  bis 
auf  ein  unschädliches  Minimum  verringert  wird. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  uns  mit  der  Erklärung  für  den  mass- 
gebenden Einfluss  der  Menge  des  infektiösen  Virus  zu  beschäftigen 
(vgl.  Abschn.  P  in  dies.  Kap.).  Es  sei  nur  hervorgehoben,  dass  die  ange- 
führten Thatsachen  nicht  etwa  dadurch  erklärt  werden  können,  dass  man 
annehme,  je  grösser  die  Zahl  der  Bakterienindividuen  wäre,  desto  eher 
könnten  sich  darunter  Exemplare  von  besonderer  Virulenz  befinden.  Der 
Gegenbeweis  ist  leicht  zu  liefern.  Wenn  man  z.  B.  eine  Dosis  abge- 
schwächter Pneumoniekokken,  die  gerade  imstande  ist,  ein  Kaninchen  zu 
töten,  auf  mehrere  Tiere  verteilt,  so  erliegt  nicht  eines  davon,  wie  man 
nach  jener  Hypothese  annehmen  müsste,  sondern  alle  werden  nur  leicht 
affiziert.  Von  wesentlich  ungleichen  Chancen  der  einzelnen  Bakterienin- 
dividuen ist  also  nicht  die  Rede.  Etwas  anderes  ist  es,  wenn  die  Bakterien 
nicht  dem  Gewebe  des  Körpers  direkt  einverleibt  werden,  sondern  wenn  sie 


Kruse,  Krankheitserregung.  299 

Tom  Darmkanal  aus  eine  Infektion  erregen  sollen.  Dann  sind  die  Be- 
dingungen, zur  Wirkung  zu  gelangen,  allerdings  nicht  für  alle  ein- 
geführten Individuen  die  gleichen,  weil  nur  eine  kleine  Minderzahl  der- 
selben mit  dem  lebenden  Gewebe  in  Berührung  kommen  und  günstigen 
Falles  infektiös  werden  wird.  Dementsprechend  ist  auch  die  klinisch 
und  experimentell  (für  Cholera,  Typhus,  Milzbrand,  Tuberkulose)  sicher- 
gestellte Thatsache,  dass  eine  Steigerung  der  in  den  Darm  eingeführten 
Menge  des  Virus  die  Wahrscheinlichkeit  und  die  Ausdehnung  der  In- 
fektion erhöht,  leicht  zu  erklären. 

E.   Virulenzgrad. 

Bei  allen  Bakterien  lassen  sich  Schwankungen  ihres  pathogenen 
Vermögens  beobachten.  Nach  A (oben  S.272)  haben  wir  die  Infektiosität 
oder  Virulenz,  d.  h.  die  Fähigkeit  im  Tierkörper  zu  wachsen1),  von 
der  Giftproduktion  zu  unterscheiden.  Ein  Mass  der  Virulenz 
haben  wir  unter  D  kennen  gelernt,  nämlich  die  verschiedene  Aus- 
dehnung des  Wachstums  im  Tierkörper  je  nach  der  Menge 
des  Infektions  Stoffes.  Es  existieren  danach  etwa  folgende  Virulenz- 
stufen: 

1.  Kleine  Bakterienmengen  erzeugen  Septikämie  (z.  B.  Milzbrand  beim 
Meerschweinchen). 

2.  Kleine  Mengen  erzeugen  Lokalisationen  mit  Metastasen,   grössere 
Septikämie  (Rotz  bei  Feldmäusen). 

3.  Kleine  Mengen  erzeugen  einen  Lokaleffekt,  mittlere  daneben  Meta- 
stasen, grössere  Septikämie  (Pneumonie-  und  Streptokokken). 

4.  Kleine  Mengen    sind  nicht  wachstumsfähig,    mittlere  und  grosse 
bewirken  Lokalisationen  und  event.  Metastasen. 

■5.  Kleine  und  mittlere  Dosen  sind  nicht  wachstumsfähig,  grosse  ent- 
wickeln sich  nur  lokal. 
'6.  Auch  die  grössten  Mengen  von  Bakterien  sind  nicht  wachstums- 
fähig (Saprophyten). 

Der  grösste  Teil  der  infektiösen  Mikroorganismen  kann  diese  ver- 
schiedenen Virulenzgrade  darbieten,  einige  Bakterien,  z.  B.  die  Diphtherie- 
und  Tetanusbacillen,  können  dagegen  nur  zu  örtlicher  Wucherung  ge- 
langen, und  zwar  die  ersteren  je  nach  ihrer  Virulenz  und  Menge  in 
grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung,  die  Tetanusbacillen  immer  nur 


1)  Diese  Terminologie  hat  sich  jetzt  so  eingebürgert,  dass  es  nicht  rätlich 
erseheint,  daran  zu  rütteln.  Die  lateinischen  Ausdrücke :  Virus,  Virulenz,  Infection, 
beziehen  sich  demnach  immer  auf  die  organischen  Krankheitsstoffe,  die  griechischen : 
Toxine,  Toxicität,  Intoxication  auf  die  nichtorganischen. 


300  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

in  sehr  beschränktem  Grade.  Manche  Bakterien  (Tuberkelbacillen, 
Lepra-  und  wahrscheinlich  Syphilisbacillen),  die  zu  unbeschränkter  Ver- 
breitung im  Tierkörper  befähigt  sind,  erzeugen  dort  niemals  Septikämie, 
sondern  auch  im  virulentesten  Zustand  nur  Metastasen,  weil  sie  so 
langsam  wachsen,  dass  sie,  wenn  sie  auch  in  den  Cirkulationsapparat 
gelangen,  niemals  innerhalb  der  Blutgefässe  sich  bis  zur  Anfüllung 
derselben  vermehren  können.  Die  von  Seiten  des  Gewebes  auftretende 
Reaktion  hat  vielmehr  stets  Zeit,  die  in  den  Kapillaren  fixierten  Mikro- 
organismen einzukapseln  und  dadurch  den  Übertritt  der  inzwischen 
zum  Wachstum  gelangten  Bakterien  in  das  strömende  Blut,  d.  h.  die 
Septikämie  zu  verhindern.  Eine  Überschwemmung  desselben  mit 
Keimen  tritt  höchstens  vorübergehend  ein,  z.  B.  infolge  des  Durchbruchs 
eines  erweichten  tuberkulösen  Herdes  in  ein  Blutgefäss.  Aber  auch 
dann  folgt  wie  bei  der  experimentellen  Injektion  grosser  Massen  von 
Tuberkelbacillen  nie  Septikämie,  sondern  die  Bildung  von  ausserordent- 
lich zahlreichen,  winzigen  Metastasen  (Miliartuberkulose). 

Die  Infektionserreger  scheinen  schon  unter  natürlichen  Ver- 
hältnissen sehr  erhebliche  Schwankungen  ihrer  Virulenz  zu  er- 
leiden. Für  Staphylo-  und  Streptokokken  haben  das  u.  A.  Levy  (A.  P.  29), 
v.  Lingelsheim  (Z.  10),  Pasquale  (Zi.  12.  3)  nachgewiesen,  für  Pneu- 
moniekokken  Kruse  u.  Pansini  (Z.  11),  für  B.  coli  communis  Germano 
u.  Maurea  (Zi.  12),  für  Diphtheriebacillen  viele  Autoren,  für  Milzbrand- 
bacillen  und  Choleraspirillen  vgl.  Bd.  II.  Es  verdient  hervorgehoben 
zu  werden,  dass  von  den  meisten  Autoren  eine  Beziehung  zwischen  der 
Virulenz  gegenüber  den  Versuchstieren  und  der  Schwere  der  ursprüng- 
lichen Affektion  beim  Menschen  aufgestellt  wird.  Durchgreifend  ist 
das  freilich  nicht,  wie  das  Beispiel  der  Diphtherie  lehrt.  Für  die 
Tuberkelbacillen  ist  ein  ähnliches  Verhalten  behauptet  worden,  indessen 
sind  die  Versuche  der  ARLOiNü'schen  Schule  nicht  einwandfrei,  weil 
man  die  Versuche  nicht  mit  Reinkulturen  gemacht  hat  *),  sondern  mit 
Gewebspartikelchen,  die  sehr  ungleiche  Mengen  lebender  Bacillen  zu 
enthalten  pflegen.  Gerade  die  „skrofulösen"  Lymphdrüsen,  die  nach 
Arloing  der  Effekt  eines  schwächeren  Virus  sein  sollen,  sind  gewöhn- 
lich sehr  bacillenarm,  müssen  deswegen  auch  am  Tier  schwächer  wirken. 
Es  sind  also  bessere  Beweise  abzuwarten. 

Unter  künstlichen  Bedingungen  sind  dagegen  bei  fast  allen  In- 
fektionserregern Virulenzschwankungen  nachgewiesen  worden.  Die- 
selben bewegen  sich  in  zwei  Richtungen:  es  gelingt  entweder  Ab- 
schwäch ungen  oder  Verstärkungen  der  Virulenz  zu  erzielen. 


1)  s.  Bd.  II.     Vgl.  dagegen  Koch's  Versuche  mit  Reinkulturen.  M.  G.  2. 


Kruse,  Krankheitserregung.  301 

Eine  Abschwächung  tritt  ein 

1.  unter  dem  Einfluss  erhöhter  Temperatur.  Toussaint  hat  diese 
Methode  1880  (C.  R.  91.  135  u.  303)  beim  Milzbrand  angewandt,  um 
einen  Impfstoff  zu  erhalten.  Er  erhitzte  zu  dem  Zweck  bacillenhaltiges 
defibrinirtes  Blut  10  Minuten  lang  auf  55°.  Pasteue,  Chambeeland 
u.  Roux  (C.  R.  92.  429  u.  666)  zeigten,  dass  dieses  Verfahren  unsichere 
Resultate  gebe,  und  dass  zudem  die  abgeschwächten  Bacillen  schon 
in  den  folgenden  Generationen  zu  ihrer  früheren  Virulenz  zurückkehrten. 
Die  von  ihnen  ersonnene  Methode,  die  in  der  wochenlang  fortgesetzten 
Züchtung  der  Milzbrandbakterien  in  Bouillon  bei  einer  Temperatur  von 
42 — 43°  bestand,  führte  dagegen  zu  durchaus  befriedigenden  Ergebnissen. 
Alle  Abstufungen  der  Virulenz,  und  zwar  dauerhaft  abgeschwächte 
Varietäten  Hessen  sich  auf  diese  Weise  erhalten.  Die  nach  43  Tagen 
gewonnenen  Kulturen  waren  für  kein  Versuchstier  mehr  —  in 
den  üblichen  Dosen  —  virulent.  Koch,  Gaeeky  u.  Löeflee  be- 
stätigten diesen  Erfolg  (M.  G.  2)  und  wiesen  auf  die  Temperatur- 
erhöhung als  wesentlichen  Faktor  der  Abschwächung  hin,  während 
Pasteue,  die  Einwirkung  des  Sauerstoffs  auf  die  vegetativen  —  durch 
die  hohe  Temperatur  zur  Sporenbildung  untauglich  gewordenen  — 
Formen  in  den  Vordergrund  gestellt  hatte.  Chauveau  (C.  R.  96.  553 
u.  678)  kam  schon  früher  zu  dieser  Vorstellung  und  wies  nach,  dass 
auch  eine  kurzdauernde  Erhitzung  bei  einer  Temperatur,  die  etwas 
niedriger  war,  als  die  von  Toussaint  angegebene,  brauchbare  Resultate 
ergebe.  Sporenlose  (1  Tag  bei  42°)  gezüchtete  Milzbrandbacillen  konnten 
durch  1—3  stündige  Erwärmung  auf  47°  beliebig  abgeschwächt  werden, 
und  selbst  die  aus  den  so  behandelten  Bacillen  hervorgegangenen 
Sporen  Hessen  sich  durch  mehrstündige  Erhitzung  auf  80°  wieder  ab- 
schwächen, während  die  Sporen  des  virulenten  Milzbrandes  dadurch 
nicht  beeinüusst  wurden.  Aeloing,  Cornevin  u.  Thomas  (C.  R.  94 — 97) 
erzielten  ebenfalls  durch  Erhitzung  auf  85 — 100°  sporenhaltiges  Rausch- 
brandmaterial von  verschiedener  Wirksamkeit.  Auch  für  Pneumonie- 
kokken  versuchten  A.  Feänkel  (Z.  M.  86)  und  Biondi  (Z.  2)  die  Züchtung 
bei  höherer  Temperatur  als  Abschwächungsmittel  zu  benutzen,  die  Er- 
gebnisse sind  aber  wegen  der  Empfindlichkeit  dieser  Mikroorganismen 
wenig  brauchbar  (Kruse  u.  Pansini,  Z.  11.  380). 

2.  Die  abschwächende  Wirkung  des  Sonnenlichtes  auf  Milzbrand- 
bacillen ist  von  Arloing  (C.  R.  101.  535)  gefunden  und  von  Pansini 
(Soc.  di  Natural.  Napoli  90)  bestätigt  worden.  Es  handelt  sich  nur 
um  eine  wenige  Stunden  dauernde  intensive  Belichtung  und  um  eine 
Abschwächung,  die  in  den  folgenden  Kulturgenerationen  nicht  Stand 
hält.     Eine  dauernde  Virulenzverminderuns  ist  auch  durch  4wöchent- 


302  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

liehe,   fast  bis   zum  Absterben   der  Keime  verlängerte  schwächere  Be- 
lichtung der  Milzbrandsporen  nicht  zu  erzielen  (Kruse,  Z.  19.  332). 

3.  Der  trockene  Zustand  schädigt  alle  vegetativen  Bakterien- 
keime.  Auch  die  dauerhaftesten  werden  früher  oder  später  dadurch 
getötet.  Es  ist  wohl  möglich,  dass  vor  dem  Absterben  der  Mikro- 
organismen ein  Virulenzverlust  derselben  eintritt,  indessen  ist  dies  nur 
beim  Pneumoniekokkus  (vgl.  Kruse  u.  Pansini,  Z.  11.  330)  bewiesen. 
Die  übrigen  Beobachtungen  (z.  B.  an  Tuberkelbacillen)  lassen  den 
Einwand  zu,  dass  die  durch  das  Trocknen  bewirkte  Verminderung 
der  Zahl  lebensfähiger  Keime  bei  der  Beurteilung  des  Virulenzgrades 
nicht  genügend  berücksichtigt  worden  ist. 

4.  Der  elektrische  Strom  bewirkt  nach  Krüger  (Z.  M.  22)  und 
Smirnow  (B.  94.  30)  eine  Abnahme  des  infektiösen  Vermögens  von 
Bakterienkulturen.  Der  chemische  Einfiuss  der  Elektrolyse  kommt  da 
wohl  ins  Spiel.  Es  ist  aber  noch  nicht  festgestellt,  wieviel  von  ab- 
schwächender Wirkung  auf  die  Verminderung  der  Keimzahl,  die 
zweifellos  stattfindet,  zu  schieben  ist. 

5.  Wossnessenskt  (C.  R.  98.  314)  und  Chauveau  (C.  R.  98.  1232  u. 
A.  E.  89)  haben  nachgewiesen,  dass  die  Erhöhung  des  Atmosphären- 
drucks auf  das  3 — 6 fache  zugleich  mit  einer  Temperatur  von  42 — 43a 
Milzbrandbacillen  in  4 — 6  Tagen  dauerhaft  abschwächt,  aber  nur,  wenn 
dieselben  in  geringen  Mengen  Bouillon  dem  Druck  ausgesetzt  werden. 
Offenbar  muss  hier  der  Sauerstoff  der  Luft  zu  erhöhter  Wirkung  ge- 
langen.    Dies  führt  uns 

6.  auf  die  Bedeutung  des  Sauerstoffs  für  die  Abschwächung. 
Pasteur  hat  in  seinen  Untersuchungen  über  die  Virulenz  Verminderung 
der  Hühnercholerabakterien  (C.  R.  90.  239  u.  592),  die  für  alle  folgenden 
Versuche  über  Abschwächung  den  Grund  gegeben  haben,  gerade  den 
Sauerstoff  der  Luft  für  die  in  Monate  alten  Kulturen  der  genannten 
Bakterien  auftretenden  Virulenzverluste  verantwortlich  gemacht,  weil 
er  in  luftdicht  verschlossenen  Kulturen  einen  solchen  Effekt  nicht  hat 
konstatieren  können.  Dasselbe  Prinzip  wäre  nach  ihm  auch  massgebend 
für  die  Abschwächung  des  Milzbrands  bei  42 — 43°.  Nach  den  späteren 
Forschungen  ist  ein  solcher  Einfiuss  wohl  nicht  ganz  zu  leugnen,  wenn 
auch  von  Pasteur  die  Wirkung  anderer  Faktoren  (der  Temperatur 
[s.  oben],  der  Stoffwechselprodukte  in  alten  Kulturen  [s.  später])  unter- 
schätzt worden  ist.  Auch  bei  der  Abschwächung  eines  anderen  In- 
fektionsstoffes, mit  dem  wir  freilich  noch  ungenügend  bekannt  sind, 
nämlich  des  Virus  der  Hundswut,  kommt  der  Luftsauerstoff,  wie  Zagari 
(G.  J.  90)  gezeigt  hat,  allerdings  neben  der  Temperatur  und  Trocken- 
heit in  Betracht.  Zur  Gewinnung  des  abgeschwächten  Wutgiftes  wird 
nach   der  PASTEURschen  Methode   das  virulente  Rückenmark  14  Tage 


Kruse,  Krankheitserreguxig.  3Q3; 

lang  bei  gewöhnlicher  Temperatur  in  Grefässen,  die  durch  Ätzkali  trocken 
gehalten  werden,  aufbewahrt.  Steigerung  der  Temperatur  auf  35°  be- 
schleunigt die  Abschwächung,  Eintauchen  des  Markes  in  eine  indifferente 
Flüssigkeit,  sowie  Ersatz  der  Luft  durch  eine  sauerstofffreie  Atmo- 
sphäre verlangsamt  dieselbe. 

7.  Der  Zusatz  von  antiseptischen  Stoffen  in  solchen  Mengen 
zu  den  Kulturen,  dass  dadurch  nicht  eine  vollständige  Aufhebung, 
sondern  nur  eine  Hemmung  des  Wachstums  bewirkt  wird,  ist  nach 
Chambekland  u.  Rottx  (CL  R.  96. 1 088)  imstande,  dieselben  abzuschwächen. 
So  werden  Milzbrandbacillen  durch  Züchtung  in  Bouillon  mit  Vßoo  ms 
7s oo  Carbolsäure  binnen  21  Tagen  und  mit  72000 — V5000  doppelchrom- 
saurem  Kalium  binnen  10  Tagen  zum  wesentlichen  ihrer  Infektiosität 
beraubt.  Nach  denselben  Autoren  (C.  R.  96.  1410)  unterliegen  auch 
die  Milzbrandsporen  einem  ähnlichen  Einfluss,  wenn  sie  8 — 10  Tage 
lang  in  2  proz.  Schwefelsäure  konserviert  werden.  Neuerdings  ist  von 
Behring  u.  Kitasato  (D.  90. 49  u.  50)  das  Jodtrichlorid  verwandt  worden,, 
um  Diphtherie-  und  Tetanusbacillen  in  ihrem  pathogenen  Effekt  ab- 
zuschwächen. Zum  Teil  spielt  wohl  ein  giftzerstörendes  Moment  hier 
mit  (s.  später). 

8.  Chemische  Substanzen  sind  es  wohl  auch,  die  bei  der  in  alten 
Kulturen,  z.  B.  von  Hühnercholera  (s.  oben  Pasteur),  eintretenden 
Abschwächung  eine  wichtige  Rolle  spielen.  Der  Vorgang  scheint  nach 
der  Ansicht  mancher  Forscher  weit  verbreitet  zu  sein,  aber  sehr  häufig 
ist  der  Virulenzverlust  ein  gewissermassen  nur  individueller,  d.  h.  bei 
Verimpfung  auf  frisches  Nährsubstrat  tritt  das  alte  Infektionsvermögen 
wieder  zu  Tage.  In  solchen  Fällen  muss  man  sich  fragen,  ,ob  die 
scheinbare  Abschwächung  der  alten  Kultur  nicht  vielmehr  auf  einem 
teilweisen  Absterben  von  Keimen  in  derselben  beruht  (vgl.  Kruse  m 
Pansini,  Z.  11.  329  und  Gotschlich  u.  Weigano,  Z.  20). 

9.  Bei  vielen  Bakterien,  man  kann  fast  sagen  bei  allen,  wird  im 
Laufe  der  künstlichen  Züchtung  früher  oder  später  eine  Ab- 
nahme der  Virulenz  beobachtet,  auch  wenn  man  die  Kulturen  nicht 
alt  werden  lässt,  sondern  häufig  den  Nährboden  erneuert.  Sehr  schnell 
—  in  wenigen  Tagen  bis  Wochen  —  tritt  das  ein  beim  Pneumonie- 
kokkus,  sehr  langsam  gewöhnlich  —  nach  Jahren  —  beim  Tuberkel- 
bacillus.  Die  Abschwächung  erfolgt  oft  scheinbar  regellos,  in  der 
Weise,  dass  sehr  infektiöse  Kulturen  schneller  ihre  Virulenz  verlieren, 
als  weniger  infektiöse  derselben  Art  unter  denselben  Umständen 
(Krtjse  u.  Pansini,  Z.  11.  328).  Offenbar  ist  die  Infektiosität  eine 
Eigenschaft,  die  mit  verschiedener  Zähigkeit  festgehalten  wird.  Die- 
jenigen Mikroorganismen,  die  befähigt  sind,  Sporen  zu  bilden,  er- 
weisen sich  in  ihrer  Virulenz  als  relativ  konstanter,   offenbar  weil  die 


304  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Sporen  viel  weniger  durch  äussere  Momente  zu  beeinflussen  sind.  Als 
Ursachen  der  Abschwächung  kann  man  erstens  die  auch  in  relativ 
jungen  Kulturen  gebildeten  schädlichen  Stoffwechelprodukte  (z.B. 
Säuren  oder  Alkalien),  zweitens  aber  die  Anpassung  an  den  Nähr- 
boden, die  allmählich  eintritt,  ansehen.  „Die  Bakterien  werden  ihrer 
parasitischen  Existenz  entfremdet  und  an  saprophytische  Lebensweise 
gewöhnt."  Dass  dem  wirklich  so  ist,  dafür  sprechen  die  Erfahrungen, 
die  man  mit  verschiedenen  Nährsubstanzen  gemacht  hat.  Diejenigen 
Medien,  die  in  ihrer  Zusammensetzung  den  tierischen  Säften  näher 
kommen,  Serum,  Blutnährböden,  eiweissreiches  Sputum  (s.  später  unter 
„Verstärkung  der  Virulenz")  scheinen  verhältnismässig  am  besten  ge- 
eignet, die  infektiösen  Eigenschaften  der  Bakterien  zu  konservieren. 

10. Dass  die  Stoffwechselprodukte  andererBakterien  ausser- 
halb wie  innerhalb  des  thierischen  Körpers  einen  abschwächenben  Ein- 
fluss  auf  Infektionserreger  äussern  können,  wird  unter  F  („Misch- 
infektion") zu  besprechen  sein.  Über  die  Verringerung  der  infektiösen 
Wirksamkeit,  die  durch  Erhöhung  der  Resistenz  des  Wirtstieres 
und  interne  Anwendung  von  Antisepticis  erreicht  wird,  ist 
Abschnitt  K  zu  vergleichen. 

11.  Nach  einer  weitverbreiteten  Ansicht  soll  der  lebende  tie- 
rische Körper  die  Virulenz  der  Bakterien  abschwächen  können.  In 
der  Thatsache,  an  deren  Richtigkeit  kaum  noch  gezweifelt  werden  kann, 
dass  die  Kuhpocken  nur  eine  durch  Verpflanzung  auf  das  Rind  ab- 
geschwächte Form  der  Menschenpocken  darstellten,  würde  eine  wich- 
tige Stütze  für  den  obigen  Satz  liegen,  wenn  man  davon  absieht,  dass  die 
bakterielle  Natur  des  Pockenkontagiums  noch  nicht  gesichert  ist 
(Fischer,  M. 90. 43  und  S.  92.389;  Eternod  u.Haccius,  S.90.  31.  decemb.; 
Haccius,  Variolo- Vaccine.  Geneve  et  Paris  92  gegen  Chauveau,  Ac.  91). 
Pasteur  u.  Thuillier  (CR. 97. 1163)  wollen  ferner  eine  Abschwächung 
des  Schweinerotlaufbacillus  vermittelst  wiederholter  Passage  durch  das 
relativ  unempfängliche  Kaninchen  erzielt  haben.  Kitt  (C.  2.  693) 
und  Smirnow  (Z.  4)  haben  dies  Resultat  nicht  bestätigen  können, 
scheinen  allerdings  mit  zu  kleinen  Dosen  gearbeitet  zu  haben.  Nach 
Pasteur  wäre  ebenso  eine  Abschwächung  des  Hundswutkontagiums  durch 
fortgesetzte  Verimpfung  auf  Affen  zu  erreichen.  Der  ähnliche  Effekt, 
den  Banti  bei  Pneumoniekokken  im  Meerschweinchen  erzielt  haben 
will,  beruht  nach  Kruse  und  Pansini  (Z.  11.  330)  auf  einer  falschen 
Methodik.  Überträgt  man  nämlich  das  Blut  von  mit  Pneumokokken 
infizierten  Meerschweinchen  auf  neue  Tiere,  so  bekommt  man  immer 
weniger  lebendes  Kokkenmaterial  und  deswegen  eine  schwächere 
Wirkung.  Werden  dagegen  von  jedem  Tiere  wieder  frische  Kulturen 
angelegt  und  mit  diesen  die  Übertragung  fortgesetzt,  so  tritt  auch  nach 


Kruse,  Krankheitserregung.  305 

einer  Reihe  von  20  Meerschweinchen  keine  Spur  von  Abschwächung 
zu  Tage.  Ebensowenig  ist  das  der  Fall,  wenn  man  ein  immunisiertes 
Tier  mit  virulenten  Pneumokokken  infiziert:  aus  dem  daraus  hervor- 
gegangenen Lokaleffekt  wurde  noch  nach  12  Tagen  eine  durchaus 
virulente  Kultur  gezüchtet.  Auch  im  Menschen  können  die  sonst  so 
empfindlichen  Pneumonieerreger  sich  sehr  lange  Zeit  ohne  Verlust 
ihres  infektiösen  Vermögens  konservieren  (a.  a.  0.  331—333).  Besser 
gelungen  erscheint  der  Nachweis  der  Viruler*zverminderung  der  Säuge- 
tiertuberkulose im  wenig  empfindlichen  Tiere;  Gramatschikoff  (C.  P. 
91)  hat  denselben  dadurch  erbracht,  dass  er  Tuberkelbacillen,  ein- 
geschlossen in  eine  zur  Dialyse  geeignete  Membran,  in  die  Peritoneal- 
höhle von  Hühnern  einführte  und  davon  nach  verschiedenen  Zeiträumen 
Kulturen  anlegte,  die  er  dann  auf  ihre  Infektiosität  prüfte.  Auch 
R.  Pfeiffer  hat  den  Vibrio  Metschnikoff  nach  90  stündigem  Verweilen 
im  Organismus  eines  vaccinierten  Meerschweinchens  abgeschwächt  ge- 
funden (Z.  7;  vgl.  auch  Lubarscie,  Z.  M.  19.  229  u.  230). 

12.  Wenn  danach  von  einer  konstant  stattfindenden  Abschwächung 
im  Körper  eines  relativ  immunen  Tieres  sicher  nicht  die  Rede  sein  kann, 
so  gilt  das  noch  weniger,  wenn  man  die  Säfte  eines  solchen  (z.B.  das  Blut 
und  Blutserum)  ausserhalb  des  lebendenKörpers  auf  die  Bakterien  wirken 
lässt  (Kruse  u.  Pansini  a.  a.  O.  S.  332).  Die  Autoren,  die  dennoch 
auf  diese  Weise  eine  Abschwächung  erzielt  zu  haben  glauben  (Ogata 
u.  Jasuhara,  C.  9.  1  und  Charrin  u.  Roger,  S.  B.  92)  sind  in  diesen 
Irrtum  verfallen,  weil  sie  stets  die  tierischen  Säfte,  die  zur  Kultur 
verwandt  waren,  zur  Prüfung  der  Virulenz  direkt  injizierten.  Metsch- 
nikoff (P.  92.  5)  hat  nachgewiesen,  dass  der  abschwächende  Ein- 
fluss  dem  Serum  selbst  zukommt,  denn  er  verschwindet,  wenn 
man  die  Bakterien  durch  Filtration  von  dem  Serum  trennt  und 
allein  einspritzt. 

Ausser  den  gelösten  Stoffen  des  tierischen  Körpers  hat  man  auch 
gewissen  Zellsubstanzen,  namentlich  dem  Lymph-  und  Thymus- 
drüsenextrakt eine  abschwächende  Wirkung  auf  pathogene  Bakterien 
zugeschrieben  (Wooldridge,  Proc.  Lond.  87. 312;  Brieger,  Kitasato  und 
Wassermann,  Z.  12).  Die  letzteren  Autoren  sprechen  freilich  nur  von 
einer  Gifteinbusse  der  auf  solchen  Extrakten  gezüchteten  Mikro- 
organismen, aus  ihren  Versuchen  lässt  sich  aber  doch  auf  eine  zu- 
gleich eintretende  Verringerung  der  Virulenz  schliessen.  Dieselbe  ist 
nur  eine  vorübergehende,  denn  die  Übertragung  auf  die  gewöhnlichen 
Nährböden  bewirkt  auch  die  Rückkehr  der  Virulenz.  Die  Versuchs- 
anordnung der  genannten  Forscher  schliesst  übrigens  die  Möglichkeit 
nicht  aus,  das  hier  wie  in  den  eben  citierten  Experimenten  Metschni- 
koff's  die  mit  den  Bakterien  zugleich  einverleibten  Substanzen  —  in 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  20 


306  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

jenem  Falle  das  Serum,  in  diesem  die  Zellauszüge  —  die  einzig  wirk- 
samen Potenzen  darstellen  (vgl.  Wooldridge,  A.  f.  Ph.  88). 

Wenn  wir  von  diesen  strittigen  Punkten,  auf  die  wir  unten 
noch  zurückkommen  werden,  ganz  absehen,  so  bleiben  Einflüsse 
genug  übrig,  die  eine  Abschwächung  der  Virulenz  bewirken.  Im  all- 
gemeinen kann  man  sagen,  dass  die  meisten  die  Bakterien  treffenden 
schädlichen  Momente  imstande  sind,  auch  ihre  infektiösen  Eigen- 
schaften zu  vermindern.  Dem  Absterben  der  Mikroorganismen  scheint 
eine  Herabsetzung  ihrer  Virulenz  vorherzugehen.  Die  längere  Zeit 
hindurch  wirkenden,  natürlich  weniger  intensiven  Schädlichkeiten  ver- 
bürgen ein  konstanteres  und  dauerhafteres  Resultat,  als  diejenigen,  die 
schneller  und  intensiver  wirken  (vgl.  Kap.  „Variabilität"  i.  dies.  Bde.). 

Die  Verstärkung  der  Virulenz  ist  in  den  meisten  Fällen  gleich- 
bedeutend mit  der  Wiederherstellung  der  ursprünglichen  Infektio- 
sität nach  einer  kürzer  oder  länger  dauernden  Periode  der  Abschwächung. 
Es  ist  aber  auch  vielfach  gelungen,  die  Virulenz  über  das  gewöhnliche 
unter  natürlichen  Verhältnissen  gefundene  Mass  zu  steigern. 

1.  Durch  Anwendung  eines  Luftdrucks  von  3 — 13  Atmosphären 
und  Züchtung  bei  35°  sollen  nach  Wossnessensky  (C.  R.  98.  314;  vgl. 
S.  302)  Milzbrandbacillen  eine  Zunahme  ihrer  Virulenz  erfahren. 

2.  Die  Zusammensetzung  des  Nährbodens  hat  einen  grossen 
Einfluss  auf  die  Virulenz.  Chattveau  (CR.  108.  379u.A.E.89)  stellte  die 
pathogenen  Eigenschaften  abgeschwächter  Milzbrandbacillen  in  einem 
bluthaltigen  Nährmedium  wieder  her.  Pneumoniekokken,  die  sonst  ausser- 
ordentlich schnell  ihre  Pathogenität  verlieren,  können  nach  Sclavo  (r:  R. 
95. 13)  in  Eikulturen,  nach  E.  Fränkel  u.  Reiche  (Z.  M.  25.  3/4)  auf  mit 
Blut  bestrichenem  Agar,  nach  Grawitz  u.  Steffen  (B.  94.  18)  auf 
koagulirtem  pneumonischem  Sputum  nicht  nur  wirksam  fortgezüchtet, 
sondern  auch,  wenn  sie  abgeschwächt  gewesen  waren,  von  neuem  viru- 
lent gemacht  werden.  Die  Eikultur  ist  auch  nach  Gruber  u.  Wiener 
geeignet,  die  Virulenz  von  Cholerabacillen  zu  steigern  (A.  15).  Auf 
Blutserum  und  in  Bouillon  behalten  die  Diphtheriebacillen  viel  länger 
ihre  infektiösen  Eigenschaften,  als  auf  Agar,  und  können  auch  durch 
Übertragung  in  die  genannten  Nährböden  die  verlorene  Virulenz  zurück- 
gewinnen. In  anderer  Weise,  die  noch  der  Erklärung  harrt,  ist  es 
Arloing  u.  Cornevin  (C.  R.  103)  gelungen,  schwach  wirkende  Rausch- 
brandkulturen und  selbst  die  konstanten  Rauschbrandvaccins  hoch 
infektiös  werden  zu  lassen:  sie  setzten  denselben  2%  Milchsäure  zu 
und  Hessen  das  Gemisch  24  Stunden  stehen,  ein  weiterer  Zusatz  von 
etwas  Zuckerlösung  steigerte  die  Virulenz  nach  48  Sunden  auf  ein 
Maximum. 

Neuerdings  hat  Blachstein  (B.  94.  17)  den  Einfluss  studiert,  den 


Kruse,  Krankheitserregung.  307 

die  verschiedenen  Salze  der  Nährlösungen  auf  die  Virulenz  des  Cholera- 
spirillum  haben.  Nach  ihm  wirken  Ka-Nitrat,  Na-Phosphat  und  anor- 
ganische Eisensalze  (nicht  Hämoglobin)  virulenzsteigend,  Kochsalz  ist 
dagegen  ohne  Einfluss,  eine  Angabe,  die  der  GAMALEiA'schen  Ansicht 
(S.  B.  93.  809),  dass  durch  Züchtung  in  koncentrierten  Kochsalzlösungen 
eine  Virulenzerhöhung  erzielt  werden  könne,  direkt  widerspricht. 

3.  Die  Wirkung  anderer  Bakterien  und  ihrer  Produkte  auf  den 
Grad  der  Infektiosität  eines  Mikroorganismus,  die  Beförderung  der 
Disposition  zu  einer  Infektion  durch  Einverleibung  chemischer  Sub- 
stanzen, die  Bedeutung  der  Eintrittspforte  des  Virus  für  abgeschwächte 
Bakterien  sind  in  späteren  Abschnitten  zu  besprechen  (F,  G,  J). 

4.  Bei  weitem  das  wichtigste  Mittel  zur  Wiederherstellung  oder 
auch  zur  weiteren  Steigerung  der  Virulenz  ist  die  Passage  durch 
empfängliche  Tiere.  Die  erste  Angabe  darüber  stammt  von  Davaine 
(Ac.72),  der  auf  Grund  von  Übertragungsversuchen  mit  Septikämiebacillen 
von  Tier  auf  Tier  zur  Vorstellung  einer  „progressiven  Virulenz"  kam. 
Koch  u.  Gaefkt  (M.  G.  1.  80)  bewiesen  jedoch  für  einige  Fälle,  dass  eine 
solche  durch  unreines  Material  vorgetäuscht  werden  kann  und  nicht 
vorhanden  ist,  wenn  man  von  Reinkulturen  ausgeht. 

Pastette  (C.  R.  97.  1193)  hat  dann  aber  das  Virus  des  Schweine- 
rotlaufs durch  Übertragung  von  Taube  auf  Taube  in  seiner  Wirksam- 
keit steigern  können,  und  später  sind  in  allen  Laboratorien  für  pathogene 
Bakterien  verschiedener  Art  ähnliche  Thatsachen  mit  Sicherheit  festgestellt 
worden.  Freilich  geht  die  Virulenzsteigerung  nur  bis  zu  einem  gewissen 
Grade,  der  für  jeden  Mikroorganismus  konstant  zu  sein  scheint.  Man  könnte 
dann  mit  Pastette,  der  das  Hunds wutgift  auch  durch  Passage  ira  Kaninchen 
nur  auf  ein  bestimmtes  Maximum  hat  bringen  können,  von  einem  Virus 
fixe  (CR.  101)  sprechen.  Im  allgemeinen  gilt  die  Regel,  dass  die  in  solcher 
Weise  erreichte  Erhöhung  der  Infektiosität  für  alle  überhaupt  empfäng- 
lichen Tiere  gilt.  Knoee  (Z.  13)  und  Peteuschky  (Z.  17)  wollen  je- 
doch Streptokokken  vermittelst  wiederholter  Passage  durch  den  Mäuse- 
körper ihrer  Virulenz  für  das  Kaninchen  grösstenteils  beraubt  haben. 
Die  Übertragung  von  Tier  durch  Tier  erfolgt  am  besten  unter  Ein- 
schiebung  von  Reinkulturen,  da  man  nur  auf  diese  Weise  die  Be- 
stimmung der  Dosis  in  der  Hand  behält.  Oft  kommt  man  bei  An- 
wendung sehr  grosser  Mengen  frischer  Kulturen  noch  dazu,  Mikroorganis- 
men, die  scheinbar  keine  Spur  von  Virulenz  besitzen,  infektiös  zu  machen 
(Kruse  u.  Pansini,  Z.  11.  334).  Denselben  Dienst  wie  erhöhte  Dosen 
thut  die  mit  der  Inokulation  geringer  Mengen  des  lebenden  Virus  ver- 
bundene Einverleibung  grosser  Mengen  von  Stoffwechselprodukten 
desselben  Mikroorganismus  (vgl. unter  J Nr. 9).  Statt  empfänglicher  Tiere 
kann  man  zur  Passage  auch  weniger  empfängliche  benutzen,  wenn  man 

20* 


308  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

nur  dafür  sorgt,  dass  dieselben  erkranken,  und  wenn  man  in  der  Lage 
ist,  aus  den  Krankheitsprodukten  das  Virus  wieder  heranzuzüchten. 
Man  ist  imstande,  durch  verschiedene  Methoden  (vgl.  unter  J)  die 
Empfänglichkeit  solcher  Tiere  zu  erhöhen;  so  haben  Sawtschenko 
(C.  9)  nach  Rückenmarksdurchschneidung  im  Taubenkörper  Milz- 
brandwachstum, Fermi  und  Salsano  (C.  12)  nach  Vorbehandlung  von 
Meerschweinchen  mit  Traubenzucker  oder  Milchsäure  in  denselben 
die  Entwicklung  von  Hühnertuberkelbacillen  eintreten  sehen.  In  den 
angeführten  Fällen  erwiesen  sich  die  Bakterien,  welche  die  sonst 
refraktären  Tiere  passiert  hatten,  auch  weiter  als  virulent  für  dieselbe 
Spezies:  sie  hatten  sich  also  dem  von  Natur  immunen  Organismus 
angepasst,  ohne  dabei  etwa  für  andere  Tiere  virulenter  zu  werden. 
Ganz  vereinzelt  steht  aber  der  Fall  da,  den  Metschnikoef  (P.  91.  8) 
und  Bürdet  (P.  92.  5)  anführen,  dass  nämlich  die  Virulenz  eines  Mikro- 
organismus durch  Aufenthalt  im  Körper  eines  immunisierten  Tieres 
auf  einen  höheren  Grad  gebracht  werden  könne,  als  mittelst  Passage 
durch  ein  empfängliches  Tier. 

Die  Giftigkeit  der  Bakterien  ist  eine  Funktion  derselben,  die 
mit  ihrer  Virulenz  im  allgemeinen  in  keinem  unmittelbaren  Zusammen- 
hange steht  (vgl.  Krehl,  A.P.  35. 222).  Nur  bei  den  Diphtheriebacillen  ist 
ein  solcher  allerdings  äusserst  wahrscheinlich  gemacht.  Diejenigen  Mikro- 
organismen, die  konstant  aus  den  Membranen  der  menschlichen  Diphtherie 
isoliert  werden  und  bei  Versuchstieren  Diphtherie  erzeugen,  die  also  für 
diesen  echten  Infektionsprozess  verantwortlich  zu  machen  sind,  besitzen 
eine  ausgesprochene  Toxi cität.  Die  sog.  Pseudodiphtheriebacillen  dagegen, 
die  unschuldige  Schmarotzer  mehrerer  Schleimhäute  und  von  Geschwürs- 
fiächen  verschiedener  Art  und  bei  Versuchstieren  gar  nicht  zum  Wachstum 
zu  bringen  sind,  erweisen  sich  als  ungiftig.  Brieger  u.  Fränkel 
(B.  90.  11 — 12)  sowie  Wassermann  u.  Proskaeer  (D.  91.  17)  haben 
die  Produkte  dieser  Bakterien  untersucht  und  dabei  die  merkwürdige 
Thatsache  gefunden,  dass  die  virulenten  Diphtheriebacillen  hauptsäch- 
lich einen  durch  verdünnten  Alkohol  fällbaren  giftigen  Stoff  neben 
geringen  Mengen  eines  ungiftigen,  erst  durch  koncentrierten  Alkohol 
fällbaren  enthalten,  während  die  Sache  bei  den  abgeschwächten  Bacillen 
gerade  umgekehrt  liegt.  Über  die  chemischen  Differenzen  beider  Körper 
lässt  sich  leider  bisher  nicht  mehr  sagen. 

Für  andere  Bakterien,  wie  die  Choleraspi rillen  und  Staphylo- 
kokken (v.  Dungern,  Z.  20.  1;  van  de  Velde,  Cell.  10.  2),  ist  da- 
gegen der  Nachweis  geführt,  dass  die  Giftigkeit  im  wesentlichen  die- 
selbe bleibt  bei  den  infektiösen  wie  abgeschwächten  Varietäten.  Eine 
weitere  Behandlung  dieser  Frage  wäre  dringend  erwünscht. 

Die  Giftausbeute  aus  den  Bakterienkulturen  unterliegt  erheblichen 


Kruse,  Krankheitserregung.  309 

Schwankungen.  Teilweise  erklären  sich  dieselben  nicht  aus  Verände- 
rungen der  Giftproduktion  selbst,  sondern  aus  einer  nachträglich  in 
den  Kulturen  stattfindenden  Zersetzung  des  einmal  gebildeten  Giftes. 
Diese  wird  z.  B.  von  Beiegee  (Z.  19.  1)  auf  den  schädigenden  Einfluss 
basischer  Produkte  zurückgeführt  und  durch  Gypszusatz  zu  vermeiden 
gesucht.1)  In  anderen  Fällen  ist  aber  wahrscheinlich  die  Menge  der 
überhaupt  gebildeten  toxischen  Produkte  eine  variable.  Die  Unter- 
suchungen von  Blachstein  (B.  94.  17),  die  auf  den  Einfluss  von  Sal- 
peter, Phosphaten,  Eisensalzen  hinweisen,  wurden  oben  schon  erwähnt. 
Vielleicht  begünstigen  diese  Zusätze  eher  die  Giftproduktion  als  die 
Virulenz  der  Bakterien.  Den  Salzen  (Kochsalz)  wird  auch  sonst  eine 
gewisse  Wichtigkeit  beigelegt  (von  Gamaleia,  S.  B.  93.  809  für  die 
Cholera;  von  Beiegee,  Z.  19.  1  für  den  Tetanus).  Vielfach  wird  die 
Zusammensetzung  des  Nährbodens  freilich  dadurch  eine  mehr  indirekte 
Bedeutung  für  die  Giftbildung  haben,  dass  sie  die  Vegetation  der 
Bakterien  selbst  begünstigt.  Diesem  Zweck  dient  offenbar  der  Vor- 
schlag Beiegee's  und  Feänkel's  (B.  90.  11),  zur  Gewinnung  des  Diph- 
therietoxalbumins  sich  Kulturen  mit  Zusatz  von  Blutserum  und  Glycerin 
zu  bedienen.  Beiegee  u.  Cohn  (Z.  15.  1)  empfehlen  für  Tetanus- 
nährmedien die  Mischung  der  gewöhnlichen  Bouillon  mit  alten  Typhus- 
kulturen und  Extrakten  aus  faulem  Fleisch.  Die  Ausbeute  an  giftigen 
Ptomainen  scheint  nach  der  Mehrzahl  der  Autoren  bei  Benutzung  von 
Fleischnährböden  am  grössten  zu  sein.  Alle  diese  Angaben  sind  vor- 
läufig mehr  praktische  Winke  für  die  Darstellung  der  Gifte,  als  dass 
sie  sich  für  die  theoretische  Auffassung  des  Vorgangs  der  Giftbildung 
verwerten  Hessen. 

F.  Mischinfektion. 

Die  kombinierte  Wirkung  zweier  und  mehrerer  Bakterien  oder 
ihrer  Produkte  hat  eine  grosse  Bedeutung  für  die  Pathologie.  Unter 
natürlichen  Verhältnissen  hat  man  zu  unterscheiden  zwischen  der 
Sekundärinfektion  und  der  eigentlichen  Mischinfektion.2) 

Eine  Sekundärinfektion  entsteht  dadurch,  dass  zu  einer  ursprüng- 
lich einfachen  Infektion  nachträglich  eine  zweite  hinzutritt.  Am  häufigsten 
spielen  die  Staphylo-,  Strepto-  und  Pneumokokken  diese  Rolle.   Die  durch 


1)  Dass  umgekehrt  die  saure  Reaktion  des  Nährbodens  die  Ausbeute  an 
Diphtheriegift  ungünstig  beeinflusst,  zeigte  van  Turenhotjt,  r:  C.  IS.  9/10  (vgl. 
Spronck,  P.  95.  10).  Die  verschiedene  Bedeutung  der  Eiweissstoff'e  u.  a.  m.  er- 
kannte Smirnow,  B.  95.  30/31. 

2)  Vgl.  Roth,  D.  86.  51  und  Babes  u.  Cornil,  Les  associations  bacteriennes. 
Verhd.  d.  X.  intern.  Kongresses  z.  Berlin.  II  3.  12  (Berlin  1891).  Vollständige 
Litt,  siehe  im  speziellen  Teil  Bd.  IL 


310  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

diese  verursachten  Eiterungen  und  Entzündungen  der  verschiedensten 
Art:  Erysipele,  Phlegmonen,  Abscesse,  Knochen-  und  Gelenkentzündungen, 
Pneumonien,  Empyeme,  Endokarditiden  u.  s.  w.,  kommen  sehr  häufig 
im  Gefolge  des  Typhus,  der  Masern,  des  Scharlachs,  der  Blattern,  der 
Diphtherie,  der  Tuberkulose  vor.  Die  Streptokokken  treten  dabei  in 
besonderer  Virulenz  als  Erreger  von  septikämischen  Zuständen  auf.1) 
Die  tuberkulöse  Lungenphthise  ist  ein  Prozess,  der  namentlich  in  vor- 
geschrittenen Stadien  oft  durch  eine  mehrfache  Kombination  von  Bakterien 
unterhalten  wird.  Ausser  den  genannten  Kokken  treten  zu  den  Tuberkel- 
bacillen  auch  noch  Influenzabacillen,  Friedländer-  und  diphtherie- 
ähnliche Bakterien,  Fäulnisorganismen  u.  s.  w.  (Spengler,  Z.  18.  2).  Aber 
auch  die  obengenannten  primären  Infektionen  können  ihrerseits  als 
sekundäre  Erkrankungen  erscheinen,  so  z.  B.  echte  Diphtherie  bei  Schar- 
lach, Tuberkulose  nach  Masern,  Scharlach  bei  Wundeiterungen 
u.  s.  w. 

Die  Voraussetzungen  für  die  Sekundärinfektionen  ergeben  sich  zum 
Teil  wohl  sicher  aus  der  örtlichen  oder  allgemeinen  Schwächung  des 
Organismus  durch  die  voraufgehende  Krankheit,  zum  Teil  aber  auch  aus 
der  Eröffnung  von  Eintrittspforten  für  weit  verbreitete  Infektionsstoffe, 
wie  Staphylo-,  Strepto-  und  Pneumokokken. 

Die  Resorption  von  Bakterien  verschiedener  Art  wird  besonders 
durch  ausgedehnte  Zerstörung  der  als  Barriere  dienenden  Schleimhaut 
des  Darms  bei  Cholera  (Lesage  u.  Macaigne,  P.  93.  1),  Typhus  nnd 
Dysenterie  (Kruse  u.  Pasquale,  Z.  16)  erleichtert.  Es  ist  aber  gerade 
hier  zweifellos,  dass  die  bei  diesen  Prozessen  in  den  innern  Organen 
häufig  in  ziemlich  reichlicher  Menge  gefundenen  Mikroorganismen  (z.  B. 
Kolonbacillen)  durchaus  nicht  immer  als  Erreger  von  Sekundärinfektionen 
zu  betrachten  sind,  wie  es  von  manchen  Seiten  geschieht,  sondern  als 
nicht  vermehrungsfähig  angesehen  werden  müssen.  Dass  sie  dabei  als 
chemisch  für  den  Körper  differente  Fremdkörper  wirken,  ist  wahr- 
scheinlich. 

Die  Bedeutung  der  Sekundärinfekion  für  den  Körper  ist,  nach  den 
klinischen  Erfahrungen  zu  schliessen,  im  allgemeinen  eine  durchaus 
ungünstige;  indessen  scheinen  doch  gewisse  Kombinationen  unter  Um- 
ständen von  Vorteil  zu  sein.  So  schreiben,  von  älteren  Beobachtungen  ab- 
gesehen, einige  Autoren  neuerdings  dem  Erysipel  eine  Heilwirkung  zu  auf 
Syphilis  (r:  J.  86.  394;  88.  455  und  91.  269),  auf  chronische  Eiterungen 
(r:  J.  88.  455)  und  selbst  auf  Lungenphthise  (M.  88.  48).  Wenn  man 
die  Entstehung  maligner  Geschwülste   auf  eine  Infektion  zurückführt, 


1)  z.  B.  beim  Typhus  nach  Vincent  (r:  C.  15.  2/3)  und  Wassermann  (Ch.  19), 
bei  Tuberkulose  nach  Pasquale  (Zi.  12.  3)  und  Petruschky  (D.  93.  14.) 


Kruse,  Krankheitserregung.  311 

so  würde  auf  diese  auch  wieder  das  Erysipel  antagonistisch  wirken.1) 
Gänzlich  indifferent  für  den  Menschen  ist  mit  seltenen  Ausnahmen 
die  sehr  häufig  vorkommende  Infektion  eiternder  Wunden  mit  dem 
Pyocyaneusbacillus. 

Mischinfektionen  im  eigentlichen  Sinne  entstehen  dadurch,  dass 
durch  dieselbe  Eintrittspforte  gleichzeitig  mehrere  Bakterien  in  den 
Körper  eindringen  und  daselbst  zum  Wachstum  gelangen.  Sehr  häufig 
finden  sich  bei  Eiterungen  mehrere  Spezies  (Varietäten)  nebeneinander, 
z.  B.  Staphylokokkus  aureus  neben  albus  oder  citreus,  Staphylokokken 
neben  Streptokokken.  Bei  eitrigen  Prozessen,  die  mehr  oder  weniger 
zu  dem  Verdauungskanal  in  Beziehung  stehen,  tritt  zu  den  Staphylo-, 
Strepto-  oder  Pneumokokken  häufig  der  B.  coli.  Seltener  kombiniert 
sich  mit  den  gewöhnlichen  pyogenen  Mikroorganismen  der  B.  Proteus 
(Brunner,  M.  95.  5).  Auch  die  übrigen  Infektionserreger  werden  häufig 
von  Eiterbakterien  begleitet,  so  der  Milzbrandbacillus  bei  dem  malignen 
Karbunkel  des  Menschen,  der  Tuberkelbacillus  in  den  sog.  Leichen- 
tuberkeln, der  Aktinomyces  in  den  multiplen  Eiterherden  des  Menschen. 
Tetanus,  malignes  Odem  und  Rauschbrand  sind  wohl  kaum  jemals 
reine,  sondern  stets  gemischte  Infektionen,  bei  denen  die  nicht  spezifischen 
Bakterien  häufig  an  Zahl  überwiegen.  Der  Diphtheriebacillus  ist  so 
gut  wie  immer  begleitet  von  anderen  Mikroorganismen  (Staphylo-, 
Strepto-,  Pneumokokken),  aber  freilich  in  sehr  variablem  Grade.  Die 
Dysenterie  ist  nach  Kruse  undPASQUALE  (Z.  16)  wahrscheinlich  ein  Pro- 
zess,  der  durch  kombinierte  Wirkung  von  Amöben  und  Bakterien  entsteht. 
Nach  Nägeli's2)  von  Buchner  (Viertelj.  f.  Gesundh.  25)  neuerdings  für  die 
Cholera  wieder  aufgenommenen  Hypothese  („diblastische  Theorie")  wären 
die  sog.  miasmatisch -kontagiösen  Krankheiten  (z.  B.  Cholera,  Typhus) 
Mischinfektionen  von  je  zwei  Mikroorganismen,  von  denen  der  eine  aus 
dem  Boden  stammen,  der  andere  übertragen  werden  soll.  Direkte  Be- 
weise dafür  sind  aber  nicht  erbracht  und  viele  Thatsachen  sprechen 
dagegen.  Dasselbe  dürfte  von  der  Anschauung  Blachstein's  undZuMFTS 
(A.  Pet.  2;  r:  R.  93.  909)  und  Metschnikoee's  (P.  94,  vgl.  auch  Fermi 
u.  Salto,  A.  J.  96.  1),  die  eine  gemeinsame  Wirkung  des  Cholerabacillus 
namentlich  mit  Darmbakterien  aus  der  Gruppe  des  B.  coli  annehmen, 
gelten.  Man  hat  zwar  keine  Veranlassung,  für  alle  Fälle  die  Mitwirkung 
derartiger  Mikroorganismen  auszuschliessen,  aber  in  jedem  Falle  nötig 
ist  sie  nicht. 

Die  Mischinfektionen  erklären  sich  dadurch,  dass  teils  der  In- 
fektionsstoff schon  die  betreffenden  Komponenten  enthält,  teils  an  der 

1)  Vgl.  die  Litteratur  bei  Bruns,    Beiträge  z.  klin.  Chirurgie.   III.   1888. 

2)  Nägeli,  Die  niederen  Pilze  in  ihrer  Beziehung  zu  den  Infektionskrank- 
heiten u.  s.  w.    München  1877.  S.  70. 


312  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Eintrittspforte  der  Infektion  zu  den  spezifischen  Erregern  sich  ander- 
weit verbreitete  pathogene  Bakterien  zugesellen  (Diphtherie,  Dysenterie). 
Die  verschiedenen  Kombinationen  haben  eine  sehr  verschiedene  Be- 
deutung. In  vielen  Fällen  ist  das  Resultat,  wie  bei  der  Sekundär- 
infektion in  der  Regel,  ein  ungünstiges.  Die  anaeroben  Krankheits- 
erreger scheinen  geradezu  der  Beimischung  anderer  Bakterien  zu 
bedürfen,  um  zur  Wirkung  zu  kommen  (s.  unten).  Andere  Male  dürften 
die  die  Hauptinfektion  begleitenden  Mikroorganismen,  z.  B.  die  Eiter- 
bakterien im  Milzbrandkarbunkel,  einen  abschwächenden  Einfluss  auf 
die  Schwere  der  Krankheit  ausüben  (s.  unten).  Für  die  Diphtherie 
glauben  Baebiee  (A.  E.  91)  und  Maetin  (P.  92.  5)  eine  verschiedene 
Prognose  stellen  zu  dürfen,  je  nach  der  Bakterienassociation,  die  sich 
aus  der  Untersuchung  ergiebt. 

Diese  Verhältnisse  werden  einigermassen  verständlich  durch  die  Er- 
gebnisse der  experimentellen  Forschungen  über  Mischinfektion.  Der  Anta- 
gonismus von  Bakterien  differenter  Spezies  ist  am  frühesten  in  Kulturen 
klar  zu  Tage  getreten,  wenn  auch  klinische  Erfahrungen  (s.  oben  S.  310) 
schon  länger  daraufhin  gedeutet  hatten.  Das  Überwuchern  von  patho- 
genen  Bakterien  durch  Saprophyten  ist  in  künstlichen  Kulturen  leicht 
zu  beobachten.  Darauf  beruht  ja  die  Schwierigkeit  der  Herstellung  von 
Reinkulturen  in  flüssigen  Nährböden.  Cantani  wurde  dadurch  auf 
seine  Idee  der  Bakteriotherapie  gebracht  (C.  W. 85.  29).  Er  glaubte 
durch  Inhalationen  von  Fäulnisbakterien  (B.  termo)  die  Lungen- 
tuberkulose bekämpfen  zu  können.1) 

Eine  Reihe  von  Autoren  suchte  zunächst  durch  Kulturexperimente  der 
Frage  nach  dem  Bakterienantagonismus  näher  zu  treten,  doch  ohne 
konstante  und  unzweifelhafte  Resultate  zu  erzielen.  Vor  allem  ist  aber 
dagegen  einzuwenden,  dass  die  Versuche  im  Reagensglase,  die  noch  dazu 
je  nach  derZusammensetzungdesNährbodensverschieden  ausfallen,  keinen 
Schluss  auf  die  Vorgänge,  wie  sie  sich  im  lebenden  Körper  abspielen, 
zulassen,  da  in  den  Kulturen  Stoffwechselprodukte,  die  im  Organismus 
sofort  resorbiert  und  unschädlich  gemacht  werden  müssen,  z.  B.  Säuren 
und  Alkalien,   die  intensivste  Wirkung  entfalten.2)     Die  Entscheidung 


1)  Über  die  Geschichte  dieser  Methode  vgl.  Cimmino,  Gaz.  hebdoni.  des 
scienc.  media  86.  427. 

2)  Vgl.  Garre,  Korresp.  f.  Schweizer  Ärzte  87;  Zagari,  G.  J.  87;  Freuden- 
reich, P.  88.  4;  Soyka  u.  Bandler,  F.  88.  20;  Sirotinin,  Z.  4.  262;  Freuden- 
reich, J.  89.  530;  Dohle,  J.  89.  532;  Lewek,  Zi.  6;  Kitasato,  Z.  6;  Charrln  u. 
Guignard,  C.  R.  108;  Babes,  D.  89;  Blagovistschensky  ,  P.  90.  1;  Olitzky, 
J.  92.  473;  Nencki,  C.  11.  8;  Gabritschewsky  u.  Maljutin,  C.  13.  780;  Kemp- 
ner,  C.  17.  1.  Vgl.  auch  unter  E  „Vitale  Concurrenz  der  Mikroorganismen"  im 
1.  Kap.  2.  Absch.  dies.  Bdes. 


Kruse,  Krankheitserregung.  3 13 

kann  nur  gebracht  werden  durch  Versuche  am  Lebenden,  die  denn  auch 
interessante  Resultate  zu  Tage  gefördert  haben. 

Wyssokowitsch  scheint  zuerst  in  nicht  veröffentlichten  Unter- 
suchungen (vgl.  Z.  1.  485)  beobachtet  zu  haben,  dass  die  Virulenz 
von  Bakterien,  die  allein  nicht  imstande  sind,  sich  im  Körper  der  Ver- 
suchstiere zu  vermehren,  durch  gleichzeitige  Einverleibung  der  toxischen 
Produkte  anderer  Bakterien  (z.  B.  B.  coli)  gesteigert  werden  kann. 
Monti1)  hat  dann  für  abgeschwächte  Kulturen  des  Pneuino-,  Strepto- 
und  Staphylokokkus  einerseits  und  sterilisierte  Proteuskulturen  anderer- 
seits dasselbe  bewiesen.  Nach  Roncali  (A.  J.  93)  gewinnen  abgeschwächte 
Bakterien  (Milzbrand,  Typhus,  Cholera,  Staphylokokken,  Kaninchen- 
septikämie  u.  s.  w.),  wenn  sie  auf  tetanus gifthaltigen  Nährböden  ge- 
züchtet werden,  ihre  Virulenz  zurück  und  steigern  sie  noch  über  das 
ursprüngliche  Mass.  Durch  Kombination  von  unwirksamen  Eiterbakterien 
mit  lebenden  Kulturen  anderer  Eiterungserreger  oder  Saprophyten,  wie 
Bac.  prodigiosus,  cyanogenus,  proteus,  subtilis  und  coli  communis,  wird  den 
ersteren  nach  Geawitz  (V.  108),  Fessler  (r:  C.  13.  197)  und  Tkombetha 
(C.  12.  4/5)  ihr  pyogenes  Vermögen  zurückgegeben.  Die  Virulenz  von 
Pneumokokken  wird  durch  gemeinsame  Verimpfung  mit  Milzbrand- 
bacillen  (Pake,  Ri.  94.  238  und  Mühlmann,  C.  15.  23)  oder  Staphylo- 
kokken (Mosnt,  S.  95.  1)  wiederhergestellt,  und  das  gleiche  gilt  für  abge- 
schwächte Diphtheriebacillen  und  Streptokokken  nach  Roux  u.  Yersin  (P. 
88;  vgl.  auch  Bonhoee,  R.  96.  3).  Die  Entwicklung  der  Tuberkulose  kann 
durch  gleichzeitige  Verimpfung  von  Eiterbakterien  nach  Baum  garten  (C. 
M.  84.  2)  und  Pawlowsky  (P.  89. 10)  sehr  beschleunigt  werden.  Auch  bei 
Typhus  und  Cholera  soll  die  Kombination  mit  Streptokokken  (Vincent, 
r:  C.  92. 2/3),  Kolonbacillen  (Sanarelli,  P.  94. 4/6;  Blachstein  u.  Zumet, 
A.  Pet.  2;  Agrö,  A.  J.  95.  1),  Proteus  (Lew  u.  Thomas,  A.  P.  35) 
und  anderen  Bakterien  (Metschnikoef  ,  P.  94.  8)  die  Virulenz  steigern. 
Besonders  interessant  sind  die  Mischinfektionsversuche  mit  Anaerobien. 
Nach  Untersuchungen  von  Vaillard,  die  im  wesentlichen  auch  von 
Klipstein  (P.  91.  1;  92.  6;  93.  11  und  R.  93.  1)  bestätigt  worden  sind, 
besitzen  die  Tetanusbacillen  oder  -Sporen  nicht  die  Fähigkeit,  im  Zu- 
stande der  Reinkultur  im  Körper  der  Versuchstiere  sich  zu  vermehren 
und  Gift  zu  produzieren,  wohl  dagegen,  wenn  sie  mit  Bakterien  anderer 
Art  gemischt  sind  —  und  das  ist  ja  bei  den  natürlichen  Infektionen 
durch  Splitter,  erdige  Partikelchen  u.  s.  w.  stets  der  Fall.  Auch  beim 
malignen  Odem  und  Rauschbrand  wird  die  Infektion  im  weniger  em- 
pfänglichen Tier,  oder  wenn  das  Virus  abgeschwächt  ist,  durch  Bei- 
mischungen   anderer   Mikroorganismen    (Prodigiosus,    Staphylokokken, 


1)  Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei.  Yol  V,  Fase.  7.  1889. 


314  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Fäulnisbakterien)  oder  ihrer  Produkte  entschieden  begünstigt  (Rogee, 
S.  B.  S9;  Penzo,  C.  10.  25;  Besson,  P.  95.  3;  vgl.  auch  Kedrowski, 
Z.  20.  3).  Nach  Sanfelice  (Z.  14.  386)  erlangen  die  nicht  virulenten 
Pseudoödem-  undPseudorauschbrandbacillen  in  tetanusgifthaltigen  Nähr- 
böden die  Virulenz  des  echten  Odems  und  Rauschbrands.  Toxische 
Bakterien  (Fluorescens,  Prodigiosus,  Cyanogenus  u.  s.  w.)  sollen  durch 
Kultur  in  tetanustoxinhaltigen  Nährböden  nach  Roncali  (A.  J.  93)  die 
Fähigkeit,  stärkere  Gifte  zu  bilden,  erlangen. 

Wenn  durch  die  berichteten  Thatsachen  Beispiele  für  die  schäd- 
lichen "Wirkungen  von  Bakterienassociationen  beigebracht 
Averden,  so  beleuchten  die  folgenden  Beobachtungen  die  günstige, 
geradezu  kurative  Bedeutung  mancher  Mischinfektionen. 

Nachdem  schon  früher  Pastetjr  (C.  R.  95.  107)  bemerkt  hatte, 
dass  man  durch  abgeschwächte  Kulturen  von  Hühnercholera  gegen 
Milzbrand  immunisieren  könne  (vgl.  Arloing,  L.  296),  machte  Emme- 
rich *)  zufällig  die  Beobachtung,  dass  man  Meerschweinchen,  welche 
mit  Erysipelkokkenkulturen  infiziert  worden  waren,  pathogene  Bakterien 
verschiedener  Art  injizieren  kann,  ohne  dass  die  Tiere  zu  Grunde  gehen. 
Systematische  Versuche  ergaben  dann,  dass  die  Vorbehandlung  mit 
Erysipelkulturen  gegen  die  nachträgliche  Infektion  mit  Milzbrand 
schützt.  Subkutane  Streptokokkeneinspritzung  bei  einmal  ausgebrochener 
Milzbrandinfektion  ist  wirkungslos,  während  die  intravenöse  Einverleibung 
in  vielen  Fällen  zur  Heilung  führt.  Zagari  konnte  die  Emmerich- 
schen  Resultate  nur  unvollkommen  bestätigen,  vielleicht  weil  sein 
Milzbrand  zu  virulent  oder  seine  Erysipelkulturen  zu  schwach  waren 
(G.  J.  87).  Dagegen  gelang  es  Pawlowsky.  (V.  108)  eine  heilende 
Wirkung  gegenüber  dem  Milzbrand  nicht  nur  für  Erysipelkokken, 
sondern  besonders  für  FRiEDLÄNDER'sche  Bacillen,  Prodigiosus  und 
Staphylokokken2)  festzustellen,  allerdings  nur  bei  subkutaner  Infektion  und 
lokaler  Behandlung.  Die  intravenöse  Injektion  wies  nur  beim  Fried- 
LÄNDERschen  Bacillus  einige  Erfolge  auf.  Den  genaunten  Bakterien 
schliesst  sich  in  seinem  Effekt  der  Bac.  pyocyaneus  an,  durch  dessen 
lebende  Kulturen  Bouchard  (CR,  108)  die  Milzbrandinfektion  mit  Erfolg 
bekämpfen  konnte,  während  Woodhead  und  Wood  (C.  R.  109)  mit 
sterilisierten  Kulturen  Impfschutz  und  Heilung  erzielten  (vgl.  auch 
Blagovestschensky,  P.  90.  11).  Buchner  (B.  90.  10)  bewies,  dass 
man  auch  mit  sterilisierten  Kulturen  des  FRiEDLÄNDERschen  Bacillus, 


1)  Emmerich,  Tagebl.  der  59.  Naturforscherversammlung  zu  Berlin  86.   S.  145, 
sowie  Emmerich  u.  di  Mattei,  F.  87.  20. 

2)  Vgl.  auch  Beco  (r:  C.  18.  20/21)  über  die  gegenseitige  Beeinflussung  von 
Milzbrandbacillen  und  Staphylokokken. 


Kruse,  Krankheitserregung.  3 15 

und  zwar  sowohl  durch  Verimpfung  an  dem  Orte  der  Infektion,  als 
auch  an  beliebiger  anderer  Körperstelle  bei  Kaninchen  und  Meer- 
schweinchen die  Entwicklung  des  Milzbrands  hemmen  oder  ganz 
aufhalten  kann  (vgl.  auch  v.  Düngern,  Z.  18.  1).  In  gewissem 
Grade    soll    sich  auch   durch  Fäulnistoxine   (Kostjuein  u.  Keainsky, 

C.  10.  17)  Heilung  von  Milzbrand,  durch  Typhus  (Pavone:  G.  J.  87) 
und  Cholera  (Gabeitschewsky  u.  Maljutin,  C.  13.  780)  Impfschutz 
dagegen  erhalten  lassen.  Pane  spricht  sogar  von  einer  gegen- 
seitigen Immunisierung  zwischen  Milzbrand-  und  Pneumoniebak- 
terien (B.  94.  19),  während  Mühlmann  eine  solche  entschieden 
leugnet  (C.  15.  23).  Nach  Htjeppe  u.  Wood  (B.  89.  16)  gelingt  die 
Immunisierung  gegen  Milzbrand  durch  einen  nicht  virulenten,  dem 
Milzbrandbacillus  ausserordentlich  ähnlichen  Sapröphyten.  Den  Schluss 
dieser  bakteriotherapeutischen  Bestrebungen  machte  schliesslich  Emme- 
eich  durch  seine  Mitteilung  (M.  94.  28)  über  die  Heilwirkung  des  Blut- 
serums von  Tieren,  die  gegen  Streptokokken  immunisiert  waren,  bei 
der  genannten  Infektion. 

Die  Erysipelkokken  wurden  auch  gegen  andere  Bakterien  ins  Feld 
geführt,  so  z.  B.  gegen  die  Tuberkulose  der  Meerschweinchen  (Solles, 
r:  J.  89.  272),  entsprechend  den  klinischen  Erfahrungen  über  die  günstige 
Beeinflussung  menschlicher  Tuberkulose  durch  Erysipel.  Auf  der 
gleichen  Basis  beruhten  auch  die  nicht  selten  mit  mehr  oder  weniger 
Glück  ausgeführten  Versuche,  durch  Verimpfung  von  Erysipelkulturen 
(s.  oben  die  Litt,  bei  Beuns),  ihren  Toxinen  (Speonck,  P.  92;  Coley, 
r:  C.  16.23;  Johnson,  r:  C.  W.95.4;  Feiedeich, B.  95. 49;  Czeent,M.95. 
36)  und  schliesslich  von  Erysipelserum  (Emmeeich,  D.  95.  43;  «Scholl, 

D.  95.  46)  maligne  Tumoren  zum  Schwinden  zu  bringen. 

Auch  die  Behandlung  mit  Bac  pyocyaneus  resp.  seinen  Produkten 
hat  man  auf  Grund  der  BouCHAED'schen  Experimente  bei  menschlichen 
Infektionen  versucht,  und  zwar  mehrfach  bei  Typhus  (Rumpe,  D.  93.  41 
u.  C.  W.  95;  Keaus,  W.  94.  26;  Peessee,  Z.  Heil.  1 6).  Ein  Urteil  über  den 
Erfolg  dieser  Methode  wäre  bei  der  geringen  Zahl  der  Fälle  noch  verfrüht. 

Schon  oben  wurden  mehrere  Beispiele  für  die  Möglichkeit  der  Ver- 
leihung eines  präventiven  Impfschutzes  gegen  Milzbrand  durch 
andere  Bakterien  (Erysipel,  Pyocyaneus)  genannt.  Nach  Bonome  (F. 
91.  18)  soll  ferner  Impfung  mit  Kaninchenseptikämie  gegen  Pneumo- 
kokkeninfektion,  nach  Peeeoncito  (C.  11.  431)  sogar  Milzbrandimpfung 
gegen  Tuberkulose  schützen.  In  ähnlicher  Richtung  bewegen  sich  die 
Experimente  Gamaleia's  (P.  88),  E.  Klein's  (C.  13.  426)  und  Sobeen- 
heim's  (R.  93.  22),  die  durch  Injektion  von  anderen  pathogenen  Bakterien 
oder  Sapröphyten  Versuchstiere  vor  dem  Tode  durch  nachfolgende 
Infektion  mit  Cholerakulturen  retten  konnten.    An  der  Thatsache  selbst 


316  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ist  nicht  zu  zweifeln,  von  der  Immunisierung  in  spezifischem  Sinne, 
wie  sie  durch  die  eigenen  Produkte  des  Infektionserregers  erzeugt 
wird,  unterscheidet  sich  aber  dieser  Impfschutz  durch  seine  geringe 
Dauerhaftigkeit.  Diese  Thatsache  wird  schon  von  Di  Mattei  (Accad. 
medic.  Torino  88)  berichtet,  der  die  Schutzdauer  der  Impfung  mit 
Erysipel  nur  auf  3—10  Tage  schätzte  (vgl.  R.  Pfeiffer  u.  Issaeff,  Z. 
17.  3  und  unter  K  und  L). 

Die  Erklärung  für  die  bisher  aufgeführten  günstigen  und  un- 
günstigen Effekte  der  Bakterienassociation  ist  nicht  leicht  zu 
geben,  da  ein  und  derselbe  Mikroorganismus  die  eine  Infektion  er- 
leichtern, die  andere  hemmen  kann.  Noch  undurchsichtiger  werden 
diese  Verhältnisse,  wenn  man  die  folgenden,  neuerdings  gemachten  Be- 
obachtungen berücksichtigt.  Für  den  Rauschbrand  hatte  Roger  (s.  o.) 
gefunden,  dass  das  von  Natur  dafür  wenig  empfängliche  Kaninchen 
daran  zu  Grunde  geht,  wenn  man  den  Bac.  prodigiosus  mit  dem  Virus 
kombiniert.  Dunschmann  wies  umgekehrt  nach  (P.  94.  6),  dass  die 
empfänglichen  Meerschweinchen  durch  Behandlung  mit  Prodigiosus  vor 
dem  Tode  durch  Rauschbrand  geschützt  werden.  Noch  mehr!  Charrin 
(S.  95.  27)  will  Kaninchen  —  wie  Pawlowskt  —  durch  Prodigiosus 
vor  dem  Milzbrandtode  bewahrt,  bei  Meerschweinchen  aber  dieselbe 
Iüfektion  durch  ebendenselben  Prodigiosus  beschleunigt  haben! 

Die  Lösung  der  sich  hier  uns  bietenden  Rätsel  muss  auf  chemi- 
schem Wege  versucht  werden;  denn  dass  die  Produkte  der  Bakterien 
die  bei  der  Mischinfektion  wirksamen  Potenzen  darstellen,  folgt  aus 
der  vielfach  konstatierten  Thatsache,  dass  die  lebenden  Bakterien  ohne 
Änderung  des  Erfolges  durch  sterilisierte  Kulturen  ersetzt  werden 
können.  Von  massgebender  Bedeutung  ist  der  Virulenzgrad  der  zu 
beeinflussenden  Bakterien  dem  Wirtsorganismus  gegenüber  und  das 
Mengenverhältnis  der  mit  einander  kombinierten  Kulturen  (vgl.  u.  P). 

G.  Eintrittspforten  der  Infektion. 

Zum  Begriff  der  Infektion  gehört  die  Aufnahme  der  Infektions- 
erreger in  das  Gewebe  der  Körpers,  und  sei  es  auch  nur  in  die  obersten 
Schichten  des  Epithels.  Die  blosse  Berührung  des  virulenten  Keims 
mit  dem  Körper  ist  noch  keine  Infektion,  und  selbst  die  Vermehrung 
von  Keimen  auf  inneren  Oberflächen  darf  nicht  als  solche  bezeichnet 
werden,  denn  sonst  müssten  wir  den  Darm,  in  dessen  Inhalt  sicher  eine 
Bakterienvermehrung  stattfindet,   als  einen  Infektionsherd  anerkennen. 

Die  Möglichkeiten  für  das  Zustandekommen  einer  Infektion  sind 
verschiedene,  je  nach  der  Stelle,  die  dieselbe  vermitteln  soll,  und  nach 


Kruse,  Krankheitserregung.  317 

den  Eigenschaften  des  Infektionserregers.     Ausserdem  ist  der  Verlauf 
der  Erkrankung  je  nach  der  Eintrittspforte  des  Virus  ein  wechselnder. 

Die  äussere  Haut  bildet  bei  Mensch  und  Tier  eine  Schranke  für  den 
Eintritt  von  Mikroorganismen  in  das  Gewebe  des  Körpers,  eine  Schranke, 
die  freilich  unter  Umständen  überschritten  werden  kann.  Garre  (F.  85.  6) 
lind  später  Schimmelbusch  (Arch.  f.  Ohrenheilk.  88)  konnten  durch  Ein- 
reibung von  Staphylokokkenmassen  in  ihre  eigene  gesunde  Haut  typische 
Furunkel  und  Karbunkel,  Bockhart  (M.  D.  87)  durch  entsprechende 
Applikation  von  verdünnteren  Staphylokokkenaufschwemmungen  Impe- 
tigopusteln  und  Furunkel  hervorrufen.  Die  Bakterien  drangen  dabei, 
wie  die  histologische  Untersuchung  lehrte,  in  die  Ausführungsgänge 
der  Talgdrüsen,  Haarbälge  und  Schweissdrüsen  und  von  da  auch  in 
die  sub epithelialen  Schichten,  erzeugten  daselbst  durch  ihre  Vermehrung 
die  genannten  entzündlichen  und  entzündlich-nekrotischen  Prozesse. 
Auf  ähnliche  Weise,  also  ohne  Verletzung  der  Haut,  lassen  sich  auch 
allgemeine  Infektionen  mit  Milzbrand,  Mäuseseptikämie,  Rotz  und  den 
Bacillen  der  RiBBERT'schen  Darmdiphtherie  bewerkstelligen  (Roth,  Z.  4; 
Machnoff,  C.  7.  441;  Cornil,  S.  90.  22;  Wasmuth,  C.  12.  23/24; 
Kondorski,  r:  C.  12.  21).  Die  Einverleibung  wird  begünstigt,  wenn 
die  Kulturen  mit  einer  Salbengrundlage  gemischt  eingerieben  werden. 
Die  Eintrittspforten  sind  dieselben  wie  oben,  nur  sind  die  letztgenannten 
Bakterien  zu  fortschreitender  Invasion  besser  geeignet.  Auch  die  Milch- 
gänge können  als  Eintrittspforte  für  infektiöse  Bakterien  (Staphylo- 
kokken) dienen.  Es  müssen  aber  wohl  besondere  Bedingungen  dafür 
vorliegen,  denn  im  allgemeinen  besitzt  die  Milch  eine  bakterienfeind- 
liche Wirkung  (Fokker,  Z.  9;  v.  Freudenreich,  Ann.  de  miorogr.  91; 
vgl.  ausserdem  M  u.  N.)  £ 

Viel  günstiger  werden  die  Infektionsbedingungen  natürlich,  wenn 
die  Haut  in  ihrer  Kontinuität  verletzt,  wenn  eine  Wunde  gesetzt  wird. 
Endermatische  Impfungen  mit  Septikämiebakterien,  d.  h.  Einbringen 
derselben  in  Wunden,  die  nur  die  Haut  ritzen,  sie  nicht  durchtrennen, 
führen  bei  empfänglichen  Tieren  ausnahmslos  den  Tod  der  Tiere  her- 
bei. Auch  mit  dem  Tuberkelbacillus  lässt  sich  ein  ähnliches  Resultat 
erreichen  (Cozzolino,  A.  J.  95.  1).  Für  die  gewöhnlichen  Eiterungs- 
und Entzündungserreger  ist  das  gleiche  aus  der  ärztlichen  Erfahrung 
und  den  Experimenten  von  Fehleisen,  Bockhart  u.  A.  bekannt.  Gün- 
stiger noch  sind  die  Versuchsbedingungen  bei  subkutanen  oder  in  die 
Muskeln  hineinreichenden  Wunden,  da  die  locker  unter  dem  Corium 
liegenden  Gewebe  die  Resorption  befördern.  Ein  wichtiger  Unterschied 
besteht  darin,  ob  die  Wunde  klafft,  ob  also  der  Sauerstoff  der  Luft 
die  ganze  Wundfläche  bestreicht  oder  nicht.  In  ersterem  Falle  können 
anaerobe    Affektionen,    wie    Tetanus,     malignes    Ödem   und    Rausch- 


318  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

brand  nicht  zur  Entwicklung  kommen;  aber  auch  für  gewöhnliche 
Eiterbakterien  scheint  der  Abschluss  der  Luft  befördernd  zu  wirken. 
Die  Bakterienflora,  die  sich  auf  natürlichen  Wunden  findet,  ist  im 
ganzen  eine  recht  beschränkte.  Es  liegt  das  sicher  nicht  blos  in  den 
Infektionsgelegenheiten,  sondern  teilweise  auch  in  der  spezifischen  Be- 
schaffenheit der  Mikroorganismen,  von  denen  eben  einige,  wie  z.  B. 
Gonokokken,  Pneumoniekokken,  Infiuenzabacillen,  so  gut  wie  gar  nicht 
auf  Wunden  gedeihen.  Dass  aber  alle  Bakterien,  selbst  Saprophyten 
durch  frische  Wunden,  auf  die  sie  gelangen,  resorbiert  werden,  hat  neuer- 
dings Schimmelbusch  (F.  95.  1/2  u.  7/9)  gezeigt.  Die  Aufnahme  er- 
folgt sogar  ausserordentlich  rasch,  besonders  von  Muskelwunden  aus, 
z.  B.  lassen  sich  die  Keime  manchmal  schon  eine  halbe  Stunde  nach- 
her in  den  inneren  Organen  durch  die  Kultur  nachweisen.  In  einem 
Experimente  war  sogar  eine  am  Schwanz  mit  Milzbrand  infizierte  Maus 
durch  die  nach  10  Minuten  vorgenommene  Amputation  desselben  nicht 
mehr  zu  retten.  Schon  von  Rodet1)  u.  A.  sind  am  Kaninchenohr 
ähnliche  Thatsachen  konstatiert  worden.  Die  Schnelligkeit  dieses  Vor- 
gangs spricht  dafür,  dass  die  Blutgefässe  haupsächlich  daran  be- 
teiligt sind. 

Auf  alten,  eiternden  Wunden  vollzieht  sich  dagegen  die  Re- 
sorption von  Bakterien  sehr  viel  unvollkommener.  Sestini  (Ri.  90. 
172/173)  hat  experimentell  auf  diesem  Wege  weder  eine  Infektion  mit 
Milzbrand,  noch  mit  Hühnercholera  erreichen  können.  Auch  von  ge- 
schlossenen-Abscessen  aus,  in  die  er  Milzbrandbacillen  injizierte,  hat 
Bergonzini  (r:  J.  92.  556)  keine  Allgemeininfektion  erzielt. 

Die  Schleimhäute  sind  leichter  verletzlich,  sie  resorbieren  ge- 
löste und  suspendierte  Stoffe  leichter  als  die  Haut,  doch  setzen  auch 
sie  im  allgemeinen  der  Resorption  einen  gewissen  Widerstand  entgegen. 

Lösungen  kommen  für  uns  hier  nur  in  Betracht,  soweit  sie  Bak- 
teriengifte betreffen.  Gerade  diesen  gegenüber  erweisen  sich  die  un- 
verletzten Schleimhäute  verhältnismässig  wenig  zugänglich,  wohl  aus 
rein  mechanischen  Gründen,  d.  h.  weil  sie  sich  gegen  schwer  diffusible 
Substanzen  wie  osmotische  Membranen  verhalten.  Bestehen  aber  Epithel- 
defekte, so  findet  die  Aufsaugung  ungehindert  statt.  Es  sind  solche 
Epithelverluste  besonders  bedenklich  im  Darm,  in  dessen  Inhalt  sich 
unter  normalen  und  pathologischen  Verhältnissen  durch  Bakterien- 
wirkung regelmässig  toxische  Produkte  bilden.  Die  Cholera  in  ihren 
verschiedenen  Formen  ist  z.  B.  ein  Prozess,  der  durch  die  auf  solche 
Weise  entstehende  Giftresorption  gefährlich  wird  (vgl.  unter  N). 


1)  Vgl.  Frank  u.  Lubaksch,  Z.  11.  275. 


Kktjse,  Krankheitserregung.  3^9 

Die  Aufnahme  der  Bakterien  selbst  durch  die  Schleimhaut  lässt  sich 
am  bequemsten  an  der  Konjunktiva  studieren.  Braunschweig  (F.  89. 
24)  hat  dabei  das  bemerkenswerte  Resultat  gefunden,  dass  durch  diese 
Membran,  so  lange  sie  unverletzt  ist,  keine  Infektion  mit  Milzbrand, 
Mäuseseptikämie,  Hühnercholera,  Tetragenus,  Staphylokokkus  pyogenes 
möglich  ist,  während  der  Bacillus  der  Darmdiphtherie  des  Kaninchens 
nach  ihm,  Ribbert  (D.  87.  8)  und  Roth  (Z.  4)  konstant  auf  der  Kon- 
junktiva eine  örtliche  und  später  eine  allgemeine  Erkrankung  erzeugt. 
Ebenfalls  pathogen  für  die  intakte  Bindehaut  ist  bekanntlich  der  Er- 
reger der  Gonorrhoe.  Durchlässig  ist  die  Konjunktiva  nach  Galtier 
(S.  B.  90)  für  das  Virus  der  Hundswut.1) 

Durch  Verletzung  der  Konjunktiva  wird  selbstverständlich  auch 
den  übrigen  Infektionen  ein  Weg  gebahnt.  Nur  die  Kornea  erweist 
sich  wegen  der  Starrheit  ihres  Gewebes  und  ihrer  Gefässlosigkeit  nach 
zahlreichen  Versuchen  (vergl.  G.  Frank,  C.  4.  23/24)  refraktär  gegen  die 
Mikroorganismen  der  Septikämien  und  metastatischen  Erkrankungen, 
die  höchstens  eine  örtliche  Affektion  darin  zu  erregen  imstande  sind. 
Freilich  gelingt  es  nach  Straes  (r:  J.  92.  119)  bei  Einimpfung  reich- 
lichen Materials  manchmal,  Milzbrandbacillen  in  der  Kornea  des  Kanin- 
chens zum  reichlichen,  allerdings  stets  sehr  langsamen  Wachstum  und 
schliesslich  zur  Ausbreitung  in  die  Umgebung  und  zum  Übergang  in 
den  Kreislauf  zu  bringen.  Und  Löeeler  (M.  G.  1.  172)  hat  für  die 
Bacillen  der  Mäuseseptikämie  bei  Kaninchen  den  gleichen  Befund  er- 
hoben. 

Die  Nasenschleimhaut  ähnelt  bezüglich  ihrer  Resorptions- 
verhältnisse der  Konjunktiva,  die  experimentelle  Infektion  glückt  nach 
Ribbert  und  Roth  (a.a.O.)  nur  mit  dem  Bacillus  der  Darm  diphtherie  des 
Kaninchens.  Man  fragt  sich,  worin  diese  Widerstandsfähigkeit  der 
Schleimhaut  begründet  ist.  Es  wäre  doch  anzunehmen,  dass  Bakterien, 
die  zufällig  auf  die  Oberfläche  und  in  das  Sekret  derselben  gelangen,  oder 
absichtlich  hineingebracht  werden,  darin  zum  Wachstum  kommen, 
dann  durch  ihre  Stoffwechselprodukte  die  Schleimhaut  selbst  schädi- 
gen und  schliesslich  in  sie  eindringen  könnten.  Der  Versuch  und  die 
ärztliche  Erfahrung  lehren,  dass  nur  wenige  Mikroorganismen  dazu  im- 
stande sind.  Nach  Wurtz  und  Lermoyez  ist  die  bakterienfeind- 
liche Eigenschaft  des  Schleims  daran  schuld  (S.  93.  44).  Selbst 
Milzbrandsporen  sollen  im  menschlichen  Nasensekret  binnen  drei  Stun- 


1)  Die  obigen  Resultate  wurden  von  Conte  (r.  J.  93.  609)  nicht  sämtlich 
bestätigt.  Bei  Hühnercholera  gelang  die  Infektion  schon  nach  einer  Berührung 
der  Schleimhaut  mit  dem  Infektionsstoff,  die  eine  Minute  dauerte,  hei  Rotz  nach 
einer  solchen  von  V2 — 6  Stunden,  bei  Hundswut  nach  4 — 10  Stunden. 


320  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

den  absterben.  Es  liegt  nahe,  den  Ausscheidungen  der  übrigen  Schleim- 
häute ähnliche  Fähigkeiten  zuzuschreiben.  In  der  That  ist  das  für  die 
schleimigen  Absonderungen  der  weiblichen  Genitalorgane  (s.  unten) 
bestätigt  worden.  Weitere  Untersuchungen  wären  recht  wünschens- 
wert. Auch  die  Mundschleimhaut  ist  durch  den  Speichel1)  geschützt, 
nach  Sanarelli  (C.  10.  25)  sollen  nur  zwei  Arten  pathogener  Bak- 
terien darin  fortkommen,  nämlich  die  Diplokokken  der  Pneumonie 
und  Diphtheriebacillen.  Es  entspricht  das  einigermassen  den  Befunden, 
die  schon  früher  bezüglich  der  Bakterienflora  des  Mundes  erhoben  worden 
sind  (vgl.  unter  N).  Die  Schleimhaut  des  Mundes  und  Pharynx  besitzt 
ausserdem  noch  dadurch  einen  gewissen  Schutz,  dass  sie  mit  sehr 
resistentem  Pflasterepithel  versehen  ist.  So  erklärt  sich  vielleicht  die 
Thatsache,  dass  selbst  die  sonst  so  invasionsfähigen  Bakterien  der 
Darmdiphtherie  des  Kaninchens  hier  nicht  zur  Wirkung  kommen. 
Nur  die  Mandeln,  deren  Oberfläche  bekanntlich  tief  zerklüftet  und 
durch  starke  Entwicklung  lymphatischen  Gewebes  ausgezeichnet  ist, 
besitzen  die  Immunität  der  benachbarten  Teile  nicht,  sondern  scheinen 
allen  möglichen  Infektionserregern  den  Eintritt  zu  gestatten.  Durch 
ihren  Bau  sind  sie  zur  Retention  von  Infektionskeimen  geeignet;  die 
reichlich  stattfindende  Auswanderung  erzeugt  eine  Lockerung  des  Epi- 
thels und  bahnt  möglicherweise  den  Bakterien  direkte  Wege;  vielleicht 
findet  daneben  noch  eine  Einwanderung  von  mit  Fremdkörpern  be- 
ladenen  Lymphkörperchen  statt  (vgl.  Stöhe,  V.  97).  Sicherlich  sind 
die  Mandeln  Prädilektionsstellen  für  Infektionen,  das  be- 
weisen zahllose  klinische  und  auch  experimentelle  Erfahrungen 
(vgl.  Ribbert,  D.  87.8;  Strassmann,  V.  96.  314;  Baumgarten,  L.  602/3). 
Die  Schleimhaut  der  Luftwege  bis  zu  der  Epithelialaus- 
kleidung  der  Alveolen  hinunter  ist  nach  den  vorliegenden  Versuchen 
nicht  sehr  geeignet,  Infektionen  zu  vermitteln.  Arnold's2)  Unter- 
suchungen haben  allerdings  bewiesen,  dass  kleinste  korpuskulare  Ele- 
mente, die  in  die  Luftwege  eingeführt  werden,  durch  den  Lymphstrom 
aufgenommen  und  in  den  Lymphdrüsen  des  Lungenhilus  deponiert 
werden.  Die  Möglichkeit,  dass  das  gleiche  auch  mit  Bakterien  ge- 
schieht, ist  nicht  auszuschliessen.  Es  kommen  ja  viele  Fälle  von  intakten 
Lungen  vor,  deren  zugehörige  Lymphdrüsen  tuberkulös  sind.  Baum- 
garten konstatierte  den  Übergang  in  die  Lymphgefässe  der  Lunge 
durch    direkte    Untersuchung    nach    Injektion  reichlicher  Mengen   von 


1)  Nach  Edinger,  Ber.  d.  Freiburger  Naturf.  Gesellsch.  94,  A.  Müller,  C. 
17.  20,  Martinotti,  C.  19.  4/5  hätte  man  an  einen  Einfluss  der  Rhodanate,  die 
z.  T.  erhebliche  antiseptische  Fähigkeiten  besitzen,  zu  denken. 

2)  Untersuchungen  über  Staubinhalation  u.  Staubmetastasen.     Leipzig  1S85. 


Kruse,  Krankheitserregung.  321 

Prodigiosus,  Pilzsporen  und  Tuberkelbacillen  (L.  407).  Ein  rein  mecha- 
nischer Übergang  der  Bakterien  von  der  Lungenoberfläche  ins  Blut  wird 
dagegen  ohne  Erkrankungen  der  Lunge  und  der  auf  dem  Wege  liegen- 
den lymphatischen  Apparate  ebensowenig  erfolgen,  als  das  nach  Arnold 
bei  unbelebten  kleinsten  Körperchen  der  Fall  ist.  Im  allgemeinen 
verhalten  sich  freilich  die  Bakterien,  namentlich  die  infektiösen,  nicht 
wie  einfache  Fremdkörper.  Sie  sind  vor  allen  Dingen  wachstumsfähig 
und  können,  wenn  die  Bedingungen  günstig  sind,  durch  die  Alveolen- 
wand  in  die  umgebenden  Lymphräume,  oder  wenn  sie  durch  einfache 
Resorption  schon  dahin  gelangen,  von  dort  in  die  Blutkapillaren  hinein- 
wachsen. 

In  der  That  ist  so  die  Infektion  zu  denken,  die  von  Büchner 
(A.  8),  Muskatblüth  (C.  1.  11),  Enderlen  (Z.  T.  89),  Hildebrandt 
(Zi.  2),  Banti  (A.  S.  M.  88)  bei  Inhalation  oder  intratrachea- 
ler Einspritzung  von  Milzbrand-,  Hühnercholera-,  Kaninchenseptikä- 
mie-  und  Pneumoniebakterien  und  auch  bei  Lyssa  (Galtier,  S.  B.  90) 
beobachtet  worden  ist.  Die  Tuberkelbacillen  sind  ebenfalls  befähigt, 
im  Lungengewebe  zu  wuchern  und  sich  metastatisch  weiter  zu  ver- 
breiten. Allerdings  ist  —  wenigstens  bei  den  Septikämieerregern  —  meist 
erst  eine  grosse  Menge  des  Virus  imstande,  die  Infektion  zu  erwirken.  So 
erklären  sich  teilweise  die  negativen  Resultate,  die  Flügge  (L.  607), 
Hildebrandt  (Zi.  2),  Kruse  undPANSiNi  (Z.  11.  349)  und  Grammatschi- 
koee  (Tu.  1. 450)  gehabt  haben.  Durch  diese  wird  jedenfalls  bewiesen, 
dass  das  Lungengewebe  dem  Wachstum  der  Infektionskeime 
einen  gewissen  Widerstand  entgegenstellt.  Leider  ist  durch  diese 
Experimente  wenig  gewonnen  für  das  Verständnis  der  Ätiologie  der 
—  ausser  der  Tuberkulose  —  beim  Menschen  hauptsächlich  vorkom- 
menden Lungenaffektionen,  da  dieselben  im  Tiere,  von  gewissen  Formen 
der  Aspirationspneumonien  abgesehen,  nur  höchst  unvollkommen  zu 
reproduzieren  sind  (vgl.  Kruse  u.Pansini,  Z.  11).  Ob  die  anderen  Pneu- 
monien durch  Inhalation  oder  durch  kontinuierliches  Wachstum  den 
Luftwegen  entlang  zustande  kommen,  wissen  wir  nicht.  Die  biologi- 
schen Eigenschaften  der  Erreger  (Pneumo-,  Streptokokken,  Influenza- 
bacillen)  sprechen  mehr  für  letzteres,  die  plötzliche  Entstehung  nament- 
lich der  echten  Lungenentzündung  mehr  für  ersteres.  Jedenfalls 
sind  die  genannten  Mikroorganismen  zum  oberflächlichen  Wachstum 
auf  den  Respirationsschleimhäuten,  zur  Erzeugung  von  Katarrhen  ebenso 
befähigt,  wie  zur  Wucherung  im  Parenchym  der  Lunge.  Bei  Be- 
sprechung der  Disposition  im  folgenden  Abschnitte  (J)  werden  wir  auf  die 
infektionsbegünstigenden  Momente  einzugehen  haben.  Hemmend  soll 
nach  einigen  Autoren  eine  Einrichtung  wirken,  die  wir  auf  den  Schleim- 
häuten der  Luftwege    finden,   nämlich  die  Flimmerbewegung  ihrer 

Flügge,  Mikroorganismen.   3.  Auflage.  I.  21 


322  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Epithelien,  durch  die  Fremdkörper  aller  Art,  also  auch  Bakterien,  am 
Fortschreiten  nach  der  Tiefe  zu  verhindert  und  unter  günstigen  Umständen 
ganz  nach  aussen  befördert  werden  könnten.  Für  wirklich  infektiöse 
Bakterien  dürfte. dieser  Schutz  wohl  unzureichend,  für  andere  aber  bei 
ihrer  geringen  Masse  und  geringen  Widerstandsfähigkeit  überflüssig  sein. 

Im  Magen-Darmkanal  liegen  die  Dinge  etwas  günstiger  für 
Infektionen.  Zwar  ist  der  Magen  selbst  wohl  hauptsächlich  wegen  der 
Sekretion  des  Magensaftes  äusserst  wenig  zu  infektiösen  Erkrankungen 
disponiert  (Steaus  u.  Wuetz,  A.  E.  89).  In  vielen  Fällen  wird 
durch  denselben  eine  Abtötung  der  eingeführten  Keime  bewirkt,  stets 
eine  genügende  Hemmung  der  Entwicklung.  Die  infektiösen  Herde, 
die  man  in  seltenen  Fällen,  z.  B.  beim  Milzbrand,  in  der  Magenwand 
findet,  erklären  sich  wahrscheinlich  durch  Metastasen  auf  dem  Blut- 
wege. Die  unzweifelhaft  vorhandene  desinfizierende  Kraft  des  Magen- 
saftes hat  man  lange  überschätzt,  bis  namentlich  die  Erfahrungen 
mit  der  Cholera  eines  Besseren  belehrt  haben:  auch  bei  völlig  ge- 
sunder Funktion  des  Magens  können  Keime,  die  verhältnismässig  wenig 
widerstandsfähig  sind,  denselben  lebend  passieren,  sei  es  wegen  des 
ungenügenden  Verschlusses  des  Pylorus  —  besonders  bei  Aufnahme 
von  Flüssigkeiten  — ,  sei  es,  weil  die  Zeit  der  Einwirkung  nicht  hin- 
reicht, um  alle  Keime  abzutöten.  Sporen  und  resistentere  Mikroorga- 
nismen, wie  Tuberkelbacillen,  werden  gar  nicht  geschädigt. 

Sind  die  Infektionserreger  erst  in  den  Darm  gelangt,  so  begegnen  sie 
weiter  keinen  schädigenden  Einflüssen,  abgesehen  von  der  Konkurrenz 
der  Saprophyten,  die  praktisch  wohl  nur  in  wenigen  Fällen  in  Betracht 
kommt  (bei  der  Cholera?  vgl.  Feemiu.  Salto,  A.  J.  96. 1;  Metschnikoff, 
P.  94.  8).  Wichtiger  ist  die  starke  Verdünnung  der  spezifischen  Bakterien 
durch  die  Nahrungsmassen  und  Verdauungsflüssigkeiten.  Sie  erklärt  den 
grossen  Einfluss,  der  bei  allen  Experimenten  sich  bezüglich  der  Menge  des 
Virus  ergebenhat  (vgl. oben  unter  D.  S.  298).  Ist  dieselbe  genügend,  so  kann 
man  durch  eine  ganze  Reihe  von  Mikroorganismen  vom  Darm  aus  Infektionen 
erzielen,  so  beim  Milzbrand,  Schweinerotlauf,  Hühnercholera  und  ver- 
wandten Krankheiten,  Tuberkulose,  Cholera  asiatica,  Kaninchendiphtherie, 
Mäusetyphus  u.  s.  w.  Es  ist  dazu  nicht  nötig,  dass  eine  Darmverletzung 
vorhergeht,  wie  Pasteue  ursprünglich  angenommen  hatte,  weil  seine 
Fütterungsversuche  mit  Milzbrand  erst  dann  bessere  Resultate  gaben, 
wenn  er  der  Nahrung  stacheliges  Material  beimengte  (Koch,  Gaffky, 
Löfflee,  M.  G.  2).  Auch  bei  den  natürlichen  Infektionen,  die  sich  bis- 
her auf  künstlichem  Wege  nicht  reproduzieren  Hessen,  bei  Typhus, 
Dysenterie,  liegt  kein  Grund  vor,  eine  andere  Art  der  Entstehung 
als  bei  den  oben  genannten  Krankheiten  anzunehmen.  Wodurch  ist 
denn   aber    die    grössere  Disposition    der  Darmschleimhaut   gegenüber 


Kruse,  Krankheitserregung.  323 

derjenigen  der  Konjunktiva,  der  Nase  u.  s.  w.  begründet?  Es  liegt 
das  wahrscheinlich  an  dem  grossen  Reichtum  der  ersteren  an  Drüsen 
und  lymphatischen  Apparaten.  Gerade  diese  sind,  wie  die  Tonsillen, 
Prädilektionsstellen  der  Infektion.  Der  ganze  Bau  der  Schleimhaut 
ist  ja  übrigens  schon  normalerweise  zur  Resorption  eingerichtet; 
ebenso  wie  Fettkügelchen  in  feinster  Verteilung  in  die  Epithelien 
eindringen,  könnte  man  es  sich  vielleicht  von  den  Bakterien  vorstellen. 
In  der  That  wollen  Nocaed  und  Kauemann  neuerdings  (S.  95.  8  u.  24) 
während  der  Verdauung  regelmässig  einen  solchen  Durchtritt  von  Darm- 
bakterien in  den  Chylus  und  ins  Blut  gefunden  haben.  Die  älteren 
Beobachtungen  von  Ribbeet,  Bizzozebo,  Maneeedi  und  Rtjfeer1),  wo- 
nach in  den  obersten  Schichten  der  Darmwand  gesunder  Kaninchen  durch 
das  Mikroskop  Mikroorganismen  nachzuweisen  wären,  würden  sich  in 
ähnlicher  Weise  erklären.  Selbstverständlich  könnten  immer  nur  diejenigen 
unter  den  resorbierten  Bakterien  dem  Körper  gefährlich  werden,  die  zur 
parasitischen  Existenz  in  demselben  befähigt  wären.  Obwohl  von  früher 
her  (vgl.  Flügge,  L.  607)  negative  Befunde  berichtet  werden,  verdiente 
die  Wichtigkeit  der  Frage  nach  der  NocAEB-'schen  Mitteilung  eine  er- 
neute Bearbeitung.2)  Einige  pathologische  Erfahrungen  könnten  schon 
jetzt  als  Beweise  für  eine  rein  mechanische  Resorption  von  Mikro- 
organismen durch  die  Darmschleimhaut  angeführt  werden,  so  das  Vor- 
kommen einer  Mesenterial drüsentuberkulose  ohne  begleitende  Darm- 
läsion (vgl.  Dobeoklonski,  A.  E.  90).  Die  Entstehung  mancher  In- 
fektionen, bei  denen  die  Eintrittspforte  nicht  zu  ermitteln  ist,  Hesse 
sich  vielleicht  in  derselben  Weise  deuten.  Unter  N  bei  Besprechung 
der  Selbstinfektion  werden  wir  auf  diese  Frage  zurückkommen  (S.  382). 
Die  Harnröhre  weist  nur  eine  einzige  infektiöse  Erkrankung  auf, 
die  gonorrhoische.  Dass  nicht  auch  andere  Erreger  oberflächlicher  Ent- 
zündungen diese  Schleimhaut  affizieren  können,  ist  vielleicht  durch  die 
besondere  Beschaffenheit  des  dieselbe  passierenden  Sekretes  zu  be- 
gründen. Der  Gonokokkus  seinerseits  vermag  sich  nur  noch  —  mit 
Ausnahme  sehr  seltener  Fälle  (Rosinski,  Z.  Gy.  22.  1/2)  auf  zwei  anderen 
Schleimhäuten,  die  ebenfalls  mit  Cylinderepithel  versehen  sind,  der  Kon- 
junktiva  und   in    dem   weiblichen  Geschlechtskanal   anzusiedeln.     Die 


1)  Eibbert,  D.  85.  13;  Bizzozero,  C.  W.  85.  45;  Manfredi,  G.  J.  86;  Buffer, 
Quarterly  Journ.  of  nricroscop.  Science.  1890  S.  481.  Kulturversuche  bewiesen,  dass 
die  betreuenden  Keime  abgestorben  waren. 

2)  Neue  Versuche  in  JFlügge's  Laboratorium  haben  ebenfalls  wieder  nega- 
tive Resultate  ergeben.  Es  folgt  daraus  zum  mindesten,  dass  man  die  Ergebnisse 
Nocard's  mit  grosser  Vorsicht  beurteilen  soll.  Wenn  überhaupt  eine  Resorption 
von  Bakterien  stattfindet,  so  werden  sie  natürlich  zum  allergrössten  Teil  in  den 
Lymphdrüsen  des  Mesenseriums  zurückgehalten  werden. 

21* 


324  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

mit  Pflasterepithel  ausgestatteten  Strecken  der  letzteren  (Scheide)  pflegen 
dabei  nicht  ergriffen  zu  werden. 

Die  Blasenschleimhaut  ist  Sitz  von  Prozessen,  die  durch  eine 
ganze  Reihe  von  Bakterien  hervorgerufen  werden.  Von  der  Tuber- 
kulose abgesehen,  handelt  es  sich  wohl  hier  meistenteils  um  Selbst- 
infektionen, oder  wenigstens  um  solche  äusseren  Infektionen,  die  auf  die 
gleichen  Erreger  zurückzuführen  sind  wie  jene  (vgl.  unter  N).  Die  experi- 
mentelle Erzeugung  von  Cystitiden  gelingt  mit  seltenen  Ausnahmen  nur, 
wenn  man  durch  künstliche  Harnstauung  die  Blase  in  einen  abnormen 
Zustand  versetzt.  Dieselbe  bildet  ja  auch  unter  natürlichen  Verhältnissen 
ein  sehr  wesentliches  Moment.1)  "Wahrscheinlich  liegt  das  in  den  Ver- 
änderungen begründet,  die  der  Harn  bei  der  Stauung  erleidet  und  die 
seine  normalerweise  vorhandene  antiseptische  Kraft  herabsetzen  (vgl. 
Richter,  A.  12). 

Der  weibliche  Geschlechtskanal,  besonders  die  Schleimhaut 
des  Uterus  ist,  wenn  wir  die  Gonorrhoe  ganz  bei  Seite  lassen,  dadurch 
besonders  zu  Infektionen  disponiert,  weil  der  physiologische  Vorgang 
der  Geburt  die  Uterusinnenfläche  in  eine  Art  Wunde  verwandelt,  die 
der  Resorption  von  Krankheitserregern  geringeren  Widerstand  entgegen- 
setzt, als  die  intakte  Schleimhaut.  Daher  kommt  es  denn  wohl  auch, 
dass  unsere  Versuchstiere  (Nagetiere),  die  bei  dem  Geburtsakt  den 
Epithelüberzug  ihrer  Uterusschleimhaut  fast  intakt  erhalten,  weniger 
zu  Infektionen  neigen,  als  der  Mensch.  Nach  Stratts  u.  Sanchez- 
Toledo  (P.  88.  8)  haften  bei  Kaninchen,  denen  man  frisch  nach  dem 
Wurf  verschiedene  Bakterien  intrauterin  injiziert,  nur  die  Bacillen 
der  Hühnercholera,  nicht  dagegen  Milzbrand,  Staphylokokken,  malignes 
Odem  und  Rauschbrand.  Aber  auch  in  den  Geburtswegen  des  Menschen 
sind  gewisse  Schutzeinrichtungen  gegeben.  Döderlein2)  hat  die  saure 
Beschaffenheit  des  Vaginalsekrets  betont  und  auf  die  Vegetation  eigen- 
tümlicher nichtpathogener  Scheidenbacillen  zurückgeführt.  Krönig 
(D.  94.  43)  und  Menge  (D.  94.  46—48)  haben  dann  auch  für  die  Fälle 
von  weniger  saurem  Sekret  starke  antibakterielle  Eigenschaften  in 
demselben  entdeckt,  die  nur  unter  gewissen  Bedingungen,  nämlich  zur 
Zeit  der  Menstruation,  des  Puerperiums  u.  s.  w.  geringer  werden.  Auch 
dem  Cervikalsekret  wohnt  ein  ähnliches,  wenigstens  wachstumhemmendes 
Vermögen  inne  (vgl.  Walthard,   C.  17.  9/10  und  unter  N). 

Aus  den  mitgeteilten  Thatsachen  ist  zweierlei  zu  entnehmen:  erstens 


1)  Vgl.  Rovsing  ,    Über  Blasenentzündung.      Berlin,    Hirschwald.  90   und 
Schnitzler,  Zur  Ätiologie  derCystitis.     Wien,  Braumüller.  92. 

2)  Döderlein,    Über    das    Scheidensekret    und    seine    Bedeutung    für    das 
Puerperalfieber.    Leipzig  92. 


Kruse,  Krankheitserregung.  325 

dass  die  einzelnen  Stellen  der  äusseren  und  inneren  Oberfläche  des 
Körpers  sich  in  sehr  ungleicher  Weise  dazu  eignen,  Infektionen  zu 
vermitteln,  so  dass  man  von  örtlichen  Dispositionen  des  Orga- 
nismus sprechen  kann;  zweitens  existieren  zwischen  den  einzelnen 
Bakterien,  was  ihre  Fähigkeit  angeht,  von  einer  Eintrittspforte  aus 
infektiös  zu  werden,  spezifische  Unterschiede. 

Hat  die  Infektion  einmal  stattgefunden,  so  kann  der  Verlauf,  die 
Ausbreitung  derselben  je  nach  dem  Orte  der  ersten  Ansiedlung  bei 
einem  und  demselben  Mikroorganismus  sehr  wechseln.  Allerdings 
macht  es  bei  den  virulentesten  Bakterien,  die  Septikämie  oder  Meta- 
stasen erzeugen,  verhältnismässig  wenig  aus,  ob  die  Infektion  auf 
intravenösem,  intraperitonealem,  subkutanem  oder  ender- 
matischem  Wege  vor  sich  geht:  der  Tod  erfolgtin  jedem  Falle  durch 
Verallgemeinerung  des  Erregers.  Die  Dauer  der  Krankheit  wird 
freilich  stark  beeinflusst,  und  zwar  entspricht  die  obige  Reihenfolge 
dem  Eintritt  des  Todes  bei  den  genannten  Applikationsweisen, 
vorausgesetzt  natürlich,  dass  mit  gleichen  Dosen  gearbeitet  wird. 
Die  Schwankungen  der  Zeitdauer  betragen  z.  B.  für  die  Pneumonie- 
kokkeninfektion  beim  Kaninchen  1 — 5  Tage,  für  die  Tuberkulose 
des  Meerschweinchens  wenige  Wochen  bis  mehrere  Monate.  Der 
Grund  liegt  in  erster  Linie  in  der  verschiedenen  Schnelligkeit, 
mit  der  die  Krankheitserreger  ins  Blut  resorbiert  werden,  denn 
das  letztere  besorgt  ja  hauptsächlich  die  Verallgemeinerung  der 
Infektion.  Die  intraperitoneale  Einverleibung  steht  deswegen  der 
Einspritzung  ins  Blut  sehr  nahe,  weil  vom  Bauchfell  aus  durch 
die  Lymphgefässe  besonders  des  Centrum  tendineum  die  Aufsaugung 
sehr  rapide  vor  sich  geht.  Von  der  Subkutis  und  auch  von  oberfläch- 
lichen Hautwunden  werden,  wie  oben  erwähnt,  einzelne  Keime  zwar 
auch  sehr  schnell  —  durch  direkte  Aufnahme  in  die  Blutgefässe  — 
resorbiert,  aber  es  trifft  das  eben  nicht  so  viele  wie  im  Peritoneum. 
Die  meisten  gelangen  vielmehr  erst  in  die  regionalen  Lymphdrüsen 
und  müssen  diese  durchwachsen,  ehe  sie  weiter  kommen  können. 
Offenbar  sind  diese  Organe  also  Schutzvorrichtungen,  die  freilich 
bei  höchster  Virulenz  des  Infektionserregers  das  ungünstige  Endresultat 
nur  hinausschieben,  nicht  verhüten  können.  Das  ändert  sich  aber,  wenn 
das  Virus  abgeschwächt  ist.  Der  Effekt  ist  dann,  dass  die  subkutan 
infizierten  Tiere  nur  lokal  erkranken,  die  intravenös  infizierten  aber  an 
Septikämie  sterben.  Kruse  u.  Pansini  (Z.  11.  326)  haben  für  den 
Pneumoniekokkus  folgende  Stufenleiter  der  Virulenz  aufgestellt,  je 
nach  intraperitonealer  oder  subkutaner  Einspritzung: 


326  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Subkutane  Injektion.  Peritoneale  Injektion. 

Tod  durch  Septikämie  in  1—5  Tagen.  Septikämie  mit  regelmässig  schnellerem 
Tod  in  5—15  Tagen  oder  Überstehen.  Verlauf, 

der  Infektion  mit  Zurückbleiben  lokaler  Tod  durch  Septikämie  binnen  5  Tagen, 

Veränderungen.  selten  später  durch  Peritonitis. 

Nur  lokale  Veränderungen  dauernder  Vorübergehende  Erkrankung  oder 

Natur  (Abscess,  Ulceratioiv.  Mangel  jeder  merkbaren  Reaktion. 

Lokale  Veränderungen   vorübergehender  Mangel  jeder  merkbaren  Reaktion. 
Natur. 

Für  die  intraperitoneale  Einspritzung  kann  man  ohne  grossen 
Fehler  die  intravenöse  einsetzen;  die  endermatische  ist  noch  unwirk- 
samer als  die  hypoderinatische.  In  dieser  Tabelle  erscheint  paradox, 
dass  zwar  bei  stärkerer  Virulenz  die  peritoneale  Infektion  intensiver 
ausfällt  (Stufe  1  u.  2),  bei  schwächerer  aber  die  subkutane  (3  u.  4).  Es  ist 
das  aber  ein  Verhalten,  das  auch  bei  anderen  Mikroorganismen  wieder- 
kehrt und  das  sich  im  wesentlichen  aus  den  Resorptionsverhältnissen 
erklärt.  Sind  die  Bakterien  so  infektiös,  dass  sie  in  kleinsten  Mengen 
oder  isoliert  zu  wachsen  vermögen,  dann  können  sie,  ins  Blut  resorbiert, 
Septikämie  erzeugen,  obwohl  sie  da  über  ein  weites  Gebiet  zerstreut 
werden.  Sind  sie  dagegen  nur  noch  imstande  in  grösseren  Mengen 
sich  zu  entwickeln,  so  bleibt  ihre  Vermehrung  im  Blute  und  auch  auf 
der  grossen  Fläche  des  Peritoneums  aus,  im  subkutanen  Herde  tritt 
aber  ein  Wachstum  ein  (vgl.  Kruse  u.  Pansini,  Z.  11.  338—349).  So 
finden  wir  denn  regelmässig  bei  länger  währender  Erkrankung  unter 
der  Haut  einen  Abscess,  während  das  Peritoneum  seltener  erkrankt. 
Und  auch  diese  Ausnahme  kommt  häufiger  vor  durch  Fortpflanzung 
der  subkutanen  Eiterung  auf  das  Bauchfell,  als  bei  intraperitonealer 
Infektion  (a.  a.  0.  S.  342  u.  346).  Hierdurch  wird  bewiesen,  dass  zwar 
eine  unleugbare  Disposition  des  Bauchfells  zur  eitrigen  Ent- 
zündung durch  Pneumokokken  besteht,  dass  aber  bei  intakter  Be- 
schaffenheit desselben  die  Bakterien  im  allgemeinen,  ohne  Schaden 
anzurichten,  daraus  resorbiert  werden.  Im  Abschnitt  J  werden 
die  Einflüsse,  die  die  Entstehung  der  Peritonitis  begünstigen,  weiter 
zu  besprechen  sein.  Auf  die  meisten  Bakterien,  die  überhaupt  imstande 
sind,  Septikämie  zu  erregen  oder  Metastasen  zu  erzeugen,  scheint  je 
nach  dem  Orte  der  Infektion  und  dem  Grade  ihrer  Virulenz  das  obige 
Schema  zu  passen.  Manche  Mikroorganismen  finden  allerdings  unter 
allen  Umständen  im  Blute  günstigere  Wachstumsbedingungen,  als  im 
Unterhautgewebe.  So  veranlassen  die  Eiterstaphylokokken  beim 
Kaninchen  auch  in  Mengen,  in  denen  sie  subkutan  unwirksam  sind, 
im  Gefässsystem  multiple  Abscesse.  Noch  enger  gebunden  an  das 
Leben  im  Blut  scheinen  die  Spirillen  des  Rückfallfiebers  zu  sein,  die 
überhaupt  noch  an  keinem  anderen  Orte  gefunden  worden  sind. 


Kruse,  Krankheitserregung.  327 

Umgekehrt  giebt  es  freilich  auch  Bakterien,  die  ins  Blutgefäss- 
system  gebracht  gänzlich  unwirksam  sind.  Dahin  gehören  wegen  ihrer 
anaeroben  Lebensweise  die  Tetanus-,  Odem-  und  Rauschbrandbacillen. 
Andere  Mikroorganismen,  wie  die  Choleraspirillen,  sind  zwar  unter 
natürlichen  Verhältnissen,  d.  h.  beim  Menschen,  unfähig  im  Blute  zu 
leben,  können  aber  doch  bei  Injektion  grosser  Mengen  im  Körper  der 
Versuchstiere  dazu  gebracht  werden.  Interessant  ist  es  nun,  dass  Dosen, 
die  in  die  Venen  von  Kaninchen  eingeführt,  noch  keine  Vermehrung 
der  Spirillen  gestatten,  diese  Tiere  nachträglich  unter  dem  Bilde  der 
Cholera  mit  ausschliesslichem  und  reichlichem  Vibrionenbefund  im  Darm 
töten  (Issaeee  u.  Kolle,  Z.  18.  1),  ein  Beweis  für  die  Anpassung  der 
Cholerakeime  an  das  Leben  im  Darm,  wie  er  besser  nicht  geführt 
werden  kann.  Die  Typhusbacillen  sind  hingegen  viel  bessere  Blut- 
parasiten und  können  unter  Umständen  sich  im  Gefässsystem  nach  Art 
echter  Septikämiebakterien  vermehren  (s.  Flexner,  r:  R.  95.  12). 

Andere  Prädilektionsstellen  der  Infektion  sind:  die  vordere 
Augenkammer1)  für  septikämische  sowohl  wie  metastasierende 
Bakterien,  für  Lyssa  und  besonders  für  Rauschbrand,  denn  der  letztere 
ist  nach  Roger  (S.  B.  89)  von  dieser  Stelle  aus  für  Kaninchen  viel 
virulenter,  als  von  der  Subcutis  oder  dem  Muskelgewebe  aus;  ferner  das 
centrale  Nervensystem  für  Rotzbacillen  (Tedeschi,  C.  12.  127), 
Milzbrand  (Martinotti  u.  Tedeschi,  C.  10.  17)  und  Lyssa,  die  peri- 
pheren Nerven  wieder  für  Hunds wut,  während  andere  Aplikations- 
weisen,  auch  die  Injektion  ins  Blut,  für  diese  letztere  Infektion  (s.  Bd.  II) 
wenig  günstig  sind. 

Bei  verschiedenen  Tieren  braucht  die  relative  Empfänglichkeit 
der  einzelnen  Körperstellen  für  die  Infektion  durchaus  nicht  gleich 
zu  sein,  z.  B.  stellt  Hermann  (P.  91. 4)  folgende  Skala  der  lokalen  Disposi- 
tion für  Staphylokken  auf:  vordere  Augenkammer,  Cirkulationsapparat 
des  Kaninchens,  subkutanes  Gewebe  des  Hundes,  Pleura,  Meningen,  Sub- 
cutis und  Peritoneum  des  Kaninchens.  Gegen  Milzbrand  sind  bei  sub- 
kutaner Infektion  Mäuse,  Meerschweinchen  und  Kaninchen  sehr  empfäng- 
lich, Rinder  viel  weniger;  bei  Einführung  in  den  Darm  verhält  sich 
das  gerade  umgekehrt.  Auf  ähnlichen  Differenzen  beruht,  wie  es  scheint, 
das  verschiedene  Verhalten  des  Menschen  und  der  Tiere  gegen  Cholera 
und  Typhus  (vgl.  Fermi  u.  Salto,  A.  J.  96.  1). 

Sehr  interessante,  aber  leider  noch  so  gut  wie  völlig  dunkle  Ver- 
hältnisse bietet  uns  die  Verteilung  der  Metastasen  auf  die  einzelnen 

1)  Vielleicht  kommt  als  Ursache  dafür  in  Betracht,  dass  der  Humor  aqueus 
im  Gegensatz  zu  andern  tierischen  Säften  kaum  ein  baktericides  Vermögen  be- 
sitzt, dass  solche  auch  nicht  darin  bei  Immunisierungen  auftreten,  ebensowenig 
wie  andere  schützende  Stoffe  (Metschnikoff,  J.  P.  92;  vgl.  Abschn.  P). 


328  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Organe;  ich  nenne  nur  als  Beispiele  das  Freibleiben  der  Niere  bei  der 
Tuberkulose  des  Meerschweinchens,  die  rotzige  Affektion  des  Hodens 
bei  demselben  Tier,  die  Nervenlepra  des  Menschen,  die  Lokalisation 
der  supponierten  Erreger  des  akuten  Gelenkrheumatismus  in  Gelenken 
und  Endokard. 

Diejenigen  Fälle  von  Infektionen,  bei  denen  man  keinen  Anhalts- 
punkt für  ihre  Entstehung,  ihre  Eintrittspforte  hat,  nennt  man  krypto- 
genetische Infektionen,  wie  sie  z.  B.  für  Milzbrand,  Septikopyämie, 
Miliartuberkulose,  Typhus  u.  s.  w.  nachgewiesen  sind.  Es  kann  sich 
um  verschiedene  Möglichkeiten  handeln.  Entweder  ist  der  Infektions- 
erreger an  irgend  einer  Stelle  des  Körpers  eingetreten,  ohne  eine  Lokali- 
sation zu  verursachen  —  eine  Möglichkeit,  die  nach  neueren  Erfahrungen 
über  die  Resorption  durch  den  Darmkanal  (vielleich  auch  die  Tonsillen, 
s.  Abschnitt  N)  und  über  das  Vorkommen  von  isolierter  Tuberkulose 
der  Bronchial-  und  Mesenterialdrüsen  nicht  abzuleugnen  ist;  oder  die 
Infektion  nimmt  ihren  Ursprung  von  einem  lokalen  Prozess,  der  seit 
kürzerer  oder  längerer  Zeit  zur  Ausheilung  oder  wenigstens  zum  Still- 
stand gekommen  ist,  in  dem  sich  aber  die  Erreger  infektionstüchtig 
erhalten  haben  —  man  spricht  dann  besser  von  einer  Periode  der 
Latenz,  von  einem  Recidiv  der  Infektion.  Solche  neue  Ausbrüche 
der  Krankheit  sind  noch  viele  Jahre  nach  dem  Überstehen  des  ersten 
Anfalls,  z.  B.  bei  eitrigen  (osteomyelitischen)  Prozessen,  bei  Tuber- 
kulose und  Syphilis  beobachtet  worden.  Man  hat  sich  vorzustellen, 
dass  an  dem  ursprünglichen  Infektionsherd  eine  Abkapselung  von  Keimen 
stattgefunden  hat1),  und  dass  diese  durch  irgend  eine  Veranlassung  allge- 
meiner oder  örtlicher  Natur  frei  werden  und  von  neuem  zur  Wirkung 
gelangen  können.  Voraussetzung  dafür  wäre,  dass  eine  etwa  durch  die 
erste  Infektion  erworbene  Immunität  im  Laufe  der  Zeit  verschwunden 
wäre.  Ob  ohne  eine  solche  Abkapselung  auch  resistente  Mikro- 
organismen längere  Zeit  im  Körper  sich  lebensfähig  erhalten  können, 
ist  sehr  zweifelhaft,  denn  selbst  die  resistentesten  Sporen  werden  im 
lebenden  Organismus  nach  Wyssokowitsch  binnen  relativ  kurzer  Frist 
vernichtet  (Z.  1).  Dass  der  Grund  zu  solchen  latenten  Herden  auch 
durch  intrauterine  Infektion  gelegt  werden  kann,  werden  wir  im 
Abschnitt  0  sehen. 

H.  Natürliche  Immunität  und  Disposition. 

Das  ungleichartige  Verhalten  des  Wirtsorganismus  gegenüber  den 
Parasiten  wurde  bisher  nur  flüchtig  gestreift,  und  doch  ist  die  Empfäng- 


1)  Als  Beispiel  einer  langen  Konservierung  von  Krankheitskeimen  im  Körper 
berichtet  Schnitzler  (C.  15.  8/9)  von  einem  Fall  von  Osteomyelitis,  der  erst  nach 
35  Jahren  ein  Recidiv  gemacht  hat  (daselbst  auch  andere  Litt.). 


Kruse,  Krankheitserregung.  329 

lichkeit  (Disposition)  des  Tieres  von  ausschlaggebender  Bedeutung 
für  die  Möglichkeit  und  den  Verlauf  der  Infektion. 

Man  spricht  von  angeborener  und  erworbener,  oder  besser  von 
natürlicher  und  künstlicher  Immunität  bezw.  Disposition,  je 
nachdem  die  letztere  unabhängig  von  äusseren  Eingriffen  oder  durch 
letztere  entstanden  ist.  Man  hat  ferner  zu  unterscheiden  zwischen  der 
Immunität  gegen  die  Bakteriengifte  —  Giftfestigkeit  —  und  der  eigent- 
lichen Immunität  gegen  das  lebende  Virus. 

Vergleichen  wir  zunächst  die  natürliche  Empfänglichkeit  der  ver- 
schiedenen Tierklassen,  so  ergiebt  das  Experiment  in  der  Regel  (vgl. 
Ltjbaesch,  Z.  M.  19.  104  u.  255  ff.),  dass  Kaltblüter  sich  gegen  die  Para- 
siten der  Warmblüter  resistent  verhalten.  Ltjbaesch-  hat  z.  B.  gefunden, 
das  Milzbrandbacillen  in  Ascidien  und  Meerkrebsen,  Rochen  und  Hai- 
fischen, Fröschen,  Schildkröten  und  Eidechsen  nicht  zum  Auswachsen 
gelangen.  Ein  anderer  Seefisch,  das  Seepferdchen  (Hippocampus),  soll 
dagegen  nach  Sabeazes  und  Colombot  (P.  94.  10)  an  Milzbrand  zu 
Grunde  gehen  können.  Dasselbe  behaupten  Pebnice  und  Pollacci 
(Ri.  92.  206)  für  den  Goldfisch  (Cyprinus  aratus)  gegenüber  demMilz- 
brandbacillus,  dem  Prodigiosus  und  Pyocyaneus.  Über  die  Versuche, 
die  Immunität  der  Kaltblüter  zu  überwinden,  wird  in  der  Folge  zu 
sprechen  sein.  Im  allgemeinen  scheinen  dieselben  für  Bakterieninfek- 
tionen überhaupt  schlecht  disponiert  zu  sein,  denn  es  sind  bisher  nur 
wenige  Krankheiten  solcher  Art  bei  ihnen  gefunden  worden,  die  zum 
Teil  übrigens  noch  zweifelhafter  Natur  sind,  so  die  Faulbrut  der  Bienen 
(r:  J.  86. 287  u.  J.  90.  372),  dieFlacherie  der  Seidenraupen  (Bechamp,  C.  R. 
64),  die  Nonnenseuche  (r:  J.  91.  326  u.  C.  16.  15/16),  eine  Krustaceen- 
infektion,  die  durch  phosphorescierende  Bacillen  verursacht  wird 
(Giabd,  S.  B.  89  u.  90),  eine  Forellenseuche  (Emmeeich  u.  Weibel, 
A.  21)  und  einige  Infektionen  des  Froschbluts  (Sanaeelli,  Ri.  90.  285; 
Eenst,  Zi.  8;  Gabeitschewskt,  P.  90;  Kruse,  V.  120).  Soweit  be- 
kannt, ist  nur  der  von  Sanaeelli  gefundene  Bacillus  auch  für  Warm- 
blüter pathogen. 

Zwischen  den  beiden  Klassen  der  letzteren  ergeben  sich  weit  ge- 
ringere Differenzen  bezüglich  ihrer  Empfänglichkeit  gegen  Infektionen. 
Die  Milzbrandbacillen  sind  zwar  mehr  den  Säugetieren  schädlich  als 
den  Vögeln,  man  spricht  auch  von  einer  Säugetier-  und  einer  Vogel- 
tuberkulose, aber  diese  Unterschiede  sind  nicht  durchgreifend,  sie  sind 
kaum  grösser  als  diejenigen,  die  sich  zwischen  den  Angehörigen  der 
gleichen  Klasse,  derselben  Familie,  ja  derselben  Spezies  finden.  Prüfen 
wir  z.  B.  dies  Verhalten  der  einzelnen  Tiere  gegenüber  den  Milzbrand- 
bacillen, so  zeigen  sich  Meerschweinchen,  Mäuse  ausserordentlich  em- 
pfänglich,   d.  h.   sie    erliegen    schon    der    Injektion    weniger  Bacillen; 


330  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Kaninchen  sind  etwas  resistenter,  sie  sterben  aber  auch  bei  der  üblichen 
Impfung  mit  einer  Platinöse  virulenter  Reinkultur  ausnahmslos;  die 
Ratten,  besonders  wildlebende  Tiere,  sind  dadurch  meist  nicht  zu  infi- 
zieren; Hunde  verhalten  sich  refraktär,  wenn  man  ihnen  nicht  sehr 
grosse  Dosen  einspritzt,  Tauben  verhalten  sich  eben  wie  die  Ratten, 
Hühner  sind  gänzlich  immun.  Nehmen  wir  dagegen  die  Bacillen  der 
Hühnercholera,  so  erliegen  Mäuse  und  Kaninchen  schon  ganz  geringen 
Dosen,  ebenso  Tauben  und  Hühner;  Meerschweinchen  und  Hunde  sterben 
dagegen  nicht,  sondern  bekommen  höchstens  örtliche  Affektionen.  Schon 
aus  diesen  Beispielen  lässt  sich  ersehen,  dass  eine  allgemein  giltige 
Regel  für  die  Immunität  verschiedener  Tiere,  die  sich  etwa 
auf  die  Verwandtschaft  stützt,  nicht  gegeben  werden  kann, 
dass  ferner  die  gleichen  Tiere  gegenüber  verschiedenen  In- 
fektionen sich  entgegengesetzt  verhalten  können,  und  dass 
schliesslich  der  Begriff  der  Immunität  ein  relativer  ist,  indem 
man  nur  von  verschiedenen  Graden  derselben  zu  sprechen  hat.  Es 
hat  sich  immer  mehr  herausgestellt,  dass  absolute  Unempfänglichkeit 
eines  Organismus  gegenüber  einem  Infektionserreger,  wenn  sie  über- 
haupt besteht,  jedenfalls  selten  ist.  Durch  sehr  grosse  Dosen  lassen 
sich  im  allgemeinen  auch  die  scheinbar  resistentesten  Tiere  infizieren, 
d.  h.  sie  sterben  nicht  etwa  blos  an  den  gleichzeitig  eingeführten  Bak- 
teriengiften, sondern  lassen  die  Bakterien  selbst  zum  Wachstum  kommen. 
Die  Giftfestigkeit  geht  durchaus  nicht  mit  der  Immuni- 
tät gegen  lebendes  Virus  Hand  in  Hand.  Man  kann  den  Beweis 
dafür  schon  indirekt  führen,  indem  man  verschieden  empfängliche  Tiere, 
z.  B.  Kaninchen,  Meerschweinchen  und  Hunde,  mit  tötlichen  Dosen, 
z.  B.  2  ccm  einer  Pneumokokkenkultur  impft.  Die  Tiere  sterben,  wenn 
die  Bakterien  durch  ihre  Wucherung  genügend  Gift  gebildet  haberi, 
d.  h.  Kaninchen  und  Meerschweinchen  nach  Eintritt  von  Septikämie, 
die  Hunde  schon  nach  blos  lokaler  Vermehrung  unter  der  Haut.  Die 
letzteren  sind  also,  obwohl  sie  am  schwersten  mit  Pneumokokken  zu 
infizieren  sind,  verhältnismässig  am  leichtesten  durch  die  toxischen 
Produkte  der  Pneumokokken  zu  vergiften  (Kruse  u.  Pansini,  Z.  11). 
Durch  direkte  Einspritzung  der  von  lebenden  Keimen  befreiten  Kulturen 
haben  ferner  Gamaleia  (P.  89)  für  den  Vibrio  Metschnikoff  und  die 
Cholera,  Chaeein  (S.  B.  90)  für  den  Pyocyaneus,  Selandee  (P.  90)  für 
den  Hogcholerabacillus,  Aeloing-  (L.  280)  für  den  Milzbrandbacillus 
bewiesen,  dass  Tiere  für  Gifte  der  Bakterien  empfänglich  sein  und  doch 
den  lebenden  Bakterien  selbst  widerstehen  können  (vgl.  Keehl,  A.  P.  35). 
Oft  wechselt  die  Empfindlichkeit  für  solche  Gifte  ganz  enorm.  So  reagieren 
Meerschweinchen,  die  schon  von  einem  Tuberkelbacillus  tötlich  infiziert 
werden  können,  nach  R.  Koch  (D.  90.  469)  selbst  auf  2  ccm  Tuberkulin, 


Kruse,  Krankheitserregung.  33 1 

nur  wenig,  gesunde  erwachsene  Menschen,  die  sicher  nicht  mehr  zu 
Tuberkulose  disponiert  sind,  dagegen  schon  auf  0,25  ccm  sehr  stark. 
Auf  das  Körpergewicht  berechnet,  entfaltet  also  Vi  500  von  der  Menge, 
die  beim  Meerschweinchen  noch  keine  Wirkung  hervorbringt,  beim 
Menschen  einen  kräftigen  Effekt. l)  Noch  grösser  sind  die  Unterschiede, 
wenn  man  Tetanusgift  verschiedenen  Tieren  gegenüber  prüft.  Während 
alle  gewöhnlich  zum  Experiment  benutzten  Tiere,  auch  Tauben,  darauf 
mehr  oder  weniger  reagieren,  vertragen  Hühner  nach  Kitasato  (Z.  10) 
gewaltige  Mengen,  ohne  krank  zu  werden.  Dabei  sind  die  lebenden 
Tetanusbacillen  für  keines  der  genannten  Tiere  infektiös  im  eigentlichen 
Sinne  (Vaillakd). 

Ahnliche  Differenzen  der  natürlichen  Immunität,  die  wir 
bei  Tieren  verschiedener  Arten  finden,  existieren  aber  auch  zwischen 
den  Rassen  und  sogar  zwischen  den  Individuen  derselben 
Spezies.  Für  die  menschliche  Pathologie  gelingt  es  aus  leicht  er- 
klärlichen Gründen  kaum,  den  exakten  Nachweis  für  diesen  Satz  zu 
liefern,  obwohl  er  auch  da  durch  zahllose  Erfahrungen  für  die  meisten 
Infektionen  (Wundinfektionen,  Typhus,  Cholera,  Tuberkulose  u.  s.  w.) 
wahrscheinlich  gemacht  werden  kann.  Soweit  überhaupt  am  Menschen 
Experimente  ausgeführt  sind,  z.  B.  mit  Erysipelkokken  (Fehleisbn),  ist 
auch  hier  der  Beweis  erbracht.  Viel  ergiebigere  Resultate  hat  aller- 
dings der  Tierversuch  geliefert.  Die  verschiedene  Empfänglichkeit  der 
Hammelrassen  gegen  Milzbrand,  die  der  weissen  und  grauen  Mäuse 
gegen  Tetragenus  ist  schon  lange  bekannt.  Durch  grosse  Versuchs- 
reihen bewiesen  ist  ferner,  um  nur  einige  der  wichtigsten  Beispiele  an- 
zuführen, die  wechselnde  Disposition  der  Ratten  (K.  Mülles,  F.  93) 
und  der  Tauben  (Czaplewski,  Z.  12.  381)  gegen  Milzbrand,  die  der 
Meerschweinchen  gegen  Pneumokokken  (Ketjse  und  Pansini,  Z.  11), 
der  Kaninchen  gegen  Diphtherie  (vgl.  C.  Feänkel,  D.  95.  11),  der  Ka- 
ninchen gegen  Choleraspirillen  (Issaeee  und  Kolle,  Z.  18),  der  Meer- 
schweinchen gegen  Hühnertuberkulose  (Pansini,  D.  94.  35).  Diese  Er- 
fahrungen sind  nicht  nur  bei  ausgewachsenen  Tieren  gemacht  worden, 
sondern  in  ganz  besonderem  Grade  bei  Individuen  verschiedenen 
Alters.  Ganz  allgemein  erwiesen  sich  junge  Tiere  weniger 
resistent,  nicht  blos  absolut,  sondern  im  Verhältnis  zu  ihrem  Körper- 
gewicht betrachtet.  Bei  erwachsenen  Tieren  ist  das  Körpergewicht 
in  erster  Linie  von  Bedeutung,  in  dem  Sinne,  dass  proportional  mit 
der  Grösse  auch  die  Widerstandskraft  des  Organismus  zu  steigen  pflegt. 
Dabei  ist  vorausgesetzt,  class  die  übrigen  Eigenschaften  übereinstimmen, 


1)  Die  Empfänglichkeit  des  Menschen  ist  auch  anderen  Bakteriengiften  (Strepto- 
kokken, Prodigiosus)  gegenüber  sehr  gross  (vgl.  Friedrich,  B.  95.  49/50). 


332  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

dahin  gehört  namentlich  die  Farbe  des  Tieres.  Vielfach  hat  man  näm- 
lich die  Bemerkung  gemacht,  dass  verschieden  gefärbte,  sonst  gleiche 
Tiere  verschieden  reagierten.  Die  weissen  Exemplare  sollen  im  allge- 
meinen weniger  resistent  sein,  als  die  dunkler  gefärbten  (vgl.  K.  Müller 
a.  a.  0.).  Wie  die  Verhältnisse  der  Ernährung  die  Immunität  beein- 
flussen, werden  wir  gleich  sehen.  Bei  vielen  der  oben  erwähnten  Unter- 
suchungen hat  sich  herausgestellt,  dass  Tiere,  die  zu  verschiedenen 
Zeiten  virulenten  Impfungen  unterzogen  werden,  sich  ungleich  verhalten, 
also  z.  B.  einer  Dosis,  die  sie  zuerst  anstandslos  vertragen  haben,  oder 
sogar  einer  schwächeren  später  erliegen.  Wenn  dieser  Versuch  so  an- 
gestellt wird,  dass  ein  nachteiliger  Einfluss  der  vorangehenden  Infektion 
auf  die  folgenden  ausgeschlossen  werden  kann,  so  ist  aus  dem  Resultat 
zu  schliessen,  dass  die  Disposition  eines  und  desselben  Tieres 
zeitliche  Schwankungen  erleidet,  ein  Satz,  der  auch  mit  den 
Erfahrungen  am  Menschen  übereinstimmt. 

I.  Erworbene  Disposition. 

Die  Möglichkeit  solcher  Veränderungen  wird  dadurch  bewiesen, 
dass  wir  verschiedene  Mittel  in  der  Hand  haben,  die  natürliche  Im- 
munität eines  Tieres  herabzusetzen  und  andererseits  zu  erhöhen. 
Das  erstere  gelingt 

1.  durch  Verschlechtern  des  allgemeinen  Ernährungs- 
zustandes, Die  Beobachtung  am  Krankenbette  und  im  Laboratorium 
lehrt,  dass  geschwächte  Organismen  im  allgemeinen  leichter  und 
schneller  einer  Infektion  erliegen,  als  kräftige.  Je  chronischer  eine 
Krankheit  verläuft,  desto  deutlicher  pflegt  dieser  Effekt  zu  sein.  Frei- 
lich ist  der  Einfluss  des  Ernährungszustandes  meist  nicht  so  gross,  dass 
ein  hoher  Grad  von  Immunität  durch  die  Verschlechterung  desselben 
vollständig  aufgehoben  wird.  Experimentell  lässt  sich  dieses  Ergebnis 
aber  auf  verschiedenem  Wege  in  der  That  erreichen.  Canalis  und 
Morpurgo  (F.  90.  18/19)  haben  gezeigt,  dass  Tauben,  die  8—9  Tage 
gehungert  haben,  mit  Milzbrand  geimpft,  ihre  Immunität  verlieren, 
auch  wenn  man  ihnen  zugleich  wieder  Nahrung  zuführt.  Hat  das 
Hungern  kürzere  Zeit  vor  der  Infektion  begonnen,  so  kann  man  durch 
Nahrungszufuhr  die  drohende  Krankheit  verhindern.  Beginnt  die  Nah- 
rungsenthaltung einen  Tag  vor  oder  an  demselben  Tage  mit  der  Im- 
pfung und  wird  sie  streng  (8  Tage)  durchgeführt,  so  erfolgt  der  Tod 
an  Milzbrand.  Exstirpation  der  Bauchspeicheldrüse  hatte  ähnliche 
Wirkung  wie  das  Hungern.  Hungernde  Hühner  erwiesen  sich  etwas 
resistenter,  und  Ratten  waren  überhaupt  nicht  zu  infizieren.  Pernice 
und   Alessi    (Ri.  91.  27/29)    wollen   durch    Wasserentziehung    die 


Kruse,  Krankheitserregung.  333 

gleichen  Resultate  bei  Hühnern,  Tauben  und  Hunden  erhalten  haben, 
wie  die  vorgenannten  Autoren  durch  Hunger.  V.  Gärtner  (Zi.9)  hat  durch 
künstliche  Blutverluste,  die  zu  Hydrämie  führten,  Kaninchen  für  Sta- 
phylokokkeneiterungen  empfänglicher  gemacht;  der  Hydrämie  durchaus 
nicht  gleichwertig  ist  die  lokale  Anämie  durch  Arterienunterbindung, 
die  im  Gegenteil  die  Infektion  hemmt. 

2.  Überanstrengung  befördert  nach  den  Versuchen  von  Char- 
rin  und  Roger  (A.  Ph.  90)  infektiöse  Erkrankungen.  Ratten,  die  ge- 
zwungen wurden,  sich  stundenlang  in  einer  rotierenden  Trommel  zu  be- 
wegen, erlagen  an  Milzbrand  oder  Rauschbrand  sicherer  und  schneller 
als  Kontrolltiere.  Meerschweinchen  vertrugen  die  Übermüdung  viel 
schlechter,  sie  starben  mit  reichlichen  Bakterien  in  den  Organen,  ohne 
überhaupt  geimpft  zu  sein  (vgl.  u.  N  „Selbstinfektion").  Auf  die  Überein- 
stimmung dieser  experimentellen  Ergebnisse  mit  der  ärztlichen  Er- 
fahrung braucht  nur  hingewiesen  zu  werden.  Die  Erklärung  dieser  That- 
sachen  könnte  in  ungünstigen  Veränderungen  des  Stoffwechsels, 
vielleicht  aber  auch  in  Nerveneinflüssen  liegen.  Dass  letztere  für 
die  Entstehung  von  Infektionen  eine  gewisse  Bedeutung  haben,  ist 
wohl  nicht  zu  leugnen.  Plötzliche  Gemütserregungen  heftiger  Art, 
Schreck,  Freude,  starke,  andauernde  Depressionen,  spielen,  wie  es 
scheint,  eine  nicht  geringe  Rolle  in  der  Ätiologie.  Auf  die  Deutung, 
die  in  sehr  verschiedener  Weise  versucht  werden  kann,  lassen  wir  uns 
hier  nicht  ein. 

3.  Temperaturerniedrigung  ist  ein  Faktor,  dessen  Einfluss  auf 
die  Disposition  zu  Milzbrand  zuerst  von  Pasteur  (Ac.78  gegen  Colin)  bei 
Hühnern  festgestellt  worden  ist.  Wagner  (r:  C.9.  322)  hat  dieses  Ergebnis 
bestätigt  und  dahin  erweitert,  dass  nicht  nur  das  Eintauchen  vonHühnern 
in  Wasser  von  ca.  25°,  sondern  auch  Antipyrindarreichung  die  ur- 
sprüngliche Immunität  dieser  Tiere  gegen  Milzbrand  aufhebt.  Lipari 
(Lyon  media  90)  konnte  durch  intratracheale  Injektion  von  Pneumo- 
kokken bei  Kaninchen  keine  Infektion  erzielen,  wohl  aber,  wenn  er  die 
Tiere  nach  der  Impfung  stark  abkühlte  —  eine  Beobachtung,  die,  wenn 
sie  sich  bestätigte,  einiges  Licht  auf  die  Bedeutung  der  Erkältung 
für  die  Entstehung  der  Pneumonie  werfen  würde.  Sawtschenko  (C.  9) 
konstatierte  auch  für  den  Milzbrand  der  Tauben  einen  Immunitäts- 
verlust durch  Abkühlung  (vgl.  aber  Canalis  u.  Mcrpttrgo  F.  90.  740). 
Bei  diesen  warmblütigen  Tieren  bedeutet  die  Temperaturerniedrigung 
eine  Abschwächung  der  vitalen  Energie.  Eine  solche  sollte  bei 
Fröschen  kaum  ins  Spiel  kommen,  doch  hat  Ernst  (Zi.  8)  beo- 
bachtet, dass  sein  Bacillus  der  Frühjahrsseuche  Frösche  nur  bei  Tem- 
peraturen von  10°,  nicht  bei  20°  infiziert.  Dieselben  Tiere  vertragen 
dagegen  plötzliche  Temperaturerhöhungen  —  auf  30°  und  höher  — 


334  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

recht  schlecht.  Wenn  sie  dabei  ihre  natürliche  Resistenz  gegen 
Milzbrand  verlieren,  wie  viele  Autoren *)  finden,  so  ist  das  nach  dem  Vor- 
hergehenden verständlich.  Lubarsch  (Z.  M.  19.  235)  hat  übrigens  be- 
obachtet, dass  Frösche,  die  sich  an  höhere  Temperaturgrade  allmählich 
akklimatisiert  hatten,  dann  dem  Milzbrand  wie  sonst  Widerstand  leisteten. 
Dauernde  Temperaturerhöhung  bewirkt  ferner  nach  Fermi  und 
Salsano  (C.  12.  21)  bei  Mäusen  und  Meerschweinchen  eine  grössere  Dis- 
position für  Geflügeltuberkulose. 

4.  Das  Licht  übt  eine  schädigende  Wirkung  auf  Bakterien  aus,  so- 
wohl das  direkte  Sonnen-  als  das  diffuse  Tageslicht  (vgl.  Kruse,  Z.  19). 
Man  sollte  deswegen  eher  an  eine  günstige  Beeinflussung  von  In- 
fektionskrankheiten durch  Belichtung  denken.  Das  Gegenteil  wird 
für  die  Verhältnisse  beim  Menschen,  z.  B.  die  Blattern  (Oettinger,  S. 
94.  32)  behauptet,  und  neuerdings  will  Masella  (A.  J.  95)  ebenfalls 
beobachtet  haben,  dass  die  experimentelle  Typhus-  und  Cholera- 
erkrankung im  belichteten  Tier  schwerer  verläuft,  als  im  unbelichteten. 

5.  Die  Art  der  Ernährung  ist  vielleicht  für  den  Immunitätsgrad 
des  Körpers  nicht  gleichgiltig,  auch  wenn  von  einer  Verschlechterung 
des  allgemeinen  Ernährungszustandes  nicht  die  Rede  ist.  Mehrere 
Autoren,  wie  Bidder,  Feser,  K.  Müller  (a.  a.  0.),  haben  einen  Unterschied 
zwischen  fleischfressenden  und  pflanzenfressenden  Tieren,  zwischen  vor- 
wiegender Natron-  und  Kalidiät,  und  zwar  zu  Ungunsten  der  ersteren 
finden  wollen.  Straus2)  und  E.  Israel  (r:  J.  89.  272)  konnten  aller- 
dings für  Milzbrand  und  Tuberkulose  diesen  Unterschied  nicht  be- 
stätigen. Die  Erfahrungen  am  Menschen  lassen  eine  unzweifelhafte 
Deutung  nicht  zu. 

6.  Das  Auftreten  eines  guten  Nährstoffes  für  Bakterien,  nämlich  des 
Zuckers  im  Organismus,  soll  nach  einer  weitverbreiteten  Ansicht  die  Dis- 
position desselben  für  infektiöse  Erkrankungen,  namentlich  für  Tuberku- 
lose und  ^Eiterungen  steigern.  Diese  am  diabeteskranken  Menschen  ge- 
wonnenen Erfahrungen  werden  durch  einige  Versuche  am  Tier  gestützt. 
Die  Untersuchungen  von  Leo  (Z.  7)  ergaben,  dass  Mäuse,  die  mit  Phloridzin 
gefüttert  wurden  und  nachweislich  Zucker  im  Harn  ausschieden,  für 
Rotzbacillen  empfänglich  wurden.  Die  Immunität  der  Ratten  gegen 
Milzbrand  und  der  Mäuse  gegen  Tuberkulose  konnte  auf  dem  ange- 
führten Wege  nicht  beseitigt  werden.  Preiss  (M.  91.  24/25)  fand  da- 
gegen, dass  Meerschweinchen,  die  er  ebenfalls  durch  Phloridzin  dia- 
betisch gemacht  hatte,  bei  Inhalation  von  Tuberkelbacillen  intensiver 


1)  Gibier,  C.R.  94. 1605;  Metschnikoff,  P.  87 ;  Nuttall,  Z.  4;  Petruschky, 
Zi.  3  u.  Z.  7;  Voswinkel,  F.  90;  Lubarsch,  F.  88  u.  90  u.  Z.  M.  19. 

2)  Le  charbon  des  animaux  et  de  l'homme.  Paris  87. 


Kruse,  Krankheitserregung.  335 

erkrankten  als  die  Kontrolltiere.  Injektionen  von  Dextrose  (oder 
Milchsäure)  steigern  nach  Fermi  und  Salsano  (C.  12.  21)  ebenfalls  die 
Disposition  von  Mäusen  und  Meerschweinchen  für  Tuberkulose.  Ob 
in  allen  diesen  Versuchen  wirklich  allein  der  Zuckergehalt  der  Organe 
den  prädisponierenden  Einfluss  gehabt  hat,  muss  dahingestellt  bleiben. 
Die  Bedeutung  des  Zuckers  als  Nährstoff  in  künstlichen  Kulturen  ist 
allerdings  unbestritten. 

7.  Die  Zu  fuhr  von  Giften  ist  unter  Umständen  geeignet,  Infektionen 
zu  begünstigen  (vgl.  Selbstinfection  S.  382  ff.).  So  haben  Salomonson  und 
Christmas  (F.  84. 15/19)  in  mit  Jequirity(Abrin)vergiftetenFröschenHeu- 
bacillen,Prodigiosus,Cyanogenus  u.a.  zur  Vermehrung  gebracht.  Platania 
(G.  J.  89)  hat  ferner  durch  Curare  und  Chloral  Frösche,  durch  Chloral 
Tauben,  durch  Alkohol  und  Chloral  Hunde  für  Milzbrand  empfänglich 
gemacht.  Lubaesch  (Z.  M.  19.  235)  hat  neben  dem  Curare  auch  Carbol- 
säure  bei  Fröschen  wirksam  gefunden,  Klein  und  Coxwell  (C.  11.  464) 
bei  Ratten  das  Chloroform.  Vielleicht  ist  auch  die  „Atherpneumonie", 
die  sich  manchmal  an  die  Narkose  anschliesst,  ähnlich  zu  deuten  (vgl. 
Nauwerck,  D.  95.  8).  Möglicherweise  gehört  die  Pneumokokken- 
epidemie,  die  Lanz  (D.  93.  10)  beobachtete,  hierher.  In  anderer  "Weise, 
als  die  genannten  Gifte,  nämlich  als  hauptsächlich  blutkörperzerstörende 
Mittel  dürften  die  Pyrogallussäure,  das  Hydracetin,  die  nach  A.  Gott- 
stein (D.  90.  24)  die  Entwicklung  von  Hühnercholera  und  Eiterungen, 
und  das  Acetylphenylhydrazin,  das  nach  Mta  und  Sanarelli  (F.  91.22) 
den  Milzbrandausbruch  befördert,  zur  Wirkung  kommen.  Gamaleia 
(Verh.  d.  X.  internat.  Congr.  Berlin  91.  2.  3)  hat  für  die  Cholera  der 
Kaninchen  in  der  intravenösen  Einspritzung  von  Papai'n,  Pankreatin, 
Methämoglobin  prädisponierende  Stoffe  gefunden.  Die  schon  lange 
von  R.  Koch  (B.  85.  37a)  empfohlene  Verwendung  von  Opiumtink- 
tur bei  der  künstlichen  Infektion  von  Meerschweinchen  mit  Cholera- 
spirillen  wirkt  wohl  ebenfalls  nicht  nur  durch  Feststellung  des  Darmes, 
sondern  auch  als  allgemeines  Gift.  Schliesslich  wird  auch  einigen 
Gasen  eine  die  Infektion  begünstigende  Wirkung  zugeschrieben;  so 
Hessen  sich  nach  Charrin  und  Roger  (C.  R.  1892)  Meerschweinchen, 
die  gezwungen  wurden,  Kohlenoxyd  oder  Strohrauch  einzuatmen,  leichter 
mit  abgeschwächtem  Milzbrand  infizieren.  Die  bekannte  Theorie,  dass 
die  Einatmung  von  Kloakengasen  zu  Typhus  disponiere,  will  Alessi 
durch  Experimente  am  Tier  stützen  (A.  J.  94.  vgl.  aber  Abbott,  r: 
R.  96.  2).  Den  ungünstigen  Einfluss  von  Vergiftungen  mit  C02,  CO, 
CS2,  H2S  auf  eine  ganze  Reihe  von  Infektionen  konnte  auch  Di  Mattei 
(A.  J.  96.  1)  bestätigen.  Einen  Schluss  auf  die  Verhältnisse  beim 
Menschen  lassen  freilich  alle  diese  experimentellen  Ergebnisse  nicht  zu. 

8.  Erkrankungen  bestimmterOrgane,  der  Nieren,  der  Leber,  des 


336  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Herzens  haben  bekanntlich  einen  üblen  Einfluss  auf  den  Verlauf  von 
menschlichen  Infektionskrankheiten;  wahrscheinlich  nicht  nur,  weil  die 
natürliche  Immunität  der  Körpersäfte  dadurch  herabgesetzt  wird,  sondern 
weil  auch  die  giftigen  Bakterienprodukte  weniger  leicht  ausgeschieden 
oder  unschädlich  gemacht  werden  können.  Experimentell  ist  darüber, 
soweit  Infektionskrankheiten  in  Betracht  kommen,  nichts  festgestellt. 
Über  die  Bedeutung  der  Milz  ist  dagegen  viel  geschrieben  und  auch 
experimentiert  worden.  Bardach  (P.  89  u.  91)  hat  geglaubt  durch 
zwei  grössere  Versuchsreihen  bei  Kaninchen  und  Hunden,  denen  teil- 
weise die  Milz  exstirpiert  war,  eine  gewisse  Zunahme  der  Disposition 
für  Milzbrand  bei  den  entmilzten  Tieren  nachweisen  zu  können,  ein 
Resultat,  das  von  Kuelow  (A.  9)  nicht  bestätigt  worden  ist.  Ebenso 
widerstreiten  sich  die  Ergebnisse  von  Sudakewitsch  (P.  91.  9)  und 
Tictin  (C.  14.  22),  die  in  ähnlicher  Weise  bei  Affen  mit  den  Spirillen 
des  Rückfallfiebers  experimentierten.  Beiläufig  bemerkt  haben  auch 
die  Versuche,  einen  Einfluss  der  Milz  bei  der  künstlichen  Immunisierung 
festzustellen  (Cesaeis-Demel,  Ri.  91.  1—4;  Tizzoni  u.  Cattani,  Ri.  92. 
49)  keinen  Erfolg  gehabt,  da  die  späteren  Autoren  übereinstimmend 
die  Bedeutungslosigkeit  des  Milzverlustes  für  die  Immunisierung  und 
die  einmal  erlangte  Immunität  dargethan  haben  (Kanthack,  C.  12.  227; 
Oelandi,  Ri.  93;  Righi,  Ri.  93;  Benaeio,  D.  94.  1;  Tizzoni  und  Cattani, 
D.  94.  6). 

9.  Schon  früher  (vgl.  S.  307)  wurde  darauf  hingewiesen,  dass  die 
relative  Immunität  von  Tieren  gegen  Infektionserreger  durch  Einverleibung 
grosser  Mengen  derselben  oder  von  deren  eigenen  Stoffwechsel- 
produkten überwunden  werden  kann.  Bouchaed  (Verh.  d.  X.  internat. 
Congr.  Berlin  91)  hat  die  dabei  wirksamen  Substanzen  „be  günstig  ende 
Stoffe",  Keuse  (Zi.  12.  339)  „Angriffsstoffe"  oder  „Lysine"  ge- 
nannt. Nachgewiesen  sind  dieselben  z.  B.  von  Chaeein  und  Ruefee 
(S.  B.  88)  für  den  Pyocyaneus,  von  Couemont  (S.  B.  89)  für  die  Tuber- 
kulose, von  Rogee  (S.  B.  89)  für  Rauschbrand,  von  Rodet  u.  Coue- 
mont (S.  B.  91)  für  den  Staphylokokkus  pyogenes,  Rogee  (S.  B.  91) 
für  Streptokokken,  von  Bouchaed,  Aeloing  u.  Couemont  *)  für  Milz- 
brandbacillen.  Es  kann  keinem  Zweifel  unterworfen  sein,  dass  diese 
lytischen  Stoffe  von  allen  Bakterien  produziert  werden,  und  zwar  sind 
sie  ursprünglich  in  den  Leibern  derselben  vorhanden,  aus  denen  sie 
mehr  oder  weniger  schnell  in  Lösung  gehen  (vgl.  Bonaduce,  Zi.  12.  3). 

10.  Im  Abschnitt  über  „Mischinfektionen"  haben  wir  schon  von  der 
prädisponierenden  Wirkung  fremder  Bakterien  bez.  ihrer  Gifte 


1)  Les  matieres  solubles  predisposantes  ä  l'action  patkogene  de  leurs  microbes 
producteurs.    These,  Montpellier  1891. 


Kruse,  Krankheitserregung.  337 

auf  die  Entwicklung  der  Infektionserreger  ausführlich  gesprochen  (vgl. 
S.  313). 

11.  Durch  Einflüsse  verschiedener  Art  kann  eine  lokale  Dispo- 
sition zu  Infektionen  gegeben  werden.  Von  "Wunden  braucht  hier 
nicht  mehr  die  Rede  zu  sein,  denn  dieselben  sind  oben  S.  3 17  ff  unter 
den  übrigen  Eintrittspforten  der  Infektion  behandelt  worden.  Traumen 
hingegen,  die,  ohne  eine  Kontinuitätstrennung  der  Haut  zu  setzen,  eine 
Infektion  zum  Ausbruch  kommen  lassen,  gehören  hierher.  Man  hat 
ihnen  schon  lange  in  der  menschlichen  Pathologie  für  die  Entstehung 
von  örtlicher  Tuberkulose,  von  Osteomyelitis,  Pneumonie  („Kontusions- 
pneumonie")  u.  s.  w.  eine  grosse  Rolle  zugeschrieben.  Uns  interessieren 
hier  nur  die  experimentellen  Bestätigungen  dieser  Theorie.  Den  ersten 
Autoren,  die  sich  mit  der  Reproduktion  des  Osteomyelitis  im  Tiere 
beschäftigten,  J.  Rosenbach  (Z.  Ch.  10),  Köstlin  (C.  Ch.  80),  Becker 
(D.  84),  Gangolphe  u.  A.  glückte  dieselbe  nur,  wenn  sie  neben  der 
Einspritzung  des  staphylokokkenhaltigen  Materials  in  die  Venen 
Knochenverletzungen  erzeugten.  Erst  Krause  (F.  84)  und  namentlich 
Rodet,  Colzi,  sowie  Lannelongue  u.  Achard  (P.  91.  4)  kamen  ohne 
die  letzteren  aus,  indem  sie  die  Dauer  der  Krankheit  verlängerten  und 
geeignetere  Versuchstiere  wählten.  Ahnlich  ist  es  mit  der  künstlichen 
Erzeugung  der  infektiösen  Endocarditis  gegangen.  Nach  dem  Vor- 
gange von  0.  Rosenbach  (A.  P.  9)  konnten  Wyssokowitsch  (V.  103), 
Weichselbaum  (W.  85.  41)  und  Prudden  (A.  J.  M.  87)  eine  solche 
zu  Wege  bringen,  wenn  sie  die  Herzklappen  mechanisch  oder  chemisch 
verletzten  und  darauf  Staphylokokken  intravenös  einspritzten  (vgl.  auch 
Crocq,  A.  E.  94  für  Gefässläsionen).  Ribbert  (F.  86.  1)  erzielte  ohne 
direkten  Eingriff  dieselbe  Erkrankung  durch  die  Wahl  eines  wegen  seiner 
Konsistenz  besser  zum  Haften  geeigneten  Infektionsmaterials  (Kartoffel- 
kultur), und  spätere  Forscher  haben  auch,  ohne  besondere  Massregeln  zu 
treffen,  gelegentlich  Endocarditis  bei  Versuchstieren  hervorgebracht  (Kruse 
u.  Pansini,  Z.  11.  347).  Aus  diesen  Thatsachen  ist  zu  schliessen,  dass 
in  den  genannten  Fällen  die  Infektion  zwar  auch  ohne  die  Beihilfe  von 
Traumen  erfolgen  kann,  dass  aber  das  verwundete  Gewebe  unzweifel- 
haft zur  Erkrankung  prädisponiert  wird.  Für  die  drei  pathogenen 
Anaeroben  scheint  die  Gewebsläsion  eine  noch  grössere  Bedeutung 
zu  haben.  Nocard  u.  Roux  (P.  87.  6)  haben  bewiesen,  dass,  wenn 
man  ein  abgeschwächtes  Rauschbrandvirus  in  ein  Gewebe  injiziert,  das 
durch  Milchsäure,  Essigsäure,  Alkohol,  Chlorkalium  chemisch  oder  sonst- 
wie mechanisch  geschädigt  ist,  die  dadurch  erzeugte  Infektion  erheblich 
intensiver  verläuft.  Ebenso  konnten  Vaillard  u.  Rouget  (P.  92.  6) 
und  Besson  (P.  95.  3)  beobachten,  dass  Tetanussporen  bez.  die  Bacillen 
des  malignen  Odems  in  kleinsten  Dosen,  die  für  gewöhnlich  unschädlich 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  22 


338  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

waren,  eine  tötliche  Infektion  verursachten,  wenn  das  Gewebe,  in  das 
sie  eingeführt  wurden,  nekrotisiert,  gequetscht,  oder  wenn  an  der  In- 
jektionsstelle ein  Knochen  gebrochen  war.  Auch  für  die  natürlichen 
Infektionen   werden  diese  Verhältnisse  von  Bedeutung  sein. 

Was  einen  anderen  Einfluss  anlangt,  von  dem  man  allgemein  annimmt, 
dass  er  eine  örtliche  Disposition  erzeuge,  so  ist  für  die  Wirkung  der  Er- 
kältung das  Tierexperiment  nicht  geeignet,  da  unsere  Versuchstiere 
sehr  schlecht  auf  eine  solche  reagieren.  Die  wenigen  Resultate,  die 
noch  dazu  unter  Bedingungen  gewonnen  sind,  wie  sie  sich  in  Wirk- 
lichkeit kaum  wiederholen  werden,  wurden  oben  schon  erwähnt. 

Fragen,  die  längere  Zeit  das  Interesse  der  Bakteriologen  gefesselt 
haben,  sind  die  nach  den  Bedingungen  der  Eiterung1)  im  All- 
gemeinen und  der  eitrigen  Peritonitis  im  besonderen.  Wäre  es 
möglich  gewesen  mit  kleinen  Mengen  der  aus  pyogenen  Prozessen  des 
Menschen  isolierten  Bakterien  auch  beim  Tier  Eiterung  zu  erregen, 
also  den  Vorgang,  der  sich  im  Gewebe  des  Menschen  abspielt,  ohne 
Schwierigkeit  zu  reproduzieren,  so  würde  sich  wohl  Niemand  nach 
begünstigenden  Momenten  für  die  Eiterung  umgeschaut  haben.  Die 
Tierexperimente  mit  Reinkulturen  fielen  aber  zum  grossen  Teil  negativ 
aus.  Bessere  Resultate  bekamen  Geawitz  und  de  Baey  (V.  108), 
Fehleisen  (A.  Ch.  36),  Bttjwid  (C.  4.  19),  Herman  (P.  91.  4)  u.  A., 
wenn  sie  neben  den  Bakterien  mechanische  und  chemische  Reize  wirken 
Hessen  (Krotonöl,  Kadaverin,  koncentrierte  Salzlösungen,  Sublimat, 
Carbölsäure,  selbst  einfaches  Wasser  nach  Messner,  M.  94.  19).  Zucker- 
lösung, die  nach  Bttjwid  ebenfalls  die  Eiterung  begünstigen  sollte, 
wurde  von  den  übrigen  Autoren  unwirksam  gefunden.  Unter  Um- 
ständen erreicht  man  eine  eitrige  Lokalisation,  wenn  man  die 
chemischen  Reizmittel  subkutan  und  die  Bakterien  ins  Blut  spritzt 
(Kronacher  1)).  Ahnlich  erklären  sich  die  Abscesse,  die  Netter  (r: 
J.  92.  61)  und  Bignami  (r:  J.  92.  62)  bei  Pneumonikern  durch  Injektion 
reizender  Stoffe  (Kampher,  Coffein,  Äther)  unter  die  Haut  erhielten. 
Der  Einfluss  der  Nerven  und  der  Blutfülle  eines  Organs  auf  die 
Eiterung  daselbst  ist  mit  verschiedenem  Erfolge  studiert  worden.  Darin 
stimmen  zwar  alle  Autoren  überein,  dass  die  Durchschneidung  der  zu- 
gehörigen Nerven,  die  immer  mit  Hyperämie  des  betreffenden  Teiles 
einhergeht,  die  Wirkung  einer  bakteriellen  Entzündung  steigert;  der 
eine  Teil  glaubt  aber  darin  einen  ungünstigen  Effekt  sehen  zu  müssen 
(Charrin  und  Rüfeer,   S.  B.  89;  Herman,  P.  91.  4;  Ochotine,  A.  E. 


1)  Vgl.  S.  279  ff',  und  die  Litteratur  bei  Kronacher,  Ätiologie  und  Wesen 
der  akuten  eitrigen  Entzündung.  Jena  91,  K.  Müller  (C.  15.  20/21)  und 
Janowski  (Zi.  15.  1). 


Kruse,  Krankheitserregung.  339 

92),  der  andere  einen  günstigen  (Roger,  S.  B.  90;  Frenkel,  A.  E.  92; 
Dache  u.  Malvoz,  P.  92). 

Die  experimentelle  Erzeugung  von  eitriger  Peritonitis  bietet  noch 
grössere  Schwierigkeiten.  Das  gesunde  Bauchfell  besitzt,  wie  wir  seit 
den  Untersuchungen  Wegner's1)  wissen,  eine  ausserordentlich  grosse 
Resorptionskraft  und  reagiert  —  im  Tier  —  auf  Bakterien  und  ihre 
Produkte  viel  schwächer,  als  man  gewohnt  ist,  es  beim  Menschen  vor- 
auszusetzen. Grawitz  (Ch.  86,  V.  108.  110.  116)  bestätigte  diese  Be- 
obachtungen und  zeigte,  dass  es  nur  gelingt,  durch  Bakterien  Peri- 
tonitis zu  erzielen,  wenn  man  die  Resorptionsfähigkeit  der  Serosa  durch 
Anlegung  von  Wunden,  durch  Stagnation,  Einklemmungen  oder  durch 
chemische  Stoffe  beschränkt.  Abgesehen  von  Pawlowsky  (V.  117), 
Baumgarten  (L.)  und  Al.  Frankel  (C.  10),  wurden  diese  Aufstellungen 
im  wesentlichen  von  den  folgenden  Autoren  bestätigt:  Waterhouse 
(V.  119),  Orth,  Reichel  (Z.  Ch.  30),  Kraet  (r:  J.  91.  33.  2).  Walthard 
(A.  P.  30)  lieferte  den  Beweis  für  die  schädigende  Wirkung  des  Subli- 
mats und  der  Austrocknung  der  Serosa  durch  Luftzutritt  (vgl.  Mikulicz, 
C.  Ch.  87.  48).  Silberschmidt  2)  analysierte  die  schädlichen  Folgen  der 
Darmperforation  und  kam  dabei  zu  dem  Resultat,  dass  ausser  den 
lebenden  Mikroorganismen  für  die  Entstehung  dieser  Form  von  Peritonitis 
noch  die  Toxine,  die  Darm-Fermente  und  die  festen  Bestandteile  der 
Fäces  in  Betracht  kommen. 

Diese  Ergebnisse  des  Tierversuchs  bezüglich  der  Eiterung  und  der 
Peritonitis  sind  natürlich  nicht  ohne  weiteres  auf  den  Menschen  über- 
tragbar. Die  ärztliche  Beobachtung  und  das  Experiment  am  lebenden 
Menschen  (Garre,  F.  85.  6;  Bumm3);  Bockhart,  M.  D.  87;  Schimmel- 
busch, A.  f.  Ohrenheilk.  88)  bewiesen  die  grosse  Empfänglickheit  des 
Menschen  für  Eiterbakterien,  vorausgesetzt,  dass  dieselben  nicht  abge- 
schwächt sind.  Sogar  von  der  unverletzten  Haut  aus  können  Infektionen 
erfolgen,  wenn  man  nur  das  unter  natürlichen  Verhältnissen  häufig  zur 
Wirkung  kommende  Hilfsmoment  der  Reibung  zu  Hilfe  nimmt.  Bei  Ein- 
führung auch  von  geringen  Kulturmengen  in  das  menschliche  Gewebe 
bedarf  man  aller  der  obengenannten,  die  Disposition  der  wenig  empfäng- 
lichen Tiere  befördernden  Mittel  nicht.  Immerhin  sind  ganz  vereinzelte 
Keime  nicht  immer  imstande, Eiterung  zu  erregen,  dennBossowSKi(W.87); 
Bloch  (r:  J.  90.  599);  Welch  (A.  J.  M.  91)  und  Büdinger  (W.  K.  92) 
haben  häufig  in  per  primam  geheilten  Wunden  virulente  Eiterkokken 

1)  "Wegner,  Chirurgische  Beobachtungen  über  die  Peritonealhöhle  u.  s.  w. 
Berlin  77. 

2)  S.  die  Litt,  bei  Silberschmidt  ,  Experim.  Untersuchungen  über  die  Per- 
forationsperitonitis  u.  s.  w.    Seh.  94. 

3)  Btjmm,  Sitzungsber.  d.  physikal.  niediz.  Gesellsch.  z.  Würzburg  85. 

22* 


340  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

gefunden.  Auch  im  Peritoneum  werden  sich  dementsprechend  schon  viel 
kleinere  Mengen,  selbst  unter  weniger  günstigen  Bedingungen,  wie  im 
Tierversuch,  gefährlich  erweisen.  Immerhin  hat  dort  auch  die  bei 
Laparotomien  gewonnene  Erfahrung  gelehrt,  dass  die  für  die  experimen- 
telle Peritonitis  wirksamen  Hilfsursachen,  die  Austrocknung  des  Endo- 
thels, die  Schädigung  desselben  durch  Sublimat,  der  Einfiuss  von  Fremd- 
körpern, reizenden  Stoffen  u.  s.  w.,  auch  beim  Menschen  nicht  be- 
deutungslos sind. 

Auch  für  die  krankhaften  Prozesse  in  der  Lunge  können  ausser 
den  schon  oben  angeführten  (Trauma,  Erkältung)  unzweifelhaft  ört- 
lich prädisponierende  Momente  in  Frage  kommen:  das  Eindringen 
von  Fremdkörpern  durch  Verschlucken  (Vaguspneumonie),  durch  In- 
halation von  Staub  (Pneumokoniosen,  Thomasschlackenpneumonie; 
vgl.  Enderlen,  M.  92.  49),  die  Beschränkung  des  Blutzuflusses 
durch  Enge  der  Lungenarterien,  die  Bildung  nekrotischer  Herde 
durch  Embolien,  die  Stagnation  von  Sekreten  —  all  das  sind 
Faktoren,  die  beim  Menschen  die  Wucherung  von  Bakterien  (Tuberkel- 
bacillen,  Pneumokokken,  Fäulnisbacillen  u.  s.  w.)  begünstigen.  Experi- 
mentelle Bestätigungen  fehlen  dafür  zwar  fast  vollständig  (vgl.  Peeiss, 
M.  91.  24/25),  sind  aber  auch  kaum  nötig. 

Für  die  Infektionen  aller  möglichen  Organe  kommt  ausserordent- 
lich häufig  das  mechanische  Moment  der  Blutstockung  und  der 
Sekretretention  in  Betracht.  Der  Dekubitus  der  Haut,  die  Deku- 
bitalgeschwüre  des  Larynx,  das  Mal  perforant  du  pied,  die  Dysenterie 
der  Geisteskranken  sind  Krankheiten,  die  aus  der  kombinierten  Wir- 
kung der  Schwäche  der  Cirkulation,  von  mechanischen  und  chemischen 
Schädlichkeiten  und  Infektionserregern  und  Fäulnisbakterien  hervor- 
gehen. Sekretstauungen  spielen  eine  grosse  Rolle  bei  den  Infektionen 
der  Brustdrüse,  bei  der  Cystitis  und  Pyelonephritis,  bei  der  Angio- 
cholitis.  Cirkulationsstörungen  und  Retention  von  Sekreten  bedingen 
die  infektiösen  Prozesse,  welche  die  Einklemmung  von  Hernien,  den 
Darmverschluss  komplizieren.  Auf  die  genannten  Vorgänge,  die  durch 
zahlreiche  Experimente  in  das  rechte  Licht  gerückt  sind,  werden  wir 
unter  N  (Selbstinfektion)  zurückkommen. 

II.  Auch  die  natürliche  Giftfestigkeit  eines  Tieres  kann  durch 
künstliche  Einflüsse  herabgesetzt  werden.  Wiederholte  Gaben  von  Diph- 
theriegift setzen  die  Widerstandsfähigkeit  für  dasselbe  anscheinend  herab, 
ebenso  von  Tetanusgift  —  wenigstens  gilt  das  für  einige  Tierspezies, 
wenn  man  nicht  besondere  Massregeln  dagegen  ergreift.  Roux  (P.  94. 
725)  hat  ferner  mitgeteilt,  dass  Meerschweinchen,  die  gegen  den 
Vibrio  Massaua  immunisiert  waren,  oder  mit  anderen  Bakterien 
(B.  coli  etc.)  behandelt  werden,  leichter  dem  Tetanusgifte  erlagen  (vgl. 


Kruse,  Krankheitserregung.  341 

auch  RoncaiiI,  A.  J.  93)  und  derselbe  Autor  (P.  94.  618  u.  624)  ver- 
sichert, dass  Tiere  durch  vorherige  Behandlung  mit  verschiedenen  Bak- 
teriengiften (z.  B.  Pneumokokken)  eine  erhöhte  Empfänglichkeit  für 
das  Diphtheriegift  gewinnen. 

K.  Künstliche,  nicht  spezifische  Immunität  und  Heilung. 

Die  Herabsetzung  der  Empfänglichkeit  des  Organismus  für 
lebende  Bakterien  und  Bakteriengifte  nennt  man,  Avenn  sie  vor  der 
Einführung  des  Virus  in  den  Körper  erfolgt,  Immunisierung,  Ver- 
leihung eines  Impfschutzes  oder  präventive  Behandlung;  wenn 
sie  nach  der  Einverleibung  des  Virus  beginnt,  spricht  man  von  Hei- 
lung der  Infektion  oder  Intoxikation  oder,  falls  das  unglückliche  Ende 
nur  aufgeschoben,  nicht  abgewandt  werden  kann,  von  günstiger  Be- 
einflussung der  Krankheit  durch  therapeutische  Eingriffe.  Ein 
wesentlicher  Unterschied  zwischen  beiden  Verfahren  besteht  nur  inso- 
weit, als  die  Heilung  ein  intensiveres  Vorgehen  verlangt  als  die  Immu- 
nisierung. 

I.  Sehen  wir  uns  zuerst  wieder  die  Mittel  an,  die  uns  zur  Be- 
kämpfung der  lebenden  Infektionserreger  zur  Verfügung  stehen. 

1.  Oben  unter  I  (S.  332)  haben  wir  an  erster  Stelle  die  Bedeutung 
des  allgemeinen  Ernährungsstandes  für  den  Verlauf  von  In- 
fektionen hervorgehoben.  Die  Notwendigkeit  der  Berücksichtigung 
dieses  Faktors  bei  der  Bekämpfung  namentlich  chronischer,  aber 
auch  subakuter  und  akuter  Krankheiten  ist  heutzutage  allgemein  an- 
erkannt. Die  Diätetik  giebt  die  näheren  Regeln  zur  Erreichung  des 
erstrebten  Zieles. 

2.  Der  Überanstrengung  als  ein  besonders  die  Ökonomie  des  Stoff- 
wechsels störendes  Moment  wurde  dann  herausgegriffen,  weil  das  Ex- 
periment in  durchschlagender  Weise  die  Beeinflussung  der  Disposition 
zu  Infektionskrankheiten  durch  diesen  Faktor  nachgewiesen  hat.  Die 
ärztliche  Erfahrung  ihrerseits  hat  seit  alter  Zeit  in  richtiger  Würdi- 
gung dieses  Verhältnisses  der  Prophylaxe  und  Therapie  die  Wege  ge- 
wiesen, indem  sie  für  den  Gesunden  ein  harmonisches  Spiel  der  Kör- 
perkräfte, für  den  Kranken  die  Enthaltung  von  jeder  Anstrengung, 
bei  allen  akuten  Infektionen  möglichste  Ruhe  des  Muskel-  und  Nerven- 
systems vorschreibt. 

3.  Erhöhung  der  Körpertemperatur  spielt  bei  fast  allen  In- 
fektionen eine  grosse  Rolle:  man  pflegt  zu  sagen,  der  Organismus 
reagiere  auf  Bakterieninvasionen  regelmässig  mit  Fieber.  Dieser  Aus- 
druck „Reaktion"  wird  von  vielen  Autoren  neuerdings  —  einer  alten 
Hypothese    folgend   —  in    dem    Sinne    gebraucht,    dass    dieselbe    eine 


342  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

heilsame  Wirkung  vorstelle.  Es  ist  das  eine  Anschauung,  für  die  Be- 
weise nicht  beigebracht  sind.  Die  Hauptwirkungen  des  Fiebers  sind 
die  Temperaturerhöhung  und  die  Steigerung  des  allgemeinen  Stoff- 
wechsels. Die  erstere  könnte  unter  Umständen  den  Erregern  der  In- 
fektion gefährlich  werden,  aber  erstens  erreicht  die  erhöhte  Tempera- 
tur viele  Bakterien  gar  nicht,  weil  sie  in  zu  grosser  Nähe  der 
Körperoberfläche  nisten  (Erysipelkokken) ,  zweitens  ist  der  Grad  der 
Temperatursteigerung  nachweislich  selten  genügend,  um  die  Mikro- 
organismen in  ihrer  Vermehrung  zu  hemmen.  Selbst  die  in  dieser 
Hinsicht  empfindlichsten  Bakterien,  die  Pneumokokken,  scheinen  im 
Körper  42°  ganz  gut  zu  vertragen,  während  sie  in  künstlichen  Kul- 
turen allerdings  darunter  leiden.  Auf  der  anderen  Seite  wird  die 
Fiebertemperatur  sicher  oft  genug  dem  Körper  des  Wirtsorganismus 
selbst  gefährlich.  Das  Gleiche  gilt  von  dem  vermehrten  Stoffzerfall 
im  Fieber.  So  lange  nicht  nachgewiesen  ist,  dass  daraus  bakterien- 
feindliche Substanzen  hervorgehen,  können  wir  das  Fieber  nur  als 
ein  Mittel,  den  Kräftevorrat  des  Körpers  zu  schwächen,  an- 
sehen und  müssen  es  daher  nach  allen  Regeln  der  Kunst  zu  bekämpfen 
suchen.  Die  experimentellen  Resultate,  die  bisher  vorliegen,  sind  nicht 
geeignet,  dieses  Urteil  zu  erschüttern.  Walther  (A.  12)  setzte  mitPneumo- 
kokken  infizierte  Kaninchen  in  den  Brütschrank  bei  31 — 37°,  was  eine 
Körpertemperatur  von  41 — 42°  erzeugte.  Die  Tiere  starben  später  als  die 
Kontrolltiere,  aber  doch  an  der  charakteristischen  Septikämie.  Wurden 
die  Tiere  erst  14  Stunden  nach  der  Infektion  in  den  Brütschrank  ge- 
bracht, so  ergab  sich  kein  konstanter  Unterschied  gegenüber  den  Kon- 
trolltieren. Filehne  (r:  C.  17.  13/14)  bewirkte  auf  dieselbe  Weise  ein 
künstliches  Fieber  bei  Kaninchen,  die  am  Ohr  mit  Erysipelkokken  ge- 
impft waren:  die  warmgehaltenen  Tiere  erkrankten  dabei  schneller, 
aber  leichter  als  die  im  Zimmer  gehaltenen.  Uns  scheint,  dass  das 
Kaninchenohr  für  solche  Versuche  gerade  nicht  günstig  gewählt  ist, 
da  seine  Temperatur  von  der  des  Körpers  erheblich  abweicht  und  seine 
Cirkulationsverhältnisse  durch  die  umgebende  Temperatur  stark  be- 
einflusst  werden.  Schliesslich  sind  die  nur  kurz  referierten  Experi- 
mente von  Löwy  u.  Richter  (D.  95.  15)  zu  erwähnen,  welche  durch 
den  Sachs- ARONSOHN'schen  Hirnstich  die  Körpertemperatur  von  Kanin- 
chen tagelang  auf  über  41°  halten  konnten.  Die  dann  mit  Pneumo- 
kokken infizierten  Tiere  blieben  bei  kleinen  Dosen  am  Leben  und 
starben  bei  grösseren  später  als  die  Kontroll tiere;  die  Dauer  der  Hühner- 
cholera- und  Diphtherieinfektion  wurde  verlängert;  auch  die  am  Ohr 
vorgenommene  Infektion  mit  Schweinerotlauf  wurde  günstig  beeinfmsst. 
Gegen  diese  Versuche  ist,  ganz  abgesehen  von  den  letzteren  Impfungen 
(am  Ohr),  einzuwenden,  dass  die  erhöhte  Temperatur  vom  ersten  Moment 


Kruse,  Krankheitserregung.  343 

der  Infektion  an  gewirkt  hat,  wie  es  bei  natürlichen  Erkrankungen 
niemals  der  Fall  ist.  Es  bedarf  ausserdem  der  Feststellung,  ob  diese 
Methode  der  künstlichen  Fiebererzeugung  nicht  den  Stoffwechsel  noch 
in  anderer  Weise  beeinflusst,  als  durch  blosse  Steigerung  der  Zer- 
setzung. 

4.  Über  die  Einwirkung  der  Belichtung  auf  den  Verlauf  in- 
fektiöser Krankheiten  weiss  man  zu  wenig,  als  dass  sich  bisher  be- 
stimmte Forderungen  an  die  Behandlung  stellen  Hessen  (vgl.  S.  334). 
Die  Unterbringung  der  Pockenkranken  in  die  „chambre  rouge"  und  auf 
der  anderen  Seite  die  „Sonnenbäder"  bei  tuberkulösen  und  rheumatischen 
Affektionen  seien  hier  nur  erwähnt  (vgl.  Kruse,  Z.  19.  2). 

5.  Was  die  Art  der  Ernährung  anlangt,  so  wurde  schon  im 
Vorhergehenden  (S.  332)  die  Theorie  erwähnt,  nach  der  die  Fleisch- 
kost im  Gegensatz  zur  Pflanzennahrung  geeignet  wäre,  die  Immuni- 
tät gegen  Infektion  zu  erhöhen.  K.  Müller  (F.  93)  glaubt  eine  Be- 
stätigung dieser  Ansicht  dadurch  erbracht  zu  haben,  dass  er  Ratten 
24  Stunden  vor  oder  nach  einer  starken  Impfung  mit  Milzbrand  sub- 
kutan 1 — 2  ccm  einer  öproz.  Fleischextraktlösung  einspritzte  und  die 
Tiere  danach  überleben  sah.  Wir  werden  gleich  sehen,  dass  eine  andere 
Erklärung  für  diese  Erscheinung  näher  liegt  (S.  346). 

6.  Wie  der  Zucker  als  Bestandteil  des  Körpers  die  Disposition  der 
Gewebe  zum  Wachstum  von  pathogenen  Bakterien  verbessert,  so  giebt 
es  Stoffe,  die  umgekehrt  diesen  Nährboden  zu  verschlechtern  scheinen. 
Behring  (C.  kl.  M.  88.  38)  fand  die  Immunität  der  Ratten  gegen  Milz- 
brand einhergehen  mit  äusserst  starker  alkalisch  er  Reaktion  ihres  Blut- 
serums; v.  Fodor  (C.  7.  753  und  17.  225)  erreichte  durch  Verabreichung 
von  Natriumbikarbonat  bei  zahlreichen,  allerdings  nicht  bei  allen 
behandelten  Kaninchen  Resultate,  die  er  auch  nach  den  abweichenden 
Versuchsergebnissen  Behring's  (Z.  9.  463)  und  Chor's  (P.  91)  aufrecht 
erhielt,  v.  Fodor  glaubte  auch  durch  Untersuchung  der  Alkalinität 
des  Blutes  bei  gesunden,  kranken  und  rekonvalescenten  Tieren  Be- 
ziehungen zwischen  dem  Grade  der  ersteren  und  der  Disposition  der 
letzteren  gefunden  zu  haben.  Eine  gewisse  Bedeutung  dieses  Faktors 
für  Immunität  und  Krankheits verlauf  ist  auch  nach  den  Arbeiten  von 
Kraus  (A.  P.  26),  Lubarsch  (Z.  M.  19.  373),  Pohl  (B.  93.  36),  Löwy 
(C.  W.  94.  45),  Löwt  u.  Richter  (D.  95.  33)  wahrscheinlich,  ohne  dass 
wir  freilich  bisher  imstande  sind,  eine  genügende  Erklärung  dafür  zu 
geben  (vgl.  Nr.   7  und    10   d.  Abschn.).  *)      Eine    direkt    die  Bakterien 


1)  Ist  die  Immunität  der  Kalkarbeiter  gegen  Tuberkulose,  die  Halter 
(B.  88.  36—38)  und  Grab  (i\  W.  90.  23)  konstatierten,  etwa  unter  dieselbe  Eubrik 
zu  bringen? 


344  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

schädigende,  wachsturusfeindliche  Wirkung  hat  man  dagegen  den  anti- 
septischen Mitteln  zuzuschreiben,  wenn  sie  in  ausreichender  Menge 
dem  Körper  zugeführt  werden.     Das  geschieht  freilich  nur  ausnahms- 
weise ohne  Schädigung  desselben,  denn  die  Antiseptika  sind  in  Mengen, 
die    im    Körper    noch   nicht    wachstumshemmend    auf  Infektionsstoffe 
wirken,    schon  giftig  für  den  Wirtsorganismus.     Nach  Behring  (Z. 9)  ' 
bestände  sogar    die    —    freilich    durch    Versuche    im  Reagensglas  ge- 
wonnene —  Regel,  dass  die  Minimaldosis  eines  Antiseptikums,  die  für 
das  Tier   tötlich    ist,    etwa  6 mal   kleiner   ist,    als  die  Menge,    die  im 
Tierkörper    gelöst  Milzbrandbacillen  am  Wachstum  verhindern  würde. 
Dementsprechend  sind  auch  die  allermeisten  Versuche  durch  Allgemein- 
behandlung mit  antibakteriellen  Stoffen  Infektionen  wie  Milzbrand  und 
Tuberkulose  (Löte,  r:  C.  2.  7;  di  Mattei,  J.  88.  440;  Cobnet,  Z.  5; 
CAVAGNis,r:  J.88.172;  R.Koch,  C.  8.  572)  zu  heilen  ohne  Erfolg  geblieben. 
Beheing  selbst  hat  freilich  (D.  87.  37/38)  einige  Tiere  durch  Behandlung 
mit  Silberlösungen  von  Milzbrand  retten  können.     Raymond  u.  Aetatjd 
haben  das  Tannin,  Gosselin  das  Jodoform,  Niepce  den  Schwefelwasser- 
stoff   gegen     experimentelle    Tuberkulose     erprobt    gefunden.  *)      Die 
„spezifische"  Wirksamkeit  des  Chinins  2),  der  Salicylsäure,  des  Antipyrins, 
des   Methylenblaus,    des   Jods3),    des    Arsens,    des    Quecksilbers,    des 
Kreosots,    des  Menthols  u.    a.   bei   einigen  Infektionen  ist  man  eben- 
falls geneigt    durch  direkte  Beeinflussung  der  Krankheitserreger  zu  er- 
klären.   Bei  Berücksichtigung  der  Mengenverhältnisse,  in  denen  die  ge- 
nannten Stoffe  zur  Wirkung  gelangen,  muss  diese  Deutung  jedoch  zweifel- 
haft werden,  und  man  wird  gezwungen  sein,  eine  ganz  besondere  Affinität 
derselben  zu  den  Bakterien  selbst  oder  den  Geweben,  in  denen  sie  nisten, 
anzunehmen,  oder  noch  unbekannte  Hilfskräfte  des  Organismus,  die  viel- 
leicht erst  durch  die  medikamentöse  Behandlung  ausgelöst  werden,  voraus- 
zusetzen. Günstiger  liegen  die  Dinge  —  wenigstens  theoretisch  —  für  die 
örtliche  Anwendung  von  Antisepticis,  auf  die  wir  später  zu  sprechen 
kommen  werden  (S.  352  ff.). 

7.  Sicher  nicht  durch  direkte  Hemmung  des  Bakterienwachstums 
wirken  einige  Stoffe,  denen  man  neuerdings  einen  immunisierenden  und 
heilenden  Einfluss  auf  Infektionen  zugeschrieben  hat.  Dahin  gehören 
erstens  Eiweisskörper,  die  Zell-  oder  Kernbestandteile  darstellen. 
Wooldeidge  hat  schon  1888  (A.  f.  Ph.  1888)  über  Versuche  berichtet, 


1)  S.  Arloing,  L.  298;  vgl.  aber  Cornet's  (Z.  5.  1)  gegenteilige  Erfahrungen. 

2)  Pansini  u  Calabrese  (G.  J.  94)  bobachteten  bei  Mäusen,  die  mit  Pneumo- 
kokken infiziert  waren,  Heilung  durch  Chinin,  zu  gleicher  Zeit  im  Reagensglase  eine 
Steigerung  des  mikrobiotischen  Kräfte  des  Blutserums  durch  dieses  Mittel. 

3)  Pick  (C.  17.  11)  sah  bei  Rindern,  die  mit  Jodkali  behandelt  waren, 
Immunität  gegen  Maul-  und  Klauenseuche. 


Kruse,  Krankheitserregung.  345 

in  denen  mit  Hilfe  von  Hoden-  und  Thymusextrakten  —  einer 
„Fibrinogenlösung"  —  die  Immunisierung  von  Kaninchen  gegen  Milz- 
brand gelungen  sein  sollte.  Wright  (B.  M.  91)  bestätigte  dieses  Resultat, 
Gramatschikoee  (P.  93.  12)  hatte  dagegen  nur  negative  Ergebnisse. 
Brieger,  Kitas ato  und  Wassermann  (Z.  12)  verwendeten  nach  dem 
Vorgänge  von  Wooldridge  (Proc.  Lond.  87)  nicht  die  Zellstoffe  selbst, 
sondern  Kulturen  von  pathogenen  Bakterien  in  Lösungen  derselben  oder 
Mischungen  der  Kulturen  mit  den  Zellextrakten.  Dabei  konnten  sie 
zwar  den  günstigen  Erfolg,  den  der  letztere  Forscher  mit  Hilfe  dieser 
Impfmethode  gegen  Milzbrand  erreicht  hatte,  nur  unvollkommen  be- 
stätigen, erzielten  aber  Immunität  gegen  Diphtherie,  Tetanus,  Cholera, 
Typhus,  Schweinerotlauf.  Wie  die  Extrakte  allein  wirkten,  wurde 
nicht  festgestellt.  Einen  Bestandteil  der  genannten  Zellauszüge,  nämlich 
das  Spermin,  benutzten  Löwv  u.  Richter  (D.  95.  15,  vgl.  Pohl,  D. 
95.  30)  mit  Glück  zur  Immunisierung  und  Heilung  von  Pneumokokken- 
infektionen  im  Kaninchen.  Zacharoee  (r:  C.  17.  9/10)  hat  dann  Sperma- 
injektionen verwendet,  und  zwar  bei  Schafen  gegen  Milzbrand  mit  gewissem, 
allerdings  nicht  sehr  dauerhaftem  Erfolge,  gegen  den  Rotz  der  Katzen 
ohne  jedes  Resultat.  Von  der  Ansicht  ausgehend,  dass  die  Nukleine 
als  die  wesentlichsten  Bestandteile  der  Zelle  die  Immunität  erzeugten,  hat 
Vatjghan  (Med.News  94.  Dec.)  ein  Hefenuklein  gegen  Pneumokokken 
und  Tuberkelbacillen  ins  Feld  geführt  und  empfiehlt  diese  Behandlung 
auch  für  die  menschliche  Tuberkulose.  Eine  andere  Reihe  experimen- 
teller Arbeiten  schloss  sich  an  die  Mitteilung  Ogata's  u.  Jastthara's 
(r:  C.  9.  1),  nach  der  es  ihnen  gelungen  wäre,  Mäuse,  Meerschweinchen 
und  Kaninchen  mit  dem  frischen  Blute  oder  dem  Blutserum  «natür- 
lich immuner  Tiere  (Frösche,  Ratten,  Hunde)  vor  Milzbrand  zu 
schützen  und  in  gewissem  Grade  sogar  zu  heilen  (vgl.  S.  397). 
Schon  vorher  hatten  Behring  (Z.  9.  473)  mit  Rattenserum  bei  Milzbrand 
und  Hericourt  und  Richet  mit  Hundeserum  bei  Tuberkulose  ein  ähn- 
liches Resultat  gehabt  (S.  B.  89  u.  ff.).  Hankin  (C.  9.  10)  konnte  eben- 
falls durch  Rattenserum  Mäuse  vor  dem  Milzbrandtode  bewahren.  Die 
Angaben  Ogata's  wurden  von  den  späteren  Autoren  sämtlich  bestritten, 
und  zwar  von  Enderlen  (M.  91.320),  Petermann  (P.  91.  8),  Seraeini 
u.  Erriquez  (Ri.  91.152)  für  die  Wirkung  des  Blutes  von  Hunden,  von 
Roudenko  (P.  91.  8),  für  das  Froschblut  *)  und  von  Metschnikoee  und 
Roux  (P.  91.  8)  wenigstens  teilweise  für  das  Rattenblut.  Nur  wenn 
das  letztere  an  derselben  Stelle  injiziert  wurde,  wo  die  Infektion  mit 
Milzbrand  stattfand,  gelang  die  Rettung  des  Tieres.     Diesen  negativen 


1)  Bokome  (F.  91.  18)  hat  andererseits  die  schützende  Wirkung  des  Frosch- 
serums  gegen  Milzbrand  in  gewissem  Sinne  bestätigen  können. 


346  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Befunden  folgten  zunächst  wieder  die  positiven  Resultate,  die  Keuse 
und  Pansini  (Z.  11)  durch  Behandlung  von  Mäusen  mit  Hundeserum 
und  namentlich  Pansini  (Zi.  12.  3)  durch  Behandlung  von  Kaninchen 
mit  Hunde-  oder  Menschenblutserum  gegen  Pneumoniekokkeninfektion 
erzielten.  Nicht  jedes  Serum  war  übrigens  schütz-  oder  heilkräftig,  sondern 
nur  dasjenige  einiger  Individuen;  die  zu  einem  günstigen  AusgaDg  nötigen 
Mengen  Serum  waren  recht  beträchtliche  (20 — 40  ccm  pro  Kaninchen), 
so  dass  man  also  von  einer  Transfusion  in  grossem  Massstabe  reden  musste 
(vgl.  Meyer,  S.95.34).  Ferner  sahen  Chenot  und  Picq  (S.B.  92)  von  der  Be- 
handlung des  Rotzes  mit  Rinderserum  günstige  Ergebnisse.  Die  Cholera- 
arbeiten der  letzten  Jahre  haben  für  die  Möglichkeit  der  Immunisierung 
durch  normales  Serum  weitere  Bestätigungen  geliefert.  Nachdem  Metsch- 
nikofe  und  Klemperer  schon  die  schützende  Wirkung  solchen  Serums 
gegen  die  intraperitoneale  Cholerainfeklion  des  Meerschweinchens  ge- 
funden, präcisierten  Issaeff  (Z.  16.  2),  sowie  Pfeiffer  und  Issaeff 
(Z.  17.  2)  diese  Wirkungen  genauer.  Durch  Kontrolluntersuchungen 
liess  sich  die  wichtige  Thatsache  feststellen,  dass  eine  ganze  Reihe 
anderer  Substanzen  ebenfalls  imstande  waren,  einen  Impf- 
schutz zu  gewähren,  und  zwar  sowohl  bei  Einspritzung  in  das  Peri- 
toneum, als  —  in  freilich  viel  geringerem  Grade  —  in  die  Subcutis, 
also  an  einem  von  der  Infektionsstelle  verschiedenen  Orte.  Issaeff 
stellt  bezüglich  dieser  Wirkung  folgende  Skala  auf:  am  schwächsten 
wirkt  physiologische  Kochsalzlösung,  schützt  aber  doch  noch,  in  einer 
Menge  von  1  ccm  Meerschweinchen  24  Stunden  vor  der  Infektion  in 
die  Bauchhöhle  injiziert,  gegen  das  Fünffache  der  tötlichen  Minimal- 
dosis. Dann  folgen  Harn,  Bouillon,  normales  menschliches  Blutserum, 
2proz.  Nukleinlösung,  Tuberkulin,  schliesslich  nach  einem  späteren  Be- 
funde von  Pfeiffer  und  Issaeff  das  Pferdeblutserum  (Z.  17.  370),  das 
etwa  12 mal  stärker  wirkt  als  die  Kochsalzlösung  und  4mal  stärker  als 
Menschenserum;  auch  das  normale  Meerschweinchenserum  hat  einen 
ähnlichen  Effekt  wie  das  Serum  von  Menschen  oder  anderen  Organismen. 
Die  Erklärung  für  diese  merkwürdigen  Schutzwirkungen  nicht  spezifischer 
Substanzen  steht  noch  aus,  Issaeff  hat  nur  eine  gemeinsame  Eigen- 
schaft derselben  festgestellt,  nämlich  die  Fähigkeit  allgemeine  Leuko- 
cytose  im  Blut  und  örtliche  Leukocytose  im  Peritoneum  zu 
erregen.  Dieselbe  wächst  nach  einer  vorübergehenden  Hypoleukocytose 
in  ca.  24  Stunden  zu  einem  Maximum  und  fällt  von  da  an  ab,  ent- 
sprechend der  durch  die  Einspritzung  gewonnenen  Widerstandsfähig- 
keit der  Tiere,  die  auch  nach  einem  Tage  ihr  Maximum  erreicht,  um 
von  da  binnen  wenigen  (bis  14)  Tagen  sich  vollständig  zu  verlieren. 
Als  ein  Mittel,  das  zu  gleicher  Zeit  starke  Leukocytose  erregt  und 
einen  Impfschutz  verleiht,  ist  das  Pilokarpin  hier  anzureihen.     Löwy 


Kruse,  Krankheitserregung.  347 

und  Richter  (D.  95. 15)  wollen  einen  solchen  Einfluss  gegenüber  experi- 
menteller Infektion  mit  Pneumokokken,  Waldstein  (B.  95.  18)  sogar 
eine  Heilwirkung  bei  menschlichen  Streptokokkeninfektionen  konstatiert 
haben.  Die  starke  Giftigkeit  dieses  Medikaments  steht  übrigens  seiner 
allgemeinen  Anwendung  im  Wege.  Vielleicht  sind  auch  die  Fermente, 
die  nach  Hildebrandt  (M.  94.  15)  und  Pawlowsky  (r:  C.  16.  193) 
gegen  Kaninchenseptikämie  immunisieren  bezw.  den  Milzbrand  heilen 
sollen  (Emulsin,  Papayotin,  Alerin),  zu  derselben  Gruppe  von  Körpern 
zu  rechnen  (vgl.  über  Leukocytose  ferner  S.  288  u.  Nr.  10  dieses  Abschn. 
und  Kraus  u.  Buswell,  W.  K.  94.  28;  Löwt  u.  Richter,  D.  95.  33; 
Botkin,  V.  141). 

8.  Wenn  eine  Schädigung  der  secernierenden  Organe  den  Verlauf 
von  Infektionen  ungünstig  beeinflusst  (S.  335),  so  ist  auch  anzunehmen, 
dass  durch  Anregung  der  natürlichen  Sekretionen  der  Heilprozess 
gefördert  werden  kann.  Wir  verstehen  das  nicht  in  dem  Sinne,  dass, 
wie  von  vielen  Seiten  vorausgesetzt  worden  ist,  eine  ausgiebige  Aus- 
scheidung der  Krankheitserreger  durch  den  Urin,  die  Darmsekrete  oder 
den  Schweiss  zu  erreichen  wäre.  Die  Möglichkeit  des  Vorgangs  selbst 
besteht  freilich  (vgl.  unter  M),  aber  seine  günstige  Bedeutung  ist  zum 
mindesten  sehr  zweifelhaft.  Unbestritten  vorteilhaft  für  den  kranken 
Organismus  ist  hingegen  die  Ausscheidung  der  giftigen,  durch  den  In- 
fektionsprozess  gebildeten  Produkte,  wie  sie  für  Tetanus,  Diphtherie 
u.  a.  Krankheiten  bewiesen  ist.  Durch  Beförderung  der  Diurese,  der 
Schweissbildung,  z.  B.  vermittelst  reichlicher  Wasseraufnahme,  Bäder 
u.  s.  w.,  sowie  durch  Verhinderung  von  Stauungen  im  Digestionsapparat 
kann  da  ärztlicherseits  eingegriffen  werden.  Die  Wirkung  der  Hunger- 
und  Schwitzkur  bei  Syphilis  ist  dagegen  nicht  ohne  weiteres  verständlich. 

9.  Als  spezifische  Immunität  und  Heilung  wird  mit  Recht 
diejenige  Form  derselben  unterschieden,  die  durch  die  eigenen  Produkte 
der  Krankheitserreger  erzeugt  oder  angeregt  wird;  denn  sie  hat  nur 
Geltung  gegenüber  der  durch  die  letzteren  verursachten  Infektion.  Im 
folgenden  Abschnitt  werden  wir  diesen  wichtigsten  Punkt  der  Im- 
munitätslehre behandeln  (S.  355). 

10.  Dass  ein  Zustand  von  Unempfänglichkeit  bez.  eine  Art  Heilung 
auch  durch  artverschieclene  Bakterien  hervorgerufen  werden  kann,  haben 
wir  schon  oben  unter  F  (S.  3 14  ff.)  gesehen.  Durch  die  oben  citierten  Ar- 
beiten von  Peeieeer  und  Issaeee  (Z.  17.  3)  wurde  der  Unterschied  auf- 
gedeckt, der  zwischen  dieser  Art  von  Immunität  und  der  spezifischen 
besteht.  Der  Impfschutz  gegen  Cholera  z.  B.,  der  durch  Vorbehandlung 
der  Versuchstiere  mit  beliebigen  Bakterien  (B.  coli,  typhi,  Proteus, 
Pyocyaneus)  erzielt  wird,  ist,  abgesehen  von  dem  Mangel  der  Spezifizität, 
geringfügiger    und   vor    allen  Dingen  viel  weniger  dauerhaft,    als    der 


348  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

durch  Vorbehandlung  mit  Cholerakulturen  gewonnene.  Bezüglich  der 
ev.  Erklärung  dieser  nicht  spezifischen  Immunität  vgl.  oben  Nr.  7  und 
unten  S.  352  sowie  u.  P. 

11.  Auch  durch  örtliche  Behandlung  kann  die  Disposition  zu 
einer  infektiösen  Erkrankung  herabgesetzt  resp.  die  letztere  in  ihrem 
Verlauf  günstig  beeinfiusst  werden. 

Es  ist  das  möglich  erstens  durch  operative  Eingriffe.  Am 
radikalsten  wäre  es,  den  ganzen  Infektionsherd  zu  entfernen  oder  zu 
zerstören.  Vorausgesetzt  dass  die  Lokalität  es  erlaubt,  ist  dieses  Ver- 
fahren nicht  nur  gestattet,  sondern  empfehlenswert,  weil  man  dadurch 
in  der  That  die  Infektion  wie  mit  einem  Schlage  beenden  kann.  Der 
Erfolg  hängt  davon  ab,  ob  man  wirklich  im  Gesunden  operiert1) 
und  ob  die  Infektion  der  Verallgemeinerung  fähig  ist.  Kann  nicht 
der  ganze  Infektionsherd  beseitigt  werden,  sondern  bleiben  Reste  davon 
zurück,  so  wird  es  von  der  Gestaltung  der  Wundfläche  (s.  später)  und 
von  der  Beschaffenheit  des  Erregers  abhängen,  ob  die  Krankheit  günstig 
beeinfiusst  wird  oder  nicht.  Die  gewöhnlichen  Mikroorganismen  der 
Wundinfektion  sind,  wenn  sie  in  einzelnen  Herden  zurückbleiben,  lange 
nicht  so  gefährlich  als  die  Tuberkelbacillen,  die  von  den  stehen  ge- 
bliebenen Herden  aus  die  gesunden  Teile  der  Wunde  infizieren.  So 
erklären  sich  die  ungünstigen  Resultate  der  Resektion  von  tuberkulösen 
Gelenken  bei  Erwachsenen.  Sind  die  infizierenden  Bakterien  mit 
grösster  Virulenz  begabt,  wie  die  echten  Septikämieerreger,  dann  nützt 
eine  Operation,  auch  wenn  sie  sehr  früh  erfolgt,  gewöhnlich  nichts. 
Wir  haben  oben  (S.  318)  gesehen,  wie  schnell  die  Resorption  der  Bak- 
terien durch  Wunden  erfolgt;  man  kommt,  wie  die  Erfahrungen  bei 
den  experimentellen  Septikämien  lehren,  gewöhnlich  zu  spät,  selbst  die 
Amputation  im  Gesunden  kann  nicht  verhüten,  dass  die  schon  ins  Blut 
gelangten  Keime  ihre  mörderische  Thätigkeit  beginnen.  In  der  Praxis 
kann  man  aber  niemals  den  Grad  der  Virulenz  des  Krankheitserregers 
mit  Sicherheit  vorhersagen,  deswegen  ist  ein  energisches,  möglichst 
frühzeitiges  operatives  Eingreifen  beim  Menschen,  wo  eine  gefährliche 
Infektion  vermutet  wird,  durchaus  zu  empfehlen;  z.  B.  gilt  das  für 
Milzbrandinfektionen.  Dieselben  verlaufen  zwar  bekanntlich  meist 
lokal  und  führen  dann,  wie  K.  Müllee  (D.  94.  24  ff.)  mit  Recht  be- 
merkt, auch  ohne  jede  Behandlung  zur  Heilung.  Die  Zerstörung 
des  Infektionsherdes  beeinfiusst  aber  den  Verlauf  sicherlich  nur  günstig, 
und  man  hat,  wenn  man  ausgiebig  und  früh  operieren  kann,  in  den 
Fällen    höherer  Virulenz    der   Milzbrandkeime   die  Möglichkeit,    die 


1)  Eine  Gefahr  bei  Operationen  in  krankem  Gewebe  besteht  in  der  plötzlichen 
Eröffnung  neuer  Eesorptionswege  (Tuberkulose!). 


Kruse,  Krankheitserregung.  349 

Zahl  der  in  den  Kreislauf  gelangten  Keime  niedrig  zu  halten  und  da- 
durch den  Ausbruch  der  Allgerneininfektion  zu  verhüten.  Auch  für 
die  Behandlung  der  Hunds wut  trifft  diese  Regel  zu.  Gerade  bei  dieser 
Infektion  scheint  die  Verbreitung  des  Virus  —  möglicherweise  weil 
sie  auf  bestimmte  Wege,  die  Nervenbahnen,  angewiesen  ist  —  relativ 
langsam  zu  erfolgen.  So  berichtet  Bombicci  (J.  92.  108),  dass,  wenn 
man  einen  Tag  nach  der  Wutimpfung  in  die  vordere  Augenkammer 
das  Auge  enukleiert,  die  Krankheit  verhütet  werden  kann.  Beim  Tetanus 
liegen  die  Verhältnisse  einerseits  günstiger,  weil  die  spezifischen  Ba- 
cillen nur  ein  begrenztes  lokales  Wachstum  entfalten  und  vom  Blut 
aus  überhaupt  nicht  wirken;  andererseits  kommt  man,  wenn  die  ersten 
tetanischen  Symptome  sich  zeigen,  mit  der  Excision  des  Infektions- 
herdes meist  zu  spät,  weil  die  Resorption  des  dort  gebildeten  Giftes 
schon  zu  weit  vorgeschritten  ist.  Trotzdem  ist  die  Eintrittspforte  des 
Virus  immer  noch  als  ein  Stapelplatz  des  Giftes  anzusehen  und  mög- 
lichst frühzeitig  operativ  zu  entfernen;  in  manchen  Fällen  von  chro- 
nischem Tetanus  kommt  es  auf  das  Mehr  oder  Weniger  des  Giftes 
sicherlich  an.  Zur  Prophylaxe  wäre,  wenn  die  Krankheit  noch  nicht 
ausgebrochen  ist,  aber  die  Wahrscheinlichkeit  einer  Infektion  mit  Te- 
tanus vorliegt,  dasselbe  Verfahren  am  Platz  und  hätte  um  so  mehr 
Aussicht  auf  Erfolg,  je  früher  man  eingreift  (vgl.  Roux  und  Vaillaed, 
P.  93.  93). 

Bei  progressiven  Eiterungen  kann  die  Wegnahme  des  Herdes 
durch  Amputation  unter  Umständen  lebensrettend  wirken,  denn  die  Ge- 
fahr der  Metastasenbildung  ist  um  so  grösser,  je  länger  ein  Eiterungs- 
prozess  im  Körper  besteht  und  je  weiter  er  sich  örtlich  ausbreitet. 
Es  ist  das  wahrscheinlich  nur  in  den  günstigen  Resorptionsbedingungen 
begründet,  nicht  etwa  darin,  dass  die  lokale  Eiterung  als  solche  die 
inneren  Organe  für  Metastasenbildung  prädisponiert. 

Welche  Rolle  die  Resorption  bei  derartigen  Infektionen  spielt, 
ersieht  man  am  besten  an  dem  Einfiuss,  den  die  Eröffnung  der 
Eiterherde  und  selbst  die  einfache  Entspannung  des  Gewebes 
durch  Schnitt  hat.  Jede  Stauung  der  Wundsekrete  bedingt  nicht  nur 
eine  Steigerung  der  allgemeinen  Vergiftungssymptome,  des  Fiebers  u.  s.  w., 
also  eine  raschere  Aufsaugung  der  bakteriellen  Stoffwechselprodukte, 
sondern  vermehrt  auch  die  Chancen  für  die  kontinuierliche  oder 
metastatische  Ausbreitung  des  Prozesses,  d.  h.  also  die  Resorption 
der  Infektionserreger  selbst.  Der  durch  das  Exsudat  gesteigerte  Druck 
im  entzündeten  Gewebe  muss  freilich  ausserdem  noch  eine  günstige 
Bedeutung  für  das  Wachstum  der  Bakterien  daselbst  haben.  Man 
könnte  in  dieser  Beziehung  auf  die  direkte  Schädigung  der  Gewebs- 
elemente  durch  die  höhere  Spannung  und  auf  die  damit  verbundenen 


350  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

indirekten  Ernährungsstörungen  hinweisen.  Dieselben  führen  ja  ohne 
operativen  Eingriff  häufig  zu  mehr  oder  weniger  ausgedehnten  Ne- 
krosen. Ein  anderer  befördernder  Einfiuss  kommt  namentlich  bei 
Mischinfektionen  mit  Fäulniserregern  und  bei  anaerobiotischen  Infek- 
tionen in  Betracht,  nämlich  der  Ausschluss  des  Sauerstoffs  in  den 
geschlossenen  Herden.  Nach  Bkaatz  (C.  17.  21)  muss  aber  auch  auf 
die  gewöhnlichen  Eiterbakterien  die  Aerobiose  hemmend,  die  Anaerobiose 
wachstumsbefördernd  wirken. 

Eine  günstige  Beeinflussung  der  örtlichen  Blutcirku- 
lation  und  Temperatur  erfolgt  gewöhnlich  durch  dieselben  Mittel: 
lokale  Blutentziehungen,  Anwendung  der  Kälte,  und  erklärt  sich  durch 
Entspannung  des  Gewebes;  vielleicht  hemmt  aber  auch  bei  oberfläch- 
lichen Prozessen  die  niedrige  Temperatur  unmittelbar  die  Bakterien- 
vermehrung. Scheinbar  entgegengesetzt  und  dennoch  oft  günstig  wirkt 
die  feuchte  Wärme  in  Form  von  Umschlägen  und  Bädern,  die,  von 
der  Wirkung  auf  die  sensiblen  Nerven  ganz  abgesehen,  offenbar  die 
Blutcirkulation  und  die  Resorption  anregen.  Der  gute  Erfolg  ist  frei- 
lich nur  verbürgt,  wenn  der  Prozess  von  Natur  ein  gutartiger  ist,  d.  h. 
dazu  neigt  sich  zu  lokalisieren:  er  verläuft  dann  regelmässig  schneller, 
aber  auch  intensiver.  Die  experimentelle  Behandlung  dieser  Frage 
lässt  viel  zu  wünschen  übrig  (vgl.  S.  338). 

Die  Stauungshyperämie  ist  schon  von  Rokitansky  als  ein 
Faktor  erkannt,  der  geeignet  ist,  der  Lunge  eine  Art  von  Immunität 
gegen  Tuberkulose  zu  verleihen,  Bier  (A.  Ch.  48.  2)  hat  ihren  gleich 
günstigen  Einfiuss  auf  andere  Formen  der  lokalen  Tuberkulose  konsta- 
tiert und  benutzt  die  künstlich  hervorgerufene  Blutstauung  geradezu 
als  ein  Mittel,  die  Tuberkulose  zu  heilen.  Bei  anderen  Infektionen 
kann  man  übrigens  den  entgegengesetzten  Effekt  beobachten,  so  bei 
Eiterungen  aller  Art,  z.  B.  der  Epididymitis,  die  man  ja  durch  Kom- 
pression, bei  der  Phlegmone  der  Extremitäten,  die  man  durch  Hoch- 
lagerung bekämpft,   ferner  bei   Syphilis   (Bier  a.  a.   0.). 

Manche  Autoren  sind  geneigt  nicht  nur  die  Hyperämie,  sondern 
auch  die  Entzündung  selbst  als  ein  Kampfmittel  des  Organismus 
gegen  die  Infektion  zu  betrachten  (vgl.  Leber1),  Buchner,  M.  94.  30). 
Diese  teleologische  Auffassung  ist  schon  sehr  alt,  dem  „Pus  bonum  et 
laudabile*  wird  ja  die  Funktion  zugeschrieben,  den  Organismus  vom 
Krankheitsstoff  zu  befreien.  Nachdem  nun  die  bakteriologische  For- 
schung die  wirklichen  Feinde  kennen  gelernt  hatte,  wurde  die  alte  Theorie 
durch  Metschnikoff2)  zuerst  dahin  präcisiert,  dass  er  den  Leukocyten 

1)  Leber,  Die  Entstehung  der  Entzündung  u.  s.  w.     Leipzig  91. 

2)  Vgl.  dessen  Darstellung  in  dem  Aufsatz:  „Zur  vergleichenden  Pathologie 
der  Entzündung"  in  den  internationalen  Beiträgen  zur  wissenschaftlichen  Medizin, 


Kruse,  Krankheitserregung.  351 

die  Hauptrolle  im  Kampfe  und  zwar  als  Fresszellen,  als  Phagocyten, 
zuwies.  Andere  Autoren  wollen  die  Leukocyten  sich  dadurch  beteiligen 
lassen,  dass  sie  antibakterielle  Stoffe  secernieren  resp.  bei  ihrem  Zerfall 
ausscheiden  (Hankin,  Dents,  Büchner).  Noch  andere  legen  das  Haupt- 
gewicht auf  das  flüssige  Exsudat.  Da  die  Entscheidung  dieser  Fragen 
für  die  Theorie  der  Immunität  und  Heilung  von  dem  grössten  Interesse 
ist,  werden  wir  ihre  Erörterung  bis  zum  Abschnitt  P  aufschieben.  Gegen- 
über der  Hypothese,  die  dem  Fieber  eine  Bedeutung  im  Kampfe  gegen 
die  Infektion  zuschreibt  (vgl.  S.  341),  erscheint  die  hier  besprochene  An- 
schauung viel  annehmbarer.  Handelt  es  sich  doch  bei  der  Entzündung 
um  eine  Reaktion,  die  gerade  am  Orte  der  Gefahr  erfolgt,  ohne  den 
übrigen  Organismus  in  erhebliche  Mitleidenschaft  zu  ziehen!  Besteht  das 
Endresultat  dieser  Reaktion  doch  in  sehr  vielen  Fällen  —  wenn  es  näm- 
lich zur  Eiterung  und  zum  Durchbruch  des  Eiters  kommt  —  in  der 
That  in  der  Eliminierung  derKrankheitserreger! 

Die  Probe  auf  das  Exempel  bestände  darin,  dass  es  gelänge,  experi- 
mentell eine  allgemeine  Infektion  durch  vorhergehende  Erregung  einer 
Entzündung  an  der  Eintrittspforte  des  Virus  zu  verhüten  und  eine  be- 
ginnende, aber  noch  örtlich  beschränkte  Infektion  durch  die  nachträg- 
liche Steigerung  des  lokalen  Prozesses  ihrer  Gefährlichkeit  zu  ent- 
kleiden. Nur  in  gewissem  Grade  ist  der  Beweis  geglückt.  Die  von 
Bergonzini  (r:  J.  90.  540)  gefundene  Thatsache,  dass  Milzbrandbacillen, 
in  einen  Eiterherd  injiziert,  nicht  zur  Wirkung  gelangen,  kann  so  ge- 
deutet werden,  dass  nur  ihre  Resorption  dadurch  unmöglich  gemacht 
wird  (s.  S.  318).  Lubarsch  (Z.  M.  19.  98)  schliesst  aus  ähnlichen  Ver- 
suchen, die  nur  eine  Verzögerung  der  Milzbrandinfektion  ergaben, 
dass  rein  mechanische  Momente  dabei  die  wesentliche  Rolle  spielen. 
Derselbe  Autor  hat  dann  den  Einfiuss  einer  nicht  eitrigen  Entzündung 
auf  dieselben  Mikroorganismen  studiert,  indem  er  die  Ohren  von  Kanin- 
chen verbrüte  und  verschiedene  Zeit  darnach  in  diese  impfte.  Nicht 
einmal  eine  Verzögerung  der  Krankheit  wurde  dadurch  herbeigeführt. 
Wurden  zu  gleicher  Zeit  die  Ohren  der  nicht  infizierten  Seite  verbrüt, 
so  konnte  Lubarsch  wie  schon  früher  Huber  (V.  106)  in  ihren  Ge- 
fässen  eher  ein  gesteigertes  Wachstum  konstatieren,  als  ein  gehemmtes. 
Pneumokokken  lokalisieren  sich,  wie  oben  berichtet  (S.  337),  wenn  sie 
im  Blutstrom  cirkulieren,  sogar  an  Hautstellen,  die  durch  Einspritzungen 
von  Chemikalien  gereizt  werden.  Das  Gleiche  gilt  von  Staphylokokken. 
Auf  der  anderen  Seite  sprechen  für  die  Theorie  der  Schutzkraft  der  Ent- 
zündung die  Versuche,  die  wir  schon  bei  den  Mischinfektionen  (S.  314  ff.) 


Virchow  gewidmet.     Bd.  IL  Berlin  91.  u.  Pathologie  comparee  de  l'innarnmation. 
Paris  92. 


352  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

besprochen  haben.  Die  Heilung  des  Milzbrandes  durch  Erysipelkokken, 
Prodigiosus,  Pyocyaneus,  Pneumobacillen  erfolgt  unter  lebhaften  Ent- 
zündungs-(Eiterungs-)Erscheinungen,  sie  ist  am  leichtesten  zu  er- 
reichen, wenn  die  genannten  Bakterien  dicht  um  den  Milzbrandherd 
eingespritzt  werden.  Auch  die  Verhütung  der  Cholerainfektion,  sei  es 
durch  Vorbehandlung  mit  Stoffen  beliebiger  Art  (Issaeef,  Z.  16),  sei 
es  mit  anderen  Mikroorganismen  (Pfeiffer  u.  Issaeff,  Z.  17)  ist  ein 
Vorgang,  der  mit  einer  lebhaften  örtlichen  Leukocytenauswanderung  und 
flüssiger  Exsudation  Hand  in  Hand  geht  (S.  346). 

Einen  mächtigen  Impuls  hat  die  Entzündungstheorie  empfangen 
durch  die  Entdeckung  des  Tuberkulins  (R.  Koch,  D.  90.  46a),  des 
Malleins  (s.  Bd.  II)  und  die  sich  daran  anschliessenden  Erfahrungen  über 
die  Wirkung  anderer  Bakterienextrakte  (Römer,  Buchner,  Klemperer, 
Z.  M.  20),  der  Albumosen  und  Peptone  (Mätthes,  A.  M.  54.  1)  und  des 
Kantharidins  (Liebreich,  B.  95. 293)  auf  tuberkulöse  Neubildungen.  Die 
genannten  Substanzen  erzeugen  sämtlich  durch  eine  noch  nicht  genügend 
erklärte  elektive  Wirkung  nach  Aufnahme  in  den  Kreislauf  um  die- 
jenigen Gewebsstellen,  die  von  tuberkulösen  (rotzigen,  leprösen)  Herden 
eingenommen  werden,  eine  entzündliche  Reaktion,  die  unter  Umständen 
zur  Rückbildung  derselben  führt.  Unabhängig  von  diesen  Lokalisationen, 
also  z.  B.  im  gesunden  Organismus,  sind  dieselben  Stoffe  befähigt,  all- 
gemeine Leukocytose  und  Fieber  (s.  S.  288)  zu  erwecken,  eine  That- 
sache,  die  möglicherweise  für  die  Erklärung  auch  der  örtlichen  Wir- 
kungen in.  Frage  kommen  kann  (vgl.  Nr.  7  u.  10  oben).  Das  Tuberkulin 
unterscheidet  sich  qualitativ  nicht  von  den  übrigen  Bakterienextrakten 
und  sogar  von  den  Albumosen  Matthes',  es  scheint  allerdings  in  ge- 
ringeren Mengen  wirksam  zu  sein. 

Vorläufig  nicht  recht  unterzubringen  ist  der  Erfolg,  den  die  Laparo- 
tomie bei  tuberkulöser  Peritonitis  auch  ohne  sonstige  Eingriffe  hat. 
Experimentelle  Bestätigungen  sind  dafür  geliefert  von  Stchegoleff 
(A.  E.  94),  Nannotti  und  Bacciochi  (C.  Ch.  95.  21)  u.  A. 

Ein  indirekter  Einfluss  der  Entzündung  besteht  in  ihrer  ableiten- 
den Wirkung,  die  durch  alte  klinische  Erfahrungen  und  neuerdings 
experimentell  durch  Bernabei  (A.  J.  93.  4)  sichergestellt  ist. 

Die  lokale  Behandlung  der  Infektionskrankheiten  sollte  —  so 
könnte  man  a  priori  voraussetzen  —  von  der  lokalen  Desinfektion 
ihren  Ausgangspunkt  nehmen. 

In  der  That  sind  die  Versuche,  die  Krankheitserreger  an  Ort  und 
Stelle  durch  bakterientötende  Mittel  unschädlich  zu  machen,  alt  genug. 
Die  antiseptische  Methode  in  ihrer  ursprünglichen  LisTER'schen  Form 
war  ja  auf  diesen  Gedanken  gegründet.  Im  Laufe  der  Zeit  haben  sich  die 
Ansichten    erheblich     geändert:     von    vielen    Seiten    wird    jetzt    ge- 


Kruse,  Krankheitserregung.  353 

radezu  die  Möglichkeit,  ein  schon  infiziertes  Gewebe  zu  desinfizieren, 
geleugnet.  Auf  Grund  von  Tierversuchen  kommen  z.  B.  Schimmel- 
busch (F.  95.  1/2),  Reichel  (A.  Ch.  49.  4)  und  Haenel  (D.  95.  8)  zu 
dem  Resultat,  dass  frische  Wunden,  die  mit  Eiter  oder  Kulturen  von 
Staphylokokken,  Streptokokken  u.  s.  w.  in  innige  Berührung  kommen, 
schon  4 — 18  Stunden  danach  nicht  mehr  zu  sterilisieren  sind.  Ent- 
gegengesetzte Ergeh nisse  bekamen  freilich  Messner  (M.  94.  19)  und 
Henle  (A.  Ch.  49).  Ausschliessen  muss  man  unter  diesen  Versuchen 
von  vornherein  diejenigen,  bei  denen  so  virulente  Bakterien  verwendet 
wurden,  dass  der  Tod  durch  eine  Allgemeinaffektion  erfolgte,  denn 
wir  wissen  durch  Schimmelbusch  u.  A.,  dass  die  Resorption  in  frischen 
Wunden  ausserordentlich  schnell  vor  sich  geht.  Aber  auch  soweit  andere 
Mikroorganismen,  z.B.  die  gewöhnlichen  Eiterbakterien,  inFrage  kommen, 
wird  man  jedenfalls  gut  thun,  von  antiseptischer  Behandlung  nicht 
allzu  viel  zu  erwarten,  ein  Schluss,  den  ja  viele  Chirurgen  schon  aus 
ihren  Erfahrungen  am  Krankenbette  gezogen  haben.  *)  Vielleicht  dienen 
die  reizenden  Eigenschaften,  die  unsere  Antiseptika  besitzen,  dazu, 
den  antibakteriellen  Effekt  wieder  aufzuwiegen.  Es  bleiben  aber  doch 
einige  Infektionen,  die  sich  der  lokalen  Behandlung  gegenüber  nicht 
so  refraktär  zu  verhalten  scheinen,  wie  die  gewöhnlichen  Wund- 
infektionen. Dahin  gehören  die  Gonorrhoe,  der  weiche  Schanker,  die 
Syphilis,  die  Tuberkulose,  faulige  Mischinfektionen,  die  Diphtherie  des 
Rachens2),  Lungen-  resp.  Bronchialerkrankungen  verschiedener  Art  u.  s.  w. 
Das  Silbernitrat,  die  Quecksilberpräparate,  die  Pyrogallussäure,  das  Jodo- 
form, das  Terpentinöl,  Menthol,  der  Kampher  seien  hier  nur  genannt. 
Noch  geringere  Aussichten,  als  die  Behandlung  von  Wunden  und 
Geschwüren,  hat  natürlich  die  lokale  Anwendung  von  Antisepticis  in 
der  Tiefe  des  Gewebes.  Doch  sind  besonders  von  Behring  (D.  91) 
einige  günstige  Erfahrungen  gemacht  worden,  so  beim  subkutanen 
Milzbrand  der  Mäuse  mit  Sublimat  und  Natrium  chloroborosum  und 
bei  der  Diphtherie  der  Meerschweinchen  mit  Jodtrichlorid.  Hier,  wie 
überhaupt  stets  bei  der  Desinfektion  im  lebenden  Körper,  ist  das  höchste 
Ziel  natürlich  dieAbtötung  der  Infektionskeime  durch  die  antibakteriellen 
Stoffe,  aber  auch  schon  die  Entwicklungshemmung  derselben  wäre 
ein  schönes  Resultat —  in  derThat  wird  im  besten  experimentellen  Falle 


1)  Ob  die  von  Schleich  (Therapeut.  Monatsh.  96.  2)  empfohlene  Forma- 
lingelatine  hierin  gründlich  Wandel  schaffen  wird,  ist  abzuwarten. 

2)  Die  Zahl  der  gegen  Diphtherie  empfohlenen  Mittel  ist  bekanntlich  sehr 
gross,  deren  Wirksamkeit  aber  eine  recht  zweifelhafte.  Neuerdings  hat  Löfpler 
(r:  C.  16.  955)  auf  Grund  zahlreicher  Versuche  im  Keagensglas,  am  Tier  und  am 
Menschen  eine  Mischung  von  Menthol,  Toluol,  absolut.  Alkohol  und  Liquor  ferri 
(oder  Kreolin)  vorgeschlagen. 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  23 


354  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

auch  nichts  weiter  erreicht.  Bei  natürlichen  Infektionen,  die  man  auch 
wohl  durch  Einspritzung  von  Antisepticis  in  das  kranke  Gewebe  oder 
in  seine  Umgebung  hat  heilen  wollen  (Erysipel,  Tetanus)  kann  bisher 
von  einem  Erfolge  im  Ernst  kaum  die  Rede  sein. 

Die  Prophylaxe  der  Infektionskrankheiten  durch  äussere  und 
innere  Desinfektion  ist  an  dieser  Stelle  nicht  zu  erörtern  (s.  Kap.  6  d. 
2.  Abschn.  d.  Bdes.).  An  dem  Beispiel  der  letzteren  kann  man  übrigens 
die  Schwierigkeit  des  Problems  der  Gewebsdesinfektion  wohl  er- 
messen. Zwar  gelingt  es  allenfalls,  die  auf  die  oberflächlichen 
Schleimhäute  (Konjunktiva,  Nase,  Mund  und  Rachen)  gelangenden 
Mikroorganismen  durch  antiseptische  Mittel  unschädlich  zu  machen 
(Weeks,  A.  A.  19;  Millee,  L.  217ff;  Löfeler,  D.  91.  10),  aber  die 
Desinfektion  der  weiblichen  Genitalwege  ist  schon  viel  schwieriger, 
wenn  nicht  unausführbar  (Krönig,  D.  94.  43),  und  alle  Versuche,  den 
Darminhalt  zu  desinfizieren,  sind  bisher  gescheitert  (vgl.  R.  Stern, 
Z.  12;  Germano,  Bollet.  Societä  di  Naturalisti.  Napoli  94;  Cassiani, 
A.  J.  96.   1;  Albu,  B.  95.  44). 

II.  Viel  geringer,  als  unsere  Kenntnisse  über  die  Steigerung  der 
Resistenz  gegen  lebende  Bakterien,  sind  diejenigen,  welche  sich  auf 
die  Erhöhung  der  Giftfestigkeit  des  Organismus  beziehen.  Die 
spezifischen  Methoden,  letztere  hervorzurufen  (Tetanus,  Diphtherie),  sind 
im  folgenden  Abschnitt  zu  besprechen,  hier  interessieren  uns  die  nicht 
spezifischen  Mittel.  Behring  (D.  90.  50)  konnte  durch  mehrtägige 
Vorbehandlung  mit  "Wasserstoffsuperoxyd  Meerschweinchen  gegen  die 
Diphtherieintoxikation  schützen.  Wird  unmittelbar  oder  wenige  Stun- 
den nach  der  Einverleibung  des  Giftes  und  an  den  folgenden  Tagen 
die  Injektionsstelle  mit  Jodtrichlorid  behandelt,  so  überstehen  die  Tiere 
ebenfalls  den  Eingriff.  Boer  (Z.  11)  fand  ausser  Jodtrichlorid  auch 
Chlorzink  und  Goldnatriumchlorid  u.  a.,  Roux  und  Martin  (P.  94.  9) 
fanden  LuGoi/sche  Jodlösimg  wirksam.  Auch  gegen  Tetanusvergiftung 
hilft  die  örtliche  Applikation  von  Jodtrichlorid  nach  Kitasato  (Z.  10. 
29S),  sowie  die  LuGOi/sche  Jodlösung  nach  Roux  u.  Vaillard  (P.  93.  2). 
Es  erklärt  sich  in  allen  diesen  Fällen  die  Wirkung  der  Chemikalien 
durch  Giftzerstörimg,  die  auch  im  Reagensglas  vorhanden  ist  (Kita- 
sato, a.  a.  0.;  Behring  u.  Wernicke,  Z.  12;  Roux  u.  Martin,  a.  a.  O.; 
Roux  u.  Vaillard  a.  a.  O.). 

Auch  die  Abschwächung  der  Giftigkeit  (vgl.  S.  305)  von  Diphtherie- 
und  Tetanuskulturen,  die  mit  Hoden-  oder  Thymus-Extrakten  gemischt 
werden,  ist  vielleicht  ebenfalls  auf  eine  Zerstörung  des  Giftes  zurückzu- 
führen (Brieger,  Kitasato  u.  Wassermann,  Z.  12).  Man  könnte  daraus 
schliessen,  dass  den  Zellen  gewisser  Organe  normalerweise  ein 
antitoxisches  Vermögen  zukommt  (vgl.  Charrin,  S.  95.  IS),  ahn- 


Kruse,  Krankheitserregung.  355 

lieh  wie  es  für  gewisse  nicht  bakterielle  Gifte  bewiesen  ist  (Leber, 
Thyreoidea);  Pohl  will,  allerdings  ohne  genügende  Beweise,  diese  Eigen- 
schaft sogar  einem  bestimmten  chemischen  Stoffe,  dem  Spermin  zu- 
schreiben (B.  93.  36  u.  D.  95.  30). ])  Dielntercellularflüssigkeit,  das  Blut- 
serum selbst  natürlich  unempfänglicher  Tiere  wäre  dagegen  nach  früheren 
Angaben  nicht  antitoxisch,  nur  Roux  u.  Martin  berichten  über  einen 
Fall,  in  dem  normales  Pferdeserum  eine  gewisse  Resistenz  gegen 
Diphtheriegift  verliehen  hat  (P.  94.  615  Anm.),  und  Aronson  (B.  93. 
26)  schreibt  dem  Rattenserum  eine  geringe  Schutzkraft  gegen  Diph- 
therie zu.  Neuere  Untersuchungen  machen  es  allerdings  wahrschein- 
lich, dass  auch  dem  normalen  Blutserum  des  Menschen  eine  anti- 
toxische Wirkung  gegen  das  Diphtheriegift  häufig  zukommt  (Wasser- 
mann, Z.  19.  3;  Abel  D.94.50;  Orlowski,  D.  95.  25;  Pischl,  J.K.  41), 
ebenso  wie  dem  Ziegenserum  gegen  Choleragift  (R.  Pfeiffer,  Z.  20.  2). 
Es  hat  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  durch  pharmakologische  Agentien 
eine  künstliche  Immunität  gegen  Bakteriengifte  zu  erzeugen.  So  haben 
Peyraud  und  Rummo  (Ri.  93.  p.  232)  Tiere  durch  Strychnin  gegen 
Tetanus  und  Peyraud  (C.  R.  105)  durch  Tanacetum  gegen  Hundswut 
festigen  wollen.  Sehr  interessant  sind,  aber  der  Bestätigung  bedürfen 
die  neuesten  Mitteilungen  von  Roux  (P.  94.  10)  über  die  schützenden 
Wirkungen,  die  das  Blutserum  von  giftfest  gemachten  Tieren  gegen 
andere  Gifte  ausüben  soll.  Danach  hatte  Tetanus-  und  Hundswut- 
serum einen  antitoxischen  Wert  gegenüber  Schlangengift,  Schlangen- 
gift und  Diphtherieserum  waren  wirksam  gegen  Abrinvergiftung. 
Letztere  Angabe  wird  von  Ehrlich  bestritten  (Z.  19.  90);  dagegen 
schützt  nach  diesem  Forscher  Robin  gegen  Abrin  und  Ricin. 

L.  Spezifische  Immunität  und  Heilung. 

Die  Lehre  von  der  spezifischen  Immunität  bildet  unstreitig  das 
interessanteste  Kapitel  der  Bakteriologie.  Die  Krankheitserreger  er- 
zeugen in  dem  Organismus,  dessen  Existenz  sie  bedrohen,  einen  Zu- 
stand, der  ihnen  selbst  einen  zweiten  Angriff  auf  denselben  unmöglich 
macht  oder  wenigstens  erschwert.  Ganz  unverständlich  ist  dieser  Vor- 
gang, wenn  wir  ihn  nicht  als  eine  Verteidigungsmassregel  auffassen, 
im  Kampfe  geschaffen  zur  Erhaltung  der  höher  organisierten  Art.  So- 
weit sich  bisher  übersehen  lässt,  sind  zweierlei  Prozesse  hier  zu  unter- 
scheiden:   erstens   der  Schutz   des  Körpers   gegen   die  Überwucherung 


1)  Freund,  Grosz  und  Jelinek  (C.  M.  95.  38  u.  39)  finden  gewisse  Bestand- 
teile des  Leukocytenkörpers  (Histon)  antitoxisch  wirksam  gegenüber  Dipktherie- 
gift,  andere  (Nuklein,  Nukleinsäure)  unwirksam.  Nack  Kondratjew  (r:  C.  18.  2/3) 
besitzen  Milz-  und  Nebennierenextrakte  antitoxische  Wirkung  gegen  Tetanus. 

23* 


356  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

durch  Infektionskeime  und  dann  seine  Festigung  gegen  die  von  jenen 
produzierten  Gifte.  Hier  wie  bei  der  auf  nichtspezifischeni  Wege  zu- 
stande kommenden  Unenipfänglichkeit  (S.  341)  ist  von  der  präventiven 
Impfung  zur  eigentlichen  Heilung  ein  ganz  allmählicher  Übergang. 

I.  Immunität  gegen  das  lebende  Virus. 

Die  spezifische  Immunität  kann  erworben  werden: 

1.  durch  das  Überstehen  der  natürlichen  Krankheit.  Seit 
Jahrhunderten  kennt  man  den  Schutz,  den  die  siegreich  überwundene 
Infektion  der  Blattern,  der  Bubonenpest  gegen  die  Ansteckung  mit 
demselben  Virus  gewährt.  Durch  sorgfältige  Beobachtungen  hat  man 
fast  für  alle  Infektionskrankheiten  ähnliche  Verhältnisse  festgestellt, 
und  die  bakteriologische  Forschung  hat  auch  in  den  Fällen,  wo,  wie 
z.  B.  bei  Pneumonie  und  Erysipel,  der  einmal  Betroffene  eher  eine 
gesteigerte  Disposition  zu  derselben  Erkrankung  davonzutragen  schien, 
die  Existenz  einer  —  allerdings  zeitlich  ziemlich  beschränkten  — 
Immunität  äusserst  wahrscheinlich  gemacht. 

2.  Jahrhunderte  alt  ist  auch  die  Entdeckung,  dass  es  gelingt, 
durch  künstliche  Verimpfung  der  Krankheit  einen  Schutz  gegen  die- 
selbe zu  verleihen.  Die  günstige  Wirkung  der  sog.  Variolisation 
erklärt  sich  in  der  Weise,  dass  die  kutane  Einimpfung  des  Blattern- 
stoffes eine  echte,  aber  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  leichte  spe- 
zifische Erkrankung  verursacht.  Wir  können  uns  wohl  vorzustellen,  dass 
die  Verschiedenheit  der  Eintrittspforte  von  der  natürlichen  hier 
den  leichteren  Verlauf  der  Infektion  bedingt.  Für  den  Infektionsstoff  der 
Lungenseuche  des  Rindes  hat  Willems  nachgewiesen,  dass  die  Impfung 
am  Schwanzende  eine  geringe  lokale  Affektion  und  in  deren  Gefolge 
Immunität  bewirkt,  die  Einspritzung  derselben  Dosis  in  das  lockere 
Unterhautgewebe  des  Stammes  aber  eine  gefährliche  Krankheit  er- 
zeugt (vgl.  Arloing,  L.  290 — 293).  Ein  ähnliches  Beispiel,  das  bak- 
teriologisch sichergestellt  ist,  bietet  die  Pneumokokkeninfection.  Bei 
einfach  kutaner  Impfung  mit  diesem  Virus  entwickelt  sich  eine  Lokal- 
affektion, die  gegen  spätere  Erkrankungen  schützt;  bei  Einspritzung 
derselben  Menge  ins  Blut  erfolgt  dagegen  der  Tod  an  Septikämie 
(Kruse  u.  Pansini  Z.  11;  vgl.  auch  S.  325).  Anders  liegt  die  Sache 
bei  den  folgenden  Beispielen.  Bei  Rauschbrand  wirkt  nach  Arloing, 
Cornevin  und  Thomas  ')  die  intravenöse  Injektion  immunisierend,  während 
dieselben  Dosen  unter  die  Haut  gebracht  einen  tötlichen  Effekt  bedingen. 
Wahrscheinlich  ist  das  so  zu  erklären,  dass  diese  Bakterien  im  Blute 


1)  Le  charbon  symptomatique.     Paris  87;  vgl.  auch  Kitt,  C.  1.  23  ff. 


Kruse,  Krankheitserregung.  357 

überhaupt  nicht  zu  wachsen  vermögen,  weil  sie  anaerobie  sind  und  nur 
durch  ihre  Stoffwechselprodukte  wirken  (s.  Nr.  6  weiter  unten).  Viel- 
leicht verhält  es  sich  ähnlich  mit  der  Impfung  gegen  Hundswut.  Die 
HAFFKiNE'sche  Schutzimpfung  gegen  Cholera,  die  auf  subkutaner  Ein- 
verleibung von  Cholerakulturen  beruht  und  praktisch  gewisse  Resultate 
gezeitigt  zu  haben  scheint,  gehört  ebenfalls  hierher  (vgl.  Haeekine, 
Bull,  medic.  92.  67,  B.  M.  95  u.  Kolle,  C.  19.  4/5). 

3.  Ein  Virus,  das  erst  in  grösseren  Mengen  ein  Tier  tötet,  kann 
demselben,  in  kleinerer  Dosis  verimpft,  Immunität  verschaffen,  aber 
nur,  wenn  die  letztere  imstande  ist,  eine  örtliche  Erkrankung  hervor- 
zurufen. Abloing-,  Cornevin  und  Thomas1)  bewiesen  das  nach  dem 
Vorgange  von  Chauveau  für  den  Rauschbrand.  Andere  Beispiele 
dafür  bieten  die  Infektionen  mit  Mäuseseptikämie  und  Schweinerotlauf 
(Emmerich  u.  Mastbaum,  A.  12),  mit  Pneumoniekokken  bei  Kaninchen 
(Kruse  u.  Pansini,  Z.  11),  mit  Typhus-,  Cholerabakterien  u.  s.  w.  (vgl. 
oben  D). 

4.  Pasteur  entdeckte  1880  das  grundlegende  Prinzip,  dass  ab- 
geschwächte Mikroorganismen  gegen  ein  stärkeres  Virus  immuni- 
sieren (CR.  90).  Für  Hühnercholera,  Milzbrand  und  Schweinerotlauf,  sowie 
die  Hundswut  fanden  er  und  seine  Mitarbeiter  nicht  nur  die  Mittel  zur  Ab- 
schwächung  (s.  unt.  E  S.  300  ff.),  sondern  auch  praktisch  brauchbare  Impf- 
methoden, die  allerdings  in  der  Folge  einigermassen  modifiziert  wurden 
(vgl.  Bd.  II).  Arloing,  Cornevin  und  Thomas  thaten  dasselbe  für  den 
Rauschbrand,  und  zahlreiche  Autoren  haben  für  andere  Infektionen  die 
Giltigkeit  desPASTEURschen Prinzips  nachgewiesen,  so  für  Streptokokken, 
Pneumokokken,  die  ganze  Gruppe  der  hämorrhagischen  Septikämie,  Typhus, 
malignes  Ödem,  Cholera  u.  s.  w.  Die  Abschwächung  darf  übrigens 
nicht  so  weit  gehen,  dass  die  betreffenden  Bakterien  überhaupt  nicht 
mehr  wachstumsfähig  im  Tier  sind,  sondern  eine  örtliche  Vermehrung 
derselben  ist  zum  Erfolge  notwendig.  Wo  ohne  die  letztere  dennoch 
ein  Impfschutz  erreicht  wird,  da  handelt  es  sich  nicht  mehr  um  die 
Wirkung  der  lebenden  Bakterien,  sondern  um  deren  Stoffwechsel- 
produkte (s.  unter  Nr.  6). 

Die  JENNER'sche  Kuhpockenimpfung  gegen  Variola  ist  wahrschein- 
lich als  Wirkung  abgeschwächter  Variolakeime  anzusehen  (s.  oben  S.  304) 

5.  Als  eine  Art  Abschwächung  im  Tierkörper  selbst  ist  die 
Beeinflussung,  die  virulente  Bakterien  durch  gleichzeitige  lokale  oder 
allgemeine  Behandlung  des  Tieres  mit  chemischen  Stoffen  verschiedener 
Art  (Antisepticis,  normalem  Blutserum  u.  s.  w.;  s.  unter  K)  oder  mit 
anderen  Bakterien  (s.  unter  F)  erleiden.    Das  genannte  Verfahren  führt, 


1)  Le  charbon  symptomatique.    Paris  87;  vgl.  auch  Kitt,  C.  1.  23 ff. 


358  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

wenn  die  Infektionserreger  überhaupt  zu  einem  lokalen  Wachstum  ge- 
langen, sehr  häufig  zu  spezifischer  Immunität  (vgl.  Pansini,  Zi.  12.  426). 
6.  Auch  ohne  die  Mitwirkung  lebender  Mikroorganismen  lässt 
sich  eine  spezifische  Immunität  gegen  die  letzteren  erzielen,  indem  man 
ihre  Stoffwechselprodukte  dem  Körper  einverleibt.  Chauveatj 
hatte  die  Anschauung,  dass  die  Bakterien  überhaupt  nur  durch  lösliche 
Stoffe  in  den  Stand  gesetzt  würden,  eine  immunisierende  Wirkung  aus- 
zuüben, schon  seit  1880  vertreten  und  den  Beweis  durch  die  Thatsache 
zu  erbringen  gesucht  (P.  88.  2),  dass  die  Jungen  von  gegen  Milzbrand 
immunisierten  Schafen  sich  ebenfalls  gegenüber  dieser  Infektion  refraktär 
erwiesen,  ohne  dass  doch  die  Bacillen  selbst  von  dem  Muttertier  auf 
die  Embryonen  übergegangen  wären.  Der  direkte  Beweis  wurde  zuerst 
von  Salmon  u.  Smith  (C.  2.  18)  geliefert,  die  durch  ein-  oder  mehr- 
malige Einverleibung  von  bei  60°  sterilisierten  Bouillonkulturen  des 
Hogcholerabacillus  Tauben  gegen  letzteren  immunisierten.  Chakrin  (C. 
R.  105.  756)  konnte  in  ähnlicher  Weise  —  und  zwar  durch  Anwendung 
von  gekochten  oder  nitrierten  Kulturen  des  Pyocyaneus  die  Resistenz 
von  Kaninchen  gegen  die  nachfolgende  Infektion  vermehren.  Fol  und 
Bonome  (Z.  5.  415)  schützten  Tiere  durch  Filtrate  von  Kulturen  des 
Proteus  vulgaris,  des  Hühnercholerabacillus  und  Diplokokkus  der 
Pneumonie  gegen  die  betreffenden  Erreger.  Roux  und  Chambeeland 
(P.  87.  12)  sowie  Roux  (P.  88.  2)  gelang  es,  durch  sehr  grosse 
Dosen  (ca.  100  ccm)  von  durch  Kochen  sterilisierten  Kulturen  von 
malignem  Odem  und  Rauschbrand,  die  in  verschiedenen  Sitz- 
ungen eingespritzt  wurden,  Meerschweinchen  gegen  die  virulenten 
Bacillen  zu  immunisieren;  10  mal  geringere  Mengen  waren  nötig,  wenn 
die  durch  Porzellan  filtrierte  Odemfiüssigkeit  infizierter  Tiere  zur  Impfung 
benutzt  wurde.  Grösseren  Schwierigkeiten  begegneten  die  Versuche, 
auf  chemischem  Wege  Schutz  gegen  Milzbrand  zu  verleihen.  Die  Mög- 
lichkeit davon  erwiesen  Roux  und  Chambeeland  (P.  88.  8),  indem  sie 
Hammel  durch  Milzbrandblut,  das  40  Minuten  auf  55°  erhitzt  wurde, 
immunisierten.  Aber  da  durch  diese  und  ähnliche  Methoden  eine 
sichere  Abtötung  der  Bacillen  nicht  immer  gelingt,  ist  die  chemische 
Vaccination  gegen  Milzbrand  nicht  gerade  zu  empfehlen.  Auch  die 
Filtration  von  Milzbrandblut  und  die  Darstellung  von  Extrakten  aus 
demselben  führte  nicht  zum  Ziel.  Glücklicher  war  Peteemann  (P.  92), 
der  durch  Injektion  grosser  Mengen  von  filtrierter  Serumkultur  Immu- 
nität von  1 — 2  Monaten  Dauer  erzielte.  Auch  Aeloing  untersuchte  (C.  R. 
114.  1421)  die  Kulturen  von  Milzbrandbacillen  auf  ihre  „phylakogene" 
Substanz  und  konnte  allerdings,  indem  er  dieselben  sedimentieren  Hess 
und  so  die  gelösten  Stoffwechselprodukte  rein  gewann,  durch  die  letzteren 
Lämmer  gegen  Milzbrand  immunisieren.     Wooldeidge   erreichte  das- 


Kruse,  Krankheitserregung.  35g 

selbe,  wenn  er  die  Milzbrandbacillen  auf  Thymus-  und  Hodenauszügen 
züchtete  und  die  filtrierte  Kulturflüssigkeit  injizierte.  Der  Filterrück- 
stand war  dagegen  unwirksam.  Hankin  (B.  M.  90)  sowie  dieser 
Autor  in  Verbindung  mit  Wesbeook  (P.  92)  wollen  unter  bestimmten 
Versuchsbedingungen,  nämlich  bei  Innehaltung  einer  Temperatur  von 
20°  sowie  bei  Kultivierung  in  Fleischextraktlösung  mit  Fibrinzusatz 
oder  in  reiner  Peptonlösung,  eine  „Alburnose"  gewonnen  haben,  der  ein 
gewisses  Schutzvermögen  gegen  die  Infektion  zukam.  Andererseits 
haben  Kruse  und  Bonaduce  durch  die  abgetöteten  Leiber  der  Milz- 
brandbacillen Meerschweinchen  gegen  Milzbrand  geschützt  (Zi.  12.  3), 
aber  auch  diese  Methode  war  nicht  zuverlässig. 

Die  Zahl  der  Beispiele,  welche  die  Möglichkeit  der  chemischen 
Immunisierung  beweisen,  könnte  leicht  vermehrt  werden.  Es  giebt 
kaum  eine  Infektion,  wo  sie  nicht  versucht  und  mehr  oder  weniger  ge- 
lungen wäre:  sogar  gegen  Tuberkulose  wollen  Heeicouet  u.  Richet 
(S.  B.  90)  sowie  Couemont  u.  Doe  (S.  90.  52)  durch  filtrierte  oder  er- 
hitzte Kulturen  Impfschutz  erzielt  haben,  und  R.  Koch  (C.  8.  572)  hat 
in  seiner  ersten  Mitteilung  über  das  Tuberkulin  die  erhöhte  Resistenz 
der  damit  vorbehandelten  Meerschweinchen  behauptet. 

Die  vaccinierenden  Substanzen  sind  in  ihren  chemischen  Eigenschaften 
nur  sehr  unvollkommen  bekannt;  nach  den  Angaben  in  der  Litteratur 
müsste  man  schliessen,  däss  dieselben  bald  mehr,  bald  weniger  empfind- 
lich gegen  Erhitzung  sind,  aber  im  allgemeinen  Temperaturen  von  60° 
eine  Zeit  lang,  manchmal  solche  von  100  und  120°  ertragen.  Wir 
haben  sie  oben  zu  den  Stoffwechselprodukten  der  Bakterien  gezählt, 
indem  wir  zu  den  letzteren  alle  Substanzen  rechnen,  die  während  des 
Stoffwechsels  der  Bakterienzelle  —  mag  dieselbe  leben  oder  im  Ab- 
sterben begriffen  oder  tot  sein  —  aus  der  Zelle  ausgeschieden  werden. 
Schon  aus  den  oben  mitgeteilten  Daten  ist  zu  ersehen,  dass  sie  in  den 
Kulturflüssigkeiten  bald  wesentlich  in  Lösung  befindlich  sind,  bald  noch 
innerhalb  der  Bakterienleiber  stecken.  Am  reichlichsten  scheint  die 
Bildung  dieser  Stoffe  in  dem  natürlichen  Kultursubstrat,  im  tierischen 
Körper,  vor  sich  zu  gehen.  Aus  dem  letzteren  sind  sie  auch  manchmal 
durch  Extraktion  gewonnen  worden,  z.  B.  von  Kruse  u.  Pansini  (Z. 
11.  357),  die  das  Blut  von  an  Pneumokokken  gestorbenen  Kaninchen 
aus  der  Leiche  in  Alkohol  übertrugen,  den  Niederschlag  trockneten, 
mit  Glycerin  auszogen  und  diesen  Extrakt  mit  Erfolg  als  Impfstoff 
benutzten.  Abgesehen  von  der  „Albumose"  Hankin's  ist  hier  noch  das 
Präparat  Fol  u.  Caebone's  (Gazzetta  medica  di  Torino  91.  1  u.  15) 
und  der  Gebr.  Klempeeee  (B.  91.  34/35)  zu  erwähnen,  das  durch  Fällung 
mit  schwefelsaurem  Ammon  oder  Alkohol  aus  Bouillonkulturen  des 
Pneumokokkus   gewonnen  und  als  Vaccin   erprobt  wurde.     Impfstoffe 


3(30  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

gegen  Hogcholera  —  ein  Ptomain  und  eine  Albumose  (Sucholotoxin 
und  Sucholoalbumin)  —  sowie  gegen  Swineplague  (Suplagotoxin  und 
Suplagoalbumin)  stellte  v.  Schweinitz  aus  Kulturen  (r:  J.  91.  192) 
her.  Ob  das  spezifische  Substanzen  waren,  ruuss  zweifelhaft  bleiben, 
zuuial  da  eine  synthetische  Darstellung  derselben  gelungen  sein  soll. 
Wassermann  (Z.  14)  immunisierte  ferner  mit  einem  Stoff,  den  er  aus 
auf  70—80°  erhitzten  Cholerabouillonkulturen  durch  Alkoholfällung 
erhalten  hatte. 

7.  Wenn  die  Gewebe  des  infizierten  Körpers  oder  Extrakte  daraus 
zur  Immunisierung  Verwendung  finden,  so  bedingt  das  gegenüber  der 
Benutzung  von  ausserhalb  des  Körpers  in  künstlichen  Kulturen  ge- 
bildeten Produkten  des  Infektionserregers  keinen  wesentlichen  quali- 
tativen, höchstens  einen  quantitativen  Unterschied.  Anders  ist  es,  wenn 
Bestandteile  des  gesunden,  fertig  immunisierten  Organismus 
als  Impfmaterial  dienen.  Die  Möglichkeit  dieses  Prinzips  wurde  zuerst 
von  Raynaud  (C.  R.  84)  im  Jahre  1877  ausgesprochen  und  durch  ein 
Experiment  bestätigt,  in  dem  das  Blut  eines  gegen  Kuhpocken  vacci- 
nierten  Kalbes  (250  ccm)  ein  zweites  gegen  die  Vaccineeruption  schützte. 
Nach  mehr  als  einem  Jahrzehnt  wurde  dieselbe  Idee,  wie  es  scheint, 
unabhängig  von  Raynaud  und  fast  gleichzeitig  von  mehreren  Forschern 
verfolgt.  Hericourt  und  Richet  (S.  88.  427)  machten  zunächst  die 
Beobachtung,  dass  Hunde,  die  mit  septischen  Staphylokokken  geimpft 
wurden,  wenn  sie  vorher  mit  Blut  von  anderen  Hunden,  die  eine 
Staphylokokkeninfektion  überstanden  hatten,  behandelt  waren,  sich 
resistent  zeigten,  im  Gegensatz  zu  den  Kontrolltieren,  die  Blut  von 
normalen  Hunden  bekommen  hatten.  Dann  glückte  Babes  und  Lepp 
(P.  89.  7)  die  Immunisierung  gegen  die  Hundswut  mit  Hilfe  des  Blutes 
von  Tieren,  die  schon  künstlich  gegen  diese  Infektion  immunisiert 
waren.  Aber  erst  Behring's  Befunde  bei  der  Diphtherie  (D.  90.  50) 
und  die  gemeinschaftlich  mit  Kitasato  beim  Tetanus  gemachten  (D.  90. 
49)  haben  den  Anstoss  zu  weiteren  Untersuchungen  gegeben,  die  den 
Satz,  dass  das  Blutserum  spezifisch  immunisierter  Tiere  einen 
Schutz  gegen  die  betreffende  Infektion  verleiht,  für  eine 
ganze  Anzahl  von  Fällen  begründet  haben.  Es  soll  das  zutreffen  für 
Diphtherie-  und  Tetanusbacillen  (vgl.  unter  II  S.  368  ff.),  für  Staphylo- 
kokken (Courmont,  S.  94.  62;  Viquerat,  Z.  18.  3),  für  Pneumoniekokken 
(Fol  u.  Carbone,  Gazz.  med.  di  Torino.  91.  1.  u.  Ri.  91.  256;  Emmerich 
u.  Fowitzky,  M.  91.  32;  G.  u.  F.  Klemperer,  B.  91.  34/35;  Arkharow, 

E.  A.  92.  4;  Pansini,  Zi.  12.  3;  Issaefe,  P.  93.  3),  für  Streptokokken 
(Mironofe,  A.  E.  93.  4;  Roger,  S.  95.  11;  Marmorek,  P.  95.  7  u.  96.  1), 
Schweinerotlauf  und  Mäuseseptikämie  (Emmerich  u.  Mastbaum,  A.  12 

F.  Klemperer,   B.   92.    13;   Lorenz,   r:  J.  92.   134),   bei   Hogcholera 


Kruse,  Krankheitserregung.  361 

(Metschnikoff  P.  92.  5;  v.  Schweinitz,  r:  C.  16.  18),  Hühnercholera 
(Kitt,  r:  C.  14.  869),'  bei  Friedländer's  Bacillus  (F.  Klemperer,  B. 
92.  13),  hei  Typhus  (Brieger,  Kitasato  u.  Wassermann,  Z.  12;  Stern, 
D.  92.  37.  u.  Z.  16.  3;  Chantemesse  u.  Widal,  P.  92.  11;  E.  Neisser, 
Z.  M.  23;  R.  Pfeiffer  u.  Kolle,  Z.  21.  2),  Cholera  (Lazarus,  B.  92. 
44;  Klemperer,  B.  92.  39  u.  50;  Pfeiffer  u.  Wassermann,  Z.  14; 
Sobernheim,  Z.  14;  Pawlowsky  u.  Buchstab,  D.  93.  22;  Fedoroff, 
Z.  15;  Metschnikoff,  P.  93.  5;  Issaeff,  Z.  16;  Pfeiffer  u.  Issaeff, 
Z.  17;  Pfeiffer,  Z.  16.  18.  u.  19;  Kolle,  C.  19.  4/5),  Vibrio  Metschni- 
koffii  (Metschnikoff,  P.  91.  8;  Sanarelli,  P.  93;  Pfeiffer  u.  Issaeff, 
Pfeiffer  a.  a.  0.),  bei  Milzbrand  (Marchoux,  P.  95.  11;  Sclavo,  C.  18. 
24),  bei  Pest  (Yersin,  P.  95. 7),  bei  Tuberkulose  (Hericourt  u.  Richet, 
C.  R.  114;  Boinet,  S.95. 35;  Maragliano, B.  95.  32),  um  von  anderen  In- 
fektionen, Syphilis,  Hundswut,  Vaccine,  Maul-  und  Klauenseuche,  Brust- 
seuche der  Pferde  u.  s.  w.  nicht  zu  reden.  Wenn  auch  manche  von  diesen 
Angaben  noch  der  Bestätigung  bedürfen,  so  spricht  doch  alles  dafür, 
dass  dem  obigen  Satze  allgemeine  Geltung  zukommt.  Besonders  ver- 
dient hervorgehoben  zu  werden,  dass  das  schützende  Blutserum  auch 
einer  anderen  Spezies  angehören  kann.  So  wurde  gerade  das  Serum 
von  Menschen,  die  natürliche  Infektionen  an  Typhus,  Cholera  u.  a. 
durchgemacht  hatten,  gegenüber  Tieren  besonders  wirksam  gefunden. 
Die  vaccinierenden  Stoffe  des  Blutserums  sind  zwar  bisher  nur  un- 
vollkommen bekannt,  doch  sind  bezüglich  derselben  einige  Thatsachen 
sichergestellt,  die  sie  von  anderen  Substanzen  unterscheiden  und  trennen 
lassen.  Nach  R.  Pfeiffer  (Z.  19.  1)  verliert  z.  B.  Choleraserum  seine 
schützende  Kraft  durch  20  stündige  Erhitzung  auf  60°  nicht,  obwohl 
eine  Abnahme  seines  Wertes  nicht  zu  verkennen  ist;  einstündiges  Er- 
wärmen auf  70°  vernichtet  seine  Wirksamkeit  bis  auf  einen  kleinen 
Rest,  Aufkochen  zerstört  sie  selbst  in  Verdünnungen,  bei  welchen  die 
Koagulation  des  Serumeiweisses  ausbleibt.  Zusatz  von  \  %  Carbol- 
säure  schädigt  das  Serum  gar  nicht,  bei  gewöhnlicher  Temperatur  kann 
dasselbe  Monate  lang  aufbewahrt  werden,  selbst  Fäulnis  verringert 
seinen  Wert  nur  unbedeutend.  Die  Darstellung  der  wirksamen  „Anti- 
körper" aus  dem  Serum  ist  bisher  noch  wenig  in  Angriff  genommen, 
sie  wird  aber  wohl  in  derselben  Weise  möglich  sein,  wie  beim  Tetanus- 
und  Diphtherieserum  (s.  unter  II  S.  368  ff.).  Es  sei  erwähnt,  dass  nach 
Emmerich  u..  Tsuboi  (XI.  Kongr.  f.  innere  Med.  92)  das  Rotlaufserum  die 
wirksame  Substanz  an  das  Albumin  gebunden  enthalten  soll(„Immuntoxin- 
protein").  Vorläufig  genügt  für  alle  Schutzversuche  das  Serum,  wie 
es  ist;  haben  doch  schon  kleine  Dosen  oft  sehr  erhebliche  Wirkungen: 
so  schützten  z.  B.  nach  Lazarus,  Wassermann  und  R.  Pfeiffer  wenige 
Milligramm   des  Serums  von  Cholerarekonvalescenten  gegen  die  Meer- 


362  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

schweinchencholera,  und  Pfeiffer  (Z.  19.  78)  hat  neuerdings  von 
immunisierten  Meerschweinchen  ein  Serum  erhalten  von  dem  Titer 
V2  mgr,  d.  h.  diese  Dosis  war  imstande,  ein  Meerschweinchen  von 
200  gr  Gewicht  gegen  eine  gleichzeitig  eingespritzte  maximale  (d.  b. 
noch  nicht  durch  Vergiftung  tötliche)  Menge  von  in  1  ccm  Bouillon 
verteilten  Cholerabakterien  (2  mgr  Agarkultur)  zu  schützen.  Das  Ver- 
hältnis der  schützenden  Gabe  des  Heilserums  zum  Gewicht  des  Meer- 
schweinchens war  also  1  :  400000!  Wie  hat  man  sich  nun  die  Wirk- 
samkeit solchen  Serums  vorzustellen?  Zunächst  sind  zwei  Modi  scharf 
zu  unterscheiden:  bei  der  grossen  Mehrzahl  der  Infektionen  bewirkt 
das  Schutzserum  nur  eine  Hemmung  des  Wachstums  der  Infektions- 
erreger im  Tierkörper,  bei  Tetanus  und  Diphtherie  tritt  hingegen 
dieser  Einfluss  zurück  hinter  dem  ausgesprochenen  antitoxischen 
Effekt  (s.  unter  II).  Den  Mangel  eines  antitoxischen  Vermögens  des 
immunisierten  Körpers  resp.  Serums  haben  Gamaleia  (P.  89)  für  den 
Vibrio  Metschnikoff  und  die  Cholera,  Selander  für  Hogcholera  (P.  90), 
Charrin  für  den  Pyocyaneus  (S.  B.  90),  Metschnikoff  für  Vibrio 
Metschnikoff  und  Hogcholera  (P.  91.  8  u.  92.  5),  Chantemesse  u. 
Widal  (P.  92.  11)  sowie  R.  Pfeiffer  u.  Kolle  (Z.  21.  2)  für  Typhus, 
Pfeiffer  u.  Wassermann  (Z.  14)  für  Cholera  asiatica  nachgewiesen. 
Die  von  Klemperer  u.  A.  gegebene  Erklärung,  dass  die  Wirksamkeit 
des  Pneumokokken-,  Choleraserums  u.  s.  w.  auf  ihrem  Gehalt  an  an- 
titoxischen Stoffen  beruhe,  ist  also  nicht  zulässig.  Ebenso  steht  es 
mit  der  Ansicht  von  Roger  (S.B.  90),  der  gestützt  auf  Versuche  mit  Kulturen 
von  Erysipelkokken  in Erysipelserum  eine  abschwächende  Wirkung 
desselben  auf  die  virulenten  Kokken  annahm.  Metschnikoff  (a.a.O.)  hat 
durch  Trennung  des  Serums  von  den  Bakterien  mittelst  Filtration  darge- 
legt, dass  der  abgeschwächte  Effekt,  den  eine  solche  Serumkultur  gegen- 
über einer  Kultur  in  normalem  Serum  ausübt,  auf  dem  Einfluss  des  gleich- 
zeitig eingespritzten  Schutzserums  beruht.  Auch  dasjenige  Moment,  das 
nach  den  Untersuchungen  vouBehringu.  Nissen  (Z. 8),  Kruse  u.  Pansini 
(Z.  11)  und  Pfeiffer  (Z.  18.  S.  2)  eine  gewisse  Bedeutung  zu  haben  schien, 
nämlich  die  unmittelbare  antiseptische  Wirkung  des  Serums 
von  immunisierten  Tieren  auf  die  betreffenden  Infektionserreger  (Vibrio 
Metschnikoff,  Pneumokokken,  Choleraspirillen)  hat  sich  als  nicht  ge- 
nügend herausgestellt,  um  die  starken  Effekte  der  spezifischen  Serum- 
arten zu  verursachen.  Es  bleibt  danach,  wie  Kruse  (Zi.  12.  3)  aus- 
einandergesetzt hat,  nichts  übrig,  als  nur  folgende  Erklärung:  Verfasser 
glaubt  die  Schutzkraft  des  Serums  in  einem  „antily tischen"  Ver- 
mögen desselben  zu  finden,  d.  h.  in  der  durch  das  Serum  bewirkten 
Neutralisation  der  „lytischen"  oder  Angriffsstoffe  der  virulenten  Bakterien, 
die    danach    in    dem    mit   Serum   behandelten   Organismus  in   gleicher 


Kruse,  Krankheitserregung.  363 

Weise  erliegen,  wie  nicht  virulente  Bakterien  im  nicht  geschützten 
Tier.  Diese  Anschauung  des  Verfassers  ist  durch  die  neuesten  Resultate 
von  R.  Pfeiffer  u.  A.  gestützt  worden,  wir  werden  unter  P  auf  die 
Frage  der  Antilysine  zurückkommen. 

Ausser  dem  Blutserum  kommen  auch  anderen  Bestandteilen  des 
immunisierten  Körpers  Impfwirkungen  zu,  so  haben  Emmerich  u. 
Mastbatjm  ihren  „Heilsaft"  durch  Auspressen  aus  den  gesammelten 
Organen,  Muskeln  und  Fett,  und  nachträgliches  Filtrieren  gewonnen. 
Die  Mitbeteiligung  des  Blutes  an  dem  Effekt  ist  natürlich  dadurch 
nicht  ausgeschlossen.  Die  Wirksamkeit  der  Milch  ist  zuerst  durch 
Ehrlich's  Untersuchungen  (Z.  12)  für  Intoxikationskrankheiten  (Ricin, 
Abrin,  Tetanus)  gefunden,  dann  aber  auch  bei  echten  Infektionen  be- 
stätigt worden  (vgl.  unter  M).  Die  Beteiligung  der  Organe  an  der 
Produktion  impftüchtiger  Substanzen  hat  Centanni  (D.  93.  44/45)  für 
die  Hundswut  erwiesen,  indem  er  dieselben  nach  gründlichem  Aus- 
waschen des  Blutes  aus  den  Gefässen  mit  Kochsalzlösung  immunisierten 
Tieren  entnahm  und  als  Impfstoff  verwandte.  Dabei  stellte  es  sich 
heraus,  dass  bei  dieser  Krankheit  die  Immunität  am  Blute  und  am 
centralen  Nervensystem  haftet,  nicht  dagegen  an  Leber,  Niere,  Milz 
und  Muskeln. 

Eine  Übersicht  über  die  7  aufgeführten  Immunisierungsmethoden 
ergiebt,  dass  gegen  eine  und  dieselbe  Infektion  die  verschiedensten 
Verfahren  anwendbar  sind  und  dass  es  nur  sehr  wenig  Infektionen 
giebt,  gegen  die  uns  keine  Mittel,  die  Immunität  zu  erreichen,  bekannt 
sind.  Dazu  gehört  bisher  die  Gonorrhoe,  das  Rückfallfieber  (vgl.  Löffler, 
M.  G.  1.166 — 168),  die  Influenza;  die  letztere  wohl  nur,  weil  sie  bisher 
zu  wenig  studiert  ist.  Die  spezifische  Immunisierung  gegen  Tuberkulose 
kann  noch  nicht  als  sicher  betrachtet  werden  (vgl.  Bd.  II);  gegen  Rotz  hat 
bisher  nur  Straf/s  (C.  R.  108.  550)  und  zwar  bei  Hunden  Immunität 
erzielt.  Was  die  übrigen  Infektionen  anlangt,  so  ist  der  Grad  des 
künstlich  erreichbaren  Impfschutzes  gegen  sie  ausserordentlich  ver- 
schieden, je  nach  der  Art  der  Vorbehandlung.  In  dem  einen  Fall  führt 
diese,  in  dem  anderen  Fall  jene  Methode  zum  Ziel,  häufig  ist  eine  Kom- 
bination mehrerer  Methoden  vom  besten  Erfolge  begleitet.  Im  allge- 
meinen ist  die  Immunisierung  von  Tieren,  die  schon  natürlicherweise 
einen  gewissen  Grad  von  Unempfänglichkeit  besitzen,  schwerer  als  die 
von  empfänglichen  Tieren,  aber  auch  bei  fast  refraktären  Tieren 
kann  durch  richtige  Behandlung  ein  Zustand  von  künstlicher  Immunität 
erzielt  werden,  der  sich  durch  das  Blutserum  weiter  übertragen  lässt 
und  als  spezifisch  erweist  (vgl.  F.  Klemperer,  A.  P.  31). 

Die  Immunität  gegen  ein  bestimmtes  Virus  gilt  gewöhnlich  für 
den  ganzen  Körper.     Auch  die  oberflächlichsten  Teile  desselben,  selbst 


364  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

die  an  dem  Stoffwechsel  des  Körpers  sich  nur  in  geringem  Grade  be- 
teiligende Kornea  unterliegen  demselben  Gesetz,  so  hat  z.  B.  Löffler 
(M.  G.  1)  für  die  Mäuseseptikämie  festgestellt,  dass  einerseits  durch 
Impfung  in  die  Kornea  eine  allgemeine  Immunität  bedingt,  anderer- 
seits auch  nach  Impfung  am  Ohr  die  Kornea  selbst,  freilich  etwas  später 
als  die  übrigen  Körperteile,  unempfänglich  wurde.  Vielleicht  macht 
die  innere  Darmoberfläche  eine  Ausnahme  von  der  Regel,  wenigstens 
haben  verschiedene  Untersucher  Tiere ,  die  gegen  Cholera  immunisiert 
waren,  vom  Darmkanal  aus  mit  Erfolg  infizieren  können  (Pfeiffer 
u.  Wassermann,  Z.  14;  Metschnikoff ,  P.  93.  5).  Auch  berichten 
Koch,  Gaffky  und  Löffler  (M.  G.  2),  dass  Rinder  durch  Immunisierung 
von  der  Haut  aus  nicht  sicher  gegen  Darm  -  Milzbrand  —  die  natür- 
liche Art  der  Infektion  —  zu  schützen  wären.  Ahnlich  ging  es  Smith 
mit  den  Bacillen  der  Hogcholera  (r:  J.  91.  193).  Indessen  liegt  hier 
die  Möglichheit  vor,  dass  die  Immunisierung  nicht  weit  genug  getrieben 
worden  ist.  Die  Ergebnisse  der  PASTEUR'schen  Schutzimpfung  gegen 
Milzbrand  sind  jedenfalls  im  grossen  recht  günstig  ausgefallen. 

Ein  grundlegender  Unterschied  besteht  zwischen  den  ersten  sechs 
Impfverfahren  und  dem  siebenten  (Serumschutzimpfung).  Die  Behand- 
lung nach  den  ersten  Methoden  erfordert  immer  eine  gewisse  Zeit,  die 
Immunität  wird  um  so  stärker,  je  länger  die  Behandlung  dauert  und  je 
energischer  sie  ist;  durch  Einverleibung  von  Schutzserum  tritt  umgekehrt 
die  Unempfänglichkeit  fast  momentan  ein  und  ist  um  grösser,  je  grösser 
die  eingeimpfte  Serummenge.  Offenbar  müssen  im  ersteren  Falle  die  Sub- 
stanzen, auf  denen  der  immune  Zustand  beruht,  erst  gebildet  werden,  wäh- 
rend sie  im  zweiten  Fall  fertig  zur  Wirkung  kommen.  Darum  hat  man  wohl 
mit  Ehrlich  (Z.  12)  die  erste  Art  der  Immunisierung  die  aktive, 
die  zweite  die  passive  genannt.  Dieser  Name  rechtfertigt  sich 
noch  mehr,  wenn  man  das  Zustandekommen  beider  Prozesse  näher  ver- 
folgt. Die  langsame  Bildung  der  Immunität  im  Körper  geschieht  augen- 
scheinlich unter  aktiver  Beteiligung  des  Organismus,  deren 
inneres  Wesen  wir  zwar  noch  nicht  verstehen,  die  wir  aber,  wie  im 
Anfang  dieses  Abschnittes  betont  wurde,  als  eine  Art  Verteidigung  des 
Organismus  gegen  die  infektiösen  Mikroorganismen  auffassen  müssen. 
Diese  Reaktion  äussert  sich  in  lokalen  Erscheinungen  an  der  Impf- 
stelle, in  Fieber  und  anderen  Störungen  des  Allgemeinbefindens.  In 
vielen  Fällen  sind  gerade  die  Erhöhung  der  Eigenwärme,  die  Gewichts- 
abnahme des  Körpers  so  hervortretend,  dass  wir  diese  Symptome  als 
Massstab  für  den  Verlauf  des  Immunisierungsprozesses  benutzen  können. 
Als  praktische  Regel,  um  eine  Summierung  der  krankhaften  Symptome 
und  damit  einen  ungünstigen  Verlauf  der  Immunisierung  zu  vermeiden, 
verdient    festgehalten  zu   werden,    dass    man   eine  neue  Impfung   zur 


Kruse,  Krankheitserregung.  365 

Steigerung  der  Immunität  oder  Probeimpfungen  zur  Feststellung  des 
Immunitätsgrades  nicht  eher  vornehmen  soll,  ehe  nicht  die  genannten 
Reaktionserscheinungen  völlig  verschwunden  sind. 

Die  Zeit,  die  dazu  erforderlich  ist,  schwankt  natürlich  je  nach  der  Art 
der  Infektion  und  je  nach  der  Kraft  und  Menge  des  Impfstoffes  („Vaccins"). 
Manche  bevorzugen  kleine  Impfungen,  die  nur  schwache  Reaktionen 
erregen,  Andere  wieder  stärkere  mit  intensiveren  Allgemeinerscheinungen. 
Der  Endeffekt  wird  im  allgemeinen  bei  länger  fortgesetzter,  systematischer 
Behandlung  im  Verhältnis  stehen  zu  der  im  ganzen  verbrauchten 
Menge  des  Impfstoffes,  er  wird  schliesslich  gemessen  durch  die  Dosis 
des  wirksamen  Virus,  die  von  dem  Impfling  noch  vertragen  wird.  Bei 
dieser  Auffassung  der  Impfreaktion  darf  nicht  übersehen  werden,  dass 
sicher  ein  Teil  derselben  nicht  der  Immunität  zugute  kommt,  sondern 
anzusehen  ist  als  störende  Nebenwirkung,  die  durch  giftige  Produkte 
des  Vaccins  bedingt  wird.  Es  ist  das  besonders  bei  derjenigen  Impf- 
methode der  Fall,  die  sich  kleinerer  Dosen  virulenten  Materials  bedient, 
weniger  bei  Verwendung  eines  abgeschwächten  lebenden  oder  keimfreien 
Impfstoffes. 

Einige  Beispiele  werden  den  zeitlichen  Verlauf  der  Immunisierung 
beleuchten  und  zugleich  zeigen,  wie  das  Auftreten  der  Schutzwirkung 
im  Blutserum  sich  zu  dem  Grade  der  Immunität  des  Tieres  selbst 
verhält.  Nach  Issaeff  (Z.  16.  303)  ist  die  Resistenz  des  durch  eine 
einmalige  intraperitoneale  Injektion  von  Cholerakultur  immmunisierten 
Meerschweinchens  am  höchsten  24  Stunden1)  nach  der  Impfung,  das 
Blutserum  desselben  besitzt  dann  noch  keine  spezifische  Schutzwirkung. 
Die  Immunität  des  Tieres  sinkt  von  da  an  langsam,  die  Schutzwirkung 
des  Serums  tritt  erst  nach  7  Tagen  in  geringem  Grade,  nach  14  Tagen 
sehr  intensiv  hervor.  Nach  28  Tagen  hat  die  Immunität  des  Meer- 
schweinchens schon  ziemlich  abgenommen,  sein  Serum  beginnt  jetzt 
auch  weniger  wirksam  zu  werden.  Schliesslich  überdauert  die  Immunität 
des  Tieres  noch  die  Schutzwirkung  des  Serums,  die  nach  Monaten 
völlig  verschwunden  ist.  Bei  stärkerer  Immunisierung  von  Meer- 
schweinchen liegen  die  Verhältnisse  ähnlich,  nur  bleibt  das  Schutz- 
vermögen des  Serums  länger  erhalten,  ist  aber  auch  hier  spurlos  ver- 
schwunden, wenn  der  Organismus  selbst  noch  stark  resistent  ist  (vgl. 
Z.  17.  395/396).  Auch  beim  Menschen,  der  eine  Cholerainfektion  über- 
standen hat,  entwickeln  sich  die  schützenden  Eigenschaften  seines  Blut- 
serums erst  allmählich,  und  zwar  treten  sie  nicht  eher  deutlich  hervor 


1)  Bei  den  meisten  anderen  Infektionen  pflegt  mehr  Zeit  (Tage  bis  Wochen) 
zu  verfliessen,  bis  das  Maximum  der  Immunität  erreicht  ist.  Von  dem  Orte  der 
Einverleibung  des  Impfstoffes  hängt  viel  ab. 


366  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

als  im  Anfang  der  dritten  Woche  der  Erkrankung;  von  der  vierten  bis 
sechsten  Woche  ist  seine  spezifische  Wirkung  am  stärksten,  drei  Monate 
nach  der  Erkrankung  ist  sie  wieder  verloren  gegangen,  ohne  dass  man 
deswegen  annehmen  müsste,  dass  auch  der  Mensch  selbst  seine  Immuni- 
tät schon  eingebüsst  hätte  (s.  Issaeff,  Z.  16.  316).  Noch  klarer  liegen 
die  Immunitätsverhältnisse  bei  der  Hundswut  dank  den  Untersuchungen 
von  Centanni  (D.  93.  44/45).  Dieser  Autor  hat  den  schützenden  Wert 
des  Blutserums  und  des  Nervensystems  (s.  o.  S.  363)  von  gegen  Wut 
vaccinierten  Kaninchen  an  andern  Kaninchen  durch  subkutane  Injektion 
erprobt  und  dabei  gefunden,  dass  am  Schluss  der  12  Tage  dauernden 
Vaccination  das  Blut  beginnt,  eine  schützende  Wirkung  zu  zeigen, 
während  das  Nervensystem  unwirksam  ist,  dass  14  Tage  nachher  beide 
Substanzen  gleich  gut  schützen,  nach  weiteren  4  Wochen  und  Monate 
lang  später  nur  die  Nervenmasse  noch  immunisiert.  Die  Resistenz 
der  vaccinierten  Tiere  selbst  ist  am  Ende  der  Vaccination  noch  nicht 
ausgesprochen  und  tritt  erst  hervor,  wenn  das  Nervensystem  seine 
Schutzkraft  gewonnen  hat.  Diese  Versuche  Centanni's  sind  für  das 
Verständnis  des  Zustandekommens  der  spezifischen  Immunität  ausser- 
ordentlich lehrreich;  es  wäre  zu  wünschen,  dass  man  sie  in  ähnlicher 
Weise  für  andere  Infektionen  wiederholte.  Freilich  wissen  wir  noch 
bei  keiner  der  letzteren,  wo  sich  die  schützende  Substanz  ausserhalb 
des  Blutes  anhäuft.  Jedenfalls  ist  durch  diese  und  viele  andere  Experi- 
mente der  praktisch  sehr  wichtige  Satz  begründet,  dass  der  Grad  der 
spezifischen  Immunität  eines  Tieres  durchaus  nicht  in  jedem 
Momente  der   Schutzkraft  seines  Blutserums   entspricht. 

Was  die  passive  Immunität  angeht,  so  sprechen  alle  Erfahrungen 
dafür,  dass  dieselbe  ihren  höchsten  Grad  unmittelbar  nach  der  Ein- 
verleibung, z.  B.  des  Serums,  erreicht  und  von  da  an  ziemlich  schnell 
abnimmt,  so  dass  sich  die  passive  von  der  aktiven  Immunität,  auch  bei 
ursprünglich  bestehender  gleicher  Intensität,  durch  ihre  geringere 
Dauerhaftigkeit  unterscheidet.  Eine  Übertragung  von  dem  ersten 
geschützten  Tier  auf  ein  zweites  ist  möglich,  aber  die  Schutzkraft 
vermindert  sich  in  dem  Masse,  wie  die  ursprüngliche  Serumdosis 
durch  die  ganze  unwirksame  Serummenge  des  ersten  Tieres  ver- 
dünnt wird.  Eine  Vermehrung  des  Impfstoffes  etwa  durch  reaktive 
Thätigkeit  der  Gewebe  des  ersten  Tieres  findet  dabei  nicht  statt 
(s.  Pfeiffer,  Z.  IS.  13)  und  ebensowenig  bei  fortgesetzter  Übertragung, 
die  nur  zu  einem  immer  vollständigeren  Verlust  der  Impfkraft  führt. 
Bei  einmaliger  Einspritzung  grosser  Serummengen  tritt  sicherlich  eine 
schnelle  Ausscheidung  der  vaccinierenden  Substanz  durch  die  Sekrete 
ein,  z.  B.  auch  durch  die  Milch.  Es  wäre  aber  möglich,  dass  bei 
häufig  wiederholter  Darreichung  kleiner  Mengen  doch  schliesslich  eine 


Kruse,  Krankheitserregung.  367 

Art  Absorption  des  spezifischen  Stoffes  durch  die  Organe  erreichbar 
wäre  und  damit  ein  Zustand,  der  sich  von  der  fertigen,  auf  aktivem 
Wege  gewonnenen  Immunität  dann  vielleicht  durch  nichts  unter- 
scheiden Hesse. 

Da  die  präventiven  Stoffe  im  Serum  des  immunisierten  Tieres  fertig 
gebildet  existieren,  liegt  es  nahe,  dasselbe  zu  Heilzwecken  zu  verwenden. 
In  der  Thatist  das  vonverschiedenenExperimentatorenmit  günstigemEr- 
folge  versucht  worden,  z.  B.  gegen  Pneumokokken,  Streptokokken,  Typhus- 
und  Cholerabacillen  (Litt.  S. 360/61).  Es  lässt  sich  denken,  dass  die  dazu 
nötige  Dosis  Serum  eine  bedeutend  grössere  sein  muss,  da  die 
virulenten  Bakterien  sich  vor  der  Behandlung  natürlich  im  Körper 
üppig  vermehren.  Wenn  man  einige  Stunden  nach  der  Infektion  ein- 
greift, dann  kann  man  allerdings  noch  einen  Rückgang  des  Prozesses 
beobachten,  darüber  hinaus  sind  aber  bisher  keine  guten  Resultate 
erzielt  worden.  Zum  Teil  liegt  das  daran,  dass  trotz  einer  die  Bakterien- 
wucherung hemmenden  Serumeinspritzung  der  Tod  eintritt,  weil  die 
schon  gebildeten  Gifstoffe  nicht  unschädlich  gemacht  werden  können 
(Cholera).  Auch  beim  Menschen  ist  mit  dieser  spezifischen  Behandlung 
schon  ein  Anfang  gemacht  worden  (Klemperer  u.  A.),  aber  mit  durch- 
aus ungenügenden  Mengen  oder  mit  Serum  von  unzureichender  Wirk- 
samkeit. Es  ist  gerade  beim  Menschen  a  priori  ein  besserer 
Erfolg  zu  erwarten,  als  beim  Tier,  weil  die  menschlichen  In- 
fektionen im  allgemeinen  langsamer  und  nicht  so  schwer  verlaufen, 
d.  h.  nicht  zur  Septikämie  führen.  Was  die  Bekämpfung  der  Intoxi- 
kation anlangt,  die  bei  der  bisher  üblichen  Methode  der  Heilserum- 
gewinnung nicht  mit  Aussicht  auf  Erfolg  versucht  werden  kann,  so  be- 
rechtigen die  Erfahrungen,  die  mit  der  Behandlung  von  anderen  Bak- 
terienvergiftungen gemacht  sind,  vielleicht  zu  der  Hoffnung,  dass  auch 
hier  ähnliche  Mittel  gefunden  werden  können  (s.  unter  II). 

Andere  spezifische  Verfahren  zur  Heilung  von  Infektionen  kommen 
gegenüber  derHeilserumtherapie  nur  in  geringerem  Masse  in  Betracht, 
da  wir  bis  jetzt  keine  Substanzen  kennen,  die  mit  augenblicklicher 
Wirksamkeit  eine  so  völlige  Unschädlichkeit  verbinden,  wie  das  Serum 
immunisierter  Tiere. 

Die  Möglichkeit,  auf  anderem  Wege  Heilung  zu  erzielen,  soll  da- 
durch nicht  geleugnet  werden.  Die  Resultate,  die  G.  u.  F.  Klemperer 
(B.  92.  421  u.  Z.  M.  20)  durch  Behandlung  von  Mäusen  und  Kaninchen 
mit  bei  60°  sterilisierten  Kulturen  von  Pneumokokken  erhalten  haben, 
lauten  allerdings  nicht  sehr  ermutigend.  In  etwas  anderer  Weise  ab- 
geschwächte und  sterilisierte  Kulturen  hat  E.  Fränkel  zur  Behand- 
lung des  Typhus  verwendet  (D.  93.  41).  Die  hier  benutzten  Methoden 
scheinen  uns  nicht  gerade  geeignet,  heilkräftige  Substanzen  zu  liefern, 


368  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

eher  könnte  man  vielleicht  zum  Ziel  kommen,  wenn  man  sich  mit 
Kruse  und  Bonaduce  (Zi.  12.  368)  des  extravasculären  Blutserums  von 
Tieren  zur  Umwandlung  der  Lysine  in  Antilysine  bediente.  Die  künst- 
liche Erzeugung  von  Antitoxinen  aus  Kulturen  mit  Hilfe  der  Elektrizität 
könnte  zu  ähnlichen  Versuchen  auffordern  (s.  unten). 

Ob  das  Tuberkulin  als  spezifisch  es  Heilmittel  betrachtet  werden 
kann,  ist  nach  den  vorliegenden  Untersuchungen  sehr  zweifelhaft;  jeden- 
falls wirkt  es  in  ganz  anderer  Weise,  als  spezifisches  Blutserum,  und 
ähnlich  wie  andere  Bakterienextrakte  (S.  352). 

IL  Giftimmunität. 

Die  Thatsache,  dass  eine  Gewöhnung  an  Gift  möglich  ist, 
war  schon  den  Alten  und  ist  auch  unzivilisierten  Völkern  bekannt. 
Es  betrifft  das  sowohl  pflanzliche,  wie  tierische  Gifte,  und  zwar  solche 
von  einfacher  und  komplizierter  Konstitution. 1)  über  den  Vorgang, 
der  dabei  im  Organismus  stattfindet,  wissen  wir  nichts.  Erst  neuer- 
dings haben  Untersuchungen  von  Ehrlich  (D.  91.  32.  u.  44  u.  Z.  12) 
über  einige  spezielle  Vergiftungen  Licht  verbreitet.  Der  genannte  Autor 
konnte  Tiere  gegen  Ricin,  Abrin  und  Robin,  eiweissartige  Pflanzen- 
gifte, durch  subkutane  Injektion  oder  Verfütterung  steigender  Mengen, 
oder  auch  durch  wiederholte  Darreichung  kleinster  Mengen  allmählich 
festigen,  so  dass  sie  der  allgemeinen  und  lokalen  Anwendung  sehr 
grosser  Dosen  desselben  Mittels  schliesslich  widerstanden.  Dabei  stellte 
es  sich  heraus,  dass  sich  bei  den  behandelten  Tieren  eine  antitoxische 
Fähigkeit  des  Blutserums,  die  sich  sowohl  im  Reagensglas,  als  bei 
Vorbehandlung  im  tierischen  Körper  zeigte,  mit  der  eintretenden  Gift- 
immunität zugleich  entwickelte.  Calmette,  Phisalix  u.  Bertrand 
(P.  92.  94.  95)  haben  für  das  Schlangengift  ähnliche  Verhältnisse  fest- 
gestellt. Dass  auch  eine  Festigung  gegen  Fermente,  wie  Emulsin  u.  a., 
möglich  ist,  hat  Hildebrandt  (V.  121  u.  131,  M.  94.  15)  gezeigt,  ohne 
freilich  ein  antifermentatives  Verhalten   des  Blutserums   nachzuweisen. 

Bevor  diese  interessanten  Entdeckungen  gemacht  waren,  hatten 
schon  die  Bemühungen,  gegen  Bakteriengifte  zu  schützen,  begonnen. 
Den  ersten  gelungenen  Versuch  haben  Fol  und  Bonome  (Z.  5.  419)  ge- 
macht, indem  sie  Kaninchen  durch  eine  Einspritzung  von  filtrierter 
Proteuskultur  gegen  eine  wenige  Tage  darauf  erfolgende  neue  Injektion 
einer  tötlichen  Dosis  desselben  Filtrats  festigten.  Die  Autoren  wiesen 
auf  die  Möglichkeit  hin,  dass  der  wirksame  Stoff  hierbei  das  Neurin 
sei.  Vielleicht  erklärt  sich  die  Immunität,  die  Fol  und  Bonome  auch 
gegen   lebende  Proteuskulturen,    durch    kleinere    Dosen    von   lebenden 


1)  S.  Kobert,  Intoxikationen.  Stuttgart  93.   S.  151. 


Kruse,  Krankheitserregung.  369 

Kulturen  oder  Filtraten  oder  Neurin  erzielten,  durch  diese  Giftgewöhnung. 
Viel  weiter  geht  dieser  Prozess  bei  der  Tuberkulindarreichung. 
Namentlich  tuberkulöse  Kranke,  die  auf  wenige  Milligramm  stark 
reagieren,  werden  schliesslich  unempfindlich  gegen  die  viel  100  fache 
Menge  (R.  Koch,  D.  90.  46  a).  Die  Erklärung  für  diese  Giftgewöhnung 
ist  zwar  vielfach  versucht,  aber  noch  nicht  gelungen  (vgl.  Klein, 
r:  C.  14.  224;  Matthes,  C.  M.  95.  385). 

Im  wesentlichen  auch  als  eine  „Giftfestigung"  anzusehen  ist  die 
Immunisierung  gegenTetanus  undDiphtherie.  Die  erstere gelingt 
auf  verschiedene  Weise.  Kitasato  (Z.  10)  hat  nach  dem  Vorgange 
von  Behring  Kaninchen,  die  mit  Tetanuskulturfiltrat  geimpft  waren, 
durch  gleichzeitige  örtliche  Behandlung  mit  1  proz.  Jodtrichloridlösung 
vor  dem  Tode  zu  retten  vermocht  und  durch  weitere  Injektion  vonFiltrat 
oder  lebender  Kultur  stärker  immunisiert.  Durch  vorherige  Vermischung 
des  Giftes  mit  verschiedenen  Mengen  Jodtrichlorid  lassen  sich  nach 
Behring  (Z.  12)  Impfflüssigkeiten  gewinnen,  die  bei  allmählichem 
tibergang  von  den  schwächeren  zu  den  stärkeren  schliesslich  eine  solide 
Immunität  verleihen.  Roux  und  Vaillaed  (P.  93)  wählten  statt  des 
Jodtrichlorids  mit  günstigem  Erfolge  Jod-Jodkaliumlösung.  Andere  Arten 
der  Abschwächung  des  Giftes,  z.B.  durch  Erhitzung  auf  50 — 65°(Vaillard, 
P.  92. 224;  Brieger  u.  Cohn,  Z.  15. 440)  oder  durch  giftzerstörende  Chemi- 
kalien wie  Chlorwasser,  Carbolsäure  (Tizzoni  u.  Cattani,  Ri.  91.  183/4), 
führen  bei  Ziegen,  Kaninchen  und  Meerschweinchen  auch  zur  Giftfestigung. 
Mit  Hilfe  eines  Thymusextraktes,  das  Tetanuskulturen  zugemischt  und 
mit  ihm  tagelang  in  Berührung  gelassen  wurde,  haben  Brieger, 
Kitasato  u.  Wassermann  (Z.12),  sowie  Brieger  u.  Ehrlich  (D.  92.  18) 
einen  Impfstoff  hergestellt,  der  kleinere  und  grosse  Versuchstiere  ver- 
hältnismässig leicht  immunisierte.  Es  bedeutet  das  eine  Giftabschwächung 
durch  Zellsubstanzen.  Die  Säfte  immunisierter  Tiere,  z.  B.  das  Blut- 
serum von  Hunden  (Tizzoni  u.  Cattani,  Ri.  91.  183/4)  wirken  im  leben- 
den Körper  empfänglicher  Tiere  ähnlich  auf  das  Tetanusgift  und  ge- 
statten einen  gewissen  Grad  von  Giftfestigkeit  zu  erreichen.  Die  Dar- 
reichung des  unveränderten  Giftes  in  allmählich  steigender  Dosis  ist 
nach  Kitasato  und  Behring  bei  Mäusen  nicht  imstande,  eine  Gift- 
festigung  zu  bewirken;  dagegen  erreicht  man  dieses  Ziel  nach 
Behring  u.  Vaillard  (P.  92)  allerdings  durch  sehr  vorsichtiges  Vor- 
gehen bei  Kaninchen  und  auch  bei  Ziegen  (Brieger  u.  Cohn,  Z.  15; 
Brieger,  Z.  19).  Ist  dagegen  die  Immunität  einmal  durch 
irgend  ein  Verfahren  gefestigt,  so  kann  dieselbe  durch  ge- 
steigerte Giftdosen  immer  mehr  erhöht  werden,  ein  Prinzip, 
das  dann  auqh  bei  den  Immunisierungen  im  grossen  Stil  ausgebreitete 
Verwendung   findet.     Von  Natur    wenig    gegen    Tetanus    empfindliche 

Flügge,  Mikroorganismen.    3.  Auflage.  I.  24 


370  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Tiere,  Hunde  und  Tauben,  gelingt  es  nach  Tizzoni  und  Cattani  (Ri. 
91.  10)  durch  vollkräftiges  Gift  zu  immunisieren.  Auch  durch  lebende 
Tetanuskeime,  die  er  mit  Milchsäure  zusammen  in  geringer,  nicht 
tötlicher  Menge  Kaninchen  subkutan  beibrachte,  hat  Vaillaed  (P.  92. 
229)  Immunität  erzeugt. 

Die  Immunisierung  gegen  Diphtherie  vollzieht  sich  in  ähnlicher 
Weise  (C.  Fränkel,  B.  90.  49;  Behring,  D.  90.  50;  Behring  und 
Wernicke,  Z.  12;  Wernicke,  A.  18;  Brieger,  Kitas ato  u.  Wasser- 
mann, Z.  12;  Aronsohn,  B.  93.  26  und  94.  18;  Roux  u.  Martin,  P.  94. 9); 
sie  ist  von  Behring  u.  Wernicke  auch  durch  Verfütterung  des  Giftes 
erreicht  worden. 

Das  Resultat  der  Immunisierung  ist,  dass  die  geimpften  Tiere  den 
lebenden  oder  sterilisierten,  aber  giftigen  Kulturen  des  Tetanus-  und 
Diphtheriebacillus  widerstehen.  Über  allen  Zweifel  erhaben  und  am 
deutlichsten  hervortretend  ist  die  errungene  Giftfestigkeit,  die,  wie 
wir  gesehen  haben,  den  gegen  andere  Bakterien  vaccinierten  Tieren  zu 
fehlen  scheint  (S.  362).  Daneben  mag  in  gewissem  Grade  eine  echte,  gegen 
die  lebenden  Bakterien  gerichtete  Immunität  bestehen.  Wenigstens 
könnte  man  das  aus  den  Experimenten  Roux  u.  Martins,  die  bei 
immunisierten  Tieren  oft  kein  Wachstum  der  in  die  Trachea  eingeführten 
Diphtheriebacillen  beobachteten,  während  es  bei  den  Kontrolltieren 
ausnahmslos  auftrat,  schliessen.  Indessen  betonen  alle  Beobachter, 
dass  die  antibakterielle  Wirkung  bei  den  immunisierten  Tieren,  z.  B. 
bei  der  gewöhnlichen  Infektion  unter  die  Haut,  sehr  gering  sein  muss, 
da  lebende  Bakterien  sich  in  den  lokalen  Herden  bei  diesen  Tieren 
noch  lange  nach  überstandener  Krankheit  nachweisen  lassen.  Das  Tier- 
experiment ist  übrigens  zur  sicheren  Entscheidung  dieser  Frage  wenig 
geeignet,  da  sowohl  Tetanus-  als  Diphtheriebacillen  in  unseren  Versuchs- 
tieren nur  spärlich  wachsen.  Anders  liegt  die  Sache  bei  der  mensch- 
lichen Diphtherie  und  gerade  hier  wird  behauptet,  dass  durch  künst- 
liche Immunisierung  die  Entwicklung  jeder  lokalen  Affektion,  also 
wohl  auch  jede  Bacillenentwicklung,  hintangehalten  werden  kann.  Die 
Giftfestigkeit  bezieht  sich  sowohl  auf  die  allgemeinen  als  auf  die  lokalen 
Vergiftungssymptome,  die  bei  der  Diphtherie  ja  sehr  erheblich  sind. 
Den  beschriebenen  Immunisierungsmethoden,  die  man  als  aktive  (vgl. 
S.364)  bezeichnen  kann,  steht  die  passive  Immunisierung  durch  Übertra- 
gung von  Blutserum  gefestigter  Tiere  gegenüber.  Die  Entdeckung  dieser 
Methode  durch  Behring  im  Verein  mit  Kitasato  (D.  90.  49/50)  ist 
es,  die  den  Anstoss  zu  den  neuesten  prophylaktischen  und  therapeutischen 
Bestrebungen  in  der  Medizin  gegeben  hat.  Dass  Impfschutz  und  Heilung 
hier  auf  derselben  Grundlage  beruhen,  haben  die  genannten  Autoren 
sofort    erkannt,    im    Serum   haben    wir   eben   das  fertige  Material  zur 


Kruse,  Krankheilserregung.  37  \ 

Bekämpfung  der  spezifischen  Vergiftung.  Das  grundlegende  Experiment 
ist  folgendes:  Das  wirksame  Blutserum  wird  in  verschiedenem  Ver- 
hältnis zu  der  Giftlösung  zugesetzt  und  dann  Versuchstieren  (z.  B.  für 
Tetanus  Mäusen,  für  Diphtherie  Meerschweinchen)  injiziert.  Bei  einer 
gewissen  Proportion  zwischen  Gift  und  Serum  sieht  man  weder  einen 
Lokaleffekt  noch  ein  allgemeines  Vergiftungssymptom  auftreten,  bei  un- 
günstigerem Verhältnis  tritt  beides  auf,  aber  es  erfolgt  doch  noch 
Heilung;  wenn  man  noch  weiter  mit  dem  Serumzusatz  heruntergeht,  wird 
der  Tod  blos  hinausgeschoben,  und  schliesslich  erkennt  man  überhaupt 
keine  Beeinflussung  des  Prozesses.  Im  ungünstigen  Fall  tritt  der  Tod 
ein;  ein  Serumüberschuss  wird  dagegen  anstandslos  ertragen.  Das 
Serum  erweist  sich  wirksam  immer  proportional  den  gleichzeitig  ein- 
gespritzten Giftmengen. 

Die  Sache  wird  etwas  anders,  wenn  man  das  Serum  nicht  im 
Reagensglase  mit  dem  Gifte  mischt,  sondern  jedes  für  sich  injiziert. 
Auch  dann  ist  ein  Effekt  zweifellos  vorhanden,  er  vollzieht  sich  aber 
in  anderen  Verhältnissen,  je  nach  der  Injektionsstelle,  nach  der  Menge 
des  Giftes  und  nach  dem  Zeitunterschiede  zwischen  den  beiden  In- 
jektionen. Werden  beide  Flüssigkeiten  an  verschiedenen  Stellen  der 
Haut  gleichzeitig  eingespritzt,  so  muss  schon  eine  verhältnismässig 
grössere  Dosis  Serum  genommen  werden;  wird  das  letztere  intraperi- 
toneal eingespritzt,  so  verschiebt  sich  das  Verhältnis  wieder  zu  Gunsten 
des  Serums.  Bei  Steigerung  der  Giftmenge  muss  die  Serumdosis 
verhältnismässig  höher  gewählt  worden,  namentlich  beim  Tetanus. 
Wird  das  Serum  vor  dem  Gifte  injiziert,  so  bedarf  man  geringerer, 
im  umgekehrten  Falle  sehr  viel  grösserer  Dosen:  der  Immunisie- 
rungswert des  Serums  ist  also  sehr  viel  höher  als  sein  Heil- 
wert. Bei  der  Diphtherie  des  Meerschweinchens  ist  z.  B.  nach  Behring 
und  Weenicke  die  geringste  Dosis  Serum  nötig  bei  Einspritzung 
24  Stunden  vor  der  Infektion,  die  1  */2 — 2fache  Dosis  sofort  nach  der 
Infektion,  die  dreifache  8  Stunden  nachher,  die  8  fache  nach  24 — 36 
Stunden.  Beim  Tetanus  wird  das  Verhältnis  für  die  Seruminjektion 
erheblich  ungünstiger,  je  später  sie  erfolgt.  Nach  Behring  (Heilserum- 
therapie. Leipzig  92.  IL  S.  20)  beträgt  die  Heildosis  im  Momente  der 
allerersten  Tetanussymptome  (bei  minimaler  Giftmenge)  das  1000- 
fache  der  zur  Immunisierung  nötigen  Dosis,  wenige  Stunden  später 
schon  das  10000  fache  u.  s.  w.  Aus  diesen  Zahlen  erklärt  es  sich 
denn,  dass  die  praktischen  Erfolge  der  Heilserumtherapie 
günstigere  sind  bei  der  Diphtherie  als  beim  Tetanus.  Bei 
letzterem  kommt  noch  in  Betracht,  dass  die  natürliche  Infektion  nicht 
durch  das  fertige  Gift,  sondern  durch  Sporen  geschieht,  die  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  auswachsen  und  also  auch  noch  nach  siegreicher  Be- 

24* 


372  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

kämpfung  der  ersten  Symptome  ein  neues  Aufflackern  des  Krankheits- 
prozesses bedingen  können.  Die  letzten  experimentellen  Resultate 
bezüglich  der  Bekämpfung  des  Tetanus  sind  dementsprechend  wenig 
glücklich  ausgefallen  (Roux  u.  Vaillard,  P.  93.  2  und  Beck,  Z.  19). 

Je  nach  der  Höhe  der  Giftfestigkeit  des  Tieres,  von  dem  das  Serum 
stammt,  ist  seine  Wirkung  natürlich  verschieden.  Man  berechnet  den 
Titer  desselben  in  folgender  Weise:  Für  Tetanus  giebt  man  an,  wie 
viel  Serum  im  Verhältnis  zum  Körpergewicht  einer  Maus  hinreicht, 
um  dieselbe  24  Stunden  vor  der  Impfung  mit  der  Minimaldosis  des 
Giftes  vor  dem  Tetanustode  zu  bewahren;  das  von  Roux  und  Vaillard 
erreichte  Maximum  war  1 :  100  Millionen,  d.  h.  1  ccm  des  betreffenden 
Serums  genügte,  um  100000  Kilogramm  Mäuse  oder  etwa  5  Millionen 
Mäuse  zu  schützen.  Bei  der  Diphtherie  bezeichnet  man  als  Normal- 
serum  oder  Serum  mit  dem  Werte  einer  Immunisierungseinheit  das- 
jenige, das  in  einer  Menge  von  0,1  ccm  mit  der  10  fachen  tötlichen 
Minimaldosis  Diphtheriegift  vermischt  Meerschweinchen  von  200  bis 
300  gr  vor  jeder  Erkrankung  schützt.  Ehrlich,  Kossel  und  Wasser- 
mann berichten  z.  B.  von  einem  60  fachen  Normalserum  (D.  94.  16). 

Wie  hat  man  sich  nun  die  Wirkung  des  Serums  vorzustellen?  Nach 
dem  Ausfall  des  Experiments  im  Reagensglase  liegt  es  am  nächsten 
anzunehmen,  dass  das  Gift  durch  den  wirksamen  Bestandteil  ■ —  das 
„Antitoxin"  —  des  Serums  zerstört  oder  neutralisiert  wird.  Gegen  diese 
Auffassung  sind  neuerdings  Zweifel  erhoben  worden,  die  Berücksich- 
tigung verdienen.  Buchner  (M.  93.  25  und  94.  24;  B.  94.  4)  hat  durch 
die  gleiche  Dosis  derselben  Tetanustoxin-Antitoxinmischungen,  die  für 
Mäuse  fast  unschädlich  waren,  die  absolut  weniger  empfänglichen  Meer- 
schweinchen zum  grossen  Teil  tetanisch  machen  können.  In  ähnlicher 
Weise  haben  Diphtheriegift- Antitoxinmischungen,  die  bei  Meerschwein- 
chen nicht  einmal  einen  Lokaleffekt  hervorrufen,  nach  Roux  u.  Martin 
(P.  94.  623)  bei  Kaninchen  ein  örtliches  Ödem  zur  Folge.  Nach  den- 
selben Autoren  reagieren  sogar  Meerschweinchen,  je  nachdem  sie  mit 
anderen  Bakterien  (Cholera,  Prodigiosus  etc.)  vorbehandelt  sind  oder 
nicht,  auf  solche  Mischungen  in  verschiedener  Art  (vgl.  auch  Roux, 
P.  94.  723  ff.).  Es  ist  daraus  zu  schliessen,  das  das  Antitoxin  nicht  das 
Gift,  mit  dem  es  in  Berührung  kommt,  zerstört,  sondern  dass  beide 
intakt  neben  einander  existieren  und  nur  durch  ihre  verschiedenen 
Wirkungen  auf  den  Organismus  —  also  wohl  auf  die  Körperzellen  — 
sich  gegenseitig  neutralisieren  (vgl.  Centanni,  D.  93  und  Buchner, 
M.  94.  38). 

Die  Bildung  des  Antitoxins  im  Körper  erfolgt  auf  aktivem  Wege 
(vgl.  S.  364),  durch  Reaktion  desselben  auf  das  abgeschwächte  oder 
intakte    Gift.      Einige  Autoren    haben    geglaubt    eine    besondere    gift- 


Kruse,  Krankheitserregung.  373 

festigende  Substanz  neben  dem  Gift  unterscheiden  zu  müssen  (C.Fränkel, 
Brieger,  Kitasato  und  Wassermann  (B.  90.  50,  Z.  12).  Die  Ver- 
bältnisse bei  der  Immunisierung  gegen  Ricin,  Abrin  u.  s.  w.  (S.  368), 
sowie  die  Thatsacbe,  dass  die  Hochtreibung  der  Immunität  gegen 
Diphtherie  und  Tetanus  am  besten  mit  den  bakterienfreien  Gift- 
lösungen gelingt,  sprechen  wohl  dagegen.  Auf  den  Eintritt  der  Re- 
aktion legen  alle  Autoren,  die  sich  mit  diesen  Fragen  beschäftigt 
haben,  einen  grossen  Wert,  manche  halten  sogar  das  Fieber  für  ein 
wesentliches  Element  bei  der  Giftfestigung  und  scheuen  seine  Be- 
kämpfung (Behring  und  Casper  bei  Behring,  Heilserumtherapie.  92.11). 
Die  antitoxische  Wirkung  des  Serums  tritt  erst  einige  Zeit  nach  dem 
Beginn  der  Immunisierung  hervor  und  steigt  dann  entsprechend  der 
Behandlung.  Wird  dieselbe  ausgesetzt,  so  sinkt  die  Wertigkeit  des 
Serums  durch  Ausscheidung  mittelst  der  Sekrete  recht  schnell  und 
kann  auf  ein  Minimum  herabgehen,  während  die  Resistenz  des  Tieres 
selbst  oft  lange  auf  einer  sehr  hohen  Stufe  bleibt,  z.  B.  nach  Roux 
und  Vaillard  bei  einem  Tetanus-Pferde  2  Jahre.  Also  auch  hier 
besteht  der  Satz,  dass  zwischen  Immunität  und  Schutzkraft  des 
Blutserums  kein  notwendiger  Zusammenhang  besteht.  Nach 
jeder  Gifteinspritzung  sinkt  gewöhnlich  die  Wertigkeit  des  Serums 
etwas,  um  danach  über  das  frühere  Niveau  zu  steigen;  selbst  einen 
völligen  Verlust  der  Schutzkraft  und  sogar  giftige  Eigenschaften  hat 
Behring  nach  sehr  grossen  Giftdosen  gesehen,  ohne  dass  die  Tiere 
erlagen.  Man  sollte  denken,  dass  durch  reichliche  Aderlässe  der  Vor- 
rat des  Blutes  an  Antitoxinen  geschwächt  würde.  Roux  und  Vaillard 
stellen  das  bestimmt  in  Abrede  und  behaupten,  dass  das  dadurch  aus- 
geschiedene Antitoxin  sofort  ersetzt  würde.  Wie  das  geschehen  kann, 
ist  vorläufig  nicht  einzusehen,  da  wir  Ablagerungsstätten  des  Schutz- 
stoffes ausserhalb  des  Blutes  bisher  nicht  kennen.  Bei  daraufhin  ge- 
richteten Untersuchungen  haben  Tizzoni  und  Cattani  (Ri.  91.  10  und 
183/184)  sowie  Roux  und  Vaillard  in  anderen  Organen  nur  geringere 
oder  gar  keine  Antitoxinmengen  gefunden.  Die  Frage  muss  aber  be- 
sonders in  Anbetracht  der  oben  citierten  Resultate  Centanni's  beim 
gegen  Hundswut  immunisierten  Tier  (s.  S.  366)  noch  offen  gelassen 
werden. 

Sehr  merkwürdig  ist  und  ebenfalls  noch  der  Erklärung  harrt  die 
Erscheinung  der  "Überempfindlichkeit  der  behandelten  Tiere. 
Behring  (D.  93.  48)  und  Wladimiroee  (Z.  15)  haben  bei  grösseren 
Versuchstieren  manchmal  gefunden,  dass  dieselben  auf  die  Einverleibung 
von  Giftmengen  stärker  und  stärker  reagierten  und  schliesslich  zu 
Grunde  gingen,  obwohl  ihr  Blutserum  steigende  Mengen  Antitoxins 
aufwies. 


374  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Wird  die  Giftfestigkeit  auf  passivem  Wege  durch  Serum  über- 
tragen, so  nimmt  sie,  wie  zu  erwarten,  von  diesem  Momente  an  ab. 
Es  findet  dabei  eine  Ausscheidung  wie  bei  der  aktiven  Immunität  durch 
die  Sekrete,  Urin,  Speichel,  Milch,  statt. 

Der  Antitoxingehalt  der  Milch  immunisierter  Tiere  giebt  ein  gutes 
Mittel  ab,  ohne  Schwierigkeit  grössere  Mengen  des  Schutzstoffes  zu 
gewinnen.  Natürlich  ist  der  relative  Gehalt  an  demselben  gegenüber 
dem  Blutserum  geringer,  nach  Ehrlich  u.  Wassermann  (Z.  18) 
15 — 30  mal;  trotzdem  ist  die  gesamte  Antitoxinmenge,  die  in  der  Milch 
spontan  ausgeschieden  wird,  etwa  gleich  derjenigen,  die  man,  ohne  das 
Tier  zu  schädigen,  durch  Aderlässe  erhalten  kann. 

Die  wirksamen  Substanzen,  die  Antitoxine,  sind  aus  Serum  sowohl 
wie  aus  Milch,  allerdings  meist  mit  ziemlichen  Verlusten,  auf  ähnlichem 
Wege  dargestellt  worden  wie  die  Gifte  (Behring,  Heilserumtherapie. 
I.  u.  II;  Ehrlich  u.  Brieger,  Z.  13;  Brieger  u.  Cohn,  Z.  15; 
Brieger,  Z.  19. 1  u.  2 1. 2 ;  Wassermann,  Z.  18. 2 ;  Aronsohn,B.  93. 26 ;  Tizzoni 
u.  Cattani,  Ri.  91.  102  u.  B.  94.  3);  sie  unterscheiden  sich  von  letzteren 
durch  ihre  grössere  Widerstandsfähigkeit  gegenüber  der  Hitze  und 
Fäulnis,  durch  ihre  unbeschränkte  Konservierbarkeit.  Die  Angaben  der 
einzelnen  Autoren  sind  übrigens  nicht  immer  in  Übereinstimmung  mit 
einander.  Die  Eiweissreaktionen,  welche  diese  Stoffe  bei  ihrer  ersten 
Darstellung  zeigten,  traten  um  so  mehr  zurück,  je  besser  die  Reinigung 
gelang.  Neuerdings  ist  versucht  worden,  die  Antitoxine  künstlich  aus  den 
Giften  zu  erzeugen;  es  soll  das  nach  Smirnow  (B.  94.  30  u.  95.  30)  und 
Krüger  (D.  95.  21)  durch  den  elektrischen  Strom  geschehen.  Schon 
durch  einfache  Erhitzung  auf  65°  hat  man  gewisse  Erfolge  gesehen 
(Behring  u.  Knorr,  Krüger).  Die  Möglichkeit,  so  zum  Ziele  zu 
kommen,  kann  nicht  bestritten  werden,  vielleicht  nimmt  man  besser 
tierische  Säfte  ausserhalb  des  lebenden  Körpers  zu  Hilfe.  Die  Art, 
wie  im  Körper  des  gänzlich  gegen  Tetanus  immunen  Huhnes  nach 
Einspritzung  grosser  Giftmengen  ohne  irgend  welche  Reaktion  Anti- 
toxinmengen entstehen  (Vaillard,  P.  92),  lässt  fast  an  eine  einfache 
chemische  Reaktion  denken.  Der  Beweis,  dass  Antitoxin  aus  dem 
Gift  selbst  hervorgeht,  würde  am  sichersten  geliefert  sein,  wenn  es 
glückte  das  erstere  in  das  letztere  zurückzuverwandeln. 

Für  andere  Infektionen  ist  die  Bildung  von  antitoxischen  Sub- 
stanzen in  irgendwie  erheblichen  Grade  bei  den  üblichen  Methoden  der 
Immunisierung  noch  nicht  nachgewiesen  worden   (s.  o.  S.  362 ff.)1),   es 


1)  Die  Untersuchungen  Bitter's  über  die  Giftfestigung  gegen  das  Typhusgift 
(Z.  12)  lehren  zwar,  dass  eine  gewisse  Giftresistenz  bei  Kaninchen  zu  erreichen 
ist,  der  Enderfolg  ist  aber  schliesslich  recht  wenig  befriedigend;  die  Gabe,  die  die 
behandelten  Tiere    noch    vertragen,    ist  wenig  höher  als  die  tötliche  Dosis   für 


Kruse,  Krankheitserregung.  375 

darf  indessen  die  Möglichkeit,  dass  auch  dieses  Resultat  noch  zu  erreichen 
ist,  nicht  geleugnet  werden.  Dass  der  Therapie  dadurch  bei  allen  In- 
fektionskrankheiten genützt  würde,  ist  unzweifelhaft;  dieser  Weg  wäre 
dann  um  so  mehr  zu  beschreiten,  wenn  sich  der  andere,  durch  „ana- 
lytisches" Serum  die  Entwicklung  der  Bakterienvermehrung  zu  hemmen 
(S.  360 — 363),  als  ungangbar  erweisen  sollte. 

M.  Ausscheidung  der  Infektionserreger  und  ihrer  Produkte. 

Die  Ausscheidung  der  Infektionserreger  und  ihrer  Produkte  aus 
dem  Körper  ist  entweder  eine  unmittelbare,  oder  wird  durch  die 
Sekretionsorgane  vermittelt.  Das  erstere  trifft  zu  bei  allen  oberfläch- 
lichen Entzündungen  der  Haut  und  namentlich  der  Schleimhäute 
(Katarrhe)  und  bei  Ulcerationsprozessen.  Diese  Entfernung  der  Krank- 
heitserreger, ebenso  wie  der  von  ihnen  gebildeten  giftigen  Produkte 
auf  vorgebildeten  oder  neu  entstandenen  Wegen  ist  insofern  nütz- 
lich, als  Sekret-  und  Eiterstauungen  die  Gefahr  der  Krankheit  ver- 
mehren. Die  Entleerung  von  grösseren  Eiteransammlungen  durch 
natürliche  oder  künstliche  Eröffnung  nach  einer  inneren  oder  äusseren 
Oberfläche  ist  sogar  die  Vorbedingung  zur  Heilung.  Andererseits  giebt 
in  sehr  vielen  Fällen  die  Ausscheidung  von  Bakterien  noch  durchaus 
keine  Gewähr  für  den  glücklichen  Ausgang  der  Krankheit.  Die  wirk- 
samen Erreger  haften  eben  fest  im  Gewebe  und  können  ihr  schädliches 
Treiben  dort  fortsetzen.  Unter  Umständen  können  sogar  die  aus- 
geschiedenen Bakterien  auf  ihrem  Wege  nach  aussen  noch  Schaden 
anstiften,  eine  Thatsache,  die  besonders  häufig  bei  tuberkulösen  Affektionen 
beobachtet  wird.  So  schliesst  sich  an  eine  phthisische  Erkrankung  der 
Lunge  häufig  eine  solche  des  Larynx,  der  Tonsillen  und  des  Darms; 
an  die  tuberkulöse  Nephritis  eine  tuberkulöse  Cystitis.  Immer  bildet 
die  Entfernung  der  Krankheitserreger  aus  dem  kranken 
Körper  für  die  gesunde  Umgebung  des  letzteren  eine  Gefahr. 

Bei  denjenigen  Prozessen,  die  sich  tiefer  im  Gewebe  abspielen, 
und  in  viel  geringerem  Grade  bei  den  oberflächlichen  besteht  die  Mög- 
lichkeit der  Ausscheidung  auf  dem  Umwege  über  das  Blut  durch  die 

normale  Tiere.  Auch  Stern's  Versuche  (Z.  16)  sprechen  für  eine  antitoxische 
Wirkung  des  Typhusserums,  ohne  jedoch  dessen  Stärke  zu  bestimmen  (vgl. 
Betjmer  u.  Peiper,  Z.  M.  28).  R.  Pfeiffer  u.  Kolle  haben  neuerdings  (Z.  21.  2) 
das  Fehlen  eines  wesentlichen  antitoxischen  Vermögens  im  Typhus-Serum  festgestellt. 
NachREiCHEL  (r:  C.  10.  4)  können  Versuchstiere  gegen  die  Produkte  des  Staphylo- 
kokkus pyogenes  immunisiert  werden,  bis  zu  welchem  Grade,  wird  nicht  mitgeteilt; 
die  Immunität  soll  übrigens  nur  einige  Wochen  dauern.  Ein  Urteil  über  die  neuesten 
Resultate  von  Behring  u.  Ransom  bezüglich  der  Choleragiftfestigung  (D.  95.  29) 
ist  noch  nicht  gestattet  (vgl.  R.  Pfeiffer,  Z.  20). 


376  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

secernierenden  Epithelien.  Die  Resorption  von  gelösten  Stoffen  (Bak- 
terienprodukten) vom  Infektionsherde  aus  ist  leicht  zu  beweisen,  die 
allgemeinen  Vergiftungssymptome,  die  auch  bei  lokalen  und  oberfläch- 
lichen Infektionsvorgängen  selten  ganz  fehlen,  erklären  sich  ja  daraus. 
Aber  auch  die  Bakterien  selbst  werden  in  das  Blut  resorbiert,  eine 
Erfahrung,  die  man  bei  fast  allen  —  auch  den  lokalisierten  —  Krank- 
heiten, deren  Erreger  bekannt  sind,  mit  der  Zeit  gemacht  hat.  Die 
Thatsache,  dass  sich  die  letzteren  im  Blute  finden,  spricht  durchaus 
nicht  gegen  die  rein  örtliche  Natur  des  betreffenden  Leidens,  denn  die 
Aufnahme  ins  Blut  erfolgt  auf  mechanischem  Wege  und  die  resorbierten 
Mikroorganismen  brauchen  in  diesen  Fällen  nicht  die  Fähigkeit  zu  haben, 
sich  innerhalb  der  Gefässe  zu  vermehren.  Dem  entspricht  ihre  gewöhnlich 
sehr  kleine  Anzahl,  die  durch  mikroskopische  Untersuchung  des  Blutes 
kaum  festzustellen  ist,  sondern  nur  durch  Kultur  oder  Verimpfung 
grösserer  Blutmengen.  Mit  der  örtlichen  Ausdehnung  und  derMultiplizität 
derBakterienherde  wächst  natürlich  die  Zahl  der  resorbierten  Keime.  Die 
Art  und  Weise,  wie  dieselben  ins  Blut  übergeführt  werden,  ist  nicht 
über  allen  Zweifel  erhaben.  Es  wäre  möglich  1.  ein  passives  Durch- 
treten der  Bakterien  durch  die  Stomata  der  Blutgefässe,  was  nur  denk- 
bar wäre,  wenn  unter  dem  Einfluss  des  Exsudats  der  Druck  im  Gewebe 
grösser  wäre  als  in  den  Gefässen;  2.  die  Verschleppung  der  Bakterien 
ins  Blut  durch  Einwanderung  von  Leukocyten,  die  mit  ihnen  beladen 
sind;  3.  ein  Durchwachsen  der  Mikroorganismen  durch  die  Gefässwand; 
4.  die  Passage  derselben  durch  die  zwischen  die  Lymphbahn  und  das 
Blutgefässsystem  eingeschalteten  Lymphdrüsen  und  zwar  wieder  a)  auf 
rein  passivem  Wege,  b)  mit  Hilfe  von  wandernden  Leukocyten,  c)  nach 
aktivem  Durchwachsen  dieser  Organe.  Welche  dieser  Möglichkeiten 
im  einzelnen  Falle  der  Wirklichkeit  entspricht,  ist  vorläufig  nicht  immer 
zu  sagen.  Die  Thatsachen,  die  über  Staubresorption  bekannt  sind1),  ge- 
nügen offenbar  nicht  zur  Erklärung  für  pathologische  (bakterielle)  Ver- 
hältnisse. 

Die  ins  Blut  gelangten  Bakterien  können  unter  Umständen  nach 
aussen  befördert  werden,  dafür  sprechen  schon  die  Ergebnisse,  die  bei 
Injektion  von  nicht  organisierten  feinsten  Körperchen  in  das  Gefäss- 
system  erhalten  worden  sind  (vgl.  Siebel,  V.  104).  Dieselben  werden 
in  den  Kapillaren,  besonders  einiger  Organe,  nämlich  der  Leber,  Milz, 
Lunge  und  des  Knochenmarks  fixiert  und  gelangen  von  da  teils  frei, 
teils  in  Wanderzellen  eingeschlossen  in  die  umgebenden  Gewebe.  Hier 
werden  sie  entweder  im  Bindegewebe  abgelagert,  oder  gelangen  in  die 


1)  s.  vollständige  Litteratur  bei  Weintraud,  Untersuchungen  über  Kohlen- 
staubmetastase.    Strassburger  medizinische  Dissertation.  1889. 


Kruse,  Krankheitserregung.  377 

Lymphbahnen  und  Lymphdrüsen,  oder  sie  treten  in  die  Sekrete  über 
(Galle),  oder  dringen  durch  das  Epithel  an  die  Oberfläche  der  Organe 
(Lungenalveolen,  Tonsille,  vielleicht  auch  der  follikulären  Darmapparate). 
Auch  auf  eiternden  Wundflächen  sollen  sie  austreten,  in  den  Harn 
dagegen  nicht  übergehen.  In  den  Fällen,  wo  die  Bakterien  nicht  am 
Ort  ihrer  Ablagerung  zu  wachsen  vermögen  und  keine  pathologische  Ver- 
änderungen erzeugen,  werden  sie  sich  im  grossen  und  ganzen  ähnlich 
verhalten,  wie  andere  kleinste  Körperchen.  Sehen  wir,  was  .in  dieser 
Beziehung  die  Befunde  am  Menschen  und  Tier  ergeben! 

Die  ersten  systematischen  Versuche  rühren  von  Wtssokowitsch 
(Z.  1.  1)  her,  sie  führten  zu  dem  Resultate,  dass  eine  Ausscheidung  von 
Bakterien  auch  bei  Anwesenheit  grosser  Mengen  im  Blut  durch  die 
Nieren  und  den  Darm  normalerweise  nicht  stattfände,  wohl  aber,  wenn 
die  betreffenden  Organe  der  Sitz  pathologischer  Veränderungen  (Blu- 
tungen, Eiterungen  etc.),  würden,  z.  B.  in  den  letzten  Stadien  des  Milz- 
brands, bei  der  Bildung  von  Staphylokokkenherden  in  der  Niere, 
bei  den  Darm  stark  beeinflussenden  Bakterien  (aus  der  Gruppe  des 
Bac.  aerogenes  u.  coli) '). 

Im  wesentlichen  wurden  die  Ergebnisse  Wtssokowitsch's  von  den 
folgenden  Untersuchern  bestätigt.  So  fanden  Teambusti  und  Maffucci 
(r:  J.  86)  die  Niere  für  Milzbrand  durchgängig,  nur  in  seltenen  Fällen 
für  Typhus.  Sheeeington  (J.  P.  93)  sah  nur  in  21  von  86  Fällen, 
die  Bakterien  aller  Art  betrafen,  einen  Übergang  derselben  in  den 
Harn.  Eine  regelmässige  Ausscheidung  durch  die  Nieren  wird  dadurch 
sicher  widerlegt.  Wenn  andere  Beobachter  öfter  positive  Resultate 
bekamen,  so  z.  B.  Philipowicz  (J.  85)  bei  Menschen  oder  Tieren,  die 
an  Milzbrand,  Tuberkulose,  Rotz  und  Streptokokkenaffektionen  gestorben 
waren,  Peenice  und  Scagliosi  (Ri.  92.  97 — 98)  bei  Infektionen  ver- 
schiedener Art,  so  sind  hier  die  Veränderungen  des  Organs  offenbar  — 
die  beiden  letzten  Autoren  geben  das  auch  zu  —  daran  schuld.  Schweizee 
(V.  110)  hat  für  den  positiven  Befund  von  Bakterien  im  Harn,  den  er 
bei  Einspritzung  eines  fluorescierenden  Mikroorganismus  ins  Blut  er- 
hoben, als  Grund  angegeben,  dass  nach  seinen  Versuchen  auch  Karmin- 
körnchen die  Glomeruli  passierten.  Bezüglich  des  Vorkommens  von 
Staphylokokken  und  Streptokokken  im  Urin,  das  von  einer  ganzen 
Reihe  von  Autoren  erwähnt  wird  (Longaed,  J.  86;  Nannotti  u,Bacciochi, 
Ri.  92,  186;  Sittmann,  A.  M.  53),  kommt  einerseits  in  Betracht,  dass  die 
genannten   Bakterien  nachweislich  häufig  Nierenläsionen  verursachen, 


1)  Die  Entzündung  soll,  wie  Latis  an  der  Kornea  und  am  Mesenterium  bei 
Milzbrand  beobachtete ,  neben  der  Auswanderung  von  Leukocyten  auch  die  von 
Bacillen  ermöglichen  (Zi.  10). 


378  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

andererseits  dieselben  auch  im  normalen  Urin  nicht  selten  gefunden 
worden  sind.  Über  die  Häufigkeit  von  Nierenerkrankungen  bei  In- 
fektionen berichten  Ribbert  (D.  89.  39)  und  Faulhaber  (Zi.  10). 

In  der  Galle  haben  Trambusti  und  Maffucci  die  Typhusbacillen 
regelmässig,  Milzbrandbacillen  selten,  Pernice  und  Scagliosi  die  ge- 
prüften Bakterien  fast  immer,  Sherrington  die  verschiedenen  Arten 
in  18  von  49  Fällen,  Bernabei  (Accad.  med.  Rom.  90)  Diplokokken 
und  Rotzbacillen  niemals,  Milzbrand  selten,  Büffelseuchebakterien  und 
Friedländer'sche  Bacillen  gewöhnlich  konstatiert. 

Der  Übergang  in  den  Darminhalt  findet  nach  Emmerich  und 
Buchner  (A.  3.)  bei  dem  B.  coli  und  dem  Choleraspirillum,  die  den 
Darm  nachweislich  schädigen,  statt,  eine  Thatsache,  die  seitdem  häufig 
genug  bestätigt  worden  ist,  freilich  nicht  in  dem  Umfange,  wie  die 
genannten  Autoren  angaben.  Bernabei  hat  ähnliches  bei  Milzbrand,  den 
Pneumoniediplokokken  und  Büffelseuchebakterien  beobachtet. 

Die  Frage,  ob  die  Brustdrüse  für  pathogene  Keime  durchgängig 
ist,  hat  ein  grosses  Interesse,  weil  die  Milch  als  Nahrungsmittel  aus- 
gedehnteste Verwendung  findet.  Festgestellt  ist  durch  eine  grosse 
Reihe  von  Versuchen,  dass  auch  bei  vollständig  normaler  Beschaffen- 
heit dieser  Drüse  Tuberkelbacillen  aus  dem  Körper  in  ihr  Sekret  über- 
gehen können,  z.  B.  nach  Hirschberger  (A.  M.  44)  in  55  %  der  Fälle 
bei  tuberkulösen  Kühen.  Man  hätte  danach  allen  Grund,  das  gleiche 
für  andere  Bakterien  anzunehmen.  Fol  und  Bordoni-Uffreduzzi  (Z.  4) 
sowie  Bozzolo  (r:  J.  91)  haben  Pneumokokken,  Gaffkt  und  Paak  (A. 
G.  4),  Basenau  (A.  23.  1)  Bacillen  der  Fleischvergiftung  ebenfalls  in 
der  Milch  wiedergefunden,  der  letztere  Autor  sogar  in  einer  Zahl,  welche 
die  Menge  der  in  derselben  Quantität  des  Blutes  vorhandenen  Keime 
übertraf.  Man  kann  sich  hier  des  Gedankens  nicht  erwehren,  dass 
sich  innerhalb  des  Sekrets  selbst  eine  Vervielfältigung  der  aus  dem 
Blute  übergetretenen  Mikroorganismen  geltend  gemacht  habe.  Auch 
die  Ergebnisse  von  zahlreichen  Untersuchungen,  die  bezüglich  des  Vor- 
kommens von  Staphylokokken  und  Streptokokken  in  der  Milch  kranker 
Wöchnerinnen  angestellt  worden  sind  (Escherich,  Longard,  Karlinski, 
Eiselsberg),  lassen  an  der  Auslegung,  wie  sie  von  diesen  Autoren  gegeben 
worden  ist,  einen  Zweifel  zu;  denn  Kontrollexperimente  von  Cohn  und 
Neumann  (V.  126),  Honigmann  (Z.  14),  Ringel  (M.  93. 27)  und  Palleske 
(V.  130)  haben  bei  gesunden  Frauen  zu  ganz  ähnlichen  Befunden  ge- 
führt. Die  Einwanderung  von  den  Ausführungsgängen  der  Brustdrüse 
her,  die  Ausscheidung  aus  dem  Blut  in  die  Milch  und  die  Vermehrung 
der  Bakterien  in  derselben  sind  jedenfalls  Faktoren,  deren  Einfluss  man 
nicht  leicht  auseinanderhalten  kann. 

Dieselbe  Quelle  der  Täuschung  besteht  bei  der  Untersuchung  eines 


Kruse,  Krankheitserregung.  379 

anderen  Sekrets,  des  Schweisses,  auf  Staphylokokken.  Darum  werden 
wohl  nicht  alle  Befunde  dieser  Mikroorganismen,  die  von  v.  Eiselseerg 
(B.  91.  23),  TizzoNi(Ri.91.  100),  F.  Gärtner  (C.  Gy.91.40)  und  Brttnner 
(B.  91.  21)  herrühren,  durch  eine  wirkliche  Ausscheidung  aus  dem  Blute 
zu  erklären  sein.  Die  Möglichkeit  einer  solchen  hat  der  letztere  Autor 
freilich  dadurch  bewiesen,  dass  er  nach  reichlicher  Injektion  von  Milz- 
brand und  Prodigiosus  ins  Blut  am  Rüssel  eines  Schweines  durch 
Pilokarpin  und  an  der  Pfote  einer  Katze  durch  Ischiadicusreizung 
Schweiss  erzeugte  und  in  demselben  die  leicht  kenntlichen  Bakterien 
wiederfand. 

Fast  alle  Schleimhäute  sollen  nach  Pernice  und  Scagliosi  für 
die  Mikroorganismen  vom  Blute  aus  durchgängig  sein  (Ri.  92.97 — 98)  und 
auch  in  die  serösen  Höhlen  sollen  sie  übergehen  können.  Smirnow 
(r:  J.  89)  hat  bei  Infektionskrankheiten  des  Menschen,  in  denen  die  Ge- 
lenke intakt  waren,  dennoch  manchmal  in  der  Synovial flüssigkeit 
Pneumo-,  Strepto-,  Staphylokokken  undTyphusbacillen  entdecken  können. 
Erwähnung  verdient  an  dieser  Stelle  die  bekannte  Thatsache,  dass  das ' 
Hundswutgift  in  dem  Speichel  in  reichlichster  Menge  erscheint.  Aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  beruht  das  auf  einer  Lokalisation  des  Virus  in 
dieser  Drüse.  Den  Übergang  selbst  von  Prodigiosus  aus  dem  Blut  in 
den  Speichel  hat  übrigens  Brunner  beobachtet. 

Aus  dieser  Übersicht  über  die  bisherigen  Forschungen  ergiebt  sich, 
dass  bei  keiner  Infektion,  selbst  nicht  bei  den  echten  Septikämien, 
eine  regelmässige  und  reichliche  Ausscheidung  der  Er- 
reger durch  die  Sekretionsorgane  stattfindet,  so  lange  die 
letzteren  nicht  selbst  Sitz  von  krankhaften  Störungen  werden.  . Anderer- 
seits scheinen  alle  Drüsen  auch  bei  vollständig  gesunder  Beschaffen- 
heit für  Bakterien,  die  auf  dem  Blutwege  an  sie  herantreten,  nicht 
völlig  undurchdringlich  zu  sein.  Die  Inkonstanz  dieses  Durchtritts  und 
die  geringe  Zahl  der  durchtretenden  Mikroorganismen,  die  meist  nur 
durch  die  Kultur  oder  das  Tierexperiment  nachweisbar  sind,  erklären  es 
wohl  hinreichend,  dass  von  den  Autoren,  die  sich  mit  der  Ausschei- 
dung lebloser  kleinster  Körperchen  beschäftigt  haben,  der  Harn  fast 
stets  frei  gefunden  worden  ist.  Über  andere  Sekrete,  wie  die  Milch, 
den  Schweiss,  liegen  in  dieser  Beziehung  keine  Beobachtungen  vor. 
Andererseits  fehlen  Untersuchungen  über  die  Ausscheidung  von  Bak- 
terien durch  die  Lunge  *)  und  die  Tonsillen.    Fast  möchte  es  scheinen, 


1)  Die  negativen  Resultate,  die  Stratts  und  Dttbreuilh  (C.  R.  104)  bezüglich 
der  Ausscheidung  von  Bakterien  durch  die  Atmungsluft  gewonnen  haben,  ge- 
nügen natürlich  nicht,  um  den  Durchtritt  von  Bakterien  von  den  Lungenkapillaren 
in  die  Alveolen  auszuschliessen. 


380  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

als  ob  manche  Mikroorganismen  für  diese,  andere  für  jene  Ausschei- 
dungen eine  gewisse  Vorliebe  hätten.  Die  vorliegenden  Thatsachen 
genügen  noch  nicht,  um  darüber  bestimmte  Sätze  zu  formulieren. 

In  jedem  Falle  ist  die  Bakterienausscheidung  durch  die  natür- 
lichen Sekrete  nicht  als  ein  Moment  zu  betrachten,  das  für  die  Heilung 
von  Infektionen  von  Bedeutung  ist.  Die  Versuche  vieler  Autoren  mit 
unbelebten  Staubkörperchen,  diejenigen  Wyssoko  witsch' s  mit  lebenden 
Mikroorganismen  lehren,  dass  die  Menge  der  Elemente,  die  durch  die 
Sekretionen  aus  dem  Körper  entfernt  werden,  in  gar  keinem  Verhältnis 
zu  derjenigen  steht,  die  in  ihm  zurückbleibt.  Gerade  diejenige  Organe, 
in  denen  die  Ablagerung  hauptsächlich  eintritt,  die  Milz,  das  Knochen- 
mark, haben  überhaupt  nicht  die  Möglichkeit  zur  Ausscheidung;  sie  ver- 
fügen dagegen  über  andere  Mittel,  um  die  Fremdkörper  unschädlich  zu 
machen  (s.  unt.  P).  Die  schon  oben  erwähnte  Gefahr,  dass  die  Krank- 
heitserreger auf  dem  Wege  nach  aussen  noch  Unheil  anstiften  und 
draussen  angelangt  die  Umgebung  des  Kranken  vielfachen  Infektions- 
möglichkeiten aussetzen,  steht  andererseits  ausser  allem  Zweifel. 

Die  Entfernung  von  gelösten  Produkten  schädlicher  Natur  aus  dem 
kranken  Körper  mit  Hilfe  der  Ausscheidungen  ist  dagegen  ohne  Ein- 
schränkung als  ein  wichtiges  Hilfsmittel  zur  Heilung  anzusehen.  Es 
betrifft  das  sowohl  die  eigentlichen  Gifte  der  Infektionserreger  als  die- 
jenigen Zerfallsprodukte,  die  aus  dem  imFieber  gesteigerten  Stoffwechsel 
des  Organismus  selbst  hervorgehen.  In  erster  Linie  kommen  unter  den 
Sekretionsorganen  die  Nieren  in  Betracht.  Die  Giftigkeit  des  Urins 
in  Krankheiten  ist  ein  Kapitel,  das  von  vielen  Seiten  behandelt  worden 
ist.  Leider  entsprechen  diesem  Verhältnis  die  gewonnenen  Kenntnisse 
noch  wenig.  Wenn  man  vom  Tetanus-  und  Diphtheriegift  absieht, 
deren  Existenz  im  Harn  mehrfach  nachgewiesen  ist,  sind  sonst  wohl 
charakterisierte  und  spezifische  schädliche  Substanzen  in  grösserer  Menge 
und  mit  nur  einiger  Konstanz  nicht  gefunden  worden  (vgl.  Bouchakd, 
Les  Autointoxications.  Paris  87;  Albtj,  B.  94.  1  u.  48).  Noch  weniger 
weiss  man  von  den  übrigen  Sekretionen  (vgl.  Queieolo  und  Penny, 
J.  90,  über  die  Giftigkeit  des  Schweisses  bei  Tetanus,  Typhus  und 
Malaria). 

Den  Übergang  von  lebenden  Bakterien  und  ihren  Produkten  von 
den  Eltern  auf  das  Kind,  die  Thatsachen  der  Vererbung,  werden  wir 
unter  0  besonders  betrachten. 

N.  Infektionsquellen  und  Selbstinfektion. 

Die  Verbreitung  der  Infektionserreger1)  hängt  ab: 


1)  Die  Fundorte  der  Infektionserreger    im  Einzelnen  werden   in    einem  be- 
sonderen Abschnitte  dies.  Bdes.  besprochen. 


Kruse,  Krankheitserregung.  381 

1.  von  der  Zahl  der  für  eine  bestimmte  Infektion  empfäng- 
lichen Spezies.  Viele  infektiöse  Krankheiten  des  Menschen  kommen 
bei  Tieren  überhaupt  nicht  vor,  so  nach  unseren  jetzigen  Erfahrungen 
die  Gonorrhoe,  Syphilis,  Masern,  Scharlach,  Cholera,  Typhus  u.  s.  w. 
Andere  wieder  werden  nicht  auf  den  Menschen  übertragen,  z.  B.  der 
Rauschbrand,  der  Schweinerotlauf,  die  Hühnercholera.  Eine  Reihe  von 
Affektionen  sind  Menschen  und  Tieren  gemeinsam,  namentlich  die 
Tuberkulose,  ferner  Milzbrand  und  Rotz.  Die  Infektionsmöglichkeiten 
werden  natürlich  dadurch  erheblich  vermehrt. 

2.  von  der  Menge  der  die  spezifischen  Keime  enthaltenden  Aus- 
scheidungen. Am  gefährlichsten  sind  (vgl.  den  vorigen  Abschn.)  die 
unmittelbar  von  dem  Infektionsherd  nach  aussen  beförderten  Sekrete, 
das  tuberkulöse,  das  Influenzasputum,  die  Diphtheriemembran,  die 
Choleradejektion,  der  gonorrhoische  Eiter  u.  s.  w.  Viel  weniger  be- 
denklich, weil  sie  die  Erreger  nur  in  kleiner  Zahl  enthalten,  sind  die 
übrigen  Ausscheidungen.  Doch  können  unter  Umständen  grössere 
Mengen  des  Infektionsstoffes  zur  Wirkung  gelangen,  z.  B.  wenn  die 
Milch  tuberkulöser  Kühe  als  Nahrungsmittel  in  erheblichen  Quantitäten 
genossen  wird.  Nur  beim  Tetanus  ist  die  Möglichkeit,  dass  durch 
Sekrete  irgend  welcher  Art  der  Infektionsstoff  auf  andere  Organismen 
übertragen  wird  —  unter  natürlichen  Bedingungen  —  eine  minimale 
wegen  der  kleinen  Zahl  der  wirksamen  Bakterien  und  ihres  ver- 
steckten Sitzes.  Also  bei  diesen  Mikroorganismen  giebt  es  keine  Kon- 
tagion,  keine  direkte  Ansteckung,  abgesehen  natürlich  von  den  Labo- 
ratoriumsversuchen.  Es  ist  dies  (neben  dem  malignen  Odem)  das  ein- 
zige Beispiel  einer  rein  „miasmatischen"  Infektion  im  alten  Sinne. 
Selbst  bei  den  Malariaparasiten,  die  freilich  in  eine  andere  Gruppe  der 
Mikroorganismen  gehören,  kann  die  Möglichkeit  einer  direkten  Über- 
tragung (durch  Insektenstiche)  nicht  geleugnet  werden. 

3.  Die  Resistenz  der  Infektionskeime  ist  von  entscheidender 
Bedeutung  für  ihre  Verbreitung.  Die  sporenbildenden  Bacillen  (Milz- 
brand, Tetanus,  Rauschbrand,  malignes  Ödem)  sind  hier  in  grossem 
Vorteil  vor  den  nicht  sporenbildenden;  freilich  müssen  die  Bacillen 
nicht  blos  zur  Entwicklung  von  Dauerformen  befähigt  sein,  sondern 
auch  die  Möglichkeit  haben  sie  zu  bilden.  Das  ist  beim  Milzbrand 
innerhalb  des  infizierten  Körpers  überhaupt  nicht  der  Fall,  wohl  bei 
den  anderen  genannten  Bakterien.  Daher  ist  die  Desinfektion  der  Ab- 
gänge und  des  Kadavers  eines  Milzbrandtieres  verhältnismässig  viel 
leichter  als  die  eines  Rauschbrandtieres.  Die  nicht  sporenbildenden 
Bakterien  ihrerseits  zeigen  unter  sich  grosse  Unterschiede  in  ihrer 
Widerstandsfähigkeit  gegen  schädigende  Einflüsse  von  aussen,  als  Aus- 
trocknen, höhere  und   niedere    Temperaturen,    Belichtung,    chemische 


382  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Wirkungen  aller  Art.  Am  wenigsten  resistent  erweisen  sich  Gono- 
kokken, Schanker-  und  Syphiliskeime,  die  Influenzabacillen,  das  Hunds- 
wutvirus. Dann  kommen  Choleraspirillen,  Pneumo-  und  Streptokokken, 
Rotzbacillen.  Noch  mehr  vertragen  Typhus-,  Diphtheriebacillen,  Sta- 
phylokokken und  schliesslich  Tuberkelbacillen  (vgl.  Kapitel  „Absterbe- 
bedingungen" und  den  speziellen  Teil). 

4.  Sehr  grosse  Wichtigkeit  hat  die  Fähigkeit  der  Krankheits- 
erreger ausserhalb  des  infizierten  Gewebes  zu  wachsen.  Wir 
können  zwei  Fälle  unterscheiden. 

a)  Besteht  die  Möglichkeit  einer  Entwicklung  in  der  unorgani- 
sierten Umgebung,  einer  saprophytischen  Lebensweise?  Für  Tuberkel-, 
Influenza-,  Schanker-,  Syphilis-,  Leprabacillen  und  wohl  auch  für  Pneu- 
moniekokken,  Rotz- und  Diphtheriebacillen  (sowie  die  Rekurrensspirillen) 
können  wir  diese  Möglichkeit  leugnen.  Man  kann  diese  Gruppe  als 
die  der  obligaten  Parasiten  oder  der  endogenen  Infektionserreger 
bezeichnen.  Sie  sind  auf  die  Kontagion  angewiesen.  Gegenüber 
stehen  denselben  die  fakultativen  oder  exogenen  Parasiten,  die 
Erreger  der  miasmatischen  und  miasmatisch-kontagiösenKrank- 
heiten,  nämlich  die  Strepto-  und  Staphylokokken,  Milzbrand-,  Typhus-, 
Schweinerotlauf-  und  Hühnercholerabacillen,  die  Choleraspirillen  und 
die  anaeroben  Bakterien.  Früher  hat  man  zwar  geglaubt,  das  manche 
der  genannten  Mikroorganismen  nicht  imstande  wären,  die  Konkurrenz 
der  eigentlichen  Saprophyten  in  der  Aussenwelt  auszuhalten.  Neuere 
Erfahrungen  haben  aber  immer  mehr  gelehrt,  dass  unter  gewissen  Be- 
dingungen ganz  gut  pathogene  und  nicht  pathogene  Bakterien  neben 
einander  gedeihen  können.  Den  Anaerobien  (Tetanus,  Rauschbrand, 
malignes  Odem)  scheinen  es  sogar  erst  die  mit  ihnen  gemischten,  auf 
den  Sauerstoff  angewiesenen  Bakterien  zu  ermöglichen,  in  den  natür- 
lichen, nie  ganz  von  Sauerstoff  freien  Nährböden  zu  wachsen.  Im  allge- 
meinen wird  übrigens,  namentlich  in  unserem  Klima,  die  Vermehrung 
von  Infektionserregern  nur  eine  zeitlich  und  örtlich  beschränkte  sein; 
es  wird  sich  mehr  darum  handeln,  dass  dieselben  in  den  natürlichen 
Mischkulturen  ihre  Lebensfähigkeit  bewahren.  Nichts  spricht  dafür, 
dass  die  Erreger  der  sog.  miasmatisch-kontagiösen  Krankheiten, 
z.B.  die  Typhus-  und  Choleramikrobien,  um  infektionstüchtig  zu  bleiben, 
perioden weise  ein  saprophytisches  Stadium  durchmachen  müssen  (vgl. 
den  speziellen  Teil),  wie  es  von  manchen  Autoren  gefordert  wird. 
Ebenso  wenig  haben  wir  Grund  eine  autochtone  Neubildung  von 
Krankheitserregern  aus  Saprophyten  anzunehmen  (vgl.  Kap.  Variabilität). 
b)  Eine  Reihe  von  infektiösen  Bakterien  ist  imstande  auf  den 
äusseren  oder  inneren  Oberflächen  des  gesunden  Körpers,  der  Haut  und 
den  Schleimhäuten  zu  vegetieren,  im  allgemeinen   ohne  Krankheit  zu 


Kruse,  Krankheitserregung.  383 

erregen.  Die  Gegenwart  dieser  Mikroorganismen  ist  aber  nicht  be- 
deutungslos, weil  sie  unter  Umständen  allerdings  dem  Körper  schädlich 
werden  können.  Wir  kommen  hier  auf  das  interessante  Gebiet  der 
Selbstinfektion. 

Auf  der  Haut,  an  den  mehr  vor  Verdunstung  geschützten  Stellen, 
in  den  Ausführungsgängen  ihrer  Drüsen  finden  sich  in  weitester  Ver- 
breitung die  Staphylokokken  der  Eiterung.  Zur  Wirkung  können 
dieselben  gelangen,  wenn  Sekretstauungen  stattfinden  (Akne,  Mastitis), 
wenn  Wunden  gesetzt  werden,  die  Haut  durch  Reibung  entzündet,  von 
Schweiss  durchtränkt  wird  (Impetigo,  Furunkel;  vgl.  die  Experimente  von 
Bockhart,  Schimmelbusch  etc.  S.  317).  Sekundär  treten  die  Staphylo- 
kokken zu  anderenProzessen  hinzu,  bringen  seröse  Blasen  (Verbrennungen, 
Herpes,  Variola)  zur  Vereiterung  u.  s.  w.  Bei  manchen  Zuständen, 
in  denen  die  Körperkonstitution  geschwächt  erscheint,  in  der  Rekon- 
valescenz  schwerer  Krankheiten,  bei  Diabetes  werden  die  eitrigen 
Prozesse  besonders  begünstigt  (Furunculosis).  In  vielen  Fällen  mögen 
Eiterungserreger  auch  noch  von  aussen  hereingetragen  werden,  aber 
die  Selbstinfektion  spielt  hier  sicher  eine  bedeutende  Rolle. 

Im  Munde  und  Pharynx,  weniger  auf  der  Schleimhaut  der 
Nase  und  Konjunktiva  und  in  deren  Nebenhöhlen  ist  die  Bakterien- 
fiora  eine  sehr  reichhaltige.  Nicht  die  echten  Infektionserreger,  son- 
dern Fäulnisorganismen  und  Gährungserreger  haben  eine  Bedeutung 
für  die  Entstehung  und  Unterhaltung  von  kariösen  Prozessen  an  den 
Zähnen,  die  durch  mechanische  und  chemische  Einwirkungen  zu  Loci 
minoris  resistentiae  geworden  sind  (vgl.  Miller,  Mikroorganismen  der 
Mundhöhle.  92).  Die  pyogenen  Bakterien,  Staphylo-,  Strepto-  und 
Pneumokokken,  kommen  in  Betracht  bei  Stauungen  von  Sekreten,  z.  B. 
in  den  Tonsillen  (Tonsillarabscess),  im  Thränennasenkanal  (Dacryocysti- 
tis),  in  den  Nebenhöhlen  der  Nase  und  des  Rachens  (Empyem  der 
Highmorshöhle,  Otitis  media).  Bei  den  verschiedenen  Formen  der 
Angina  beteiligen  sie  sich  ebenfalls  teils  primär,  teils  sekundär 
(Mischinfektion  bei  echter  Diphtherie).  Die  Streptokokken  dieser 
Schleimhäute  vermitteln  wahrscheinlich  auch  nicht  selten  Gesichts- 
erysipele;  deren  Beginn  an  den  Nasenöffnungen  ist  bekanntlich  sehr 
häufig.  Eine  Frage,  die  noch  unentschieden  zu  lassen  ist,  betrifft  die  Ent- 
stehung der  echten  Diphtherie.  Abgeschwächte,  sog.Pseudodiphtherie- 
bacillen  sind  ausserordentlich  häufige  Ansiedler  auf  den  genannten  Schleim- 
häuten, namentlich  des  Pharynx  und  der  Konjunktiva.  Es  fragt  sich, 
ob  diese  unter  Umständen  volle  Virulenz  gewinnen  und  diphtherische 
Prozesse  erregen  können.  Die  Möglichkeit  dafür  lässt  sich  bisher 
ebensowenig  in  Abrede  stellen,  wie  die  Notwendigkeit  davon  behaup- 
ten.    Man  kommt  unserer  Ansicht  nach  mit  der  Annahme  einer  kon- 


384  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

tagiösen  Übertragung  der  Diphtherie  in  der  ungeheueren  Mehrzahl  der 
Fälle  aus;  dass  eine  Kontagion  in  einzelnen  Fällen  nicht  nachgewiesen 
werden  kann,  wiederholt  sich  in  ähnlicher  Weise  beim  Typhus  und 
bei  der  Cholera,  Prozessen,  bei  denen  man  eine  autochthone  Entstehung 
nicht  leicht  zugeben  könnte.  Günstiger  steht  die  Sache  bezüglich 
der  Ätiologie  der  Pneumonie.  Wir  wissen,  dass  virulente  Pneumo- 
niekokken  nicht  selten  bei  Gesunden  im  Munde  vorkommen  und  an- 
dererseits, dass  manche  Pneumonien  von  verhältnismässig  schwach 
wirkenden  Diplokokken  erzeugt  werden.  Es  ist  am  natürlichsten,  da 
die  Lungenentzündung  meist  sporadisch  auftritt,  ihre  Entstehung  durch 
Autoinfektion  anzunehmen.  An  disponierenden  Momenten  fehlt  es 
gerade  hier  nicht  (Erkältung,  Kontusion,  vorhergehende  Infektionen 
anderer  Art).  Dass  ferner  die  Empfänglichkeit  des  Körpers  zeitlichen 
Schwankungen  unterliegt,  haben  wir  bei  anderer  Gelegenheit  betont 
(vgl.  Kruse  u.  Pansini,  Z.  lt.  352  ff.).  Die  Thatsache,  dass  manch- 
mal die  Pneumonie  in  kleineren  Epidemien  auftritt,  lässt  sich  ganz 
gut  mit  unserer  Anschauung  vereinigen:  es  findet  ja  bei  dieser  Er- 
krankung stets  eine  reichliche  Ausscheidung  virulenter  Keime  statt; 
unter  günstigen  Bedingungen  werden  dieselben  auch  kontagiös  wirken 
können.  Dieselbe  Überlegung  gilt  für  die  kontagiösen  Formen  der 
Angina. 

Mit  den  genannten  Beispielen  sind  die  Möglichkeiten  der  Selbst- 
infektion von  diesen  Schleimhäuten  aus  durchaus  nicht  erschöpft  (vgl. 
die  Affektionen  der  Speicheldrüsen  [Claisse  u.Dupre,  A.E.94],  die  katar- 
rhalischen Pneumonien  [Netter,  A.E,92],  Mischinfektionen  bei  Lungen- 
tuberkulose etc.).  Es  ist  wohl  denkbar,  dass  auch  Erkrankungen  fern 
liegender  Organe  in  der  Mundhöhle  ihre  Infektionsquelle  haben.  Wenn 
man  den  akuten  Gelenkrheumatismus  als  eine  Affektion  auffassen 
dürfte,  die  durch  abgeschwächte  Eiterkokken  veranlasst  wäre,  so  würde 
der  Eintritt  derselben  am  bequemsten  z.  B.  in  den  Tonsillen  erfolgen 
können  (vgl.  Buss,  A.  M.  54.  1). 

Der  normale  Darmkanal  enthält  eine  Menge  von  Krankheits- 
erregern. Tetanus-  und  Ödembacillen  sind  wohl  nur  als  Saprophyten 
von  Bedeutung,  die  letzteren  können  aber  in  seltenen  Fällen  mit  an- 
deren Bakterien  zugleich  zur  Wirkung  gelangen  (Monod,  S.  95. 27).  Viel 
wichtiger  sind  Strepto-  und  Pneumokokken,  Angehörige  der  Gruppe 
des  B.  coli  und  aerogenes,  Proteus,  Pyocyaneus  u.  s.  w.  Um  die  Möglich- 
keit ihrer  Wirkungen  besser  zu  verstehen,  ist  es  nützlich,  einen 
Blick  auf  die  Resorptionsverhältnisse  des  Darms  zu  werfen  (vgl.  S.  323). 
Ribbert  (D.  85.  13),  Bizzozero  (C.  W.  85.  45)  und  Manfredi 
(G.  J.  86)  haben  bei  Kaninchen  die  Beobachtung  gemacht,  dass 
an  gewissen  Stellen  ihres  Darms,    nämlich    im  Processus  vermiformis 


Kruse,  Krankheitserregung.  385 

und  im  Sacculus  rotundus,  konstant  eine  Aufnahme  von  verschieden- 
artigen Bakterien  in  die  Schleimhaut  und  namentlich  in  die  Lymph- 
follikel  stattfindet.  Es  scheint  das  ein  passiver  Vorgang  zu  sein,  denn 
nach  Manfeedi  sind  diese  Mikroorganismen  nicht  wachstumsfähig. 
Eibbert  hat  auch  nach  Einspritzung  von  Staphylokokken  in  das  Darm- 
lumen ebenfalls  eine  Einwanderung  gesehen.  Dass  es  sich  hier  nicht 
um  einen  Ausnahmefall  handelt,  sondern  dass  die  Darmschleimhaut 
im  allgemeinen,  besonders  die  darin  gelegenen  lymphatischen  Organe, 
zur  Resorption  kleinster  körperlicher  Elemente  befähigt  sind,  wird 
durch  Untersuchungen  von  Lewin  (Beiträge  zur  Inhalationstherapie. 
Berlin  65),  der  mit  Kohlenstaub,  sowie  von  Wasilieff-Kleimann 
(A.  P.  27),  der  mit  Karmin  und  Tusche  experimentierte,  wahr- 
scheinlich gemacht.  Die  Fettresorption  erfolgt  bekanntlich  ebenfalls 
durch  Durchtritt  feinster  Fetttröpfchen  durch  das  Epithel.  Neuer- 
dings wollen  Nocaed  (S.  95.  8)  und  Kaufmann  (S.  95.  24)  auch  den 
Übergang  von  Bakterien  während  der  Verdauung  in  den  Chylus  und 
ins  Blut  beobachtet  haben.1) 

Sehr  erleichtert  wird  dieser  Übergang  nach  Posneb,  u.  Lewin 
(B.  95.  6)  durch  Stauungen  des  Darminhalts.  Die  letzteren  Autoren 
haben  nach  Verschluss  des  Mastdarms  durch  Abklemmung,  Nat  oder 
einen  erstarrenden  Verband  den  hauptsächlichsten  Insassen  des  Darms, 
den  B.  coli,  und  wenn  sie  vorher  den  Prodigiosus  in  den  Darm  ge- 
spritzt hatten,  auch  den  letzteren  in  das  Blut  und  damit  in  alle  Or- 
gane übergehen  sehen.  Es  sind  das  ausserordentlich  wichtige  Beob- 
achtungen, die  eine  Bestätigung  bez.  Erweiterung  verlangen.  Sie  er- 
klären die  Möglichkeit  des  Eintritts  von  Infektionserregern  durch  den 
Darm  auch  unter  normalen  Verhältnissen  und  werfen  dadurch  ein  Licht 
auf  dieEntstehung mancher  kryptogenetischer  Infektionen,  nament- 
lich solcher,  in  denen  der  B.  coli  eine  Rolle  spielt.1) 

DerEinfiuss  einer  lokalenDarmstenose  und  -Einklemmung  auf 
den  Durchtritt  von  Bakterien  durch  die  Darmwand  bis  zur  Peritoneal- 
oberfiäche  ist  schon  früher  studiert  worden.  Dabei  sind  von  einer 
Reihe  von  Forschern  sowohl  beim  Menschen  als  im  Tierexperiment 
positive  Resultate  erhalten  worden,  so  von  Gaeee  (F.  86,  15),  Bön- 
necken  (V.  120),  Aend  (C.  13),  Okee-Blom  (C.  15.  16),  Tietze  (A.  Ch. 
49),  und  zwar  um  so  öfter,  je  stärker  die  Cirkulationsstörung  war 
und  je  länger  sie  dauerte;  eine  Nekrose  der  Darmwand  ist  dazu  nicht 


1)  Nach  neueren  umfangreichen  Untersuchungen,  die  im  Institut  von  Flügge 
angestellt  worden  sind,  sind  die  Ergebnisse  von  Nocaed,  Posner  u.  s.  w.  sehr 
vorsichtig  zu  beurteilen.  Die  Bakterienausbeute  aus  dem  Chylus,  den  Lymph- 
drüsen und  inneren  Organen  war  unter  den  verschiedensten  Bedingungen,  wenn 
nur  Versuchsfehler  ausgeschlossen  werden  konnten,  immer  gleich  Null. 
Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  25 


386  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

nöthig.  Die  Bakterien,  die  dabei  in  Betracht  kommen,  gehören  ver- 
schiedenen Spezies,  besonders  aber  der  Gruppe  des  B.  coli  an;  sie 
können  zu  peritonitischen  Prozessen  Veranlassung  geben. 

Einen  ähnlichen  Effekt  hat  ein  Verschluss  der  Gallenausführungs- 
gänge,  z.B.  durch Steininkarceration.  Die  Mikroorganismen  wandern 
dabei  über  die  inkarcerierten  Stellen  hinaus  in  die  Gallenwege  ein  und 
verursachen  daselbst  Entzündungen  von  verschiedener  Intensität,  die 
nicht  selten  zu  Allgemeinerkrankung  führen  (Netter  u.  Martha, 
A.  Ph.  86;  Netter,  r:  J.  86.  391;  Naunyn,  D.  91.  5;  Ortner,  r:  C. 
17.  5/6;  Homen,  C.  P.  94.  19).  Ohne  die  Sekretstauung  dürften  die 
Mikroorganismen  nicht  imstande  sein,  von  den  Gallenwegen  aus  patho- 
gen zu  werden;  dafür  spricht  der  Befund  von  solchen  in  der  Galle  in 
einem  nicht  geringen  Prozentsatz  von  gesunden  Individuen  (Letienne, 
A.  E.  91). 

In  das  Gebiet  der  Selbstinfektion  dürften  ferner  gehören  manche 
Formen  der  Dysenterie,  besonders  diejenige,  die  bei  Geisteskranken 
nicht  selten  zum  Ausbruch  kommt.  Disponierendes  Moment  sind  hier 
Stauungen  des  Darminhalts  und  der  Cirkulation  und  die  mangelnde 
Reagier fähigkeit  der  Gewebe.  Dass  das  letztere  Moment  nicht  zu 
vernachlässigen  ist,  folgt  aus  den  früher  erwähnten  Experimenten 
Charrin's  und  Rogers  mit  Meerschweinchen,  die  intensiven  Überan- 
strengungen unterworfen  wurden  (S.  333);  ferner  aus  denen  von  Wurtz 
(S.  92.  64)  mit  Versuchstieren,  deren  Temperatur  künstlich  erniedrigt 
wurde,  und  schliesslich  aus  den  Versuchsresultaten  Wurtz'  und 
Htjdelo's  (S.  95.6)  und  Beco's  (P.  95,  3),  die  Tiere  durch  Alkohol 
bez.  Emetica  vergifteten.  In  allen  diesen  Fällen  fand  schon  während 
des  Lebens  ein  Eindringen  von  Darmbakterien  in  den  Körper  statt. 
Begünstigend  auf  andere  Infektionen  (Streptokokkensepsis)  wirkte  in 
den  Versuchen  Canon' s  und  Neumann's  (Z.  M.  19,  Suppl.)  die  Darmunter- 
bindung wahrscheinlich  durch  denEinfiuss  der  bakteriellen  Stoffwechsel- 
produkte der  Darmbakterien.  Als  sekundäre  Eindringlinge  kommen  Darm- 
bakterien (B.  coli,  Streptokokken  etc.)  bei  Ulcerationsprozessen  der  Darm- 
schleimhaut (Typhus,  Cholera,  Dysenterie)  in  Betracht.  Bei  der  tro- 
pischen Dysenterie  ist  ihre  Thätigkeit  von  derjenigen  der  spezifischen 
Amöben  kaum  zu  trennen.  Sie  finden  sich  immer  mit  ihnen  gepaart 
in  den  Darmgeschwüren  sowohl  wie  in  den  sich  daran  schliessenden 
Abscedierungen  der  Leber  (Kruse  u.  Pasquale,  Z.  16).  Der  Aufklä- 
rung bedürftig  ist  die  Mitwirkung  der  Darmbakterien  bei  den  Magen- 
Darmerkrankungen  der  Säuglinge,  der  Cholera  nostras  und  vielen 
anderen  Darmstörungen  bei  Erwachsenen.  Es  fragt  sich  hier,  ob  durch 
Einflüsse  unbestimmter  Art,  wie  Erkältungen  oder  Acria,  die  in  den 
Nahrungsmitteln   enthalten  sind,  die  Schleimhaut  für  die  Invasion  der 


Kruse,  Krankheitserregung.  3g7 

gewöhnlichen  Dannbewohner  empfänglicher  gemacht  wird,  oder  ob  etwa 
noch  nicht  genau  definierte  Gifte,  oder  schliesslich  spezifische  Krankheits- 
erreger —  etwa  in  ihren  Wirkungen  denen  der  asiatischen  Cholera  ähnlich 
—  von  aussen  eingeführt  werden.  Die  Erfahrungen,  die  bis  jetzt  vor- 
liegen, sprechen  teilweise  für  erstere  Möglichkeit,  z.  B.  die  häufigen  Be- 
funde von  Reinkulturen  des  „Bacterium  coli"  bei  derartigen  Prozessen, 
und  andererseits  die  Beobachtungen  von  Czernt  u.  Moser  an  rnagen- 
darmkranken  Säuglingen,  nach  denen  im  Blute  der  letzteren  eine  ganze 
Reihe  von  Darmbakterien  (Staphylokokken.  Streptokokken,  B.  coli, 
aerogenes,  pyocyaneus)  anzutreffen  wäre  (J.  K.  94).  Andererseits  hat 
aber  Flügge  (Z.  17)  den  Nachweis  geliefert,  dass  durch  peptonisierende 
Bakterien  in  der  Milch  (auch  sog.  Dauermilch)  starke  vom  Verdauungs- 
kanal wirkende  Gifte  erzeugt  werden  können.  Wahrscheinlich  erklärt 
sich  wenigstens  ein  Teil  der  Fälle  von  Kinder-Diarrhoe  auf  diese  Weise. 

Auch  bei  der  Cystitis  und  bei  den  Erkrankungen  der  Niere 
spielt  die  Selbstinfektion  allem  Anschein  nach  eine  grosse  Rolle, 
sei  es,  dass  die  zumeist  beteiligten  Bakterien  (B.  coli,-  aerogenes, 
Staphylokokken,  Proteus)  von  der  Urethra  aus  einwandern  oder  künst- 
lich eingeführt  werden,  sei  es,  dass  vom  Darm  aus  direkt  oder  durch 
Vermittelung  des  Blutes  die  Infektion  des  Urins  stattfindet  (Posner  u. 
Lewin,  B.  95.  6  und  Posner,  D.  95.  40  Beil.).  Ein  wichtiges,  prädis- 
ponierendes Moment  ist  auch  hier  wieder  die  Stauung  des  Sekrets 
(Rovsing,  Schnitzler,  vgl.  S.  324). 

Die  Lehre  von  der  Selbstinfektion  hat  ihren  Ursprung  genommen 
in  der  Geburtshilfe,  ihr  liegt  die  Thatsache  zu  Grunde,  dass  infektiöse 
Erkrankungen  im  Puerperium  erfolgen  können  ohne  die  Importation 
von  Infektionsstoffen  von  aussen.  Es  handelt  sich  um  die  Frage,  ob 
Infektionserreger  längere  Zeit  in  den  Geburtswegen  existieren  können, 
ohne  Erkrankungen  zu  verursachen.  Nach  Analogie  mit  den  Erfahrungen 
an  anderen  Schleimhäuten  ist  dies  zu  bejahen,  und  in  der  That  haben 
Winter  (Z.  Gy.  14),  Thomen  (A.  Gy.  36),  Stefeeck (Z.  Gy. 20),  Döderlein  l), 
Burckhardt  (A.  Gy.  45),  Burguburu  (A.  P.  30)  und  Walthard  (A. 
Gy.  48)  Staphylokokken  und  namentlich  Streptokokken  in  der  Scheide 
bei  gesunden  Frauen  nicht  selten  gefunden,  und  zwar  häufig  mit  genügen- 
der Virulenz  begabte.  Die  negativen  Resultate  von  Samschin  (D.  90. 
16),  Krönig  (C.  G.  94.  1,  32,  41  u.  D.  94.  43)  und  Menge  (D.  94.  46—48) 
fallen  dem  gegenüber  natürlich  nicht  ins  Gewicht.  Auch  die  an  sich 
sehr  interessanten  Angaben  letzterer  beiden  Autoren  über  die  schnelle 
(in  1 — 3  Tagen  erfolgende)  Vernichtung  der  in  die  Scheide  gebrachten 


1)    Über    das  Scheidensekret  und   seine  Bedeutung  für  das  Puerperalfieber. 
Leipzig  1892  und  D.  95.  10. 

25* 


388  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

pathogenen  Bakterien  können  daran  nichts  ändern,  dass  unter  Umstän- 
den eben  doch  längere  Zeit  lebensfähige  Infektionserreger  darin  ange- 
troffen werden.  Die  Existenz  derselben  in  der  Scheide  genügt  noch  nicht 
zur  Infektion  im  Momente  der  Geburt,  ebensowenig,  wie  eine  Kontusion 
der  Lunge  immer  eine  Pneumonie  hervorruft,  sondern  es  bedarf  noch 
anderer,  teilweise  nicht  genau  bekannter  günstiger  Bedingungen  dafür. 
Wahrscheinlich  gehört  dazu  der  Transport  der  Krankheitserreger  von 
der  Scheide  in  den  Uterus,  z.  B.  durch  eingeführte  Instrumente  oder 
die  Hände  des  Operateurs,  und  ausserdem  die  Schaffung  von  Kontinuitäts- 
trennungen durch  den  Akt  der  Entbindung.1) 

Mit  der  Autoinfektion  ist  stets  eine  Autointoxikation  verbunden, 
ebenso  wie  jeder  Infektionsprozess  mit  einer  spezifischen  Vergiftung 
Hand  in  Hand  geht.  Es  giebt  aber  gewisse  Bedingungen,  unter  denen 
nur  eine  Intoxikation  mit  den  normalerweise  im  Körper  vorhandenen 
Bakterien  resp.  ihren  Produkten  erfolgt;  werden  z.  B.  bei  einfachen 
Stauungszuständen  im  Darm  oder  bei  grösseren,  irgendwie  erzeugten 
Epitheldefekten  die  normalen  Darmbakterien  resorbiert,  ohne  sich  weiter 
im  Körper  zu  vermehren,  oder  betrifft  die  Resorption  nur  die  aus  der 
Bakterienvegetation  im  Darmlumen  resultierenden  Substanzen,  so  sind 
das  im  wahren  Sinne  des  Wortes  Autointoxikationen.  Das  Studium 
derselben  steckt  noch  in  den  Anfangsgründen  (vgl.  S.  380).  Der 
Versuch,  die  bakteriellen  Produkte  von  den  Zersetzungsstoffen  des 
Körpers  selbst,  die  uns  hier  nichts  angehen,  zu  trennen,  ist  bisher  nur 
in  wenigen  Fällen  gelungen. 

0.  Vererbung  der  Infektion,  Disposition  und  Immunität. 

Unter  Vererbung  einer  Infektion  versteht  man  die  erfolgreiche 
Übertragung  des  Infektionsstoffes  von  den  Erzeugern  auf  den  Keim 
oder  die  Frucht  vor  dem  Momente  der  Geburt.  Zu  unterscheiden  ist 
die  germinative  Infektion  —  die  Übertragung  von  der  Mutter  auf  das 
unbefruchtete  Ei,  die  konceptionelle  Infektion —  die  Übertragung  auf  das 
Ei  durch  das  Sperma  des  Vaters,  und  die  intrauterine  Infektion  —  die 
sowohl  von  Seiten  der  Mutter  durch  die  Gefässe  des  Uterus  als  von 
Seiten  des  Vaters  durch  das  Sperma  erfolgen  kann.  Nicht  mit  der 
Vererbung  der  Infektion  selbst  ist  die  Vererbung  der  Disposition  zu 
verwechseln. 

Bei  weitem  am  wichtigsten  ist  die  intrauterine  Infektion.  Dass 
dieselbe  stattfindet,  wissen  wir  durch  eine  Reihe  exakter  Untersuchungen. 
Die  Placenta,  die  beim  Säugetier  die  Ernährung  des  Embryo  vermittelt, 

1)  In  seltenen  Fällen  scheint  die  Selbstinfektion  freilich  auch  ohne  das 
Hinzutreten  solcher  disponierenden  Momente  stattzufinden. 


Kruse,  Krankheitserregung.  3g9 

ist,  da  ein  direkter  Blutaustausch  durch  dieselbe  hindurch  nicht  statt- 
findet, als  ein  Filter  zu  betrachten,  das  korpuskulare  Elemente  zurück- 
hält. So  haben  auch  die  meisten  Versuche  mit  Injektion  unbelebter 
feinster  Partik eichen  (Tusche,  schwefelsauren  Baryts)  und  saprophytischer 
Bakterien  (Prodigiosus)  ins  Blut  von  Muttertieren  keinen  Übergang 
derselben  auf  die  Föten  zur  Folge  gehabt  (Fehling;  Ahleeld;  Keuken- 
beeg,  A.  Gy.  31;  Malvoz  l),  nur  Peels  (Allg.  Pathol.)  hatte  positive 
Resultate  mit  Ultramarin  und  Zinnober,  vielleicht  wegen  der  scharf- 
kantigen Beschaffenheit  dieser  Staubsorten.2)  Die  älteren  Erfahrungen 
von  Beauell,  Davaine,  Bollingee  mit  Milzbrand  sprachen  ebenfalls 
für  Undurchlässigkeit  der  Placenta.  Dagegen  hatten  Steatjs  und  Cham- 
beeland  (A.  Ph.  83)  und  Peeeoncito  (vgl.  Demateis,  C.  5.  23)  bei  der- 
selben Infektion  die  ersten  —  und  zwar  nicht  wenige  —  positiven 
Ergebnisse,  freilich  waren  die  auf  den  Fötus  übergegangenen  Bacillen 
meist  so  spärlich,  dass  ihr  Nachweis  nur  durch  die  Kultur  ermöglicht 
wurde.  In  einem  mehr  oder  weniger  grossen  Teil  ihrer  Fälle  konnten 
Moeisani  (Morgagni  86),  Malyoz  (a.a.O.),  Biech-Hieschfeld  (Zi.  9),  M. 

WOLFE    (V.   112),    ROSENBLATH   (V.    115),    LaTIS    (Zi.  10),   LUBAESCH   (V. 

124)  dieses  Resultat  bestätigen.  Es  stellte  sich  dabei  heraus,  dass  die 
Wahl  der  Versuchstiere  keine  gleichgiltige  war.  Bei  Mäusen  passierten 
die  Bacillen  nur  sehr  selten  die  Placenta  —  vielleicht  weil  dieselbe 
bei  diesen  Tieren  einen  ununterbrochenen  Epithelüberzug  besitzt,  bei 
Meerschweinchen  öfter  wie  bei  Kaninchen.  Als  Grund  für  die  Inkon- 
stanz der  Befunde  wurde,  abgesehen  von  den  histologischen  Verschieden- 
heiten, angegeben,  dass  nur  durch  eine  Gewebsläsion  (Hämorrhagie)  den 
Bakterien  ein  Weg  geöffnet  würde.  Andere  Autoren  wieder  konnten 
in  den  positiven  Fällen  ein  Durchwachsen  der  Bacillen  aus  den  intakten 
mütterlichen  Gefässen  in  die  Zotten  des  Fötus  konstatieren.  Dass  eine 
Vorbereitung  des  Gewebes  allerdings  von  Bedeutung  sein  kann,  haben 
neuerdings  Chaeein  und  Ducleet  (S.  94.  34.  u.  40)  für  den  Pyocyaneus 
bewiesen,  indem  sie  zeigten,  dass  durch  gleichzeitige  Einspritzung  von 
anorganischen  und  organischen  Giften,  z.  B.  Quecksilber-,  Bleisalzen, 
Alkohol,  Tuberkulin,  Mallein  und  Pyocyaneusprodukten,  die  Passage  der 
Bakterien  durch  die  Placenta  ausserordenlich  begünstigt  wird. 

Den  Einfiuss  der  Bakterienspezies  konnten  schon  Keonee  (J.  86. 
383)  und  Malvoz  demonstrieren:  die  Bacillen  der  Hühnercholera 
und  der  Kaninchenseptikämie  überwanden  die  Barriere  der  Placenta 
viel  leichter,  als  die  Milzbrandkeime;  auch  sie  machen  dafür  die  Häufig- 
keit der  Hämorrhagien  bei  jenen  Infektionen  verantwortlich.   Ahnliches 

1)  Sur  le  mecanisnie  du  passage  des  bacteries  de  la  mere  au  foetus.  Bruxelles 
87  und  P.  88.  3.     Hier  auch  die  ältere  Litteratur. 

2)  Über  das  verschiedene  Verhalten  metallischer  Gifte  vgl.  Porak,  A.  E.  94.  2. 


390  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

gilt  nach  Arloing,  Cornevest  und  Thomas  für  den  Rauschbrand,  nach 
Fol  und  Bordoni-Uffreduzzi  (Z.  4.),  Kruse  und  Pansini  (Z.  11)  und 
Lubaesch  für  die  Diplokokkenseptikämie.  Auch  bei  der  Pneumonie 
des  Menschen  findet  nach  Netter  (S.  B.  89),  Levt  (A.  P.  26)  und 
Birch-Hirschfeld  manchmal  eine  gleichartige  Infektion  des  Fötus 
statt.  Die  verwandten  Streptokokken  des  Erysipels  gehen  ebenfalls 
durch  die  Placenta  des  Menschen  (vgl.  Lebedeff,  Z.  Gry.  12)  und  der 
Tiere  (Chambrelent,  S.  93.  21)  hindurch.  Als  seltenere  hierhergehörige 
Beispiele  für  die  Übertragbarkeit  auf  den  Fötus  seien  noch  erwähnt 
die  Febris  recurrens,  die  Brustseuche  der  Pferde,  der  Typhus  (Freund 
u.  Levt,  B.  95. 25.).  Auffallend  ist  die  Angabe  von  Tizzoni  und  Cattani 
(C.  W.  86.  8),  dass  die  Choleraspirillen,  die  doch  im  besten  Falle 
sehr  spärlich  im  Blute  des  Menschen  vorkommen,  aus  einem  Fötus 
isoliert  werden  konnten. 

Von  denjenigen  Bakterien,  die  mit  einem  erheblichen  Destruktions- 
vermögen begabt  sind,  wie  Rotzbacillen  (Löffler,  A.  G.  1; 
Cadeac  u.  Malet,  r:  J.  86.  188),  Staphylokokken  (vgl.  Wolff, 
Festschr.  f.  Virchow.  91.  III)  und  Tuberkelbacillen  sollte  man  schon 
eher  erwarten,  dass  sie  die  Passage  durch  die  Placenta  erzwingen. 
Indessen  lagen  bis  vor  nicht  langer  Zeit  nur  für  die  erstgenannten  In- 
fektionen häufigere  Befunde  vor.  Wolff  macht  mit  Recht  auf  die  fötale 
Endocarditis,  Osteomyelitis,  das  Puerperalfieber  und  auch  auf  den  Ge- 
lenkrheumatismus der  Neugeborenen  aufmerksam,  die  wahrscheinlich 
durch  Staphylokokken  verursacht  werden  und  die  in  der  That  durch  seine 
Experimente  ihre  Erklärung  finden.  Der  Übergang  der  Tuberkelbacillen 
wurde  zwar  aus  theoretischen  Gründen  von  einigen  Autoren  schon  lange 
postuliert,  war  aber  erst  für  seltene  Fälle  wirklich  nachgewiesen,  bis  die 
Untersuchungen  Gärtner' s  (Z.  13)  ein  reichliches  Beweismaterial  brachten. 
Dadurch,  dass  er  den  ganzen  Körper  der  Früchte  auf  Meerschweinchen 
verimpfte,  konnte  Gärtner  sowohl  bei  Kaninchen,  als  bei  Mäusen  und 
Kanarienvögeln  die  sehr  häufige  Existenz  von  Tuberkelbacillen  in 
den  Embryonen  resp.  Eiern  und  zwar  nicht  nur  bei  Peritoneal-,  son- 
dern ebenfalls  bei  Lungen-  und  Miliartuberkulose  der  Muttertiere  de- 
monstrieren. Damit  ist  die  Gelegenheit  zur  intrauterinen  Über- 
tragung von  Tuberkelbacillen  wohl  auch  für  den  Menschen  er- 
wiesen und  die  Zurückführung  der  Tuberkulose  der  ersten  Lebensjahre, 
namentlich  der  primären  Leber,  Milz-,  Haut-,  Knochen-  und  Gelenktuber- 
kulose auf  fötale  Infektion  wenigstens  möglich  gemacht.  Dass  die  letztere 
in  der  Regel  nicht  schon  bei  der  Geburt  und  in  der  ersten  Zeit  nach- 
her manifest  wird,  hängt  wahrscheinlich  mit  der  geringen  Zahl  der 
übertragenen  Keime  zusammen,  aus  der  sich  auch  die  meist  negativen 
Ergebnisse  früherer  Forscher  erklären.    Vielleicht  bleibt  ein  Teil  der  er- 


Kruse,  Krankheitserregung.  39  \ 

erbten  Bacillen  nach  Überstehen  einer  ersten  Attacke  in  abgekapselten 
Herden  zurück,  um  erst  in  späteren  Lebensaltern  neue  Infektionen  zu 
vermitteln.  Eine  vollständige  Latenz  der  kongenital  erworbenen  Krank- 
heitserreger bis  zum  erwachsenen  Alter  ohne  primäre  Lokalisationen  in 
der  Kindheit  ist  gänzlich  unwahrscheinlich  (vgl.  Abschn.  G  am  Schluss). 
Die  Versuche  von  Maffucci  (C.  5. 7)  an  Hühnereiern  sprechen  aber  dafür, 
dass  auch  bei  Vorhandensein  von  Tuberkelbacillen  in  der  Frucht  die 
regelmässige  Entwicklung  derselben  nicht  gestört  zu  werden  braucht, 
obwohl  die  Bacillen  sich  lebensfähig  erhalten.  Im  ausgekrochenen 
Hühnchen  entwickelt  sich  die  Infektion  schon  nach  Wochen  oder 
Monaten  zur  tötlichen  Erkrankung. 

Wenn  die  intrauterine  Infektion  von  mütterlicher  Seite 
sonach  keinem  Zweifel  unterworfen  ist,  sind  die  Beweise  für 
die  übrigen  Arten  der  kongenitalen  Übertragung  recht 
mangelhaft  (vgl.  Gärtner  a.  a.  0.).  Die  —  sei  es  germinative,  sei  es 
konceptionelle  —  Infektion  des  Vogeleies  im  Körper  der  Versuchstiere 
Hesse,  wenn  sie  selbst  bewiesen  wäre,  natürlich  wegen  der  ungeheueren 
Differenz  der  Grösse  der  Eier  keine  Parallele  zu  mit  einer  etwaigen 
Infektion  des  unbefruchteten  Säugetiereies.  Die  Wahrscheinlichkeit  für 
die  letztere  ist  also  schon  sehr  gering,  noch  geringer  aber  die  für 
eine  nachfolgende  Entwicklung  des  infizierten  Eies,.  Es  giebt  übrigens 
nur  ein  sicheres  Beispiel  einer  generativen  Infektion, '  nämlich  die- 
jenige des  Insekteneies  durch  Mikrosporidien  (Protozoen).  Die  Ver- 
hältnisse liegen  zu  verschieden,  um  daraus  für  die  höher  organi- 
sierten Tiere  und  die  aktiveren  bakteriellen  Parasiten  Schlüsse  zu 
ziehen.  —  Die  konceptionelle  Infektion  ist  noch  viel  unwahrschein- 
licher als  die  germinative,  allenfalls  wäre  die  intrauterine  An- 
steckung des  Fötus  durch  das  Sperma  zuzulassen.  Bei  der  Syphilis 
ist  dieser  Weg  der  Vererbung  fast  allgemein  angenommen.  Auch  die 
kongenitale  Übertragung  des  Tuberkelkeims  vom  Vater  her  ist  von 
manchen  Autoren  als  eine  notwendige  Forderung  zur  Erklärung  klinischer 
und  experimenteller  Beobachtungen  aufgestellt  worden,  dürite  aber  der 
Kritik  von  Gärtner  (a.  a.  0.)  schwer  standhalten.  Als  hauptsächlichste 
Stütze  jener  Ansicht  gilt  die  Arbeit  von  Jani  (V.  103),  der  in  dem 
Hoden  und  der  Prostata  von  Phthisikern,  die  in  den  genannten  Organen 
keine  Lokalisationen  hatten,  in  5  von  8  bezw.  in  4  von  6  Fällen 
Tuberkelbacillen  mikroskopisch  nachwies.  Rohlffs  (Kiel.  Diss.  85)  und 
Walther  (Z.  16.  7)  haben  dagegen  mit  dem  Sperma  von  Tuberkulösen 
keine  experimentelle  Tuberkulose  erzielen  können.  Gärtner  hat  zwar 
die  Infektiosität  des  Samens,  den  er  Meerschweinchen  mit  Lungen-  oder 
allgemeiner  Tuberkulose  während  des  Lebens  entzog,  unter  32  Fällen 
5  mal  bestätigt,    weist  aber    auf  arithmetischem  Wege  nach,    dass  die 


392  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Wahrscheinlichkeit  für  das  Zusammentreffen  von  Befruchtung  und 
Infektion  eine  ganz  minimale  ist  und  gar  nicht  in  Betracht  kommen 
kann  bei  latenter  Infektion  des  Vaters.  Bei  Hodentuberkulose  liegen 
die  Verhältnisse  etwas  günstiger,  trotzdem  hat  Gärtner,  wenn  er  ge- 
sunde Muttertiere  und  infizierte  Böcke  paarte,  unter  45  Sprösslingen 
keine  kongenitale  Infektion  beobachtet  (vgl.  aber  Maffucci,  C.  P.  95.  1). 

Wir  kommen  jetzt  zur  Vererbung  von  Disposition  und 
Immunität.  Die  natürliche  Empfänglichkeit  oder Unempfänglichkeit 
gegen  eine  Infektion  ist  meist  ein  Spezies-,  seltener  ein  individueller 
Charakter,  in  beiden  Fällen  geht  dieselbe  nach  den  allgemeinen  Ge- 
setzen der  Vererbung,  sei  es  vom  Vater,  sei  es  von  der  Mutter  auf 
die  Nachkommen  über.  Das  Experiment  entspricht  dem  durchaus. 
Ist  die  Disposition  oder  Immunität  der  Eltern  dagegen  eine  erworbene, 
und  zwar  auf  spezifischem  oder  nicht  spezifischem  Wege  erworbene, 
so  bleibt  die  erbliche  Übertragung  zweifelhaft.  Die  Verteidiger  einer 
Vererbung  erworbener  Eigenschaften  nehmen  an,  dass  dieselbe  dann 
erfolgen  kann,  wenn  die  Keimzellen  selbst  durch  die  Modifikation  des 
sie  erzeugenden  Organismus  in  bestimmtem  gleichartigen  Sinne  ver- 
ändert werden.  —  Nehmen  wir  zuerst  den  Fall  der  nicht  spezifisch 
erworbenen  Disposition  oder  Immunität,  z.  B.  sei  dieselbe  veranlasst 
durch  die  allgemeinen  Bedingungen  der  Ernährung  nach  der  ungünstigen 
oder  günstigen  Seite  hin.  Experimente  darüber  stehen  hier  nicht  zu 
Gebote,  sondern  nur  beschränkte  ärztliche  Erfahrungen;  dieselben 
sprechen  dafür,  dass  allerdings  in  gewissem  Grade  Schwächezustände 
vererbt  werden,  aber  nicht  von  väterlicher,  sondern  nur  von  mütter- 
licher Seite.  Die  Deutung  liegt  daher  nahe,  dass  es  sich  hier  nicht 
oder  nur  in  geringem  Grade  um  eine  germinative,  sondern  um  eine 
intrauterine,  placentare  Übertragung  handelt:  die  schlechte  Ernährung 
der  Mutter  muss  auf  die  Entwicklung  des  Fötus  einen  gleichartigen 
Einfmss  äussern.  Auf  diese  Weise  lässt  sich  die  Vererbung  einer 
erworbenen  Disposition  auch  in  allen  anderen  Fällen,  wo  die  Empfäng- 
lichkeit in  einer  bestimmten  Veränderung  der  Säfte  und  des  davon 
abhängigen  gesamten  Stoffwechsels  gesucht  werden  muss,  erklären.  Die 
Placenta  bildet  für  gelöste  Stoffe  keine  Barriere.  Von  einer 
sonst  etwa  noch  statthabenden  erblichen  Übertragung  nicht  spezifischer 
Resistenzgrade  wissen  wir  nichts. 

Ganz  ähnlich  dem  citierten  Beispiele  verhält  sich  die  Sache  bei 
der  Übertragung  einer  durch  spezifische  Behandlung  erworbenen 
Immunität.  Chauveau's  (CR.  91  u.  P.  88)  Experimente  haben  den 
ersten  Beweis  dafür  erbracht,  indem  durch  sie  festgestellt  wurde,  dass 
Schafe,  die  während  ihrer  Tragzeit  gegen  Milzbrand  immunisiert  werden, 
immune  Junge  werfen.    Nach  Thomas  gilt  das  gleiche  für  den  Rausch- 


Kruke,  Krankheitserregung.  393 

brand  (C.  R.  94).  Die  Versuche  bestehen  zu  recht,  obwohl  andere 
Autoren  nicht  so  glücklich  gewesen  sind,  ihre  Resultate  zu  bestätigen 
(Löfflee,  M.  G.  1;  di  Mattet,  Accad.  medic.  Rom.  87/88).  Dagegen 
scheint  die  Vaccination  der  Mutter  gegen  Kuhpocken  trotzdem  das 
mehrfach  behauptet  worden  ist,  den  Föten  keinen  Schutz  gegen  eine 
Infektion  nach  der  Geburt  zu  verleihen  (vgl.  M.  Wolff,  V.  112).  Was 
die  Erklärung  der  auf  dem  placentaren  Wege  erlangten  Immunität  des 
Fötus  angeht,  so  meinte  man  ursprünglich,  die  durch  die  Placenta 
hindurch  gegangenen  lebenden  Bakterien  bewirkten  dieselbe,  in  ähn- 
licher Weise  wie  die  mütterliche.  Chauveatj  hat  diese  Anschauung 
schon  widerlegt  und  die  Bedeutung  der  gelösten  Stoffe  für  die  Immuni- 
sierung betont.  Aber  auch  nach  seinen  Versuchen  konnte  es  noch 
zweifelhaft  bleiben,  ob  man  es  beim  Fötus  mit  aktiver  oder  passiver 
Immunität  zu  thun  hätte.  Ehelich  (Z.  12),  der  diese  Frage  zuerst  ge- 
stellt, hat  sie  auch  gelöst  und  zwar  für  die  spezifische  Immunität  gegen 
Ricin  und  Abrin,  später  im  Verein  mit  Hübnee  auch  bezüglich  des 
Tetanus  (Z.  18,  vgl.  auch  Vaillaed,  P.  96.2).  Er  zeigte,  dass  die  gegen 
letztere  Gifte  gefestigten  Mäusemütter  Junge  zur  Welt  brachten,  die  in  der 
ersten  Zeit  nach  der  Geburt  resistent  waren,  aber  bald  ihre  Immunität  ver- 
loren. Sie  waren  also  nicht  aktiv,  sondern  nur  passiv  gefestigt,  das  Gift 
hatte  offenbar  nicht  die  Placenta  passiert,  sondern  nur  die  antitoxischen 
Stoffe  des  Blutserums.  Zu  gleicher  Zeit  wies  der  genannte  Autor  auch  eine 
andere  Quelle  ererbter  Immunität  nach,  nämlich  die  durch  die  Mutter- 
milch verliehene,  die  sog.  Säugungsimmunität.  Auch  die  durch 
die  Milch  ausgeschiedenen  Toxine  gehen  in  unverändertem  Zustand 
auf  die  Säuglinge  über  und  machen  sie  sogar  in  einem  Grade  refraktär, 
der  im  intrauterinen  Leben  nicht  erreicht  wird.  Auf  die  interessanten 
Schlüsse,  die  sich  aus  dieser  Thatsache  bezüglich  der  Immunität  der 
Säuglinge  gegen  andere  Krankheiten,  z.  B.  gegen  Masern  ergeben,  hat 
Ehrlich  selbst  schon  hingewiesen. 

Auch  die  Eier  gegen  Tetanus  immunisierter  Hühner  enthalten  nach 
F.  Klempeeee  (A.  P.  31)  Schutzstoffe  und  zwar  nicht  im  Eiweiss, 
sondern  im  Dotter.  Kitt  (r:  C.  14.  870  u.  17.  687)  hat  eine  gewisse 
immunisierende  Kraft  auch  im  Ei  —  dem  Eiweiss  und  Eigelb  —  gegen 
Geflügelcholera  immunisierter  Tiere  gefunden;  Sclavo  eine  ebensolche 
in  den  Eiern  von  Hühnern,  die  gegen  Diphtherie  geimpft  waren  (r:  C. 
18.  9/10). 

In  den  oben  angeführten  Arbeiten  war  Ehelich  in  der  Lage,  die 
Angaben  mancher  Autoren  über  die  Übertragung  spezifischer  Immunität 
gegen  Pyocyaneus,  Hundswut  und  Tetanus  von  väterlicher  Seite 
(Chaeein  u.  Gley,  C.  R.  117.  635;  Tizzoni  u.  Centanni,  C.  13.  8; 
Tizzoni  u.  Cattani,  ibid.  S.  85)  zurückzuweisen.     Das  Sperma    ist 


394  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

nicht  imstande  die  Immunität  des  Vaters  auf  die  Frucht  zu 
vererben  —  ein  Satz,  der,  wenn  wir  die  Entstehung  der  intrauterin 
gewonnenen  Immunität  durch  passiv  übertragene  Antitoxine  berück- 
sichtigen, ohne  weiteres  verständlich  ist.  Aus  diesen  exakten  Unter- 
suchungen dürften  wohl  auch  einige  Lehren  für  andere  Infektionen 
zu  folgern  sein.  Vor  allem  kann  das  PROEETA'sche  Gesetz,  nach  dem 
die  gesunde  Nachkommenschaft  syphilitischer  Eltern  gegen  diese 
Krankheit  geschützt  sein  soll,  höchstens  bei  mütterlicher  Syphilis  Geltung 
haben,  und  auch  da  nur  für  kürzere  Zeit  nach  der  Geburt  oder  nach 
der  Säugung.  Andererseits  ist  es  jetzt  erklärlich,  dass  ein  Fötus,  der 
vom  Vater  her  syphilitisch  wird,  wenn  er  den  mütterlichen  Organismus 
nicht  infiziert,  den  letzteren  auf  chemischem  Wege  immunisiert  (Gesetz  v. 
Colles;  vgl.  auch  Lingaed,  F.  89.  8). 

P.   Theorie  der  Infektion,  Immunität  und  Heilung. 

Die    wichtigsten    Probleme    der    allgemeinen  Bakterienlehre    sind 
folgende1): 

I.   Worin  besteht  die  Infektiosität? 


IL  Worin  besteht  die  natürliche  Immuni- 
tät und  zwar 


a)  gegen  lebende  Bakterien' 

(natürliche 
antibakterielle  T.) 

b)  gegen   Bakteriengifte  ? 

(natürliche 
antitoxische  I.) 


III.  Worin  besteht  die  künstliche  Immunität  und  zwar   • 

„\     „  „    i  -u„    i„  d  i  i    ■         i  1.  die  nicht  spezifische  antibakterielle  1. 

a)  gegen  lebende  Bakterien:  {  g   die  Bpeaifi*ohe  antibakterielle  I. 

vi    „a„a„  -ro1  .„  •       :«  /  1.  die  nicht  spezifische  antitoxische  I. 

b)  gegen  Bakteriengifte:       |  2    d].ß  Bve7Äfi*Ghe  antitoxische  I. 

Die  Berechtigung  dafür,  dass  wir  hier  dem  Problem  der  Heilung 
keinen  besonderen  Platz  einräumen,  ergiebt  sich  aus  den  früheren  Er- 
örterungen. Eine  Krankheit,  die  heilt,  ist  entweder  eine  Infektion  mit 
relativ  zu  schwachem  Virus  —  natürliche  Heilung,  oder  sie  verdankt 
den  günstigen  Ausgang  #  einem  künstlichen  Immunisierungsprozesse 
während  des  Krankheitsverlaufes  —  künstliche  Heilung. 


1)  Die  hier  gebrauchten  Ausdrücke  empfehlen  sich,  weil  sie  sofort  verständ- 
lich sind.  Es  sind  neuerdings  von  Buchner(M.94.38)  und  Pfeiffer  (Z.  19)  Verände- 
rungen der  Nomenklatur  vorgeschlagen  worden,  die  aber  wenig  für  sich  haben. 
Immunität,  Resistenz,  Unempfänglichkeit,  Widerstandskraft,  —  und  andererseits 
Disposition,  Empfänglichkeit,  Widerstandslosigkeit  u.  s.  w.  sind  nun  einmal  im 
Sprachgebrauch  gleichbedeutend. 


Kruse,  Krankheitserregung.  395 

Uns  interessieren  hier1)  wesentlich  die  allgemeinen  Erschei- 
nungen der  Infektiosität  und  der  Immunität.  Ausser  Betracht  müssen 
bleiben  die  Arteigentümlichkeiten  der  pathogenen  Bakterien,  die  sich 
äussern  in  der  verschiedenen  Schnelligkeit  ihres  Wachstums  und  ihres 
Absterbens,  in  der  Vorliebe  für  aerobie  oder  anaerobie  Entwicklung, 
in  der  Neigung,  das  eine  oder  das  andere  Organ  zu  invadieren,  in 
der  Produktion  dieses  oder  jenes  Giftes  —  ausser  Betracht  bleiben 
auch  die  Besonderheiten  der  Tierspezies  und  der  einzelnen  Organe,  die 
in  dem  verschiedenen  Verhalten  der  Tiere  bezw.  der  Organe  gegen  eine 
und  dieselbe  Infektion  zu  Tage  treten  (Art-  und  Organ-Immunität). 

I.  Da  der  Wirtsorganismus  den  Nährboden  für  die  infektiösen 
Bakterien  darstellt,  so  müssen  wir  zuerst  versuchen,  eine  Vorstellung 
zu  gewinnen  über  die  natürliche  Disposition  und  Immunität. 
Aus  der  Thatsache,  dass  die  grosse  Mehrzahl  der  Bakterien,  die  Sapro- 
phyten,  im  tierischen  Organismus  nicht  wachstumsfähig  sind,  dass  auch  die 
virulentesten  Bakterien  gegenüber  einer  grossen  Zahl  von  Tieren  sich 
wie  Saprophyten  verhalten,  dass  ferner  die  Empfänglichkeit  eines  Tieres 
gegenüber  dem  einen  Mikroorganismus  Immunität  desselben  gegenüber 
einem  zweiten  nicht  ausschliesst,  und  dass  durch  Abschwächung  sich  die 
infektiösen  Bakterien  den  Saprophyten  nähern,  ist  zu  folgern,  dass 
alle  lebenden  tierischen  Gewebe  den  Bakterien  im  allge- 
meinen einen  Wachstumswiderstand  entgegensetzen,  der  nur 
von  einem  kleinen  Teil  derselben  und  zwar  nur  einer  beschränkten 
Zahl  von  Tieren  gegenüber  auf  Grund  einer  spezifischen,  variablen 
Eigenschaft  überwunden  werden  kann.  Es  handelt  sich  darum,  den 
Grund  dieses  Widerstandes  zu  erklären.    Man  könnte  denken,*  dass 

1.  der  Tierkörper  nicht  die  nötigen  Nährstoffe  enthielte,  welche 
die  ihm  gegenüber  nicht  infektiösen  Bakterien  zum  Wachstum 
brauchen.  Für  eine  kleine  Zahl  von  Saprophyten,  nämlich  diejenigen, 
die  wir  auf  unseren  gewöhnlichen  künstlichen  Nährböden  nicht  zu 
züchten  vermögen,  trifft  das  zu,  für  die  grosse  Masse  aber  nicht,  denn 
die  abgestorbenen,  abgetöteten  Gewebe  oder  die  daraus  hergestellten 
Extrakte  bilden  meist  einen  vorzüglichen  Nährboden  für  die  grosse 
Masse  der  Saprophyten  und  infektiösen  Bakterien.  Höchstens  gewisse, 
sehr  saftarme  Gewebe,  z.  B.  der  Mantel  der  Tunikaten  (Lubaksch, 
Z.  M.  19)  sind  als  Nährboden  ungeeignet. 


1)  Vgl.  Flügge  und  seine  Schüler,  Z.  4;  Sahli,  Volkmann' s  Samml. 
Nr.  319/20,  Leipzig.  88;  Ziegler,  Zi.  5;  Lubarsch,  Z.  M.  18  u.  19  (Litteratur 
bis  1891);  Buchner,  M.  91.  31  u.  32,  M.  94.  37  u.  38;  Roux,  P.  91.  8,  P.  94.  10 
Metschnikoff,  P.  91.  584  u.  P.  94.  10;  Kruse,  Zi.  12.  3;  Stern,  C.  P.  94.  201 
(Litt,  über  Blutserum) ;  Behring,  Infektion  und  Desinfektion.  Leipzig  94.  Ausser- 
dem die  im  Text  genannten  Arbeiten. 


3Q6  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

2.  Die  hohe  Koncentration  der  Nährstoffe  im  Tierkörper  ist 
für  manche  Saprophyten  ein  die  Entwicklung  hemmendes  Moment, 
genügt  aber  in  den  meisten  Fällen  ebenfalls  nicht  zur  Erklärung. 

3.  Die  Reaktion  der  tierischen  Säfte  entspricht  im  allgemeinen 
der  Forderung,  die  die  Bakterien  an  die  Reaktion  der  künstlichen 
Nährsubstrate  stellen.  Das  Blutserum  der  Ratte  scheint  nach  Behring 
(Z.  6.  123)  wegen  seiner  hohen  Alkalescenz  eine  Ausnahme  zu  machen, 
allerdings  nur  extravaskulär,  nicht  im  lebenden  Organismus,  denn  die 
Milzbrandbacillen,  die  in  dem  Blutserum  nicht  wachsen,  können  doch 
die  lebenden  Ratten  in  der  übergrossen  Mehrzahl  der  Fälle  infizieren 
(vgl.  K.  Müller,  Milzbrand  d.  Ratten.   F.  93). 

4.  Die  Eigenwärme  des  Tierkörpers  ist  für  diejenigen  Sapro- 
phyten, die  nur  bei  niederer  Temperatur  gedeihen,  und  umgekehrt  die 
niedere  Temperatur  der  Kaltblüter  für  Tuberkelbacillen,  Gonokokken, 
Influenzabacillen  ein  Grund,  der  genügt,  ein  Wachstum  zu  verhüten. 
Zur  allgemeinen  Erklärung  der  Immunität  reicht  dies  Moment  selbst- 
verständlich nicht  aus.  Aber  in  einzelnen  Fällen  kommt  die  Temperatur 
allerdings  in  Betracht.  Wenn  wir  auch  die  Versuche,  Frösche,  die  bei 
höheren  Temperaturen  gehalten  wurden,  milzbrandig  zu  machen,  nicht 
als  völlig  beweiskräftig  ansehen  können  (vgl.  Lubarsch,  Z.  M.  19.  234), 
so  haben  doch  die  Experimente  von  Dieudonne  (A.  G.  9.  3)  dargethan, 
dass  bei  gewöhnlicher  Temperatur  Frösche  regelmässig  an  Milzbrand 
erliegen,  wenn  man  eine  Kultur  zur  Infektion  wählt,  die  durch  an- 
dauernde Züchtung  bei  niederer  Temperatur  derselben  angepasst  worden 
ist.  In  gewissem  Grade  lässt  sich  auch  die  Immunität  der  Tauben 
gegen  Milzbrand  durch  ihre  hohe  Körpertemperatur  erklären;  denn  auch 
bei  ihnen  hat  Dieudonne  die  Infektion  zwar  nicht  immer,  aber  doch 
häufiger  als  sonst  bewirken  können,  wenn  er  ein  der  Temperatur  von 
42°  angepasstes  Virus  wählte.  Auch  die  auf  S.  333  erwähnte  That- 
sache,  dass  Frösche  dem  Bacillus  der  Frühjahrsseuche  nur  bei  niederer 
Temperatur  erliegen,  ist  vielleicht  so  zu  deuten,  dass  der  genannte 
Bacillus  dann  eine  grössere  Wachstumsintensität  entfaltet. 

5.  Zugegeben,  dass  an  allen  Stellen  des  Körpers  Nährmaterial  für 
die  Bakterien  in  genügendem  Masse  vorhanden  ist,  so  könnte  man  für 
die  unempfänglichen  Tiere  behaupten,  die  Zellen  derselben  wären 
stärker  als  die  Mikroorganismen  und  machten  im  Kampfe  ums 
Dasein  denselben  die  nötigen  Stoffe  streitig.  In  Anbetracht  der  in  den 
höheren  Tieren  reichlich  vorhandenen  Zwischensubstanz  ist  das  an  sich 
schon  nicht  wahrscheinlich.  Wenn  ausserdem  die  Immunität  eines 
Tieres  auf  der  Assimilationsenergie  seiner  Zellen  beruhte,  wie  kommt 
es,  dass  sich  dieselben  Tiere  verschiedenen  Bakterien  gegenüber  oft  gerade 
entgegengesetzt  verhalten?  Wie  erklärt  es  sich  ferner,  dass  nächstverwandte 


Kruse,  Krankheitserregung.  397 

Tiere  oft  ganz  verschieden  gegenüber  denselben  Mikroorganismen 
reagieren?  Schliesslich  spricht  noch  gegen  diese  Hypothese,  dass  die 
lebenden  Gewebe  direkt  schädlich  auf  die  Eindringlinge  wirken 
(s.  unten.) 

6.  Mehr  für  sich  hat  jene  Theorie,  nach  welcher  zwar  das  nötige 
Nährmaterial  vorhanden  sei,  aber  in  einer  Form,  welche  die  Assi- 
milation durch  die  Bakterien  nicht  gestatte.  Man  hat  Grund, 
sich  vorzustellen  (Pfluges),  dass  das  lebende  Eiweiss  vom  toten  ver- 
schieden sei.  Es  ist  möglich,  dass  dieses  Moment  eine  gewisse  Bedeutung 
hat,  dass  z.  B.  für  die  grosse  Masse  der  Saprophyten  schon  dadurch 
die  lebenden  Gewebe  des  Körpers  unangreifbar  sind.  Aber  aus  den 
unter  Nr.  5  angegebenen  Gründen  genügt  diese  Eigenschaft  des  leben- 
den Organismus  allein  noch  nicht  zur  Erklärung  der  Immunität. 

7.  Wir  kommen  so  notgedrungen  zu  der  Annahme,  dass  die  Wider- 
standskraft des  lebenden  Organismus  gegenüber  den  Bak- 
terien von  der  Existenz  direkt  bakterienfeindlicher  Stoffe 
abhängt.  Drei  Fälle  sind  hier  möglich:  entweder  sind  diese  Stoffe 
a)  einmal  gebildet,  stets  in  den  Zellen  oder  in  den  Säften  oder  in  beiden 
vorhanden.  Oder  b)  sie  werden  regelmässig  in  den  Zellen  produziert 
und  unterliegen  dem  Stoffwechsel.  Oder  c)  sie  werden  erst  im  Momente 
der  Bakterieninvasion  entwickelt.  Keiner  dieser  Fälle  schliesst  übrigens 
den  anderen  aus,  namentlich  eine  Kombination  von  b)  und  c)  ist  wohl 
denkbar  und,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  sogar  wahrscheinlich.  Die 
erste  Möglichkeit  ist  wenig  annehmbar,  denn  sie  setzt  voraus,  dass  die 
einmal  vorhandenen  Substanzen  nicht  ausgeschieden  werden  können 
und  unzerstörbar,  oder  wenn  verloren  gegangen,  unersetzbar  sind. 

Das  grundlegende  Experiment,  welches  das  Vorhandensein  einer 
antibakteriellen  Eigenschaft  der  Körpersäfte  beweist,  ist  folgendes. 
Wenn  man  einerseits  unschädliche  Bakterien  und  anderer- 
seits solche,  die  für  den  betreffenden  Organismus  infektiös 
sind,  Tieren  injiziert,  so  zeigen  die  ersteren  vom  ersten 
Moment  an  keinen  Ansatz  zur  Vermehrung,  sondern  degene- 
rieren und  sterben,  je  nach  der  Spezies  mit  verschiedener 
Schnelligkeit,  ab,  während  die  letzteren  sofort  zu  wachsen 
beginnen.  Irgend  eine  wesentliche  Veränderung  tritt  dabei  im  Gewebe 
gerade  in  den  ersten  Stadien  des  Prozesses  nicht  auf,  wenn  man  darauf 
achtet,  dass  man  die  Bakterien  selbst  ohne  ihre  gelösten  Stoff wechsel- 
produkte  und  nicht  in  zu  grosser  Menge  injiziert.  Der  Unterschied 
ist  natürlich  am  deutlichsten,  wenn  man  ganz  unschuldige  Mikroorga- 
nismen und  sehr  virulente  mit  einander  vergleicht.  Die  Demonstration 
gelingt  nach  der  Methode  von  R.  Pfeiffer  (Z.  18),  der  intraperitoneal 
impft  und  von  Zeit  zu  Zeit  aus  der  Bauchhöhle  mittelst  kapillarer  Glas- 


398  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

röhrchen  Material  zur  Untersuchung  entnimmt,,  am  leichtesten.  Um 
die  Mitwirkung  zelliger  Elemente  ganz  auszuschliessen,  haben  andere 
Autoren,  wie  Peteuschkt  (Zi.  3),  Fahrenholz  (Königberg.  Diss.  89) 
Pekelharing,  (S.  92.  503)  die  Bakterien  in  Päckchen  von  Filtrier-  oder 
Pergamentpapier  oder  in  pflanzliche  und  tierische  Membranen  einge- 
schlossen unter  die  Haut  von  nicht  empfänglichen  Tieren  gebracht 
und  auch  dann  kein  Wachstum  beobachtet.  Aber  nicht  allein  sind  die 
Säfte  ohne  direkte  Beteiligung  von  Zellen  imstande,  eine  Entwicklungs- 
hemmung zu  bewirken,  sondern  sie  vermögen  sogar  die  resistentesten 
Keime,  wie  Milzbrandsporen  (Pekelharing),  in  wenigen  (11)  Tagen  zu 
vernichten.  Ohne  solche  Vorsichtsmassregeln,  aber  doch  mit  genügender 
Beweiskraft,  hat  eine  ganze  Anzahl  von  Forschern  den  gleichen  Vor- 
gang im  Gewebe  beobachtet.1) 

Nicht  blos  im  lebenden  Körper  hat  man  auf  diese  Weise  das  Vor- 
handensein antiseptischer  Stoffe  bewiesen,  sondern  auch  durch  Versuche 
im  Reagensglase.  Am  nächsten  lag  es,  dazu  das  Blut  oder  das  Serum 
des  Blutes  und  die  Transsudate  zu  wählen,  und  so  sind  denn  in  der 
That  die  meisten  derartigen  Experimente  mit  diesen  Flüssigkeiten  an- 
gestellt2), wenige  nur  mit  Muskelsaft  (Tria,  G.  J.  91).3)  Es  hat 
sich  nun  dabei  herausgestellt,  dass  in  einer  grossen  Zahl  von  Fällen 
die  Säfte  antibakterielle  Wirkung  entfalten,  und  zwar  spezifische  in  dem 
Sinne,  dass  dieselbe  nicht  mit  dem  Effekt  der  chemischen  Antiseptika 
parallel  geht.  Die  Art  des  Verhaltens  der  Mikroorganismen  unter  dem 
Einfluss  dieser  Substanzen  ist  verschieden,  indem  die  einen  schneller, 
die  anderen  langsamer  erliegen,  ohne  überhaupt  zum  Wachstum  zu 
kommen,  andere  sich  nur  spärlich  entwickeln  und  wieder  andere  üppig 
gedeihen.  Die  Bedeutung  der  Menge,  in  welcher  die  Bakterien  mit 
jenen  Flüssigkeiten  in  Berührung  kommen,  ist  von  ausschlaggebender 
Bedeutung. 

Durch  diese  Thatsachen  ist  die  Möglichkeit  dafür  gegeben,  dass 


1)  Vgl.  Wyssokowitsch  (Z.  1),  Nuttall  und  Bitter  (Z.  4),  Czaplewski  (Zi.  7 
u.  Z.  12),  Lubarsch(Z.M.19),  Behring  (Z.  6),  G.  Frank  (C.  4.  23  u.  24),  Rogowttsch 
(Zi.  4),  Kruse  und  Pansini  (Z.  11),  Leber  (Entstehung  der  Entzündung.  Leipzig  91). 

2)  Traube  und  Gscheidlen  (Schlesische  Gesellschaft  f.  vaterländ.  Kultur, 
medizin.  Sektion  1874),  Grohmann  (Dorpater  mediz.  Diss.  1S84),  Fodor  (D.  87.  745), 
Nuttal  (Z.  4),  Behring  (Z.  6. 117),  Nissen  (Z.  6),  Lubarsch  (F.  88.  4.  u.  Z.  M.  19), 
Buchner  (C.  5.  25;  C.  6.  1.  und  21),  Buchner,  Voit,  Sittmann,  Orthenberger 
(A.  10),  Behring  u.  Nissen  (Z.  8),  Prudden  (r:  J.  90),  de  Giaxa  u.  Guarnieri 
(Ann.  de  micrographie  90),  Rovtghi  (Ri.  90),  Stern  (Z.  M.  IS),  Kruse  u.  Pansini 
(Z.  11),  Bakunin  u.  Boccardi  (Ri.  91.  188),  Kionka  (C.  12),  Bonaduce  (Zi.  12), 
Pansini  (Zi.  12),  Pasquale  (Zi.12),  Leclef  (Cellule  10.  2),  R.  Pfeiffer  (Z.  18.  15). 

3)  Über  die  baktericiden  Eigenschaften  der  Milch,  des  Harns,  Schleims  u.  s.  w. 
vgl.  Abschn.  G. 


Kruse,  Krankheitserregung.  399 

die  natürliche  Immunität  auf  der  Existenz  ähnlicher  Stoffe  im  Körper 
beruht.  Wenn  weiter  im  einzelnen  eine  Korrespondenz  zwischen 
dem  Verhalten  z.  B.  des  Blutserums  als  Nährboden  gegenüber  den 
verschiedenen  Bakterien  und  der  relativen  Empfänglichkeit  des  lebenden 
Tieres  gegenüber  denselben  bestände,  so  wäre  dasProblem  so  gut  wie  gelöst. 
In  der  That  ist  eine  solche  Beziehung  jetzt  durch  einwandfreie  Unter- 
suchungen (vgl.BoNADUCB  a.  a.  0.)  für  viele  Fälle  nachgewiesen,  ihr  Nicht- 
vorhandensein in  anderen  Fällen  steht  allerdings  ebenso  wenig  in  Zweifel. 
Daraus  folgt  also,  dass  die  Eigenschaft  des  Blutserums  als  Nähr- 
boden nicht  in  allen  Fällen  einen  sicheren  Index  der  Immu- 
nität abgiebt.  Wir  müssen  deswegen  auf  die  lebenden  Zellen  zurück- 
greifen und  die  natürliche  Immunität  im  wesentlichen  auffassen  als 
bewirkt  durch  antiseptische  Substanzen,  die  von  den  Zellen 
fortwährend  erzeugt  werden  und  in  die  Intercellularflüssig- 
keit  (besonders  das  Blut)  übergehen  und  sich  unter  Umstän- 
den daselbst  halten  können. 

Es  sind  allerdings  eine  Reihe  von  Einwänden  gegen  die  Annahme 
baktericider  Stoffe  im  Blut  erhoben  worden. 

Erstens  haben  Metschnikoff  (P.  89),  Haffkine  (P.  90),  Christ- 
mas (P.  91),  Czekelt  u.  Szana  (C.  12),  Jetter  (Arb.  d.  pathol.  Inst. 
Tübingen  92.  421)  behauptet,  die  Abtötung  von  Bakterien  im  extravas- 
culären  Blut  erkläre  sich  aus  der  plötzlichen  Übertragung  aus  dem  ge- 
wöhnlichen in  einen  total  verschiedenen  und  zwar  koncentrierteren  neuen 
Nährboden.  Besonders  Denys  und  Kaisin  (Cellule  9.  2.  1893)  haben 
demgegenüber  gezeigt,  dass  auch  Bakterien,  die  vorher  in  gleichem 
Blut  gezüchtet  waren,  dem  baktericiden  Einfluss  unterliegen.   - 

Zweitens  soll  nach  Czekelt  und  Szana,  sowie  Jetter  zwischen 
der  Zahl  der  abgetöteten  Bakterien  bei  verschiedener  Einsat  Pro- 
portionalitat bestehen  und  eine  vollständige  Abtötung  der  Einsat  nie- 
mals erzielt  werden.  Auch  dieser  Einwand  wird  durch  die  Ergebnisse 
Büchners,  Kruse  und  Pansini's,  Denys  und  Kaisin's  entkräftet. 

Drittens  soll  die  Erfahrung,  die  bei  Serumversuchen. häufig  ge- 
macht wird,  dass  nach  einer  anfänglichen  Abnahme  der  Keime  wieder 
eine  wirkliche  Zunahme  erfolgt,  gegen  das  Vorhandensein  eines  Anti- 
septikums sprechen.  Auch  diese  Thatsache  hat  durch  Kruse  und  Bona- 
duce,  Denys  und  Kaisin  eine  ausreichende  Erklärung  gefunden.  Sie 
ist  begründet  in  der  Einwirkung  der  Bruttemperatur  auf  das  Serum, 
die  dessen  baktericide  Kraft  schwächt,  sowie  in  dem  Umstände,  dass 
die  Bakterienleiber  beim  Zugrundegehen  die  bakteriellen  feindlichen 
Substanzen  neutralisieren  (Antilysine  Kruse's  vgl.  später). 

Viertens  will  Jetter  in  Kontroiversuchen  gefunden  haben,  dass 
auch  in  Flüssigkeiten,  die  keine  Nährstoffe  enthalten,  die  Bakterien  in 


400  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ähnlicher  Weise  absterben  wie  im  Blutserum;  der  Einfluss  des  letzteren 
soll  also  vorwiegend  in  mangelnder  Nährfähigkeit  bestehen.  Durch 
Zusatz  von  notorischen  Nährsubstanzen  zum  Serum  werden  aber  nach 
Denys  und  Kaisin  die  baktericiden  Eigenschaften  des  letzteren  nicht 
verändert. 

Fünftens  wird  von  manchen  Seiten  gegen  die  Blut-  und  Serum- 
experimente der  Einwurf  erhoben,  dass  erst  durch  den  Absterbeprozess 
oder  durch  die  vorhergehende  Gerinnung  die  fraglichen  Substanzen 
entstehen.  Dagegen  konnten  de  Giaxa  und  Guarnieri  nachweisen, 
dass  der  Abtötungsprozess  im  Blut,  das  innerhalb  abgebundenen 
Gefässen  des  lebenden  Tieres  geprüft  und  dessen  Gerinnung  durch 
vorsichtiges  Arbeiten  verhütet  wird,  ganz  ähnlich  verläuft  wie  im 
Reagensglas.  Ferner  wurde  durch  Lubaesch,  Nuttael,  Nissen,  Roger 
u.  Charrin,  Behring  u.  Nissen,  v.  Szekelt  u.  Szana,  Kruse  u.  Pan- 
sini,  Hankin  und  Kanthack,  Denys  und  Kaisin  gezeigt,  dass  das 
antiseptische  Vermögen  des  Blutes  künstlich  durch  Infektionen  herab- 
gemindert und  andererseits  erhöht  werden  kann,  ein  Beweis  dafür, 
dass  hier  Verhältnisse  des  lebenden  Blutes  in  Frage  kommen. 

Sechstens  glaubt  Lubaesch,  dass  extravasculäres  Kaninchenblut 
weit  mehr  Anthraxbacillen  zu  vernichten  vermöge,  als  zur  Tötung  des 
Tieres  bei  Injektion  in  den  Kreislauf  erforderlich  seien.  Buchner 
(M.  91.  33)  hat  dagegen  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  dass  die  Fixie- 
rung der  Milzbrandbacillen  in  den  Kapillaren  sie  vor  der  Einwirkung 
grösserer  Serummengen  schützt,  und  Bonaduce  hat  auf  weitere  Fehler- 
quellen in  der  LuBARSCH'schen  Rechnung  aufmerksam  gemacht. 

Die  schon  öfter  citierten  Untersuchungen  von  Denys  und  Kaisin 
haben  nun  aber  unsere  Kenntnisse  über  die  baktericiden  Stoffe  des 
lebenden  Körpers  noch  in  anderer  Weise  bereichert,  indem  sie  fest- 
stellten, dass  auch  in  den  Fällen,  wo  das  Blut  eines  immunen  Tieres 
(des  Hundes)  keine  abtötende  Wirkung  auf  Bakterien  (Milzbrand, 
B.  coli)  zeigt,  diese  sofort  (nach  2 — 4  Stunden)  hervortritt,  nachdem 
die  Infektion  mit  den  betreffenden  Mikroorganismen  erfolgt  ist.  Wir 
finden  also  die  oben  ausgesprochene  Möglichkeit,  dass  erst  im  Mo- 
mente der  Infektion  die  baktericiden  Substanzen  in  den 
Säften  erscheinen,  hierdurch  bewahrheitet.  Es  ist  dieser  Vorgang 
offenbar  als  eine  heilsame  Reaktion  des  Organismus  auf  eine 
Bakterieninvasion  aufzufassen.  Dass  diese  Reaktion  auch  durch  andere 
Reize  erhalten  werden  kann,  zeigt  die  Angabe  von  Pfeiffer  und 
Issaeff  (Z.  17.  399),  die  durch  Injektion  normalen  Meerschweinchen- 
serums die  bakterienfeindliche  Wirkung  des  Serums  von  anderen 
Meerschweinchen  erheblich  steigern  konnten.  Diese  Versuche  ver- 
dienten eine  Erweiterung  in  ausgedehntestem  Massstabe. 


Kruse,  Krankheitserregung.  401 

•  Über  die  Natur  der  im  Blutserum  vorhandenen  baktericiden  Sub- 
stanzen —  der  Alexine  Büchners  —  wissen  wir  namentlich  durch 
Büchner  und  seine  Schüler,  dass  sie  durch  Erhitzung  auf  55° — 60°  binnen 
il2- — 1  Stunde  zerstört,  durch  Zusatz  von  8 — 10  Teilen  destillierten 
Wassers  ihrer  Wirksamkeit  beraubt  werden.  Im  letzteren  Fall  be- 
wirkt aber  nachträgliche  Zufügung  von  Kochsalz  und  anderen  Salzen 
eine  mehr  oder  weniger  vollständige  Herstellung  der  Aktionskraft. 
Ein  starker  Sulfatzusatz  steigert  die  Wirkung  der  Alexine  und  erhöht 
deren  Resistenz  gegen  Erhitzung  um  10  Temperaturgrade  (A.  17.  173). 
Die  Fällung  der  Alexine  aus  Serum  gelingt  —  allerdings  mit  erheb- 
lichem Verlust  —  durch  40%  Natriumsulfat  (A.  17.  134),  nicht  mit 
Alkohol.1)  Neben  der  mikrobiciden  Fähigkeit  besitzt  das  aktive  Serum 
zugleich  eine  zerstörende  Wirkung  auf  rote  Blutkörperchen  einer 
fremden  Spezies  („globulicide"  Wirkung).  Die  Einreihung  der  Alexine  unter 
die  Eiweisskörper  hält  Büchner  nach  den  angegebenen  Reaktionen 
für  berechtigt.  Jedenfalls  handelt  es  sich  um  sehr  kompliziert  gebaute 
Substanzen,  denn  sonst  würden  wir  uns  kaum  die  ausserordentliche 
Yerschiedenheit  der  Alexine  bei  den  einzelnen  Tieren  erklären  können. 

Die  obigen  Angaben  über  den  Verlust  der  antibakteriellen  Eigen- 
schaften des  Serums  durch  Erhitzung  sind  von  den  meisten  Autoren 
bestätigt  worden,  in  manchen  Fällen  haben  sich  allerdings  Ausnahmen 
ergeben  (vgl.  Kruse  u.  Pansini,  Z.  11.  377;  Bonaduce,  Zi.  12.  366 
Pansini,  Zi.  12.  892).  Geschädigt  werden  übrigens  die  Alexine  schon 
durch  Aufenthalt  bei  37  °  während  einiger  Tage  und  durch  wochen- 
langes Stehen  bei  gewöhnlicher  Temperatur.  Die  Labilität  dieser  in- 
teressanten Stoffe  ist  also  eine  recht  bedeutende. 

Was  die  Herkunft  der  Alexine  anlangt,  so  wird  man  wohl  auf 
die  Zellen  zurückgehen  müssen.  In  der  That  haben  Hankin  (B.  M. 
90;  C.  9  und  10;  Z.  18)  sowie  Christmas  (P.  91)  und  Bitter  (Z.  12) 
aus  der  Milz  und  anderen  Organen  baktericide  Substanzen  labiler 
Natur,  die  freilich  nicht  alle  durch  Temperaturen  von  65  °  zerstört  werden, 

1)  Nach  Christmas  (P.  91)  und  Bitter  (Z.  12)  sind  auch  durch  Alkohol- 
fällung baktericide  Substanzen  aus  dem  Serum  darzustellen.  Ähnliches  berichten 
Emmerich,  Tstjboi,  Steinmetz  u.  Low  (C.  12),  die  auch  durch  Alkalizusatz  die 
erhitzten  Alexine  haben  regenerieren  wollen,  vgl.  dazu  Buchner  (C.  12). 

Mit  den  Alexinen  haben  wohl  nichts  gemein  die  Substanzen,  die  Ogata 
(C.  9.  597)  aus  Hundeblut  durch  Fällung  mit  Alkohol-Äther  und  Wiederauflösen 
in  Glycerin  gewonnen  hat  (nicht  bestätigt  von  Petermann,  P.  91.  8).  Auf 
bakterienfeindliche  Wirkungen  wurden  sie  nicht  geprüft,  erwiesen  sich  aber  in 
Tierversuchen  als  Schutzmittel  gegen  Milzbrand  u.  s.  w.  Einstündige  Erwärmung 
auf  45°  machte  sie  unwirksam  (vgl.  S.  344). 

Vaüghan  u.  Clintock  (Medical  News  93,  r:  C.  15.  13/14)  isolierten  aus  Blut- 
serum ein  „Nuklein"  mit  mikrobiciden  Eigenschaften. 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  26 


402  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

durch  Ausziehen  mit  Glycerin,  Fällung  mit  Alkohol  und  andere  Me- 
thoden dargestellt.  Sicher  sind  nicht  alle  Zellen  zur  Produktion  dieser 
Schutzstoffe  befähigt,  die  roten  Blutkörperchen  z.  B.  üben  geradezu 
einen  verderblichen  Einfluss  auf  das  baktericide  Vermögen  des  Serums 
aus.  Alle  Momente,  die  geeignet  sind,  dieselben  zu  zerstören,  begünstigen 
dadurch  mittelbar  die  Entwicklung  von  Bakterien.  Möglicherweise 
hängt  diese  Eigenschaft  mit  dem  Mangel  des  Kerns  zusammen.  Der  Kern 
spielt  ja  auch  in  anderen  Beziehungen  die  wichtigste  Rolle  im  Leben  der  Zelle, 
die  Untersuchungen  Vaughan's  (Medic.  News  93. 15—26)  und  H.Kossel's 
(D.  94.  7)  über  die  bakteriellen  Kräfte  des  Nukleins  und  der  Nukleinsäuren 
scheinen  dafür  zu  sprechen,  dass  er  auch  im  Kampfe  der  Zelle  gegen 
die  Bakterien  Anteil  nimmt.  Die  Nukleine  selbst  können  allerdings 
schon  wegen  ihrer  grossen  Resistenz  mit  den  Alexinen  nicht  identisch  sein; 
ob  sie  etwa  einen  Bestandteil  der  letzteren  darstellen,  ist  unbekannt. 
Die  Frage  nach  dem  baktericiden  Wert  der  Kernsubstanzen  ge- 
winnt dadurch  eine  besondere  Bedeutung,  weil  eine  Reihe  von  Er- 
fahrungen zu  beweisen  scheint,  dass  diejenige  Gruppe  von  Zellen,  die 
durch  Reichtum  an  Kernsubstanz  und  zwar  oft  von  zerfallenden  Kern- 
elementen ausgezeichnet  ist,  nämlich  die  Lymphzellen  und  Leukocyten 
des  Blutes,  sich  Bakterien  gegenüber  nicht  indifferent  verhalten.  Sie 
sind  es  gerade,  die  am  Entzündungsprozess  den  bedeutendsten  Anteil 
nehmen,  auf  sie  vor  allem  wird  sich  also  die  Aufmerksamkeit  lenken, 
wenn  man  die  Entzündung  als  heilsamen  Vorgang  betrachtet  (vgl.  S.  350  ff. ). 
Experimentell  ist  die  schädliche  Wirkung  der  Eiterkörperchen  zuerst 
beobachtet  worden  von  v.  Christmas-Dircking-Holmsfeld  (F.  87.  13), 
der  Milzbrandbacillen  in  dem  von  immunen  Tieren  gewonnenen  Eiter  zu 
Grunde  gehen  sah.  Geawitz  (V.  116)  u.  Eichel  (V.  121)  haben  eben- 
falls im  keimfreien  Terp entin eiter  Staphylokokken  und  Milzbrandbacillen 
im  Laufe  weniger  Tage  absterben  sehen.  Die  genannten  Autoren 
konnten  dabei  eine  aktive  Bethätigung  der  Eiterzellen  durch  Aufnahme 
von  Keimen  ausschliessen,  sie  haben  aber  die  Versuche  nicht  mit  Er- 
hitzung des  Eiters  wiederholt,  so  dass  der  Anteil  von  Alexinen  an  der 
Vernichtung  der  Bakterien  nicht  festzustellen  ist.  Neuerdings  ist  in  dieser 
Frage  durch  andere  Beobachter  ein  Fortschritt  erzielt  worden.  Dents 
u.  Havet  (Cellule  10.  1),  sowie  Büchner  (M.  94.  25)  haben  durch 
sterilisierte  Bakterienkulturen,  oder  durch  Weizenkleberlösungen  Exsudate 
erzeugt  und  deren  baktericide  Wirkungen  viel  grösser  gefunden,  als 
wenn  sie  die  reichlich  darin  vorhandenen  Leukocyten  davon  abfiltrierten 
oder  das  zellfreie  Blutserum  damit  verglichen.  Nach  Buchner  ist  es 
leicht,  durch  Gefrieren  des  Exsudats  die  Leukocyten  abzutöten:  auch 
in  diesem  Falle  erfolgt  die  Bakterienvernichtung  mindestens  ebenso 
kräftig,  als  im  unveränderten  Exsudat,  wird  aber  durch  Erhitzung  auf  60  ° 


Kruse,  Krankheitserregung.  4Q3 

aufgehoben.  Es  werden  also  aus  den  Leukocyten  den  Alexinen 
ähnliche  Substanzen  frei,  welche  den  erhöhten  Effekt  be- 
dingen. Auch  die  neuen  Resultate  von  van  de  Velde  (Cellule  10. 2)  und 
M.  Hahn  (A.  25.  2)  bestätigen  diesen  Satz.  Darin  liegt  der  erste  sichere 
Beweis  dafür,  dass  die  Entzündung  eine  Einrichtung  des  Körpers 
darstellt,  welche  dazu  dient,  den  in  jedem  Gewebe  vorhan- 
denen Abwehrstoffen  Hilfskräfte  zuzuführen.  Manche  Autoren 
sind  noch  weiter  gegangen  und  wollen  die  Alexine  überhaupt  von  den 
Leukocyten  ableiten;  Hankin  (C.  12.  22/23  u.  14.  25)  bezeichnet  eine 
Gruppe  von  Leukocyten  geradezu  als  „alexocytes".  Es  ist  das 
eine  Theorie,  die  allerdings  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  hat:  man 
müsste  natürlich  annehmen,  dass  schon  im  normalen  Zustande  des  Or- 
ganismus —  vielleicht  durch  den  regelmässig  stattfindenden  Leukocyten- 
zerfall  —  die  betreffenden  Substanzen  frei  werden  und  den  ganzen 
Körper  durchdringen;  denn  die  Bakterien  finden  in  der  Regel,  wie  wir 
oben  sahen,  die  Alexine  im  Gewebe  vorgebildet.  Allgemeine  Leuko- 
cytose  müsste  nach  dieser  Annahme  die  baktericide  Fähigkeit  des  Blutes 
steigern.  In  der  That  haben  Dents  u.  Kaisin  beim  Hunde  nach  Milz- 
brandinfektion Hyperleukocytose  und  Vermehrung  der  Alexine  Hand  in 
Hand  gehen  sehen.  Eveeaed,  Massäet  u.  Demooe  (P.  93),  sowie  Sana- 
eelei  (P.  93)  konstatierten  bei  einer  Reihe  von  Infektionen,  wenn  die- 
selben in  Heilung  ausgingen,  Hyperleukocytose  (vgl.  S.  288),  frühere 
Forscher  in  ähnlichen  Fällen  Vermehrung  des  antibakteriellen  Ver- 
mögens des  Blutes  (vgl.  413).  Von  den  Leukocytose  verursachenden 
Substanzen,  die  zugleich  immunisierend  wirken,  haben  wir  schon 
S.  345  ff.  gesprochen  und  werden  bei  Gelegenheit  der  Erklärungsver- 
suche der  nicht  spezifischen  Immunität  darauf  zurückkommen.  Alle 
diese  Thatsachen  berechtigen  wohl  dazu,  die  Möglichkeit  des  Ursprungs 
der  Alexine  aus  den  Leukocyten  festzuhalten,  der  sichere  Beweis  dafür 
fehlt  und  ist  auch  von  Boedet  (P.  95.  6)  nicht  erbracht  worden.  Nach 
ihm  ist  die  baktericide  Eigenschaft  des  Blutserums  wesentlich  auf  die 
Schädigung  der  Leukocyten  durch  den  Vorgang  der  Koagulation  im 
Reagensglas  zurückzuführen,  im  Transsudate  von  demselben  Tier,  das 
durch  künstliche  Stauung  gewonnen  wird,  gehen  dagegen  weniger 
Leukocyten  zu  Grunde  und  es  zeigt  geringeres  mikrobicides  Vermögen. 
Wird  durch  Injektion  von  Karmin  eine  Hypoleukocytose  hervorgerufen, 
so  hat  das  aus  diesem  Blut  durch  Koagulation  im  Reagensglas  abge- 
schiedene Serum  eine  geringere  antibakterielle  Kraft  als  normales  Blut- 
serum. Die  Beteiligung  der  Leukocyten  an  der  Alexinbildung  wird 
durch  diese  Experimente  zwar  wieder  bewiesen,  aber  die  Herkunft  aus 
anderen  Quellen  noch  nicht  ausgeschlossen.  Übrigens  ist  Boedet's 
Methode    nicht   ganz  einwandfrei:    das  Stauungsserum   kann  nicht  gut 

26* 


404  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

mit  dem  Blutserum  verglichen  werden,  weil  das  erstere  nach  der  eigenen 
Angabe  des  Autors  zahlreiche  rote  Blutkörper,  die  bekanntlich  auf  die 
Alexine  ungünstig  wirken,  enthielt,  das  letztere  aber  vollständig  zellen- 
frei war.  Es  wäre  wünschenswert,  dass  ähnliche  vergleichende  Ver- 
suche am  Menschen  angestellt  würden,  die  an  natürlichen  Stauungs- 
transsudaten  leiden. 

Die  wichtige  Rolle  der  Leukocyten  und  der  Entzündung  wurde 
auch  von  anderen  Seiten  hervorgehoben,  aber  durchaus  verschieden  inter- 
pretiert. So  schreibt  Ribbert  *)  dem  Leukocytenmantel,  der  sich 
um  die  auskeimenden  Schimmelpilzsporen  im  Kaninchenkörper  bildet, 
eine  grosse  Bedeutung  zu,  die  hauptsächlich  in  mechanischer  Behinde- 
rung des  "Wachstums  und  in  Sauerstoffabschluss  bestände.  Viel  wich- 
tiger für  die  ganze  Entwicklung  der  Immunitätslehre,  weil  sie  den 
Forschungen  eine  mächtige  Anregung  gaben,  wurden  die  Anschauungen 
Metschnikoff's  über  die  Phagocytose.2)  Nach  Metschnikoff's 
Theorie  sind  die  Wanderzellen,  besonders  die  Leukocyten  des  Blu- 
tes, die  wahren  Kampforgane  des  tierischen  Körpers,  die  sich  den  ein- 
dringenden Mikroben  entgegenwerfen,  sie  „auffressen"  und  durch  intra- 
celluläre  Verdauung  unschädlich  machen.  Auf  dieser  Fähigkeit  der 
Phagocyten  beruht  die  —  natürliche  wie  künstliche  —  Immunität, 
auf  der  Lähmung  derselben  durch  spezifische  Giftstoffe  die  Wirkung 
der  virulenten  Bakterien  im  empfänglichen  Tier.  Diese  ursprüngliche 
Theorie  hat  weiterhin  Vervollständigungen  erfahren,  besonders  nach 
zwei  Seiten:  das  Verdauungsvermögen  der  Phagocyten  war  eine  Vor- 
aussetzung, die  nie  bewiesen,  sondern  nur  auf  Grund  der  analogen 
Eigenschaft  einzelliger  Tiere  aufgestellt  worden  ist.  Die  Fähigkeit  der 
Bakterien,  verdaut  zu  werden,  ist  ebenfalls  sehr  zweifelhaft.  Die  neuere 
Entwicklung  unserer  Kenntnisse  von  den  Alexinen  hat  die  ursprüng- 
liche METSCHNiKOFF'sche  Lehre  von  der  Verdauungsthätigkeit  der  Phago- 
cyten insofern  modifiziert,  als  den  Phagocyten  jetzt  ein  spezifisches  bak- 
tericides  Vermögen  zugeschrieben  wird. 

Während  ferner  früher  das  Erscheinen  der  Phagocyten  auf  dem 
Kampfplatze  bei  immunen  Tieren  und  ihr  Fernbleiben  bei  empfäng- 
lichen etwas  Mystisches  an  sich  hatte,  haben  die  Untersuchungen  von 
Pfeffer  (Botan. Institut.  Tübingen  88),  Leber  (F.  88. 463),  Pekelharing 


1)  Untergang  pathogener  Schimmelpilze  im  Körper.    Bonn  87  und  D.  85.  31. 

2)  Metschnikoff  ,  Arbeiten  d.  zoolog.  Instituts.  Wien  83;  V.  96  (Spross- 
pilzkrankheit der  Daphnien) ;  V.  97  (Milzbrand) ;  V.  107  (Erysipel) ;  V.  109  (Recurrens) ; 
V.  113  (Tuberkulose);  V.  114  (Milzbrand);  P.  87—95  (zahlreiche  Arbeiten  und 
Kritiken  von  Metschnikoff  und  seinen  Schülern);  Hess  (V.  109);  Ltjbarsch  (Z. 
M.  18  u.  19)  mit  vollständiger  Litteratur  bis  1891;  Roux,  P.  91  u.  94.  Vgl.  ferner 
Batjmgarten,  L.;  Zi.  7;  Z.  M.  15;  Bitter,  Z.4;  Buchner,  M.  91.  32/33;  M.  94.  37. 


Kruse,  Krankheitserregung.  405 

(S.  89),  Massaet  und  Bobdet  *),  Gabritschewsky  (P.  90),  Büchner  (B. 
90.  30  u.  47)  über  Chemotaxis  gezeigt,  dass  die  Bakterien  selbst  durch 
Produktion  positiv  chemotaktischer  Stoffe  die  Leukocyten  anlocken  und 
durch  negative  Chemotaxis  fernhalten.2)  Nach  Massart  wären  im 
allgemeinen  die  virulenten  Bakterien  schwächer  chemotaktisch  wirk- 
sam, als  die  abgeschwächten,  eine  Beobachtung,  die  mit  den  Forde- 
rungen der  METSCHNiKOEE'schen  Lehre  übereinstimmt.  Die  negative 
Chemotaxis  kann  man  nach  demselben  Autor  entweder  erklären  durch 
grössere  Koncentration  desselben  Stoffes,  der  in  geringerer  Menge  Leu- 
kocyten anlockt,  oder  durch  Produktion  einer  immer  abstossend  wir- 
kenden Substanz  (Gift  nach  Metschnikoff).  Einige  Ausnahmen  von 
dem  obigen  Satze  bestehen  übrigens,  so  hat  Massart  gefunden,  dass 
der  virulente  Diphtheriebacillus  stärker  chemotaktisch  wirkt,  als  der 
nicht  virulente,  und  nach  Kruse  u.  Pansini  (Z.  11)  locken  hochinfek- 
tiöse und  abgeschwächte  Pneumokokken  gleich  stark  Leukocyten  an, 
Thatsachen,  mit  denen  es  wohl  zusammenhängt,  dass  sowohl  bei  Diph- 
therie als  auch  bei  schwerster  Pneumokokkeninfektion  die  örtliche 
Leukocytenansammlung  eine  sehr  erhebliche  ist.  Bei  der  Diphtherie 
liegt  der  Grund  dafür,  wie  es  scheint,  in  der  chemotaktischen  Eigen- 
schaft des  spezifischen  Diphtheriegiftes,  bei  Pneumonie  vielleicht  in 
dem  schnellen  Absterben  der  Infektionserreger.  Wissen  wir  doch 
durch  Buchner,  dass  die  positiv  chemotaktischen  Substanzen 
der  Bakterien  aus  deren  Körper  beim  Absterben  frei  werden 
(vgl.  S.  279  ff.). 

Wenn  man  auch  zugeben  muss,  dass  durch  diese  neueren  Er- 
rungenschaften die  Phagocytentheorie  entschieden  an  Klarheit  ge- 
wonnen hat,  und  wenn  auch  feststeht,  dass  der  Prozess  der  Pha- 
gocytose  ausserordentlich  weit  verbreitet  ist  und  gerade  da 
regelmässig  sich  einstellt,  wo  die  Infektion  für  den  Organis- 
mus eine  günstige  Wendung  nimmt,  d.  h.  im  relativ  unem- 
pfänglichen Tier  und  bei  relativ  schwachem  Virus,  während  er 
zu  fehlen  oder  zurückzutreten  pflegt  bei  raschem,  siegreichem 


1)  Massaet  u.  Bordet,  Recherches  sur  l'irritabilite  des  leucocytes  et  sur 
Intervention  de  cette  irritabilite  dans  la  nutrition  des  cellules  et  dans  l'inflammation. 
Bruxelles  90  und  P.  91;  ferner  Massart,  P.  92  und  Bordet,  Communication  faite 
ä  la  Societe  Royale  des  sciences  medicales  et  naturelles  de  Bruxelles,  seance 
d.  13.  VI.  92. 

2)  Die  Versuchsanordnung  ist  die  folgende :  Kapillarröhrchen  werden  mit  den 
flüssigen  Kulturen  gefüllt,  an  einem  Ende  zugeschmolzen,  in  das  Gewebe  von 
Tieren  eingeschoben  und  nach  verschieden  langer  Zeit  (z.  B.  24  Std.)  herausgezogen. 
Bei  positiver  Chemotaxis  hat  sich  dann  an  dem  offenen  Ende  der  Kapillaren  ein 
Pfropf  von  Leukocyten  gebildet,  der  verschiedene  Länge  hat. 


406  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Verlauf  der  Infektion  !),  so  ist  nichtsdestoweniger  die  Auslegung, 
die  Metschnikoee  diesen  Vorgängen  giebt,  eine  im  wesentlichen 
irrige.  Die  Frage,  ob  eine  Infektion  an  einem  bestimmten  Orte 
günstig  oder  ungünstig  endet,  ist  schon  entschieden,  bevor  die  Phago- 
cytose  in  ausgedehnterem  Grade  eingetreten  ist,  und  zwar  entschieden 
erstens  durch  die  baktericiden  Eigenschaften  des  Gewebes  im 
Momente  der  Infektion  (vgl.  S.  397)  und  zweitens  durch  die  Hilfe, 
die  dem  Gewebe  in  der  entzündlichen  Reaktion,  mit  anderen  Worten 
in  der  secernierenden  Thätigkeit  der  herzugewanderten  Leuko- 
cyten erwachsen  ist  (vergl.  S.  402 ff).  Je  grösser  die  Unempfäng- 
lichkeit  des  Organismus  im  Verhältnis  zum  Virus,  desto 
eher  genügt  schon  das  erstgenannte  Moment  zur  Abwehr;  je 
grösser  die  Empfänglichkeit,  desto  mehr  kommt  das  zweite 
zur  Geltung;  im  empfänglichsten  Organismus  sind  beide 
Schutzeinrichtungen  unzureichend.  Die  Phagocytose  kann 
ohne  Zweifel  schon  beginnen,  während  der  Kampf  noch  tobt,  sie 
erreicht  aber  sicher  ihren  Höhepunkt  erst  nach  dem  Ende  desselben. 
Diese  Sätze  sind  nachgerade  durch  die  zahlreichen  Forschungen,  die 
durch  die  METSCHNiKOJFF'sche  Hypothese  angeregt  worden  sind,  als  be- 
wiesen anzusehen.  Es  ist  schon  lange  zweifellos,  dass  Infektionserreger 
im  Körper  in  ihrem  Wachstum  gehemmt  und  vernichtet  werden 
können,  ohne  in  Leukocyten  aufgenommen  zu  sein.  Früher  hat  man 
ausschliesslich  die  baktericiden  Eigenschaften  der  Säfte  dafür  verant- 
wortlich machen  wollen,  neuerdings  wurde  die  Mitwirkung  der  Leuko- 
cyten an  dem  Kampfe  gut  beglaubigt,  aber  wohl  gemerkt  nur  in  dem 
Sinne,  dass  der  Wert  der  Leukocyten  wesentlich  in  ihren  Sekretionen, 
nicht  in  ihrer  Fressthätigkeit  besteht.  Die  ersteren  kommen  viel 
schneller  zur  Wirkung,  als  die  letztere. 

Selbstverständlich  ist  die  Vorstellung,  dass  die  Aufnahme  der  Bak- 
terien in  die  Leukocyten,  also  die  Phagocytose,  die  Unschädlich- 
machung derselben  vollenden  kann,  nicht  von  der  Hand  zu  weisen. 
Metschnikoee's  Experimente  mit  Kultivierung  leukocytenhaltigen 
Exsudats  im  hängenden  Tropfen  haben  ad  oculos  demonstriert,  dass 
nicht  etwa  nur  tote  Bakterien  der  Phagocytose  zum  Opfer  fallen. 
Sehr  viele  Bakterien  beschliessen  ihr  Leben  erst  im  Körper  der  Phago- 
cyten;  die  Stoffe,  die  da  wirken,  sind  mit  den  Sekretionsprodukten 
der  Leukocyten  wahrscheinlich  identisch.  In  manchen  Fällen,  in 
denen  die  Mikroorganismen  grosse  Virulenz  besitzen,  folgt  freilich  der 


1)  An  der  Richtigkeit  dieser  Sätze  ist  gar  nicht  zu  zweifeln,  sie  wären  auch 
schon  längst  allgemein  anerkannt  worden,  wenn  nicht  ihr  Verfechter  Metschni- 
koff  zu  sehr  die  ausschliessliche  Bedeutung  der  Phagocytose  betont  hätte. 


Kruse,  Krankheitserregung.  407 

intracellulären  Aufnahme  eine  Vermehrung  der  Keime  und  die  Zer- 
störung der  Wirtszellen  (Mäuseseptikämie,  Gonorrhoe,  Tuberkulose). 
Der  Vorgang  der  Inkorporierung  von  Bakterien  in  Leukocyten  ist  in 
seinen  Einzelheiten  noch  nicht  vollständig  aufgeklärt,  die  verschiedenen 
Spezies  scheinen  sich  nicht  gleich  gut  zur  Aufnahme  zu  eignen.  Es 
kommen  da  wohl  bakterielle  Stoffe  in  Betracht,  die  mit  den  chemo- 
taktisch wirkenden  durchaus  nicht  identisch  zu  sein  brauchen,  z.  B.  hat 
van  de  Velde  (Cellule  10.  2)  in  Staphylokokkenkulturen  eine  bei 
60°  schnell  zerstörte  Substanz  gefunden,  das  „Leuko eidin",  das  die  Be- 
wegungen der  Leukocyten  in  kürzester  Zeit  zum  Stillstand  bringt  und 
sie  dann  abtötet. 

Wenn  wir  somit  der  Phagocytose  entgegen  Metschnikoee  nur 
sekundären  Wert  zuschreiben  können,  so  stimmen  wir  doch,  wie  man 
gesehen  hat,  mit  den  Anschauungen  dieses  Forschers  (Festschr.  für 
Virchow,  Berlin  91.  II)  über  die  teleologische  Rolle  der  Entzündung 
überein  und  billigen  seinen  Versuch  einer  phylogenetischen  Ableitung 
derselben.  Metschnikoee  gebührt  unstreitig  das  Verdienst,  die  Be- 
deutung der  Leukocyten  als  der  mobilen  Truppen  des  Organismus 
zuerst  betont  und  energisch  verfochten  zu  haben. 

II.  Worauf  die  natürliche  Immunität  gegenüber  den  Bak- 
teriengiften beruht,  ist  unbekannt.  Die  Unterschiede  zwischen  den 
einzelnen  Tierspezies  sind  hier  übrigens  lange  nicht  so  bedeutend,  wie 
bei  der  Immunität  gegen  die  lebenden  Keime.  Es  handelt  sich  mehr 
um  quantitative  Differenzen  der  Empfänglichkeit.  Fertig  in  den  Säften 
gelöste  Stoffe  scheinen  kaum  in  Betracht  zu  kommen,  so  dass  man 
keine  Ursache  hat,  mit  Hankin  (C.  10.  704)  von  „Toxo-Phylaxinen" 
oder  „Toxo-Alexinen"  zu  reden.  Manche  Erfahrungen  scheinen  dafür 
zu  sprechen,  dass  einzelne  Organe,  besonders  nuklein-reiche ,  wie  die 
Thymus,  Lymphdrüsen  u.  s.  w.,  ein  antitoxisches  Vermögen  besitzen, 
ähnlich  wie  es  für  andere  Organe,  z.  B.  die  Leber  gegenüber  anderen 
Giften,  nachgewiesen  ist  (vgl.  S.  330  u.  354).  In  manchen  Fällen, 
nämlich  bei  Giften,  die  nur  auf  Zellen  bestimmter  Art  wirken,  wie 
das  Tetanusgift  auf  die  Zellen  des  centralen  Nervensystems,  wird  die 
Intensität  der  Giftwirkung  ausschliesslich  von  der  Zusammensetzung  der 
letzteren  abhängen. 

III.  Wodurch  werden  die  virulenten  (infektiösen)  Bakterien  befähigt, 
im  tierischen  Organismus  trotz  der  Abwehreinrichtungen  desselben  zu 
wachsen,  worin  besteht  die  sog.  Virulenz  oder  Infektiosität?  Nur 
sehr  wenige  Autoren  haben  sich  ernstlich  mit  dieser  Frage  beschäftigt. 

1.  Man  könnte  daran  denken,  dass  die  Zusammensetzung  des 
Protoplasmas,  die  Konstitution  der  Moleküle  bei  den  virulenten 
Bakterien  eine  derartige  ist,  dass  keine  Schädigung  ihrer  Lebensthätig- 


408  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

keit  durch  die  Alexine  bewirkt  wird.   Wenn  wir  diese  Annahme  machen 
wollten,  hiesse  das  von  vornherein  auf  ein  Verständnis  verzichten. 

2.  Schon  näher  liegt  uns  die  Vorstellung,  dass  eine  grössere  Resistenz 
bedingt  würde  durch  die  Ausbildung  von  Schutzvorrichtungen, 
etwa  von  Hüllen,  welche  die  Bakterien  umgeben.  Dann  müsste  man 
folgern,  dass  die  infektionstüchtigen  Bakterien  sich  auch  im  allgemeinen 
gegenüber  den  Antisepticis  widerstandsfähiger  erweisen,  als  die  abge- 
schwächten und  saprophytischen.  Als  Regel  ist  das  durchaus  nicht  der 
Fall,  wenn  auch  Flügge  u.  Smiknow  (Z.  4)  für  einige  künstlich  ab- 
geschwächte Bakterien  den  Nachweis  haben  führen  können,  dass  sie 
schädigenden  Einflüssen  leichter  erlagen  als  die  infektiösen  Varietäten. 
Behring  hat  aber  für  einzelne  Kulturen  des  Milzbrandbacillus  geradezu 
umgekehrte  Verhältnisse  gefunden  (Z.  6).  Auch  die  künstlich  abge- 
schwächten Pneumoniekokken  sind  resistenter  als  die  virulenten  (Kruse 
u.  Pansini,  Z.  11). 

3.  Es  könnte  sich  um  eine  Eigenschaft  der  lebenden  Mole- 
küle der  virulenten  Mikroorganismen  handeln,  die  letztere  befähigt, 
die  Alexine  des  tierischen  Gewebes  etwa  durch  Zersetzung  zu  neu- 
tralisieren. Dadurch  wäre  die  Virulenz  dem  Gährvermögen  der  Hefe- 
zellen und  vieler  Bakterien  analog.  Abschwächung  wäre  nichts  anderes 
als  ein  Verlust  dieser  Fähigkeit,  dessen  Möglichkeit  auch  für  die 
Gährungserreger  nachgewiesen  ist.  Wir  würden  diese  Erklärung  zu  der 
unserigen  machen,  wenn  nicht  gewichtige  Gründe  dafür  sprächen,  dass 

4.  spezifischeBakterienprodukte  es  sind,  denen  die  Eigen- 
schaft zukommt,  die  Alexine  unschädlich  zu  machen.  Schon 
Gamaleia  (P.  88)  und  Behring  (Z.  6.  138)  haben  zwischen  den  viru- 
lenten und  abgeschwächten  Varietäten  des  Milzbrands  Unterschiede  in 
ihren  chemischen  Wirkungen  gefunden,  die  in  stärkerer  Säurebildung 
bei  den  ersteren  bestanden;  den  letzteren  sind  dagegen  nach  Behring 
reduzierende  Fähigkeiten  eigen.  Konstant  sind  diese  Differenzen  nicht, 
so  konnten  Kruse  u.  Pansini  (Z.  11.  317  u.  323)  bei  Pneumonie- 
diplokokken und  Pasquale  bei  Streptokokken  (Z.  12.  460  u.  464/65) 
regelmässige  Beziehungen  zwischen  dem  Grade  der  Säurebildung  oder 
Reduktionswirkung  und  der  Virulenzstufe  nicht  konstatieren.  Dagegen 
dürfte  uns  die  Analogie  zwischen  den  enzymbildenden  und  virulenten 
Mikroorganismen  weiterführen.  Sowohl  die  Eigenschaft  der  Enzym- 
bildung als  die  Virulenz  kann  dem  Grade  nach  variieren  und  ganz 
verloren  gehen  und  zwar  durch  dieselbe  künstliche  Behandlung  der 
Kulturen  (Fortzüchtung  in  künstlichen  Nährböden,  Einwirkung  von 
Hitze  und  Antisepticis  vgl.  Kap.  „Variabilität"). 

Es  liegt  der  Schluss  nahe,  dass  auch  die  virulenten  Bakterien  ihre 
Wirksamkeit   bestimmten  Substanzen  verdanken,    die    sie    secernieren, 


Kruse,  Krankheitserregung.  409 

wie  die  Enzyme  von  den  Saprophyten  secerniert  werden.  Ob  aller- 
dings die  spezifischen  Produkte  der  infektiösen  Bakterien  auf  die 
Alexine  wie  Fermente  wirken  (katalytisch),  oder  ob  sie  die  Wirkung 
der  Alexine  dadurch,  dass  sie  sich  mit  ihnen  zu  unschädlichen  Stoffen 
verbinden,  paralysieren,  muss  vorläufig  noch  unentschieden  bleiben  — 
nennen  wir  sie  Angriffsstoffe  oder  Lysine.  Schon  mehrfach  (vgl. 
S.  336  u.  362)  haben  wir  auf  das  Vorhandensein  solcher  Substanzen  hin- 
weisen müssen.  Die  begünstigenden  Stoffe,  die  sich  nach  Bouchard  und 
seinen  Schülern  in  den  Bakterienkulturen  gelöst  finden,  sind  wahrschein- 
lich nichts  anderes  als  unsere  Lysine.  In  den  toten  Leibern  der  Milzbrand- 
bacillen  hat  Kruse  mitBoNADUCE  (Zi.  12.  366 ff)  lytische  Kräfte  nachge- 
wiesen und  zwar  sowohl  im  Serum  ausserhalb  der  Gefässe,  als  im  lebenden 
Körper.  Dass  es  sich  hier  um  spezifische  Substanzen  handelt,  bedarf 
freilich  noch  ausgedehnterer  Beweise.  Eine  schöne  Bestätigung  dafür 
ist  schon  in  einem  älteren  Experiment  Nissen' s  (Z.  6)  enthalten,  ohne 
dass  der  Autor  seine  Beobachtung  in  unserem  Sinne  verwertet  hätte. 
Nach  Injektion  grosser  Mengen  vonKokkus  aquatilis  in  das  cirkulierende 
Blut  fand  Nissen,  dass  das  defibrinierte  Blut  seine  keim  vernichtende 
Eigenschaft  gegenüber  dem  letzteren  Bakterium  verloren  hatte,  nicht 
gegenüber  dem  Cholerabacillus;  nach  Einspritzung  des  Cholerabacillus 
ergab  sich  gerade  das  entgegengesetzte  Resultat.  Bei  einem  ähnlichen 
Versuch  mit  Staphylokokken  und  B.  aerogenes  konstatierte  zwar  Bastin 
(Cellule  8.  2),  dass  diese  Bakterien  bezüglich  ihrer  Wirkung  auf  das 
baktericide  Vermögen  des  Blutes  sich  gegenseitig  vertreten,  es  ist  dies 
aber  kein  Gegenbeweis  gegen  unsere  Theorie,  weil  wir  wissen,  dass  es 
zahlreiche  Kombinationen  zwischen  Bakterien  verschiedener  Art  giebt, 
die  virulenzsteigernd  wirken  (s.  S.  313  Mischinfektion).  Die  lytischen  Sub- 
stanzen des  Aerogenes  werden  denen  des  Staphylokokkus  in  -gewissem 
Grade  gleichwertig  sein. l)     Für  die  Existenz  von  Lysinen  spricht  ferner 


1)  In  einer  sehr  interessanten  Arbeit  beschäftigt  sich  van  de  Velde  (Cellule 
10.  2.  1894)  mit  dem  Mechanismus  der  Virulenz  von  Eiterstaphylokokken.  Er 
bestätigt  zunächst  die  Existenz  von  Lysinen  in  den  Kulturen  durch  Versuche  mit 
Serum,  dem  im  Reagensglas  filtrierte  Kulturen  zugesetzt  werden.  Dann  wirft  er 
die  Frage  auf,  ob  Lysine  in  gleicher  Menge  von  virulenten  und  abgeschwächten 
Staphylokokken  gebildet  werden,  was  er  durch  ein  Experiment,  in  dem  wieder 
filtrierte  eintägige  Bouillon  benutzt  wird,  im  positiven  Sinne  entscheiden  zu  können 
glaubt .  Neben  den  Lysinen  findet  der  Autor  —  ebenfalls  in  gleichen  Mengen  — 
bei  beiden  Varietäten  das  leicht  zerstörbare  Leukocidin.  Dasselbe  betrachtet  er  gleich 
den  ersteren  zwar  als  Hilfsmittel  im  Kampfe  gegen  den  Organismus,  das  wahre 
Wesen  der  Virulenz  soll  aber  in  der  Resistenz  der  Bakterien  gegenüber  den 
baktericiden  Substanzen  bestehen.  Eine  Wiederholung  dieser  Versuche  mit  nicht 
filtrierten  Kulturen  ist  dringend  notwendig.  Wie  leicht  diese  „Resistenz"  übrigens 
vor  den  Antilysinen  auch  im  Reagensglas  verschwindet,  werden  wir  gleich  sehen. 


410  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

der  Umstand,  dass  einige  Zeit  nach  dem  Beginn  einer  tötlichen  In- 
fektion der  baktericide  Effekt  des  dem  betreffenden  Tiere  entzogenen 
Blutserums  gegenüber  dem  Erreger  erheblich  geschwächt  oder  gänzlich 
geschwunden  erscheint  (vgl.  Flügge,  Z.  4.  229;  Szekelt  u.  Szana, 
C.  12;  Lubarsch,  Z.  M.  19.  363).  Durch  die  Annahme  lytischer  Sub- 
stanzen erklärt  sich  auch  der  Einfluss  der  Menge,  in  der  die  Bak- 
terien zur  Wirkung  gelangen.  Was  den  einzelnen  Individuen  an  der 
Fähigkeit,  Lysine  zu  bilden,  abgeht,  wird  durch  die  grössere  Masse 
ersetzt.  Die  wichtigsten  Belege  für  unsere  Ansicht  ergeben  sich  aber 
vor  allem  aus  den  Verhältnissen,  denen  wir  im  immunisierten  Organis- 
mus begegnen,  aus  der  nachweisbaren  Existenz  der  „Antilysine"  (s.  später 
unter  Nr.  V). 

Über  die  Natur  der  Lysine  ist  vorläufig  nichts  näheres  auszusagen. 

IV.  Es  handelt  sich  jetzt  zunächst  darum,  die  künstliche,  nicht 
spezifische  Immunität  zu  erklären,  die  Thatsachen  verständlich  zu 
machen,  die  über  die  Erhöhung  und  Herabsetzung  der  Empfänglichkeit 
bei  den  Wirtsorganismen  bekannt  sind  (vgl.  S.  332  u.  341  ff). 

Der  Fall,  wo  durch  Hinzutreten  eines  anderen  Bakteriums  zu  dem 
ursprünglichen  Infektionserreger  die  Chancen  des  letzteren  verbessert 
werden,  wurde  eben  schon  auf  das  Vorhandensein  gleichwertiger  lyti- 
scher Produkte  beider  Mikroorganismen  zurückgeführt.  Auch  die 
Mittel,  welche  die  Vitalität  des  Infektionsmaterials  schädigen  oder  seine 
Entfernung  aus  dem  angegriffenen  Körper  bezwecken,  sind  in  ihrer 
Wirkung  ohne  weiteres  verständlich. 

Wenn  die  Alexine  ferner  Stoffe  sind,  die  von  den  Zellen  produziert 
werden,  so  ist  klar,  dass  jede  Verbesserung  oder  Verschlechterung  des 
allgemeinen  Stoffwechsels  einen  günstigen  bez.  ungünstigen  Einfluss 
auf  die  Resistenz  des  Körpers,  auf  den  Vorrat  an  schützenden  Sub- 
stanzen haben  wird.  Die  Energie  der  Zelle,  die  Beschaffenheit  ihrer 
Sekretion  hängt  selbstverständlich  von  ihrer  normalen  Ernährung 
und  der  normalen  Inanspruchnahme  ihrer  Funktion  ab.  Ob  es  Arznei- 
oder Nahrungsmittel  giebt,  die  imstande  sind,  auf  die  Produktion  oder 
Sekretion  von  Alexinen  direkt  einzuwirken,  wissen  wir  nicht. 

Die  Reagierfähigkeit  des  Organismus  auf  infektiöse  Reize  durch 
Vermittlung  der  Entzündung  und  ihrer  hauptsächlichsten  Träger,  der 
Leukocyten,  haben  wir  weiterhin  als  das  wichtigste  Hilfsmittel  er- 
kannt zur  Bekämpfung  der  Infektionserreger.  Diejenigen  Fälle  von 
Misch infektionen,  die  eine  günstige  Beeinflussung  des  Prozesses  er- 
kennen lassen,  verlaufen  unter  dem  Bilde  einer  intensiven  Entzündung. 
Diejenigen  nicht  organischen  (und  nicht  spezifischen)  Stoffe,  die  gegen 
eine  Infektion  Schutz  verleihen,  rufen,  wie  es  scheint,  immer  eine  lokale 


Kruse,  Krankheitserregung.  411 

Leukocytose  hervor  (vgl.  Metschnikoff,  Issaeff,  Z.  16).  Auch  die 
allgemeine  Leukocytose  ist  eine  wichtige  Erscheinung,  wie  die  Wir- 
kung von  Bakterienextrakten,  Seruminjektion,  die  Pilocarpin-  und  Fer- 
mentbehandlung beweist  (s.  S.  345  ff).  Es  muss  freilich  durch  wei- 
tere Untersuchungen  festgestellt  werden,  welche  chemischen  Verände- 
rungen der  Säfte  dadurch  in  den  einzelnen  Fällen  herbeigeführt  werden, 
ob  es  sich  dabei  um  eine  reichlichere  Sekretion  von  Alexinen  durch 
die  lebenden  Leukocyten  oder  um  die.  Entstehung  solcher  Stoffe  durch 
den  Zerfall  derselben  handelt,  welcher  Art  schliesslich  die  Veränderung 
der  weissen  Blutkörperchen  sein  muss,  um  die  Resistenz  des  Körpers,  die 
Alexinproduktion,  zu  steigern.  Bekanntlich  giebt  es  mehrere  Formen 
von  Leukocytose,  die  eine  sehr  bedenkliche  Vorbedeutung  haben. 

V.  Gegenüber  diesen  Mitteln,  die  zur  Abwehr  von  Infektionen 
aller  Art  dienen,  gewährt  das  spezifische  Immunisierungsverfah- 
ren einen  Schutz  nur  gegen  den  Infektionserreger,  mit  dessen  Pro- 
dukten —  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  —  der  Organismus  behan- 
delt worden  ist  (vgl.  S.  355).  Diese  Thatsache  ist  zwar  neuerdings 
angezweifelt  worden,  weil  es  gelingt,  durch  Behandlung  mit  ganz  ver- 
schiedenen Bakterien  eine  kurz  dauernde  Immunität  gegen  diese  oder  jene 
Infektion  zu  erzielen  (s.  S.  314),  indessen  ist  sie  nicht  nur  schon  lange 
durch  die  ärztliche  Erfahrung  für  die  meisten  der  natürlich  vor- 
kommenden Krankheiten,  sondern  auch  für  die  experimentellen  In- 
fektionen von  zahlreichen  Autoren,  neuerdings  durch  die  systematischen 
Untersuchungen  R.  Pfeiffee's  (Z.'  17 — 21,  vgl.  S.  344ff.;  Sobeknheim, 
Z.  20;  Dunbar,  Z.  21)  bewiesen.  Diese  Spezificität  geht  so  weit,  dass 
sie  selbst  Bakterien  zukommt,  die  man  durch  unsere  bakteriologischen 
Differenzierungsmethoden  nur  schwer  von  einander  unterscheiden  kann 
(vgl.  Typhus  u.  Cholera  Bd.  II).  Zur  Erklärung  sind  eine  Reihe  von 
Hypothesen  aufgestellt  worden: 

1.  die  Erschöpfungstheorie  von  Pastetjr  (C.  R.  91)  und  Klebs 
(A.  P.  13),  die  besagt,  dass  eine  zweite  Infektion  eines  und  desselben 
Organismus  dadurch  unmöglich  würde,  dass  durch  die  erste  Vegetation 
der  Krankheitserreger  eine  zu  ihrer  Ernährung  notwendige,  nicht  er- 
setzbare Substanz  verbraucht  würde.  Die  Unwahrscheinlichkeit  dieser 
Lehre  erhellt,  von  aprioristischen  Gründen  ganz  abgesehen,  aus  der 
Thatsache,  dass  erstens  spezifische  Immunität  auch  ohne  die  Invasion 
lebender  Bakterien  erzielt  werden  kann,  dass  zweitens,  wo  eine  solche 
stattgefunden  hat,  nur  eine  Örtliche  Vermehrung  erfolgt,  dass  drit- 
tens die  Gewebe  so  geimpfter  Tiere,  wie  Bitter  (Z.  4)  in  einer 
besondern  Experimentalreihe  festgestellt  hat,  einen  gleich  günstigen 
Nährboden  für  die  betreffenden  Bakterien  abgeben  können,  wie  diejeni- 
gen ungeimpfter  Tiere,  und  dass  endlich  durch  genügend  grosse  Dosen 


412  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

des  Virus    meist    auch   beim   immunisierten  Tier   ein   Wachstum   der 
Bakterien,  also  die  Überwindung  der  Immunität  erreicht  werden  kann. 

2.  Auf  eine  lokale  Veränderung  in  dem  Organe,  das  zuerst 
von  der  Infektion  betroffen  ist,  führen  Buchnee  l)  und  Wolefberg  l) 
die  spätere  Immunität  zurück,  indem  sie  entweder  eine  Modifikation 
des  Gewebes  durch  die  voraufgegangene  reaktive  Entzündung  in  einem 
für  die  Bakterien  ungünstigen  Sinne  oder  eine  Auslese  der  stärkeren 
und  ein  Zugrundegehen  der  schwächeren  Zellen  durch  die  Impfkrank- 
heit annehmen.  Diese  Theorie  hat  heutzutage  nur  noch  historische 
Bedeutung,  da  wir  jetzt  wissen,  dass  die  durch  die  Impfung  an  irgend 
einer  Stelle  des  Körpers  erzeugte  Immunität  Geltung  hat  für  den 
ganzen  Körper.2) 

3.  Metschnikoee  hat  seine  Phagocytentheorie  auch  auf  die 
Erklärung  der  spezifischen  Immunität  angewandt,  indem  er  eine  An- 
passung der  Leukocyten  an  die  Gifte  der  Bakterien  oder  eine  Auslese 
der  im  Kampfe  mit  den  Infektionserregern  erprobten  mobilen  Zellen 
des  Organismus  voraussetzte.  Unsere  Einwände  gegen  diese  Theorie 
(s.  S.  404)  bestehen  in  gleicher  Weise  wie  für  die  natürliche  Immunität 
auch  für  die  spezifische.  Der  Begriff  der  „Anpassung"  und  „Auslese"  klärt 
uns  übrigens  über  die  wirklichen  Vorgänge  bei  der  Immunisierung  in 
keiner  Weise  auf;  jeder  Versuch,  sich  die  Sache  im  einzelnen  vorzu- 
stellen, scheitert,  oder  man  müsste  eine  ganze  Reihe  unbewiesener  Hilfs- 
hypothesen herbeiziehen.  Das  gilt  von  allen  ähnlichen  Theorien,  die 
mit  diesen  Begriffen  operieren. 

4.  Die  Retentionshypothese,  die  von  Weknich  (V.  78)  und 
Chauveau  (C.  R.  90,  91)  aufgestellt  ist,  lässt  im  Körper  der  Vacci- 
nierten  Stoffwechselprodukte  der  Infektionserreger  zurückbleiben,  die 
eine  nochmalige  Invasion  wegen  ihrer  antiseptischen  Eigenschaften 
verhindern.  Zu  Grunde  liegt  dieser  Anschauung  die  bekannte  That- 
sache,  dass  das  Bakterienwachstum  in  künstlichen  Kulturen  unter  An- 
häufung von  schädlichen  Zersetzungsprodukten  allmählich  erlischt. 
Die  Untersuchung  der  letzteren,  besonders  von  Sirotinin  (Z.  4,  vgl. 
2.  Kap.  dies.  Abschn.  unter  E),  haben  allerdings  gezeigt,  dass  es  sich 
hier  häufiger  um  ein  Zuviel  von  Säure  oder  von  Alkali,  oder  um  eine 
Erschöpfung  des  Nährbodens  handelt,  Dinge,  die  im  Tierkörper  nicht 
in  Frage  kommen  können.     Bei   der  Immunisierung  ist  ferner  in  Be- 


1)  Büchner,  Neue  Theorie  über  Erzielung  von  Immunität  gegen  Infektions- 
krankheiten. München  83.  Wolffberg,  Ergänzungsheft  4  zum  Centralblatt  f. 
allgem.  Gesundheitspflege.  Bonn  85. 

2)  Damit  erledigt  sich  auch  der  Erklärungsversuch,  den  Schleich  (mit  Gott- 
stein, Immunität,  Infektionstheorie  und  Diphtherieserum.  Berlin  94)  neuerdings 
gemacht  hat. 


Kruse,  Krankheitserregung.  413 

tracht  zu  ziehen,  dass  die  Vaccins  nur  eine  beschränkte  Entwicklung 
im  Körper  durchmachen,  dass  also,  wenn  man  die  Unschädlich- 
machung und  Ausscheidung  der  schädlichen  Substanzen  noch  mit 
berücksichtigt,  kaum  so  viel  von  diesen  letzteren  zurückbleiben  kann, 
um  einer  neuen  Infektion  wirksam  zu  begegnen.  Nach  recht  inten- 
siver Immunisierung,  d.  h.  nach  allmählicher  Einverleibung  grösserer 
Mengen  von  Stoffwechselprodukten  oder  wiederholte  Impfung  mit 
steigenden  Dosen  virulenter  Bakterien,  ist  es  allerdings  gelungen, 
in  manchen  Fällen  in  dem  Blutserum  des  immunisierten  Tieres  recht 
energische  baktericide  Wirkungen  nachzuweisen,  die  beim  nor- 
malen Tier  fehlten,  so  z.  B.  nach  Behandlung  mit  dem  Vibrio 
Metschnikoff  (Behring  u.  Nissen,  Z.  8),  mit  dem  Diplokokkus  der 
Pneumonie  (Kruse  und  Pansini,  Z.  11),  mit  dem  Choleraspirillum 
(Sobernheim,  Z.  14;  R.  Pfeiffer,  Z.  18).  In  anderen  Fällen,  wie 
beim  Erysipelkokkus  (Roger,  S.  B.  90),  beim  Hogcholerabacillus 
(Metschnikoff,  P.  92),  bei  Milzbrandhammeln  (Behring  u.  Nissen,  Z.  8 
gegen  Nuttall,  Z.  4  und  Lubarsch,  Z.  M.  19),  bei  Rauschbrand 
(Ruffer,  P.  91),  beim  Typhus  (Stern,  D.  92.  37  gegen  Bruschettini, 
Ri.  92.  181)  war  dieses  Verhältnis  nicht  konstant. x)  Wir  kommen 
schliesslich  zur 

5.  modifizierten  Retentionstheorie  (Antilysintheorie).  Die 
eben  genannten  Arbeiten  haben  jedenfalls  gezeigt,  dass  das  Blut- 
serum in  manchen  Fällen  von  spezifischer  Immunität  eine  deutliche, 
im  Reagensglas  nachweisbare  chemische  Veränderung  erleidet.  Es 
hat  sich  aber  auch  in  den  eben  citierten  negativen  Fällen,  sowie  bei 
einer  ganzen  Reihe  anderer  Infektionen  herausgestellt,  dass  auf  anderem 
Wege,  nämlich  durch  den  Tierversuch,  eine  durch  die  Immunisierung 
bewirkte  Modifikation  des  Blutserums  hervortritt;  auf  S.  360  haben 
wir  die  Schutz-  und  Heilwirkung,  die  derartigem  Serum  inne- 
wohnt, besprochen.  Wie  lässt  sich  diese  Thatsache  anders  erklären, 
als  durch  die  Annahme,  dass  der  Immunisierungsprozess  im  Körper 
Stoffe  zurücklässt,  die  einen  spezifischen  Effekt  haben?  In  welcher 
Weise  äussert  sich  die  Schutzwirkung  solchen  Serums?     Unter  seinem 


1)  Auch  wenn  das  spezifische  Serum  nicht  sehr  erhebliche  baktericide  Eigen- 
schaften besitzt,  zeigt  es  insofern  eine  Veränderung  als  Nährboden  gegenüber  dem 
normalen  Blutserum,  als  das  Wachstum  der  betr.  Bakterien  nicht  gleichmässig  in 
der  ganzen  Flüssigkeit  erfolgt,  sondern  in  Form  von  klumpigen  Massen,  die  am 
Boden  des  Gefässes  entstehen.  Es  ist  das  schon  von  Kruse  u.  Pansini  (Z.  11), 
Metschnikoff,  Issaeff  u.  A.  beobachtet  worden.  Diese  „agglutinierende"  Fähig- 
keit des  spezifischen  Serums  soll  nach  Gbubeb  und  Dtjbham's  neuester  Hypothese 
(M.  96.  13)  die  eigentliche  Wirksamkeit  desselben  ausmachen.  Uns  erscheint  sie 
von  sekundärer  Bedeutung. 


414  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Einfluss  gelangen  die  vollständig  virulenten  Infektionserreger  nicht 
zum  Wachstum  im  empfänglichen  Organismus!  Schon  hierdurch 
wird  jeder  Versuch,  die  Schutzkraft  des  Serums  aus  einer  antitoxi- 
schen Wirkung  abzuleiten,  illusorisch.  Der  Vorgang  der  Infektion 
hat  unmittelbar  nichts  zu  thun  mit  dem  der  Intoxikation,  die  Be- 
kämpfung der  ersteren  kann  also  nicht  durch  antitoxische  Mittel  ver- 
sucht werden.  Es  hat  kaum  der  besonderen,  zur  Widerlegung  dieser 
Hypothese  ausgeführten  Experimente  bedurft  (vgl.  S.  362).  Auch  die  ab- 
schwächende Wirkung  des  spezifischen  Blutserums,  die  vonBouCHARD 
(Verh.  internat.  Kongr.  Berlin  91)  auf  Grund  der  Versuche  von  Roger 
(S.  B.  90)  mit  dem  Erysipelkokkus,  dann  von  Roger  u.  Charrin  für  den 
Pyocyaneus  (S.  92.  268)  behauptet  war,  hatMETSCHNiKOFF  (P.  92  u.  S.  92) 
nicht  bestätigen  können,  denn  die  vom  Serum  ab  filtrierten  Bakterien 
zeigten  ihre  alte  Virulenz,  nur  das  bei  den  Tierversuchen  mit  ein- 
gespritzte Serum  hatte  den  Anschein  erweckt,  als  ob  die  Infektions- 
erreger abgeschwächt  wären.  Diesen  vergeblichen  Versuchen  gegen- 
über hat  Verfasser  1892  (Zi.  12.  3)  die  Theorie  entwickelt,  dass  die 
Schutzkraft  des  Serums  immunisierter  Tiere  auf  seinem  An- 
tilysingehalt  beruhe,  d.  h.  auf  seiner  Fähigkeit,  die  Angriffsstoffe 
der  virulenten  Bakterien,  die  Lysine  (s.  S.  409),  im  Momente  ihrer  Ent- 
stehung zu  neutralisieren. 

Diese  Annahme  erklärt  alle  aus  den  Serumversuchen  bisher  be- 
kannten Thatsachen.  Das  infektiöse  Bakterium  unterliegt,  seiner  Lysine 
durch  das.  Schutzserum  beraubt,  den  Einflüssen  der  Alexine  des  Ge- 
webes, wie  ein  nichtvirulentes  Bakterium,  ohne  dass  sich  eine  lokale 
Reaktion  bemerkbar  macht.  Wenn  die  Wirkung  des  Serums  eine  nicht 
ausreichende  ist,  wird  zwar  ein  Teil  der  Lysine  neutralisiert,  aber 
nicht  alle;  die  Mikroorganismen  verhalten  sich  dann  wie  abgeschwächte, 
sie  wachsen  massig  und  werden  schliesslich  durch  den  Einfluss  der 
im  Gewebe  vorrätigen  Alexine  und  der  durch  die  Entzündung  heran- 
gezogenen Leukocytenalexine  überwältigt.  Wird  die  Serumbehandlung 
erst  einige  Zeit  nach  der  Infektion  begonnen,  so  kann  durch  genügende 
Mengen  kräftigen  Serums  eine  Heilung  bewirkt  werden,  wenn  diesel- 
ben ausreichen,  die  durch  die  Vermehrung  im  Körper  natürlich  um 
ein  Vielfaches  angewachsene  Lysinproduktion  zu  kompensieren,  und 
wenn  nicht  schon  alle  verfügbaren  Alexine  des  Körpers,  die  vorgebil- 
deten und  die  in  den  Leukocyten  enthaltenen,  durch  die  bis  zum 
Momente  der  Serumeinspritzung  ungehindert  gebildeten  Lysine  un- 
schädlich gemacht  sind.  So  erklärt  sich  die  von  vielen  Forschern 
beobachtete  Thatsache,  dass  nach  einer  gewissen  Dauer  der  Infektion 
selbst  die  grössten  Heilserumdosen  keine  Wirkung  mehr  haben:  die 
natürlichen   Resistenzmittel  (Alexine)  des   Organismus    sind  erschöpft, 


Kruse,  Krankheitserregung.  4 15 

die  Bakterien  wachsen  mit  oder  ohne   Lysine    darin,  da  keine  Wider- 
stände mehr  da  sind. 

Einige  neuere  Experimentalergebnisse  haben  die  Antilysintheorie 
sehr  gefestigt.  R.  Pfeiffee,  hat  durch  eine  Versuchsanordnung,  die 
ihm  gestattet,  den  Prozess  der  Bakterienentwicklung  im  lebenden  Körper 
fast  wie  im  Reagensglase  zu  verfolgen,  nämlich  durch  die  in  beliebigen 
Zeiträumen  wiederholte  Probeentnahme  von  Flüssigkeit  aus  der  infi- 
zierten Peritonealhöhle  mittels  Glaskapillaren,  den  Nachweis  geführt, 
dass  unter  der  Einwirkung  von  Schutzserum  die  in  das  Peritoneum 
eingeführten  virulenten  Bakterien  (Cholera  u.  ähnl.)  in  kürzester  Frist, 
ohne  wesentliche  Beteiligung  von  Phagocyten  zerfallen  und  nicht 
zum  Wachstum  kommen,  genau  ebenso,  wie  es  stark  abgeschwächte 
Bakterien  ohne  Serumbehandlung  thun.  Pfeiffer  glaubt  wenigstens  im 
ersten  Fall  es  mit  spezifisch  baktericiden  Substanzen  zu  thun  zu 
haben,  die  auf  reaktive  Weise  nach  der  Infektion  ins  Peritoneum  ab- 
gesondert werden.  Nach  unserer  Auffassung  handelt  es  sich  um  die- 
selben nicht  spezifischen  Stoffe  gegen  Cholera  im  ersten  wie  im  zweiten 
Fall:  um  die  Alexine,  die  teils  schon  in  den  Geweben  vorgebildet  sind, 
teils  wirksam  durch  Reaktion  aus  denLeukocyten  ausgeschieden  werden. 
Dass  gerade  hier  die  Alexine  vorgebildet  sind,  dafür  sprechen  die  Ver- 
suche mit  dem  extravasculären  Blutserum  von  gegen  Cholera  immuni- 
sierten und  nicht  immunisierten  Meerschweinchen.  Das  erstere  hat  im 
Reagensglas  nach  Pfeiffee,  (Z.  18)  —  natürlich  im  frischen  Zustande  — 
starke  baktericide  Eigenschaften  gegen  virulente  Cholerabakterien,  ganz 
ebenso  wie  das  Serum  normaler  Tiere  gegen  abgeschwächte  (Behring  und 
Nissen,  Z.  8).  Auch  in  diesen  beiden  Fällen  sind  nach  unserer  Ansicht 
die  baktericiden  Stoffe  die  gleichen,  nämlich  die  Alexine,  die  durch 
Erhitzen  auf  60  °  zerstört  werden.  Der  Unterschied  besteht  nur  darin, 
dass  im  Serum  des  normalen  Tieres  die  abgeschwächten  Bakterien 
zu  Grunde  gehen,  weil  sie  keine  Lysine  bilden,  während  die  virulenten 
Cholerabacillen  im  Serum  des  immunisierten  Tieres  zu  Grunde  gehen, 
weil  ihre  Lysine  durch  die  spezifischen  Schutzstoffe  desselben,  unsere 
Antilysine,  neutralisiert  werden.  Natürlich  müssen  alle  diejenigen  Ein- 
flüsse, die  geeignet  sind,  die  Alexine  zu  zerstören,  ausser  der  Er- 
wärmung auf  60°  auch  Aufenthalt  bei  37  °,  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
und  selbst  im  Eisschranke,  Zusatz  von  roten  Blutkörperchen  u.  s.  w. 
(s.  S.  401  ff.),  auch  die  baktericiden  Eigenschaften  des  spezifischen  Serums 
aufheben,  daher  sie  wohl  von  Pfeiffer  u.  A.  im  Serum  von  cholera- 
und  typhusimmunen  Menschen  nicht  gefunden  worden  sind.  Ausserdem 
wird  sich  in  allen  den  Fällen,  wo  das  Blutserum  der  normalen  Tiere 
keine  keimtötenden  Fähigkeiten  gegenüber  den  abgeschwächten  Infektions- 
erregern besitzt,  dieselbe  auch  nicht  gegenüber  den  gleichen,  aber  viru- 


416  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

lenten  Bakterien  einfinden,  nachdem  die  betreffenden  Tiere  immuni- 
siert worden  sind. 

Ganz  überzeugend  sprechen  für  unsere  Theorie  die  neuesten  Ver- 
suche von  Boedet  (P.  95.  6).  Derselbe  setzte  zu  dem  normalen  Serum 
von  Meerschweinchen,  das  ein  guter  Nährboden  für  virulente  Cholera- 
bacillen  war,  nur  Spuren  von  dem  auf  58  °  erhitzten  Serum  einer  gegen 
Cholera  hochimmunisierten  Ziege  und  sah  danach  plötzlich  die  stärksten 
baktericiden  Effekte  hervortreten,  d.  h.  mit  anderen  Worten,  der 
Zusatz  von  Antilysin  bewirkte  in  dem  mit  Cholera  besäten  Meer- 
schweinchenserum die  Neutralisierung  der  Lysine;  die  dadurch  kampf- 
unfähig gemachten  Bakterien  unterlagen  den  Alexinen.  Der  Versuch 
schlug  natürlich  fehl,  wenn  die  Alexine  durch  Erhitzen  oder  längeres 
Stehenlassen  des  Meerschweinchenserums  unschädlich  gemacht  waren. 
Ebenso  machte  sich  die  Wirkung  des  Choleraserums  nur  gegen  Cholera- 
bakterien, nicht  gegen  andere  geltend. 

Weit  verbreitet,  weil  am  nächsten  liegend,  ist  die  Vorstellung,  dass 
die  spezifischen  Schutzstoffe  im  Serum  gelöst  vorgebildet  seien,  Boedet 
giebt  aber  auf  Grund  von  Experimenten  der  Ansicht  Ausdruck,  dass  sie 
wenigstens  zum  Teil  erst  bei  der  Gerinnung,  aus  den  Leukocyten,  in  die 
Flüssigkeit  übertreten.  Wir  hätten  danach  diese  mobilen  Truppen  des 
Organismus  mit  zweierlei  Stoffen  ausgerüstet  zu  denken:  im  normalen 
Tier  mit  alexinartigen  Stoffen  (vgl.  S.  403),  im  immunisierten  Tier  ausser- 
dem noch  mit  Antilysinen.  Schon  früher  haben  wir  allerdings  gesehen, 
dass  der.  aktiv  immunisierte  Organismus  nur  zu  gewissen  Zeiten  Schutz- 
kräfte in  seinem  Blut  besitzt  und  trotzdem  in  der  Zeit  vorher  und 
nachher  spezifische  Resistenz  bekundet  (S.  366).  Man  könnte  dann  von 
einer  dauerhaften  „Gewebsimmunität"  (Beheing)  im  Gegensatz  zu  der 
vorübergehenden  „Serumimmunität"  sprechen  und  hätte  sich  vorzu- 
stellen, dass  die  Gewebszellen  Antilysine  aufgespeichert  ent- 
halten —  entweder  als  solche  oder  vielleicht  in  Bindung  mit  anderen 
Stoffen.  Jedenfalls  müssen  sie  in  allen  Geweben  vorhanden  sein,  denn, 
wo  auch  eine  Infektion  erfolgt,  treten  im  immunisierten  Organismus 
den  Erregern  die  Schutzstoffe  entgegen.  Über  die  Entstehung  der 
Antilysine  lässt  sich  bis  jetzt  nichts  sicheres  aussagen,  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  werden  sie  während  des  Prozesses  der  aktiven 
Immunisierung  unter  Beihilfe  der  Gewebszellen  aus  den  Angriffsstoffen 
der  Bakterien,  den  Lysinen,  erzeugt.  Die  Schwierigkeiten,  die  hier  noch 
bestehen,  werden  hoffentlich  bald  eine  Aufklärung  erfahren.  Die  passive 
Immunität  (s.  S.  366)  durch  Serumübertragung  besteht  nur,  so  lange 
die  Antilysine  im  Blute  kreisen.  Sie  ist  nur  mit  einer  der  Verdünnung 
entsprechenden  Abschwächung  auf  neue  Tiere  zu  überpflanzen,  wie 
R.  Pfeiefee  (Z.  17.  366  u.  18.  13)  entgegen  Feänkel  u.  Sobeenheim 


Kruse.  Krankheitserregung.  417 

(R.  94.  3)  festgestellt  hat;  eine  Neubildung  von  Schutzstoffen  findet  in 
dem  passiv  immunisierten  Organismus  keineswegs  statt. 

VI.  So  wenig  man  von  dem  Wesen  der  natürlichen  Giftimmunität 
weiss,  so  sehr  kann  man  darüber  im  Zweifel  sein,  wie  sich  die  künst- 
liche Verminderung  und  Erhöhung  dieser  angeborenen  Resistenz  erklärt 
(vgl.  S.  340  u.  354).  Nur  über  die  Natur  der  spezifischen  Immunität 
gegen  Bakteriengifte  kann  man  einigermassen  Bescheid  geben  (368  ff.), 
dank  den  Arbeiten  von  Behring  u.  Kitasato  u.  A.  über  die  Immuni- 
sierung gegen  Tetanus  und  Diphtherie.  Auch  hier  geht  die  Erkenntnis 
des  Vorganges  von  den  Eigenschaften  des  Blutserums  der  aktiv  immuni- 
sierten Tiere  aus;  die  schützenden  Prinzipien,  die  Antitoxine,  sind  hier 
aber  schon  länger  bekannt.  Was  eben  von  den  Antilysinen  gesagt 
wurde,  gilt  auch  von  den  Antitoxinen,  nur  sind  hier  die  bekämpfen- 
den SubstanzeD  nicht  die  Angriffstoffe  der  Bakterien  (Lysine),  sondern 
ihre  Gifte  (vgl.  unter  C  S.  282 ff.). 

VII.  In  kurzen  Worten  lassen  sich  die  Ergebnisse  unserer  Unter- 
suchungen über  Infektion,  Immunität  und  Heilung  etwa  folgender- 
massen  zusammenfassen. 

In  den  tierischen  Organismen  sind  im  allgemeinen  Schutzeinrich- 
tungen ausgebildet J),  die  sie  befähigen,  in  sie  eingedrungene  Bakterien 
zu  bekämpfen,  es  sind  das: 

1.  die  Abwehrstoffe  oder  Alexine,  die  in  den  Geweben 
vorgebildet  sind; 

2.  die  Leukocyten,  die  durch  die  Entzündung  herbeigelockt 
unter  Umständen  in  Aktion  treten,  nicht  durch  Vermittlung  von  Phago- 
cytose,  sondern  durch  Sekretion  von  ähnlichen  Alexinen; 

3.  eine  je  nach  der  Spezies  wechselnde  Giftunempfindlichkeit, 
die  vielleicht  auf  giftzerstörender  Wirkung   einzelner  Organe  beruht. 

Die  Krankheitserreger  ihrerseits  verfügen 

1.  über  Stoffe,  die  ihnen  durch  Zerstörung  der  Alexine  ermög- 
lichen, im  lebenden  tierischen  Körper  zu  wachsen,  das  sind  die  An- 
griffsstoffe oder  Lysine; 

2.  über  Gifte. 

Sieger  in  dem  Kampfe  zwischen  Organismen  und  Bakterien  bleiben 
die  ersteren,  wenn  ihre  Gewebs-  oder  Leukocyten-Alexine  hinreichen, 
das  Wachstum  der  Bakterien  zu  beschränken,  und  wenn  die  während 


1)  Von  denjenigen  Schutzvorrichtungen,  durch  die  der  höhere  Organismus 
das  Eindringen  der  Infektionserreger  verhütet,  ist  hier  nicht  die  Rede,  sie  haben 
mit  der  eigentlichen  Immunität  nichts  zu  thun.  Oben  unter  Eintrittspforten  (S.  316) 
haben  wir  sie  im  einzelnen  besprochen  (äusseres  Integument,  Epithel  der  Schleim- 
häute, Flimmerzellen,  Magensaft,  Schleimsekretion,  Lymphdrüsen  u.  s.  w.)  Über 
die  Bedeutung  der  Ausscheidungen  für  den  Heilungsvorgang  vgl.  S.  375. 
Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  27 


418 


Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 


dessen    gebildeten   Gifte    zu    schwach   sind,    um    die   natürliche  Gift- 
festigkeit  zu  überwinden  —  natürliche  Heilung. 

Auf  künstlichem  Wege    kann    die  "Widerstandsfähigkeit    der    Or- 
ganismen erhöht  werden  und  zwar 

1.  durch  Erhöhung  der  Alexin- 
produktion  des  Gewebes  (Er- 
nährung etc.); 

2.  durch  Steigerung  der  zelli- 
gen Exsudation  oder  örtlichen 
Leukocytose; 

3.  durch  Verabreichung  von  Anti- 
septicis,  die  lebende  Bakterien 
oder  ihre  Gifte  schädigen; 

4.  durch  Erzeugung  oder  Übertragung  von 
Antilysinen,  die  durch  Neutralisierung  der 
Lysine  die  Angriffskraft  der  Bakterien  hemmen, 
und  von  Antitoxinen,  die  deren  fertigen  Gifte 
unschädlich  machen. 


Wenn  die  Behandlung  vor  der 
Infektion  eingeleitet  wird  und  zu 
glücklichem  Ende  führt,  sprechen 
wir  vonPr  äventivb  ehandlung,  Impf- 
schutz, Immunisierung  nicht 
spezifischer  Art;  wenn  die  Be- 
handlung nach  der  Infektion  er- 
folgt, von  nicht  spezifischer 
Heilung. 


Spezifischer  Impf- 
schutz und  spezi- 
fische Heilung. 


Anhang:  Pflanzeninfektion. 

Eine  Reihe  von  bakteriellen  Infektionskrankheiten  der  Pflanzen  ist 
schon  bekannt  geworden.  Dahin  gehören  (s.  Bd.  II:  spezielle  Systematik, 
vgl.  Migula,  r:C.  13. 564;  Ludwig,  L;  Russell,  Bacteria  in  her  relation  to 
vegetable  tissue.     Diss.  Baltimore  92): 

1.  der  Pear  blight  und  Apple  blight  der  Amerikaner  (Bubrill), 

2.  der  Hirsebrand  (Bueeill), 

3.  die  Bakterienkrankheit  des  Mais  (Burbill), 

4.  der  Rotz  der  Hyazinthen  (Heinz), 

5.  die  Nassfäule  der  Kartoffeln  (Kramee),  wahrscheinlich  ferner 

6.  die  Gallenkrankheit  der  Aleppokiefer  (Vuillemin), 

7.  die  Gallenkrankheit  der  Oliven  (Pbillieux), 

8.  der  gelbe  Rotz  der  Hyazinthen  (Wakker), 

9.  die  Bacteriosis  der  Weintrauben  (Cugini  und  Macchiati). 
Sehr  zweifelhaften  Ursprungs  sind  die  „Schleimflüsse"  der  Bäume,  die 

Gummosis  des  Weinstockes  und  anderer  Pflanzen  u.a.m.  —  Die  Reaktionen 
der  Pflanzen  auf  infektiöse  Reize  bestehen  in  Zelldegenerationen  (Nekrosen), 
Zell  Wucherungen,  Sekretionen  u.  s.  w.     Die    betreffenden  Krankheiten 


Kruse,  Krankheitserregung.  419 

befallen  unter  natürlichen  Verhältnissen  nur  immer  wenige  Varietäten, 
Arten  oder  Gattungen  von  Gewächsen.  Für  alle  übrigen  besteht  Im- 
munität. In  manchen  Fällen  müssen  die  Ursachen  der  Immunität  in 
mechanischen  Verhältnissen  gesucht  werden.  Manche  Birnensorten  z.  B. 
verhalten  sich  gegenüber  der  natürlichen  Infektion,  die  durch  Über- 
tragung des  Bac.  amylovorus  auf  die  Blüten  erfolgt,  refraktär,  sind 
aber  ebenso  leicht  durch  parenchymatöse  Injektion  zu  infizieren,  wie 
die  empfänglichen  Sorten  (Russell  a.  a.  0.).  Auch  die  letzteren 
haben  einen  gewissen  Schutz  in  ihren  epidermoidalen  Bedeckungen, 
nur  wo  dieselben  durch  Wunden  verletzt  sind,  oder  wo  natürliche  Ein- 
trittspforten bestehen,  wie  in  der  Blüte,  vermögen  die  spezifischen  Er- 
reger einzudringen.  Ihr  Vordringen  in  den  Geweben  wird  durch 
die  mehr  oder  weniger  feste  Konfiguration  der  Zellwandungen  beein- 
flusst,  findet  also  in  dem  genannten  Beispiel  hauptsächlich  in  den 
jüngeren  Trieben  der  empfänglichen  Pflanzen  statt. 

Die  wichtigste  Ursache  der  Immunität  muss  aber  doch  bei  den 
Pflanzen  wie  bei  den  Tieren  in  chemischen  Eigenschaften  der  lebenden 
Organismen  gesucht  werden.  Für  manche  Bakterien  und  an  manchen 
Stellen  der  Pflanze  wird  schon  die  saure  Reaktion  des  Gewebes  genügen, 
um  jede  Wucherung  zu  verhindern.  Im  allgemeinen  ist  aber  diese 
Reaktion  nicht  vorhanden  und  es  giebt  auch  Bakterien  genug,  die  eine 
solche  vertragen.  Wir  sind  daher  gezwungen,  das  Vorhandensein 
anderer  chemischer  Kräfte  in  der  Pflanzenzelle  anzunehmen.  Es  ist 
bis  jetzt  nicht  gelungen,  antiseptische  Stoffe,  die  den  Alexinen  des  Tier- 
körpers entsprechen,  in  Pflanzen  aufzufinden;  ausgepresster  Zellsaft  der- 
selben erwies  sich  inRussELL's  Experimenten  als  vorzüglich  er  Nährboden 
für  alle  möglichen  Bakterien.  Die  Existenz  eines  stark  ausgesproche- 
nen baktericiden  Vermögens  im  Pflanzenprotoplasma  wird  auch  dadurch 
widerlegt,  dass  bei  Einimpfung  von  beliebigen,  nicht  pathogenen  Bakterien 
ins  lebende  Pfianzengewebe  (Lominsky,  r:  C.  8.  325  u.  Russell  a.  a.  0.) 
nicht  selten  eine  Vermehrung  derselben  erfolgt  und  jedenfalls  ihr  Ab- 
sterben meist  sehr  lange  (Wochen  lang)  auf  sich  warten  lässt.  Die 
Bakterien  (Prodigiosus,  Fluorescens,  B.  acidi  lactici,  coli  communis  u.  a.) 
können  sich  sogar  stellenweise  ziemlich  weit  im  Gewebe  verbreiten. 
Das  Endresultat  ist  in  allen  Fällen  allerdings  das  Verschwinden  der 
eingeführten  Mikroorganismen. 

Eine  spezifische  Immunität,  die  durch  einmaliges  Überstehen  einer 
Infektion  erworben  würde,  kennt  man  bei  Pflanzen  nicht. 


2V 


42(J  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Fünftes  Kapitel. 

Fortpflanzung:,  Wachstum  und  Fruktifikation  der 
Tga 

von 
Dr.  E.  Gotschlich. 

Während  bei  den  höheren  mehrzelligen  Lebewesen,  in  welchen  die 
einzelnen  Zellen  nicht  mehr  unabhängige  Individuen,  sondern  abhängige 
differenzierte  Teile  eines  Ganzen  sind,  nicht  jede  Zellteilung  eine  Fort- 
pflanzung der  Art  darstellt,  sondern  dem  gegliederten  Organismus  meist 
nur  einen  neuen,  zu  selbständigem  Leben  nicht  befähigten  Spross  hin- 
zufügt, und  daher  die  Hervorbringung  neuer  Individuen  besonderen 
Funktionen  obliegt,  die  bei  aller  Verschiedenheit  im  einzelnen  unter 
dem  gemeinsamen  Namen  der  Fruktifikation  zusammengefasst  werden 
können,  ist  bei  den  Mikroorganismen  eine  solche  Trennung  noch  nicht 
ausgebildet.  Hier  bedeutet  jede  Zellteilung  zugleich  Erzeugung  eines 
neuen,  zu  selbständigem  Leben  und  Fortpflanzung  befähigten  Indivi- 
duums; daneben  aber  finden  wir  bei  einer  grossen  Zahl  der  Mikro- 
organismen noch  besondere,  durch  ihre  höhere  Resistenz  gegenüber 
schädigenden  äusseren  Einflüssen  vorzugsweise  zur  Erhaltung  der  Art 
bestimmte  Formen,  die  Sporen,  welche  durch  einen,  der  Fruktifikation 
höherer  Organismen  analogen  Vorgang  gebildet  werden,  und  von  denen 
durch  Keimung  und  Zellteilung  erneute  Vermehrung  der  Art  ausgehen 
kann.  Das  Verhältnis  zwischen  einfacher  vegetativer  Vermehrung  und 
Fruktifikation  ist  nun  aber  bei  den  Schimmelpilzen  einerseits,  den  Spalt- 
und  Sprosspilzen  andererseits  wesentlich  verschieden,  so  dass  bei  der 
Besprechung  der  Sporenbildung  eine  getrennte  Behandlung  dieser  drei 
Klassen  der  Mikroorganismen  erforderlich  sein  wird;  auch  die  morpho- 
logischen Verhältnisse  der  Sporenbildung,  betr.  deren  auf  frühere  Ab- 
schnitte verwiesen  sei,  sind  ja  bei  diesen  Klassen  von  durchaus  ver- 
schiedener Bedeutung. 

A.  Die  Vermehrung  durch  Zellteilung 

ist  die  höchste  und  wesentlichste  Leistung  der  lebenden  Zelle,  zu  der 
alle  früher  besprochenen  Funktionen  in  untergeordneter  Bedeutung 
stehen;  ihre  Intensität  geht  parallel  mit  allen  übrigen  Lebensäusse- 
rungen, sie  ist  daher  auch  der  beste  Massstab  für  die  Energie  des 
Lebensprozesses;  fehlt  die  Vermehrung,  so  ist  das  Leben  der  Zelle  ent- 
weder erloschen  oder  sistiert;  in  letzterem  Fall  ist  der  Kraft-  und  Stoff- 


Gotschlich,  Fortpflanzung,  Wachstum  u.  Fruktifikation  der  Mikroorganismen.  421 

umsatz  in  derselben  so  herabgesetzt  (z.  B.  durch  niedere  Temperatur), 
dass  nur  das  eigene  Leben  der  Zelle  erhalten  werden,  aber  keine  Energie 
nach  aussen,  sei  es  zu  physikalischen  oder  chemischen  Leistungen,  sei 
es  zur  Erzeugung  neuer  Lebewesen,  abgegeben  werden  kann.  Der 
quantitative  Ausdruck  für  die  Energie  der  Vermehrung  wird  durch 
die  Zahl  der  aus  einer  Zelle  in  einer  gegebenen  Zeiteinheit  hervor- 
gegangenen Individuen  gegeben.  Er  bietet  die  Möglichkeit,  die  von 
der  lebenden  Zelle  geleistete  Arbeit  zu  messen  und  zahlenmässig  fest- 
zustellen, ist  also  für  die  exakte  Auffassung  der  Lebensprozesse  von 
hohem  Wert. 

Der  strenge  Parallelismus  zwischen  Vermehrungsenergie  und  der 
Intensität  aller  übrigen  Lebensäusserungen  ist  ausser  durch  den  Augen- 
schein, dass  bei  optimalen  Vermehrungsbedingungen  auch  alle  übrigen 
chemischen  und  physikalischen  Leistungen  intensiver  vor  sich  gehen, 
für  Bakterien  noch  zahlenmässig  bewiesen,  indem  Smirnow  (Z.  4. 
248)  zeigte,  dass  bei  Abschwächung  der  Lebensäusserungen,  speziell 
der  Virulenz  von  Bakterien  auch  ihre  Vermehrungsenergie  in  dem- 
selben Verhältnis  abnahm,  indem  ferner  Gotschlich  und  Weigang  (Z. 
20)  nachwiesen,  dass  bei  einer  Cholerakultur  die  Grösse  der  Viru- 
lenz in  strengem  Sinne  eine  Funktion  der  Individuenzahl  darstelle. 
Hiermit  ist  die  Basis  dafür  gegeben,  die  Vermehrungsenergie  im  all- 
gemeinen als  sicheren  Massstab  der  Intensität  des  Lebensprozesses  auf- 
zufassen. Ausnahmen  von  dieser  Norm  kommen  bei  dauernd  abge- 
schwächten Gährungs-  oder  Krankheitserregern  vor,  bei  denen,  wie  früher 
erwähnt,  häufig  mit  der  Verminderung  ihrer  spezifischen  gährungs-  oder 
krankheitserregenden  Energie  eine  Steigerung  des  vegetativen 'Wachs- 
tums auf  künstlichen  Nährböden  Hand  in  Hand  geht. 

Für  die  Vermehrungsenergie  haben  zuerst  Buchner,  Longard  und 
Riedlin  (C.  2.  1)  einen  brauchbaren  praktischen  Ausdruck  ge- 
schaffen. Bezeichnet  a  die  Zahl  der  Bakterien  in  der  Aussat,  b  die 
Zahl  derselben  in  der  Ernte,  n  die  Zahl  der  aufeinander  folgenden 
Generationen,  so  ist  unter  Zugrundelegung  der  Thatsache,  dass  die 
Bakterien  sich  stets  durch  Zweiteilung  vermehren:  b  =  a.2n  und  n  = 

— — j r— - —    Ist  T  die  Versuchszeit,  so  ist  die  Dauer  jeder  einzelnen 

T 

Generation  =  — •  Auf  diese  Weise  fanden   die  genannten  Autoren  für 
n  ö 

den  Choleravibrio  bei  Wachstum  in  Fleischwasserpeptonzuckerlösung 
bei  37°  die  Generationsdauer  zwischen  19,3  bis  40,0  Minuten.  Die 
Versuchszeit  darf,  wenn  man  einen  brauchbaren  Durchschnittswert  ge- 
winnen will,  nicht  zu  lange  ausgedehnt  werden,  da  sehr  bald  durch 
Erschöpfung    des    Nährbodens    und   zunehmende    Bildung   hemmender 


422  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Stoffwechselprodukte  die  Entwicklung  verlangsamt  und  die  Generations- 
dauer verlängert  wird. 

Über  die  Grösse  der  Generationsdauer  bei  verschiedenem  Alter 
einer  Kultur  hat  M.  Müllee  (Z.  20.  245)  am  Typhusbacillus 
interessante  Ermittelungen  angestellt.  Derselbe  fand,  dass  die  Ver- 
mehrungsintensität sehr  rasch  abnimmt;  schon  nach  24  Stunden  hatten 
die  schädigenden  Einflüsse  so  die  Oberhand  gewonnen,  dass  die  Gene- 
rationsdauer um  das  Doppelte  oder  noch  mehr  verlängert  wurde;  die- 
selbe betrug  z.B.  in  einer  bei  37,5°  gehaltenen  Bouillonkultur  8  Stunden 
nach  Beginn  des  Versuchs  durchschnittlich  28,95',  24  Stunden  nach 
Beginn  des  Versuches  dagegen  69,05'.  Die  rasch  eintretende  Entwick- 
lungshemmung und  die  damit  parallel  gehende  Abschwächung  der 
einzelnen  Individuen  zeigt  sich  auch  noch  in  der  merkwürdigen  That- 
sache,  dass  beim  Ansetzen  einer  neuen  Kultur  nicht  sofort  die  Ver- 
mehrung der  von  der  alten  Kultur  abgeimpften  Keime  beginnt,  sondern 
dass  erst  eine  gewisse  Zeit  vergeht,  in  der  sich  die  übertragenen  Keime 
von  ihrer  vorangegangenen  ungünstigen  Alteration  erholen  müssen; 
diese  Zeit  beträgt  im  Durchschnitt  2 — 3  Stunden,  ihre  Dauer  hängt 
ganz  von  dem  Alter  der  zur  Abimpfung  verwandten  Kultur  ab;  nur 
bei  Verwendung  ganz  junger  (2  V2 — 3  stündiger)  Kulturen  beginnt  die 
Fortpflanzung  fast  sofort  nach  der  Übertragung;  aber  schon  bei 
6  stündigen  Bouillonkulturen  liess  sich  eine  Schädigung  der  Vermeh- 
rungsenergie konstatieren.  Ferner  fand  Müllee,  dass  die  durchschnitt- 
liche Länge  der  Generationsdauer  durch  Steigerung  der  Temperatur 
über  das  Optimum  vermehrt  wird;  bei  37,5 — 38,1°  betrug  die  Gene- 
rationsdauer im  Mittel  32,02',  bei  39,7—40,4°  dagegen  37,2'.  Erst  die 
Temperatur  von  44,5°  aber  wirkte  bei  andauernder  Einwirkung  abtötend 
auf  die  Typhusbacillen. 

Über  das  zeitliche  Verhalten  der  Entwicklung  haben  ferner 
Gotschlich  u.  Weigang  (a.  a.  0.)  Untersuchungen  an  Cholerabacillen, 
und  zwar  auf  Agarflächenkulturen  angestellt.  Die  Besäung  erfolgte 
bei  allen  zu  vergleichenden  Kulturen  in  gleichmässiger  Weise  durch 
eine  wässrige  Aufschwemmung  einer  20stündigen  Agarkultur.  Die 
Genannten  fanden  in  Übereinstimmung  mit  Müllee's  Resultaten,  dass 
das  Maximum  der  Entwicklung  bei  37°  sehr  rasch,  zwischen  12  und 
20  Stunden  erreicht  wird  und  dann  das  Wachstum  nicht  etwa  blos 
sistiert  wird,  sondern  ein  rapides  Absterben  erfolgt,  so  dass  im 
Mittel  nach  zwei  Tagen  nur  noch  7,43%,  nach  drei  Tagen  gar  nur 
0,80  °/0  der  in  der  20  stündigen  Kultur  vorhandenen  lebenden  Individuen 
übrig  geblieben  sind;  in  einem  Falle  starben  in  einer  Kultur 
bei  37°  zwischen  der  sechszehnten  uud  zwanzigsten  Stunde 
10000  Millionen  Individuen  ab.    Wurde  dagegen  die  auf  dem  Höhe- 


Gotschlich,  Fortpflanzung,  Wachstum  u.  Fruktifikation  der  Mikroorganismen.  423 

punkt  der  Entwicklung  stehende  Kultur  fernerhin  bei  Eisschrank- 
temperatur verwahrt,  so  blieb  die  gesamte  Individuenzahl  er- 
halten; bei  Zimmertemperatur  wurde  das  Absterben  wenigstens  sehr 
verlangsamt.  Genau  parallel  mit  diesen  Änderungen  der  Individuen- 
zahl ging,  wie  bereits  oben  erwähnt,  die  Virulenz;  sie  nahm  bei  einer 
dreitägigen  im  Brütofen  gehaltenen  Kultur  ebenso  rapid  ab  wie  die 
Individuenzahl  und  blieb  bei  Eisschranktemperatur  ebenso  wie  jene 
konserviert.  Es  hängt  also  nur  von  der  Temperatur  ab,  ob  die  In- 
dividuen einer  Kultur  von  einer  bestimmten  Zeit  an  zu  Grunde  gehen 
oder  erhalten  bleiben.  Die  Ursache  dieses  Absterbens  massenhafter 
Individuen beiBrutwärme  liegt  in  der  vollständigen  Erschöpfung  des 
Nährbodens;  unter  solchen  Umständen  ist  eine  Erhaltung  der  Lebens- 
fähigkeit der  Mikroben  nur  dann  möglich,  wenn  der  Lebensprozess 
keine  oder  nur  minimale  Energieausgaben  und  demgemäss  auch  keinen 
Ersatz  von  aussen  erfordert,  wenn  also  das  Leben  latent  ist;  dies  ge- 
schieht aber  bei  niederer  Temperatur,  wo  die  intramolekulare  Energie 
im  lebenden  Plasma  auf  ein  Minimum  reduziert  ist.  Wird  dagegen 
durch  günstige  Temperaturverhältnisse  die  Entfaltung  der  Lebensäusse- 
rungen ermöglicht,  welche  als  unausbleibliche  Grundbedingung  eine 
Ausgabe  an  Energie  erfordern,  so  kann  diese  nur  auf  Kosten  der 
eigenen  Leibessubstanz  der  Mikroorganismen  stattfinden,  und  da  jeder 
Ersatz  von  aussen  fehlt,  so  tritt  notwendig  eine  vollständige  Zerstörung 
des  Individuums  ein.  Besonders  rapid  muss  dieser  verzehrende  Prozess 
bei  Brüttemperatur  vor  sich  gehen,  da  hier,  wie  aus  der  maximalen 
Energieentwicklung  zu  schliessen,  die  Dissimilation  des  lebenden  Plasmas 
mit  fast  explosiver  Heftigkeit  erfolgt.  Die  Bakterienzelle  muss  also, 
ganz  ähnlich  wie  ausgeschnittene  Organe  höherer  Tiere,  bei  Abschnei- 
dung der  Nahrungszufuhr  durch  ihren  eigenen  Lebensprozess  zu  Grunde 
gehen  und  kann  einzig  und  allein  durch  vollständige  Erstarrung, 
Sistierung  desselben  vor  dem  Absterben  bewahrt  bleiben.  Diese  höchst 
merkwürdige  Thatsache,  die  mit  dem  Verhalten  jeder  lebenden  Substanz 
gegen  die  Temperatur  prinzipiell  übereinstimmt,  giebt  einen  gewichtigen 
Beweis  für  die  oben  dargestellte  allgemeine  Auffassung,  dass  auch  bei 
den  Bakterien  die  primäre  Ursache  des  Lebens  eine  Zersetzung, 
nicht  eine  Synthese  ist,  und  dass  der  ganze  Charakter  des  Lebens- 
prozesses auch  hier  eigentlich  ein  destruktiver  ist.  Die  dargelegte 
Auffassung,  welche  der  Erschöpfung  des  Nährbodens  die  Hauptrolle 
für  das  Zustandekommen  des  eigentümlichen  Entwicklungsganges  einer 
Kultur  beimisst,  findet  ferner  eine  Stütze  in  den  vergleichenden  Be- 
obachtungen über  das  Verhalten  von  Bandzone  und  Mitte  einer  Kultur 
In  der  Randzone  findet  noch  üppige  Entwicklung  zu  einer  Zeit  statt, 
in  der  die  Mitte  bereits  massenhafte  abgestorbene  Individuen  aufweist; 


424  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

dann  aber  erfolgt  das  Absterben  am  Rand  ebenso  rasch  wie  in  der 
Mitte,  da  ja  nach  Erschöpfung  der  Nährstoffe,  die  am  Rande  nur  später 
eintritt,  die  Verhältnisse  sonst  die  gleichen  sind.  Auch  das  Verhalten 
der  Entwicklung  bei  mittleren,  weit  über  dem  Optimum  liegenden 
Temperaturen  bestätigt  durchaus  die  vorgetragene  Auffassung;  das 
Maximum  der  Entwicklung  ist  hier  zeitlich  hinausgeschoben  und  die 
Abnahme  der  Individuenzahl  erfolgt  nur  sehr  allmählich;  die  absolute 
Zahl  der  erzeugten  Individuen  ist  dabei  sogar  grösser  wie  beim  Wachstum 
bei  37°,  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  die  einzelnen  Individuen  in- 
folge ihres  geringeren  Umsatzes  auch  geringere  Ansprüche  an  das 
Nährmaterial  stellen.  Man  sieht  also,  dass  durch  die  absolute  Grösse 
der  Vermehrung  kein  Massstab  für  die  Energie  des  Lebens- 
prozesses gegeben  werden  kann,  wohl  aber  durch  die  relative  Ver- 
mehrung in  der  Zeiteinheit,  welche  auch  bei  22°,  ganz  wie  zu 
erwarten,  geringer  ist  als  bei  37°.  Es  steht  zu  erwarten,  dass  syste- 
matische, in  dieser  Richtung  fortgesetzte  Untersuchungen  mit  gleich- 
zeitiger cjuantitativer  Berücksichtigung  der  Ausnutzung  der  Nährstoffe 
und  der  Stoffwechselprodukte  uns  zur  Aufstellung  zahlenmässiger  Ab- 
hängigkeitsverhältnisse der  Arbeit  lebender  Zellen  von  äusseren  Faktoren 
führen  werden.  Auch  ist  es  wahrscheinlich,  dass  der  Grad  der  Vermehrung 
und  die  Gestalt  der  Entwicklungskurve  ceteris  paribus  spezifische  Art- 
charakteristika  darstellen.  Dass  Volumen  oder  Gewicht  der  Kultur- 
masse bei  Vergleich  verschiedener  Arten  von  Bakterien  keinen  Mass- 
stab für  die  Intensität  der  Entwicklung  geben,  dürfte  schon  jetzt  aus 
den  mitgeteilten  Untersuchungen  folgen,  da  an  der  Bildung  von  Kultur- 
masse zwei  Bestandteile  durchaus  verschiedener  Dignität  sich  beteiligen, 
nämlich  lebende  Mikroben  und  leblose  Intercellularsubstanz,  und  das 
Verhältnis  beider  bei  verschiedenen  Arten  durchaus  different  ist. 

Über  die  Beziehungen  zwischen  der  Grösse  einer  Kolonie 
und  ihrem  Gehalt  an  lebenden  Keimen  giebt  eine  Untersuchung 
von  Ficker  (Üb.  Wachstumsgeschwindigkeit  des  Bakt.  coli  comm.  auf 
Platten.  [Diss.]  Leipzig  1895)  Aufschluss.  Es  zeigte  sich  hierbei  in 
Übereinstimmung  mit  den  soeben  berichteten  Resultaten  anderer  Auto- 
ren, dass  der  relative  Keimgehalt,  die  Keimzahl  in  der  Kubikeinheit, 
sehr  bald,  bei  22°  schon  am  zweiten  Tage  ihr  Maximum  erreicht  und 
die  Teilungsenergie  bei  zunehmender  Annäherung  an  dasselbe  fort  und 
fort  träger  wird.  Nachher  nimmt  der  relative  Keimgehalt  durch  Ab- 
sterben zahlreicher  Individuen  ab,  die  absolute  Zahl  der  Keime  in 
der  ganzen  Kolonie  aber  ist  noch  einige  Zeit  im  Wachsen  begriffen, 
bis  völlige  Erschöpfung  des  Nährbodens  erreicht  ist.  Die  Keimzahl 
steht  daher  nur  im  Anfang  der  Entwicklung  in  direktem  Verhältnis 
zur    Grösse    der   Kolonien;    später   nimmt    sie    viel    langsamer   zu   als 


Gotschlich,  Fortpflanzung,  Wachstum  u.  Fruktifikation  der  Mikroorganismen.   425 

diese.  Die  Keimzahl  gleichalteriger  Kolonien  schwankt  sehr  erheb- 
lich, bis  um  300  °/0 ;  diese  Differenzen  sind  auf  verschiedene  Lage  der 
Kolonien,  insbesondere  mit  Bezug  auf  ihre  Entfernung  von  der  Ober- 
fläche und  den  Zutritt  des  Sauerstoffs  zurückzuführen. 

B.  Wachstum  und  Bildung  von  Kolonien. 

Die  durch  Zellteilung  neu  gebildeten  Individuen  lagern  sich  nicht 
regellos  an  einander,  sondern  vereinigen  sich  nach  bestimmten,  bei 
verschiedenen  Arten  der  Mikroorganismen  verschiedenen  Gesetzen  zu 
regelmässigen  Anordnungen  in  Form  von  Haufen,  Ketten,  Spirillen  etc. 
Der  physiologische  Mechanismus,  nach  dem  diese  Gesetze  wirken,  ist 
noch  ganz  unbekannt.  Auf  festem  Nährsubstrat  entstehen  endlich 
makroskopisch  sichtbare  Anhäufungen,  Kolonien,  in  charakte- 
ristischer Erscheinungsweise,  die  eine  sichere  Erkennung  der  Art  er- 
möglichen. Die  Verschiedenheit  der  Kolonien  wird  theilweise  durch 
chemische  Prozesse,  durch  Absonderung  peptonisierender  Fermente. 
Farbstoffe  etc.,  teilweise  aber  auch  durch  einfache  Wachstums-  und 
Formverschiedenheiten,  ähnlich  den  differenten  Bildungen  von  Organ- 
teilen höherer  Pflanzen  bewirkt.  Die  Faktoren,  welche  die  Form  der 
Kolonie  bedingen,  sind  im  einzelnen  noch  nicht  genau  anzugeben; 
doch  kann  man  sehr  wohl  im  allgemeinen  die  Momente  bezeichnen, 
die  hierbei  eine  Rolle  spielen.  Zunächst  ist  hervorzuheben,  dass  die 
verschiedenen  Kolonieformen  ebenso  wenig  wie  die  morphologische 
Gruppierung  der  Einzelbakterien,  spezifische  Artcharakteristika 
darstellen;  sie  sind  vielmehr  nur  Wachstumstypen,  von  denen  ein 
und  derselbe  sehr  vielen  Arten  zukommen  kann  und  von  denen  anderer- 
seits mehrere  in  den  Entwicklungskreis  einer  und  derselben  Art  ge- 
hören. Um  nur  einige  Beispiele  herauszugreifen,  sei  daran  erinnert, 
dass  oberflächliche,  ausgebreitete,  weinblattähnlich  gezeichnete,  häut- 
chenartige  Kolonien  sowohl  dem  Typhusbacillus  und  dem  Heere  der 
verwandten  typhusähnlichen  Arten,  andererseits  aber  auch  einzelnen 
Vibrionen  zukommen,  und  dass  hingegen  die  meisten  Arten,  z.  B.  alle 
typhusähnlichen  Mikroben,  zwei  vollständig  verschiedene  Wachstums- 
typen in  ihren  oberflächlichen  und  tiefen  Kolonien  erkennen  lassen. 
Gerade  dieser  Unterschied  zwischen  oberflächlichen  und  tiefen  Kolo- 
nien führt  uns  zur  Erkenntnis  eines  bedeutsamen  Moments  bei  der 
Koloniebildung,  nämlich  des  Zutritts  atmosphärischen  Sauerstoffs.  In 
früheren  Abschnitten  wurde  gezeigt,  dass  den  Bakterien  eine  direkte 
Gasatmung  zukommt  und  dass  unmittelbarer  Zutritt  des  Sauerstoffs 
viele  Funktionen  fördert;  so  erklärt  sich,  dass  die  auf  der  Oberfläche 
in  direktem  Kontakt  mit  der  Luft  befindlichen  Keime  eine  intensivere 
Vermehrung  und  grössere  Ausbreitung  gewinnen,  als  die  in  der  Tiefe 


426  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

des  Nährbodens  liegenden  Individuen.  Auch  mag  hierbei  der  Umstand 
mitwirken,  dass  bei  letzteren  ein  allseitig  gleicher  Wachstumswider- 
stand durch  den  Nährboden  stattfindet,  daher  eine  gleichmässige 
kugelige  Ausbreitung  der  Kolonie  zustande  kommt,  während  bei  den 
oberflächlichen  Kolonien  der  Wachstumswiderstand  nur  von  der  un- 
teren Seite  her  wirkt,  also  die  Entstehung  platter,  häutchen-  oder 
scheibenartiger  Kolonieformen  bedingt.  Ferner  zeigt  die  Anordnung 
der  einzelnen  Individuen  einen  deutlichen  Einfluss  auf  die  Form  der 
Kolonie;  liegen  die  einzelnen  Bakterien  in  Ketten,  wie  z.  B.  bei 
Streptokokken,  beim  Bac.  anthracis  und  insbesondere  bei  manchen 
Proteusarten,  so  weisen  auch  die  Kolonien  lockige,  fädige  oder  netz- 
artig verstrickte  Bildungen  auf.  Sehr  merkwürdig  sind  die  bei  ein- 
zelnen Arten,  zuerst  bei  Proteus  von  Hauser  beobachteten  verspreng- 
ten kleinen  Kolonien,  die  massenhaft  um  eine  grössere  geschart 
liegen,  und  zwar  in  einer  centrischen  Anordnung,  die  ihren  Ursprung 
von  jener  unzweifelhaft  darthut;  dieselben  entstehen  durch  Ausschwär- 
men eines  Bakterienfadens  in  die  Umgebung,  wobei  vielleicht  eine 
chemotaktische  Anlockung  durch  die  noch  unberührten  Nährstoffe  in 
der  Nähe  der  Kolonie  mitwirken  mag;  unter  günstige  Ernährungs- 
bedingungen gelangt,  bilden  diese  Schwärmer  eine  neue  Tochterkolo- 
nie,  die  scheinbar  unabhängig  von  der  ursprünglichen  erscheint,  oft 
aber  noch  durch  dünne  Fäden  mit  ihr  verknüpft  ist.  Dass  eine 
Schwärmbewegung  bei  manchen  Bakterien  auch  in  gallertiger,  fest- 
weicher Masse  thatsächlich  vorkommt,  konnte  Beijerinck  bei  der  Dar- 
stellung seiner  früher  besprochenen  „Atmungsfiguren"  in  l°/00  Agar 
direkt  nachweisen.  Ferner  übt  es  auf  die  Form  der  entstehenden 
Kolonie  wahrscheinlich  einen  wesentlichen  Einfluss  aus,  ob  sie  aus 
einem  einzigen  oder  von  mehreren  zusammengelagerten  Keimen  her- 
vorgeht; in  letzterem  Falle  entstehen  leicht  unregelmässige  Formen 
durch  Interferenzwirkung.  Jendrassik  (r:  K.  91.  43)  giebt  an,  dass  aus 
vollständig  von  einander  getrennten,  ganz  einzeln  liegenden  Keimen 
bei  manchen  Bakterienarten  zuerst  ganz  geometrisch  regelmässig 
gebildete,  an  Krystalle  erinnernde  Kolonieformen  entstehen;  als 
solche  beschreibt  er  das  Triphyllon,  Hexaphyllon  etc.,  Bildungen,  die 
im  wesentlichen  aus  Blättern  bestehen,  die  unter  gleichen  Winkeln 
mit  einander  zusammenstossen;  er  führt  ihre  Entstehung  auf  polare 
Eigenschaften  der  Bakterien  zurück.  Auch  die  Schwerkraft 
scheint  nach  Beobachtungen  von  Boyce  und  Evans  (Proc.  Lond. 
LIV.  300)  am  Bakt.  Zopfii  einen  Einfluss  auf  die  Form  der  Kulturen 
auszuüben;  in  senkrecht  stehenden  Kulturröhrchen  senden  die  Kolonien 
fiederförmige,  nach  oben  gerichtete  Fortsätze  aus;  bei  Elimination  der 
Schwerkraft  durch  langsame  Drehung  am  Klinostaten  bleibt  die  Fie- 


Gotschxich,  Fortpflanzung,  Wachstum  u.  Fruktifikation  der  Mikroorganismen.   427 

derung  aus;  bei  schneller  Drehung  wird  sie  in  gleicher  Weise  wie 
durch  die  Schwere  durch  die  Centrifugalkraft  ausgebildet;  Bakt. 
Zopfii  ist  also  negativ  geotropisch. 

Bei  den  Schimmelpilzen  besteht  nach  Makabtj  Mitoshi  (B.  Z. 
1894.  H.  1)  ein  wachstumsrichtender  Einfluss  hinzudiffun- 
dierender chemischer  Stoffe,  der  bald  in  positivem,  bald  in  nega- 
tivem Sinne  wirkt  und  zum  Unterschied  von  der  Chemotaxis,  zu  der 
sonst  viele  Analogien  bestehen,  als  positiver  bezw.  negativer  Chemo- 
tropismus  bezeichnet  wird.  Anlockend  erwiesen  sich  für  Mucor, 
Penicillium,  Aspergillus:  Fleischextrakt,  Pepton,  Dextrin,  neutrale  Phos- 
phate, Ammonsalze  und  ganz  besonders  Rohr-  und  Traubenzucker;  der 
Schwellenwert  des  letzteren  für  Mucor  ist  sehr  gering,  nämlich  0,01%. 
Repulsion  wird  bewirkt  durch  Säuren,  Alkalien,  Alkohol,  gewisse  Salze, 
giftige  Substanzen  und  durch  übermässige  Koncentration  auch  solcher 
Stoffe,  die  in  verdünnteren  Lösungen  anlockend  wirken;  so  ist  z.  B. 
50proz.  Traubenzuckerlösung  für  Mucor  von  repulsiver  Wirkung.  Die 
Wirkung  verschiedener  Stoffe  auf  denselben  Pilz  ist  nicht  gleich  stark; 
ausserdem  besteht  bei  verschiedenen  Arten  eine  verschiedene  Grösse 
der  Reizbarkeit  gegenüber  demselben  äusseren  Reiz.  Auch  hier  hat  das 
WEBEE'sche  Gesetz  Giltigkeit. 

C.  Fruktifikation. 

I.  Bei  Schimmelpilzen  gehört  die  Sporenbildung  ebenso  in  den 
normalen  Entwicklungsgang  jeder  Form  wie  die  Fruchtbildung  bei 
höheren  Pflanzen;  es  gelten  daher  die  oben  aufgeführten  , Lebens- 
bedingungen des  Wachstums  auch  in  ganz  gleicher  Weise  für  die 
Fruktifikation;  insbesondere  ist  für  dieselbe  der  unmittelbare  Zutritt 
freien  Sauerstoffs  notwendig,  daher  denn  auch  die  im  tierischen  Körper 
schmarotzenden  Aspergillus  arten  in  den  Geweben  nur  eine  beschränkte 
Mycelbildung,  nie  Fruchtträger  produzieren.  Über  die  chemische  Be- 
deutung des  Vorgangs  der  Sporenbildung  und  die  Zusammensetzung 
der  Sporen  gegenüber  dem  vegetativen  Mycel  haben  Ceamer's  (A. 
13.  71)  Untersuchungen  Folgendes  gelehrt.  Er  fand  bei  der  Analyse 
im  Mittel: 

m      ,  ,  Asche  in  %  der      Asche  in  %  der 

Trockensubstanz      Trockensubstanz    feucMen  Masse 

Mycel 12,36  11,34  1,30 

Sporen      ....     61,13  3,09  1,84 

Auffallend  ist  ausserdem  nach  neueren  Analysen  desselben  Autors 
(A.  20.  197)  der  relativ  sehr  hohe  Gehalt  der  Sporentrockensubstanz 
an  Cellulose    (11,13%)    und    stärkeähnlichen   Kohlehydraten    (17,0%), 


428  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

sowie  an  äusserst  hygroskopischen  alkohollöslichen  Extraktivstoffen 
(30,46°/o).  Es  hat  also  bei  der  Sporenbildung  eine  Differenzierung  des 
Plasmas  in  der  Weise  stattgefunden,  dass  unter  Austritt  von  Wasser 
und  Salzen  ein  höchst  koncentrierter  Eiweisskörper  entstanden 
ist,  der  wohl  den  stark  lichtbrechenden  Kern  der  Spore  bildet,  wäh- 
rend die  schwer  durchdringliche  Hülle  wahrscheinlich  aus  Cellulose 
und  ähnlichen  Kohlehydraten  besteht  und  mit  den  hygroskopischen 
Extraktivstoffen  durchtränkt  ist.  Fast  sämtliche  38,87%  Wasser 
der  Sporensubstanz  sind  an  diese  hygroskopischen  Substanzen 
gebunden;  in  trockener  Luft  wird  das  hygroskopische  Wasser  sofort 
abgegeben,  und  dann  stellt  die  Spore  eine  salzarme,  wasserfreie  Eiweiss- 
substanz  dar,  deren  Widerstandsfähigkeit  gegen  Koagulation  selbst  bei 
sehr  hohen  Hitzegraden  durch  Lewith's  Untersuchungen  (A.  P.  26.  641) 
festgestellt  ist.  Hierdurch  erklärt  sich  leicht  die  grosse  Widerstands- 
fähigkeit der  Spore  gegen  trockene  Hitze;  die  relativ  ebenfalls  sehr 
bedeutende  Resistenz  gegen  strömenden  Dampf  ist  wohl  so  zu  deuten, 
dass  die  hygroskopischen  Stoffe  der  Sporenmembran  zuerst  sich  mit 
Feuchtigkeit  sättigen  und  so  den  lebenden  Eiweisskern  derselben  lange 
Zeit  vor  Quellung  und  Koagulation  schützen.  — 

Für  den  Akt  der  Sporenkeimung  ist  zunächst  nur  eine  gewisse 
Wassermenge,  dagegen  meist  nicht  Anwesenheit  von  Nährstoffen  er- 
forderlich; die  Bildung  des  Keimschlauchs  erfolgt  vielmehr  auf  Kosten 
der  in  der  Spore  angehäuften  Nährstoffe;  erst  von  einer  gewissen  Ent- 
wicklung des  Keimschlauchs  an  bedarf  es  äusserer  Nahrungszufuhr. 
Das  Auskeimen  der  benetzten  Sporen  kann  daher  selbst  auf  Glas- 
platten beobachtet  werden.  Einige  Pilze,  wie  Mucor  mucedo,  machen 
hiervon  eine  Ausnahme,  indem  sie  nur  auf  geeignetem  Nährsubstrat 
auskeimen.  Ferner  ist  zum  Keimungsprozess  wie  zu  allen  Lebens- 
äusserungen der  Schimmelpilze  Sauerstoffzutritt  und  eine  geeignete 
Temperatur  erforderlich.  Letztere  zeigt  auch  hier  für  verschiedene 
Pilzsporen  ein  verschiedenes  Minimum,  Maximum  und  Optimum.  Für 
Penicilliumsporen  liegt  ersteres  bei  +  0,5°,  das  Maximum  bei  +  43°, 
das  Optimum  bei  -f-  22°;  für  Aspergillus  fumigatus  liegt  dagegen  das 
Minimum  schon  bei  15°.  Belichtung  ist  für  die  Sporenkeimung  der 
Schimmelpilze  nicht  erforderlich.  Vom  Eintritt  der  Keimungs- 
bedingungen an  bis  zum  Hervortreten  des  Keimschlauchs  ist  ein  ge- 
wisses Latenzstadium  erforderlich,  dessen  Dauer  von  der  Art  der  Sporen 
und  vermutlich  vor  allem  von  der  Dicke  der  Sporenmembran  abhängig 
ist  und  von  wenigen  Stunden  bis  zu  mehreren  Tagen  variiert.  Ahn- 
liche Schwankungen  bestehen  bezüglich  der  Dauer  der  Keimfähigkeit 
der  Sporen.  Bei  den  Uredo-  und  Acidiumsporen  der  Rostpilze,  sowie 
bei  Peronosporeen  erhält  sie  sich  nur  wenige  Wochen,    während   die 


Gotschlich,  Fortpflanzung,  Wachstum  u.  Fruktifikation  der  Mikroorganismen.  429 

Sporen  von  Penicillium  glaucum  1 V2  Jahre,  die  von  Mucor  stolonifer 
und  Aspergill.  niger  etwa  1  Jahr,  die  von  Aspergill.  fiavus  6  Jahre, 
von  Aspergill.  fumigatus  10  Jahre,  von  Tilletia  caries  und  Ustilago 
carbo  ungefähr  8  Jahre  keimfähig  bleiben. 

II.  Bei  Sprosspilzen  besteht  im  Gegensatz  zu  den  Schimmelpilzen 
und  höheren  Pflanzen  eine  sehr  grosse  Neigung,  das  dargebotene  Nähr- 
material zu  einer  unbegrenzt  fortlaufenden,  rein  vegetativen  Zellver- 
mehrung zu  verwenden,  ohne  eine  eigentliche  Fruktifikation  zu  liefern. 
In  adäquatem  Nährmedium  treibt  die  Hefe  durch  Sprossung  immer 
neue  Zellen,  einem  stark  entwickelten  Baum  ohne  Früchte  vergleichbar. 
Nur  vereinzelte  Saccharomyceten  bilden  auch  in  gährenden  Nährlösungen 
Sporen.  In  der  Regel  erfährt  die  gewöhnliche  Art  der  Vermehrung 
nur  dann  eine  Unterbrechung,  wenn  die  Nährbedingungen  erheblich 
ungünstiger  werden,  wenn  einer  der  wichtigsten  Nährstoffe  zu  fehlen 
beginnt.  Der  Pilz  flüchtet  dann  gewissermassen  den  Rest  der  aus- 
reichenden Nährstoffe  in  eine  haltbarere  Zellenform,  die  ein  gänzliches 
Versiegen  der  Nährstoffe  zu  ertragen  und  demnächst  selbst  nach  langer 
Pause  in  frischem  Nährsubstrat  eine  neue  Vegetation  hervorzurufen 
vermag.  Für  die  Hefe  sind  die  Bedingungen  der  Sporenbildung  nament- 
lich dann  gegeben,  wenn  das  Nährsubstrat  sehr  arm  an  Zucker  ist; 
ausserdem  ist  nach  Hansen  vor  allem  reichlicher  Zutritt  des  Sauer- 
stoffs erforderlich,  wobei  jedoch  eine  schädliche  Verdunstung  zu  ver- 
meiden ist;  auch  sind  nur  junge,  kräftige  Zellen  zur  Sporenbildung 
fähig;  endlich  findet  die  Sporenbildung  nur  innerhalb  eines  be- 
grenzten Temperaturintervalls  statt.  Die  Grenzen  dieses  letzteren, 
sowie  das  Temperaturoptimum  sind  für  verschiedene  Arten  verschieden 
und  bieten  ein  wertvolles  Mittel  zur  Artcharakteristik.  So  bildet  Sac- 
charomyces  cerevis.  I  Hansen  nur  zwischen  11  und  37°  Sporen,  Sac- 
charomyces  Pastorianus  I  Hansen  hingegen  nur  zwischen  3  und  30,5° 
(cit.  nach  Jörgensen,  Mikroorg.  d.  Gährungsindustrie.  S.  144  ff.).  Das 
Temperaturminimum,  bei  welchem  überhaupt  Sporenbildung  beobachtet 
wurde,  betrug  0,5 — 3°  C,  das  Maximum  37,5°  C;  das  Optimum  liegt  für 
die  meisten  untersuchten  Arten  in  der  Nähe  von  25°  C.  Bei  den 
höheren  Temperaturen  erfolgt  die  Sporenbilclung  bei  verschiedenen 
Arten  mit  annähernd  gleicher  Geschwindigkeit;  in  etwa  30  Stunden 
erscheinen  die  „Anlagen  zu  den  Sporen"  deutlich  ausgebildet.  Bei  nie- 
deren Temperaturen  hingegen  ergeben  sich  bei  den  verschiedenen  Arten 
wiederum  charakteristische,  diagnostisch  höchst  verwertbare  Differenzen. 
Nach  Holm  u.  Potjlsen  (C.  r.  d.  lab.  d.  Carlsberg  II.  H.  4  u.  5)  scheiden 
sich  in  dieser  Beziehung  die  zu  Brauereizwecken  verwandten  unter- 
gährigen  Kulturhefen  in  zwei  Gruppen:  die  einen  bilden  bei  25  °  ihre 
Sporen  später  als  die  wilden  Hefen,  die  anderen  zeigen  zwar  bei  dieser 


430  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Temperatur  gleichzeitig  Sporenbildung  mit  den  wilden  Hefen,  bleiben 
aber  bei  15  °  C.  erheblich  hinter  ihnen  zurück.  Die  Methode  gestattet 
noch  eine  Verunreinigung  von  -pfas  der  Kulturhefenmasse  mit  Sicherheit 
binnen  2 — 3  Tagen  zu  erkennen.  Ein  analoges  Untersuchungsverfahren 
ist  nach  Jörgensen  (a.  a.  0.  u.  Z.  f.  d.  ges.  Brauwesen.  1891.  Nr.  3)  auch 
für  Kulturoberhefen  verwendbar.  Zur  Beobachtung  der  Sporenbildung 
verwendet  man  nach  Hansens  Vorgang  am  zweckmässigsten  Kulturen 
auf  angefeuchteten  Gypsblöckchen. 

Die  Bedingungen  für  die  Sporenkeimung  sind  hier  ähnlich  wie 
bei  den  Schimmelpilzen;  unbedingt  nötig  ist  Feuchtigkeit,  Sauerstoff- 
zutritt und  eine  gewisse  mittlere  Temperatur,  die  Hansen  (C.  r.  du  la- 
boratoire  de  Carlsberg  III.  1)  für  Saccharomyces  cerevisiae  I  und  Sac- 
charomyces  anomalus  auf  22 — 28°  feststellt.  Nährstoffe  sind  für  die 
ersten  Sprossungen  nicht  unbedingt  notwendig;  auch  in  Wasser  kommt 
Keimung  zustande;  erst  von  einer  gewissen  Entwicklung  an  ist  Nähr- 
stoffzufuhr erforderlich;  ein  besonders  günstiges  Nährmedium  für  kei- 
mende Hefesporen  fand  Hansen  in  gehopfter,  stark  gelüfteter  Bier- 
würze; Zusatz  von  4 — 5  °/0  Gelatine  verlangsamt  die  Entwicklung.  Von 
Einfiuss  auf  die  Keimung  ist  es  auch,  ob  die  Sporen  jung  oder  alt 
sind  und  ob  sie  trocken  oder  feucht  aufbewahrt  werden.  Sehr  merk- 
würdig ist  die  bei  einigen  Sprosspilzen,  z.  B.  sehr  häufig  bei  Saccharo- 
myces Ludwigii,  von  Hansen  beobachtete  Verschmelzung  zweier  Sporen 
oder  ihrer  Keimschläuche.  Diese  Fusion  kommt  besonders  bei  jungen 
Sporen  vor,  während  bei  älteren,  lange  Zeit  trocken  aufbewahrten 
Sporen  der  Keimschlauch  meist  isoliert  weiter  wächst.  Die  biologische 
Bedeutung  dieser  Erscheinung  ist  unsicher;  Hansen  hält  für  möglich, 
dass  durch  dieselbe  die  Vermehrungsenergie  junger  Sporen  gesteigert 
wird,  wonach  der  Vorgang  in  gewissem  Sinne  den  Kopulationsvorgängen 
höherer  Organismen  an  die  Seite  zu  stellen  wäre. 

III.  Bei  Spaltpilzen1)  besteht  noch  in  weit  höherem  Grade  als 
bei  den  Sprosspilzen  die  Neigung,  das  dargebotene  Nährmaterial  zu 
rein  vegetativem  Wachstum  auszunutzen.  Viele  Arten  besitzen  überhaupt 
keine  Sporenbildung.  Welche  Bedingungen  vorliegen  müssen,  um  die 
im  ganzen  seltene  Erscheinnng  der  Sporenbildung  hervorzurufen,  ist 
noch  nicht  völlig  aufgeklärt.  Vielfach  acceptiert  ist  die  Ansicht 
Büchner' s  (Sitzungsber.  d.  Kgl.  Akad.  d.  Wiss.  math.-phys.  Kl. 
München  7.  Febr.  1880.  —  C.  8.  1),  welche  die  physiologische  Ursache 
der  Sporenbildung  in  dem  „eintretenden  Mangel  an  Ernährungsmaterial" 
sieht;    hiernach    würden  die  Verhältnisse  ähnlich  wie  bei  den  Spross- 

1)  Nach  der  Ansicht  einiger  Autoren  stellt  die  Sporenbildung  bei  den  Spalt- 
pilzen überhaupt  keinen  Fruktifikationsprozess,  sondern  nur  eine  Bildung  von 
Dauerformen  dar. 


Gotschxich,  Fortpflanzung,  Wachstum  u.  Fruktifikation  der  Mikroorganismen.  43 1 

pilzen  liegen.  Buchner  stützt  sich  dabei  auf  die  Thatsache,  dass  man 
bei  regelmässig  fortgesetzter,  sehr  frühzeitiger  Erneuerung  der  Nähr- 
lösung unzählige  Generationen  rein  vegetativer  Zustände  von  Milz- 
brandbacillen  erhalten  kann,  ohne  dass  jemals  Sporenbildung  eintritt; 
bei  Übertragung  in  destilliertes  Wasser  aber  erfolgt  sehr  schnell 
Bildung  massenhafter  Sporen  in  den  übergeimpften  vegetativen  Zellen. 
Buchner  betont  dabei  ausdrücklich,  dass  der  „eintretende  Ernährungs- 
mangel", nicht  eine  von  vornherein  kümmerliche  Ernährung 
sei,  welche  die  Sporenbildung  begünstige.  Vielmehr  ist  die  Sporulation 
um  so  reichlicher,  je  besser  die  vegetativen  Formen  vorher  genährt 
waren.  Hiermit  werden  die  Einwände  Lehmann's  (Würzburger  med.- 
physikal.  Ges.  8.  Febr.  1890)  und  Osborne's  (A.  9.  51)  gegenstands- 
los, welche  gegen  Buchner  geltend  machen,  dass  Wachstum  und  ab- 
solute Zahl  der  Sporen  um  so  grösser  sei,  je  günstiger  der  Nährboden 
zusammengesetzt  ist;  um  die  absolute  Zahl  handelt  es  sich  ja  aber  in 
Büchners  Theorie  gar  nicht,  sondern  um  die  Intensität  der  Sporen- 
bildung im  Verhältnis  zum  vegetativen  Wachstum,  die  sich  in 
der  Schnelligkeit  der  Fruktifikation  und  in  der  relativen  Menge  der 
gebildeten  Sporen  kundgiebt;  freilich  giebt  Osborne  an,  dass  auch 
relativ  die  Sporulation  auf  erschöpften  Nährböden  gegenüber  nor- 
malen Verhältnissen  zurücksteht.  Hiernach  ist  die  Frage  noch  nicht 
als  erledigt  anzusehen,  um  so  weniger,  als  auch  C.  Fränkel  (Grund- 
riss  d.  Bakterienkunde.  3.  Aufl.  S.  23)  behauptet,  dass  die  meisten  Arten 
gerade  auf  der  Höhe  der  Entwicklung  Sporen  bilden.  Turro  (r:  K.  91. 74) 
meint,  dass  die  Sporenbildung  nicht  dnrch  Erschöpfung  des  Nähr- 
bodens zustande  komme,  sondern  auf  die  entwicklungshemmende 
Wirkung  der  regressiven  Stoff  Wechselprodukte  zurückzuführen  sei.  — 
Von  grossem  Einfluss  auf  die  Sporenbildung  ist  der  Sauerstoff,  in 
dieser  Beziehung  verhalten  sich  wiederum  die  beiden  Gruppen  der 
Aeroben  und  echten  Anaeroben  grundverschieden.  Erstere  bedürfen 
zur  Sporenbildung  notwendig  des  freien  Sauerstoffs,  wie  dies  z.  B.  von 
Neisser  für  den  Xerosebacillus,  von  Büchner  für  den  Milzbrandbacillus 
festgestellt  ist  und  in  flüssigen  Kulturen  auch  dadurch  sich  deutlich 
kundgiebt,  dass  in  den  oberflächlichen  Deckenbildungen  zuerst  und  am 
reichlichsten  Sporenbildung  eintritt;  für  diese  Bakterien  ist  nach  Praz- 
mowski  das  weitere  Symptom  charakteristisch,  dass  sie  im  Zustand  der 
Fruktifikation  unbeweglich  sind.  Die  Anaeroben  dagegen,  wie  insbe- 
sondere für  Bac.  butyricus  nachgewiesen  ist,  bilden  nur  bei  Sauerstoff- 
abschluss  Sporen  und  bleiben  dann  auch  im  Zustand  der  Fruktifikation 
beweglich.  —  Fördernd  wirkt  ferner  auf  die  Sporenbildung  nach 
Buchner  (a.  a.  0.  S.  6)  ein  Zusatz  von  2  %  Na  Cl  zum  Nährboden.  — 
Auch   die  Reaktion   des  Nährbodens   ist   nach  Neisser   von   Einfluss. 


432  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Am  günstigsten  erwies  sich  merkwürdigerweise  schwach  alkalischer 
oder  schwach  saurer  Nährboden,  etwas  weniger  günstig  neutrale  Reaktion, 
ganz  unbrauchbar  starke  Acidität.  —  Einen  beherrschenden  Einfluss 
hat  auch  hier  wieder  die  Temperatur.  Koch  (M.  G.  I.  65)  stellt 
für  die  Sporenbildung  der  Milzbrandbacillen  als  Temperaturminimum 
+  16°  fest,  wobei  aber  erst  nach  7  Tagen  spärliche  Mengen  von  Sporen 
gebildet  wurden;  bei  21°  waren  72  Stunden,  bei  25°  35 — 40  Stunden, 
bei  30—40°  etwa  24  Stunden  zur  Sporenbildung  erforderlich;  das  Opti- 
mum für  die  Sporulation  lag  bei  20—25°.  Bei  Bac.  subtilis  trat  unter 
6°  überhaupt  keine  Sporenbildung  ein;  bei  18,75°  nahm  sie  zwei  Tage, 
bei  22,5°  einen  Tag,  bei  30°  12  Stunden  in  Anspruch.  Beim  Bac. 
xerosis  lag  nach  Neisser  das  Minimum  bei  13°,  das  Optimum  bei 
ca.  37,6°.  Die  einzelnen  Bakterienarten  verhalten  sich  also  auch  in 
dieser  Beziehung  verschieden.  —  Nach  Kotjlar  (Wratsch  1892.  Nr. 
39/40)  ist  auch  das  Licht  von  Einfluss  auf  die  Sporenbildung.  Beim 
Bac.  pseudoanthracis  fand  er  günstig  wirkend  violettes  Licht,  un- 
günstig dagegen  rote  Strahlen. 

Sehr  bemerkenswert  ist  die  Existenz  asporogener  Rassen,  deren 
spontanes  Entstehen  mehrfach  im  KocH'schen  Institut  beobachtet  wurde 
und  die  sich  auch  durch  künstliche  Züchtung  mit  vorsichtiger  An- 
wendung entwicklungshemmender  Einwirkungen  (Sublimatgelatine,  Züch- 
tung bei  abnorm  hoher  Temperatur,  42°)  nach  Angaben  von  Behring- 
(Z.  7.  171),  Rofx  (P.  90.  25),  Phisalix,  (A.  Ph.  93.  217)  aus  normalen 
sporogenen  Rassen  züchten  und  nach  neueren  Untersuchungen  auch 
wieder  in  diese  zurückverwandeln  lassen  (Phisalix,  A.  Pb.  1893.  256). 
Lehmann  (M.  W.  1 887.  485)  beschreibt  in  diesen  asporogenen  Kulturen 
runde,  glänzende  Körperchen,  die  wirklichen  Milzbrandsporen  täuschend 
ähnlich  sehen  können,  von  diesen  sich  aber  durch  ihre  mangelnde  Re- 
sistenz unterscheiden. 

Über  den  biologischen  Mechanismus  der  Sporenbildung  bei  den 
Bakterien  weiss  man  nichts;  die  Ähnlichkeit  mit  manchen  plasmolytischen 
Vorgängen  haben  Fischer  (Ber.  d.Kgl.  sächs.  Ges.  math.-phys.  Kl.  Leipzig 
1891)  zu  der  vorläufig  noch  der  thatsächlichen  Begründung  entbehren- 
den Annahme  geführt,  dass  durch  Erhöhung  des  Salzgehalts  im  Nähr- 
medium etc.  künstlich  bei  solchen  Bakterien  Sporenbildung  anzuerziehen 
sei,  bei  denen  bisher  noch  keine  Sporulation  gefunden  war.  Cramee 
(A.  13)  glaubt  mit  Rücksicht  auf  das  vielfach  übereinstimmende 
Verhalten  von  Bakterien-  und  Schimmelpilzsporen  gegen  äussere  Ein- 
flüsse seine  Beobachtungen  an  letzteren  auch  auf  die  Bakteriensporen 
übertragen  zu  können.  In  der  That  hat  auch  Dtrmont  (A.  P.  21.  309) 
beim  Milzbrandbacillus  den  N-Gehalt  der  Sporen  weit  grösser  gefunden 
als  den  der  vegetativen  Zellen. 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  433 

Die  Bedingungen  der  Sporenkeimung  bei  den  Bakterien  sind 
noch  nicht  genügend  festgestellt;  im  allgemeinen  stimmen  sie  mit  den 
Lebensbedingungen  der  betr.  Arten  überein.  Das  Optimum  der  Keimungs- 
temperatur liegt  für  Bac.  subtilis  bei  30 — 35°,  für  Bac.  anthracis 
bei  35°. 


Sechstes  Kapitel. 
Die  Aosterbeoedingungen  der  Mikroorganismen 

von 
Dr.  E.  Gotschlich. 

Verschiedene  äussere  Einflüsse  verursachen  eine  Schädigung  der 
niederen  Pilze,  die  bald  mehr,  bald  weniger  tief  in  die  Lebensthätigkeit 
derselben  eingreift.  Alle  derartigen  schädigenden  Faktoren  sind  offen- 
bar deshalb  von  grossem  Interesse,  weil  wir  unter  ihnen  die  Mittel 
suchen  müssen,  um  die  schweren  uns  von  den  Pilzen  drohenden  Gefahren, 
die  Infektionskrankheiten,  zu  beseitigen;  daher  bezeichnet  man  gern  in 
etwas  einseitiger  Betonung  dieses  Gesichtspunktes  die  gesamten  das 
normale  Leben  der  niederen  Pilze  alterierenden  Einflüsse  als  „Desin- 
fektionsmittel". Ausserordentlich  zahlreiche  Versuchsreihen  über 
Art  und  Mass  der  "Wirkung  von  desinfizierenden  Mitteln  sind  bereits 
ausgeführt,  und  doch  müssen  dieselben  noch  vielfach  ergänzt  und 
erweitert  werden.  Denn  wie  beim  Studium  der  biologischen  Verhält- 
nisse  der  Pilze  überhaupt,  so  hat  sich  auch  hier  gezeigt,  dass  die  ver- 
schiedenen Arten  sich  durchaus  nicht  gleichmässig  verhalten:  die  einen 
werden  durch  diese,  die  anderen  durch  jene  Einwirkung  stärker  betroffen, 
noch  andere  zeigen  gegen  schädigende  Einflüsse  jeglicher  Art  eine 
gleichmässige  geringere  oder  grössere  Resistenz.  Ausserdem  wird  aber 
auch  die  Wirkung  jedes  einzelnen  Desinfektionsmittels  durch  die  Summe 
der  gleichzeitig  vorhandenen  übrigen  Lebensbedingungen  mitbestimmt; 
so  schädigen  höhere  Temperaturen  die  Pilze  leichter,  wenn  gleichzeitig 
schlechte  Nährstoffe  vorliegen;  spezifische  Gifte  variieren  in  ihrer  wirk- 
samen Dosis,  je  nachdem  die  äusseren  Verhältnisse  Optima  repräsen- 
tieren oder  von  diesen  abweichen.  Ferner  ist  der  Entwicklungszustand 
der  Bakterienart  auf  ihre  Resistenzfähigkeit  von  bedeutendem  Einnuss; 
junge  Individuen  pflegen  im  allgemeinen  besseren  Widerstand  zu  leisten, 
und  ältere,  der  Involution  bereits  nahe  Individuen  können  schon  durch 
geringfügige  und  vorübergehende  Schädigung  zum  Absterben  gebracht 
werden.     Besonders    eingreifend   ist    der  Effekt   der  Sporenbildung. 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  28 


434  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Liegen  Pilze  vor,  welche  diese  so  überaus  resistenten  Dauerformen 
bilden,  so  sind  die  Mittel  machtlos,  welche  andere  Pilze  schon  tief 
schädigen  oder  töten.  Sporentragende  und  sporenfreie  Mikroorganismen 
sind  daher,  wie  dies  zuerst  von  Koch  betont  wurde,  bei  Desinfektions- 
versuchen schlechterdings  nicht  gemeinsam  zu  behandeln,  sondern  erfor- 
dern eine  durchaus  gesonderte  Prüfung. 

Die  Schädigung,  welche  Mikroorganismen  durch  äussere  Einwir- 
kungen erfahren,  kann  von  sehr  verschiedenem  Grade  sein.  Liegt  nur 
eine  leichte  Beeinträchtigung  vor,  so  werden  nur  eine  ödere  mehrere 
Funktionen  der  Mikroben  in  ihrer  vollen  Entfaltung  gehemmt  oder  ganz 
unterdrückt,  wobei  im  übrigen  die  Entwicklung  und  alle  anderen  Lebens- 
äusserungen ungestörten  Fortgang  nehmen  können.  Diese  Ab- 
schwächung  oder  der  dauernde  Verlust  einer  einzelnen  Lebens- 
äusserung  kann  die  verschiedensten  Funktionen  der  Mikroben,  als 
Produktion  von  Sporen,  Lichterzeugung,  Lokomotionsvermögen,  Er- 
zeugung von  Farbstoffen,  Fermenten,  Giften,  Gährungs-  und  Krankheits- 
erregung betreffen  und  ist  in  den  bezüglichen  einzelnen  Kapiteln  nach- 
zusehen. Die  ganz  besonders  merkwürdige  Thatsache,  dass  diese 
Abschwächung  auf  die  folgenden,  wieder  unter  günstigeren  Lebens- 
bedingungen vegetierenden  Generationen  vererb  bar  ist,  findet  in  dem 
Kapitel  über  Konstanz  und  Variabilität  der  Arten  eingehende  Wür- 
digung. —  Ein  stärkerer  schädigender  Einfmss  zeigt  sich  sodann  in  der 
Verlangsamung  des  Wachstums  und  Beeinträchtigung  sämt- 
licher Lebensäusserungen,  die  bis  zur  völligen  Entwicklungs- 
hemmung fortschreiten  kann.  Hiermit  ist  aber  das  Leben  noch 
keineswegs  definitiv  erloschen;  vielmehr  können  die  in  ihrer  Entwick- 
lung vollständig  gehemmten  Mikroben  bei  Übertragung  in  günstigere 
Verhältnisse  von  neuem  ihre  Lebensäusserungen  entfalten.  Die  end- 
giltige  Abtötung  der  Mikroorganismen  ist  erst  durch  noch  intensivere 
Schädigungen  zu  erreichen.  Diejenigen  Grade  der  Schädigung,  welche 
die  völligeEntwicklungshemmungunddie  endgiltige  Abtötung 
bezeichnen,  sind  vom  praktischen  Gesichtspunkte  aus  besonders  interessant 
und  sollen  daher,  soweit  bekannt,  bei  der  Besprechung  der  einzelnen 
schädigenden  Einwirkungen  stets  angegeben  werden;  auch  liefern  diese 
beiden,  verhältnismässig  leicht  und  sicher  festzustellenden  Werte  brauch- 
bare Indikatoren  für  die  vergleichende  Beurteilung  der  Wirksamkeit 
verschiedener  Desinfektionsmittel  ■  einerseits  und  der  verschiedenen 
Resistenz  differenter  Arten  andererseits. 

Die  schädigenden  Einwirkungen,  welche  die  Mikroorganismen  treffen 
können,  lassen  sich  behufs  spezieller  Behandlung  zweckmässig  in  zwei 
grosse  Abteilungen  einreihen,  in  physikalische  und  chemische  Ein- 
wirkungen. 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  435 

Anmerkung.  Die  nachfolgende  spezielle  Darlegung  dieser  äusseren  Ein- 
wirkungen deckt  sieb  niebt  mit  der  Gesamtheit  der  Desinfektionsmittel  und 
-Metboden  überhaupt,  wie  diese  vom  praktischen  Gesichtspunkte  aus  in  Frage 
kommt.  In  der  Desinfektionspraxis  bandelt  es  sich  zunächst  darum,  die  In- 
fektionserreger zu  beseitigen,  und  es  werden  daher  manche  Verfahren,  wie 
z.  B.  die  Entfernung  der  Infektionserreger  von  infizierten  Objekten  durch  Ab- 
reiben etc.,  auch  unter  den  Desinfektionsmethoden  beschrieben,  obgleich  sie 
keineswegs  die  Erreger  abzutöten  vermögen,  sondern  nur  die  infizierten  Objekte 
von  den  anhaftenden  Keimen  befreien.  Der  Gedanke,  dass  es  sich  bei  der  Des- 
infektion in  erster  Linie  um  eine  Befreiung  infizierter  Objekte  von  In- 
fektionsstoffen handelt,  der  insbesondere  von  Behring  (Bekämpfung  d.  In- 
fektionskrankh.  Leipzig  1894.  S.  4)  betont  ist,  muss  auch  sonst  die  Darstellung 
der  praktischen  Desinfektion  beherrschen;  dieselbe  muss  auch  bei  den  anderen 
bakterientötenden  Massnahmen  mit  steter  Rücksicht  auf  das  zu  desinfizierende 
Objekt,  dem  pathogene  Keime  anhaften  (Fäces,  Wäsche  etc.)  erfolgen. 

A.  Schädigung  der  Mikroorganismen  durch  physikalische  Einwirkungen. 

Von  schädigenden  physikalischen  Einwirkungen  kommen  in  Be- 
tracht: Einwirkung  excessiv  hoher  und  niedriger  Tempera- 
turen, Belichtung,  Elektrizität,  Druck  und  mechanische 
Erschütterungen,  sowie  endlich  eine  zu  starke  Verminderung  des 
Wassergehalts,  ein  Austrocknen  der  Kulturen. 

Der  mächtigste  Effekt  kommt  unter  den  physikalischen  desinfizieren- 
den Agentien  derEinwirkunghöhererTemperaturen  zu.  DerEffekt 
der  Hitze  ist  eine  Funktion  des  Temperaturgrades  und  der  Zeitdauer;  mit 
anhaltender  Einwirkung  relativ  niedriger  Temperatur  lässt  sich  die  gleiche 
"Wirkung  erzielen  wie  durch  kurzdauernde  starke  Erhitzung.  »Ferner 
sind  die  zur  Tötung  erforderlichen  Temperaturen  sehr  verschieden,  je 
nach  den  sonstigen  Lebensbedingungen  und  namentlich  nach  der  spezi- 
fischen Resistenz  der  einzelnen  Art.  Der  grösste  Unterschied  stellt 
sich  zwischen  sporenfreien  vegetativen  Formen  und  Dauersporen  heraus. 
Erstere  sind  im  allgemeinen  im  benetzten  Zustand  oder  in  Flüssig- 
keiten durch  eine  etwa  10 — 15'  dauernde  Einwirkung  einer  Temperatur 
von  ca.  50 — 60°  zu  töten;  in  lufttrockenem  Zustand  pflegt  eine  länger 
dauernde  oder  höhere  Erhitzung  notwendig  zu  sein.  Dabei  ergeben 
sich  jedoch  merkliche  Verschiedenheiten  in  der  Resistenz  der  einzelnen 
Arten. 

So  ist  nach  Steenberg's  Versuchen  (A  Manual  of  Bacteriology.  New- York 
1892.  S.  147)  derjenige  Temperaturgrad  (feuchte  Wärme),  welcher  bei  einer  Ein- 
wirkung von  10  Minuten  gerade  hinreicht,  um  sämtliche  Individuen  der  Kultur 
abzutöten,  für: 

Spirill.  cholerae  asiat 52°  CVl    Vollständige  Ab- 

Spirill.  tyrogen 52°      j  tötung  schon  nach  4' 

28* 


436  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Spirill.  Finkler-Prior 50° 

Bac.  typh.  abd 56° 

Bac.  des  Schweinerotlaufs 58° 

Bac.  murisepticus 58° 

Bac.  neapolitan.  Emmerich     ....  62° 

Bac.  cavicida 62° 

Bac.  pneumon.  Friedländer      ....  56° 

Bac.  crassus  sputigen 54° 

Bac.  pyocyaneus 56° 

Bac.  indicus 58° 

Bac.  prodigiosus 58° 

Bac.  cyanogen 54° 

Bac.  fluoresc 54° 

Bac.  acid.  lact 56° 

Staphylokokkus  pyogen,  aur 58° 

„         citreus  ...  62° 

albus     ...  62° 

Streptokokkus  pyogen 54° 

Mikrokokk.  tetragenus 58° 

Sarcina  lutea 04° 

Sarcina  aurantiaca 62° 

Nach  demselben  Autor  wird  auch  der  Mikrokokk.  gonorrhoeae  im  Tripper- 
sekret, sowie  das  Virus  der  Lyssa  in  der  Medulla  eines  an  dieser  Krankheit  zu- 
grunde gegangenen  Kaninchens  durch  10  Minuten  lange  Einwirkung  von  60°  ver- 
nichtet. Nach  Carsten  und  Coert  (cit.  ebd.  148)  verliert  frische  animale  Vaccine 
bei  30'  dauernder  Erwärmung  auf  54,5°  ihre  Wirksamkeit,  während  eine  Tempe- 
ratur von  52°  sie  intakt  lässt.  Ferner  werden  durch  eine  10'  lang  dauernde  Er- 
wärmung getötet:  der  Milzbrandbacillus  (ohne  Sporen)  nach  Chauveatj bei  54°, 
der  Rotzbacillus  nach  Löffler  bei  55°,  der  Diphtheriebacillus  nach  Löffler  bei  60°. 
Bei  entsprechend  längerer  Dauer  der  Einwirkung  genügen  zur  Erzielung  desselben 
Effekts  bereits  niedrigere  Temperaturen;  so  wird  nach  Chauveatj  der  Milzbrand- 
bacillus bei  20'  dauernder  Erwärmung  schon  bei  50°  abgetötet;  bei  demselben 
Temperaturgrad  wird  auch  bei  längerer  Einwirkung  der  Diphtheriebacillus  ver- 
nichtet. Umgekehrt  lässt  sich  die  Abtötung  bei  Anwendung  höherer  Temperaturen 
sehr  beschleunigen;  so  fand  van  Genus  (A.  9.  369)  den  Choleravibrio  und  den 
Vibrio  Finkler-Prior  bei  55,5°  schon  in  30"  vernichtet;  ebenso  sind  nach  Klein 
(c.  J.  1890.  501)  Kulturen  von  Milzbrand  (sporenfrei),  Typhus,  Bac.  Friedländer, 
Bac.  diphth.,  Choleravibrio,  Mäusesepsis,  Mäusetyphus,  Hühnercholera,  Schweine- 
seuche und  den  pyogenen  Kokken  bei  70°  schon  nach  5'  abgestorben.  Der 
Tuberkelbacillus  wird  nach  Bonhoff  (R.  IL  1009)  bei  60°  in  20',  nach  Forster 
(ebd.  869)  erst  in  45—60',  bei  70°  dagegen  schon  in  5—10'  sicher  abgetötet;  an- 
nähernd hiermit  übereinstimmende  Werte  fanden  auch  Sternberg  (1.  c.  150)  und 
Yersin  (P.  88,  IL  60).  Häufig  ergeben  die  Beobachtungen  verschiedener 
Autoren  an  einer  und  derselben  Bakterienart  etwas  von  einander  abweichende 
Werte;  bei  M.  Neisser  (Z.  20.  308)  finden  sich  z.  B.  eine  Anzahl  solcher  Daten 
den  Typhusbacillus  betreffend  zusammengestellt;  vielleicht  handelt  es  sich  in 
solchen  Fällen,  abgesehen  von  Differenzen  in  der  Versuchsmethodik,  um  indivi- 
duelle Verschiedenheiten  in  der  Resistenz  der  Kulturen,  wie  solche  noch  weiter 
unten  kennen  zu  lernen  sein  werden. 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  437 

Jedenfalls  ist  die  Möglichkeit,  sporenfreie  Bakterien,  zu  denen 
ja  fast  alle  Krankheitserreger  gehören,  durch  relativ  kurze  Einwir- 
kung einer  noch  weit  unter  dem  Siedepunkte  liegenden  Temperatur 
mit  Sicherheit  zu  vernichten,  von  grösster  praktischer  Bedeutung  und 
findet  bei  dem  Pasteurisieren,  d.  h.  Erwärmung  der  zu  sterilisieren- 
den Flüssigkeit  während  30'  auf  etwa  70°  Anwendung  (vgl.  Bitter, 
(Z.  8.  268).  —  Auch  sporenbildende  Bakterien  lassen  sich  durch 
solche  relativ  niedere  Hitzegrade  abtöten,  wenn  man  die  Erhitzung 
wiederholt  anwendet  und  in  den  Pausen  durch  Herstellung  günstiger 
Existenzbedingungen  dafür  sorgt,  dass  die  vorhandenen  Sporen  zu 
Bacillen  auswachsen;  werden  die  letzteren,  ehe  noch  eine  erneute  Sporen- 
bildung eintreten  kann,  durch  die  folgende  Erhitzung  getötet  und  das 
ganze  Verfahren  etwa  5 — 6  mal  wiederholt,  so  kann  man  ziemlich 
sicher  sein,  dass  keine  keimfähigen  Sporen  mehr  vorhanden  und  alle 
vegetativen  Formen  vernichtet  sind.  Dies  ist  das  Prinzip  der  von 
Ttndall  angegebenen  sog.  „fraktionierten  Sterilisation",  mittelst 
deren  z.  B.  Blutserum,  ohne  durch  die  Erhitzung  zur  Gerinnung  zu 
gelangen,  sterilisiert  werden  kann.  —  Viel  schwieriger  ist  schon  eine 
rasche  Abtötung  von  Schimmelpilzsporen.  Heisse  Luft  von  120° 
bewirkt  bei  V2  stündiger  Einwirkung  nicht  sichere  Abtötung;  erst  durch 
1 V2  stündige  Erhitzung  auf  110 — 115°  lässt  sich  diese  erreichen.  Peni- 
cilliumsporen  sind  weniger  resistent  als  Sporen  von  Aspergill.  niger. 
—  Am  schwierigsten  endlich  gelingt  die  Vernichtung  der  Bacillen- 
sporen. 

Besonders  durch  trockene  Hitze,  wie  heisse  Luft,  ist  nur  sehr 
schwierig  und  erst  nach  ausserordentlich  langer  Einwir- 
kungsdauer eine  Vernichtung  der  Sporen  zu  erreichen.  Heisse 
Luft  von  100—120°  vermochte  nach  den  Versuchen  von  Koch  u.  Wolef- 
hügel  (M.  G.  I.  301)  selbst  nach  stundenlanger  Einwirkung  noch 
nicht  die  Entwicklungsfähigkeit  der  Milzbrandsporen  aufzuheben;  erst 
eine  3  stündige  Einwirkung  einer  trockenen  Hitze  von  140°  war 
hierzu  imstande.  Unter  natürlichen  Verhältnissen,  wo  die  Sporen  nicht 
isoliert  der  schädigenden  Einwirkung  der  Temperatur  preisgegeben,  son- 
dern inmitten  schlecht  wärmeleitender  Hüllen  (Kleidungsstoffe  oder  dgl.) 
verborgen  sind,  gestaltet  sich  die  Desinfektion  mit  trockener  Hitze 
noch  viel  schwieriger,  da  nur  nach  sehr  langer  Erwärmungsdauer 
im  Innern  der  zu  desinfizierenden  Gegenstände  die  erforderlichen 
hohen  Temperaturgrade  erreicht  werden  können.  Schon  bei  einer  3  stün- 
digen Einwirkung  von  140°  aber  werden  sämtliche  Kleiderstoffe  und 
Gebrauchsgegenstände  in  irreparabler  Weise  beschädigt,  so  dass  an 
eine  Verwendung  der  trockenen  Hitze  zu  praktischen  Desinfektions- 
zwecken nicht  gedacht  werden  kann. 


438  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Im  feuchten  Zustand  unterliegen  die  Sporen  viel  leichter  der 
Vernichtung  durch  Hitze.  In  siedendem  Wasser  gehen  Milzbrand- 
sporen in  etwa  zwei  Minuten  zugrunde;  nach  l'  behalten  sie  meist 
noch  ihre  Entwicklungsfähigkeit  und  Virulenz  (Geppeet,  B.  90.  Nr. 
11).  In  der  Praxis  ist  es  oft  schwierig,  die  ganze  zu  desinfizierende 
Flüssigkeitsmasse  durch  Kochen  gleichmässig  auf  100°  zu  erwärmen. 
Leicht  gelingt  dies  jedoch,  wie  Koch  in  Verbindung  mit  Löfelee 
und  Gäefky  gezeigt  hat  (M.  G.  I.  301)  durch  strömenden  Dampf, 
der  sehr  rasch  in  die  zu  desinfizierenden  Objekte  eindringt  und 
dort  die  Temperatur  von  100°  erzeugt.  Auf  diesem  Prinzipe  be- 
ruhen die  verschiedenen  Dampfdesinfektionsapparate,  auf  deren  Kon- 
struktion hier  nicht  näher  eingegangen  werden  kann,  sowie  der  bekannte 
zur  Sterilisierung  der  Nährsubstrate  und  Geräte  beim  bakteriologischen 
Arbeiten  verwendete  KocHsche Dampfkochtopf.  Milzbrandsporen  gehen 
in  strömendem  Dampf  bei  100°  in  wenigen  (höchstens  12)  Minuten  zu- 
grunde. Noch  viel  widerstandsfähiger  sind  die  Sporen  vieler  peptoni- 
sierenden  Bakterien  der  Kuhmilch  (Flügge,  Z.  17,  272),  sowie  gewisser  in 
Gartenerde  vorkommender,  zur  Gruppe  der  Heu-  und  Kartoffelbacillen 
gehöriger  Bakterien,  wie  solche  insbesondere  von  Globig  (Z.  3.  322) 
beschrieben  sind,  die  erst  nach  6 stündigem  Verweilen  in  strömendem 
Dampf  vernichtet  werden;  die  resistentesten  dieser  Sporen  sind  nach 
Cheisten  (r:  C.  13.  498)  sogar  erst  nach  einer  mehr  als  16  Stun- 
den dauernden  Erhitzung  im  strömenden  Dampf  abgetötet.  Der  des- 
infektorische Effekt  lässt  sich  durch  Anwendung  gespannten  Dampfes 
von  mehr  als  1  Atmosphäre  Druck  steigern;  in  solchem  gespannten 
Dampf  sterben  nach  Cheisten  selbst  die  resistentesten  Sporen  aus 
Erde  etc.  bei  105—110°  in  2—4  Stunden,  bei  115°  in  30—60',  bei  120° 
zwischen  5  und  15',  bei  125 — 130°  in  etwa  5',  bei  140°  in  l'  ab. 

Im  Gegensatz  hierzu  hat  der  auf  über  100°  „überhitzte"  Dampf 
von  gewöhnlicher  Spannung  nicht  nur  nicht  eine  grössere  desinfizierende 
Wirkung  als  einfacher  ungespannter,  strömender  Dampf  von  100°, 
sondern  zeigt  sogar  eine  wesentlich  geringere  Wirksamkeit,  ähnlich 
wie  heisse  Luft.  Solcher  überhitzter  Dampf  lässt  sich  leicht  dadurch 
herstellen,  dass  man  gewöhnlichen  Wasserdampf  von  100°  über  stark 
erhitzte  Metallflächen  oder  durch  ebensolche  Metallröhren  gehen  lässt; 
hierdurch  kann  die  Temperatur  des  Dampfes  bis  gegen  200°  erhöht 
werden,  ohne  dass  seine  Spannung  zunimmt;  der  überhitzte  Dampf 
ist  also  ungesättigt  und  „trockener"  als  der  gesättigte  Dampf  von 
100  °;  mit  zunehmender  Überhitzung  nähert  er  sich  in  seinen  Eigen- 
schaften mehr  und  mehr  der  heissen  trockenen  Luft.  Dementsprechend 
fand  von  Esmaech  (Z.  4),  dass  bei  Temperaturen  über  100°  die  Des- 
infektionskraft des  Dampfes  sich  bald  verringert,  bei  120—130°  ihren 


Gotschuch,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  439 

tiefsten  Stand  erreicht  und  dann  allmählich  wieder  ansteigt,  um  erst 
bei  150 — 200°  wieder  die  ursprüngliche  Wirksamkeit  des  gesättigten 
Dampfes  von  100°  zu  erreichen;  bei  so  hohen  Hitzegraden  wirkt  ja 
freilich  auch  die  trockene  heisse  Luft  energisch  desinfizierend.  Über- 
hitzter Dampf  ist  also  für  die  Zwecke  der  Desinfektionspraxis  als  un- 
geeignet anzusehen.  In  ähnlicher  Weise  wie  die  Überhitzung  wirkt 
auch  die  Beimengung  von  Luft  vermindernd  auf  die  desinfizierende 
Energie  des  Dampfes  ein,  weil  auch  hierdurch  die  Sättigung  und  das 
Wärmeleitungsvermögen  desselben  verringert  wird.  So  machten  schon 
Koch,  Gaffky  u.  Löffler  (1.  c.)  darauf  aufmerksam,  dass  zuweilen 
selbst  in  dem  v.  NÄGELi'schen  Dampfkochtopf,  der  nach  dem  Prinzip 
des  Papin'schen  Topfes  konstruiert  war  und  mit  2  V2  Atmosphären 
Überdruck  arbeitete,  die  vollständige  Sterilisation  nicht  erreicht  wurde; 
dies  rührt  von  dem  Zurückbleiben  gewisser  Luftmengen  her,  die  sich 
dann  mit  dem  Dampf  mischen  und  seine  Wirksamkeit  herabsetzen. 
Dieser  Übelstand  lässt  sich  dadurch  vermeiden,  dass  zunächst  durch  starkes 
Strömen  des  Dampfes  die  Luft  aus  dem  Apparat  vollständig  entfernt 
wird.  Da  die  Luft  schwerer  ist  als  der  Dampf,  so  ist  es  vorteilhaft, 
zur  Erleichterung  ihrer  Entfernung  die  Einströmung  des  Dampfes  von 
oben  her  erfolgen  zu  lassen  und  die  Abströmungsöffnung  im  unteren 
Teil  des  Apparates  anzubringen,  so  dass  die  Luft  aus  demselben  direkt 
„herausfallen"  kann.  —  Die  Verschiedenheit  in  der  Wirkung  der  Hitze 
auf  die  Sporen  in  trockenem  und  feuchtem  Zustande  erklärt  sich  von 
demselben  Gesichtspunkt  aus  wie  die  verschiedene  Resistenz  der  vege- 
tativen Formen  und  der  Dauersporen  gegen  Erhitzung.  In  beiden 
Fällen  ist  der  Wassergehalt  der  ausschlaggebende  Faktor.  Diejenige 
totale  Änderung  des  Protoplasmas,  die  den  Tod  herbeiführt  und  die 
wir  uns  als  eine  Koagulation  vorstellen  müssen,  geht  offenbar  bei 
einem  gewissen  Wassergehalt  des  Plasmas  viel  leichter  vor  sich,  als 
im  völlig  trockenen  Zustande.  Nun  aber  enthalten  die  Sporen  nach 
den  früher  besprochenen  Befanden  Cramer's  ein  fast  wasserfreies,  sehr 
koncentriertes  Eiweiss,  welches  nach  den  ebenfalls  schon  erwähnten 
Untersuchungen  Lewith's  ausserordentlich  schwer  und  nur  durch  sehr 
hohe  Temperaturen  zur  Gerinnung  gebracht  werden  kann,  während  der 
Wassergehalt  der  vegetativen  Formen  ein  recht  beträchtlicher,  etwa 
80%  ist.  In  diesen  letzteren  wird  daher  schon  bei  den  weit  unter- 
halb des  Siedepunktes  liegenden  Gerinnungstemperaturen  der  Albumine 
Koagulation  und  definitive  Abtötung  eintreten,  während  das  höchst 
koncentrierte,  überdies  noch  durch  seinen  hohen  Salzgehalt  geschützte 
Eiweiss  der  Sporen  hierdurch  noch  gar  nicht  und  durch  höhere  Grade 
trockener  Hitze,  über  140°,  auch  noch  schwierig  angegriffen  wird;  bei 
diesen  hohen  Graden  trockener  Hitze  kann  die  Spore  vielleicht,  ohne  zu 


440  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

gerinnen,  direkt  verkohlen,  verbrennen,  wie  dies  auch  leblos  organische 
Stoffe  bei  diesen  Temperaturen  bereits  thun.  In  benetztem  Zustande 
hingegen  quillt  das  Plasma  der  Spore  auf,  wird  dadurch  gerinnungs- 
fähig und  kann  so  durch  weit  niedrigere  Temperaturen,  denen  gegen- 
über die  trockene  Spore  vollständig  gefeit  ist,  koaguliert  und  seiner 
Lebensfähigkeit  beraubt  werden. 

Gegen  niedere  Temperaturen  sind  Bakterien  im  allgemeinen 
sehr  resistent.  Fällt  die  Temperatur  nicht  auf  excessiv  niedere  Grade, 
oder  ist  die  Einwirkung  der  Kälte  nicht  von  sehr  langer  Dauer,  so 
wird  überhaupt  das  Leben  der  Bakterien  meist  nur  sistiert  und  kann 
bei  Übertragung  in  günstigere  Temperaturbedingungen  sofort  wieder  un- 
geschwächt seine  Leistungen  fortsetzen.  Der  gewöhnlich  in  unseren  Kli- 
maten  herrschenden  Winterkälte  vermögen  viele  Bakterien  sehr  lange  stand- 
zuhalten, selbst  wenn  die  Temperatur  zuweilen  auf  sehr  niedrige  Grade  fällt. 

So  konnten  nach  Babes  (Cornil  u.  Babes,  Les  bacteries.)  Cholerabakterien 
vollständig  überwintern,  wobei  die  Temperatur  bis  auf  —  14°  C.  fiel;  auch  Uffelmann 
(B.1893.  Nr.  7),  Raptschewski  (r:  C.17.  185)  und  Wntjkow  (ref.ebd.)  fanden  Cholera- 
kulturen nach  einmonatlichem  ununterbrochenen  Aufenthalt  bei  Winterkälte  noch 
lebend,  obgleich  in  den  Versuchen  des  letzteren  die  Temperatur  nie  über  —  12  ° 
gestiegen,  einmal  aber  bis  —  32,5°  C  gefallen  war  und  8  Tage  hindurch  sich 
zwischen  —  25  und  —  30  °  C.  hält.  Kasansky  (C.  17.  184)  fand  für  Kulturen  von 
Cholerabacillen  und  mehreren  ähnlichen  Vibrionen,  dass  sie  noch  lebensfähig 
bleiben,  selbst  wenn  sie  20  Tage  hindurch  vollständig  hart  gefroren  waren,  und 
dass  sie  sogar  mehrmaliges  Auftauen  und  Wiedergefrieren  vertragen.  Einzelne 
Autoren,  wie  Finkelnburg  (C  13.  Nr.  4),  Renk  (F.  93.  Nr.  10),  Abel  (C.  14.  Nr.  6), 
KarschinsKi  (r:  ebd.  17.  185)  fanden  etwas  geringere  Resistenz,  die  sich  teilweise 
vielleicht  durch  individuelle  Differenzen  der  Kulturen  erklären  dürften;  wenigstens 
wiesen  Finkelnburg  (a.  a.  0.)  und  Kasansky  (a.  a.  O.)  nach,  dass  ältere,  jahrelang 
schon  fortgezüchtete  Kulturen  viel  weniger  widerstandsfähig  wären  als  frische.  Auch 
ist  die  Resistenz  der  Choleravibrionen  gegen  Kälte  verschieden  je  nach  dem  Me- 
dium, in  welchem  sie  sich  während  der  Kälteeinwirkung  befinden  (Weiss,  Z.  18. 
492);  in  Bouillon  ist  ihre  Widerstandsfähigkeit  viel  erheblicher  als  in  Wasser; 
am  schnellsten  gehen  sie  in  Fäces  zugrunde.  Für  Diphtheriebacillen  wies  Abel 
(C.  17.  545)  eine  2 — 3  monatliche  Resistenz  gegenüber  der  Winterkälte  und  mehr- 
maligem Auftauen  und  Wiedergefrieren  nach;  selbst  die  Virulenz  hatte  nur  wenig 
abgenommen,  und  zwar  weniger  als  bei  gleichartigen  Kulturen  bei  Zimmer- 
temperatur; dies  stimmt  mit  den  Angaben  Petruschky's  (ebd.  551)  über  die  Er- 
haltung der  Virulenz  von  Streptokokkenkulturen  wohl  überein.  Eine  bedeutende 
Resistenz  gegen  Kälte  wies  ferner  Nonewitsch  (r:  C.  17.  292)  für  die  Schweinerot- 
lauf bacillen  nach,  die  nach  einmonatlichem  Aufenthalt  im  Freien,  wo  die  Temperatur 
zwischen  —  1,5°  und  —  10°  R.  schwankte,  lebend  und  virulent  geblieben  waren. 
Von  grossem  praktischen  Interesse  ist  ferner  die  Angabe  Galtier's  (ref.  ebd.),  der 
Tuberkelbacillen  nach  17tägigem  Aufenthalt  bei  einer  Temperatur  von  +  10°  C. 
am  Tage  und  —  7  °  C.  Nachts  noch  vollständig  lebensfähig  fand,  was  mit  Rück- 
sicht auf  die  häufigen  grossen  Temperaturschwankungen  mit  Auftauen  und  Wieder- 
zufrieren eine  sehr  erhebliche  Resistenz  bedeutet.  Ebenso  wiesen  Cadeac  und 
Malet  (cit.  n.  Sternberg,  A  Manual  of  Bacteriologg.  New-York  1892.  S.  145)  in 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  441 

gefrorenen  Stücken  tuberkulöser  Lungen  nocb  nach  4  Monaten  virulente  Bacillen 
nach.  Auch  die  sp  o  renfr eien  Milzbrandbacillen  können  nach  Kxepzoff  (C.  17.289) 
eine  12tägige  ununterbrochene  Einwirkung  einer  mittleren  Temperatur  von 
—  26,8°  C.  ohne  Beeinträchtigung  ihrer  Virulenz  aushalten;  bei  längerem  Aufent- 
halte erfolgt  Abschwächung  und  schliesslich  Abtötung  derselben. 

Über  die  Einwirkung  künstlich  erzeugter,  excessiv  nie- 
driger Temperaturen  liegen  folgende  Erfahrungen  vor.  Schumacher 
(Beiträge  zur  Morphologie  und  Biologie  der  Alkoholhefe.  Diss.  Wien 
1874)  fand  Hefe  und  Bakterien  nach  kurzdauernder  Einwirkung  einer 
Kälte  von  — 113°  noch  lebend.  Frisch  (Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad. 
d.  Wiss.  Bd.  75.  H.  5)  fand  verschiedene  Bakterien  nach  einstündiger 
Einwirkung  einer  Kälte  von  — 59  °  bis  — 87,5  °  C.  lebendig.  Pictet 
und  JouNa  (C.  R.  1884.  No.  12)  fanden  noch  nach  20stündiger 
Einwirkung  einer  Temperatur  von  — 130°  C.  oder  108stündigem 
Aufenthalt  bei  — 70 °C.  Milzbrandsporen  und  Bac.  subtilis  lebendig 
und  ungeschwächt,  erstere  sogar  noch  pathogen;  Milzbrandbacillen 
waren  abgetötet,  Hefe  noch  lebend,  aber  ihrer  fermentativen  Eigen- 
schaften verlustig  gegangen.  — 

Das  Licht  wirkt  auf  die  überwiegend  grösste  Mehrzahl  der  Mikro- 
organismen, insbesondere  der  Bakterien  schädigend  ein;  die  schädigende 
Wirkung  desselben  äussert  sich  je  nach  Intensität  und  Dauer  der  Ein- 
wirkung in  Abschwächung  einzelner  Funktionen,  Entwicklungshemmung 
oder  vollständige  Abtötung  der  Mikroben.  Von  den  wenigen  Arten, 
welche  durch  Licht  begünstigt  werden,  ist  schon  früher  das  Eng-el- 
MANN'sche  Bakterium  photometricum  erwähnt  worden;  hier  sei  noch 
der  Angabe  Gaillard's  (De  l'influence  de  la  lumiere  sur  les  Micro- 
organismes.  Lyon  1888,  r:  Z.  6  bei  Raum)  gedacht,  welcher  eine 
Begünstigung  mehrerer  Arten  von  Schimmel-  und  Hefepilzen  durch 
Belichtung  fand,  sowie  der  Beobachtung  Schenk's  (r:  K.  1893.  53), 
welcher  einen  aus  Fäces  gezüchteten  Kokkus  bei  Belichtung  intensiver 
wachsen  sah  als  im  Dunkeln,  weshalb  seine  im  Zimmer  aufgestellten 
Kulturen  aus  koncentrischen,  entsprechend  den  wechselndenBedingungen 
von  Tag  und  Nacht  dichter  oder  weniger  üppig  ausgewachsenen 
Ringen  zusammengesetzt  erschienen. 

Über  die  schädigende  Einwirkung  des  Lichts  auf  Mikroorganismen 
liegt  eine  umfangreiche  Litteratur  vor,  in  der  sich  jedoch  in  Betreff 
mancher  Einzelheiten  widersprechende  Angaben  finden.  Diese  Wider- 
sprüche erklären  sich  teilweise  daraus,  dass  in  den  älteren  Versuchen 
nicht  mit  Reinkulturen,  sondern  mit  unkontrollierbaren  Bakterien- 
gemischen gearbeitet  wurde,  deren  einzelne  Arten  vielleicht  ganz  ver- 
schiedene Resistenz  gegen  Lichteinwirkung  zeigten,  teilweise  aus  der 
Verwendung  verschiedenartiger  Nährsubstrate,  endlich,  wie  besonders 
Buchner  (C.  12.  217)   hervorhebt,  aus    der  Verwendung  von  Massen- 


442  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

kulturen,  in  denen  die  tieferen  Schichten  vor  dem  Einfluss  des  Lichtes 
mehr  oder  weniger  geschützt  sind.  Es  ist  daher  am  zweckmässigsten,  die 
Bakterien  nach  Buchner' s  Methode  in  gleichmässiger  Suspension  in  Flüs- 
sigkeit oder  in  gelatiniertem  Substrat  der  Lichteinwirkung  zu  exponieren 
und  jedenfalls  innerhalb  vergleichender  Versuchsreihen  konstante  Kultur- 
bedingungen einzuhalten.  Eine  Schädigung  von  Bakterien  durch  Ein- 
wirkung des  Lichtes  wurde  zuerst  von  Downes  u.  Blunt  (Proc.  Lond. 
26.  488)  für  Faulflüssigkeiten  gefunden,  dann  von  Duclaux  (C.  R.  100 
u.  101)  für  Tyrothrix  und  einige  Kokkenarten,  von  Arloing  (C.  R. 
100  u.  101,  A.  Ph.  7)  für  Milzbrandbacillen  und  -Sporen,  von  Buchner 
(C.  9.  781  u.  12.  217)  für  Fäulnisbakterien,  Bac.  typhi  abd.,  Bakt.  coli 
u.  den  Choleravibrio,  von  Janowski  (C.  8)  ebenfalls  für  den  Typhus- 
bacillus,  von  Pansini  (cit.  Dieudonne,  A.  G.  9,  413)  für  eine  Reihe 
von  Pigmentbakterien  u.  pathogenen  Arten,  von  Galeotti  (cit.  ebd.  412) 
für  Pigmentbakterien,  von  Giunti  (r:  C.  9.  539)  für  die  Erreger  der 
Essiggährung,  von  Martinaud  (C.  R.  113.  782)  und  Ward  (Proc. 
Lond.  93.  23)  für  Hefen,  von  R.  Koch  (Verhdlg.  d.  X.  internat.  Congr. 
Berlin  1890.  1)  und  Migneco  (A.  25.  361)  für  Tuberkelbacillen  kon- 
statiert. Eingehende  Litteraturverzeichnisse  finden  sich  u.  a.  bei  Raum 
(Z.  6)  u.  Dieudonne  ( A.  G.  9. 4 1 2).  Besonders  merkwürdig  ist  die  verschiedene 
Resistenz  der  Milzbrandsporen  und  Milzbrandbacillen,  die  sich  hier  nach 
Arloing  gerade  in  entgegengesetztem  Sinne  wie  sonst  geltend  macht. 
Die  Sporen  fand  Arloing  schon  nach  2  stündiger  direkter  Besonnung 
abgetötet,  während  die  Bacillen  viel  widerstandsfähiger  sind  und  erst 
nach  26 — 30  Stunden  dauernder  Insolation  vernichtet  werden.  Dieses 
paradoxe  Verhalten  ist  auch  nicht  etwa,  wie  Nocard  wollte  (cit.  Dieu- 
donne S.  413)  auf  eine  besonders  grosse  Empfindlichkeit  der  aus  den 
Sporen  hervorbrechenden  Keimlinge  zurückzuführen,  denn  auch  auf  Eis 
gestellte  und  demnach  am  Auskeimen  verhinderte  Sporen  sterben  nach 
Arloing  viel  rascher  ab  als  vegetative  Formen.  —  Direktes  Sonnenlicht 
übt  eine  weit  intensivere  Wirkung  aus  als  diffuses  Tageslicht;  bei 
direkter  Besonnung  sah  Buchner  schon  nach  1  lj2  Stunden  Entwicklungs- 
hemmung der  Typhusbacillen  eintreten,  im  diffusen  Tageslicht  erst 
nach  5  Stdn.  Auch  Kruse  (Z.  19.  313)  sah  schon  durch  eine  2  stündige 
Besonnung  vollständige  Abtötung  eintreten.  Da  die  baktericide  Wir- 
kung von  der  Intensität  des  Lichtes  abhängt,  so  ist  sie  auch  selbst- 
verständlich in  verschiedenen  Jahreszeiten,  bei  verschiedenem  Hochstand 
der  Sonne  ganz  verschieden;  so  fand  Dieudonne  (1.  c.)  am  Bac.  prodi- 
giosus  u.  Bac.  fluoresc.  putidus  Entwicklungshemmung  eintreten  nach 
V-2  stündiger  direkter  Besonnung  im  März,  Juli  und  August,  dagegen 
erst  nach  1  il2  stündiger  im  November;  zur  definitiven  Abtötung  bedurfte 
es  im  März,  Juli  u.  August  einer  Insolation  von  1  '/2  Stdn.,  im  Novem- 


Gotschxich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  443 

ber  von  2  %  Stdn.  Diffuses  Tageslicht  wirkt  auf  einige  Arten,  wie  z.  B. 
die  Tuberkelbacillen,  erst  nach  mehreren  Tagen  schädlich.  Auch  elek- 
trisches Licht  ist  von  Büchnee  u.  Minck  (A.  17),  Santoei  (A.  J.  90. 
121),  Geislee  (C.  9.  161)  und  Dieüdonne  (1.  c.)  in  seiner  Wirkung 
auf  Bakterien  geprüft  worden;  entsprechend  seiner  geringeren  Intensität 
wirkt  es  langsamer  als  Sonnenlicht.  Unter  den  verschiedenen  Strahlen 
des  Spektrums  sind  nach  den  im  allgemeinen  übereinstimmenden  Re- 
sultaten von  Downes  u.  Blunt,  Kotljae  (r:  C.  12.  836),  Waed, 
Galeotti,  Büchnee  u.  Minck  und  Dieüdonne  die  ultraroten,  roten  u. 
gelben  Strahlen  ganz  unwirksam;  die  stärker  brechbaren  blauen,  violetten 
und  ultravioletten  Strahlen,  die  ja  auch  die  stärkste  chemische  Wirkung 
äussern,  haben  dagegen  deutliche  baktericide  Eigenschaften.  Mehrfach 
wurde  versucht,  die  bakterienfeindliche  Wirkung  des  Lichtes  einzig 
und  allein  auf  die  begleitende  Temperaturerhöhung  zurückzuführen; 
in  der  That  will  auch  Geislee  gefunden  haben,  dass  die  begleitende 
strahlende,  dunkle  Wärme  einen  gewissen  Anteil  am  Zustande- 
kommen der  baktericiden  Wirkung  habe,  und  Keüse  und  Santoei 
konstatierten,  dass  diese  Wirkung  mit  steigender  Temperatur  an  Intensität 
zunehme.  Doch  ist  dieser  Einfluss  der  Temperatur  sicher  nur  eine 
reine  Begleiterscheinung;  denn  Licht,  welches  durch  Absorption  in  einer 
dicken  Wasserschicht  oder  in  Alaunlösung  aller  seiner  dunklen  Wärme- 
strahlen beraubt  war,  zeigte  doch  nach  Buchnee  und  Dieüdonne  un- 
verminderte baktericide  Wirkung.  Was  den  Chemismus  der  baktericiden 
Wirkung  des  Lichtes  anlangt,  so  ist  sowohl  eine  direkte  Wirkung 
auf  das  Plasma  der  Bakterien  selbst,  als  auch  eine  gleichzeitige 
indirekte  Schädigung  durch  photochemische  Veränderung 
des  Nährbodens  anzunehmen.  Eine  solche  indirekte  Wirkung  kon- 
statierten z.  B.  Geislee  und  Ketjse  durch  nachträgliche  Aussat  auf 
Nährböden,  die  vorher  im  sterilen  Zustand  besonnt  worden  waren;  es 
zeigte  sich  deutliche  Entwicklungshemmung,  die  bei  Kruse  etwa  dem 
schädigenden  Effekt  eines  Carbolgehalts  von  %  °/0  gleichkam.  Über 
die  Natur  der  hierbei  entstehenden  chemischen  Substanzen  ist  noch 
nichts  sicheres  bekannt;  die  Stoffe  sind  hitzebeständig;  Ketjse  sah 
dieselben  nur  aus  komplizierten  Körpern,  Peptonen  o.  dgl.,  nicht  aber 
aus  weinsaurem  Ammon  oder  Zucker  entstehen;  zu  ihrer  Bildung  ist 
Zutritt  freien  Sauerstoffs  erforderlich.  Bei  Belichtung  unter  Sauerstoff- 
abschluss  fanden  Dieüdonne  sowie  Tizzoni  u.  Cattani  (A.  P.  28.  59) 
sehr  starke  Verminderung  der  baktericiden  Wirkung.  Nach  Versuchen 
von  RiCHAEDSON  (r:  B.  Ch.  26.  823)  und  Dieüdonne  (A.  G.  9.  537) 
entsteht  aus  organischen  Substraten  bei  Besonnung  und  02 -Zutritt 
deutlich  nachweisbar  H2  02 ,  welches  antiseptisch  wirkt  und  demnach 
wahrscheinlich   einen  nicht  unwesentlichen  Faktor   für    das   Zustande- 


444  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

kommen  der  baktericiden  Wirkung  des  Lichtes  darstellt.  Dass  die 
letztere  übrigens  nicht  ausschliesslich  auf  indirektem  Wege 
durch  Umstimmung  des  Nährbodens,  sondern  auch  durch  direkte  Schä- 
digung des  Plasmas  erfolgt,  ist  durch  Versuche  von  Ward  und  Kruse 
festgestellt;  auch  angetrocknete  Sporen  ohne  Nährmaterial  werden 
durch  Besonnung  vernichtet,  und  andererseits  tritt  bei  gleicher  Dauer 
der  Lichteinwirkung  ein  viel  intensiverer  baktericider  Effekt  in  der 
ausgewachsenen  Kultur  als  in  der  vorher  belichteten  bei  nachträglicher 
Besonnung  ein.  Eine  solche  direkte  Wirkung  ist  nach  den  voran- 
gegangenen Betrachtungen  über  photochemische  Zersetzungen  des  Nähr- 
substrats leicht  verständlich  und  erfolgt  im  Plasma  offenbar  in  ganz 
analoger  Weise. 

Die  baktericide  Wirkung  des  Lichtes  spielt  nach  Buchner  in  der 
Natur  wahrscheinlich  eine  bedeutende  Rolle  bei  der  „Selbstreinigung" 
der  Flüsse.  Ein  sicheres,  für  alle  Zwecke  der  Praxis  empfehlenswertes 
Verfahren  stellt  sie  deswegen  nicht  dar,  weil  nach  v.  Esmarch  (Z.  16. 
H.  2)  ihre  Wirkung  sich  nur  auf  die  oberflächlichsten  Schichten  der 
Objekte  beschränkt,  in  das  Innere  derselben  aber  gar  nicht  eindringt. 

Bei  der  Einwirkung  der  Elektrizität  auf  Mikroben,  welche  von  der  Stärke 
und  Einwirkungsdauer  des  Stromes  abhängt  und  je  nachdem  in  einer  Ab- 
schwächung,  Wachstumshemmung  oder  Tötung  der  Bakterien  sich  äussert,  ist 
eine  indirekte  und  eine  direkte  zu  unterscheiden.  Erstere  kommt  durch 
die  vom  elektrischen  Strom  hervorgebrachte  Temperaturerhöhung  und  die 
elektrolytischen  chemischen  Zersetzungen  im  Nährmedium  zustande.  Auf  dieser 
Wirkung  beruhen  die  mehrfach  gemachten  Beobachtungen  über  die  ent- 
wicklungshemmende resp.  keimtötende  Wirkung  galvanischer  Ströme  in  Nähr- 
lösungen, wie  sie  zuerst  von  Cohn  u.  Mendelssohn  (Cohn,  B.  B.  III.  141)  fest- 
gestellt worden  ist.  Später  fanden  Apostoli  u.  Laqtjerriere  (C.  R.  110.  918),  dass 
ein  5  Minuten  wirkender  Strom  von  300  M-A  Milzbrandbacillen  in  Bouillon  sicher 
tötet.  In  beiden  Versuchsreihen  erwies  sich  nur  die  Anode  als  wirksam, 
weil  an  ihr  Säure  und  nascierender  Sauerstoff  frei  wird.  Ahnliche  Resultate  über 
die  polare  Wirksamkeit  erhielten  Prochownick  u.  Späth  (D.  1890)  für  Agar- 
kulturen,  die  auf  Platinelektroden  gewachsen  und  in  0,6  proz.NaCl-Lösung  versenkt 
waren;  sogar  Milzbrand sporen  wurden  nach  1/2  — 1  stündiger  Wirkung  eines 
Stromes  von  2—300  M-A  getötet;  dagegen  war  die  Fernwirkung  auf  die 
in  der  Flüssigkeit  suspendierten  Bakterien  sehr  gering  und  äusserte  sich  nur  in 
Bewegungshemmung.  Foth  (Wochenschr.  f.  Brauerei  1890.  51)  bezog  seine  ana- 
logen, bei  der  Hefe  in  gährenden  Flüssigkeiten  erhaltenen  Resultate  auf  Ozon- 
entwicklung. Auf  gleiche  Weise  ist  vielleicht  auch  die  Beobachtung  Tolomei's 
(r:  C.  9.  539),  dass  starke  Entladung  eines  Ruhmkorff  sehen  Apparates  dicht 
über  einer  in  Essiggährung  befindlichen  Flüssigkeit  die  Mykodermabildung  sistiere, 
zu  erklären.  Hierher  gehören  auch  zum  Teil  die  neuerdings  mehrfach  gemachten 
Versuche,  Abwässer  durch  elektrische  Ströme  zu  reinigen;  nach  Fermi  (A.  8.  206) 
wird  die  Keimzahl  schon  durch  einen  Strom  von  66  M-A  bei  fünfstündiger  Ein- 
wirkung bis  auf  1  %0  reduziert;  die  chemische  Beschaffenheit  der  Elektroden  war 


Gotscbxich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  445 

von  Einfluss,  indem  eiserne  am  stärksten  wirkten;  ein  grosser  Teil  der  Wirkung 
ist  übrigens  auf  rein  mechanisches  Niederreissen  der  Bakterien  durch  die  infolge 
der  Elektrolyse  gebildeten  Niederschläge  zurückzuführen.  —  Von  Versuchen  über 
direkte  Wirkungen  des  Stromes  sind  zu  nennen  die  Beobachtung  von  Btjeci  u. 
Frascani  (r:  K.92. 76)  welche  eine  Abtötung  der  an  einem  Platin draht  angetrockne- 
ten und  in  Quecksilber  versenkten  Bakterien  durch  konstante  Ströme  nachwiesen; 
jedoch  war  hier  die  Erwärmung  nicht  ausgeschlossen.  Ferner  fanden  d'Arsonval 
u.  Charrin  (C.  R.  d.  1.  soc.  d.  biol.  1893.  467  und  764)  eine  Abschwächung  von 
Kulturen  des  Bac.  pyocyaneus  in  Bezug  auf  Farbstoffbildung  und  Vermehrungs- 
intensität bei  längerem  Verweilen  derselben  innerhalb  eines  Solenoids,  durch 
welches  ein  starker  Strom  von  800  000  Oscillationen  pro  l"  geleitet  wurde.  Bei  der- 
selben Versuchsanordnung  fanden  Spilker  u.  Gottstein  (C.  9.  77)  Abtötung  des 
Bac.  prodigiosus  und  murisepticus  in  wässriger  Aufschwemmung;  die  Wirkung 
trat  rascher  in  blut-  oder  eisenalbuminathaltiger  Lösung  ein.  Diese  Wirkungen 
im  elektrischen  Felde  sind  nach  d'Arsonval  u.  Charrin  (a.  a.  O.)  dadurch  zu 
erklären,  dass  sich  in  demselben  kleine  Induktionsströme  bilden,  die  jedes  Mole- 
kül umkreisen,  während  Verhoogen  (r:  J.  1891.  472)  sie  nach  Analogie  der  schäd- 
lichen Einwirkung  hoher  Temperatur  grade  durch  übermässige  Aufnahme  elektri- 
scher Energie  zu  deuten  versucht.  — 

Druck  scheint  erst  bei  sehr  massiver  Anwendung  das  Leben  der  Mikro- 
organismen zu  beeinträchtigen;  so  beobachtete  Certes  (C.  r.  99.  385),  dass  noch 
bei  einem  Drucke  von  350  bis  500  Atmosphären  Fäulniserscheinungen  vor  sich 
gingen,  dass  Hefe  noch  bei  300—400  Atmosphären  Druck  imstande  war,  Zucker 
zu  vergähren,  sowie  dass  Milzbrandbacillen  selbst  nach  24stdg.  Einwirkung  eines 
Drucks  von  600  Atmosphären  virulent  blieben.  Die  Angabe  d' Arsonval's  ,  dass 
C02  unter  hohem  Druck,  etwa  von  50  Atmosphären,  bakterienfeindliche  Wirkung 
ausübe  und  sogar  zu  Sterilisationszwecken  brauchbar  sei,  konnten  bei  einer  Nach- 
prüfung Sabrazes  u.  Bazin  (r:  K.  1893.  34)  für  Staphylokokkus  pyogen,  aur., 
Bakt.  coli,  Typhusbac.  und  Milzbrandbac.  sowie  Schaffer  u.  Freudenreich 
(r:  B.  1892.  502)  für  letztere  beiden  Erreger  nicht  bestätigen;  die  Bakterien 
zeigten  sich  weder  in  ihren  sonstigen  Lebensäusserungen,  noch  speziell 'in  ihrer 
Virulenz  irgendwie  beeinträchtigt,  obgleich  z.  B.  in  den  Versuchen  der  letztge- 
nannten Autoren  7  Tage  lang  ununterbrochen  ein  Druck  von  47  Atmosphären 
(C02)  angewandt  worden  war.  Auch  durch  gleichzeitige  Temperatursteigerung 
konnte,  sofern  diese  nicht  schon  an  und  für  sich  einen  deletären  Einfluss  aus- 
übte, die  Wirkung  des  Drucks  auf  die  Mikroben  nicht  verstärkt  werden.  Viel- 
leicht sind  nur  einige  Arten  gegen  Drucksteigerung  empfindlich;  so  soll  nach 
d'Arsonval  u.  Charrin  (r:  K.  1893.  115)  der  Bac.  pyocyan.  in  C02  unter 
50  Atm.  Druck  schon  nach  2  Std.  eine  geringe  Beeinträchtigung  seiner  Ver- 
mehrungsintensität, nach  4  Std.  eine  Behinderung  der  Farbstoffproduktion  und 
nach  6 — 24  Std.  völlige  Abtötung  erleiden.  Jedenfalls  ist  die  Resistenz  der  Mi- 
kroorganismen gegen  Druckwirkung  eine  ganz  ausserordentliche. 

Über  die  unter  Umständen  schädigende  Einwirkung  mechanischer  Er- 
schütterungen ist  bereits  bei  der  Besprechung  der  Lebensbedingungen  gehandelt. 

Eine  besonders  wichtige  Rolle  spielt  endlich  das  Austrocknen. 
Von  diesem  Tötungsmittel  wird  auch  in  der  Natur  ein  sehr  ausgedehnter 
Gebrauch  gemacht,  und  ihm  erliegen  wohl  schliesslich  die  meisten 
Bakterien,  welche  nicht  Dauersporen  bilden,  in  einiger  Zeit.     Die  be- 


446  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

deutende  Differenz  der  Zeitdauer,  während  welcher  das  Austrocknen 
von  sporenfreien  Bakterien  einerseits,  von  Sporen  andererseits  ertragen 
wird,  giebt  uns  sogar  ein  brauchbares  Kriterium  dafür,  ob  ein  mor- 
phologisch zweifelhaftes  Gebilde  etwa  als  Dauerform  anzusprechen  ist. 
Dauersporen  können  in  völlig  trockenem  Zustande  anstandslos  Jahr- 
zehnte lang  lagern,  ohne  etwas  von  ihrer  Lebensfähigkeit  einzubüssen. 
Unter  den  vegetativen  Formen  bestehen  bezüglich  ihrer  Resistenz 
gegen  Wasserentziehung  bedeutende  Artdifferenzen.  Am  empfindlichsten 
scheinen  Spirillen  und  einige  pathogene  Kokken  (besonders  Pneumo- 
kokken) zu  sein ;  Cholerabacillen,  dünn  auf  Deckgläschen  ausgestrichen, 
sind  durch  das  blosse  Austrocknen  an  der  Luft  nach  Koch  (B.  1884. 
Nr.  31)  und  Kitasato  (Z.  5.  134)  binnen  3  Stunden,  nach  Gärtner 
(Verhütung  der  Übertragung  und  Verbreitung  ansteckeckender  Krank- 
heiten. S.  85)  bereits  in  15'  abgestorben;  wird  die  Wasserentziehung 
an  ganzen  Klümpchen  Kultursubstanz  sehr  rasch,  z.  B.  im  Exsikka- 
tor,  vorgenommen,  so  bildet  sich  an  der  Oberfläche  des  Klümp- 
chens  rasch  eine  ausgetrocknete  harte  Schicht,  welche  die  weitere 
Wasserentziehung  aus  dem  Innern  fast  vollständig  hindert,  so  dass 
sich  im  Innern  die  Bacillen  oft  Tage  lang  lebendig  halten.  Die  Lebens- 
dauer der  Choleravibrionen  bei  Austrocknung  auf  den  verschiedensten  im 
praktischen  Leben  vorkommenden  Substraten  ist  von  Uffelmann  (B.  92. 
1209)  studiert.  Andere  sporenlose  Bacillen,  wie  z.  B.  die  Typhus-,  Diph- 
therie- und  Tuberkelbacillen,  ertragen  wochen-  bis  monatelanges  vollstän- 
digesAustrocknen,  ohneSchaden  zunehmen(vgl.LöFFLER,C.8.665).  Diese 
Bacillen  können  daher  gelegentlich  in  trockenem  Zustande  mit  Staub 
aufgewirbelt  und  durch  Luftströmungen  eine  kurze  Strecke  weit  fort- 
geführt werden,  so  dass  die  Möglichkeit  einer  Infektion  durch  In- 
halation besteht,  während  dies  z.  B.  beim  Cholera vibrio  ganz  aus- 
geschlossen ist  (Williams,  Z.  15).  Die  Erkenntnis  des  Verhaltens  ver- 
schiedener Bakterien  gegen  Austrocknung  ist  daher  auch  von  grossem 
praktischen  Interesse  für  die  epidemiologische  Forschung.  —  Die  Ent- 
wicklungshemmung, welche  sämtliche  Mikroben  erfahren,  wenn  der 
Wassergehalt  des  Substrats  unter  eine  gewisse,  bei  differenten  Arten 
verschiedene  Grenze  sinkt,  ist  schon  früher  besprochen. 

B.  Schädigung  der  Mikroorganismen  durch  chemische  Einwirkungen. 

Allgemeine  Vorbemerkungen  und  Methodik. 

Die  antibakterielle  Wirksamkeit  einer  chemischen  Substanz  hängt 
von  einer  Reihe  von  Faktoren  ab,  als  deren  wichtigste  die  chemische 
Natur  der  betr.  Substanz,  die  Koncentration,  in  der  sie  angewandt 
wird,  die  Dauer  der  Anwendung,  sowie  die  Natur  des  Bakteriums, 


Gotschxich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  447 

auf  welche  sie  wirkt,  zu  nennen  sind;  ausserdem  kommen  noch  die 
Natur  des  Mediums,  die  Temperatur,  sowie  die  Zahl  der  an- 
zugreifenden Keime  als  mitbestimmend  für  den  Erfolg  in  Betracht. 
Die  antibakterielle  Wirkung  lässt  sich  in  zweierlei  Art  beobachten: 
entweder  befinden  sich  die  Mikroorganismen  in  einem  Medium,  in  dem 
sie  dauernd  einer  chemischen  Schädigung  ausgesetzt  sind,  und  es 
fragt  sich  nun,  ob  sie  diesen  ungünstigen  Bedingungen  zum  Trotz 
sich  entwickeln  werden,  oder  ob  völlige  Entwicklungshemmung 
eintritt  —  oder  die  Mikroben  werden  nur  während  einer  bestimm- 
ten Zeit  der  Einwirkung  eines  gegebenen  Desinfiziens  ausgesetzt, 
dann  aber  wieder  in  durchaus  günstige  Existenzbedingungen  versetzt; 
derjenige  Grad  der  Schädigung,  bei  dem  dann  keine  Entwicklung 
unter  günstigen  Bedingungen  mehr  stattfindet,  bezeichnet  die  völlige 
Abtötung  der  Mikroben.  Die  Werte,  bei  denen  völlige  Entwick- 
lungshemmung bezw.  endgiltige  Abtötung  eintritt,  werden  als  anti- 
septischer  bezw.  desinfizierender  Wert  bezeichnet;  bei  letzterem 
haben  wir  für  solche  Bakterien,  welche  resistente  Dauerformen  bilden, 
streng  den  bacillentötenden  und  den  sporenvernichtenden  Wert 
des  Desinfektionsmittels  zu  unterscheiden. 

Die  Bestimmung  des  entwicklungshemmenden,  antisepti- 
sch enWertes  erfolgt  allgemein  in  einfacher  Weise  dadurch,  dass  zu  einer 
Reihe  von  Nährböden  verschiedene  genau  bemessene  Quantitäten  der  zu 
prüfenden  chemischen  Substanz  zugesetzt  und  die  zu  prüfenden  Bakterien 
auf  diese  Nährböden  ausgesät  werden;  derjenige  geringste  Koncentrations- 
grad,  bei  welchem  eben  die  Entwicklung  völlig  ausbleibt,  bezeichnet  den 
antiseptischen  Wert  des  betr.  Mittels.  In  verschiedenen  Nährböden  ist 
derselbe  ausserordentlich  verschieden,  speziell  in  eiweisshaltigen  Flüssig- 
keiten, Blutserum  oder  dgl.  ist  die  entwicklungshemmende  Energie 
des  Mittels  stets  stark  herabgesetzt  gegenüber  der  Wirkung,  in  wäss- 
rigem  Medium.  Gerade  in  diesen  eiweissr eichen,  den  Flüssigkeiten  des 
lebenden  Körpers  ähnlich  zusammengesetzten  Nährböden  ist  es  aber 
besonders  wichtig,  die  Prüfung  anzustellen,  worauf  neuerdings  in  erster 
Linie  Behring-  stets  hingswiesen  hat;  seine  besondere  Methode  besteht 
in  der  Beobachtung  der  Entwicklung  im  hängenden  Tropfen  von  Rin- 
derblutserum. 

Der  entwicklungshemmende  Wert  ist  aber  auch  noch  von  den 
anderen  Versuchsbedingungen  abhängig.  Je  mehr  die  sonstigen  Ver- 
hältnisse sich  dem  Optimum  der  für  das  betr.  Bakterium  giltigen 
Existenzbedingungen  nähern,  desto  widerstandsfähiger  sind  dieselben 
gegen  äussere  Schädigungen;  daher  tritt  z.  B.  bei  Bruttemperatur 
die  Entwicklungshemmung  erst  bei  einer  höheren  Koncen- 
tration des  Antiseptikums  ein,  als  bei  Zimmertemperatur.    Ferner 


448  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

hat  ein  bestimmter  entwicklungshemmender  Wert  nur  für  eine  ganz 
bestimmte,  genau  anzugebende  Beobachtungszeit  Geltung;  bei  längerer 
Beobachtung  kann  einerseits  immer  noch  eine  verspätete  Entwicklung 
eintreten,  wenn  die  hemmende  Einwirkung  noch  nicht  vollständig  war; 
andererseits  aber  können  sich  manche  Substanzen,  wie  Sublimat,  bei 
längerem  Aufenthalt  in  eiweissreichen  Flüssigkeiten  zersetzen,  so  dass 
ihre  entwicklungshemmende  Wirkung  aufhört  und  eine  nachträgliche 
Vermehrung  der  Mikroben  Platz  greifen  kann.  Nur  bei  ganz  genauer 
Angabe  der  Versuchsbedingungen  haben  also  Bestimmungen  dieses 
Wertes  Giftigkeit  und  können  mit  anderen  verglichen  werden. 

Zur  Bestimmung  der  abtötenden  Wirkung  eines  Desinfiziens 
gilt  es  zunächst,  möglichst  gleichmässige  Testobjekte  herzu- 
stellen. Bei  Bakterien,  die  das  Antrocknen  vertragen,  besonders  bei 
den  vorzüglich  zu  vergleichenden  Prüfungen  geeigneter  Milzbrandsporen, 
verfährt  man  nach  Koch  so,  dass  man  dieselben  an  sterilisierten,  etwa 
1  cm  langen  Seidenfäden  antrocknen  lässt;  diese  sehr  handliche  Methode 
hat  jedoch  nach  Geppekt  Nachteile,  indem  sich  an  den  Seidenfäden 
feste,  sehr  schwer  durchdringliche  Krusten  von  Bakterien  bilden  können 
und  andererseits  im  Innern  des  Fadens  das  angewandte  Desinfektions- 
mittel so  fest  haftet,  dass  es  nach  beendigter  Einwirkungsdauer  nur 
sehr  schwer  wieder  entfernt  werden  kann;  Geppert  empfiehlt  daher 
Sporenemulsionen  in  sterilem  Wasser,  eine  Methode,  die  selbstver- 
ständlich überall  da  allein  in  Frage  kommt,  wo  die  zu  prüfenden  Keime 
sehr  durch  das  einfache  Antrocknen  geschädigt  würden.  Bei  verglei- 
chenden Versuchen  empfliehlt  es  sich  übrigens,  auch  an  ein  und 
derselben  Art  stets  nur  Kulturmaterial  derselben  Provenienz  zu 
entnehmen,  da  z.  B.  selbst  bei  Milzbrandsporen  verschiedener  Kultur- 
massen erhebliche  Unterschiede  in  der  Resistenz  vorkommen.  Auf  die 
Testobjekte  lässt  man  nun  das  zu  prüfende  Desinfiziens  in  Lösung  von 
genau  bekanntem  Gehalt  eine  bestimmte  Zeit,  wenige  Sekunden  oder 
Minuten  bis  mehrere  Stunden  oder  Tage  einwirken,  wobei  zur  Erreichung 
vergleichbarer  Resultate  alle  übrigen  Versuchsbedingungen  streng  kon- 
stant erhalten  werden  müssen.  Nach  Ablauf  dieser  Zeit  handelt  es 
sich  darum,  das  Desinfiziens  rasch  und  vollständig  aus  dem  zu  prüfen- 
den Kulturmaterial  zu  entfernen,  um  jede  weiter  schädigende  Einwir- 
kung desselben  zu  vermeiden;  dies  sucht  Koch  durch  mehrmaliges 
Abspülen  der  Sporenfäden  in  sterilem  Wasser  zu  erreichen; 
jedoch  wird  hierdurch  sicherlich  nur  eine  ungenügende  Entfernung  des 
Desinfiziens,  besonders  aus  den  tieferen  Schichten  des  Sporenfadens 
erreicht;  ein  Teil  bleibt  zurück  und  wirkt  dann  bei  der  nachfolgenden 
Übertragung  des  Sporenfadens  in  das  Nährsubstrat  entwicklungshem- 
mend, so  dass  durch  das  Ausbleiben  des  Wachstums  ein  Gelingen  der 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  449 

Desinfektion  bereits  bei  sehr  niedriger  Koncentration  vorgetäuscht 
werden  kann,  bei  der  es  in  der  That  nicht  zustande  kommt.  Man 
glaubte  sich  zwar  durch  einen  Kontrollversuch  vor  einem  solchen  irr- 
tümlichen Resultat  schützen  zu  können,  indem  in  den  gleichen  Nähr- 
boden auch  frische,  unbehandelte  Sporen  gebracht  wurden;  wüchsen 
diese  ungehindert  aus,  so  glaubte  man  einen  schädigenden  Gehalt  des 
Substrats  an  desinfizierender  Substanz  mit  Sicherheit  ausschliessen  zu 
können;  indessen  hat  Geppert  gezeigt,  dass  dieser  Kontrollversuch 
keine  Sicherheit  gewährt,  indem  solche  Sporen,  die  einer  vorherigen 
desinfizierenden  Einwirkung  ausgesetzt,  aber  noch  nicht  abgetötet  wor- 
den sind,  nachträglich  schon  durch  ganz  geringe  Schädigungen,  welche 
normale  Sporen  gar  nicht  am  Auswachsen  behindern,  z.  B.  durch  einen 
Sublimatgehalt  des  Substrats  von  1 : 2  Millionen,  doch  bereits  in  ihrer 
Entwicklung  völlig  gehemmt  werden.  Geppert  erreicht  eine  schnelle 
und  vollständige  Entfernung  des  Desinfiziens  durch  Überführung  des- 
selben in  eine  unlösliche,  unschädliche  Verbindung  mittelst  chemi- 
scher Fällung,  z.  B.  beim  Sublimat  durch  Fällung  mit  Schwefel- 
ammonium, wobei  unlösliches  Schwefelquecksilber  entsteht.  Schäeeer 
(Z.  16.  173)  schlägt  den  umgekehrten  Weg  ein,  indem  er  nicht  das  Des- 
infiziens, sondern  die  Bakterien  mittelst  Centrifugierung  rasch  aus 
der  Lösung  entfernt.  Behring  und  Nocht  (Behring,  Bekämpfung  d. 
Infektionskrankheiten.  Leipzig  1894)  haben  eine  Kombination  der 
KocH'schen  und  GEPPERT'schen  Methode  mit  Erfolg  angewandt,  in- 
dem sie  das  Sublimat  aus  den  Sporenfäden  durch  Schwefelammonium- 
fällung entfernten.  —  Nach  Beendigung  der  Einwirkung  des  Desinfiziens 
werden  nun  die  Keime  in  frisches  Nährmaterial  gebracht;  » hierbei 
kommt  alles  darauf  an,  den  bereits  geschwächten  Keimen  möglichst 
optimale  Existenzbedingungen  zu  gewähren;  nach  Behring  verwendet 
man  daher  nicht,  wie  Koch  früher  gethan  hatte,  Gelatine,  sondern 
Bouillon  oder  Blutserum  und  hält  bei  Brüttemperatur;  auch 
ist  nach  Gruber  (r:  C.  11.  115)  eine  mehrtägige  Beobachtungsdauer 
erforderlich,  da  häufig  trotz  der  besten  Züchtungsbedingungen  erst  ein 
verspätetes  Auswachsen  stattfindet.  Dagegen  ist  der  Vorschlag  Gep- 
pert's  (B.  90.  248),  statt  der  Kultur  auf  künstlichem  Nährboden  den 
Tierversuch  als  Kriterium  für  die  erfolgte  Abtötung  zu  verwenden, 
nicht  allgemein  empfehlenswert,  da,  wie  Behring  mit  Bestimmtheit 
nachgewiesen  hat,  Milzbrandsporen  vor  dem  endgiltigen  Absterben 
in  ein  Stadium  gelangen,  in  dem  sie  zwar  nicht  mehr  infektions- 
tüchtig sind,  aber  doch  noch  auf  künstlichem  Substrat  auswachsen; 
dies  steht  auch  mit  den  sonstigen  Erfahrungen  über  das  Ver- 
hältnis von  Abschwächung  und  Abtötung  ganz  im  Einklang.  Für 
Keime,    die  überhaupt  nur   sehr    kümmerlich    auf    künstlichem    Sub- 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  29 


4,j0  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

strat  gedeihen,  wie  Pneumokokken,  ist  freilich  der  Tierversuch  un- 
entbehrlich. 

Unter  den  allgemeinen  Bedingungen  der  Desinfektion  ist  vor 
allem  der  Temperatur  zu  gedenken,  welche  hier,  im  Gegensatz  zu 
ihrer  Wirksamkeit  bei  der  Entwicklungshemmung,  nach  Untersuchungen 
von  Henle  (A.  9.  192),  Nocht,  Hünermann  und  Behring  (Z.  9.  403), 
sowie  Heider  (A.  15.  341)  den  Desinfektionseffekt  stets  sehr 
erheblich  steigert.  Ferner  ist  die  zuerst  von  Koch  (M.  G.  I.  250) 
gefundene  und  seitdem  noch  mehrfach  (Ceppi,  r:  J.  93.  557;  Lenti, 
A.  J.  III.  518)  bestätigte  Thatsache  von  grösster  Bedeutung,  dass 
alle  Desinfektionsmittel  nur  in  wässriger,  nicht  aber  in 
alkoholischer  oder  öliger  Lösung  wirken;  der  desinfektorische 
Effekt  des  in  der  Praxis  zuweilen  angewandten  Carbolöls  ist  also 
ganz  illusorisch.  Eine  scheinbare  Ausnahme  von  diesem  Gesetz 
machen  nach  Gottstein  Lösungen  des  Sublimats  in  Lanolin,  welche 
dieselbe  Wirksamkeit  zeigen,  wie  wässrige  Lösungen;  hier  handelt  es 
sich  aber  eben  nicht  um  eine  Lösung  des  Desinfektionsmittels  in  dem 
Fett  des  Lanolins,  sondern  um  eine  wässrige  Sublimatlösung,  in  der 
sich  das  Fett  in  fein  emulgiertem  Zustande  befindet.  Übrigens  ver- 
halten sich  nach  neueren  Untersuchungen  von  Breslauer  (Z.  20.  165) 
und  Scheurlen  (A.  25.  373)  auch  die  übrigen  Fette  und  Öl  in  dieser 
Beziehung  sehr  verschieden;  während  z.  B.  Olivenöl  und  Vaseline  nur 
sehr  langsam  das  Desinfiziens  an  ein  wässriges  Medium  abgeben  und 
demzufolge  im  Körper  nur  geringe  desinfizierende  Wirkung  ausüben, 
gestalten  sich  z.  B.  bei  Gelböl  und  Unguent.  leniens  die  Verhältnisse 
weit  günstiger;  nach  Scheurlen  giebt  ein  Ol  um  so  leichter  Carbol 
an  Wasser  ab,  je  geringer  sein  spezifisches  Gewicht  ist.  —  Diese  Ver- 
hältnisse haben  Bedeutung  für  die  Wahl  eines  Konstituens  zu  einer 
antiseptischen  Salbe. 

Von  hohem  Interesse  ist  endlich  noch  das  Studium  der  Gift- 
wirkung der  Desinfizientien  auf  höhere  Tiere.  Hierbei  zeigt  sich  fast 
ausnahmslos  eine  viel  höhere  Giftigkeit  gegenüber  diesen  letzteren  als 
gegenüber  den  Mikroorganismen.  Dieses  Verhältnis  hat  Behring  (Be- 
kämpfung der  Infektionskrankheiten)  zahlenmässig  ausgedrückt  in 
dem  Begriff  der  „relativen  Giftigkeit";  der  Ausdruck  für  dieselbe 
berechnet  sich  z.  B.  für  Carbolsäure  folgendermassen :  Die  tötliche 
Minimaldosis  der  Carbolsäure  für  höhere  Tiere  ist  bei  einem  Ver- 
hältnis der  injizierten  Carbolsäure  zum  Körpergewicht  von  1:3000 
erreicht;  der  entwicklungshemmende  Wert  für  Milzbrandbacillen  in 
Rinderblutserum  beträgt  1:500;  der  Bruch  ;lulj0TJ0  =  6  drückt  dann  aus, 
dass  die  Carbolsäure  für  höhere  Tiere  sechsmal  giftiger  ist  als  für 
Milzbrandbacillen    in    Rinderblutserum;     die     relative    Giftigkeit    der 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganisraen.  45^ 

Carbolsäure  ist  also  gleich  6.  Die  Erkenntnis,  dass  die  allgemein 
wirksamen  Desinfektionsmittel  stets  für  das  tierische  Protoplasma  hef- 
tiger giftig  wirken,  als  für  die  Mikroorganismen,  lässt  leider  eine 
„innere  Antisepsis",  eine  Abtötung  der  Infektionserreger  im  infi- 
zierten menschlichen  oder  tierischen  Körper  durch  diese  Mittel  nicht 
zu.  Nun  giebt  es  aber  ausser  diesen  allgemein  wirksamen  Protoplasma- 
giften noch  spezifisch  wirksame  Mittel,  die  nur  auf  eine  Art 
pathogener  Keime  zerstörend  wirken,  alle  anderen  aber,  sowie  auch 
die  tierischen  Gewebe  unberührt  lassen.  Andeutungen  solcher  spezifi- 
schen "Wirkung  werden  wir  schon  bei  einigen  der  zu  besprechenden 
chemischen  Desinfizientien  finden;  vollkommen  ausgeprägt  ist  sie  bei 
den  in  einem  früheren  Abschnitt  eingehend  besprochenen  baktericiden 
Antikörpern  des  lebenden  Körpers,  welche  in  der  Serumtherapie 
als  praktische  Anwendung  rationeller  innerer  Antisepsis  ihren 
Triumph  feiern.  —  Behufs  spezieller  Besprechung  ordnen  wir  die 
grosse  Masse  der  Desinfektionsmittel,  so  viel  wie  möglich  nach 
chemischer  Zusammengehörigkeit  gehend,  in  Haupt-  und  Unterab- 
teilungen, ähnlich  wie  dies  zuerst  von  Behring  geschehen  ist. 

I.  Anorganische  Desinfektionsmittel. 

a)  Metalle  und  Metallsalze. 

Manche  Metalle  üben  als  solche,  in  reinem  Zustand,  eine  deut- 
liche antiseptische  Wirkung  aus.  Dies  ist  zuerst  von  Miller  (Verhdlg. 
d.  dtsch.  odontolog.  Ges.  1889)  an  einigen  Goldpräparaten,  die  in  der 
Zahnfüllungstechnik  Verwendung  finden,  konstatiert  und  dann  von 
Behring  (Z.  9.  432)  bestätigt.  Legt  man  ein  Stückchen  Gold  in  die 
Mitte  einer  Gelatineplatte,  so  bleibt  in  einem  gewissen  Umkreise  das 
Wachstum  mancher  Arten  aus ;  die  verschiedenen  Arten  werden  in  sehr 
verschiedenem  Grade  beeinflusst,  z.  B.  sind  Diphtherie-  und  Milzbrand- 
bacillen,  sowie  Pyocyaneus  stark,  Cholerabacillen  nur  massig  empfind- 
lich, während  Typhus-  und  Rotzbacillen  gar  nicht  gehindert  werden. 
Ausserdem  metallischen  Gold  fand  Behring  auch  Silber  und  Queck- 
silber, in  geringerem  Grade  auch  Kupfer,  Nickel  und  Zink  wirksam. 
Eisen,  Blei  und  Zinn  dagegen  unwirksam.  Wurden  die  Metallstückchen 
aus  dem  Nährboden  entfernt,  so  war  trotzdem  auch  bei  nochmaliger 
Besäung  in  den  frei  gebliebenen  Bezirken  des  Nährbodens  wiederum 
eine  Entwicklungshemmung  zu  konstatieren,  die  um  so  vollständiger 
war,  je  mehr  der  Impfstrich  sich  dem  Centrum,  wo  früher  das  Metall 
gelegen  hatte,  näherte.  Dies  spricht  dafür,  dass  von  den  Metallen 
geringe  Spuren  im  Nährmedium  aufgelöst  werden  und  so  direkt  das 
Bakterienwachstum  hemmen,  was  freilich  bei  der  Schwerlöslichkeit  des 

29* 


452  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Goldes  sehr  merkwürdig  ist.  Vielleicht  kommt  die  Lösung  überhaupt 
erst  durch  die  Stoffwechselprodakte  der  Mikroorganismen  zustande; 
so  wird  sich  wenigstens  das  verschiedene  Verhalten  differenter  Arten 
gegenüber  demselben  Metall,  welches  bei  gelösten  Metallsalzen  nicht 
in  gleicher  Weise  zu  beobachten  ist,  zwanglos  erklären. 

Unter  den  Metallsalzen  sind  weitaus  am  besten  bekannt  und  von 
stärkster  desinfizierender  Wirkung  die  Quecksilbersalze,  in  erster 
Linie  das  Quecksilbersublimat,  HgCL>.  Die  eminenten  baktericiden 
Eigenschaften  desselben  wurden  zuerst  durch  Koch  erkannt,  und  wenn 
auch  durch  spätere  Versuche,  namentlich  von  Behring,  mit  vervoll- 
kommneter Methodik  gezeigt  worden  ist,  dass  die  antiseptische  und 
desinfizierende  Wirksamkeit  des  Sublimats  nicht  ganz  so  hoch  ist,  wie 
es  nach  den  ersten  Versuchen  den  Anschein  hatte,  so  nimmt  doch  noch 
immer  das  Sublimat  die  hervorragendste  Stelle  unter  den  chemischen 
Desinfizientien  ein.  Die  Entwicklungshemmung  ist  in  Gelatine  für  die 
Milzbrandbacillen  bereits  bei  einem  Gehalt  von  1 : 1  Million  eine  voll- 
ständige; getötet  werden  Milzbrandbacillen  in  Wasser  bereits  durch 
den  Gehalt  von  1 :  500  000  HgCl2  in  wenigen  Minuten.  In  organischem 
Substrat  hingegen  ist  die  Wirksamkeit  des  Sublimats  erheblich  ver- 
ringert; so  werden  die  Bacillen  in  Bouillon  erst  bei  1:40000,  in  Blut- 
serum gar  erst  bei  1 :  2000  abgetötet.  Die  Entwicklungshemmung 
tritt  in  Blutserum  nach  Behrings  sehr  zahlreichen  und  sorgfältigen 
Versuchen  in  der  Regel  bei  einem  Gehalt  von  1:10000  ein;  dieser 
Wert  bezieht  sich  nur  auf  eine  zweitägige  Beobachtung,  reicht  aber 
für  längere  Beobachtungszeiten  nicht  aus,  da  das  Sublimat  allmählich 
zersetzt  und  dadurch  unwirksam  wird;  so  z.  B.  reicht  selbst  ein  Gehalt 
von  1 :  6000  nicht  mehr  hin,  um  noch  nach  8  Tagen  die  Entwicklung 
aufzuhalten.  Interessant  ist  ferner  der  Einfmss  der  Temperatur  auf 
den  entwicklungshemmenden  Wert;  bei  Brutwärme,  wobei  sich  die 
Bacillen  in  optimalen  Lebensbedingungen  befinden,  widerstehen  sie  der- 
selben Schädigung  leichter  als  bei  Zimmertemperatur;  so  wurde  nach 
Behring  bei  einer  24  stündigen  Beobachtungsdauer  in  Bouillon  bei  20° 
vollständige  Entwicklungshemmung  schon  bei  einem  Sublimatzusatz 
von  1 :  500000  konstatiert,  während  bei  36°  cet.  par.  eine  Concentration 
von  1:125000  hierzu  erforderlich  war.  Mit  zunehmender  Verdünnung 
des  Blutserums  nimmt  auch  die  entwicklungshemmende  Wirkung  des 
Sublimats,  und  zwar  annähernd  proportional  mit  der  Verdünnung  wieder 
zu,  so  dass  z.  B.  in  einem  40  fach  mit  Wasser  verdünnten  Serum  schon 
bei  einem  Gehalt  von  1:500000  die  Entwicklungshemmung  selbst  bis 
zu  72  Std.  eine  vollständige  ist.  —  Besonders  weitgehende  Änderungen 
haben  die  Ansichten  über  den  sporentötenden  Wert  des  Sublimats  er- 
fahren müssen;  während  nach  Koch's  erster  Mitteilung  schon  bei  einem 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  453 

Gehalt  von  1 :  5000  HgCl2  die  Sporen  in  einigen  Minuten  abgetötet 
sein  sollten,  ist  nach  neueren  Versuchen  von  C.  Feänkel  dieser  Effekt 
bei  1 :  1000  erst  in  30  Minuten  in  wässriger  Lösung  zu  erreichen,  und 
nach  Beheing  und  Nocht  tritt  in  Bouillon  und  Globulinlösung  selbst 
nach  3  stündiger  Behandlung  mit  1  °/00  Sublimat  noch  keine  Abtötung 
der  Sporen  ein;  dieselbe  ist  mit  gewöhnlicher  Sublimatlösung  zu  l°/00 
sicher  erst  binnen  24  Stdn.  zu  erreichen,  bei  1:200  in  2  Stdn.,  bei  1:100  in 
80  Minuten;  durch  Zusatz  von  Schwefelsäure  (1  HgCl2  +  9  Gewichtsteile 
H2S04)  lässt  sich  die  "Wirksamkeit  etwas  steigern,  so  dass  z.  B.  durch 
1  °/00  Lösung  Sporenabtötung  schon  nach  6  Stdn.  erfolgt.  —  Die  starke 
Verringerung  der  Wirksamkeit,  welche  das  Sublimat  in  Blutserum  und 
ähnlichen  eiweisshaltigen  Flüssigkeiten  erleidet,  ist  darauf  zurückzu- 
führen, dass  das  in  diesen  Lösungen  enthaltene  leblose  organische  Ma- 
terial ebenso,  wie  es  nachher  noch  vom  lebenden  Plasma  kennen  zu 
lernen  sein  wird,  reduzierend  wirkt  und  so  einen  Teil  des  Quecksilbers 
für  sich  in  Anspruch  nimmt;  in  ähnlicher  Weise  setzt  auch  das  Vor- 
handensein zahlreicher  lebender  Milzbrandbacillen  die  sporentötende 
Wirksamkeit  des  Sublimats  herab.  Diese  Wirkung  darf  nicht  ver- 
wechselt werden  mit  der  Bildung  eines  Quecksilberalbuminat- 
Niederschlages,  welcher  sich  im  Blutserum  bildet,  wenn  der  HgCl2- 
Gehalt  0,25  °/00  übersteigt;  denn  die  Verringerung  der  desinfizierenden 
Wirksamkeit  des  Sublimats  in  eiweisshaltigen  Medien  tritt  auch  dann 
ein,  wenn  eine  solche  Ausfällung  des  Quecksilberalbuminats  durch 
Zusatz  geeigneter  Mittel  verhindert  wird.  Zu  letzterem  Zwecke  ist 
zuerst  von  Laplace  (D.  87.  866)  der  Zusatz  von  5  °/00  Weinsäure  oder 
HCl  zu  1  °/00  HgCl2  empfohlen  worden;  nach  Beheing  (C.  3.  27  ü.  64) 
wird  dieser  Niederschlag  von  allen  Mitteln,  die  Niederschläge  der  Mer- 
kurireihe  in  Lösung  halten,  mit  Ausnahme  natürlich  der  an  sich  schon 
koagulierend  wirkenden,  in  Lösung  gehalten.  Besonders  geeignet  sind 
für  diesen  Zweck  KCl  und  NaCl.  Die  mit  diesen  Salzen  (5  Teile  KCl 
oder  NaCl  auf  1  HgCl2)  bereiteten  Lösungen  zeichnen  sich  durch  ihre 
grosse  Haltbarkeit  aus;  sie  werden  weder  durch  das  Licht  zersetzt, 
noch  geben  sie  eine  Fällung  mit  kohlensauren  Alkalien;  sie  können 
daher  auch  mit  nichtdestilliertem  Wasser  hergestellt  werden.  Die  etwa 
eintretende  Bildung  von  Quecksilberoxy Chloriden  beeinträchtigt  die  Wir- 
kung nicht;  „überhaupt  ist  der  desinfizierende  Wert  der  Queck- 
silberverbindungen im  wesentlichen  nur  von  dem  Gehalt  an 
löslichem  Quecksilber  abhängig,  die  Verbindung  mag  sonst 
heissen,  wie  sie  wolle"  (Beheing,  Z.  9.  400). 

Entwicklungshemmung  der  Milzbrandbacillen  in  Einderblutserum  sab  Beh- 
ring (D.  89.  41/43)  bei  verschiedenen  Hg-Präparaten  durch  folgende  Koncentra- 
tionen bewirkt :  Quecksilberchlorid  +  2  Cyankalium  +  Quecksilbercyanid  bei  11: 


454  Allgemeine  Biologie  der  Mikr 


MuiM-inismen. 


18000,  Quecksilberchlorid  +  1  Cyankalium  bei  1:15000,  Quecksilberchlorid  -f-  '  2 
Cyankalium  bei  1:12000,  Quecksilberchlorid  allein  bei  1:10000,  Quecksilberchlorid 
+  10  NaCl  bei  1:15000,  Quecksilberchlorid  +  3  Salmiak  bei  1:12000,  Quecksilber- 
cyanid  bei  1:18000,  Quecksilbercyanid-Cyankalium  bei  1:24000,  Quecksilberoxy- 
cyanid  bei  1:16000,  Quecksilberjodidjodkalium  bei  1:20000,  Quecksilberformamid 
bei  1:10000,  1  Sozojodolquecksilber  +  5  NaCl  bei  1:6000. 

Die  relative  Giftigkeit  der  Quecksilberpräparate  beträgt  nach 
Behring  etwa  6,  d.  h.  die  Quecksilbersalze  sind  für  höhere  Tiere  etwa 
6 mal  so  giftig,  wie  für  Milzbrandbacillen  in  Rinderblutserum. 

Die  anderen  Metallsalze  teilen  mit  den  Quecksilbersalzen  die 
unangenehme  Eigenschaft,  in  eiweisshaltigen  Lösungen  unlösliche  Nie- 
derschläge zu  bilden,  besitzen  dagegen  meist  eine  geringere  desinfi- 
zierende Energie. 

Besondere  Erwähnung  unter  ihnen  verdienen  die  Silbersalze. 
Dieselben  kommen  in  ihrer  entwicklungshemmenden  Energie  dem  Sub- 
limat fast  gleich,  übertreffen  dieselbe  sogar  gegenüber  dem  Rotzbacillus. 
So  werden  nach  Behring-  (D.  87.  Nr.  37  u.  38)  Milzbrandsporen  in 
Rinderblutserum  durch  eine  Silberoxyd -Penthameth ylendiaminlösung 
von  1 :  40  000,  durch  eine  Silbernitratlösung  schon  bei  1 :  80  000  am 
Auskeimen  verhindert;  Vernichtung  trat  bei  24  stündigem  Verweilen 
in  einer  Silberoxydlösung  von  1:2500,  resp.  nach  70 stündigem  Auf- 
enthalt in  einer  Silbernitratlösung  von  1:12000  ein.  Boer  (Z.  9.482) 
fand  bei  Anwendung  von  Silbernitrat  für  folgende  pathogene  Bakterien 
in  Bouillon  folgende  Werte: 

Abtötung  nach  2  Stdn. 
Entwicklung-  einer  frisch  geimpften 

hemmung  Kultur 

Asporogene  Milzbrandbacillen     .      1:60000  [1:80000]  1:30000  [1:70000] 

Diphtheriebac 1:60000  [1:80000]  1:10000  [1:60000] 

Rotzbacillen  ....'....      1:75000  [1:60000]  1:15000  [1:50000] 

Typhusbacillen 1:50000  [1:60000]  1:  4000  [1:50000] 

Cholerabacillen 1:50000  [1:90000]  1:20000  [1:80000] 

Zum  Vergleich  sind  in  eckigen  Klammern  die  korrespondierenden 
Werte  für  Quecksilberoxycyanid  beigegeben.  Es  geht  daraus  ohne 
weiteres  die  bedeutende  entwicklungshemmende  Wirkung  des 
Sübernitrats  hervor;  doch  zeigt  sich  seine  desinfizierende  Wirksam- 
keit wesentlich  geringer.  In  Blutserum  dagegen  leisten  Silber- 
lösungen etwa  5 mal  mehr  als  Sublimatlösungen;  Behring  hat  daher  ver- 
sucht durch  intravenöse  Silbernitratinjektionen  auch  am  lebenden,  mit 
Milzbrand  infizierten  Tier  die  Bacillen  abzutöten  und  so  das  Tier  durch 
..innere  Antisepsis"  zu  retten.  In  der  That  gelang  ihm  dies  einige 
Male  bei  infizierten  Kaninchen  dadurch,    dass   ein  Silbergehalt  von  1: 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  455 

15  000  2 — 3  Tage  hindurch,  unmittelbar  von  der  Infektion  ab,  im  Blut 
des  lebenden  Tieres  unterhalten  wurde;  doch  kommt  hierbei  bereits 
das  Leben  der  Tiere  durch  Silberintoxikation  in  grösste  Gefahr.  —  In 
chloridhaltigen  Medien  erleidet  die  Wirksamkeit  des  Silbernitrats  durch 
die  teilweise  Ausfällung  des  Silbers  als  AgCl  eine  sehr  erhebliche  Ein- 
busse.  —  Dieser  Übelstand  ist  teilweise  vermieden  in  dem  neuerdings 
von  Schäeeer  (Z.  16.  179)  geprüften  Athylendiaminsilberphos- 
phat  („Argentamin"),  welches  bei  Zusatz  zu  eiweiss-  und  chlorid- 
haltigen Flüssigkeiten  nur  eine  Trübung,  keine  Fällung  erzeugt.  Die 
desinfizierende  Wirkung  desselben  gegen  vegetative  Formen  und  vor 
allem  gegen  Gonokokken  war  in  allen  Nährböden  der  des  Silbernitrats, 
zuweilen  sogar  der  des  Sublimats  überlegen;  nur  die  Milzbrandsporen 
wurden  von  der  Silbernitratlösung  in  gleicher  Koncentration  rascher 
getötet  als  von  Athylendiaminsilberphosphat;  bei  Verwendung  einer 
1  proz.  Lösung  trat  bei  ersterer  schon  in  5  Minuten,  bei  letzterer  erst  in 
15  Minuten  Abtötung  der  in  Bouillon  suspendierten  Sporen  ein.  Neuer- 
dings ist  ferner  von  R.  Meyer  (Unters,  üb.  d.  Wirk.  d.  Argentum- 
kase'ins  etc.  Diss.  Breslau  1894)  das  Argentumkase'in  (nach  Röhmann 
und  Liebrecht  aus  10  Teilen  Kasei'nnatrium  +  1  Teil  AgN03  bereitet) 
geprüft  worden;  in  wässrigen  Lösungen  steht  es  dem  Athylendiamin- 
silberphosphat zwar  nach,  in  eiweisshaltigen  aber  kommt  es  ihm  gleich 
und  entfaltet  dabei  eine  etwa  5 mal  geringere  Reizwirkung  auf  mensch- 
liche Gewebe.  — 

Von  Goldsalzen  ist  das  Auronatriumcblorat  von  Behring  und  Boer(Z. 
9.  479)  geprüft  worden;  doch  ist  seine  desinfizierende  Wirkung  nur  eine  geringe,  in- 
dem z.  B.  Eotzbacillen  in  Bouillon  erst  bei  einem  Gebalt  von  1: 1000,  Typrlusbacillen 
bei  1:800  in  2  Stunden  absterben.  Dies  erklärt  sieb  dadurch,  dass  das  Präparat 
sebr  leiebt  von  den  organischen  Substanzen  der  Nährlösungen,  besonders  von  den 
Globulinen  angegriffen  wird.  Andere  Goldsalze,  wie  das  Goldkaliumcyanid,  können 
vollständig  mit  den  Quecksilber-  und  Silbersalzen  konkurrieren.  —  Von  anderen 
Metallen  kommt  nacb  v.  Lingelsheim  (Z.  8.203)  dem  Thalliumkarbonat  erhebliche 
desinfizierende  Fähigkeit  zu;  unter  den  Kupfer  salzen  besitzt  nach  Green  (Z.  13. 
495)  Cuprum  bichloratum  die  stärkste  desinfizierende  Wirksamkeit;  die  Kupfersalze 
wirken  um  so  stärker,  je  grösser  der  Gehalt  ihres  Moleküls  an  Cu  ist.  Kupfer-, 
Palladium-  und  Platin  verbin  düngen  sind  nach  Behring  von  etwa  5mal  ge- 
ringerer Wirksamkeit  als  Sublimat;  Iridium,  Zinn,  Zink  und  Eisen  haben 
einen  sehr  geringen  desinfizierenden  Wert;  Eisenvitriol  wirkt  nach  Jäger  (A.  G. 
5.  247)  selbst  in  Koncentration  von  1 : 3  nicht  auf  Milzbrandsporen  und  Tuberkel  - 
bacillen,  dagegen  auf  Hühnercholera,  Schweinerotlauf,  Schweineseuche  und  Eotz- 
bacillen, sowie  bereits  in  1:10  auf  sporenfreie  Milzbrandbacillen.  Das  Eisen- 
chlorid  ist  von  Löffler,  (C.  16.  955)  zur  lokalen  Behandlung  des  Diphtherie 
in  4proz.  Lösung  gemischt  mit  Alkohol  undToluol  verwendet  werden;  diese  Mischung 
tötet  eine  dicke,  wohl  ausgewachsene  Diphtheriekultur  binnen  5  Sekunden  ab; 
reiner  Liquor  ferri  bewirkt  Abtötung  in  10  Sekunden. 


456  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Über  das  Wesen  der  antibakteriellen  Wirkung  der  Metall- 
salze auf  die  Bakterien  giebt  vielleicht  die  von  Loew  festgestellte 
Thatsache  einigen  Aufschluss ,  dass  das  Protoplasma  gewisser 
Algen  eine  Reduktion  der  Metallsalze  zu  niederen  Oxydations- 
stoffen oder  bis  zum  Metall  selbst  bewirkt  und  sich  durch  Aufnahme 
des  Metalls  selbst  vergiftet;  besonders  wirksam  erwiesen  sich 
Quecksilber-,  Silber-  und  Goldsalze.  Behring  gelang  es  nun,  an  den 
Doppelcyaniden  der  Metalle,  welche  durch  leblose  organische  Sub- 
stanzen fast  gar  nicht  angegriffen  werden  und  demnach  rein  den  Effekt 
der  Reduktion  durch  das  lebende  Plasma  zeigen,  bei  vergleichender 
Prüfung  des  entwicklungshemmenden  Wertes  auf  Milzbrand- 
bacillen  und  der  Giftwirkung  auf  höhere  Tiere  zu  zeigen,  dass 
zwischen  beiden  Reihen  von  Werten  ein  vollständigerParalle- 
lismus  besteht;  ordnet  man  die  Metalle  nach  ihrer  entwicklungs- 
hemmenden Wirkung,  so  ist  gleichzeitig  die  so  gewonnene  Skala  auch 
giltig  für  ihre  Giftwirkung  im  Tierkörper.  Hiernach  darf  man  auch 
annehmen,  dass  Giftwirkung  und  baktericide  Wirkung  auf  einer  und 
derselben  Protoplasmawirkung  beruhen,  die  sich  wahrscheinlich  als 
Reduktionswirkung  darstellt.  Auf  demselben  Prozess  beruht  auch  die 
chemische  Bindung  der  Metallsalze  durch  leblose  Eiweisskörper,  wodurch 
z.  B.  im  Blutserum  die  verminderte  Wirksamkeit  der  Desinfizientien 
zustande  kommt;  durch  Zusatz  geeigneter  Mittel  lässt  sich  diese  Zer- 
setzlichkeit  herabsetzen,  ganz  analog  wie  dies  für  das  Kupfersulfat  in 
der  FEHLiNG'schen  Lösung    durch  Zusatz  von  W einsäure    erreicht   ist. 

b)    Säuren  und  Alkalien. 

Der  Einfluss  der  Reaktion  des  Nährsubstrats  auf  die  Lebensfähig- 
keit der  Mikroorganismen  ist  bereits  in  einem  früheren  Kapitel  be- 
sprochen worden,  wo  auch  das  ausserordentlich  verschiedene  Verhalten 
verschiedener  Arten  dargethan  wurde.  Hier  erhebt  sich  nun  die  wei- 
tere Frage,  ob  die  Wirkung  der  Säuren  und  Alkalien  nur  auf  ihrer 
Acidität,  bezw.  Alkalescenz  beruht,  so  dass  sie  auch  quantitativ  nur 
nach  der  Grösse  der  titrimetrisch  ausgewerteten  Reaktionsänderung 
richtet,  oder  ob  es  dabei  nicht  auch  gleichzeitig  auf  die  chemische 
Natur  der  Säure  oder  des  Alkalis  ankommt,  so  dass  bei  verschiedenen 
Körpern  trotz  gleicher  Änderung  der  Reaktion  doch  Verschiedenheiten 
in  dem  antibakteriellen  Verhalten  vorkommen  könnten. 

Diese  Alternative  ist,  was  die  Säuren  anlangt,  durch  die  Unter- 
suchungen v.  Lingelsheim's  (Z.  8.  201)  im  Sinne  der  ersteren  Annahme 
entschieden.  Nicht  blos  die  anorganischen  Säuren,  wie  Salzäure,  Schwe- 
felsäure, Salpetersäure,  Phosphorsäure,  sondern  auch  die  organischen, 
wie  Ameisensäure,   Essigsäure,   Buttersäure,  Valeriansäure,   Oxalsäure, 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  457 

Milchsäure,  Weinsäure,  Malonsäure,  Citronensäure,  zeigten  die 
gleiche  entwicklungshemmende  Wirkung  auf  Milzbrandsporen 
im  Rinderblutserum,  wenn  sie  in  gleichem  titrimetrisch  festzu- 
stellenden Aciditätsgrade  im  Nährboden  vorhanden  waren;  die 
chemische  Konstitution  der  einzelnen  Säure  machte  für  das  Resultat 
nichts  aus.  Derjenige  Säuregehalt,  bei  welchem,  eine  Ent- 
wicklung der  Milzbrandbacillen  ausblieb,  war  für  alle  Säu- 
ren annähernd  gleich  und  entsprach  etwa  40  ccm  Normal- 
säure pro  1  Liter  Nährflüssigkeit.  Bei  diesem  Säuregehalt,  der 
vollständige  Entwicklungshemmung  bewirkt,  sterben  auch  schon  viele 
Keime  ab;  definitive  Abtötung  sämtlicher  Keime  erfolgt  aber  erst  bei 
einem  etwa  doppelt  so  hohen  Säuregehalt.  Von  den  organischen  Säuren, 
die  ein  viel  höheres  Molekulargewicht  haben,  sind  demnach  natürlich  auch 
grössere  absolute  Mengen  nöthig,  weshalb  diese  Säuren  eine  schwächere 
Wirkung  auszuüben  scheinen  wie  die  anorganischen;  auf  Normalsäure 
berechnet,  besteht  aber  in  beiden  Fällen  dasselbe  quantitative  Ver- 
hältnis. Die  späteren  Untersuchungen  von  Boee  (Z.  9.  479)  bestätigen 
diese  Regel  und  zeigen  noch  zahlenmässig,  dass  der  zur  Entwicklungs- 
hemmung erforderliche  Aciditätsgrad  bei  verschiedenen  Arten  verschie- 
den ist;  Rotzbazillen  werden  z.  B.  erst  durch  einen  6 mal  höheren  Säure- 
gehalt in  ihrer  Entwicklung  gehemmt  wie  Cholerabacillen.  In 
scheinbarem  Widerspruche  hierzu  steht  eine  Angabe  von  Kitasato 
(Z.  3.  404),  wonach  die  Schwefelsäure  erheblich  wirksamer  sein  sollte, 
als  die  Salzsäure;  dieser  Widerspruch  erklärt  sich  aber  wahrscheinlich 
aus  der  abweichenden  Versuchsanordnung  Kitasato's,  der  die  Bakte- 
rien nach  beendigter  Einwirkung  des  Desinfiziens  in  Gelatineplatten 
brachte,  während  Boee  sie  in  Bouillon  bei  Brüttemperatur  züchtete. 
Durch  genaue  Nachahmung  der  KiTASATO'schen  Versuchsanordnung 
erhielt  Boer  auch  sofort  dieselbe  scheinbare  Überlegenheit  der  Schwefel- 
säure über  die  Salzsäure;  dieselbe  erklärt  sich  vielleicht  so,  dass  die 
durch  die  Schwefelsäure  bereits  geschädigten,  aber  noch  nicht  abgetö- 
teten Bakterien  bei  der  niedrigen  Temperatur  des  Gelatineplattenver- 
fahrens durch  die  mit  übergeimpften  kleinen  Mengen  von  Schwefelsäure 
am  Auswachsen  verhindert  wurden,  was  unter  den  günstigeren  Be- 
dingungen der  Brüttemperatur  nicht  der  Fall  ist,  während  die  flüchtige 
Salzsäure  allmählich  aus  dem  Nährboden  entweicht  und  so  auch  ein 
Auswachsen  bei  Zimmertemperatur  ermöglicht.  —  Ein  grosser  Unter- 
schied macht  sich  in  den  Resultaten  über  die  antibakterielle  Wirkung 
der  Säuren  geltend,  je  nachdem  man  von  Züchtung  in  alkalischer 
oder  neutraler  Bouillon  ausgeht;  hierbei  findet  jedoch  nicht  etwa  blos 
eine  einfache  algebraische  Addition  der  Acidität  oder  Alkalescenz  des 
Substrats  zu  der  hinzukommenden  Säureinenge  statt,  sondern  der  Unter- 


458  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

schied  fällt  bei  verschiedenen  Bakterien,  z.  B.  beim  Choleravibrio  und 
Diphtheriebacillus,  in  entgegengesetztem  Sinne  aus,  je  nachdem  das  be- 
treffende Bakterium  in  alkalischer  oder  neutraler  Bouillon  seine  opti- 
malen Lebensbedingungen  findet;  bei  diesem  Reaktionsoptimum  bedarf 
es  zur  Erreichung  desselben  Effekts,  der  vollständigen  Entwicklungs- 
hemmung, eines  grösseren  Säurezusatzes  als  sonst,  so  dass  unter  Um- 
ständen dasselbe  Bakterium,  wie  eben  der  Diphtheriebacillus,  in  neu- 
traler Lösung  erst  durch  grössere  Säuremengen  abgetötet  wird,  als  in 
saurem  Substrat.  —  Sporentötende  Wirkung  kommt  nur  der  Salz- 
säure, Schwefelsäure  und  Salpetersäure  in  koncentrierten 
Lösungen  zu;  stärkere  Verdünnungen  sind  auch  bei  langdauernder 
Einwirkung  machtlos.  Für  praktische  Desinfektionszwecke  kommen 
nur  die  rohe  Schwefelsäure  und  die  rohe  Salzsäure  in  Betracht. 

Während  die  verschiedenen  Säuren,  auf  gleichen  Gehalt  an  Nor- 
malsäure berechnet,  sich  in  ihrer  desinfektorischen  Wirksamkeit  alle 
annähernd  gleich  verhalten,  spielt  bei  den  Alkalien  nach  v.  Lingels- 
heim  (l.c)  die  chemische  Natur  des  einzelnen  Alkalis  für  die 
Grösse  des  antibakteriellen  Effekts  eine  ausschlaggebende 
Rolle. 

So  genügte  zur  Hemmung  der  Entwicklung  von  Milzbrandbacil- 
len  in  Rinderblutserum,  auf  1  Liter  Nährflüssigkeit  bezogen,  von  Barium- 
hydroxyd bereits  ein  Zusatz  von  5ccm,  ^on  der  Natronlauge  llccm, 
von  Ammoniak  dagegen  erst  von  70ccm;  auf  Normallauge  berechnet 
ergiebt  dies  die  Werte  4,64;  11,00;  70,00.  Vom  Ammoniak  wird  also 
ein  7mal  grösserer  Laugenzusatz  vertragen  als  von  Natronlauge.  Ausser- 
ordentlich hohe  entwicklungshemmende  Werte  ergaben  das  schon 
früher  genannte  Thalliumkarbonat  (1:7500)  und  das  Lithionkar- 
bonat  (1:2000).  Die  ausschlaggebende  Rolle  der  chemischen  Natur 
des  Metalls  im  Alkali  kommt  auch  ebenso  in  den  neutralen  Halogen- 
salzen des  Metalls  zum  Ausdruck.  Während  z.  B.  NaCl  erst  bei  einem 
Zusatz  von  1:12,5  die  Entwicklung  des  Milzbrands  in  Blutserum  verhin- 
derte, trat  dies  bei  Calciumchlorid  schon  bei  einem  Zusatz  von  1:50 
und  bei  Lithiumchlorid  gar  bereits  in  einem  Zusatz  von  1:500  zu  Tage. 

Sporentötend  wirken  bei  gewöhnlicher  Temperatur  nur  die  Alkali- 
hydrate, nicht  aber  die  Karbonate;  auch  die  Hydrate  töten  Sporen  nur 
in  stärkeren  Lösungen,  zeigen  sich  aber  doch  wirksamer  als  die  Säuren; 
so  werden  nach  Beheing  (1.  c.  S.  S9)  Milzbrandsporen  in  30°/0  NaOH 
schon  nach  10  Minuten,  in  4°/0  (also  Normal-NaOH)  in  45  Minuten  ab- 
getötet. Auch  die  Karbonate  und  die  alkalischen  Seifen  können 
bei  erhöhter  Temperatur  eine  sehr  energische  Desinfektions- 
wirkung entfalten.  In  gewöhnlicher  Waschlauge  von  etwa  1,4  °0 
Sodagehalt  und  85°  Temperatur  sah  Beheing  (I.e.  S. 89)  selbst  die 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  459 

resistentesten  Milzbrandsporen  nach  spätestens  8 — 10  Minuten 
absterben;  bei  75°  trat  dieser  Effekt  erst  in  20  Minuten  ein.  EinelOproz. 
Lösung  gewöhnlicher  Schmierseife  zeigt  fast  die  gleiche  Wirksamkeit. 
Heider  (A.  15.  341)  konstatierte  in  2proz.  reiner  Lösung  von  Soda  bei 
75°  erst  nach  1 — 2  Stdn.  Vernichtung  der  Milzbrandsporen.  Aber 
auch  bei  Zimmertemperatur  üben  gewöhnliche  Seifenlösungen  auf 
Cholera-  und  Typhusbacillen  eine  bedeutende  desinfizierende  Wirksam- 
keit aus  (di  Mattei,  A.  J.  1;  Jolles,  Z.  15.  460;  19.  130). 

Die  doppeltkohlensauren  Alkalien,  welche  neutral  oder  ganz  schwach 
alkalisch  reagieren,  besitzen  keine  nennenswerte  antibakterielle  Wir- 
kung. Von  einzelnen  Alkalien  ist  ferner  ausser  dem  schon  erwähnten 
Ammoniak,  das  sowohl  hier  als  in  seinen  Salzen  eine  auffallend  ge- 
ringe antiseptische  Wirksamkeit  entfaltet  und  das  in  Gasform  nach 
de  Freudenreich  (A.  Mi.  93.  493),  Bordoni-Uffreduzzi,  (r:  C.  15.  862) 
und  Moreno  (r:  C.  17.  505)  keine  sichere  für  die  Praxis  verwend- 
bare desinfizierende  Wirkung  ausübt,  das  ungleich  stärker  wirksame 
Hydroxylamin,  NH2OH  zu  nennen,  das  nach  Behring  (D.  89. 
Nr.  41/43)  (als  Chlorhydrat  untersucht)  schon  in  1:1500  die  Entwick- 
lung der  Milzbrandbacillen  im  Rinderblutserum  aufhebt,  also  über 
9  mal  wirksamer  als  Carbolsäure  ist;  auch  Heinisch  (P.  89.  438)  fand 
eine  erhebliche  entwicklungshemmende,  aber  nur  eine  geringe  ab- 
tötende Wirkung. 

Die  praktisch  wichtigste  Stelle  unter  den  Alkalien  und  Erdalkalien 
nimmt  der  Atzkalk,  Calciumhydroxyd,  Ca(OH)2  ein.  Seine  Be- 
deutung für  die  Desinfektionspraxis  wurde  von  Liborius  (Z.  2.  15) 
und  Pfuhl  (Z.  6.  97;  7.  363;  12.  509)  begründet.  Der  Ä-tzkalk 
wirkt  nur  durch  seine  Alkalescenz;  die  neutralen  Salze  dessel- 
ben, z.  B.  das  bei  Berührung  mit  der  atmosphärischen  Luft  aus  dem 
Atzkalk  durch  Einwirkung  der  atmosphärischen  C02  entstehende  Cal- 
ciumkarbonat,  sind  gänzlich  unwirksam.  Ätzkalk  tötet  nach  Liborius 
Cholerabouillonkulturen,  die  reichliche  Eiweissgerinnsel  enthielten  und 
also  für  die  Desinfektion  ähnliche  Verhältnisse  darboten  wie  Dejektio- 
nen,  bereits  in  der  Koncentration  von  0,4  °/0  in  wenigen  Stunden;  nach 
Pfuhl  genügt  in  Kanalwasser  ein  Gehalt  von  1,5  °/0  Atzkalk,  um 
Typhus-  und  Cholerabacillen  binnen  einer  Stunde  zu  vernichten,  wenn 
die  Mischung  in  steter  Bewegung  gehalten  wurde;  ohne  Bewegung 
waren  mehr  als  3  %  erforderlich.  Für  die  Desinfektionspraxis  bewährt 
sich  am  besten  die  von  Pfuhl  angegebene  20proz.  Kalkmilch.  Tünchung 
mit  Kalkmilch  tötet  nach  Jäger  (A.  G.  5.  247)  die  Erreger  von 
Hühnercholera,  Schweinerotlauf,  Schweineseuche,  Schweinepest  und 
sporenfreie  Milzbrandbacillen  in  zwei  Stunden;  Milzbrandsporen  und 
Tuberkelbacillen  dagegen  bleiben  noch  nach    Smaligem   Kalkanstrich 


460  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

selbst  nach  sechs  Stunden  intakt.     Ahnliche  Resultate  erhielt  de  Giaxa 
(r:  J.  1890.  497).  — 

Von  den  Neutralsalzen  verdient  das  Kochsalz  noch  eine  kurze 
Erwähnung.  Bei  Nachahmung  des  Prozesses  des  Einpökeins  durch 
Bestreuung  von  Kulturen  mit  einer  dicken  Lage  Na  Cl  erhielten  Fokster 
und  de  Freytag  (A.  11.  60)  nur  bei  Cholerabacillen,  die  in  wenigen 
Stunden,  und  bei  sporenfreien  Milzbrandbacillen,  die  in  18 — 24  Stunden 
zugrunde  gingen,  ein  positives  Resultat;  Typhusbacillen,  Schweinerot- 
lauf bacillen,  Staphylokokken  und  Streptokokken,  Milzbrandsporen  und 
Tuberkelbacillen  blieben  selbst  nach  Wochen  bis  Monaten  resistent. 

c)    Gasförmige  anorganische  Stoffe.     Halogene  und  Halogenderivate. 

In  früherer  Zeit,  als  man  von  der  korpuskularen  Natur  der  In- 
fektionserreger noch  nichts  wusste,  sondern  sie  sich  als  flüchtige  Kon- 
tagien  vorstellte,  waren  die  gasförmigen  Desinfektionsmittel,  in  Gestalt 
von  Räucherungen  u.  s.  w.  sehr  beliebt;  bei  der  exakten  Prüfung  dieser 
Mittel  hat  sich  jedoch  ergeben,  dass  denselben  nur  eine  ganz  ungenü- 
gende Wirksamkeit  zukommt.  Der  Hauptnachteil  aller  gasförmigen  Des- 
infektionsmittel,  der  zuerst  an  der  schwefligen  Säure,  S02  von 
Wolefhttgel  (M.  G.  I.  181)  nachgewiesen  wurde,  besteht  in 
dem  mangelhaften  Eindringen  und  Durchdringen  derselben 
durch  die  zu  desinfizierenden  Gegenstände,  so  dass  Infektionserreger, 
die  sich  im  Innern  solcher  Gegenstände,  durch  dicke  äussere  Um- 
hüllungen geschützt,  befinden,  von  der  schädigenden  Einwirkung  gar 
nicht  getroffen  werden.  Sogar  die  stärksten,  praktisch  gar  nicht  an- 
wendbaren Koncentrationen,  wie  10,1  Vol.-°/0  S02,  sind  unter  solchen 
Umständen  selbst  bei  48  stündiger  Einwirkung  ausserstande,  auch  nur 
sporenlose  Mikroben  zu  töten.  Ausserdem  ist  die  Verteilung  der  Gase 
in  grösseren  Räumen  eine  ganz  ungleichmässige  und  unkontrollierbare; 
daher  erklärt  sich,  dass  die  sogleich  zu  erwähnenden  Laboratoriums- 
versuche, die  im  kleinen  und  unter  genau  zu  beherrschenden  Be- 
dingungen positive  Resultate  ergaben,  ihre  Wirkung  versagten,  sobald 
sie  im  grossen  wiederholt  wurden.  So  gelang  es  z.  B.  Koch  und  Wolee- 
hügel,  in  einem  Glaskasten  sporenfreie  Bacillen  bei  einem  Gehalt  der 
Luft  von  0,8—0,5  Vol.-°,'0  in  24  Stunden  zu  töten.  Fischer  u.  Pros- 
eauer  (M.  G.  II.  228)  konnten  bei  ähnlicher  Versuchsanordnung 
mit  0,18—0,3  Vol.-°,0  Chlor  in  24  Stdn.  und  mit  0,3  Vol.-°/0  Brom 
in  3  Stdn.  sporenfreie  Mikroben  töten.  Als  aber  die  Versuche  in  einem 
28  Kubikmeter  grossen  Keller  wiederholt  wurden,  waren  dieResultate  durch- 
aus unsicher,  indem  sich  wegen  der  60 — 80  %  betragenden  Verluste 
fast  nie  ein  zur  Abtötung  hinreichender  Volumprozentgehaltan  wirksamem 


GtOtschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  4(31 

Gas  herstellen  liess.  Endlich  werden  die  Bakterien  in  trockenem 
Zustande  nur  sehr  schwer  von  den  gasförmigen  Desinfizien- 
tien  angegriffen;  bei  den  oben  angeführten  Volumprozenten  war 
stets  eine  intensive  Anfeuchtung  der  Objekte  oder  Sättigung  der  Luft 
mit  Wasserdampf  erforderlich;  in  feuchtem  Zustande  werden  aber  die 
Gegenstände  durch  diese  Gase  in  irreparabler  Weise  beschädigt.  Die 
angeführten  gasförmigen  Desinfektionsmittel  sind  also  für  die  Zwecke 
der  Desinfektionspraxis  ganz  unbrauchbar. 

Von  anderen  Gasen  seien  erwähnt  der  Schwefelwasserstoff, 
H2S,  der  zwar  nach  Frankland's  Versuchen  (Z.  6.  13)  auf  manche  Bak- 
terien (Pyocyaneus,  Choleravibrio,  Spirill.  Finkler)  schädigend  einwirken 
soll,  der  jedoch  nach  Grauer  (r:  J.  1887.  379)  selbst  bei  stunden- 
langer Einwirkung  auf  Cholera-,  Typhus-,  Milzbrand-  und  Tuberkel- 
bacillen  ganz  ohne  Einwirkung  war.  Stickoxyd,  NO,  soll  nach  Frank- 
land auf  seine  genannten  3  Mikroben  rasch  abtötend,  Stickstoff- 
oxydul, N2  0  nur  entwicklungshemmend  wirken. 

Ozon,  03,  übt  nach  Wtssokowitsch  (Mitt.  a.  Dr.  Brehmer's  Heil- 
anstalt in  Görbersdorf.  N.  F.  Wiesbaden  1890.  S.  71)  bei  einem  Gehalt 
von  20 — 50  Milligramm  pro  100  Kubikmeter  eine  gewisse  Hemmung, 
namentlich  auf  langsam  wachsende  Arten  aus;  auch  wird  steriler  Nähr- 
boden durch  Ozoneinwirkung  so  verändert,  dass  bei  nachheriger  Aussat  eine 
Entwicklungshemmung  der  überimpften  Keime  zu  konstatieren  ist.  Eine 
immer  noch  sehr  unsichere  baktericide  Einwirkung  beginnt  nach  den 
Versuchen  Sonntag' s  (Z.  8.  95)  erst  bei  einem  Gehalt  von  13,53  mgr 
03  pro  Liter,  eine  Koncentration,  die  aber  nur  durch  ganz  aussergewöhn- 
liche  Mittel  zu  erreichen  ist  und  bereits  heftige  zerstörende  Wirkungen 
auf  anderes  Material  ausübt.  Auch  nach  den  neueren  Versuchen  Ohl- 
müller's  (A.  G.  8.  229)  und  Christmas  (P.  93.  777)  ist  das  Ozon  als 
für  die  praktische  Desinfektion  von  Gebrauchsgegenständen  gänzlich 
ungeeignet  anzusehen.  —  Hier  mag  auch  noch  einmal  an  die  Rolle  des 
Sauerstoffs  bei  der  baktericiden  Wirkung  des  Lichtes  erinnert  werden;  in 
dieser  Weit  spielt  der  Sauerstoff  wahrscheinlich  in  der  Natur  eine  wich- 
tige Rolle  als  antibakterielles  Mittel. 

Wasserstoffsuperoxyd,  H202,  ist  nach  Girier  (Verhdlg.  d. 
10.  Kongr.  Berlin  1890.  5.  123),  van  Hattinga-Tromp  (Diss.  Gro- 
ningen 1887),  Altehoefer  (C.  8.  129),  Pane  (A.  J.  90.  II)  und  Trau- 
gott (Z.  14.  427)  ein  energisches  Desinfiziens;  es  vermag  bei  einem 
Zusatz  von  1  °/0  Trinkwasser  in  24  Stdn.  keimfrei  zu  machen,  auch 
wenn  dasselbe  Typhus-  oder  Cholerabacillen  enthielt.  Hierbei  wurde 
die  Menge  des  H202  nicht  wesentlich  vermindert,  wenn  organische  Sub- 
stanzen nur  in  spärlicher  Menge  im  Wasser  vorhanden  waren.  In 
Medien  allerdings,  die  reich  an  organischem  Material  sind,  wie  in  Fäces, 


462  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

wird  ein  grosser  Teil  des  H202  durch  die  organischen  Substanzen  in 
Beschlag  genommen  und  so  für  die  Desinfektion  entzogen.  Trotzdem 
erscheint  es  wegen  seiner  prompten  energischen  Wirkung  und  seines 
billigen  Preises  nach  Traugott  für  manche  praktische  Zwecke  recht 
gut  verwendbar. 

Während,  wie  oben  dargethan  wurde,  die  Halogene  in  Gasform  nur 
geringe  desinfizierende  Wirksamkeit  besassen,  kommt  ihnen  in  Lösung 
sowie  einigen  ihrer  Derivate  ein  hoher  desinfektorischer  Wert  zu. 
Chlorwasser  ist  nach  Geppert  (B.  1890.  Nr.  11)  ein  sehr  kräftiges 
Desinfiziens;  eine  0,2  proz.  Lösung  vernichtet  Milzbrandsporen  binnen 
15  Sekunden;  vollständige  Entwicklungshemmung  zeigt  sich  schon  bei 
der  Koncentration  von  1 :  700.  Die  desinfizierende  Wirkung  wird  noch 
erheblich  gesteigert,  wenn  das  Chlor  in  statu  nascendi  verwandt  wird, 
indem  man  der  zu  desinfizierenden  Masse  Chlorkalk  und  langsam  Salz- 
säure zufügt.  Wegen  der  ausserordentlichen  Schädigungen,  welche 
Chlor  auf  organisches  Material  ausübt,  kann  das  Mittel  nur  in  sehr 
beschränktem  Masse  Anwendung  finden.  —  Chlorkalk,  aus  CaCl2, 
Ca(OH)2  und  Ca(C10)2  (unterchlorigsaurem  Kalk)  bestehend,  giebt 
bei  Behandlung  mit  Säuren  schon  mit  der  C02  der  Luft  unterchlorige 
Säure  ab,  die  dann  weiterhin  Cl  abspaltet.  Dass  der  desinfektorische 
Effekt  der  Räucherungen  mit  Chlorkalk  ganz  illusorisch  ist, 
wurde  schon  erwähnt.  Nach  neueren  Untersuchungen  von  Sternberg, 
Jäger  und  Nissen  (Z.  8.  62)  vermag  er  jedoch  in  Lösungen  bedeutende 
antiseptische  Wirkung  zu  entfalten;  in  0,12  %  zu  Bouillon  zugesetzt,  tötet 
er  Cholera-  und  Typhusbacillen  schon  in  5  Minuten,  Milzbrandbacillen 
schon  in  1  Minute  bei  0,2  %  auch  die  pyogenen  Kokken  nach  2  Minuten. 
Sehr  widerstandsfähige  Milzbrandsporen  wurden  durch  5  %  Chlorkalk  erst 
in  4^Stdn.  getötet.  Die  desinfektorische  Wirksamkeit  wird  in  eiweiss- oder 
salzhaltigen  Substraten  sehr  stark  herabgemindert;  in  Fäces  werden 
z.  B.  Typhusbacillen  erst  durch  1  °/0  Chlorkalk  in  10  Minuten  abge- 
tötet. Für  seine  Verwendung  in  der  Desinfektionspraxis  liegt  minde- 
stens kein  Bedürfnis  vor.  —  Jodtrichlorid,  JC13 ,  von  Riedel  (A. 
G.  2.  Heft  3—5),  Behring  (1.  c.  S.  93)  und  Traugott  (1.  c.)  geprüft, 
ist  ein  ausserordentlich  energisches  Desinfiziens.  Cholerabacillen 
werden  schon  durch  1  :  2000  in  1  Minute,  Milzbrandbacillen  durch 
1:1000  in  10  Sekunden,  Milzbrandsporen  in  wässriger  Suspension 
mit  1  °/0  JC13  fast  momentan  getötet.  Diese  sehr  energische 
Wirkung  erfährt  auch  in  eiweiss-  und  salzreichen  Lösungen  nur  eine 
geringe  Abschwächung;  in  Fäces  sind  durch  1 :  1000  JC13  Cholera-  und 
Typhusbacillen  schon  in  15  Minuten  abgetötet. 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  453 

IL  Organische  Desinfektionsmittel. 
aj  Körper  der  Methanreihe. 

Das  Leuchtgas  wirkt  nach  Kladakis  (Üb.  d. Einwirkung d. Leucht- 
gases auf  d.  Lebensthätigkeit  der  Mikroorg.  Diss.  Berlin  1890)  auf  eine 
ganze  Reihe  von  Bakterien  schädigend  ein;  Cholera-,  Typhus-,  Milz- 
brand-, Tetanusbacillen,  Pyocyaneus,  Bac.  Friedländer,  Tetragenus 
und  Staphylokokken  wuchsen  in  Leuchtgasatmosphäre  nicht,  sondern 
waren  nach  11 — 13  Tagen  sämtlich  abgetötet.  Nur  Proteus  vulgaris 
gedieh  üppig;  auch  Hessen  sich  Faulflüssigkeiten  mittelst  Durchleiten 
von  Leuchtgas  nicht  sterilisieren. 

Alkohol  bewirkt  nach  de  la  Croix  (A.  P.  13. 175)  im  Verhältnis 
von  1 :  21,  nachMiQUEL  im  Verhältnis  von  1 :  10,5 Entwicklungshemmung 
in  Faulflüssigkeiten,  nach  Koch  bei  Gehalt  von  1 :  12,5  völlige  Entwick- 
lungshemmung der  Milzbrandbacillen;  dagegen  vermochte  absoluter  Al- 
kohol Milzbrandsporen  selbst  nach  monatelanger  Einwirkung  nicht  zu 
schädigen.  Vegetative  Formen  jedoch  können  durch  Alkohol  zerstört 
werden;  so  fandenScHiLL  und  Fischer  (M.  Gr.  II.  131)  die  Tuberkelbacillen 
im  Auswurf  nach  24  stündigem  Verweilen  in  einer  Mischung,  hergestellt 
aus  1  Teil  Sputum  und  4  Teilen  absoluten  Alkohols,  abgetötet;  Rein- 
kulturen von  Tuberkelbacillen  werden  nach  Yersin  (P.  88.  60)  schon 
durch  5'  dauerndes  Verweilen  in  absolutem  Alkohol  ihrer  Lebensfähigkeit 
beraubt.  Eiterkokken  werden  nach  Sternberg  (A  Manual  of  Bact.  189) 
schon  durch  2  stündige  Einwirkung  45  °/0  Alkohols  vernichtet,  sapro- 
phytische  Kokken  in  noch  verdünnteren  Lösungen. 

Aceton  übt  nach  Koch  auf  Milzbrandsporen  nach  ötägiger  Ein- 
wirkung eine  allerdings  immer  noch  unvollständige  Wirkung  aus;  nur 
ein  Teil  der  Sporen  ist  abgetötet. 

Aether  wirkt  nach  Koch  auf  Milzbrandsporen  nach  8  Tagen  noch 
unvollständig,  nach  30  Tagen  jedoch  sicher  abtötend. 

Formaldehyd,  H.COH,  der  Aldehyd  der  Ameisensäure,  kommt  in 
40  proz.  Lösung  als  „Formalin"  in  den  Handel  und  ist  von  ausserordent- 
lich starker  antiseptischer  Wirkung.  Dieselbe  wurde  zuerst  von  Loew 
u.  Fischer  (J.  pr.  Ch.  33.  221)  sowie  Buchner  u.  Segall  (M.  89)  ent- 
deckt und  seitdem  von  vielen  Forschern  bestätigt. 

Tkillat  (C.  K.  114)  findet  schon  bei  einem  Zusatz  von  1:50000  zu 
Fleischwasser  eine  merkliche,  bei  1:12000  eine  auf  mehrere  Wochen  sich  er- 
streckende Entwicklungshemmung.  NachSLATER,  u.  Eideal  (La.  21.  IV.  1894)  lässt  sich 
Entwicklungshemmung  konstatieren  für  Staphylokokk.  pyog.  aur.  bei  einem  Gehalt 
der  Kulturbouillon  von  1:5000,  für  Bac.  typh.  abd.  bei  1:15000,  für  Bakt.  coli 
comm.  bei  1:7000,  Bac.  anthracis  bei  1:15000,  Bac.  mallei  bei  1:20000,  Bac.  pyo- 
cyaneus bei  1:7000,  Bac.  prodigiosus  bei  1:20000,   Spirill.  cholerae   asiaticae  bei 


464  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

1:20000,  für  gewöhnliche  Hefe  Aufhebung  der  Gährung  bei  1:2500.  In  einer 
Lösung  von  1 :  10000  starben  sporenfreie Milzbrandbacillen  nach  30  Minuten,  Cholera- 
bacillen  in  2  Stdn.  ab,  Fäulnisbakterien  dagegen  wurden  selbst  binnen  24  Stdn. 
nicht  getötet.  In  einer  lproz.  Lösung  wurden  Milzbrand-  und  Cholerabacillen 
in  weniger  als  15  Minuten,  Staph.  pyogen,  aur.  erst  zwischen  50  und  60  Minuten 
getötet.  Zur  sicheren  und  schnellen  Abtötung  müssen  daher,  wie  schon  Blum 
(M.  93.  32)  betont  hat,  mindestens  2proz.  Lösungen  verwendet  werden.  lOproz. 
Lösung  tötet  nach  Ascoli  (r:  C.  17.  849)  Cholerabacillen  in  3  Minuten,  Milz- 
brandsporen in  weniger  als  5  Stdn.;  5proz.  Lösungen  töten  Cholerabacillen  in 
3  Minuten,  Diphtheriebacillen  in  10  Minuten,  Milzbrandbacillen  in  15  Minuten, 
Staphylokokken  in  30  Minuten,  Milzbrandsporen  in  5  Stdn.  Die  desinfizierende 
Kraft  des  Formalins  ist  also  weit  geringer,  als  man  nach  der  bedeutenden  anti- 
septischen Wirksamkeit  schliessen  sollte.  Wichtig  ist,  dass  den  Formalin- 
dämpfen  eine  ziemlich  en er gischeDesinfektions Wirkung  zukommt.  Nach 
Ascoli  (C.  17. 849)  werden  in  einem  Raum  bei  einem  Formaldehydgehalt  der  Luft  von 
1:10000  Cholerabacillen  in  1  Std.,  Diphtheriebacillen  in  3  Stdn.,  Staphylokokk. 
pyog.  in  6  Stdn.,  Milzbrandsporen  in  13  Stdn.  abgetötet;  bei  einem  Formaldehyd- 
gehalt von  1:100  sterben  Staphylokokken  und  Milzbrandsporen  bereits  in  höchstens 
45'  ab.  Eine  andere,  noch  nicht  endgiltig  zu  beantwortende  Frage  ist  freilich, 
ob  das  Formaldehyd  auch  die  zu  desinfizierenden  Objekte  durchdringt  und  überall 
seine  Wirksamkeit  entfalten  kann.  Hiervon  wird  es  abhängen,  ob  das  Formalin 
auch  für  die  Zwecke  der  praktischen  Desinfektion  von  Wohnräumen,  Gebrauchs- 
gegenständen etc.  brauchbar  und  zuverlässig  ist;  über  diese  Frage  liegen  bereits 
Versuchsreihen  von  Lehmaxn  (M.  93.  32),  Freystuth  (D.  94.  649),  Bordoni- 
üffredtjzzi  (r:  C.  15.  S62),  Philipp  (M.  94.  926),  Walter  (Z.  21.  421)  mit  teil- 
weise recht  ermutigendem  Ergebnis  vor. 

Chloroform,  CHC13  ist  Milzbrandsporen  gegenüber  ohne  jede 
Einwirkung  (Koch).  Dagegen  vermag  es,  wie  zuerst  Salkowski 
(D.  88.  16.  —  V.  115.  H.  2)  entdeckte,  auf  sporenfreie  Mikroben 
schädigend  zu  wirken;  Cholera-  und  sporenfreie  Milzbrandbacillen  wer- 
den dadurch  sehr  schnell  getötet;  gesättigtes  Chloroformwasser  (1  °/0)  führt 
selbst  bei  Massenkulturen  von  Cholerabacillen  binnen  1  Minute  zur  Ab- 
tötung. Auch  Chloroformdämpfe  bewirken  eine  ziemlich  starke  Ent- 
wicklungshemmung an  Staphylokokken,  Cholera-,  Typhus-  und  Milzbrand- 
bacillen. Kirchner  (Z.  8.  465)  hat  vorgeschlagen,  eiweisshaltige 
Flüssigkeiten,  z.  B.  Blutserum,  ohne  Erhitzung  mittelst  Chloroform  zu 
sterilisieren;  die  Methode  ist  sehr  praktisch,  da  sie  die  Eigenschaften, 
speziell  die  Gerinnungsfähigkeit  des  Serums,  nicht  verändert,  und  da 
das  Chloroform  vor  dem  Gebrauch  der  Nährsubstrate  leicht  durch  Er- 
hitzung verjagt  werden  kann.  Das  Chloralhydrat,  CCl3.CHO,  hat 
eine  ähnliche,  nur  etwa  3  mal  geringere  antiseptische  Wirksamkeit. 
Chloralcyanhydrin  besitzt  nach  Rohrer  (C.  13.  43)  nur  geringe  bakte- 
ricide  Eigenschaften. 

Jodoform,  CHJ3,  ist  schon  seit  lange  in  die  Chirurgie  eingeführt 
und  leistet  insbesondere  bei  Behandlung  jauchiger  Wunden  sowie  tuber- 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  465 

kulöser  Prozesse    sehr    gutes.     Um    so    auffallender    erscheint   es  nun, 
wenn   wir    aus    der  bakteriologischen  Prüfung  dieses  Stoffes  erfahren, 
dass    seine   baktericiden   Fähigkeiten   nur    ganz    geringe    sind. 
Eine  sichere  baktericide  Wirkung  äussert  das  Jodoform  nämlich 
nur  gegenüber  den  Choleravibrionen  (Neissee,  V.  110.  281  und 
Buchner,  M.  87.  25),  während  es  allen  anderen  pathogenen  Bakterien 
gegenüber  nach  den  übereinstimmenden  Ergebnissen  von  Heyn  u.  Rov- 
sing (F.  87.  Nr.  2),   Tilanus  (M.  87.  309),  Baumgarten  (B.  87.  20), 
Kunz  (r:  J.  87.  370),  de  Ruytee  (Langenbeck's  A.  36.  984),  Kronacher 
(M.  87.  29),  Schnirer  (r:  J.  1887.  373),  Jeeeeies  (r:  ebd.  374),  Kar- 
linski    (r:    C.    6.   237),   Martens    (V.    112.    H.   2)  u.    A.    vollständig 
machtlos   ist;   auch  im  Tierkörper  vermag  es  keine  baktericide  Wirk- 
samkeit zu  entfalten,  selbst  wenn  es  dem  Infektionsmaterial  in  40facher 
Menge  beigemengt  war  (Baumgarten  und  Kunz  1.  c).    Dagegen  ver- 
mag es  nach  Kunz  (1.  c.)  im  Kontakt  mit  dem  lebenden  Gewebe  Sapro- 
phyten  zu  zerstören  und  so  Fäulnisprozesse  in  Wunden  hintanzuhalten. 
Diese  Wirkung  ist  nach  Behring  (D.  87.  Nr.  20)  so  zu  erklären,  dass 
durch   die   bei  der  Fäulnis  auftretenden  Reduktionsprozesse 
das  Jodoform  zerlegt  wird;  hierbei  entstehen  lösliche  Jodverbin- 
dungen,   welche    ihrerseits   teils   antiseptisch  auf  die  Erreger  wirken, 
teils  die  gebildeten  Ptomai'ne  verändern  und  ihrer  eiterungserregenden 
Eigenschaften  berauben,  wie  dies  Behring  (D.  88.  653)  vom  Kadaverin 
direkt  konstatieren  konnte.    Durch  beide  Wirkungen  wird  der  Eiterungs- 
prozess   günstig  beeinflusst.     Aus   der  Thatsache,    dass  Jodoform  nur 
nach  vorgängiger  Zersetzung  wirkt,  erklärt  sich  nun  auch  die  Unwirk- 
samkeit   desselben    bei    direkter  Applikation  auf  die   Kulturen.     Die 
positive  Wirkung  auf  Cholerakulturen  erklärt  sich  wohl,  abgesehen  von 
der  sehr  geringen  Resistenz  dieser  Mikroben,  aus  ihrer  bedeutenden  redu- 
zierenden Thätigkeit,   die  sich  ja  auch  in  ihrem  Stoffwechsel  kundgiebt. 
Kohlensäure,  C02,  ist  in  ihrer  Wirkung  auf  verschiedene  Bak- 
terien von  C.  Fränkel  (Z.  5.  333)  untersucht.     Manche  Arten  gedeihen 
in  reiner  C02  fast  ebenso   gut  wie  in   der  Luft,    so   der  Typhus-  und 
der  FRiEDLÄNDER'sche  Bacillus.     Andere,  wie  Proteus  und  Prodigiosus, 
erleiden  in  C02 -Atmosphäre  eine  gewisse  Entwicklungshemmung.     Die 
Mehrzahl   der  Bakterien,    namentlich  viele   Saprophyten,    wachsen   in 
CO 2    gar  nicht,    werden  aber    auch    durch  dieselbe   nicht    geschädigt. 
Einige  Arten   endlich,    wozu  z.  B.  Cholerabacillen,    Milzbrandbacillen 
und  Staphylokokken   gehören,    werden   durch  reine  Kohlensäure  mehr 
oder    minder    vollständig  abgetötet.      Schon    verhältnismässig  geringe 
Beimengungen   von  Luft    gestatten   jedoch    selbst  den  empfindlichsten 
Arten  wieder  normales  Wachstum.   —  Über   desinfizierende  Wirkung 
komprimierter  C02  (50  Atmosphären  und  mehr)  vgl.  S.  445. 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  30 


466  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

b)   Körper  aus  der  aromatischen  Reihe. 

Benzol,  CßHß,  ist  nach  Koch  (M.  G.  I)  selbst  nach  einer  20  Tage 
lang  dauernden  Anwendung  auf  Milzbrandsporen  ohne  jede  schädigende 
Einwirkung  auf  dieselben.  Toluol  ist  in  Mischung  mit  Alkohol  und 
4  %  Eisenchlorid  von  Löfeler  (1.  c.)  als  wirksames  desinfizieren- 
des Mittel  zur  Lokalbehandlung  der  Diphtherie  empfohlen  worden 
(vgl.  S.  455). 

Anilin,  C6H5.  NH2;  nach  Riedlin  (Vers.  üb.  d.  antisept.  Wir- 
kung etc.  Diss.  München  89.)  hemmt  Zusatz  von  Anilinwasser  zum 
Nährboden  im  Verhältnis  von  1:5  jegliche  Entwicklung  von  Mikroben. 
Acetanilid  hat  nach  Lepine  (r:  J.  87.  380)  nur  eine  massige  antibak- 
terielle Wirkung. 

Phenol,  Carbolsäure,  C6H5.OH,  nimmt  in  dieser  Gruppe  die 
wichtigste  Stellung  ein.  Ihre  desinfizierende  Leistungsfähigkeit  steht 
zwar  weit  hinter  der  des  Sublimats  zurück;  nach  Koch  beginnt  die 
entwicklungshemmende  Wirkung  auf  Milzbrandbacillen  bei  einem  Ge- 
halt von  1  :  1250,  wird  vollständig  bei  1:850;  Abtötung  der  vegetativen 
Formen  erfolgt  bei  1:400  bis  1:200;  Abtötung  der  Sporen  erfolgt 
nach  Koch  in  5proz.  wässriger  Lösung  zwischen  dem  ersten  und  zweiten 
Tage,  ist  jedoch  nach  Geppert  (B.  90.  Nr.  11)  selbst  durch  7% 
Carbolsäure  und  bei  einer  Einwirkungsdauer  von  38  Tagen  nicht  zu  er- 
reichen. Das  Ausbleiben  der  Entwicklung  in  Koch's  Versuchen  darf 
wohl  entweder  auf  geringere  Resistenz  seiner  Sporen  oder  auf  die 
Wirkung  mit  den  Sporen  ins  Nährsubstrat  übertragener  kleiner  Mengen 
von  Carbolsäure  bezogen  werden.  In  erwärmter  (37,5  °)  Carbolsäure 
von  5%  starben  dagegen  Milzbrandsporen  nach  Nocht  (Z.  7.  521)  schon 
nach  3  Std.,  in  4%  nach  4  Std.,  in  3%  nach  24  Std.  ab.  Ferner 
fanden  Gärtner  u.  Plagge  (Verh.  d.  dtsch.  Ges.  f.  Chir.  85)  für  sporen- 
freie Milzbrandbacillen,  Rotzbacillen,  Streptokokken  aus  Eiter  und 
Puerperalfieber,  Erysipelstreptokokken,  Staph.  pyogen,  aur.  und  alb., 
Osteomyelitiskokken,  Tetragenus,  Typhusbac,  Diphtheriebacillus  aus- 
nahmslos sichere  Abtötung  durch  3  °/0  Carbolsäure  binnen  8  Sekunden. 
Diese  Koncentration  ist  also  für  die  gewöhnliche  chirurgische  Praxis 
völlig  ausreichend.  —  Dass  Carbollösungen  in  Ol  oder  Alkohol 
völlig  unwirksam  sind,  ist  bereits  erwähnt  worden.  —  Durch  Zusatz 
von  \  °/0  Salzsäure  oder  1  °/0  Weinsäure  lässt  sich  die  Desinfektions- 
kraft der  Carbolsäure  noch  erhöhen  (Laplace  D.  88.  121;  Jäger, 
A.  G.  5.  247).  —  Trotz  der  im  Verhältnis  zum  Sublimat  ziemlich 
geringen  Desinfektionsenergie  findet  und  verdient  die  Carbolsäure 
weiteste  Anwendung  in  der  Praxis.  Ihr  Hauptvorzug  besteht  näm- 
lich in  ihrer  sehr  festen,  nur  schwierig  angreifbaren  chemischen  Kon- 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  457 

stitution;  ihre  Wirkung  ist  daher  sehr  gleichinässig  und  zuverlässig 
und  wird  weder  durch  Alkalien  und  Salze,  noch  durch  Eiweisssub- 
stanzen  aufgehoben.  Die  wenigen  Verbindungen,  welche  die  Carbol- 
säure  mit  Säuren  etc.  bildet,  wirken  selbst  wieder  desinfizierend.  Auch 
durch  Licht  wird  ihre  Wirksamkeit  nicht  beeinträchtigt;  die  Rotfärbung, 
die  in  nicht  ganz  reinen  Präparaten  allmählich  entsteht,  ist  nicht 
schädlich. 

Eresole  (Methylphenole),  C6H4  .(CH3)OH,  bilden  den  wich- 
tigsten Bestandteil  der  sog.  „rohen  Carbolsäure",  die  ausserdem 
noch  bis  25°/0  reine  Carbolsäure  und  wertlose  Kohlenwasserstoffe  ent- 
hält. Der  desinfizierende  Wert  der  rohen  Carbolsäure  in  ihren  ein- 
fachen wässrigen  Lösungen  ist  nur  ein  geringer,  weil  die  wirksamen 
Bestandteile  derselben,  die  Kresole,  sich  fast  gar  nicht  in  Wasser  lösen. 
Dagegen  lässt  sich,  wie  zuerst  Laplace  (D.  88.  121)  und  C.  Fräkkel 
(Z.  6.  521)  nachwiesen,  durch  Vermischung  der  rohen  Carbolsäure  mit 
roher  Schwefelsäure  eine  dünne  syrupartige,  leicht  wasserlösliche 
Flüssigkeit  gewinnen,  die  sehr  bedeutende  desinfizierende  Eigenschaften 
zeigt  und  beispielsweise  Milzbrandsporen  in  4proz.  Lösung  binnen  48  Std. 
abtötet.  Am  besten  bewährte  sich  eine  Mischung  aus  gleichen 
Volumteilen  roher  Carbolsäure  und  Schwefelsäure,  weniger  günstig 
war  die  Verwendung  gleicher  Gewichtsteile.  Wichtig  ist,  dass  die 
beim  Vermischen  auftretende  spontane  Erhitzung  durch  künstliche 
Kühlung  vermieden  wird,  weil  die  desinfizierende  Kraft  des  heiss  be- 
reiteten Gemisches  bedeutend  geringer  ist,  als  des  unter  Kühlung  her- 
gestellten; so  sah  C.  Feänkel  in  letzterem  bei  einer  Koncentration  von 
5%  Milzbrandsporen  in  einem  Tage  absterben,  während  sie' in  der 
gleich  koncentrierten,  heiss  bereiteten  Lösung  noch  nach  9  Tagen  lebend 
blieben.  Dies  erklärt  sich  daraus,  dass  die  bei  Kühlung  in  der 
Schwefelsäure  einfach  in  gelöstem  Zustand  ohne  chemische  Bindung 
mit  der  Säure  existierenden  Kresole: 

C-CH,  C-CH,  C-CH, 


C-CH3 

/\ 

HC       CH 

1        II 

!      II 

HC       C-OH 

V 

CH 

Meta- 

HC   C-OH         HC   CH  HC   CH 

I    II 


HC   CH  HC   C-OH        HC   CH 

\/        V       \/ 

CH  CH  C-OH 

Ortho-  Meta-  Para- 

Kresol. 

bei  Erwärmung  eine  chemische  Bindung  mit  der  Schwefel- 
säure eingehen  und  so  in  die  weniger  wirksamen  Phenolsulfo- 
säuren  übergehen: 

30* 


468  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

C.OH  C.OH  C.OH 

HC       C.SO3H  HC       CH  HC      CH 

I  .  II  I     ii  !     II 

HC       CH  HC       C.SO3H  HC       CH 

v  v 

CH  CH  C.SO3H 

Ortho-  Meta-  Para- 

Phenolsulfosäure. 

Zudem  geht  bei  Erwärmung  die  Orthophenolsulfosäure  (als 
„Aseptol"  bekannt)  nach  Hueppe  (B.  86.  609)  in  die  unwirksamere 
Para-Verbindung  über.  Die  Orthophenolsulfosäure  vernichtet  in  6proz. 
Lösung  Milzbrandsporen  nach  Fbänkel  in  3  Tagen,  die  Parasäure  in 
12  Tagen;  beide  erweisen  sich  also  als  überlegen  über  die  wässrigen 
Carbollösungen  ähnlicher  Koncentration.  Tritt  in  der  Seitenkette 
SO3H  für  H  ein  Na  ein,  so  wird  die  Desinfektionskraft  ausserordentlich 
herabgesetzt.  Noch  leistungsfähiger  sind  jedoch,  wie  gesagt,  die  Kresole 
als  solche  in  schwefelsaurer  Lösung,  und  zwar  ist  am  wirksamsten  die 
Mischung  aller  3  Kresole,  durch  welche  schon  bei  einer  Koncentration 
von  0,3  °/0  vegetative  Formen  in  wenigen  Minuten,  Milzbrandsporen  in 
8 — 20  Std.  vernichtet  werden.  Einzeln  geprüft,  erwies  sich  nach  Fkänkel 
und  Henle  (A.  9.  188)  das  Metakresol  am  wirksamsten,  hierauf  folgten 
die  Para-  und  zuletzt  die  Orthoverbindung.  —  Dieselbe  Erhöhung  der 
Desinfektionsenergie  lässt  sich  nach  Beheing  (Bekämpfung  d.  Inf.-Kr.  121) 
durch  Schwefelsäurezusatz  auch  bei  der  reinen  Carbolsäure  erreichen; 
die  Kresole  sind  also  nicht  an  sich  bessere  Desinfektions- 
mittel wie  das  gewöhnliche  Phenol;  in  Gemischen  von  reiner 
Karbolsäure  einerseits  und  roher  Carbolsäure  andererseits  mit  gleichen 
Teilen  Schwefelsäure  war  sogar  meist  das  mit  reiner  Carbolsäure  her- 
gestellte von  etwas  stärkerer  Wirkung.  —  Jedenfalls  ist  es  von  ausser- 
ordentlichem Vorteil,  durch  die  Säureaufschliessung  aus  einer  fast  wert- 
losen Substanz,  dem  Rohcarbol,  billige  und  sehr  wirksame  Desinfizien- 
tien  herstellen  zu  können. 

Die  Kresole  lassen  sich  aber  auch  in  alkalische  Lösung  über- 
führen. Hierher  gehört  zunächst  das  englische  Kreolin  Pearson. 
Nach  Henle  (A.  9.  188)  stellt  das  Kreolin  eine  Emulsion  von 
Kresolen  durchHarzseife  dar,  der  ausserdem  nach  Kohlenwasserstoffe 
(in  ihrer  Gesamtheit  als  Kreolinöl  bezeichnet)  von  geringerem  anti- 
septischen Wert  und  wertlose  Pyridine  beigemengt  sind.  Der  des- 
infektorische Effekt  des  Kreolins  ist  grösser  als  der  aller  seiner  einzelnen 
Bestandteile  zusammengenommen;  es  findet  also  eine  kumulierende 
Wirkung  der  in  gleichem  Sinne  wirkenden  Antiseptika  statt,   wie  auf 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  4ß9 

eine  solche  schon  früher  von  Rottee,  (C.  Chir.  88.  Nr.  40)  aufmerksam 
gemacht  worden  war.  Eine  0,5proz.  Lösung  tötete  Staphylokokken  in 
10',  was  durch  eine  gleich  starke  Carbollösung  erst  nach  Stunden  er- 
reicht werden  kann.  Der  Desinfektionswert  der  Carbolsäure,  der  Kre- 
sole  und  des  Kreolins  in  Bouillon  gegenüber  sporenfreien  Mikroben 
verhält  sich  nach  Behring  wie  1  :  4  :  10.  In  eiweisshaltigen  Flüssig- 
keiten jedoch  vermindert  sich  die  desinfizierende  Kraft  des  Kreolins 
ganz  ausserordentlich;  während  die  entwicklungshemmende  "Wirkung 
gegenüber  Milzbrandbacillen  in  Bouillon  schon  bei  einem  Gehalt  von 
1  :  10000  eintritt,  ist  dies  nach  Behring  in  Rinderblutserum  erst  bei 
1:200,  also  in  50  mal  stärkerer  Koncentration  der  Fall;  analog  sinkt 
der  milzbrandbacillentötende  Wert  von  1  :  5000  auf  1  :  100.  In  eiweiss- 
haltigen Flüssigkeiten  von  ähnlicher  Zusammensetzung  wie  Blutserum 
fand  Behring  beim  Kreolin  eine  ganz  minderwertige,  3 — 4  mal  geringere 
Leistung  als  bei  der  Carbolsäure.  Der  Grund  für  diese  auffallend  ge- 
ringe "Wirkung  in  eiweisshaltigen  Flüssigkeiten  ist  noch  unaufgeklärt. 
Interessant  ist  auch,  dass  frisch  bereitete  Kreolinlösungen  eine  viel 
grössere  Wirksamkeit  entfalten,  als  länger  gestandene;  Henle  führt 
diese  Differenz  auf  Wirkung  der  bei  der  Emulsionierung  entstehenden 
Diffusion  zurück.  —  Die  mehrfach  behauptete  Ungiftigkeit  des  Kreolins 
existiert  nicht;  nach  Behring  beträgt  vielmehr  die  relative  Giftigkeit 
etwa  4.  —  Das  sog.  deutsche  Kreolin  (Artmann)  ist  von  weit  geringerer 
desinfizierender  Wirkung  als  das  englische.  —  Eine  alkalische  Lösung 
(nicht  Emulsion)  von  Kresolen  ist  ferner  das  Lysol;  dasselbe  unter- 
scheidet sich  vom  Kreolin  durch  den  viel  höheren  Gehalt  an  Kresolen 
(ca.  50%  gegen  10%)  und  den  viel  geringeren  Gehalt  an  schwerlös- 
lichen Kohlenwasserstoffen,  sowie  dadurch,  dass  die  Lösung  mit  einer 
Leinölseife  hergestellt  ist,  welche  besser  löst,  aber  weniger  emulgiert, 
als  die  Harzseife  in  Kreolin;  daher  stellt  Lysol  eine  klare  Lösung  dar. 
Nach  Hammer  (A.  12. 358)  vernichtet  eine  0,3proz.  Lösung  Eiterkokken  in 
Bouillon  in  etwa  30  Minuten.  Das  Lysol  steht  also  in  seiner  desinfizieren- 
den Kraft  einer  gleichkoncentrierten  Kresollösung  etwa  gleich.  Die 
desinfizierende  Kraft  wird  jedoch,  wie  beim  Kreolin,  in  eiweisshaltigen 
Flüssigkeiten  stark  herabgesetzt.  —  Endlich  gehört  zu  den  alkalischen 
Kresollösungen  noch  die  NocHT'sche  Carbolseifenlösung  (Z.  7.  521), 
d.  h.  eine  klare  Lösung  der  Kresole  aus  roher  Carbolsäure,  gewonnen 
durch  warme,  etwa  6proz.  Seifenlösung  (Schmierseife)  und  5%  rohen 
Carbols.  Sporenfreie  Bakterien  werden  in  Carbolseifenlösung  von 
1^2%  schon  nach  \  Std.,  Milzbrandsporen  bei  Erwärmung  auf  50° 
in  6  Stunden  sicher  getötet.  Die  Billigkeit  des  Präparats  macht  es  be- 
sonders für  die  grobe  Desinfektion  im  grossen  geeignet.  —  Alle  diese 
alkalischen  Lösungen   der  Kresole  sind  bei  gewöhnlicher  Temperatur, 


470  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

selbst  in  stärksten  Koncentrationen  und  bei  noch  so  langer  Anwendung 
ohne  Einwirkung  auf  Sporen;  so  fand  Hünermann  (D.  militärärztl.  Z.  89. 
111)  Milzbrandsporen  selbst  nach  35  Tage  langem  Aufenthalt  in  reinem 
Kreolin  Pearson  vollständig  intakt;  doch  geringe  Erwärmung  (bis  40 
bis  50°)  erlangen  jedoch  diese  Lösungen  auch  Sporen  gegenüber  eine 
bedeutende  desinfizierende  Kraft.  —  Endlich  ist  es  auch  gelungen,  die 
Kresole  in  neutrale  Lösung  zu  bringen,  und  zwar  nach  Hueppe 
(B.  91.  Nr.  45)  durch  Zusatz  von  Natriumsalicylat,  wofür  jedoch  auch 
benzinsaures  Natrium  sowie  die  Salze  aller  Orthooxybenzoesäuren,  der 
Orthobenzolsulfosäuren  und  der  entsprechenden  Naphtalinabkönimlinge 
eintreten  können.  Praktisch  bewährte  sich  insbesondere  ein  Gemisch  aller 
3  Kresole  in  kresotinsaurem  Natrium  (Gemisch  aller  3  Kresotinsäuren) 
als  Lösungsmittel.  Diese  Mischung,  von  Hueppe  u.  Hammer  (A.  12.  358) 
als  Solveol  bezeichnet,  enthält  keine  Pyridine,  keine  Kohlenwasser- 
stoffe, keine  Carbolsäure,  sondern  nur  die  wertvollen  hochsiedenden 
Teerphenole.  Eine  0,5proz.  Lösung  ist  etwa  ebenso  wirksam  wie  eine 
2proz.  Carbollösung.  Für  die  grobe  Desinfektion  empfehlen  Hueppe 
u.  Hammer  ein  dem  Solveol  ähnliches  Präparat,  das  Solutol,  welches 
durch  Auflösung  von  Rohkresol  mit  Rohkresolnatrium  bereitet  wird. 
Das  Solutol  reagiert  stark  alkalisch  und  enthält  gegen  600/0  Kresole, 
wovon  etwa  lj4  frei,  der  Rest  an  Na  gebunden  ist;  0,5proz.  Lösungen 
töten  in  5  Minuten  alle  vegetativen  Formen;  Milzbrandsporen  werden  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  durch  10,'proz.  Lösung  in  3,  durch  20proz.Lösung 
in  2  Tagen  getötet,  bei  gleichzeitiger  Erwärmung  auf  55°  dagegen  schon 
in  5  Minuten  vernichtet.  —  Neuerdings  hat  ferner  Gruber  (A.  17.  618) 
gefunden,  dass  auch  die  geringen  Mengen,  in  denen  sich  Kresole 
direkt  im  Wasser  lösen  (bei  einem  Kresolgemisch  bis  über  2%) 
vollständig  zur  Abtötung  sporenfreier  Keime  ausreichen.  Auch  ist  nach 
Bugta  u.  Dieckhofe  (cit.  bei  Gärtner)  Ortho-  u.  Parakresol  zu  etwa 
8  °/0  in  Glycerin  löslich  und  lässt  sich  mit  Wasser  in  beliebigem  Ver- 
hältnis klar  mischen.  —  Auf  der  direkten  Wasserlöslichkeit  der  Kresole 
beruht  auch  das  neuerdings  von  Scheurlen  (A.  18.  35;  19.  347), 
Keiler  (A.  18.  57),  Laser  (C.  12.  229),  Pfuhl  (Z.  15.  192)  empfohlene 
Saprol,  d.  h.  eine  Mischung  von  50 — 60proz.  (auf  Löslichkeit  in 
Natronlauge  bezogen)  Rohcarbol  mit  20%  Mineralöl;  diese  Mischung 
ist  leichter  als  Wasser,  bedeckt  daher  die  zu  desinfizierende  Flüssigkeit 
und  hindert  hierdurch  das  Entweichen  von  Fäulnisgasen;  ausser  dieser 
desodorierenden  Wirkung  kommt  aber  auch  durch  allmähliche  Auflösung 
der  Kresole  in  der  Flüssigkeit  eine  vollständige  Desinfektion  zustande. 

Von  Substitutionsprodukten  des  Phenols  ist  das  Para chlor ophenol 
C6H4.C1.0H  von  Spengler  (S.  m.  31.  Okt.  94)  in  2proz.  Lösung  zur  Desinfektion, 
phthisischen  Sputums  empfohlen.    Trinitrophenol,  Pikrinsäure,  C6Ho  (NOoV 


Gotschlich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  471 

OH  wirkt  nach  de  la  Crois  bereits  in  1 :  1000  entwicklungshemmend,  in  V2 — 1% 
tötend.  Sehr  geringen  desinfektorischen  Wert  besitzt  nach  Lübbert  (F.  88.  Nr. 
22/23)  das  Sozojodol,  Dijodparaphenolsulfosäure,  besonders  in  neutralem  Zustande 
als  sozojodolsaures  Na  oder  K.  Das  Sozojodolquecksilber  hingegen  ist  ein 
sehr  energisches  Desinfiziens ,  was  aber  auf  seinem  Quecksilbergehalt  beruht ; 
schon  in  1  :  6000  wirkt  es  auf  Milzbrand  entwicklungshemmend.  —  T  h  y  m  o  1 , 
C10H14  hemmt  nach  Koch  bereits  in  der  Koncentration  von  1 :  80000  merklich 
die  Entwicklung  der  Milzbrandbacillen ,  verhindert  nach  Lübbert  in  1  :  11000 
vollständig  die  Entwicklung  von  Staph.  pyog.  aur.;  bei  1:1000  tötet  es  den 
Staphylokokk.  pyogen,  aur.  in  10—15  Minuten  bei  37°  (Pake,  r:  J.  90.  507); 
auf  Milzbrandsporen  vermag  es  .nicht  einzuwirken. 

Von  höheren  Phenolen  üben  nach  Dtjggan  (cit.  b.  Rideal, 
Disinfection  aud  Disinfectants.  [1895]  172)  das  Pyrokatechin  = 
Orthodioxybenzol,  C^H^OH^  [1.  2],  nach  Lübbert  (Biol.  Spaltpilz- 
unters. 56)  das  Resorcin  =  Metadioxybenzol,  C6H4(OH)2  [1.  3]  und 
das  Hydro chinon,  Paradioxybenzol,  C6H4(OH)2  [1.  4]  antiseptische 
Wirkung  aus.  Das  Resorcin  hemmt  bei  einem  Gehalt  von  1 :  122, 
das  Hydrochinin  bei  1  :  353  vollständig  die  Entwicklung  des  Sta- 
phylokokk. pyog.   aur.     Ferner  sei  erwähnt  das  Kreosot,   ein  wech- 

OCH 

selndes    Gemisch  von  Guajakol,    CGH4  Cqtt   3    [1.2]   und  Kreosol, 

fCH3 

Co  Ho  \  OCHo  [1.3.4];  nach  Guttmann  wirkt  es  auf  verschiedene  patho- 

UoH 
gene  Bakterien  in  einer  Koncentration  von  1:3000  bis  1:4000  ent- 
wicklungshemmend und  tötet  in  einer  Lösung  von  1 :  300  den  Pyo- 
cyaneus  und  sporenfreie  Milzbrandbacillen  in  1  Minute,  Prodigiosus  in 
2  Minuten.  Die  desinfizierende  Kraft  des  Guajakols  verhält  s;ch  nach 
Maeeobi  (cit.  Rideal  176)  zu  der  der  Carbolsäure  wie  5:2;  eine 
0,5 — lproz.  Lösung  soll  Tuberkelbacillen  in  2  Stunden  abtöten;  nach 
Kupbianow  (C.  15.  933)  hingegen  steht  sein  desinfizirender  Wert  dem 
der  Carbolsäure  und  des  Kresol  nach;  in  1:500  hemmt  es  die  Ent- 
wicklung der  Choleravibrionen. 

Säuren,  die  sich  vom  Benzolkern  ableiten.  Benzoesäure, 
C6H5.COOH  bewirkt  nach  Koch  selbst  bei  monatelanger  Einwirkung 
keine  Schädigung  der  Milzbrandsporen,  wirkt  jedoch  nach  Salkowski 
(B.  1875.  22),  Bttcholtz  (A.  P.  IV)  und  de  la  Ceoix  (ebd.  XIII.  175)  in 
Koncentrationen  von  etwa  1:3000  bis  1:1000  entwicklungshemmend 
auf  Bakterien  in  Fäulnisgemischen;  Milzbrand  wird  nach'  Koch  schon 
durch  1:2000  merklich  im  Wachstum  behindert;  Staph.  pyog.  aur. 
wird  nach  Lübbeet  durch  1:400  vollständig  in  seiner  Entwicklung 
verhindert. 

Die  Homologen  der  Benzoesäure,  Phenylessigsäure,  Phenyl- 
propionsäure  und  Phenylbuttersäure  sind  von  Paeby Laws (Chem. 


472  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

News  1895.  15)  geprüft;  ihre  desinfizierende  Kraft  steigt  in  der  Reihe 
mit  dem  Molekulargewicht;  sporenfreie  Milzbrandbacillen  werden  durch 
die  erstere  binnen  30'  in  einer  Koncentration  von  1:450,  durch  die 
zweite    schon   bei  1:600  und   durch  die  dritte  bei  1:1000  getötet.  — 

OTT 

Die  Salicylsäure,  Orthooxybenzoesäure,  C6H4  Cnß/ytr  [1.  2],  hat  eine 

sehr  energische  desinfizierende  Wirkung;  nach  Lübbekt  hemmt  sie  in 
der  Koncentration  von  1:655  bereits  vollständig  das  Wachstum  des 
Staph.  pyogen,  aur.;  die  Entwicklung  von  Milzbrandbac.  wird  nach 
Koch  schon  bei  einem  Gehalt  von  1:1500  völlig  gehemmt;  dagegen 
war  sie  selbst  bei  monatelanger  Anwendung  ohne  jede  schädigende 
Einwirkung  auf  Milzbrandsporen. 

Höhere,  mehrere  Benzolringe  enthaltende  Derivate.  Naph- 
talin  selbst,  C10HS,  ist  nach  Bouchaed  (cit.  Rideal  178)  ein  stärke- 
res Antiseptikum  als  Phenol.  Noch  stärker  antiseptisch  wirkt  nach 
demselben  Autor  /2-Naphtol,  Cl0H7.OH;  auch  a-Naphtol  hemmt  nach 
Maximovitsch  (CR.  1888)  schon  bei  einem  Gehalt  von  1:10000  die 
Entwicklung  der  Milzbrandbacillen.  Von  Heintz  u.  Liebrecht 
(B.  1892.  1158)  ist  neuerdings  das  Alumnol,  ein  Aluminiumsalz  einer 
Naphtolsulfosäure  empfohlen;  die  keimtötende  Kraft  ist  zwar  nur 
gering,  die  entwicklungshemmende  aber  recht  bedeutend;  schon  0,01  proz. 
Lösungen  stören  das  Wachstum  von  Milzbrand-,  Typhus-,  Pyocyaneus-, 
Prodigiqsus-,  Staphylokokkus-,  Cholera-  und  Finkler-Kulturen  merklich, 
0,4 proz.  heben  es  vollständig  auf. 

c)  Körper  aus  den  Pyridin-,  Chinolin-  und  verwandten  Reihen;  Alkaloide. 

Die  Dämpfe  der  Pyridinbasen,  Pyridin,  Picolin,  Lutidin,  Colli- 
din,  können  nach  Falkenberg  (r.:  J.  1891.  449)  bei  genügend  langer 
Einwirkungsdauer  selbst  dicke  Schichten  von  Bakterien  durchdringen 
und  töten.  Auch  Chinolin  wirkt  nach  Donath  (B.  Ch.  14)  schon 
in  0,2 proz.  Lösung  antiseptisch.  Das  Th allin,  Para-Methoxychinolin- 
tetrahydrat,  wirkt  nach  Schultz  (C.  med.  W.  1886.  113)  als  Sulfat  in 
0,5  °/0  entwicklungshemmend.  Chinin  hemmt  nach  Koch  in  Konzen- 
tration von  1:625  vollständig  die  Entwicklung  des  Milzbrandbacillus; 
in  1  proz.  Lösung  in  mit  Salzsäure  angesäuertem  Wasser  tötet  es  Milz- 
brandsporen nach  10  Tagen.  Für  den  Staphylokokkus  pyogen,  aur. 
hat  Lübbert  die  entwicklungshemmende  Wirkung  einer  Anzahl  hier- 
her gehöriger  Körper  festgestellt;  es  ergab  sich  vollständige  Behinde- 
rung des  Wachstums  für  Kairin  bei  einem  Gehalt  von  1:407,  für 
schwefelsaures  und  weinsaures  Thallin  bei  1:1100,  für  salzsaures  Chi- 
nin bei  1:550;  bei  salzsaurem  Morphin  war  noch  bei  einem  Ge- 
halt von  1 :  53  deutliches,  wenn  auch  verlangsamtes  Wachstum  zu  kon- 


Gotschxich,  Die  Absterbebedingungen  der  Mikroorganismen.  473 

statieren.     Auch  für  Antipyrin  ergab  sich  erst  bei  einem  Verhältnis 
von  1:26  Wachstumshemmung. 

Endlich  sei  hier  noch  das  Jodol,  Tetrajodpyrol,  erwähnt,  das 
sich  vom  Pyrrolring  ableitet  und  dem  mehrfach  eine  dem  Jodoform 
analoge  antiseptische  Wirkung  zugeschrieben  wurde;  nach  den  Ver- 
suchen von  Riedlin  (A.  7,  309)  geht  ihm  indessen  eine  solche  gänz- 
lich ab. 

d)  Ätherische  Öle. 

Schon  R.  Koch  wies  in  seiner  ersten  Desinfektionsarbeit  auf  die 
bedeutend  entwicklungshemmende  Wirkung  mancher  ätherischer  Öle 
hin:  beispielsweise  ergab  sich  für  Senf  öl  schon  bei  einem  Gehalt  von 
1:330000  eine  merkliche,  bei  1:33000  eine  vollständige  Behinderung 
des  Wachstums  der  Milzbrandbacillen.  Spezielle  Versuchsreihen  über 
die  desinfizierende  Wirksamkeit  der  ätherischen  Öle  sind  dann  zu- 
erst von  Chambekland  (P.  87.  153),  teils  unter  Einwirkung  von 
Dämpfen  derselben  auf  die  Kulturen,  teils  durch  Herstellung  von 
Emulsionen  der  Essenz  mit  der  Kultur;  am  wirksamsten  erwiesen  sich 
Ceyloner  Zimmtöl  und  Ol.  origani.  Ferner  fand  Riedlin  (Üb.  die 
antisept.  Wirkung  des  Jodoforms  etc.  Diss.  München  1887)  Rosma- 
rin-, Lavendel-  und  Eucalyptus-Öl  wirksam,  aber  nur  in  Sub- 
stanz, nicht  in  Emulsion;  auch  Nelkenöl  und  Perubalsam  erwiesen  sich 
als  antiseptisch.  Sehr  eingehend  studierten  dann  Cadeac  u.  Meuniee, 
(P.  89.  317)  die  Wirkung  ätherischer  Öle  auf  die  Typhus-  und 
Rotzbacillen,  indem  sie  Spuren  der  Kulturen  mittelst  Platinnadel  in 
das  Öl  während  einer  abgemessenen  Versuchsdauer  versenkten  und 
dann  auf  Nährsubstrat  brachten;  hierbei  stellten  sich  die  grössten  Diffe- 
renzen zwischen  den  einzelnen  Ölen  heraus;  einige,  wie  Canelle  de 
Ceylon,  töten  schon  nach  12  Minuten  die  Bacillen  ab  und  kommen 
also  hierin  der  l°/00 -Sublimatlösung  nahe;  andere  sind  noch  nach 
10  Tagen  unwirksam;  bei  Cadeac  u.  Mettnieb  findet  sich  eine  ganze 
Skala  mit  den  Wirkungswerten  der  verschiedenen  Öle.  Nach  Beh- 
eing's  Versuchen  entfaltet  das  Zimmtöl  und  die  Patchuly-Essenz  auch 
im  Blutserum  eine  nennenswerte  entwicklungshemmende  Wirkung, 
die  grösser  war,  als  die  der  Carbolsäure  von  gleicher  Koncentration, 
beim  Zimmtöl  sogar  die  letztere  um  das  Dreifache  übertraf.  Auch 
Omeltschenko  (C.  9.  813)  konstatierte  bedeutende  desinfizierende  Eigen- 
schaften einiger  Öle,  insbesondere  des  Ol.  Cinnamon.,  Ol.  Foeniculi, 
Ol.Levandulae,  Ol.  Caryophyllorum  etc.,  während  Ol.  rosarum  nur  schwache 
Wirkung  äusserte;  die  Öle  wurden  in  Dampfform  angewendet;  inter- 
essanterweise gab  sich  das  Absterben  der  Bacillen  in  einem  mehr 
oder  weniger   bedeutenden  Verlust    der  Fähigkeit   zur  Aufnahme  von 


474  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Anilinfarben  und  in  gleichzeitiger  körniger  Degeneration  kund.  — 
Ferner  sind  hier  die  Versuche  zu  erwähnen,  welche  Ton  Heim  (M. 
1887.  Nr.  16)  und  Lüderitz  (Z.  6.  241)  über  die  Wirkung  des 
Kaffeeinfuses  angestellt  wurden;  lOproz.  Kaffeeinfus  zum  Nährboden 
zugesetzt  tötete  nach  letzterem  Autor  Staphylokokkus  pyogen,  aur.  in 
6  Tagen,  Choleravibrionen  und  sporenfreie  Milzbrandbacillen  in  3  Stdn.; 
bei  geringerem  Zusatz  trat  eine  Entwicklungshemmung  auf.  —  Der 
Tabaksrauch  wirkt  nach  Tassinari  (A.  J.  1891)  entwicklungs- 
hemmend auf  manche  Bakterien,  insbesondere  auf  Cholerabac.  und 
Bac.  Friedländer;  nach  Falkenberg  (r*  J.  1891.  449)  hängt  dieser 
Einfluss  an  den  wasserlöslichen  Bestandteilen  des  Tabakrauchs;  nach 
Durchleiten  durch  Wasser  verliert  der  Rauch  seine  bakterienfeind- 
lichen Eigenschaften.  Tabaksabkochung  zum  Nährboden  zugesetzt, 
wirkt  von  4°/0  ab  deutlich  entwicklungshemmend. 

Das  Terpentinöl  zeigt  nach  Koch  schon  von  1:75000  ab  eine 
deutlich  hemmende  Einwirkung  auf  die  Entwicklung  von  Milzbrand- 
bacillen; Milzbrandsporen  zeigen  sich  nach  ltägigem  Verweilen  in  Ter- 
pentinöl noch  teilweise  erhalten,  nach  5  Tagen  abgestorben.  Nach 
Riedlin  wirkt  eine  1  proz.  Emulsion  entwicklungshemmend  auf  Pro- 
digiosus-  und  Cholerabacillen;  doch  vermag  es  nach  v.  Christmas- 
Dirckinch-Holmfeld  (F.  1887.  Nr.  19)  mit  Gelatine,  selbst  zu  gleichen 
Teilen  vermischt,  nicht  den  Staph.  pyog.  aur.  abzutöten;  unvermischt 
ist  es  jedoch  ein  ziemlich  wirksames  Antiseptikum  (Grawitz,  ebd.  Nr.  21). 
Terpene  und  Kampherarten,  sowie  Menthol  wirken  ebenfalls  in  stär- 
keren Koncentrationen  als  2  °/00  entwicklungshemmend,  Terpinhydrat 
schon  bei  1  °/00  (Behring,  1.  c.  129). 

e)  Farbstoffe. 

Unter  den  organischen  Farbstoffen  finden  sich,  wie  bereits  Koch 
hervorgehoben  hat,  eine  Anzahl  stark  wirkender  Desinfizientien.  Behring 
(D.  89.  Nr.  43)  teilte  dann  für  Malachitgrün,  Cyanin  und  Safranin 
die  entwicklungshemmenden  Werte  mit;  hieraus  ergab  sich,  dass  die 
Farbstoffe  gegenüber  Milzbrandbacillen  im  Blutserum  um  ein  mehr- 
faches dem  Sublimat  überlegen  sind;  z.  B.  ist  der  entwicklungshemmende 
Wert  für  Malachitgrün  und  Cyanin  1:40000.  Später  empfahl  Stelling 
(Lancet  XI.  965)  das  Methylviolett,  welches  jedoch  nach  Behring  eine  nur 
3  mal  geringere  Wirkung  als  das  Malachitgrün  hat;  immerhin  hemmt 
es  nach  Jakowski  (r:  J.  1890.  492)  schon  in  einer  Koncentration  von 
1 :  10000  deutlich  die  Entwicklung  von  Milzbrandbac,  Staphylokokk. 
pyog.  aur.,  Typhusbac.  und  Bac.  Friedländer;  doch  konnten  Garre  u. 
Troje  (M.  90.  Nr.  25)  selbst  nach  12 stündiger  Einwirkung  einer  1  °/00 
Lösung  keine  Abtötung  der  Staphylokokken  konstatieren.     Schwächer 


Kruse,  Variabilität  der  Mikroorganismen.  475 

wirksam  ist  das  sog.  gelbe  Pyoktanin  oder  „Auramin",  welches  erst  in 
Lösungen  von  1 :  4000  bis  1 :  1000  entwicklungshemmende  Wirkung 
äussert.  Sehr  bemerkenswert  ist  das  elektive  Verhalten  mancher 
Farbstoffe  in  der  Desinfektionswirkung,  welches  in  Analogie 
zu  der  elektiven  Färbbarkeit  bestimmter  Gewebsteile  steht.  So  wirkt 
z.  B.  nach  Behring-  das  Malachitgrün  den  Milzbrand-  und  Cholera- 
bacillen  gegenüber  etwa  100  mal  stärker  entwicklungshemmend  als 
dem  Typhusbacillus  gegenüber.  Das  hochkomplizierte  Molekül  dieser 
Farbstoffe  vermag  offenbar  um  so  besser  in  das  lebende  Molekül  ein- 
zugreifen, je  näher  verwandt  sein  Aufbau  mit  der  Struktur  des  letzteren 
ist.  Es  tritt  uns  also  hier  bereits  eine  deutliche  Vorstufe  jenes  aus- 
geprägt spezifischen  Verhaltens  entgegen,  das  noch  komplizierter  struk- 
turierte Substanzen  wie  die  spezifischen  Antikörper  des  tierischen  Or- 
ganismus in  Vollendung  zeigen. 


Siebentes  Kapitel. 
Variabilität  der  Mikroorganismen1) 

von 
Dr.  W.  Kruse. 

A.  Einleitung. 

Seitdem,  wesentlich  durch  die  Arbeiten  R.  Koch's,  die  Methoden 
der  Reinkultur  in  die  Bakteriologie  eingeführt  sind,  ist  man  erst  in 
den  Stand  gesetzt,  der  Frage  nach  der  Variabilität  der  Bakterien,  die 
in  früheren  Theorien  eine  grosse  Rolle  spielte,  auf  wirklich  wissen- 
schaftlichem, d.  h.  dem  experimentellen  Wege  nahe  zu  treten.  Man 
kann  jetzt  in  der  Regel  von  einem  einzigen  Keime  ausgehen  und  dessen 
Veränderungen  längere  Zeit  hindurch  verfolgen;  bisher  stehen  uns  frei- 
lich nur  Erfahrungen  zu  Gebote,  die  im  besten  Falle  10  bis  15  Jahre 
währen;  die  Dauer  einer  einzigen  Bakteriengeneration  ist  aber  so  kurz, 
dass  man  schon  jetzt  über  Beobachtungen  verfügt,  die  ungezählte 
Generationen  umfassen.  Allein  aus  theoretischen  Gründen  könnte  man 
aus    dieser  letzteren  Thatsache   und    aus    der  Kleinheit    der  Bakterien 


1)  Zunächst  sind  hier  die  Bakterien  berücksichtigt.  Für  die  Verhältnisse  bei 
den  Sprosspilzen  vgl.  Hansen,  Untersuchungen  aus  der  Praxis  der  Gährungs- 
industrie.   München  u.  Leipzig  1895. 


476  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

darauf  schliessen,  dass  es  bei  ihnen  schneller  gelingen  möchte,  als 
bei  anderen  Organismen,  durch  künstliche  Züchtung  Variationen 
des  ursprünglichen  Typus  zu  erzielen;  entscheidend  sind  natür- 
lich nur  die  Thatsachen  des  Versuchs:  dieselben  sprechen  unzweifelhaft 
für  die  Wahrheit  unseres  Satzes. 

Für  jedes  Bakterium  giebt  es  Bedingungen,  die  gestatten,  es  be- 
liebig lange  Zeit  fortzuzüchten ,  ohne  dass  dabei  irgend  welche  Ver- 
änderungen hervortreten,  die  Bakterien  sind  also  gewissen  Be- 
dingungen angepasst.  Für  die  einzelnen  Spezies  sind  dieselben 
verschieden:  der  adäquate  Nährboden  für  infektiöse  Bakterien  ist  der 
empfängliche  Tierkörper,  für  Gährungserreger  sind  es  Gährflüssigkeiten, 
für  die  Pigmentbakterien  der  Luft  die  weitverbreiteten  pflanzlichen 
Substrate.  Die  Milzbrandbacillen  von  Maus  auf  Maus  überimpft,  das 
Essigbakterium  immer  frisch  mit  alkoholischer  Nahrung  gespeist,  der 
Prodigiosus  von  Kartoffel  auf  Kartoffel  übertragen  verändern  sich  nicht, 
so  lange  man  auch  das  Experiment  fortsetzt.  Unter  diesen  günstigsten 
Bedingungen  weisen  zwar  die  Nachkommen  eines  einzigen  Keimes  ge- 
wisse individuelle  Abweichungen  auf,  z.  B.  geringe  Differenzen 
in  der  Grösse ;  dieselben  verschwinden  aber  bei  fortgesetzter  Züchtung, 
die  Abkömmlinge  der  einzelnen  abweichenden  Exemplare  sind  wieder 
gleich.  Grösser  werden  die  Abweichungen,  wenn  die  gleichen  Nähr- 
böden benutzt  werden,  aber  die  Erneuerung  derselben  nicht  rechtzeitig 
vorgesehen  wird,  mit  anderen  Worten  in  alten  Kulturen.  Lässt  man 
z.  B.  eine  Prodigiosus-Kartoffel  monatelang  stehen  und  überimpft  dann 
erst  auf  frisches  Substrat,  dann  kann  man  schon  Differenzen  zwischen 
den  noch  lebenden  Keimen  konstatieren,  die  nicht  in  der  nächsten 
Kulturgeneration  wieder  verschwinden;  es  wachsen  z.  B.  auf  der  neuen 
Kartoffel  Kolonien  mit  mehr  oder  weniger  Pigmentierungsvermögen. 
Diese  Abänderungen  erklären  sich  daraus,  dass  der  alte  Nährboden 
nicht  mehr  den  günstigsten  Lebensbedingungen  entspricht,  dass  sich 
darin  Substanzen  bilden,  die  schädigend  wirken,  und  zwar  um  so 
kräftiger,  je  länger  sie  einwirken  können.  Aus  dieser  Schädigung  ent- 
springen nachweislich  die  Variationen  des  ursprünglichen  Typus.  Dieser 
Vorgang  ist  ganz  allgemein:  die  Alter.sveränderungen  begünstigen 
das  Auftreten  von  Varietäten.  Sehr  häufig  gehen  diese  Abweich- 
ungen bei  konsequenter  Züchtung  im  passenden  Nährboden  wieder 
zurück,  unter  Umständen  sind  sie  aber  auch  recht  dauerhaft.  Befestigen 
lassen    sie   sich   durch  Wiederholung  der  Züchtung  in  alten  Kulturen. 

Dem  Wesen  nach  gleich  mit  den  Variationen,  die  in  alten  Kul- 
turen auftreten,  sind  diejenigen,  die  erzeugt  werden  durch  künst- 
liche Eingriffe  bei  Bakterien,  die  wachstumsunfähig  sind,  sei  es,  dass 
sie   ihren  Nährboden  erschöpft  haben,   sei  es,   dass   sie  in  Medien  ge- 


Kruse,  Variabilität  der  Mikroorganismen.  477 

bracht  worden  sind,  die  kein  Wachstum  gestatten,  oder  dass  sie  in  den 
trockenen  Zustand  übergeführt  sind.  Lässt  man  in  diesem  Zustande 
auf  die  Bakterien  schädigende  Momente,  wie  hohe  Temperaturen,  Des- 
infizientien  etc.  wirken,  so  werden  ebenfalls  Modifikationen  erzeugt, 
die  man  als  degenerative  Veränderungen  auffassen  muss.  Auch 
diese  Abweichungen  können  mehr  oder  weniger  dauerhafter  Art  sein, 
z.  B.  die  Abschwächung  derMilzbrandbacillen  nach  der  CHAUVEAu'schen 
Methode. 

Jede  Veränderung  der  Lebensbedingungen  beeinfiusst  die  Eigen- 
schaften der  Bakterien:  die  Milzbrandbacillen  im  Mäuseblut  sehen  ganz 
anders  aus  wie  die  in  Bouillon,  hier  wachsen  lange  Fäden  ohne  Scheide, 
dort  kurze  Stäbchen  mit  Kapseln;  der  Essigbacillus  bildet  üppige  Decken 
auf  saurem  Bier  mit  zahlreichen  wundersamen  Involutionsformen,  in 
unseren  künstlichen  Nährböden  wächst  er  spärlich  und  ziemlich  regel- 
mässig als  kurzer  Bacillus;  der  Prodigiosus  entwickelt  auf  Agar  bei 
37  °  sehr  wenig  Pigment,  bei  24  °  auf  Kartoffeln  prächtig  scharlachrote 
Rasen.  Es  sind  dies  Standorts-  oder  Ernährungsmodifikationen, 
die  regelmässig  dem  ursprünglichen  Typus  weichen,  wenn  die  Über- 
tragung rechtzeitig  genug  auf  den  adäcpiaten  Nährboden  erfolgt.  Durch 
fortgesetzte  Züchtung  unter  veränderten  Bedingungen  können  aller- 
dings dauerhaftere  Variationen  erzielt  werden,  so  gilt  das  für  unsere 
obigen  Beispiele:  der  Milzbrandbacillus  kann  durch  künstliche  Kultur 
der  Fähigkeit  verlustig  gehen,  in  typischer  Weise  im  Tierkörper  zu 
wachsen,  der  Prodigiosus  sein  Pigmentierungsvermögen  völlig  ein- 
büssen.  Es  sind  hier  zwei  Fälle  von  Modifikationen  zu  unterscheiden. 
Sind  die  neuen  Lebensbedingungen  der  Entwicklung  des  Bakteriums 
an  sich  günstig,  so  vollzieht  sich  allmählich  eine  Anpassung  an  die- 
selben, die  eine  Rückkehr  zu  der  alten  Lebensweise  erschwert  oder 
unmöglich  macht.  Wirken  aber  die  veränderten  Verhältnisse  hemmend 
oder  direkt  schädigend  ein,  so  spielt  wieder  die  Degeneration  des 
-Bakterienprotoplasmas  eine  Rolle.  Auf  dem  letzteren  Wege  vollzieht 
sich  die  Umwandlung  schneller  als  auf  dem  ersteren;  z.  B.  durch 
Züchtung  der  Milzbrandbacillen  bei  42°  oder  in  einem  mit  Antisepticis 
versetzten  Nährboden  geht  die  Virulenz  viel  rascher  verloren,  als  in 
der  gewöhnlichen  Nährgelatine. 

Im  wesentlichen  ist  hierdurch  die  Bedeutung  der  Methoden  ge- 
kennzeichnet, durch  die  es  gelingt  Bakterienvariationen  zu  erzeugen. 
Sehr  wichtig  für  den  Erfolg  sind  noch  zwei  Dinge.  Ganz  selbstver- 
ständlich ist  natürlich,  dass  man  von  einem  Keim,  d.  h.  einer  Kolonie 
auf  der  Platte  ausgehen  muss,  um  die  Gewähr  einer  wirklichen 
Variabilität  zu  haben;  aber  die  Auswahl  einzelner  Individuen 
ist  auch  in  der  Folge  sehr  wichtig,  weil  unter  den  Nachkommen  eines 


478  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

Keimes  die  Tendenz  zur  Veränderung  eine  sehr  verschiedene  ist;  wenn 
man  blos  mit  Massenkulturen  operiert,  z.  B.  von  einem  Röhrchen  ins 
andere  absticht,  dann  verlässt  man  sich  allein  auf  die  natürliche  Auslese 
der  Individuen,  die  sehr  unzuverlässig  ist  und  häufig  Rückschläge  mit 
sich  bringt.  Man  verbindet  am  besten  mit  der  natürlichen  Variation 
eine  künstliche  Auslese,  indem  man  sich  mit  Hilfe  der  Platten- 
oder Verdünnungsmethode  diejenigen  Individuen  auswählt,  die  am 
meisten  verändert  sind. 

Eine  zweite  Vorsichtsmassregel  besteht  darin,  dass  man  bei  Bakterien, 
die  zur  Sporenbildung  befähigt  sind,  dieselbe  möglichst  verhütet, 
denn  die  Sporen  unterliegen  viel  weniger  leicht  der  Variation,  weil  sie 
einen  unthätigen  Dauerzustand  darstellen  und  gegen  degenerative  Ein- 
flüsse viel  weniger  empfindlich  sind  als  die  vegetativen  Formen. 

Wir  werden  im  Nachfolgenden  die  einzelnen  Variationen,  die  bei 
den  Bakterien  beobachtet  worden  sind,  und  den  Grad  ihrer  Dauer- 
haftigkeit besprechen. 

B.   Morphologie. 

Individuelle  Abweichungen  in  der  Grösse  und  Form  kommen  in 
allen  Bakterienkulturen  vor,  namentlich  häufig  bei  einem  gewissen 
Alter  der  letzteren.  Die  einzelnen  Spezies  verhalten  sich  dabei  sehr 
verschieden:  es  giebt  solche,  die  ausserordentlich  gleichförmig  und 
andere,  die  sehr  vielgestaltig  sind.  Man  hat  die  letzteren  wohl  als 
proteusartig  bezeichnet,  wenn  sie  alle  Übergänge  von  ganz  kurzen  oder 
kugligen  Formen  zu  den  längsten  Stäbchen  darbieten.  Es  hängt 
diese  Erscheinung  mit  der  verschiedenen  Schnelligkeit  der  Teilung  zu- 
sammen (vgl.  Allg.  Morph.  S.  52  ff.).  Die  Veränderungen  in  alten 
Kulturen  erfolgen,  von  den  eigentlichen  Degenerationsformen  (a.  a.  0. 
S.  61)  abgesehen,  entweder  in  dem  Sinne,  dass  längere  Individuen  ge- 
bildet werden,  wie  es  namentlich  in  Spirillenkulturen  häufiger  vorkommt, 
oder  umgekehrt  immer  kürzere  und  kürzere   (Bac.  Proteus,  B.  Zopfii). 

Beispiele  von  Ernährungsmodifikationen  haben  wir  schon  oben 
einige  angeführt,  sie  Hessen  sich  leicht  vermehren,  da  sie  bei  keinem 
Mikroorganismus  vollständig  fehlen.  Besonders  auffallend  sind  die  Ver- 
änderungen, die  der  Bac.  pyocyaneus  und  prodigiosus  zeigen,  wenn  sie 
in  Nährmedien,  die  mit  einem  antiseptischen  Zusätze  (Borsäure,  Kalium- 
bichromat,  Weinsäure  etc.),  der  das  Wachstum  zwar  hemmt,  aber  gerade 
noch  gestattet,  versehen  werden  (Guignard  u.  Charrin,  C.  R.  105; 
Wasserzug,  P.  88;  Kübler,  C.  5;  Verfasser).  Statt  der  gewöhn- 
lichen kurzen  Bakterien  findet  man  hier  vielfach  längere,  fast  imregel- 
mässig  gewundene  Stäbchen  und  Fäden,  die  bei  oberflächlicher  Betrach- 
tung an  Spirillen  erinnern  können  und  auch  so  gedeutet  worden  sind. 


Kruse,  Variabilität  der  Mikroorganismen.  479 

Es  sind  nichts  weiter  als  anomale  Formen,  deren  Länge  sich  aus 
dem  Ausbleiben  der  sonst  frühzeitigen  Teilung  erklärt  (vgl.  Allg. 
Morph.).  Recht  erhebliche  Modifikationen  des  ursprünglichen  Typus 
hat  Verfasser  auch  bei  Choleravibrionen  beobachtet,  besonders  in  einem 
Falle,  wo  dieselben  in  mit  einem  Antiseptikum  versetzten  Nährböden 
kultiviert  wurden.  Die  Bakterien  wuchsen  in  schönen  Kommas,  die 
noch  an  Grösse  die  FiNKLEE'schen  Spirillen  hinter  sich  Hessen. 

Auch  durch  vorübergehende  schädigende  Einflüsse,  z.B.öMinuten 
lange  Erhitzung  auf  50°,  kann  man  nach  Wasseezug  beim  Prodigiosus 
ein  ähnliches  Resultat  erreichen,  wenn  man  diese  Prozedur  öfter  wie- 
derholt. 

Im  allgemeinen  kehren  die  Bakterien,  wenn  man  sie  auf  den  adä- 
quaten Nährboden  überträgt,  schnell  zu  ihrer  ursprünglichen  Form 
zurück,  doch  kann  man  diese  Rückkehr  durch  systematische  Züchtung 
um  mehrere  Kulturgenerationen  verzögern  (Küblee, ,  Verfasser),  nach 
Wasseezug-  sogar  dauerhafte  Varietäten  bekommen.  Für  die  Möglich- 
keit dieses  Resultats  sprechen  auch  andere  Erfahrungen;  so  haben 
Keuse  und  Pansini  (Z.  11)  Pneumoniekokken,  die  vom  Tier  gewonnen 
in  Form  lanzettförmiger  Diplokokken  wuchsen,  durch  mehr  als  100 
Übertragungen  auf  künstlichen  Nährböden  in  Streptokokken  umgewan- 
delt, die  sich  von  Eiterstreptokokken  morphologisch  nicht  unterschieden 
und  diesen  Charakter  bewahrten.  Andere  Male  gelangten  wir  schon 
viel  früher  zu  demselben  Ergebnis,  in  einigen  Fällen  blieben  die  Ver- 
suche, eine  erhebliche  Modifikation  zu  erzielen,  vergeblich,  oder  die 
erhaltenen  Varietäten  waren  nicht  konstant.  Bei  dieser  Gelegenheit  trat 
die  Wahrheit  des  Satzes,  dass  die  Neigung  zu  variieren  ausser- 
ordentlichen Schwankungen  unterliegt,  selbst  bei  Bakterien  der- 
selben Art,  recht  deutlich  zu  Tage.  Dasselbe  hat  Verfasser  (Z.  17.  36/37) 
für  den  Choleravibrio  konstatiert.  Morphologische  Abweichungen  sind 
hier  schon  von  früheren  Autoren  gefunden  worden,  Verfasser  konnte 
aus  einer  Kultur  durch  längeren  Aufenthalt  in  Brunnenwasser  zwei 
dauerhafte  Varietäten  herauszüchten,  von  denen  die  eine  regelmässig 
kurze,  plumpe,  die  andere  lange,  schlanke  Kommas  bildete.  Neuerdings 
gelang  es  ferner,  ähnliche  Spielarten  aus  sehr  alten  Cholerakulturen 
zu  isolieren,  deren  Zurückführung  auf  einen  Typus  erst  mittelst  zahl- 
reicher Passagen  durch  Meerschweinchen  glückte  (vgl.  auch  Metschni- 
koee,  P.  94.  5.  u.  8).  Morphologische  Varietäten  des  Finklee-Peioe- 
schen  Vibrio  von  mehr  oder  weniger  grosser  Beständigkeit  hat  schon 
Fietsch  (A.  8)  erhalten.  Ferner  haben  Pasquale  manchmal  bei  Strepto- 
kokken (Zi.  12.  449)   und  Wilde  l)   bei  Bacillen   aus  der  Gruppe  des 

1)  Unter  Leitung  des  Verfassers  im  hygienischen  Institut  zu  Bonn  (Diss. 
Bonn  96). 


4g()  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

B.  aerogenes  ganz  konstante  Spielarten,  die  in  Form  und  namentlich 
in  der  Grösse  Differenzen  zeigten,  gefunden  und  lange  Zeit  unverändert 
weiter  kultivieren  können.  Am  leichtesten  sind  derartige  Formen  aus 
alten  Kulturen  zu  gewinnen. 

Dass  auch  die  Kapselbildung  sich  auf  dem  Wege  der  Züchtung 
beeinflussen  lässt,  haben  Kruse  und  Pansini  für  Pneumoniekokken, 
Wilde  für  den  Bacillus  aerogenes  gefunden.  Es  handelt  sich  dabei  um 
den  Verlust  des  schleimbildenden  Vermögens,  der  sich  dann  auch  weiter 
in  der  Struktur  der  Kolonien  äussert  (s.  unten). 

C.  Wachstum  in  künstlichen  Nährböden  und  Koloniebildung. 
Gelatineverflüssigung  und  Schleimbildung. 

Was  man  als  Kulturmerkmale  zu  bezeichnen  pflegt,  sind  keine 
individuellen  Charaktere,  sondern  Massenwirkungen.  Eine  „Kultur- 
generation" setzt  sich,  wenn  wir  ihr  Alter  nur  zu  einemTage  annehmen 
und  den  Zeitraum  von  einer  Teilung  bis  zur  anderen  auf  eine  halbe  bis 
eine  Stunde  berechnen,  aus  24 — 48  Einzelgenerationen  zusammen.  Die 
Kolonie  auf  der  Platte  kann  man  sich  im  allgemeinen  aus  einem  ein- 
zigen Keim  hervorgegangen  denken,  die  Stichkultur  in  Gelatine,  die 
Bouillonkultur  resultieren  aber  aus  der  Nachkommenschaft  einer  grossen 
Zahl  von  Keimen.  Diese  Bemerkungen  sind  nötig,  um  die  Bedeutung 
der  Kulturmerkmale  zu  kennzeichnen.  Eigentlich  individuelle  Ab- 
weichungen verschwinden  in  der  Kultur  fast  vollständig, 
höchstens  kann  aus  einer  Verzögerung  des  Wachstums  auf  eine 
Schwächung  der  Entwicklungsenergie  der  verimpften  Keime  geschlossen 
werden.  In  der  Regel  werden  nur  solche  Abänderungen  in  den  Eigen- 
schaften der  Kultur  zum  Ausdruck  kommen,  die  auf  eine  grössere  Reihe 
von  Generationen  vererblich  sind.  Es  erhöht  entschieden  den  Wert  der 
Wachstumscharaktere,  dass  man  aus  den  mit  blossem  Auge  oder  mit 
schwacher  Vergrösserung  wahrnehmbaren  Differenzen  schon  auf  erb- 
liche Varietäten  schliessen  kann.  Die  Eigenschaften  der  Platten- 
kolonien sind  für  die  Beurteilung  der  stattgehabten  Veränderungen 
natürlich  viel  wichtiger,  als  die  Reagens  glas kulturen,  weil  sich  in 
diesen  letzteren  die  Variationen  leicht  compensieren. 

Entsprechend  dem  oben  (S.  476)  ausgesprochenen  Satze,  dass  in 
frischen  Kulturen  nur  individuelle  Abweichungen  auftreten,  finden  wir  im 
Aussehen  der  Kolonien  auf  den  daraus  angelegten  Platten  überhaupt  keine 
abschätzbaren  Unterschiede;  ist  das  Kulturmaterial,  das  zur  Zucht  dient, 
älter,  so  stellen  sich  solche  sehr  häufig  heraus.  Die  ersten  derartigen 
Beobachtungen  wurden  veröffentlicht  in  Bezug  auf  B.  Proteus  von  Hausee 
(Fäulnisbakterien.    Leipzig   85),    auf    Finkler-Pkioe's    Spirillum    von 


Kruse,  Variabilitit  der  Mikroorganismen.  4g  1 

Geubee  und  Flrtsch  (A.  8).  Saneelice  (A.  Ro.  90)  hat  die  verschie- 
denen Formen  der  Proteuskolonien  und  auch  eine  Reihe  von  anaeroben 
Fäulnisbakterien  mit  ähnlichen  Eigenschaften  der  Kolonien  genau  be- 
schrieben. Die  Erscheinung  ist  aber  eine  noch  viel  mehr  verbreitete, 
wenn  sie  auch  bisher  wenig  Beachtung  gefunden  hat.  Der  Prodigiosus, 
Pyocyaneus,  das  Choleraspirillum,  der  Typhus-  und  der  Pneumonie- 
Bacillus  mit  ihren  Verwandten  weisen  auch  eine  gewisse  Variabilität 
der  aus  der  Nachkommenschaft  eines  einzigen  Keims  hervorgegangenen 
Kolonien  auf,  wenn  man  zur  Aussat  auf  Platten  alte  Kulturen  benutzt. 
Den  Unterschieden  der  Kolonien  liegen  verschiedene  Momente  zu  Grunde: 
in  den  meisten  Fällen  genügt  es,  Differenzen  in  der  Wachstums- 
schnelligkeit und  im  Verflüssigungsvermögen,  d.h.  also  in  der 
Produktion  eines  peptonisierenden  Ferments  anzunehmen.  Beim  Feied- 
LÄNDEE'schen  Bakterium  variiert  das  Schleimbildungsvermögen. 
Daneben  kommen  aber  noch  in  Betracht  morphologische  Verhältnisse: 
die  Grösse  der  Individuen,  die  Festigkeit  ihrer  Verbände  (Ketten. 
Fäden). 

Die  Kolonien  eines  und  desselben  Mikroorganismus  auf  den  ver- 
schiedenen Nährböden  weichen  sehr  von  einander  ab,  schon  wegen  der 
durchaus  verschiedenen  physikalischen  Verhältnisse.  Praktisch  wich- 
tig, aber  lange  nicht  genug  gewürdigt  sind  die  Unterschiede  besonders 
auf  den  scheinbar  gleich  oder  wenigstens  ähnlich  zusammengesetzten 
Nährböden.  Nehmen  wir  z.  B.  die  gewöhnliche  Fleischwasserpepton- 
nährgelatine,  so  bedingt  die  Art  der  Herstellung  schon  ganz  erhebliche 
Differenzen,  selbst  wenn  die  Substanzen  in  den  gleichen  Mischungs- 
verhältnissen angewendet  werden.  Die  Zeitdauer  des  Kochens  der  fer- 
tigen Gelatine  beeinflusst  bekanntlich  den  Konsistenzgrad  des  Nähr- 
bodens und  dieser  letztere  wieder  die  Form  der  Kolonien.  Der  Typhus- 
bacillus  z.  B.,  der  in  fester  Gelatine  glattrandige  kompakte  Kolonien 
bildet,  wächst  auf  einer  weicheren  wie  ein  Proteus  mit  zahlreichen 
korkzieher-  und  haarartigen  Ausläufern  und  ähnelt  im  Strich  nicht  einem 
glatten  Bande,  sondern  einer  Bürste.  Andere  Differenzen  treten  auf  bei 
Unterschieden  im  Alkalescenzgrad,  im  Gelatinegehalt  des  Nährbodens. 
So  hängt  z.  B.  das  Oberflächenwachstum  in  Stichkulturen  beim 
Typhusbacilrus  und  ähnlichen  Bakterien  ausserordendlich  von  diesen 
Momenten  ab,  ebenso  die  Stärke  der  Gelatineverflüssigung,  bei 
allen  langsamer  peptonisierenden  Bakterien.  Die  Konfiguration  der 
Kolonien  und  Stichkulturen  erleidet  dadurch  natürlich  erhebliche  Ver- 
änderungen (Cholera).  Auch  die  Zusammensetzung  des  Fleischsaftes 
ist  nicht  gleichgiltig:  feinere,  uns  unbekannte  Schwankungen  darin 
können  ein  verschiedenes  Aussehen  der  Kulturen  bedingen.  So  erklären 
sich  wohl  zum  grossen  Teil  die  abweichenden  Angaben  mancher  Autoren 
Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  31 


482  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

über  das  Wachstum  von  Pneumokokken  und  Streptokokken  in  Bouillon 
(vgl.  Kruse  u.  Pansini  Z.  11;  Pasquale  Zi.  12).  Ähnliche  Unterschiede 
gelten  bezüglilch  der  Kulturen  auf  Agar  (Pneumokokken),  auf  Kartoffeln 
(Typhus)  u.  s.  w. 

Da  der  Mechanismus  der  Koloniebildung,  wie  oben  bemerkt,  auf 
verschiedenen  Eigenschaften  morphologischer  und  physiologischer  Natur 
beruht  (Grösse  der  Bakterien,  Festigkeit  ihrer  Verbände,  Wachstums- 
intensität, Verflüssigungs-  und  Schleimbildungsvermögen),  so  wird  jede 
dauernde  Variation  einer  oder  mehrerer  dieser  Eigenschaften  auch  von  einer 
beständigen  Veränderung  der  Wachtumscharaktere  begleitet  sein.  In 
der  That  verändern  die  Pneumoniekokken,  die  durch  Züchtung  aus  Diplo- 
kokken in  Kettenkokken  verwandelt  sind,  auch  die  Form  ihrer  Kolonien, 
erscheinen  dann  nicht  mehr  mit  scharfem,  sondern  mit  gekräuseltem  Rand, 
aus  dem  die  Ketten  hervorragen.  Die  FßiEDLÄNDER'schen  Pneumonie-Ba- 
cillen,  die  nach  Wilde  in  einer  kleineren  und  weniger  Schleim  bildenden 
Spielart  auftreten  können,  entwickeln  in  diesem  Falle  auf  der  Gelatine 
oberflächliche  Kolonien,  die  denen  des  B.  coli  sehr  ähneln,  d.  h.  flach, 
weniger  granuliert  und  zackig  umrandet  sind.  Eine  Verminderung  der 
Wachstumsintensität  lässt  sich  bei  allen  Bakterien  dadurch  erreichen, 
dass  man  sie  unter  ungünstigen  Bedingungen  züchtet,  z.  B.  die  Kulturen 
alt  werden  lässt,  ehe  man  sie  erneuert,  einen  mehr  sauren  Nährboden 
wählt,  oder  zu  demselben  schädigende  Substanzen  zusetzt.  Verflüssigende 
Bakterien  erleiden  dabei  sehr  häufig  gleichzeitig  eine  mehr  oder  weniger 
vollständige  Einbusse  in  ihrem  Peptonisierungsvermögen  (Finkler- 
Prior-,  Choleraspirillen,  Staphylokokken).  Um  dies  letztere  Resultat 
schneller  zu  erreichen,  kann  man  folgende  Wege  einschlagen.  Liborius 
hat  (Z.  1.  156)  zuerst  beobachtet,  dass  viele  Bakterien  bei  Wachstum 
ohne  Sauerstoffzutritt  und  einzelne  schon  in  Nährböden,  denen  redu- 
zierende Substanzen,  wie  Traubenzucker,  zugesetzt  sind,  die  Gelatine 
langsamer  oder  gar  nicht  mehr  verflüssigen.  Sanfelice  (A.  J.  92)  hat 
dies  nicht  allein  bestätigt,  sondern  auch  durch  fortgesetzte  anaerobe 
Züchtung  des  B.  Proteus,  subtilis,  indicus,  anthracis,  cholerae,  Staphylo- 
kokkus pyogenes  Varietäten  erzielen  können,  die  dann  auch  im  aeroben 
Zustande  nicht  mehr  verflüssigten.  Dasselbe  gelang  Hueppe  und  Wood 
(r:  C.  8.  267)  durch  Kultivierung  in  carbolhaltiger  Bouillon,  und  zwar 
war  die  neue  Eigenschaft  um  so  dauerhafter,  je  längere  Zeit  die  Be- 
handlung dauerte  und  je  weniger  koncentriert  die  Carbollösung  war. 
Die  Koloniebildung  erscheint  bei  so  veränderten  Kulturen  stark  modi- 
fiziert, es  kommt  zu  sog.  atypischen  Kolonien.  So  hat  Verfasser  z.  B. 
atypische  Cholerakulturen  herangezüchtet,  die  ihre  Charaktere,  trotzdem 
sie  wiederholt  durch  den  Tierkörper  geschickt  wurden,  mit  Zähigkeit 
festhielten. 


Kruse,  Variabilität  der  Mikroorganismen.  483 

Während  in  den  meisten  dieser  Fälle  die  Veränderungen  im  Wachs- 
tum auf  degenerative  Einflüsse  zurückzuführen  sind,  wird  in  anderen 
Steigerung  der  Wachstumsintensität,  also  eine  Anpassung  andenNähr- 
boden  beobachtet,  z.  B.  bei  Pneumokokken,  Diphtherie-,  Tuberkelbacillen, 
deren  Kulturen  regelmässig  in  kurzen  Zwischenräumen  erneuert  werden. 
Durch  systematische  Züchtung  mit  allmählicher  Veränderung  des  Nähr- 
substrats können  Bakterien  sogar  unter  Bedingungen  zum  Wachstum 
gebracht  werden,  auf  denen  sie  ursprünglich  gar  nicht  fortkamen  (Kul- 
turen von  Essig-  und  Nitrobakterien  auf  den  gewöhnlichen  Nährböden 
s.  Bd.  II). 

D.  Temperatur,  Sauerstoffzutritt  und  Sauerstoffmangel   als  Wachstums- 
bedingungen. 

Die  Entwicklung  jeder  Bakterienspezies  findet  in  gewissen  Tem- 
peraturgrenzen statt  und  für  eine  jede  besteht  ein  Temperatur-Optimum, 
bei  dem  das  Wachstum  am  üppigsten  ist.  Je  nach  dem  Nährboden 
können  die  Temperaturgrenzen  verschieden  sein,  z.  B.  wachsen  die 
Choleraspirillen  auf  Kartoffeln  gewöhnlich  erst  bei  Bruttemperatur, 
während  sie  in  Gelatine  schon  bei  Zimmertemperatur  gedeihen.  Der 
Grund  dafür  wird  wohl  wesentlich  in  der  Gunst-  oder  Ungunst  des 
betreffenden  Substrates  liegen,  denn  durch  Zusatz  eines  entwicklungs- 
hemmenden Stoffes  zu  einem  guten  Nährmedium  kann  das  Wachstum 
bei  niederer  Temperatur  gehemmt  werden,  während  es  auf  dem 
Optimum  der  Temperatur  noch  vor  sich  geht.  Dasselbe  lässt  sich  durch 
schädigende  Einflüsse,  die  das  Bakterienprotoplasma  selbst  vor  der 
Einsat  in  einen  Nährboden  treffen,  erreichen.  Auf  dieser  Erfahrung 
beruht  die  Vorschrift,  in  Desinfektions versuchen  die  Prüfung  auf  die 
Lebensfähigkeit  der  Keime  stets  durch  Züchtung  beim  Temperatur- 
optimum vorzunehmen. 

Auf  dem  Wege  der  Behandlung  mit  schädigenden  Agentien  gelingt 
es  vielleicht  dauerhafte  Spielarten,  die  nur  in  beschränkteren  Temperatur- 
grenzen als  die  Originalkulturen  gedeihen,  zu  erzeugen.  Unbeabsichtigt 
ist  dieses  Resultat  erreicht  worden  bei  jahrelanger  fortgesetzter  Züch- 
tung des  DENEKE'schen  Käsespirillums  in  Gelatine;  dadurch  ist,  wie  in 
mehreren  Laboratorien  gleichzeitig  beobachtet  wurde,  dem  letzteren 
Mikroorganismus  die  Fähigkeit  verloren  gegangen,  bei  höheren  Tem- 
peraturen zu  wachsen.  Diese  Thatsache  scheint  bis  jetzt  isoliert  da- 
zustehen. 

Dagegen  kommt  der  umgekehrte  Fall,  dass  sich  die  Temperatur- 
grenzen für  das  Wachstum  eines  Bakteriums  künstlich  erweitern  lassen, 
öfter  vor.     Kruse  und  Pansini  (Z.  11)  haben  für  Pneumokokken  ver- 

31* 


484  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

schiedenen  Ursprungs  nachgewiesen,  dass  dieselben,  wenn  sie  längere 
Zeit  unter  günstigen  Kulturbedingungen  gehalten  werden,  bei  erheblich 
niedrigeren  Temperaturen  fortkommen,  als  unmittelbar  nach  ihrer  Iso- 
lierung. In  ausgedehntem  Masse  hat  Dieudonne  (A.  G.  9.  3)  die  An- 
passungsfähigkeit der  Bakterien  an  ungewöhnliche  Temperaturen  erwiesen. 
So  hat  er  Milzbrandbacillen  durch  allmähliche  Veränderung  der  Wachs- 
tumstemperatur dazu  gebracht,  dass  sie  bei  10°  und  andererseits  bei 
42,5  °  üppig  sich  entwickelten.  Auch  bei  Pigmentbakterien  Hessen  sich 
die  Temperaturgrenzen  nach  oben  verschieben  und  das  eben  erwähnte 
ÜENEKE'sche  Spirillum  Hess  sich  wieder  an  die  Bruttemperatur  gewöhnen. 

Zu  den  Lebensbedingungen  der  Bakterien  gehört  auch  ein  be- 
stimmtes Mass  des  freien  Sauerstoffzutritts  bez.  Sauerstoffmangels.  Es 
giebt  alle  Übergänge  vom  obligaten  Aerobion  zum  obligaten  Anae- 
robion  (vgl.  Liborius  Z.  1).  Ein  interessantes  Beispiel  für  den 
Übergang  von  letzterem  zum  fakulkativen  Aerobion  hat  Verfasser  neuer- 
dings beobachtet.  Es  handelte  sich  um  einen  Köpfenchensporen  bildenden 
Bacillus,  der  auf  der  Gelatineoberfiäche  bei  24°  zwar  leidlich  fortkam, 
aber  auf  schrägem  Agar  bei  37  °  sich  nicht  entwickelte,  wahrend  er  in 
der  Tiefe  des  Gelatine-  resp.  Agarstichs  üppig  wuchs.  Bei  höherer  Tem- 
peratur war  offenbar  die  Sauerstoffwirkung  an  der  Oberfläche  des  Nähr- 
bodens zu  kräftig,  um  das  Wachstum  zu  gestatten. 

Der  Einfluss  der  Zusammensetzung  des  Substrats  macht  sich  für 
strenge  Aerobien  und  Anaerobien  in  der  Weise  geltend,  dass  die  ersteren 
durch  reduzierende  Substanzen  (Zucker  u.  s.  w.),  namentlich  an*  Stellen, 
wo  der  Sauerstoffzutritt  beschränkt  ist,  z.  B.  in  der  Tiefe  des  Nähr- 
bodens, gehemmt,  die  letzteren  eben  dadurch  begünstigt  werden. 

Eine  Anpassung  an  anaerobe  und  aerobe  Verhältnisse  ist  in  ge- 
wissem Grade  möglich.  Man  kann  schon  individuelle  Abweichungen 
in  der  Empfindlichkeit  gegen  den  Sauerstoffmangel  bei  manchen  obli- 
gaten Aerobien  konstatiren:  macht  man  eine  Stichimpfung  in  einen 
frisch  ausgekochten  festen  Nährboden,  so  sieht  man  wohl  vereinzelte 
Kolonien  tiefer  unter  der  Oberfläche  wachsen.  Durch  systematische 
Auswahl  solcher  relativ  resistenteren  Individuen  kann  man,  wie 
Saneelice  (A.  J.  92)  gezeigt  hat,  auch  exquisit  aerobe  Bakterien 
(Subtilis,  Pyocyaneus)  an  den  Sauerstoffmangel  gewöhnen.  In  manchen 
Fallen  tritt  dabei  zu  dem  Verlust  alter  Eigenschaften  (Peptonisierungs-, 
Pigmentierungsvermögen)  der  Gewinn  einer  neuen,  nämlich  der  Gähr- 
fähigkeit  (Liborius,  Sanfelice).  Umgekehrt  wird  auch  eine  Anpassung 
von  Anaerobien  an  aerobe  Bedingungen  erreichbar  sein.  Kitt(C.  17. 5,6) 
ist  dieses  Resultat  beim  Rauschbrandbacillus  wenigstens  in  beschränktem 
Maasse,  Righi  (R.  94.  205)  beim  Tetanusbacillus  vollständig  gelungen 
(s.  Bd.  II). 


Kurse,  Variabilität  der  Mikroorganismen.  485 

E.  Zusammensetzung  des  Bakterienkörpers,  Reaktionen. 

Die  Zusammensetzung  des  Bakterienkörpers  (vgl.  l.Kap.d.2.  Abschn. 
dies.Bdes.)  wechselt,  je  nach  den  Wachstumsbedingungen  (Cramer,A.  13, 
16u.22).  Wasser-  und  Aschegehalt  ist  bei  der  Entwicklung  in  höherer  Tem- 
peratur vermindert,  bei  alten  Kulturen  vermehrt.  Mit  der  Koncentration 
des  Nährbodens  nimmt  der  Trocken-  und  Aschegehalt  zu.  Auf  eiweiss- 
und  salzreichem  Substrat  bestehen  die  (Cholera-)Bakterien  wesentlich 
aus  Eiweiss,  Salzen  und  Wasser,  auf  eiweissfreiem  und  salzärmerem 
Nährboden  (Uschinsky-Lösung)  wird  lange  nicht  so  viel  Eiweisssubstanz 
und  Asche  gebildet,  und  daneben  gehen  noch  andere  Stoffe  reichlich  in 
den  Bakterienkörper  über. 

Inwieweit  durch  künstliche  Züchtung  erbliche  Veränderungen  in 
der  Zusammensetzung  des  Bakterienkörpers  in  einem  und  demselben 
Nährboden  erzielt  werden  können,  ist  noch  nicht  festgestellt. 

Mit  der  chemischen  Zusammensetzung  werden  auch  die  Reaktionen 
des  Bakterienleibes  wechseln.  In  der  That  bestehen  gewisse  Differenzen 
in  der  Aufnahme  von  Anilinfarben  je  nach  dem  Alter  der  Kultur  und 
der  Natur  des  Nährbodens.  Auch  individuelle  Unterschiede  treten  unter 
den  gleichen  Bedingungen  hervor.  Für  die  spezifischen  Methoden,  die 
GßAM'sche  und  Tuberkelbacillenfärbung,  gilt  das  gleiche.  Einzelne 
Thatsachen  scheinen  dafür  zu  sprechen,  dass  die  chemische  Beschaffen- 
heit des  Substrats  für  das  Zustandekommen  oder  Ausbleiben  dieser 
Reaktionen  bestimmend  ist.  So  berichtet  A.Schmidt  (W.K.92.643),  dass 
die  gewöhnlichen  Darmbakterien  (B.  coli)  sich  in  einzelnen  Abschnitten 
des  Intestinaltraktus  nach  Gram  färben  lassen,  während  sie  »im  allge- 
meinen, auch  in  künstlichen  Kulturen,  unfärbbar  sind.  Die  Erscheinung 
lässt  wohl  auch  noch  andere  Erklärungen  zu,  immerhin  verdient  sie 
experimentell  weiter  verfolgt  zu  werden  (vgl.  Wilde,  Diss.  Bonn  96). 
Auch  die  Tuberkelbacillenmethode  ist  auf  andere  Bakterien  anwendbar, 
wenn  dieselben  sich  in  einem  bestimmten  (fettreichen)  Medium  be- 
finden (Bienstock,  F.  86.  6  u.  Gottstein,  F.  86.  8). 

Abgesehen  von  den  Fällen,  in  denen  die  Behandlung  eine  deut- 
liche Degeneration  des  Bakterienprotoplasmas  setzt  und  dadurch  das- 
selbe ungeeigneter  zur  Aufnahme  von  Farbstoffen  macht,  ist  auf  künst- 
lichem Wege  die  Färbbarkeit  von  Bakterien  noch  nicht  dauernd  be- 
einflusst  worden. 

F.   Resistenz  der  Bakterien. 

Schon  lange  bekannt  ist  die  Thatsache,  dass  die  Individuen  einer 
Bakterienkultur  —  seien  es  Sporen  oder  vegetative  Formen  aus  jungen 


486  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

oder  alten  Kulturen  —  schädigenden  Einflüssen,  z.  B.  Desinfizientien 
gegenüber,  verschiedene  Widerstandsfähigkeit  bekunden.  C.  Fränkel 
hat  die  resistenten  Keime  „Ausnahmezellen"  benannt.  Morpho- 
logische Differenzen,  die  sie  auszeichnen  könnten,  sind  bisher  nicht 
bekannt.  Dass  die  Herkunft  von  verschiedenen  Nährböden  eine 
gewisse  Bedeutung  hat,  wurde  ebenfalls  bei  Desinfektionsversuchen 
konstatiert  (Behring,  Z.  9;  Pane,  Atti  Accadem.  med.  Roma  90);  auch 
ist  dabei  nicht  gleichgiltig,  ob  man  die  Bakterien  im  trockenen  oder 
feuchten  Zustand  verwendet,  und  ob  schon  vorher  schädigende  Momente 
auf  sie  eingewirkt  haben.  Alle  Verfahren,  die  durch  Behandlung  mit 
hohen  Temperaturen  oder  Antisepticis  eine  Abschwächung  der  Bakterien 
bezwecken,  sind  geeignet,  die  Resistenz  derselben  im  allgemeinen 
herabzusetzen  (Smienow,  Z.  4).  Es  ist  allerdings  nicht  ausgeschlossen, 
dass  man  durch  sehr  vorsichtige  Behandlung  mit  den  angegebenen 
Mitteln  eine  Anpassung  der  Mikroorganismen  an  diejenigen  Ein- 
flüsse erzielt,  die  bei  plötzlicher  Einwirkung  schädlich  wirken.  Einen 
allmählichen  Übergang  zu  Temperaturen  von  40 — 42°  vertragen  Pigment- 
bakterien sowie  Milzbrandbacillen  nach  Dieudonne  (A.  Gr.  9.  3)  ganz 
gut,  ebenso  acclimatisieren  sich  Saprophyten  und  Parasiten  nach 
Kossiakoef  (P.  87),  Teambusti  (Sp.  92)  und  Galeotti  (Sp.  92)  an  ent- 
wicklungshemmende Mittel  (z.  B.  Sublimat),  wenn  sie  in  langsam 
steigender  Koncentration  angewandt  werden.  Ob  die  erlangte  Wider- 
standsfähigkeit sich  auch  gegenüber  anderen  Mitteln,  als  denen,  die  zur 
Behandlung  gedient  haben,  geltend  macht,  verdient  noch  festgestellt 
zu  werden.  Nach  Teambusti  und  Dieudonne  kann  trotz  der  An- 
passung eine  Virulenzabschwächung  der  Bakterien  eintreten. 

G.   Bakterielle  Zersetzungen,  Bakterienprodukte. 

Über  die  Variabilität  des  Peptonisierungsvermögens  haben  wir  uns 
oben  schon  (unter  C)  ausgelassen,  wir  besprechen  hier  die  Schwankungen 
in  der  Gährthätigkeit  in  zuckerhaltigen  Medien,  in  der  Bildung  von  Indol 
und  in  der  •  Produktion  von  Labferment.  Je  nach  der  Zusammen- 
setzung des  Nährbodens  wechseln  natürlich  die  Zersetzungen,  welche 
durch  die  Bakterien  in  demselben  verursacht  werden  (vgl.  2.  und  3. 
Kap.  des  2.  Abschn.  dies.  Bdes.).  Am  besten  ist  es,  zum  Studium  dieser 
Verhältnisse  sich  künstlicher  Nährlösungen  zu  bedienen.  Traubenzucker 
ist  häufig  im  Fleischsaft  enthalten,  so  dass  Gährungserscheinungen  auch 
in  den  gewöhnlichen  damit  hergestellten  Nährsubstraten  sich  bemerk- 
bar machen  können,  es  ist  das  aber  durchaus  inkonstant.  Die  Milch 
ist  dagegen  ein  natürliches  Reagens  auf  gewisse  Gährungserreger. 

Das  Gährvermögen   kann  durch  langdauernde  Züchtung  in  künst- 


Kruse,  Variabilität  der  Mikroorganismen.  437 

liehen  Nährböden,  die  keine  gährfähigen  Stoffe  enthalten,  sehr  ge- 
schwächt werden;  das  ist  z.  B.  für  Milzbrandbacillen  von  Hueppe  u. 
Grotenfeld  (F.  89.  4)  gefunden  worden.  Dieser  Verlust  konnte  durch 
Zurückbringen  und  fortgesetzte  Kultur  in  Milch  wieder  ersetzt  werden, 
wenn  die  Veränderung  nicht  schon  zu  weit  vorgeschritten  war.  Schneller 
und  vollständiger  soll  es  nach  Rodet  und  Roux,  sowie  Malvoz1)  ge- 
lingen durch  Züchtung  in  carbolhaltiger  Bouillon  bei  42°  den  sog. 
B.  coli  seiner  Fernientierungsfähigkeit  zu  berauben.  Villinger's  nach 
demselben  Rezept  wiederholte  Versuche  haben  das  aber  nicht  be- 
stätigen können  (A.  21.  2). 

Zur  Produktion  von  Indol  ist  Vorbedingung  ein  eiweiss-  (oder 
pepton-)  haltiger  Nährboden.  Bekannt  ist,  dass  durch  bestimmte  Ein- 
flüsse (Existenz  von  Traubenzucker  in  dem  Nährboden  [Gorini,  C.  13; 
Kruse,  Z.  17])  die  Bildung  dieses  Stoffes  hintangehalten  werden  kann. 
Ferner  sind  einzelne  Umstände  festgestellt,  die  das  Hervortreten  der 
Indolreaktion  (Baeyer)  begünstigen  oder  hemmen.  Dazu  gehört 
das  Vorhandensein  von  grösseren  Mengen  Nitrit  in  der  fertigen  Kultur, 
resp.  von  Nitrat  der  Nährfiüssigkeit  bei  reduzierenden  Bakterien  (Petri, 
A.  G.  6.  1;  Bleisch,  Z.  14).  Durch  die  wechselnde  Zusammensetzung 
des  Peptons  und  Kochsalzes,  sowie  des  Fleischsaftes  erklärt  sich 
wahrscheinlich  ein  grosser  Teil  der  Angaben,  die  bezüglich  der 
Inkonstanz  und  Veränderlichkeit  der  Indolproduktion  gemacht  worden 
sind,  ein  änderer  Teil  derselben  lässt  sich  vielleicht  auf  die  Variabili- 
tät des  Reduktionsvermögens  der  untersuchten  Mikroorganismen  zu- 
rückführen. 

Als  Reagens  auf  Labferment  wird  Milch  benutzt.  Bei  gehöriger 
Berücksichtigung  der  anderen  Momente,  welche  die  Gerinnung  der 
Milch  bewirken  (Gährwirkung,  Säuregehalt  der  sterilisierten  Milch,  un- 
vollständige Sterilisierung)  ist  es  nicht  schwer,  sich  von  einer  grossen 
Variabilität  der  Labproduktion  zu  überzeugen.  Klassische  Beispiele 
dafür   bieten    die    Choleraspirillen,    die   Pneumo-    und   Streptokokken. 

Ausser  den  hier  besprochenen  Eigenschaften  der  Bakterien  kom- 
men noch  zahlreiche  andere  Ferment-  und  Enzymwirkungen  dersel- 
ben in  Betracht.  Es  liegen  bisher  aber  noch  nicht  genügend  sichere 
Beobachtungen  über  die  Veränderlichkeit  derselben  vor. 

H.  Pigmentbildung. 

Schon  mehrfach  berührt  wurden  die  Schwankungen,  denen  die 
Pigmentbildung  der  Bakterien  unterliegt.  In  alten  Kulturen  kann 
man   regelmässig  individuelle  Abweichungen  in   der  Intensität  dersel- 

1)  Malvoz,  Recherches  bacteriologiques  sur  la  fievre  typhoide.  Bruxelles  92; 
vgl.  auch  einige  Angaben  mit  Litt,  bei  Kiessling,  R.  93.  17. 


488  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ben  konstatieren.  Durch  Auswahl  der  am  meisten  differenten  Kolo- 
nien lassen  sich  Varietäten  herauszüchten,  die  keinen  Farbstoff  ent- 
wickeln (vgl.  den  pigmentierten  Streptokokkus  Pasquale's,  Z.  12. 
462).  Dasselbe  Resultat  wird  erreicht  durch  Kultivierung  bei  abnor- 
men Temperaturen,  bei  Sauerstoffabschluss  oder  in  mit  Antisepticis 
versetzten  Nährböden.  Schottelius  ')  und  Charrin  u.  Phisalix 
(S.  B.  92)  haben  den  Prodigiosus  und  den  Pyocyaneus  durch  fort- 
gesetzte Züchtung  bei  37°  resp.  42,5°  seines  Pigmentes  —  und  zwar 
wie  es  scheint  dauernd  —  beraubt.  Das  Ausbleiben  der  Pigmentierung 
in  vor  Luftzutritt  geschützten  Kulturen  hat  schon  Liborius  (Z.  1)  beob- 
achtet, Sanfelice  (A.  J.  92)  machte  die  Bemerkung,  dass  diese  Eigen- 
schaft auch  noch  lange  sich  erhält,  wenn  man  nach  einer  Reihe 
anaerober  Generationen  zu  aeroben  Bedingungen  zurückkehrt.  Das 
gleiche  gilt  nach  Wasserzug  (P.  88)  in  dem  Falle,  dass  man  den 
Pyocyaneus  und  Prodigiosus  in  Bouillon  mit  entwicklungshemmenden 
Zusätzen  züchtet.  Notwendig  zu  einem  vollständigen  Erfolg  ist  bei 
Anwendung  der  genannten  Verfahren,  dass  durch  dieselben  eine  Schä- 
digung des  Bakterienprotoplasmas  gesetzt  wird,  denn  wenn  sich  die 
Mikroben  den  schädlichen  Einflüssen  anpassen  können,  findet  unter 
Umständen  ein  Rückschlag  der  alten  Eigenschaften,  in  unserem  Falle 
des  Pigmentierungsvermögens,  statt  (vgl.  unter  F).  So  hat  Galeotti 
(Sp.  92)  in  der  That  gefunden,  dass  Bakterien  durch  Hinzufügung 
eines  Antiseptikums  zum  Nährboden  ihr  Pigment  einbüssten,  dasselbe 
aber  wieder  entwickelten,  wenn  sie  sich  an  das  veränderte  Substrat 
gewöhnt  hatten.  Ähnliches  hat  Diettdonne  (A.  G.  9.  3)  bezüglich 
des  Einflusses  hoher  Temperaturen  bei  Prodigiosus,  Fluorescens  u.  s.  w. 
festgestellt  (vgl.  Bd.  II). 

Als  ein  Beispiel  dafür,  wie  durch  Anpassung  an  einen  anderen 
Nährboden,  der  durchaus  nicht  ungünstig  zu  sein  braucht,  die  farb- 
stoffbildende Funktion  verloren  gehen  kann,  mag  der  Bacillus  der  blauen 
Milch  genannt  werden  (Scholl,  F.  89.  21).  Bei  diesem  letzteren  tritt 
auch  der  Einfluss,  den  die  Zusammensetzung  des  Substrats  auf  das 
Erscheinen  des  charakteristischen  Farbstoffes  ausübt,  sehr  deutlich 
hervor.  Der  noch  nicht  durch  die  Kultur  modifizierte  Bacillus  bildet, 
je  nachdem  er  auf  Milch,  Gelatine  oder  Kartoffeln  kultiviert  wird, 
blaues,  grünes  oder  braunes  Pigment. 

I.  Beweglichkeit. 

Die  Beweglichkeit  der  Bakterien  hängt  ab  einerseits  von  dem 
Vegetationsstadium,  andererseits  von  dem  Medium,  in  dem  sich  diesel- 

1)  Biologische  Untersuchungen  üb.  d.  Mikrokokkus  prodigiosus.  Leipzig  87 
(Festschr.  für  Kölliker). 


Kruse,  Variabilität  der  Mikroorganismen.  4gg 

ben  befinden.  Der  Einfluss  des  letzteren  verdiente  noch  mehr  studiert 
zu  werden,  im  allgemeinen  schädigen  entwicklungshemmende  Mo- 
mente, z.  B.  die  durch  das  Wachstum  entstandene  oder  zugefügte 
Säure,  auch  die  Beweglichkeit.  Eine  scheinbare  Ausnahme  hiervon 
bildet  der  Prodigiosus,  der  nach  Schottelius  und  Wasseeztjg  (a.  a.  0.) 
besonders  bei  saurer  Reaktion  beweglich  ist,'  obwohl  dieselbe  an  sich 
seinem  Gedeihen  nicht  förderlich  ist.  Vielleicht  hängt  das  von  dem 
Ausbleiben  der  Schleimbildung  in  saurem  Substrat  ab. 

Dauernde  Einbusse  an  Beweglichkeit  scheinen  die  Bakterien  zu 
erleiden,  wenn  sie  längere  Zeit  unter  ungünstigen  Bedingungen  kulti- 
viert werden.  Z.  B.  sah  Villingee  (A.  21)  das  Bacterium  coli  unbe- 
weglich werden  und  bleiben,  wenn  es  mehrere  Generationen  hindurch 
bei  42°  in  carbolhaltiger  Bouillon  gezüchtet  und  dann  in  die  gewöhn- 
lichen Kulturbedingungen  zurückgebracht  war.  Allerdings  zeigte  es 
sich  auch  in  anderen  morphologischen  und  physiologischen  Eigenschaf- 
ten stark  geschädigt.  An  den  unbeweglich  gewordenen  Bakterien  lassen 
sich  die  Bewegungsorgane  (Geissein)  nicht  mehr  darstellen.  Eine  Varia- 
bilität der  letzteren  in  dem  Sinne,  dass  ihre  Zahl  oder  ihre  Verteilung 
am  Bakterienkörper  sich  unter  Umständen  änderte,  ist  bisher  mit 
Sicherheit  nicht  festgestellt  worden  (vgl.  Feeeiee,  A.  E.  95). 

K.  Sporenbildung. 

Zur  Sporenbildung  ist  ausser  gewissen  äusseren  Voraussetzungen 
(Temperatur,  Sauerstoff,  Erschöpfung  des  Nährbodens  u.  s.  w.)  noch 
eine  innere  Anlage  des  Bakterienleibes  von  Nöten.  Dieselbe  kommt 
nur  einer  beschränkten  Zahl  von  Spezies  zu  und  kann  auf  dem  Wege 
der  künstlichen  Züchtung  beseitigt  werden.  Alle  diejenigen  Mittel, 
die  geeignet  sind,  die  natürliche  Entwicklung  zu  stören,  degenerierend 
zu  wirken,  können  zum  Verlust  des  Sporenbildungs Vermögens  führen. 
Dahin  gehören  die  in  alten  Kulturen  —  namentlich  Gelatine  bei  nie- 
deren Temperaturen  —  wirksamen  Faktoren,  die  Züchtung  bei  zu 
hohen  Temperaturen  und  in  Nährböden,  die  mit  antiseptischen  Zu- 
sätzen versehen  sind  (vgl.  Cbambeeland  u.  Roux,  C.  R.  96.  1090; 
Roux,  P.  90;  K.  B.  Lehmann,  87.  26;  Beheing,  Z.  6.  125  u.  7.  181; 
Phisalix,  Bull.  med.  92.  25). 

Die  Versuche  sind  meist  am  Milzbrand  angestellt  worden,  aber  die 
Erfahrungen  des  Laboratoriums  beweisen,  dass  auch  andere  sporenbil- 
dende Bacillen  denselben  Einflüssen  unterworfen  sind.  Die  Umwand- 
lung erfolgt  stufenweise,  indem  beim  Zurückbringen  auf  passende 
Nährböden  zuerst  die  Sporenbildung  nur  verlangsamt  wird,  dann  nur 
einige  Individuen  noch  sporifizieren.     Schliesslich  gelingt  es,  Varietä- 


490  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

ten  zu  erzielen,  die  auch  nach  wiederholter  Passage  durchs  Tier  nicht 
mehr  zur  Sporulation  gebracht  werden  können. 

L.  Virulenz  und  Giftbildung. 

Über  die  Wandlungen,  welche  die  pathogenen  Eigenschaften  der  Bak- 
terien erfahren  können,  sind  unsere  früheren  Ausführungen  (oben  S.  299) 
nachzusehen.  Die  Virulenz  ist  sicher  derjenige  Charakter  der  Bakterien, 
der  am  wenigsten  konstant  ist.  Die  Momente,  welche  die  Variabilität 
bedingen,  fallen  auch  hier  wieder  in  das  Gebiet  der  degenerativen  Ver- 
änderungen oder  in  das  der  Anpassungen. 

M.  Natürliche  Varietäten. 

Es  ist  von  vornherein  zu  erwarten,  dass  die  natürliche  Züchtung 
in  ähnlicher  Weise  Varietäten  erzeugen  wird  wie  die  künstliche  Züchtung. 
Die  Erfahrung  bestätigt  das  auch  immer  mehr,  worüber  im  syste- 
matischen Teil  im  einzelnen  berichtet  werden  wird.  Hier  seien  nur 
einige  Beispiele  herausgegriffen.  Besonders  gross  ist  die  Zahl  der 
Varietäten  des  Pneumoniekokkus.  Durch  Vergleich  von  84  frisch  iso- 
lierten Kulturen  desselben  haben  Kruse  und  Pansini  (Z.  11)  festgestellt, 
dass  dieselben  sich  nicht  nur  in  ihren  pathogenen  Eigenschaften,  son- 
dern in  zahlreichen  morphologischen  und  physiologischen  Charakteren 
von  einander  vielfach  unterscheiden.  Scharfe  Grenzen  zwischen  den 
einzelnen  Spielarten  aufzustellen,  war  nicht  möglich,  da  alle  Übergänge 
zwischen  ihnen  existierten.  Die  Züchtung  unter  gleichen  Bedingungen 
brachte  die  Differenzen  zum  grossen  Teil  zum  Verschwinden.  Pasquale 
(Zi.  12)  hat  bei  Streptokokken  ähnliche  Verhältnisse  gefunden.  Die 
Erreger  des  Milzbrandes,  des  Typhus,  der  Diphtherie,  der  Tuberkulose, 
der  Hühnercholera  und  Schweineseuche,  der  Pyocyaneus,  Proteus,  der 
Bac.  coli  communis  und  der  Heubacillus  repräsentieren  zwar  jeder 
einen  Typus,  aber  man  hat  sich  denselben  nicht  als  einen  starren, 
gänzlich  unveränderlichen  vorzustellen;  auch  unter  natürlichen  Verhält- 
nissen zeigt  er  eine  gewisse  Labilität,  die  entweder  physiologische 
Fähigkeiten,  z.  B.  die  Virulenz,  das  Verflüssigungsvermögen,  oder  auch 
morphologische  Eigenschaften  betrifft.1)  Dasselbe  gilt  auch  für  den 
Mikroorganismus  der  asiatischen  Cholera.  Namentlich  die  Untersuchungen 
während  und  nach  der  letzten  Epidemie  haben  in  verschiedenen  Labora- 
torien die  Variabilität    dieses    Krankheitserregers    bezüglich    Virulenz, 


1)  Auf  die  Differenzen,  die  Milzbrandsporen  verschiedenen  Ursprungs  in  ihrer 
Resistenz  gegen  schädigende  Einflüsse  zeigen,  hat  Esmarch  (Z.  5)  zuerst  hin- 
gewiesen. 


Kruse,  Variabilität  der  Mikroorganismen.  491 

Verflüssigungsvermögen,  Koloniebildung,  Labproduktion,  Morphologie 
u.  s.  w.  über  allen  Zweifel  erhoben,  wenn  auch  die  Angaben  mancher 
Forscher  (Citnningham  r:  J.  90)  zu  weit  gehen 1).  Diese  Neigung  zur  Ab- 
änderung scheint,  wie  Hueppe  mit  Recht  hervorhebt  (D.  91.  53),  bei 
den  sporadischen  Fällen  und  kleinen,  langsam  verlaufenden  Cholera- 
epidemien grösser  zu  sein,  als  in  den  sehr  ausgebreiteten,  plötzlich 
entwickelten  Epidemien,  wahrscheinlich  weil  die  Bakterien  im  ersteren 
Falle  viel  ungleichartigeren  äusseren  Lebensbedingungen  ausgesetzt 
sind,  als  im  letzteren. 

N.  Schluss. 

Aus  unserer  Darstellung  ergiebt  sich,  dass  die  Variabilität  der 
Bakterien  in  der  That  eine  sehr  bedeutende  ist.  Durch  künstliche 
Züchtung  gelingt  es,  die  ursprünglichen  Typen  nach  Umständen  fast 
bis  zur  Unkenntlichkeit  —  und  zwar  wie  es  scheint  auf  die  Dauer  — 
zu  verwischen.  Kein  einziger  Charakter  ist  also  absolut  konstant  zu 
bezeichnen.  Es  ist  besonders  bemerkenswert,  dass  dieses  Resultat  schon 
jetzt,  kurze  Zeit  nachdem  man  der  Frage  durch  wissenschaftliche  For- 
schung nahegetreten,  erzielt  ist.  Die  Erfolge  künftiger,  langdauernder 
systematischer  Züchtung  sind  noch  nicht  abzusehen.  Indessen  würde 
es  gänzlich  verkehrt  sein,  unter  diesem  allgemeinen  Eindruck  die  spe- 
zifischen Differenzen,  die  trotz  alledem  im  Reiche  der  Bakterien 
bestehen,  ausser  Acht  zu  lassen.  Folgende  Punkte  sind  zu  berücksich- 
tigen: 

1.  Die  Eigenschaften,  die  am  meisten  der  Veränderung  unterliegen, 
sind  die  physiologischen;  die  morphologischen  Variationen  sind  verhält- 
nismässig unbedeutend  —  soweit  sie  dauernd  sind  —  sie  gehen  kaum 
über  die  Grenzen  der  individuellen  Abweichungen  heraus,  obwohl  natür- 
lich das  mikroskopische  Bild  einer  so  veränderten  Kultur  im  ganzen 
genommen  ein  anderes  ist  (vgl.  Abschn.  B). 

2.  Nicht  zu  vergessen  ist,  dass  die  erworbenen  Abänderungen  sich 
allermeist  nach  der  negativen  Seite  hin  bewegen,  indem  nämlich  vor- 
handene Eigenschaften  auf  dem  Wege  der  künstlichen  Züchtung  ver- 
loren gehen.  In  vielen  Fällen  tragen  die  Varietäten  den  Stempel  un- 
verkennbarer Degeneration.  Wirkliche  Anpassungen,  verbunden  mit  dem 
Auftreten  neuer  Charaktere,  sind  bisher  viel  seltener  beobachtet  worden. 


1)  Friedrich,  A.  G.  8.  1;  G  ruber,  A.  20;  Kruse,  Z.  17  und  nicht  publi- 
zierte Untersuchungen;  Pasquale,  Giom.  media  del  Esercito  e  della  Marina.  Roma 
94;  Sirena  e  Scagliosi  r:  C.  15.  24;  Celli  u.  Santori.  C.  15.  21;  Schoffer, 
A.  G.  11.  2,  Bordoni-Uffreduzzi  u.  Abba,  R.  94.  12;  Dunbar  bei  Gaffky,  A. 
G.  10.  1.  S.  155*;  Gramer,  A.  22.  2;  de  Giaxa  u.  Lenti,  r:  C.  15.  16. 


492  Allgemeine  Biologie  der  Mikroorganismen. 

3.  Durch  die  Epidemiologie  und  zahllose,  freilich  noch  nicht  sehr  alte 
Erfahrungen  auf  bakteriologischem  Gebiet  ist  bewiesen,  dass  die  Konstanz 
der  Art  unter  günstigen  Bedingungen,  d.  h.  im  adäquaten  Nährboden, 
eine  ausserordentlich  grosse  ist.  Die  autochthone  Entstehung  von 
Krankheitserregern  aus  Saprophyten  ist  bisher  für  keinen  Fall  bewiesen 
und  nicht  einmal  wahrscheinlich  gemacht  worden.  Die  ersten  derartigen 
Versuche  betrafen  dieEntstehung  des  Milzbrandes  aus  Heubacillen  (Buch- 
ner bei  Nägeli,  Niedere  Pilze.  München  u.  Leipzig  82).  Sie  sind  durch 
R.  Koch  (M.  GL  1)  zurückgewiesen  worden  und  werden  von  ihrem  Autor 
nicht  mehr  aufrecht  erhalten.  Ferner  ist  namentlich  von  Rodet  und  Roux 
(s.  Bd.  II)  der  Versuch  unternommen  worden,  den  Typhusbacillus  aus  dem 
B.  coli  zu  erzeugen,  freilich  mit  gänzlich  ungenügendem  Resultat. 
Selbst  wenn  es  aber  gelungen  wäre,  auf  künstlichem  Wege  den  letzteren 
Mikroorganismus  aller  seiner  differentiellen  Merkmale  scheinbar  zu  ent- 
kleiden, so  fehlte  demselben  doch  noch  gerade  das  spezifische  Kriterium 
des  Typhusbacillus,  die  Fähigkeit,  den  Typhus  des  Menschen  zu  er- 
zeugen. Das  gleiche  gilt  von  den  neuesten  Bestrebungen,  die  Ent- 
stehung der  Cholera  mit  weit  in  der  Aussenwelt  verbreiteten  Sapro- 
phyten des  Wassers  in  Verbindung  zu  bringen.  Mag  die  Ähnlichkeit 
der  Wasserspirillen  mit  dem  KocH'schen  Bakterium  auch  noch  so  weit 
gehen,  das  letztere  zeichnet  eben  seine  spezifische  Wirkung  auf  den 
Menschen  aus.  Glücklicherweise  sind  wir  nicht  genötigt,  das  Experi- 
ment am  Menschen  selbst  als  ultimum  refugium  der  Differentialdiagnostik 
zu  betrachten,  seitdem  R.  Peeipfer(Z.  17 — 21)  gefunden  hat,  dass  die  spe- 
zifische Immunisierung  von  Versuchstieren  in  zweifelhaften  Fällen  zur 
scharfen  Unterscheidung  genügt.  Durch  diese  Thatsache  werden  wir 
auch  da  zur  Vorsicht  in  der  Beurteilung  gemahnt,  wo  es  gelingt,  durch 
künstliche  Züchtung  verschiedene  Formen  auf  einen  scheinbar  gleichen 
Typus  zurückzuführen. 

Wenn  sonach  unsere  bisherigen  Erfahrungen  über  die  Variabilität 
der  Bakterien  nicht  geeignet  sind,  die  spezifischen  Differenzen  der  letz- 
teren aus  der  Welt  zu  schaffen,  so  haben  sie  doch  eine  grosse  wissen- 
schaftliche Bedeutung,  weil  sie  die  verwandtschaftlichen  Bezieh- 
ungen der  Bakterien  unter  einander  in  das  rechte  Licht  setzen  und 
so  dazu  beitragen,  die  Phylogenese  derselben  aufzuklären.  Es  wird 
freilich  noch  umfangreicher  Forschungen  bedürfen,  um  die  Grundlagen 
für  ein  auf  der  natürlichen  Entwicklung  aufgebautes  System  (vgl.  Bd  II 
S.  93  ff.)  zu  schaffen,  als  Beispiel  indessen,  wie  man  sich  für  eine  gut 
bekannte  kleinere  Gruppe  von  Mikroorganismen  den  phylogenetischen 
Hergang  denken  könnte,  möge  folgende  Ableitung  dienen  (vgl.  Kruse 
und  Pansini,  Z.  11  und  Pasquale,  Zi.  12). 

Die    für    die  Pathologie    so   wichtigen  Streptokokken  stammen 


Kruse,  Variabilität  der  Mikroorganismen.  493 

jedenfalls  von  saprophytischen  Formen  her,  die  ursprünglich  kurze 
Ketten  gebildet,  dann  die  Fähigkeit,  Pigmente  zu  erzeugen  und  Eiweiss 
zu  peptonisieren,  gewonnen  haben.  Solche  giebt  es  jetzt  noch,  sie  be- 
halten auch  in  der  Kultur  die  Gewohnheit,  in  kurzen  Ketten  zu  wachsen, 
bei.  Aus  den  kurzen,  nicht  verflüssigenden  Streptokokken  gingen  die 
langen  hervor  und  bei  diesen  erst  entwickelte  sich  die  Anpassung  an 
das  parasitäre  Leben,  die  Pathogenität;  dafür  spricht  die  Thatsache, 
dass  alle  virulenten  Strepto-  (und  Diplo-)kokken  mit  dem  Verlust  ihrer 
Pathogenität  die  etwa  vorher  bestehende  Neigung,  kurze  Ketten  zu 
bilden,  verlieren  und  lang  auszuwachsen  beginnen.  Mit  der  Steigerung 
der  Virulenz  nimmt  wieder  die  Länge  der  Ketten  ab  und  die  am  meisten 
infektiösen  Streptokokken  sind  der  Diplococcus  der  Pneumonie  sowie 
der  Diplococcus  pyogenes  (Pasquale).  Sie  entsprechen  den  Enden 
zweier  Entwicklungsreihen,  von  denen  die  eine  von  Streptokokken 
sich  ableitet,  die  oberflächlich  auf  den  Schleimhäuten  von  Warmblütern 
vegetiert  und  ganz  die  Fähigkeit  des  Wachstums  bei  niederer  Tem- 
peratur eingebüsst  hat  (lange  Pneumoniekokken  der  Schleimhäute  [Kruse 
und  Pansini]),  während  die  andere  noch  zu  saprophytischer  Existenz 
bei  niedriger  Aussentemperatur  befähigt  ist  (gewöhnliche  Streptokokken 
der  Eiterung  etc.)  Beide  Reihen  sind  durch  Übergänge  verbunden, 
durch  Züchtung  gelingt  es,  die  Pneumokokken  auch  an  niederere  Tem- 
peraturen zu  gewöhnen.  Merkwürdigerweise  sind  unter  den  virulen- 
testen Pneumo-  und  Streptokokken  einige  Pigmentbildner  gefunden 
worden  (Fowitzkt,  A.  M.  50;  Pasquale)  —  vielleicht  ein  Rückschlag 
auf  saprophytische  Ahnen. 


Dritter  Abschnitt. 

Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen1) 


von 
R.  Pfeiffer. 


Erstes  Kapitel. 
Allgemeine  Verbreitung  der  Bakterien. 

In  den  verschiedensten  Teilen  der  Umgebung  des  Menschen  wuchern 
zahlreiche  Bakterienarten,  sobald  nur  hinreichende  Feuchtigkeit,  Nähr- 
material und  eine  Temperatur  von  mindestens  6 — 10  °  gegeben  ist;  und 
die  Masse  derselben  vermehrt  sich  um  so  rascher,  je  näher  die  Tem- 
peratur dem  durchschnittlichen  Optimum  von  20 — 30°  liegt  und  je 
bessere  und  reichlichere  Nährstoffe  vorhanden  sind.  Überall  wo  totes 
organisches  Material,  Exkrete  der  Menschen  und  Tiere,  Kadaver,  ab- 
gestorbene Pflanzen,  Abfallstoffe  des  Haushalts  und  der  Industrie  auf 
der  Bodenoberfläche,  in  stagnierenden  oder  fliessenden  Gewässern  oder 
innerhalb  der  Wohnungen  bei  genügender  Feuchtigkeit  und  Tempe- 
ratur sich  häufen,  entstehen  Bakterienherde,  welche  schliesslich  die 
völlige  Zerstörung  jener  Massen  bewirken  und  dafür  eine  enorme  Zahl 
neugebildeter  Individuen  an  die  Stelle  setzen. 

Angesichts  der  Verbreitung,  der  enormen  Vermehrungsfähigkeit 
und  der  relativ  grossen  Resistenz  der  Bakterien  muss  man  unwill- 
kürlich nach  den  Mitteln  fragen,  welche  in  der  Natur  zur  Anwendung 
kommen,  um  die  immer  von  neuem  gebildeten  Massen  von  Bakterien 
wieder  zu  vernichten  und  ihrer  zu  starken  Anhäufung  entgegenzu- 
arbeiten. Diese  Mittel  sind  nicht  etwa  in  der  Kälte  des  Winters  ge- 
geben, welche  bekanntlich  im  wesentlichen  eine  Entwicklungshemmung 
verursacht,  im  übrigen  aber  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Bakterien 
im  lebensfähigen  Zustand  zu  konservieren  scheint.  Die  natürlichen 
Desinfektionsmittel  sind  vielmehr  in  erster  Linie  Austrocknung  der 
Bakterien,  sodann  anhaltende  Erschöpfung  der  Nährsubstanzen, 

1)  Bearbeitet  nach  d.  2.  Aufl.  dies.  Buch. 


Pfeiffee,  Allgemeine  Verbreitung  der  Bakterien.  495 

zuweilen  auch  hohe  Temperaturen,  namentlich  an  der  Bodenober- 
fläche  mit  Hilfe  der  Insolation.  Des  ferneren  entwickeln  die  chemisch 
wirkenden  kurzwelligen  Sonnenstrahlen  und  sogar  das  diffuse  Tages- 
licht nach  den  übereinstimmenden  Untersuchungen  zahlreicher  Bak- 
teriologen (Büchner,  Arch.  f.  Hyg.  XVII,  Kruse,  Z.  XIX  u.  A.)  energisch 
abtötende  Effekte,  durch  welche  das  Bakterienleben  in  durchsich- 
tigen Medien,  vor  allem  im  Oberflächen wasser  sehr  wesentlich  beein- 
flusst  zu  werden  scheint.  Natürlich  werden  vor  allem  die  vegetativen 
Formen  der  Spaltpilze  von  diesem  natürlichen  Desinfizientien  betroffen, 
während  die  meisten  Dauerformen  sowohl  im  ausgetrockneten  Zustande, 
wie  auch  in  erschöpften  Nährlösungen  und  bei  den  höchsten,  an  der 
Bodenoberfläche  durch  Insolation  erreichten  Temperaturen  sich  lebens- 
fähig erhalten. 

Aber  trotzdem  können  grosse  und  vollkommen  genügende  Wir- 
kungen mit  jenen  Mitteln  erzielt  werden,  dadurch  dass  eben  in  der 
Natur  den  Dauerformen  sehr  häufig  Gelegenheit  gegeben  wird,  wieder 
auszukeimen  und  so  in  eine  angreifbare  Form  überzugehen;  ein  steter 
Wechsel  von  guten  Nährbedingungen  einerseits,  Wasser-  und  Nähr- 
stoffmangel andererseits  ist  es  daher  wesentlich,  der  eine  weitgehende 
Vernichtung  der  verschiedensten  Bakterien  und  eine  Regulierung  des 
Bakterienlebens  bewirkt. 

Für  diejenigen  Bakterienarten,  welche  durch  die  gelegentliche  Aus- 
dehnung ihres  Entwicklungskreises  auf  lebende  höhere  Organismen 
unser  besonderes  Interesse  erregen,  ist  eine  fortgesetzte  Existenz  in 
unserer  natürlichen  Umgebung  noch  besonders  erschwert,  dadurch  dass 
sie  in  der  Qualität  ihrer  Nährstoffe  meist  sehr  wählerisch  sind,  dass 
sie  besonders  günstiger  Temperatur  bedürfen  und  oft  in  hervorragen- 
der Weise  gegen  Alterationen  des  Nährsubstrats  und  Wasserentziehung 
empfindlich  sind.  Dazu  kommt,  dass  alle  fakultativen  Parasiten  sehr 
leicht  von  Saprophyten  überwuchert  werden,  welche  unter  den  in  unserer 
Umgebung  vorhandenen  Existenzbedingungen  viel  schneller  wachsen; 
diese  entziehen  daher  jenen  bald  die  notwendigen  Nährstoffe  und 
schädigen  sie  ausserdem  durch  Stoffwechselprodukte.  Sollen  daher  In- 
fektionserreger unter  den  natürlichen  Verhältnissen  längere  Zeit  hin- 
durch sich  vermehren  können,  so  müssen  sie  offenbar  Gelegenheit 
haben,  geradezu  in  einer  Art  Reinkultur  zu  wachsen;  auf  fest-weichen 
Nährsubstraten,  schwimmenden  pflanzlichen  oder  thierischen  Resten 
wird  es  gelegentlich  zu  einer  solchen  ausschliesslichen  Occupierung 
eines  Terrains  durch  pathogene  Bakterien  kommen.  —  Sogar  die  Kon- 
servierung der  in  solcher  Weise  ausserhalb  des  Menschen  gewachsenen 
oder  auch  der  im  Menschen  vermehrten  und  von  dort  in  die  Umgebung 
gelangten    fakultativen   und    obligaten  Parasiten    stösst    auf  ziemliche 


496  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

Schwierigkeiten.  Am  leichtesten  gelingt  dieselbe  mit  Hilfe  von  Dauer- 
formen,  die  im  ausgetrockneten  Zustand  oder  in  erschöpften  Nähr- 
substraten lange  Zeit  unverändert  persistieren  können.  Wo  Dauer- 
formen fehlen,  da  kann  möglicherweie  noch  dann  eine  Konservierung 
eintreten,  wenn  die  vorliegenden  Verhältnisse  eine  derartige  Entwick- 
lungshemmung bedingen,  dass  keine  Überwucherung  durch  Saprophyten, 
aber  auch  keine  Abtötung  der  empfindlicheren  parasitischen  Bakterien 
eintritt.  Ein  solcher  Fall  ist  z.  B.  gegeben  bei  Kälte  unter  +5°; 
ferner  (wie  unten  näher  auszuführen  ist)  bei  einem  porösen,  massig 
durchfeuchteten  Boden. 

Für  die  Verteilung  des  Bakterienlebens  auf  der  Erdoberfläche  ist 
es  sodann  noch  wichtig,  dass  sie  oft  nicht  auf  den  Ort  ihrer  Ent- 
wicklung beschränkt  bleiben,  sondern  dass  ein  vielfacher  Transport 
der  Bakterien,  eine  Verschlepjmng  auf  kleinere  und  grössere  Strecken 
stattfindet.  Die  Luftströmungen  und  die  fliessenden  Gewässer  sind  als 
die  wesentlichsten  Transportmittel  zu  nennen;  in  kleinerem  Massstabe, 
aber  in  vielseitigster  Weise  findet  ferner  eine  Verschleppung  durch 
Tiere  und  durch  die  Hantierungen,  Beschäftigungen  und  den  Verkehr 
des  Menschen  statt. 


Zweites  Kapitel. 

Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  in  der  Luft. 

Untersuchen  wir  die  einzelnen  Teile  unserer  Umgebung  auf  das 
Vorkommen  von  Bakterien,  so  finden  sich  dieselben  zunächst  in  der 
Luft  in  sehr  wechselnder  Menge.  Mit  den  bis  jetzt  zur  Untersuchung 
verwendeten  Methoden  sind  im  Freien  in  Luftschichten,  welche  nahe 
über  der  Erde  lagern,  etwa  100 — 500  lebensfähige  Bakterien  pro  Ku- 
bikmeter gefunden;  in  der  Luft  der  Wohnräume  werden  sie  in  sehr 
geringer  Anzahl  beobachtet,  sobald  längere  Zeit  hindurch  jede  Bewe- 
gung der  Luft  möglichst  vermieden  war;  während  sie  in  grossen  Mengen 
vorhanden  sind,  wenn  durch  Bewegungen  und  Erschütterungen  ein 
Aufwirbeln  von  Staub  bewirkt  wird.  Durch  direkte  mikroskopische 
Beobachtung  der  gesammelten  Luftkeime,  sowie  aus  den  Experimenten 
über  Luftfiltration  (Hesse,  D.  M.  1884)  hat  sich  ergeben,  dass  die  in  der 
Luft  schwebenden  Mikroorganismen  meist  nicht  isolierte  Individuen  reprä- 
sentieren, sondern  dass  zahlreiche,  in  der  Regel  derselben  Art  zugehörige 
Individuen  zu  Verbänden  und  Gruppen  vereinigt  sind  oder  an  gröberen 
Partikelchen  und  sichtbaren  Stäubchen  haften. 


Pfeiffer,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  in  der  Luft.        497 

Der  Ursprung  der  Luftkeime  ist  fast  stets  in  den  Bakterienan- 
siedlungen  der  Erdoberfläche  zu  suchen;  für  eine  Vermehrung  Avährend 
des  Transports  durch  die  Luft  fehlt  es  vor  allem  an  der  genügenden 
Feuchtigkeit.  Der  Übergang  von  Bakterien  in  die  Luft  findet  ferner 
im  allgemeinen  nur  statt  von  völlig  trockenen  und  durch  äussere 
Gewalt  zertrümmerten  Bakterienkolonien  aus.  Näg-eli  und  Buchner 
(Vortrag.  München  1881)  hat  nachgewiesen,  dass  selbst  starke  Luft- 
ströme von  feuchten  Oberflächen  keine  Bakterien  loszureissen  im- 
stande sind;  nur  wenn  gleichzeitig  ein  Verspritzen  von  Flüssigkeiten 
durch  Erzeugung  von  Wellen  oder  durch  heftiges  Schlagen  (Mühl- 
räder, "Wäsche)  oder  durch  Blasenbildung  erfolgt,  können  Wasser- 
bläschen und  mit  diesen  Bakterien  für  kurze  Strecken  von  Luft- 
strömen mitgeführt  werden.  Selbst  wenn  ferner  eine  Bakterienkolonie 
austrocknet,  so  ist  damit  noch  nicht  ohne  weiteres  die  Möglichkeit  zur 
Ablösung  und  zum  Übergang  einzelner  Teile  derselben  in  die  Luft 
gegeben,  sondern  die  angetrockneten  Bakterien  pflegen  sehr  fest  an 
ihrer  Unterlage  zu  haften,  und  erst  durch  Lockerung,  durch  Risse  und 
Brüche,  die  durch  äussere  Gewalt  oder  Temperatureinflüsse  entstehen, 
kommt  es  zur  Ablösung  kleiner,  leichter  Partikelchen,  die  mit  Luft- 
strömen fortgeführt  werden  können. 

Die  einmal  in  die  Luft  übergetretenen  Bakterien  werden  dann  dort 
verschieden  lange  schwebend  erhalten  resp.  durch  Luftströme  fortge- 
führt. Von  Einfluss  ist  in  dieser  Beziehung  ausser  der  Stärke  der 
bewegenden  Strömungen  namentlich  Grösse  und  Gewicht  der  schwe- 
benden Partikel.  Gröbere  Stäubchen,  die  man  mit  blossem  Auge  bei 
jeder  Beleuchtung  sieht,  fallen  mit  ihrem  Anhang  von  Bakterien  bei 
ruhiger  Luft  bald  nieder;  die  kleineren  sogenannten  Sonnenstäubchen 
bleiben  schon  leichter  schwebend  und  werden  durch  geringfügige  Ströme 
auf-  oder  seitwärts  fortbewegt.  Endlich  kommen  auch  noch  die  makro- 
skopisch niemals  sichtbaren  kleineren  Bakterienverbände  resp.  einzelne 
Bakterien  in  Frage,  die  ein  Gewicht  von  1  Billionstel  Gramm  und 
weniger  repräsentieren  und  auch  in  ruhiger  Luft  sich  nicht  merklich 
niedersenken.  Alle  diese  kleinsten  Körperchen  sind  noch  umgeben  zu 
denken  von  einer  verdichteten  Lufthülle,  die  wohl  wesentlich  aus  Wasser- 
dampf besteht  und  gleichsam  einen  als  Fallschirm  dienenden  und  das 
Schweben  erleichternden  Mantel  bildet  (Näg-eli). 

Aus  diesen  Beobachtungen  und  Erwägungen  ergeben  sich  dann 
ohne  weiteres  einige  Gesetzmässigkeiten  für  die  örtliche  und  zeit- 
liche Verteilung  der  Bakterien  in  der  Luft.  Überall,  wo  vielfache 
Bakterienansiedlungen  auf  der  Erdoberfläche  sich  finden,  und  wo  ferner 
eine  völlige  Austrocknung  oberflächlicher  Kolonien  statthat,  wird  es 
auch    zu    einem    bedeutenden  Gehalt    der  Luft    an  Bakterien  kommen. 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  32 


498  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

Wo  keine  Gelegenheit  zur  Ansiedlung  von  Bakterien  gegeben  ist  (in 
Einöden,  auf  hohen  Bergen),  oder  wo  stetig  feuchte  Oberflächen  vor- 
liegen (über  dem  Meere),  wird  die  Luft  fast  oder  völlig  frei  von  Bak- 
terien sein.  Wie  weit  trockene,  aber  lebensfähige  Bakterien  durch  Winde 
fortgeführt  werden  können,  darüber  ist  noch  nichts  sicheres  bekannt; 
man  darf  wohl  nach  den  ausserordentlich  weiten  Strecken,  welche 
andere  Luftstäubchen  nachweislich"' zurückzulegen  vermögen,  auch  auf 
gelegentliche  erhebliche  Ortsveränderungen  der  Bakterien  schliessen. 
Diese  sind  dann  natürlich  geeignet,  lokale  Differenzen  im  Bakterien- 
gehalt der  Luft  in  gewissem  Grade  zu  verwischen;  indess  die  über- 
wiegende Hauptmasse  der  Luftkeime  wird  doch  immer  örtlichen  Quellen 
entstammen. 

Zeitliche  Variationen  in  der  Zahl  der  Luftkeime  sind,  abgesehen 
von  der  wechselnden  Menge  der  verfügbaren  Bakterienansiedlungen,  in 
erster  Linie  von  den  Bedingungen  abhängig,  welche  den  Übertritt  neuer 
Bakterien  in  die  Luft  befördern,  und  zweitens  von  denjenigen  Faktoren, 
welche  die  Abscheidung  der  schwebenden  Keime  aus  der  Luft  beein- 
flussen. Die  Aufnahme  von  Bakterien  begünstigen  vor  allem  aus- 
trocknende Winde.  Auch  bei  massigem  Sättigungsdefizit  und  feuch- 
teren Winden  kommt  es  an  exponierten  Stellen  der  Erdoberfläche  wohl 
zur  Austrocknung  der  obersten  Schichten  und  zu  einem  Fortführen 
von  Staub  und  einer  gewissen  Menge  von  Bakterien;  eine  Periode  an- 
haltend starker  Trockenheit  (wie  sie  bei  uns  Ostwinde  herbeiführen) 
bewirkt  aber  ein  Austrocknen  in  ganz  anderer  Ausdehnung;  jeder 
Winkel  der  Strassen,  Höfe  und  Häuser,  tiefere  Schichten  des  Acker- 
bodens u.  s.  w.  werden  dann  allmählich  trocken  gelegt  und  erheblich 
zahlreichere  und  namentlich  viel  mannichfaltigere  —  eventuell  auch 
pathogene  —  Bakterien  gehen  von  allen  diesen  Stätten  in  die  Luft  über. 

Trotz  dieses  bedeutenden,  die  Zahl  und  Art  der  Luftkeime  begün- 
stigenden Einflusses  der  trockenen  Winde  ist  es  nun  aber  doch  immer- 
hin möglich,  dass  der  Kubikmeter  der  uns  umgebenden  Luftschicht 
kaum  mehr  Keime  zeigt,  als  bei  ruhigem  feuchtem  Wetter.  Denn  die 
trocknen  Winde  werden  möglicherweise  die  aufgenommenen  Keime  auf 
einen  viel  grösseren  Raum  verteilen  und  sie  namentlich  in  relativ 
hohe  Schichten  hinaufführen.  Ein  höherer  Wassergehalt  der  Atmo- 
sphäre dagegen,  namentlich  aber  der  Eintritt  absteigender  feuchter  Luft- 
strömungen und  in  besonders  hohem  Grade  Condensationen  von  Wasser- 
dampf müssen  zum  Niedersinken  der  emporgeführten  Staubteilchen 
Anlass  geben  und  so  zunächst  eine  Zunahme  des  Keimgehalts  in  den 
der  Erdoberfläche  nahen  Luftschichten  bewirken,  bis  eventuell  fort- 
gesetzte Kondensationen  und  Niederschläge  den  grössten  Teil  der 
Bakterien  dem  Boden  wieder  zugeführt  haben. 


Pfeiffee,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  in  der  Luft.        499 

Gefahr  der  Luftkeime. 

Im  grossen  und  ganzen  hat  man  früher  der  Luft  wohl  eine  zu 
bedeutende  Rolle  bei  der  Verbreitung  saprophytischer  und  infektiöser 
Keime  zugeschrieben.  Durch  die  Erfahrungen  beim  bakteriologischen 
Arbeiten  und  in  der  chirurgischen  Praxis  ist  es  evident  geworden,  dass 
Bakterien  aus  ruhiger  Luft  nur  selten  in  vorhandene  Nährsubstrate 
geraten,  dass  schon  eine  einfache  Bedeckung,  welche  die  vertikal  herab- 
fallenden Stäubchen  aufhält,  einen  äusserst  wirksamen  Schutz  selbst 
in  unreiner  Luft  gewährt,  und  dass  weitaus  häufiger  als  durch  Luft- 
keime eine  Einschleppung  von  Bakterien  durch  unreine  Objekte,  un- 
beabsichtigte Berührungen  u.  dgl.  erfolgt.  Dagegen  scheint  eine  stark 
bewegte,  staubige  Luft  reichliche  Gelegenheit  zur  Verbreitung  von 
Bakterien  zu  bieten,  und  bewerkenswert  ist  es,  wie  massenhaft  letztere 
auf  einem  kühleren  Objekt  —  in  Eis  gelegenen  Nahrungsmitteln  u.  dgl. 
—  mit  dem  gleichzeitig  kondensierten  Wasserdampf  niedergeschlagen 
werden  können.  Aber  auch  dann  bilden  stets  die  pathogenen 
Bakterien  immer  nur  einen  verschwindenden  Bruchteil  gegenüber  den 
Saprophyten.  In  der  freien  Luft  geht  vielmehr  die  Verdünnung 
pathogener  Keime  bald  so  ins  Unendliche,  dass  eine  direkte  In- 
fektion von  da  aus  zur  Seltenheit  wird.  Dagegen  kommt  die  Luft 
innerhalb  der  Wohnungen  und  in  der  Nähe  des  Kranken  als  Infektions- 
quelle sehr  wesentlich  in  Betracht.  So  wissen  wir,  dass  unzweifelhaft 
die  Pocken  durch  infektiösen,  in  der  Luft  suspendierten  Staub  über- 
tragen werden  können,  und  für  die  anderen  akuten  Exantheme,  Masern, 
Flecktyphus  und  Scharlach,  ist  es  zum  mindesten  sehr  wahrscheinlich. 
Aber  auch  bakterielle  Krankheiten  werden  durch  Luftstaub  hervor- 
gerufen; so  entsteht  der  bei  gewissen  Fabriksbetrieben  unter  den  Ar- 
beitern häufiger  auftretende  Lungenmilzbrand  durch  die  Inhalation 
von  lufttrockenen,  anWoll-  und  Haarpartikelchen  haftenden  Anthrax- 
sporen.  Des  weiteren  sprechen  manche  Erfahrungen  dafür,  dass  Typhus- 
bacillen  in  staubförmigem  Zustande  sehr  wohl  ihre  infektiösen  Eigen- 
schaften für  den  Menschen  bewahren  können.  Vor  allem  aber  ist  hier 
die  Lungentuberkulose  zu  nennen,  diese  furchtbarste  Geissei  des  Menschen- 
geschlechtes, welche  nach  den  absolut  beweisenden  experimentellen 
Arbeiten  Koch's  und  seines  Schülers  Coenet  fast  ausschliesslich  durch 
die  Einatmung  von  Luftstaub  erzeugt  wird,  welchem  Partikelchen  ver- 
trockneten und  mechanisch  zerriebenen  tuberkulösen  Sputums  beige- 
mengt sind. 

Im  ganzen  zeigt  unser  Wissen  über  den  Anteil  der  Luft  an  der 
Verbreitung  infektiöser  Krankheiten  noch  manche  Lücken.  Doch  so 
viel  lässt   sich  jetzt   sicher  sagen,   dass   frühere  Versuche,    den  Keim- 

32* 


500  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

gehalt  der  Luft  in  einen  Causalnexus  zu  bringen  mit  der  Morbidität 
und  Mortalität  der  verschiedensten  Infektionskrankheiten,  weit  über 
das  Ziel  hinausschössen  und  auf  falsche  Interpretation  unsicherer  sta- 
tistischer Daten  basiert  waren. 


Drittes  Kapitel. 
Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden. 

Die  Verbreitung  und  das  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden  hat 
ein  ganz  besonderes  hygienisches  Interesse  dadurch  gewonnen,  dass 
seit  längerer  Zeit  und  namentlich  seit  den  Deduktionen  Pettenkofer's 
der  Boden  als  ein  höchst  bedeutsamer  Faktor  für  das  Zustandekommen 
epidemischer  Krankheiten  angesprochen  ist.  Der  statistisch  erwiesene 
Zusammenhang  zwischen  der  Bewegung  der  Typhusmortalität  in  Mün- 
chen und  den  Grundwasserschwankungen  daselbst  lieferte  das  haupt- 
sächlichste Argument  für  die  Anschauung,  dass  irgend  welche  im  Boden 
sich  abspielenden  Vorgänge  von  massgebendem  spezifischem  Einfluss 
seien  auf  die  Ausbreitung  einer  Reihe  von  Infektionskrankheiten.  Jene 
statistischen  Beobachtungen  Hessen  an  sich  eine  dreifache  Deutung  zu : 
erstens  konnte  der  durch  die  Grundwasserschwankungen  angezeigte 
Vorgang  im  Boden  für  die  Entwicklung  der  Infektionskeime  von 
Einfluss  sein,  oder  zweitens  nur  den  Transport  der  im  Boden  vor- 
handenen Keime  zum  Menschen  befördern,  oder  drittens,  eine  direkte 
Beziehung  zwischen  dem  Verhalten  des  Bodens  und  den  Infektions- 
keimen war  nicht  vorhanden,  sondern  mehr  eine  indirekte,  derart, 
dass  sowohl  das  scheinbar  disponierende  Verhalten  des  Bodens  wie 
die  Verbreitung  der  Epidemie  auf  einen  dritten  gemeinsamen, 
ursächlichen  Faktor  zurückgeführt  werden  mussten.  —  Ferner 
fragte  es  sich,  wenn  irgend  welcher  direkte  Einfluss  des  Bodens 
auf  einen  oder  einige  Infektionserreger  erwiesen  war,  ob  derselbe  für 
das  Zustandekommen  einer  epidemischen  Ausbreitung  der  betreffen- 
den Krankheiten  unbedingt  als  erforderlich  erachtet  werden  musste,  so 
dass  dem  Boden  eine  un erlässliche  spezifische  Rolle  zukam,  oder 
ob  die  Ausbreitung  der  gleichen  Krankheit  häufig  auch  auf  anderen 
Wegen  ohne  alle  Mitwirkung  des  Bodens  erfolgen  kann. 

Eine  Entscheidung  dieser  Fragen  war  offenbar  nur  möglich  mit 
Hilfe  einer  genaueren  Kenntnis  der  Krankheitserreger,  ihrer  Lebens- 
cigenschaften  und  der  Art  ihrer  Verbreitung;  ehe  wir  über  diese  Kennt- 


Pfeiffer,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden.  501 

nisse  verfügten,  waren  lediglich  Vermutungen  über  die  nähere  Be- 
ziehung zwischen  Boden  und  Infektionskrankheiten  möglich. 

Pettenkoeer  und  seine  Schüler  suchten  es  früher  wahrscheinlich 
zu  machen,  dass  eine  bestimmte  Beschaffenheit  des  Bodens  sowohl  auf 
die  Entwicklung  der  Krankheitskeime  wie  auf  den  Transport  derselben 
zum  Menschen  in  eigentümlicher  Weise  einwirke;  ein  poröser,  mit 
organischen  Abfallstoffen  durchsetzter  und  wechselweise  durchfeuchteter 
Boden  sollte  für  die  Entwicklung  und  eine  Art  Reifung  der  Infektions- 
erreger unerlässlich  sein,  und  derselbe  Boden  sollte  vielleicht  bei 
einem  bestimmten  Grade  von  Austrocknung  die  Möglichkeit  zum  Ent- 
weichen der  infektiösen  Keime  mit  Hilfe  von  transportierenden  Luft- 
strömungen liefern. 

Diese  Deutung  war  gewiss  nach  dem  damaligen  Stande  der 
Kenntnisse  über  die  Natur  der  Krankheitserreger  berechtigt;  eingehende 
Studien  über  das  biologische  Verhalten,  den  Entwicklungsgang  und 
die  Existenzbedürfnisse  der  Krankheitserreger  haben  indes  die  Halt- 
losigkeit jener  früheren  Anschauungen  über  das  Zustandekommen  der 
Infektionskrankheiten  und  speziell  auch  über  den  Einfluss  des  Bodens 
auf  die  pathogenen  Bakterien  erwiesen. 

Fassen  wir  zunächst  dasjenige,  was  bisher  über  das  allgemeine 
Verhalten  der  verschiedensten  Bakterien  im  Boden  durch  direkte 
Beobachtung  und  durch  das  Experiment  ermittelt  ist,  kurz  zusammen, 
so  ergiebt  sich  in  erster  Linie  das  übereinstimmende  Resultat,  dass 
in  der  That  das  Bakterienleben  im  Boden  ein  äusserst  reges  ist, 
dass  der  Boden  offenbar  das  hauptsächlichste  Reservoir  der  Bakterien 
bildet,  in  welches  der  grösste  Teil  aller  bakterienhaltigen  Flüssigkeiten, 
fast  alle  Abfallwässer,  Exkrete  u.  s.  w.  gelangen,  und  zu  dessen  Ober- 
fläche auch  die  in  die  Luft  übergegangenen  Keime  grossenteils  wieder 
zurückkehren.  Von  den  verschiedensten  Beobachtern  sind  stets  enorme 
Zahlen  von  Bakterien  im  Boden  gefunden.  Aus  gedüngter  Acker-  oder 
Gartenerde  gehen  oft  in  jeden  Tropfen  eines  mit  lOOfacher  Verdünnung 
bereiteten  Infuses  noch  Tausende  von  Bakterien  über,  und  auch  der 
gewöhnliche  Strassen-  und  Hofboden  zeigt  deren  eine  bedeutende  Menge. 
Vorwiegend  finden  sich  Bacillen,  doch  in  den  oberflächlichsten  Schichten 
und  bei  feuchterem  Boden  auch  zahlreiche  Mikrokokkenarten.  Einige 
Arten  sind  entschieden  vorherrschend  und  finden  sich  an  den  ver- 
schiedensten Orten  und  zu  den  verschiedensten  Zeiten  im  Boden,  während 
sie  in  anderen  Substraten  viel  seltener  vorkommen,  z.  B.  der  Bac. 
mycoi'des  und  einige  noch  nicht  näher  beschriebene  Arten.  Sehr 
oft  müssen  die  verschiedenen  Bacillen  in  Form  von  Dauersporen  im 
Boden  vorhanden  sein,  wie  aus  den  Desinfektionsversuchen  mit  Be- 
stimmtheit geschlossen  werden  darf. 


502  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

Auch  pathogene  Arten  kommen  nicht  selten  zur  Beobachtung. 
Bekannt  sind  als  Bodenbewohner  die  Erreger  des  malignen  Ödems,  des 
infektiösen  Tetanus,  der  Bac.  septicus  agrigenus  u.  a.  Diese  patho- 
genen  Arten  sind  im  Boden  weit  verbreitet  und  besonders  reichlich 
enthalten  in  der  Erde  unserer  Gärten  und  Felder,  welche  mit  dem 
Mist  unserer  Haustiere  gedüngt  sind.  Wahrscheinlich  stammen  die 
Sporen  der  Tetanus-  und  Odembacillen  eben  aus  dem  Darmkanal  der 
grösseren  Pflanzenfresser,  wo  sie  die  für  ihr  Wachstum  unerlässlichen 
streng  anaeroben  Verhältnisse  und  ein  geeignetes  Nährsubtrat  vor- 
finden. Impft  man  mit  nicht  zu  kleinen  Mengen  von  der  Oberfläche 
eines  beliebigen  Bodens  Mäuse,  Meerschweinchen  oder  Kaninchen, 
so  erhält  man  stets  einen  viel  höheren  Prozentsatz  von  erkrankten 
Tieren,  als  bei  der  Impfung  mit  irgend  einer  bakterienreichen  Faul- 
flüssigkeit. Dabei  haben  wir  Grund  anzunehmen,  dass  die  infektiösen 
Erkrankungen  durch  Boden  noch  mannigfaltiger  ausfallen  und  zur 
Isolierung  anderer  Arten  von  pathogenen  Pilzen  führen  würden,  wenn 
nicht  die  Verbreitung  jener  Odem-  und  Tetanusbacillen  eine  so 
grosse  wäre,  dass  dieselben  andere  Infektionserreger  verdecken  und  den 
Tod  des  Tieres  herbeiführen,  ehe  andere,  langsamer  wachsende  Bakterien 
zur  Vermehrung  gelangen  können.  —  Diese  hervorragende  Infektions- 
tüchtigkeit des  Bodens  schien  von  vornherein  offenbar  der  Annahme 
einer  spezifischen  Bedeutung  des  Bodens  für  das  Zustandekommen  auch 
der  menschlichen  Infektionskrankheiten  günstig  zu  sein. 

Ferner  wissen  wir,  dass  im  Boden  ein  reges  Bakterienleben 
herrscht,  dessen  Thätigkeitsäusserungen  von  hoher  Bedeutsamkeit  sind. 
So  konnten  Schlösing  und  Müntz  und  später  Warington  nach- 
weisen, dass  die  Salpeterbildung  aus  dem  Ammoniak  der  organischen 
Substanzen  vorzugsweise  durch  niedere  Organismen  bewirkt  wird; 
erhitzter  oder  mit  desinfizierenden  Mitteln  behandelter  Boden  stellt 
diese  sonst  regelmässig  beobachtete  Thätigkeit  fast  völlig  ein.  In 
ähnlicher  Weise  gelang  es  Wollny  und  Fodor  (Hygien.  Untersuch. 
über  Luft,  Wasser  etc.  Braunschweig  1882)  zu  zeigen,  dass  auch 
die  Bildung  der  Kohlensäure  im  Boden  ausschliesslich  auf  die  Lebens- 
thätigkeit  niederer  Organismen  zurückzuführen  ist.  Ferner  haben 
Gaton  und  Dupetit  sowie  Deherain  und  Maqtjenne  den  Nach- 
weis erbracht,  dass  bei  Sauerstoffmangel  eine  Reduktion  der  Nitrate 
zu  Nitriten,  Ammoniak  und  Stickstoff  durch  die  Bakterien  des 
Bodens  stattfinden  kann.  Nach  Untersuchungen  von  Heraetjs  (Z.  1) 
vermögen  viele  Bakterienarten  (so  der  Bac.  prodigiosus,  die  Käsespi- 
rillen,  FiNKLERschen  Spirillen,  Typhusbacillen,  Milzbrandbacillen,  Sta- 
phylokokken) Ammoniak  zu  salpetriger  Säure  zu  oxydieren,  während 
andere  Arten   (z.  B.  zwei  aus  Wasser  gezüchtete  Bacillen)  in  ausge- 


Pfeiffer,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden.         503 

sprochener  Weise  Reduktion  der  Nitrate  bewirken.  Schlösing  und 
Müntz  hatten  die  Nitrifikation  als  ausschliessliche  Leistung  einer  ein- 
zelnen, von  ihnen  aus  dem  Boden  isolierten  Bakterienart  ansprechen 
wollen,  aber  es  war  ihnen  nicht  gelungen,  wirkliche  Reinkulturen  zu 
gewinnen.  So  konnte  lange  Zeit  die  Auffassung  von  Hbeaeus,  wonach 
eine  grössere  Zahl  von  Bakterien  an  der  Bodennitrifikation  sich  beteiligt, 
herrschend  werden.  Erst  durch  die  mustergiltigen  Untersuchungen 
Winogradskt's  (Annales  de  linst.  Pasteur  T.  VI)  über  die  Nitrifi- 
kationsvorgänge  im  Boden  ist  die  ursprüngliche  Ansicht  von  Schlösing 
und  Müntz  als  thatsächlich  begründet  erwiesen  worden,  da  es  gelang, 
aus  dem  Boden  eine  wohlcharakterisierte  Bakterienart  mit  höchst  merk- 
würdigen biologischen  Eigenschaften  zu  isolieren,  welche  als  das  nitri- 
fizierende  Ferment  par  excellence  zu  betrachten  ist. 

Weiter  liegen  über  die  Verteilung  der  Bakterien  im  Boden  zahl- 
reiche und  ausführliche  Beobachtungen  vor.  Die  Bakterien  gelangen 
mit  den  Abfallflüssigkeiten,  aus  der  Luft  u.  s.  w.  zunächst  gewöhnlich 
auf  die  oberflächlichsten  Schichten  und  in  diesen  finden  wir  daher 
weitaus  die  grösste  Zahl  von  Bakterien.  Von  Versitz-  und  Abortgruben 
aus  geraten  auch  viele  Bakterien  sofort  in  etwas  tiefere,  1  —  3  Meter 
unter  der  Oberfläche  befindliche  Schichten  und  imprägnieren  diese  in 
der  näheren  Umgebung  der  Gruben  besonders  stark.  Es  fragt  sich  nun, 
ob  von  jenen  Invasionsstellen  aus  eine  Verbreitung  der  Bakterien  über 
weitere  Strecken  des  Bodens  in  horizontaler  und  vertikaler  Richtung 
stattfindet.  Als  Transportmittel  könnten  dabei  entweder  in  erster  Linie 
Wasser-  oder  Luftströmungen  in  Betracht  kommen.  Erstere  würden 
eventuell  beim  Durchsickern  von  der  Oberfläche  her  durch  den  Boden 
bis  zum  Grundwasser  hin  die  Bakterien  in  die  Tiefe  und  in  das  Grund- 
wasser führen,  oder  kapillar  aufwärts  steigendes  Wasser  schafft  bei  starker 
Verdunstung  von  der  Oberfläche  die  unten  angesammelten  Bakterien 
nach  den  oberen  Schichten.  Beide  Transportarten  haben  sich  aber  bei 
experimenteller  Prüfung  als  nicht  anwendbar  erwiesen.  Zahlreiche 
Filtrationsversuche  im  grossen  und  im  kleinen  haben  aufs  deutlichste 
gezeigt,  dass  eine  Bodenschicht  von  V2 — I  Meter  Dicke  schon  ein  vor- 
zügliches Filter  für  Bakterien  darstellt;  im  gewachsenen  und  nament- 
lich im  lehmhaltigen  Boden  und  bei  der  äusserst  langsamen  Fort- 
bewegung von  Flüssigkeiten  im  natürlichen  Boden  muss  dort  die 
Reinigung  derselben  von  Bakterien  noch  weit  vollkommener  sein. 
Damit  harmoniert  auch  die  zuerst  von  Koch,  später  auch  im  Institut  von 
C.  Flügge  und  von  C.  Fränkel  (Z.  II)  konstatierte  Thatsache,  dass  die 
tieferen  Bodenschichten  ausserordentlich  viel  weniger  resp.keine  Bakterien 
enthalten  im  Gegensatz  zu  den  stets  enorm  reichen  oberflächlichen 
Schichten  (abgesehen  natürlich  von  künstlich  aufgeschüttetem  Boden). 


504  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

Ferner  ist  es  eine  allgemeine  Regel,  dass  Brunnen,  welche  gegen  eine 
Verunreinigung  durch  Bakterien  seitens  der  Oberfläche  und  des 
Brunnenschachtes  gut  geschützt  sind,  ein  fast  bakterienfreies  Wasser 
liefern;  dass  ferner  Brunnen  mit  bakterienhal tigern  Wasser  um  so 
reiner  werden,  je  mehr  gepumpt  wird  und  je  mehr  Grundwasser  aus 
den  umgebenden  tieferen  Bodenschichten  zutritt.  Diese  Keimarmut  resp. 
Sterilität  der  Bodenschichten  und  des  Grundwassers  gilt  zunächst  nur 
für  Bodenverhältnisse,  welche  den  in  der  norddeutschen  Tiefebene 
herrschenden  ähnlich  sind,  wo  also  diluviale  Schichten  feinen  oft  auch 
lehmhaltigen  Sandes  die  Bodenzusammensetzung  wesentlich  bestimmen. 
In  Gegenden,  wo  der  Boden  aus  grobem  Kies  und  Schotter  besteht, 
wird  die  filtrierende  Kraft  des  Bodens  sehr  viel  weniger  hervortreten 
und  wir  müssen  erwarten,  auch  in  tieferen  Bodenschichten  und  im 
Grundwasser  auf  Bakterien  zu  stossen. 

In  der  Regel  wird  aber  ein  Tieferspülen  von  in  den  Boden  ein- 
gedrungenen Bakterien  nur  in  sehr  geringem  Grade  stattfinden,  zumal 
auch  der  Durchtritt  der  Flüssigkeiten  selbst  und  der  gelösten  Sub- 
stanzen nach  Hofmann's  Untersuchungen  nur  ausserordentlich  langsam 
vor  sich  geht  und  meist  Monate  und  Jahre  gebraucht,  bis  die  dem 
Grundwasser  nahen  Schichten  erreicht  sind. 

Dass  ein  kapillar  aufsteigender  Flüssigkeitsstrom  Bakterien  aus 
tieferen  Bodenschichten  in  oberflächlichere  fortzuführen  imstande  sei, 
ist  seiner  Zeit  von  Soyka  *)  auf  Grund  einer  Versuchsreihe  behauptet. 
Dieselben  Versuche  haben  indess  bei  einer  Wiederholung  durch 
A.  Pfeiffer2)  und  im  KocKschen  Institut  zu  ganz  entgegengesetzten 
Resultaten  geführt.  Selbst  wenn  aber  eine  solche  Beförderung  von 
Bakterien  durch  Kapillarströme  in  geringfügigem  Grade  möglich  wäre, 
so  hätten  wir  doch  kaum  anzunehmen,  dass  damit  unter  natürlichen 
Verhältnissen  ein  ausgiebig  verwertbares  Transportmittel  für  Bakterien 
gegeben  sei;  denn  wir  haben  in  den  tieferen  Bodenschichten  gerade 
die  bakterienarmen,  in  den  oberflächlichsten  dagegen  die  bakterien- 
reichen Zonen  kennen  gelernt,  und  ausserdem  würde  für  den  Trans- 
port der  Bodenkeime  aus  dem  Boden  heraus  zum  Menschen  die 
Kapillarströmung  immerhin  kaum  eine  Bedeutung  haben,  weil,  wie  wir 
sehen  werden,  für  diesen  nur  die  Beschaffenheit  der  äussersten  Boden- 
oberfläche  in  Frage  kommt. 

Ob  Luftströmungen  durch  den  Boden  hindurch  Bakterien  fortbe- 
wegen können,  ist  zuerst  vonNÄGELi,  dann  von  Renk,  Soyka,  A.Pfeiffer, 
Petri  u.  A.  experimentell   geprüft    worden.     Alle  Beobachter  sind  zu 


1)  P.  W.  1885.   Nr.  28. 

2)  Repert,  d.  anal.  Ch.  1886.  Nr.  1.  —  Z.  1.  Heft  3. 


Pfeiffer,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden.         505 

dem  übereinstimmenden  Resultat  gelangt,  dass  selbst  starke  Luftströme 
durch  eine  Bodenschicht  von  wenigen  Centimetern  Dicke  nicht  einen 
einzigen  Bakterienkeim  hiedurchzuführen  vermögen;  die  Bodenschicht 
wirkt  selbst  im  völlig  trockenen  Zustand  vollkommen  filtrierend,  und 
in  dem  natürlichen,  stets  etwas  feuchten  Boden  und  bei  den  mini- 
malen Bewegungen  der  Bodenluft  wird  demnach  um  so  weniger  jemals 
die  Möglichkeit  für  eine  Loslösung  und  Fortführung  von  Bakterien 
gegeben  sein.  —  Schliesslich  könnte  noch  an  eine  Verbreitung  der 
Bakterien  durch  Fortwachsen  gedacht  werden.  Die  energischen 
Oxydationsvorgänge  im  Boden  geben  uns  allerdings  von  einem  regen 
Leben  und  dementsprechend  auch  von  einer  starken  Vermehrung  der 
Bodenbakterien  Kunde,  aber  selbst  bei  einem  sehr  lebhaften  Wachstum 
würden  doch  die  enorm  grossen  Flächen,  welche  ein  poröser  Boden 
darbietet,  nur  ein  äusserst  langsames  Vorrücken  der  Vegetationen  ge- 
statten, und  vollends  für  pathogene  Bakterien  würde  diese  Art  der 
Verbreitung  ganz  in  Wegfall  kommen.  —  Schliesslich  kann  in  man- 
chen Fällen  wohl  ein  Transport  von  Bakterien  durch  allerlei  im  Boden 
lebende  und  sich  fortbewegende  Tiere,  z.  B.  durch  Regenwürmer  er- 
folgen, der  aber  nur  sehr  beschränkten  Umfang  haben  wird.1)  Im 
ganzen  haben  wir  somit  die  Bakterien  des  Bodens  als  lokal  fixiert 
und  nur  langsam  und  durch  kleine  Strecken  ihren  Ort  verändernd 
zu  denken. 

A.  Verhalten  der  pathogenen  Bakterien  Im  Boden. 

Ganz  besonders  wichtig  sind  für  uns  sodann  die  Ergebnisse  der 
neueren  Untersuchungen  über  das  Verhalten  der  pathogenen  Bakterien 
im  Boden.  Wir  haben  namentlich  zu  sehen,  ob  wirklich  eine  spezifische 
Beeinflussung  der  pathogenen  Bakterien  durch  den  Boden  zustande 
kommt,  ob  etwa  ein  solcher  Einfluss  nachweisbar  wird  in  einer  Be- 
günstigung des  Wachstums  und  der  Vermehrung  der  pathogenen  Bak- 
terien, oder  ob  er  sich  auf  die  Sporenbildung  und  Konservierung  der- 
selben erstreckt,  oder  ob  drittens  nur  die  Verbreitung  der  Infektions- 
erreger vom  Boden  zum  Menschen  eine  Abhängigkeit  von  bestimmten 
Bodenverhältnissen  ergiebt. 


1)  So  glaubte  Pasteur,  dass  durch  die  Regenwürmer  Milzbrandsporen,  welche 
sich  in  vergrabenen  Milzbrandkadavern  bilden  sollten,  an  die  Oberfläche  des 
Bodens  transportiert  werden  könnten,  und  hielt  diese  Möglichkeit  für  um  so  näher 
liegend,  als  direkte  Versuche  ergaben,  dass  verfütterte  Anthraxsporen  sich  im 
Darm  dieser  Tiere  längere  Zeit  haltbar  erwiesen.  Aber  die  Voraussetzung,  von 
welcher  Pasteur  ausging,  ist  unrichtig,  denn  wir  wissen  jetzt,  dass  in  vergrabenen 
Milzbrandkadavern  Sporenbildung  nicht  eintritt. 


506  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

I.  Findet  Vermehrung  pathogener  Bakterien  im  Boden  statt? 

Die  Möglichkeit  einer  Vermehrung  pathogener  Pilze  im  Boden 
müssen  wir  nach  unseren  jetzigen  Kenntnissen  über  die  Lebensbedürf- 
nisse derselben  als  in  hohem  Grade  unwahrscheinlich  bezeichnen.  In 
tieferen  Schichten  ist  allein  schon  die  niedrige  Temperatur  genügend, 
um  diese  Kategorie  von  Bakterien  an  einer  Vermehrung  völlig  zu 
hindern.1)  In  denjenigen  höheren  Schichten,  welche  immer  oder  zeit- 
weise eine  Temperatur  von  mindestens  16°  zeigen,  könnte  ein  "Wachs- 
tum von  pathogenen  Pilzen  stattfinden,  wenn  entsprechende  Nährsub- 
stanzen vorhanden,  wenn  keine  die  Entwicklung  hemmenden  Stoffe 
zugegen  sind  und  wenn  nicht  rascher  wachsende  Saprophyten  in  Kon- 
kurrenz treten.  Diese  Bedingungen  sind  aber  unter  gewöhnlichen 
Verhältnissen  fast  niemals  erfüllt.  Zahlreiche  Versuche  von  Bolton, 
Heeaeus  (Z.  1, 1.  c.)  u*.  A.  haben  auf  das  bestimmteste  gezeigt,  dass  selbst 
die  Typhusbacillen,  die  unter  den  übrigen  pathogenen  Pilzen  noch  am 
wenigsten  wählerisch  sind,  doch  eine  geringe  Menge  bester  Nährstoffe 
unbedingt  zum  Wachstum  und  zur  Vermehrung  erfordern.  Die  patho- 
genen Bakterien  stehen  in  dieser  Beziehung  in  schroffem  Gegensatz  zu 
einigen  saprophytischen  Arten,  welche  mit  Nährstoffen  fast  jeder 
Qualität  ihren  Haushalt  bestreiten  und  es  daher  auch  im  Boden  zu 
einer  lebhaften  Vermehrung  bringen  können.  Bessere  Nährstoffe  sind 
aber  höchstens  vorübergehend  an  vereinzelten  Lokalitäten  in  den  ober- 
flächlichsten Bodenschichten  zu  finden,  weil  stets  eine  schnelle  Zer- 
störung und  Dekomposition  durch  saprophy tische  Bakterien  und  durch 
die  Flächenwirkung  der  Bodenelemente  erfolgt.  In  reinem  ver- 
dünnten Harn  lassen  sich  allerdings  verschiedene  pathogene  Bakterien 
züchten,  und  ebenso  hat  Scheakamp  (Arch.  f.  Hygiene.  Bd.  II)  eine  Ent- 
wicklung von  Milzbrandbacillen  konstatieren  können  in  einem  vorher  ste- 
rilisierten und  dann  mit  Harn,  Blutserum,  Nährgelatine  u.  s.  w.  versetzten 
Boden.  Daraus  ist  aber  für  die  Verhältnisse  des  natürlichen  Bodens  nicht 

1)  Sehr  beweisend  für  diese  Annahme  ist  der  Ausfall  der  C.  FitÄNKEi/schen 
(1.  c.)  Versuche.  Derselbe  brachte  frisch  auf  Nähragar  und  Nährgelatine  angelegte 
Reinkulturen  von  Milzbrand,  Cholera  und  Typhus  in  verschiedene  Bodentiefen 
und  prüfte  nach  2—3  Wochen,  ob  Wachstum  eingetreten  war  oder  nicht.  Es  er- 
gab sich,  dass  Milzbrand  schon  in  2  Meter  Tiefe  nur  noch  ausnahmsweise  zum 
Wachstum  kommt,  in  3  Meter  Tiefe  gar  nicht  mehr  gedeiht  und  auch  in  V/2  Meter 
Tiefe  in  der  Entwicklung  zurückbleibt.  Die  Bacillen  der  Cholera  hatten  nur  in 
den  Monaten  August,  September  und  Oktober  in  3  Meter  Tiefe  Kolonien  gebildet, 
in  den  übrigen  Monaten  waren  sie  nicht  zum  Auswachsen  gekommen.  Vom 
April  bis  Juli  waren  sie  auch  in  2  Meter  Tiefe  ausgeblieben.  Am  wenigsten 
empfindlich  erwies  sich  der  Typhus,  welcher  nur  vom  April  bis  Juni  in  3  Meter 
Tiefe  versagte,    im  übrigen   aber  ein  recht  kräftiges  Wachstum  entfaltete. 


Pfeipfek,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden.  507 

das  mindeste  zu  folgern.  Auf  diesen  gelangen  für  gewöhnlich  die  Exkrete 
und  Abwässer  in  schon  stark  alteriertem  Zustande  und  reichlich  mit 
saprophytischen  Bakterien  durchsetzt;  im  Boden  erleiden  sie  meist 
eine  starke  Verdünnung  durch  die  Niederschläge;  die  Schichten,  in 
welchen  sie  zunächst  aufgehalten  werden,  sind  ebenfalls  mit  Sapro- 
phyten  und  Gährungserregern  durchsetzt  und  geeignet,  die  rasche 
Dekomposition  des  Materials  ihren  Fortgang  nehmen  zu  lassen.  Ein 
gedüngter  Boden  bietet  daher  ganz  wesentlich  andere  Nährbedingungen 
dar,  als  jene  reinen  Versuchsflüssigkeiten,  und  Schlussfolgerungen  auf 
das  Verhalten  des  natürlichen  Bodens  werden  nur  aus  Experimenten 
mit  wirklichem  gedüngten  Acker-  und  Gartenboden  zu  ziehen  sein. 
Solche  sind  bereits  von  Koch  angestellt;  derselbe  versuchte  Milzbrand- 
bacillen  in  Gartenerde,  in  sehr  humusreicher  Erde  vom  Ufer  eines 
Flusses,  im  Schlamm  desselben,  sowie  im  Strassenschlamm  (welche 
Substanzen  mit  etwas  Wasser  versetzt  wurden)  zu  züchten,  dieselben 
zeigten  jedoch  kein  Wachstum.  —  Sodann  hat  Pkaussnitz  im  Institut 
von  C.  Flügge  Untersuchungen  in  dieser  Richtung  angestellt;  dieselben 
haben  aber  bei  keiner  Bodenart  und  bei  keiner  Art  der  Düngung  eine 
irgend  ausgiebigere  oder  anhaltende  Vermehrung  pathogener  Bakterien 
ergeben.  Es  ist  wohl  möglich,  dass  hier  und  da  Grade  der  Boden- 
verunreinigung existieren  mögen,  welche  eine  kurzdauernde  lokale 
Vermehrung  gestatten,  aber  im  ganzen  gehört  eine  derartige  Fähig- 
keit des  Bodens  jedenfalls  selbst  unter  den  im  Laboratorium  gesetzten 
Bedingungen  zu  den  Ausnahmen.  Und  dabei  sind  diese  Bedingungen 
insofern  für  die  Vermehrung  der  pathogenen  Bakterien  ausserordent- 
lich viel  günstiger  wie  unter  den  natürlichen  Verhältnissen,,  weil  in 
denselben  durchweg  ein  vorher  bei  100  °  sterilisierter,  von  anderen  Bak- 
terien freier  Boden  und  eine  C02 -freie  Luft  zur  Anwendung  kommen.  In 
Wirklichkeit  wird  die  Konkurrenz  der  Saprophyten,  die  dort  ihre 
günstigsten  Existenzbedingungen  vorfinden,  sowie  die  Anhäufung  der 
C02  einer  Vermehrung  der  pathogenen  Bakterien  in  noch  weit  stär- 
kerem Masse  hinderlich  sein. 

Demnach  erscheint  es  für  die  Frage  der  Vermehrung  der  patho- 
genen Bakterien  im  Boden  auch  relativ  gleichgiltig,  ob  ein  Boden 
mehr  oder  weniger  „verunreinigt",  d.  h.  mit  Abfallstoffen  imprägniert 
ist.  Möglicherweise  führt  ein  Mehr  oder  Weniger  wohl  zu  einem 
gewissen  Wechsel  der  herrschenden  Bakterienarten,  aber  alle  diese 
gehören  zur  Kategorie  der  obligaten  Saprophyten  und  gewähren  kei- 
nen Raum  für  die  in  ihren  Lebensbedingungen  viel  empfindlicheren 
fakultativen  Parasiten.  Es  wird  gewiss  zuweilen  der  Fall  vorkommen, 
dass  auch  einmal  eine  Reinkultur  pathogener  Bacillen  zusammen  mit 
gutem  Nährmaterial  in  die  oberen  Bodenschichten   gelangt   (wie  z.  B. 


508  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

Blut  von  Milzbrandkadavern),  und  dann  wird  in  dem  so  imprägnierten 
Boden  zunächst  noch  eine  Vermehrung  der  Milzbrandbacillen  erfolgen, 
aber  das  ist  dann  offenbar  keine  besondere  Leistung  des  Bodens,  son- 
dern das  gleiche  kann  sich  auf  jedem  anderen  Substrat  abspielen. 
Auch  Typhus-  und  Cholerabacillen,  die  mit  frischen  Dejektionen  in 
einen  mit  schlechten  Nährstoffen  und  Massen  von  Saprophyten  durch- 
setzten Boden  gelangen,  werden  vielleicht  noch  eine  kurze  Frist  auf 
Kosten  der  in  den  Dejektionen  mitgebrachten  Nährstoffe  eine  gewisse 
Vermehrung  leisten,  wie  sie  das  auch  unter  den  verschiedensten  an- 
deren Umständen  ohne  Berührung  mit  dem  Boden  thun  würden;  dabei 
tritt  keinerlei  begünstigender  spezifischer  Einfluss  des  Bodens  und  der 
Bodenverunreinigung  hervor,  sondern  im  ganzen  eher  ein  schädigender 
Effekt. 


II.  Findet  im  Boden  eine  Konservierung  pathogener 
Bakterien  statt? 

Etwas  anders  muss  vielleicht  unsere  Antwort  ausfallen,  wenn  wir 
fragen,  ob  etwa  eine  Konservierung  pathogener  Bakterien  im  Boden 
besonders  leicht  zustande  kommt.  Es  könnte  dies  geschehen  durch 
eine  Begünstigung  der  Sporenbildung  oder  durch  eine  besonders  lange 
Konservierung  der  präformierten  oder  im  Boden  gebildeten  Sporen, 
oder  durch  eine  Erhaltung  auch  sporenfreier  Bakterien  in  lebensfähigem 
Zustande.  Soyka  (F.  86.  9)  hat  in  einer  Versuchsreihe  mit  Milzbrand- 
bacillen beobachtet,  dass  in  denselben  schneller  Sporen  gebildet  werden, 
wenn  bacillenhaltige  Flüssigkeiten  im  Boden  vertheilt  sind,  als  wenn  sie 
in  den  ursprünglichen  Flüssigkeiten  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen 
(bei  gleicher  Temperatur  u.  s.  w.)  aufbewahrt  werden.  Nun  erfolgt  die 
Sporenbildung  bei  den  Milzbrandbacillen  wesentlich  nur  an  der  Ober- 
fläche der  Flüssigkeiten,  und  eine  Flüssigkeit  zeigt  sich  daher  stets 
um  so  reicher  an  Sporen  und  um  so  früher  mit  denselben  beladen,  in 
je  dünnerer  Schicht  sie  ausgebreitet  ist.  Im  nicht  mit  Feuchtigkeit 
übersättigten  Boden  werden  aufgegossene  Flüssigkeiten  schnell  in 
dünnsten  Schichten  verteilt,  und  somit  werden  dort  die  besten  Be- 
dingungen für  die  Sporenbildung  gegeben.  Dies  kann  aber  in  ähnlicher 
Weise  in  irgend  welchen  dünnen,  auf  der  Oberfläche  beliebiger  Substrate 
ausgebreiteten  Schichten  geschehen. 

Soyka  hat  die  Beschleunigung  der  Sporenbildung  am  ausge- 
sprochensten eintreten  sehen  bei  einem  Feuchtigkeitsgehalt  des  Bodens, 
der  zwischen  einer  Füllung  von  75  °/0  der  Poren  mit  Flüssigkeit 
und    zwischen    einer  solchen    von    25  °0    der    Poren   schwankte,    also 


Pfeiffee,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden.         509 

jedenfalls  in  sehr  weiten  Grenzen,  die  ausserdem  in  den  betreffenden 
Versuchsreihen  nicht  einmal  scharf  hervortreten,  da  auch  bei  100  °/0 
Porenfüllung  immer  noch  reichliche  Sporen  mit  zum  Teil  sehr  gering- 
fügiger Verspätung  gefunden  wurden,  und  da  bei  den  unter  25  °/0 
gelegenen  Feuchtigkeitsgraden  die  zu  grosse  Verteilung  der  Sporen 
eine  Vergleichbarkeit  der  Resultate  ausschloss. 

Eine  Sporenbildung  der  Milzbrandbacillen  unterhalb  18°  oder 
überhaupt  bei  Bedingungen,  welche  die  Sporenbildung  in  Flüssigkeiten 
verhindern,  konnte  Sotka  im  Boden  nicht  konstatieren. 

Sonach  ergiebt  sich  aus  diesen  Versuchen  keineswegs  irgendwelcher 
bedeutsamer  und  spezifischer  Einfiuss  des  Bodens  auf  die  Sporenbil- 
dung der  Milzbrandbacillen,  sondern  diese  liefern,  wenn  sie  in  die 
oberflächlichen,  in  einigermassen  trockenem  Zustand  befindlichen  Boden- 
schichten gelangen,  dort  in  der  nämlichen  Weise  —  vielleicht  hier  und 
da  etwas  schneller,  was  aber  gewiss  nicht  von  Belang  ist  —  Sporen, 
wie  in  oberflächlich  angesammelten  Resten  von  Milzbrandkadavem,  in 
Dejektionen  von  milzbrandigen  Tieren,  auf  den  vegetabilischen  Nähr- 
substraten in  sumpfigen  Niederungen  u.  s.  w. 

Es  ist  immerhin  denkbar,  dass  bei  anderen  pathogenen  Bacillen, 
die  im  ganzen  weniger  geeignet  sind  zur  Sporenbildung,  als  die  Milz- 
brandbacillen, noch  eine  Sporenbildung  gefunden  wird,  die  in  exklu- 
siverer Weise  unter  den  dem  Boden  eigentümlichen  Verhältnissen  weit- 
aus am  günstigsten  vor  sich  geht,  bis  jetzt  haben  wir  aber  für  eine 
solche  Anschauung  noch  keine  thatsächlichen  Anhaltspunkte. 

Dagegen  werden  wahrscheinlich  die  präformierten  oder  im  Boden 
gebildeten  Sporen  dort  entschieden  besser  als  in  irgend  welchen  ober- 
flächlichen Substraten  konserviert.  In  letzteren  sind  die  Sporen 
durch  Niederschläge,  durch  Wasser-  und  Windströme,  welche  neue 
Nährsubstanzen  zuführen,  eingetrocknete  Massen  wieder  befeuchten, 
die  Sporen  auf  andere  nährstoffreiche  Stellen  verschleppen  u.  s.  w., 
sehr  leicht  der  Möglichkeit  ausgesetzt,  wieder  in  Bacillen  auszuwachsen 
und  dann  konkurrierenden  Saprophyten  zu  unterliegen.  Im  Boden 
sind  dagegen  fast  durchweg  die  ungünstigen  Nährbedingungen  und  die 
ungünstigen  Temperaturverhältnisse  einem  Auskeimen  hinderlich,  und 
so  kann  man  es  sich  erklären,  dass  die  einmal  vorhandenen  Sporen 
dort  lange  persistieren,  und  dass  der  Boden  jene  oft  beobachtete  Menge 
resistenter  Dauerformen  ansammelt. 

Aber  auch  sogar  ohne  voraufgegangene  Sporenbildung  vermag 
der  Boden  möglicherweise  die  verschiedensten  Bakterien,  mit  Einschluss 
gewisser  pathogenen,  zu  konservieren.  Wir  sahen  früher,  dass  sporen- 
freie Bakterien  unter  natürlichen  Verhältnissen  hauptsächlich  deshalb 
leicht   zu  Grunde    gehen,    weil    sie    sich  entweder  in  flüssigen  Medien 


510  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

befinden,  dann  aber  der  Gefahr  der  Überwucherung  durch  andere  Bak- 
terien ausgesetzt  sind,  oder  aber  weil  die  Nährsubstrate  austrocknen 
und  die  Wasserentziehung  sie  tötet. 

Wir  können  uns  nun  vorstellen,  dass  im  Boden  und  selbst  in  so- 
genanntem trockenen  Boden  durch  die  mit  Wasserdampf  stets  gesättigte 
Luft  und  die  Wasserdampfhüllen  der  Bodenelemente  ein  schädigendes 
Austrocknen  von  Bakterien  nicht  leicht  vor  sich  geht,  dass  aber  anderer- 
seits, wie  Soyka  hervorgehoben  hat,  die  Anordnung  der  Flüssigkeit 
im  Boden  in  dünnen,  kapillaren,  die  Körnchen  umgebenden  Lamellen 
eine  Art  Fixierung  der  Bakterien  bewirkt  und  den  freien  Verkehr,  wie 
er  in  dickeren  Flüssigkeitsschichten  stattfindet,  hindert.  Dadurch  würde 
dann  sowohl  ein  Überwuchern  wie  ein  Austrocknen  vermieden  sein, 
und  beide  im  Boden  in  ganz  exzeptioneller  Weise  vorhandenen  Momente 
können  vielleicht  zu  einer  Konservierung  sporenfreier  pathogener  Bak- 
terien führen,  wie  sie  in  anderen  Substraten  viel  seltener  vorkommt. 
So  spricht  manches  dafür,  dass  Typhusbacillen  im  Boden  vielleicht 
jahrelang  ihre  Infektiosität  bewahren. 

Von  praktischem  Interesse  ist  die  hieran  sich  knüpfende  Frage, 
wie  lange  in  vergrabenen  Leichen  von  Menschen  und  Tieren,  welche 
an  infektiösen  Krankheiten  gestorben  sind,  die  pathogenen  Mikroorga- 
nismen sich  lebend  und  virulent  erhalten.  Aus  den  sorgfältigen,  Jahre 
lang  fortgesetzten  Versuchen  des  Kaiserlichen  Reichsgesundheitsamtes 
(Arb.  aus  dem  Kais.  Gesundheitsamt.  Bd.  VII)  geht  hervor,  dass  die 
von  Kirchhöfen  drohende  Gefahr  für  die  Gesundheit  der  Anwohner 
früher  vielfach  stark  überschätzt  worden  ist.  Milzbrandkeime  er- 
wiesen sich  in  verscharrten  Tierkadavern  in  der  Regel  nach  einigen 
Monaten  als  völlig  abgestorben,  nur  wenn  schon  vor  dem  Vergraben 
an  der  Oberfläche  der  Kadaver  die  Sporenbildung  begonnen  hatte, 
waren  einigemal  ganz  vereinzelte  Keime  noch  nach  2  und  selbst 
5  Jahren  durch  Verimpfung  auf  Mäuse  aufzufinden.  Cholerabacillen 
konnten  nach  dem  j  2.  Tage  nur  noch  ausnahmsweise  gezüchtet  werden, 
nach  dem  19.  Tage  dagegen  nicht  mehr.  Nicht  völlig  einwandsfrei 
sind  die  Versuche  mit  Typhuskadavern.  Die  Typhusbacillen  wurden 
nämlich  schon  nach  17  Tagen  vermisst.  Möglicherweise  ist  dies  auf- 
fällige Resultat  mitbedingt  durch  die  Schwierigkeiten,  welche  bei  dem 
bakteriologischen  Nachweis  spärlicher  Typhuskeime  in  von  Saprophyten 
wimmelnden  Medien  zu  überwinden  sind.  Tuberkelbacillen  waren 
längstens  nach  3  Monaten  abgestorben.  Diese  Angaben  stehen  im 
Gegensatz  zu  gewissen  Befunden  von  Schottelius,  der  an  vergrabenen 
Phthisikerlungen  im  Erdboden  sogar  eine  Vermehrung  der  Tuberkel- 
bacillen beobachtet  haben  wollte,  was  jedoch  noch  sehr  der  Bestätigung 
bedarf. 


Pfeiffer,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden.  51 1 

Diese  relativ  geringe  Haltbarkeit  der  pathogenen  Keime  in  ver- 
grabenen Kadavern  steht  nicht  im  Gegensatz  zu  den  früher  betonten 
konservierenden  Eigenschaften  des  Bodens,  da  die  in  den  faulenden 
Leichenteilen  in  exzessiver  Weise  vor  sich  gehende  Wucherung  sapro- 
phytischer  Bakterien  für  die  pathogenen  Mikroorganismen  sehr  viel 
ungünstigere  Chancen  schafft,  als  sie  sonst  irgendwo  im  Boden  reali- 
siert sind. 

Ist  nun  die  konservierende  Eigenschaft  des  Bodens  für  pathogene 
Bakterien  örtlichen  und  zeitlichen  Schwankungen  unterworfen,  und 
würden  diese  Schwankungen  ausreichend  sein,  um  in  Pettenkofeb's 
Sinne  die  örtlich  und  zeitlich  verschiedene  Ausbreitung  epidemischer 
Krankheiten  zu  erklären? 

In  der  That  mögen  zeitliche  und  örtliche  Differenzen  des  Konser- 
vierungsvermögens des  Bodens  vorhanden  sein.  So  kann  kompakter 
Felsboden,  der  gar  keine  Flüssigkeiten  und  Bakterien  eindringen  lässt, 
für  eine  Konservierung  überhaupt  nicht  in  Frage  kommen.  Ferner 
können  auch  im  übrigen  die  verschiedenen  Arten  des  porösen  Bodens 
je  nach  ihrer  Korngrösse  und  Durchlässigkeit  quantitative  Differenzen 
zeigen.  Vielleicht  ist  auch  die  stärkere  oder  geringere  Verunreinigung 
des  Bodens  von  Einfluss,  jedoch  nur  in  dem  Sinne,  dass  ein  stärkerer 
Gehalt  an  Saprophyten  und  an  Nährstoffen  den  Boden  schlechter  ge- 
eignet macht  zur  Konservierung  pathogener  Bakterien. 

Zeitlich  mögen  auch  gewisse  Schwankungen  hervortreten;  nament- 
lich ist  es  denkbar,  dass  ein  stark  durchfeuchteter  Boden  mehr  die 
Verhältnisse  einer  Flüssigkeit  repräsentiert  und  die  erforderliche  schnelle 
Verteilung  und  Fixierung  der  bakterienhaltigen  Massen,  sowie  dje  gleich- 
zeitige Einwirkung  der  in  den  Poren  des  nur  teilweise  durchfeuchteten 
Bodens  enthaltenen  Luft  hindert  und  dadurch  die  Konservierung  vereitelt. 
Da  eine  starke  Durchfeuchtung  der  oberen  Bodenschichten  gewöhn- 
lich mit  hohem  Grundwasserstand  einhergeht,  so  mag  häufig  ein  Sinken 
des  Grundwassers  die  Disposition  des  Bodens  zur  Konservierung  patho- 
gener Bakterien  anzeigen. 

Aber  trotz  dieser  vielleicht  vorhandenen  zeitlichen  und  örtlichen 
Schwankungen  würde  das  Konservierungsvermögen  des  Bodens  doch 
nicht  im  entferntesten  geeignet  sein,  auf  die  Verbreitung  epidemischer 
Erkrankungen  einen  ausschliesslichen  Einfluss  auszuüben.  Denn  von 
keiner  Bakterienart  dürfen  wir  annehmen,  dass  der  konservierte  Zu- 
stand, in  welchem  sie  im  Boden  vorhanden  ist,  irgendwie  notwendig 
ist,  um  sie  zu  Übertragungen  zu  befähigen,  sondern  alle  Infektions- 
erreger sind  sicher,  auch  ohne  dass  sie  mit  dem  Boden  in  Berührung 
kommen,  durchaus  tüchtig  zu  weiterer  Infektion.  Und  ferner  ist  die 
Konservierung  der  pathogenen  Bakterien  gewiss  nicht  alleiniges  Privi- 


512  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

legiuni  des  Bodens,  sondern  es  kann  auch  in  den  verschiedensten 
anderen  Substraten  eine  ausreichende  Konservierung  stattfinden,  zumal 
wenn  die  betreffenden  Bakterien  leicht  Sporen  bilden,  wie  die  Milz- 
brandbacillen.  Manche  Bodenarten  können  sich  vielleicht  in  dieser 
Beziehung  quantitativ  auszeichnen,  sie  vermögen  eine  hervorragend 
lange  und  vollständige  Konservierung  zu  bewirken,  aber  dann  be- 
stehen immerhin  noch  so  viel  andere  Übertragungsmöglichkeiten  für 
die  pathogenen  Bakterien,  dass  die  Beteiligung  oder  Nichtbeteiligung 
des  Bodens  an  der  Konservierung  in  sehr  vielen  Fällen  nicht  be- 
stimmend auf  die  Ausbreitung  der  Epidemie  einwirken  kann. 

III.  Wie  erfolgt  die  Verbreitung  der  konservierten  Bakterien 
vom  Boden  zum  Menschen? 

Drittens  fragt  es  sich,  in  welcher  Weise  eine  Verbreitung  der 
im  Boden  konservierten  Bakterien  zum  Menschen  stattfinden  kann  und 
ob  etwa  für  diese  Verbreitung  eine  bestimmte,  zeitlich  und  örtlich 
wechselnde  Bodenbeschaffenheit  einflussreich  ist.  —  Folgende  Transport- 
wege für  die  Bodenbakterien  können  eventuell  in  Funktion  treten: 

1.  Winde,  welche  von  der  oberflächlichen  Bodenschicht  Staub 
und  mit  diesem  Bakterien  emporheben  und  durch  die  Luft  fortführen. 
Nach  dem,  was  oben  über  die  Luftpilze  und  über  die  Bewegung  der 
Bakterien  innerhalb  des  Bodens  gesagt  ist,  ist  eine  solche  Loslösung 
von  Bakterien  nur  bei  völlig  trockenem  Boden  und  nur  aus  derjenigen 
oberflächlichen  Schicht  möglich,  welche  in  Staub  verwandelt  wird.  Ein 
völlig  durchfeuchteter  Boden  gestattet  ebensowenig  ein  Fortführen  von 
Bakterien,  wie  ein  Boden,  der  zwar  eine  obere  ausgetrocknete  Schicht 
besitzt,  dessen  äusserste  Oberfläche  aber  durch  geringe  Niederschläge 
für  kurze  Zeit  wieder  befeuchtet  ist. 

2.  das  Grundwasser  und  das  aus  demselben  entnommene  Trink- 
und  Brauchwasser.  Eine  höhere  Schicht  gewachsenen  Bodens  über 
dem  Grundwasser  lässt  zwar  diesen  Transportweg  in  Fortfall  kommen, 
aber  da,  wo  das  Grundwasser  nur  durch  geringe  Schichten  lockeren 
Bodens  von  der  Oberfläche  getrennt  ist  und  beim  Ansteigen  diese 
eventuell  erreicht,  ferner,  wo  Risse  und  Sprünge  eine  Kommunikation 
zwischen  einem  Grubeninhalt  und  dem  im  Haushalt  verwendeten 
Grundwasser  vermitteln,  wird  ausnahmsweise  eine  solche  Rückbeför- 
derung von  in  den  Boden  gebrachten  Bakterien  zu  den  Menschen  und 
Wohnungen  statthaben. 

3.  Nahrungsmittel,  welche  im  Boden  wachsen  (Kartoffeln, 
Rüben,  Wurzeln  u.  s.  w.)  transportieren  mit  den  anhaftenden  Erdpar- 
tikelchen grosse  Mengen  von  Bakterien  aus  den  oberen  Bodenschichten 


Pfeiffee,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden.         513 

in  die  Wohnungen,  Küchen,  Kochgeschirre,  Handtücher  u.  s.  w.  und 
durch  deren  Vermittelung  eventuell  auf  andere  Nahrungsmittel. 

4.  Menschen  und  Tiere,  die  irgendwie  mit  dem  Boden  in  Be- 
rührung kommen,  Gerätschaften,  die  bei  der  Bearbeitung  des  Bodens 
benutzt  werden  u.  s.  w.  u.  s.  w.  können  in  ähnlicher  Weise  zu  einem 
Transport  der  Bodenpilze  in  die  menschlichen  Haushaltungen  beitragen. 

5.  Durch  Aufgraben  des  Bodens  und  Biossiegen  tieferer,  aber 
noch  mit  Bakterien  durchsetzter  Bodenschichten  kann  es  bei  gleich- 
zeitig herrschenden  trockenen  Winden  zu  einem  reichlichen  Loslösen 
solcher  pathogener  Bakterien  kommen,  welche  aus  undichten  Gruben 
oder  in  früherer  Zeit  von  der  Oberfläche  her  in  den  Boden  gelangt, 
eventuell  aber  durch  Aufschüttung  neuer  Bodenschichten  längst  dem 
Verkehr  mit  der  Aussenluft  entzogen  waren.  Der  mehrfach  vermutete 
Zusammenhang  zwischen  Typhuserkrankungen  und  Aufgrabungen  des 
Strassenbodens  ist  vielleicht  in  solcher  Weise  zu  erklären. 

In  der  That  kommen  nun  diese  verschiedenen  Transportwege  für 
die  pathogenen  Bodenbakterien  offenbar  nicht  in  jedem  Boden  und 
zu  jeder  Zeit  gleichmässig  zur  Anwendung,  sondern  es  existieren  örtlich 
und  zeitlich  variierende  Momente,  welche  den  einen  oder  anderen  Trans- 
portweg begünstigen  oder  hemmen. 

B.  Zeitliche  Beeinflussung  der  Verbreitung  durch  die  Bodenfeuchtigkeit. 

Am  ausgesprochensten  zeigt  sich  eine  zeitliche  Beeinflussung 
des  ersten  und  verbreitetsten  Transportwegs,  der  Verbreitung  durch 
die  Luft,  und  zwar  kommt  diese  zustande  durch  den  wechselnden 
Feuchtigkeitsgrad  der  oberen  Bodenschichten. 

Über  die  in  dieser  Beziehung  wichtigen  Verhältnisse  der  Bodendurchfeuch- 
tung  haben  wir  durch  Hofmann's1)  Untersuchungen  klarere  Vorstellungen  ge- 
wonnen, und  zwar  haben  wir  im  porösen  Boden  zu  unterscheiden  zunächst  eine 
oberflächliche  Verdunstungszone,  in  welcher  der  Grad  der  Bodenfeuchtigkeit  sehr 
schwankt  und  zwischen  völliger  Durchfeuchtung  und  starker  Austrocknung 
wechselt;  in  dieser  Zone  kann  oft,  wenn  infolge  der  Sommerwärme  die  Aus- 
trocknung sich  tiefer  erstreckt,  die  ganze  Menge  der  Spätsommer-  und  Herbst- 
niederschläge Platz  finden,  ohne  dass  eine  Füllung  der  kapillaren  Poren  bis  zur 
unteren  Grenze  der  Zone  herabreicht.  Es  ist  dann  also  stets  noch  eine  unter- 
brechende trockene  Schicht  zwischen  der  äussersten,  vorübergehend  durch  Nieder- 
schläge befeuchteten  Oberfläche  und  den  tieferen,  Wasser  führenden  Bodenschichten. 
Auch  alle  auf  den  Boden  gelangenden  Verunreinigungen  verbleiben  unter  solchen 
Verhältnissen  in  der  obersten  Austrocknungszone. 

Unter  dieser  Schicht  folgt  dann  die  sogenannte  Durchgangszone,  welche  das 
Gebiet  bezeichnet,  das  von  einer  Austrocknung  niemals  mehr  erreicht  wird,  son- 


1)  A.  Bd.  1  u.  2.  Heft  2. 
Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  33 


514  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

dem  stets  die  kapillaren  Poren  mit  Wasser  gefüllt  konserviert.  Erhält  diese  Zoue, 
nachdem  die  ausgetrocknete  oberflächliche  Schicht  endlich  wieder  ganz  mit  Nieder- 
schlagswasser gefüllt  ist,  Zufluss  von  oben,  so  bleibt  trotzdem  ihr  Wassergehalt 
der  gleiche,  indem  der  Überschuss  nach  unten  abläuft,  und  zwar  in  die  dritte 
Zone,  die  des  Grundwassers. 

Für  die  Losreissung  und  Fortführung  der  Bodenbakterien  durch 
Luftströmungen  sind  nun  offenbar  die  günstigsten  Verhältnisse  dann 
gegeben,  wenn  eine  Austrocknungszone  besteht.  Nur  dann  kann  dieser 
wichtigste  Transportweg  in  Betracht  kommen.  Während  des  ganzen 
Winters  und  eines  grossen  Teils  des  Frühjahrs  pflegt  in  unserem  Klima 
keine  Austrocknungszone  und  damit  keine  Möglichkeit  für  einen  solchen 
Übergang  der  Keime  in  die  Luft  zu  bestehen.  Im  Spätsommer  und 
Herbst  ist  dieselbe  dagegen  häufig  gegeben  und  cessiert  nur  zeitweise, 
solange  Niederschläge  die  äusserste  Oberfläche  feucht  erhalten. 

Da  nun  die  Existenz  einer  Austrocknungszone  stets  das  Aufhören 
oberer  Zuflüsse  zum  Grundwasser  und  damit  ein  Sinken  des  Grund- 
wasserstandes zur  Folge  hat,  so  ist  in  den  Schwankungen  des 
Grundwassers  ein  ziemlich  brauchbarer  Index  für  die  Möglichkeit 
jenes  Transports  der  Bodenbakterien  durch  Winde  gegeben.  Völlig 
korrekt  wird  aber  dieser  Index  nicht  sein,  weil  die  vorübergehende 
(zuweilen  sogar  durch  Wochen  und  Monate  sich  erstreckende)  Durch- 
feuchtung der  Bodenoberfläche  und  die  damit  verbundene  Sistierung 
des  Transportweges  in  den  Bewegungen  des  Grundwasserniveaus  keinen 
Ausdruck  findet. 

Die  übrigen  Transportwege  unterliegen  nur  in  geringem  Grade 
zeitlich  wechselnden  Einflüssen.  Dem  Grundwasser  hat  man  früher  wohl 
eine  sehr  verschiedene  Infektiosität  zugeschrieben,  je  nachdem  es  hoch 
oder  niedrig  steht;  für  gewöhnlich  wird  aber  der  Bakteriengehalt  des- 
selben nur  wenig  durch  Änderungen   des  Niveaus  beeinfiusst  werden. 

Im  ganzen  ist  es  also  wesentlich  nur  die  Austrocknung  der  Boden- 
oberfläche, welche  die  Verstäubung  und  Verbreitung  von  Bakterien- 
keimen aus  dem  Boden  vermittelt.  Unter  diesen  werden  sich  gelegent- 
lich auch  diejenigen  pathogenen  Arten  befinden,  welche  eine  energische 
Austrocknung  vertragen  (Typhusbac.) 

C.  Einfluss  der  örtlichen  Bodenbeschaffenheit  auf  die  Verbreitung. 

Weniger  deutlich  tritt  ein  Einfluss  der  örtlichen  Bodenbeschaffen- 
heit auf  den  Transport  der  Bodenbakterien  hervor.  Selbstverständlich 
wird  wiederum  nur  ein  poröser  Boden,  der  allein  zur  Aufnahme  grösse- 
rer Mengen  von  Bakterien  befähigt  ist,  für  die  Verbreitung  derselben 
in  Betracht  kommen.   Ferner  lässt  sich  wohl  die  Vermutung  aufstellen, 


Pfeiffee,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden.         5 15 

•dass  in  einem  grobporigen,  durchlässigen  Boden  die  Bakterien  im 
ganzen  nicht  so  massenhaft  sich  anhäufen  und  leichter  durch  Tiefer- 
spülung  auf  eine  weitere  Strecke  vertheilt  werden,  als  im  feinporigen 
Boden,  und  dass  dies  namentlich  hervortreten  muss,  wenn  reichliche 
Niederschläge  den  Boden  ganz  durchfeuchten  und  keine  Austrock- 
nungszone besteht.  In  solchem  grobporigen  Boden  könnte  daher  die 
Austrocknungszone  besonders  wirkungsvoll  sein;  denn  nur  während 
sie  besteht,  sind  die  Chancen  sowohl  für  einen  Transport  durch  Winde 
wie  auch  für  eine  Verschleppung  durch  Menschen  und  Objekte  ge- 
-geben.  Feinporöser  Boden  hält  dagegen  vielleicht  auch  beim  Fehlen 
•der  Austrocknungszone  die  hineingelangenden  Bakterien  mehr  in  der 
oberflächlichen  Schicht  zurück,  und  hier  könnte  daher  eine  Verbrei- 
tung zwar  nicht  durch  Winde,  aber  doch  auf  anderen  Wegen,  z.  B. 
durch  Verschleppung,  selbst  bei  feuchter  Oberfläche  erfolgen,  und  es 
würden  daher  die  Unterschiede  zwischen  dem  trockenen  und  feuchten 
-Stadium  beim  feinporigen  Boden  nicht  so  schroff  hervortreten. 

D.  Resume. 

Wir  sind  im  Vorhergehenden  so  genau  auf  alle  das  Leben  der 
Bakterien  im  Boden  beeinflussenden  Verhältnisse  eingegangen,  weil 
immer  noch  die  Nachwirkungen  PETTENKOEEK'scher  Anschauungen, 
nachdem  sie  jahrzehntelang  fast  als  Dogmen  geherrscht  haben,  einer 
rationellen  Auffassung  der  epidemiologischen  Thatsachen  den  Weg 
versperren.  Wir  haben  deshalb  Schritt  für  Schritt  an  der  Hand  des 
Experimentes  die  PETTENKOEERschen  Bodentheorien  bis  in  ihre  ent- 
legensten Schlupfwinkel  verfolgt.  Wir  wissen  jetzt,  dass  pathogene 
und  selbst  saprophy tische  Bakterien  in  denjenigen  Bodentiefen,  in  wel- 
schen nach  Pettenkofer  das  auf-  und  abschwankende  Grundwasser 
die  Vermehrung  und  Reifung  der  Krankheitskeime  abwechselnd  be- 
günstigt und  hemmt,  in  der  Regel  überhaupt  nicht  vorhanden  sind, 
und  dass  die  pathogenen  Mikroorganismen,  wenn  sie  wirklich  einmal 
durch  Zufall  dahin  gelangen  sollten,  unter  den  dort  herrschenden 
Temperatureinflüssen  keinerlei  Wachstum  zeigen.  Wir  haben  ferner 
gesehen,  dass  die  filtrierende  Kraft  des  Bodens  einen  Transport  von 
Bakterien  durch  Luft-  und  Wasserströmungen  sowohl  von  oben  nach 
unten  als  auch  umgekehrt  aus  der  Tiefe  des  Bodens  nach  der  Ober- 
fläche unmöglich  macht,  und  dass  daher  die  Anwesenheit  selbst  zahl- 
loser Krankheitskeime  in  tieferen  Bodenschichten  für  die  darauf  leben- 
den Menschen  eine  sehr  gleichgiltige  Sache  wäre.  Die  einzige  Kon- 
zession, welche  wir  den  Bodentheorien  zu  machen  hatten,  betraf  die 
Konservierung  dieser  oder  jener  pathogenen  Bakterienart  im  Boden 
und  die  Möglichkeit,   dass  zeitliche  und  örtliche  Verschiedenheiten  in 

33* 


516  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

diesen  konservierenden  Eigenschaften  des  Untergrundes  bei  der  Er- 
klärung einzelner  epidemiologischer  Beobachtungen  mit  in  Frage  kom- 
men könnten. 

Von  dem  stolzen  Hypothesengebäude  der  PETTENKOFER'schen  Rich- 
tung sind  demnach  nur  spärliche  Reste  stehen  geblieben.  Wenn  wir 
uns  nun  spezieller  mit  den  einzelnen  Seuchen,  deren  Entstehen  und 
Vergehen  mit  Zuständen  des  Bodens  in  Verbindung  gebracht  wird, 
beschäftigen  wollen,  so  können  wir  für  die  Cholera  mit  positiver 
Sicherheit  behaupten,  dass  bei  der  letzten  grossen,  mit  allen  Mitteln 
bakteriologischer  Forschung  beobachteten  Epidemie  keinerlei  Boden- 
einflüsse eine  Rolle  gespielt  haben.  Etwas  anders  liegen  die  Verhält- 
nisse beim  Typhus.  Hier  kennen  wir  doch  eine  Reihe  von  That- 
sachen,  welche  wenigstens  einer  längeren  Konservierung  der  Krank- 
heitskeime im  Boden  günstig  sind,  so  das  gelegentliche  Auftreten  von 
Abdominaltyphus  unter  Arbeitern,  welche  mit  Ausschachtungen  in  als 
verseucht  zu  betrachtendem  Boden  beschäftigt  sind.  Beim  Typhus 
wäre  sogar  ein  zeitlich  und  örtlich  wechselnder  Einfluss  des  Bodens 
auf  das  Entstehen  von  Epidemien  wenigstens  denkbar.  Sicherlich  sind 
jedoch  auch  bei  dieser  Infektionskrankheit  die  pathogenen  Mikroorga- 
nismen nicht  ausschliesslich  auf  den  Weg  durch  den  Boden  angewie- 
sen und  alles  spricht  dafür,  dass  ganz  wie  bei  der  Cholera  die  direkte 
Kontagion  von  Person  zu  Person  und  die  Verschleppung  der  Typhus- 
bacillen  durch  Trinkwasser,  Nahrungsmittel  u.  s.  w.  sehr  viel  bedeu- 
tungsvoller und  wichtiger  ist. 

Wir  kennen  bisher  nur  eine  bakterielle  Krankheit,  deren  epidemi- 
sches Auftreten  in  der  That  mit  Zuständen  des  Untergrundes  einen 
deutlichen  Causalzusammenhang  erkennen  lässt,  es  ist  dies  der  Milz- 
brand. Wir  wissen,  dass  bestimmte  Weiden  jahraus  jahrein  unter 
den  darauf  grasenden  Heerden  Anthrax  hervorrufen,  und  wir  müssen 
annehmen,  dass  dort  in  den  oberflächlichsten  Bodenschichten  Milz- 
brandsporen enthalten  sind.  Zur  Sporenbildung  der  Milzbrandbacillen 
gehört  nun  eine  20°  C.  überschreitende  Temperatur,  reichliche  Feuch- 
tigkeit und  eine  neutrale  oder  besser  schwach-alkalische  Reaktion  des 
Nährsubstrats.  Diese  Bedingungen  finden  sich  nur  auf  solchen  Wei- 
den realisiert,  welche,  im  Überschwemmungsgebiet  gelegen,  gleichzeitig 
einen  ziemlich  starken  Kalkgehalt  der  oberflächlichsten  Bodenschich- 
ten besitzen. 

Leider  ist  mit  diesem  Beispiel  einer  örtlich  und  zeitlich  begrenz- 
ten Einwirkung  des  Bodens  auf  Infektionsvorgänge  der  Bodentheorie 
nur  wenig  gedient.  Die  wesentliche  Differenz  zwischen  der  Auffassung 
Pettenkofer's  und  der  Ansicht,  welche  wir  uns  auf  Grund  unserer 
jetzigen  Kenntnisse  über   die  Biologie  der  pathogenen  Bakterien  und 


Pfeiffer,  Vorkommen  und  Verhalten  der  Bakterien  im  Boden.         517 

über  deren  Verhalten  im  Boden  bilden  müssen,  besteht  demnach  darin, 
dass  wir  kein  Moment  im  Boden  finden,  das  notwendigerweise 
erst  auf  die  pathogenen  Bakterien  einwirken  muss,  um  sie  infektions- 
tüchtig zu  machen.  Der  früher  statthafte  Begriff  einer  Art  Reifung 
der  Infektionserreger  unter  dem  Einflüsse  gewisser  geheimnissvoller 
Bodeneigenschaften  lässt  sich  mit  den  eingehend  studierten  biologi- 
schen Eigenschaften  der  Bakterien  nicht  in  Einklang  bringen,  und  wir 
müssen  denselben  entschieden  zurückweisen.  Eine  ausschliesslich  im 
Boden  vor  sich  gehende  Vermehrung  pathogener  Bakterien  können 
wir  ebenfalls  nicht  annehmen,  da  vielmehr  andere  oberflächliche  Sub- 
strate sich  für  eine  solche  Vermehrung  im  ganzen  weit  geeigneter  er- 
weisen. Das,  was  der  Boden  wirklich  vielleicht  für  manche  pathogene 
Bakterien  zu  leisten  vermag,  die  Konservierung  und  demnächst  wieder 
Verbreitung  der  konservierten  Krankheitserreger,  ist  aber  auch  nicht 
•etwa  ausschliessliches  Privilegium  des  Bodens,  sondern  die  Verbrei- 
tung derselben  Krankheitserreger  kann  ausserdem  durch  andere  Mittel 
und  auf  anderen  Wegen  geschehen,  die  sogar  meist  viel  wichtiger 
sind,  als  der  Umweg  durch  den  Boden. 

Auch  das  Hervortreten  örtlicher  und  zeitlicher  Schwankungen  in 
der  Verbreitung  der  Infektionskrankheiten,  das  nach  Pettenkoeer  nur 
unter  der  Annahme  eines  Bodeneinflusses  erklärlich  sein  soll,  nöthigt 
keineswegs  zu  der  Anerkennung  eines  konstanten  Zusammenhanges 
zwischen  Boden  und  Epidemien.  Wir  sehen  vielmehr,  dass  ebenso- 
wohl die  übrigen  Verbreitungsarten,  bei  welchen  der  Boden  ganz  aus 
dem  Spiele  bleibt,  z.  B.  die  Verbreitung  durch  das  Wasser,  durch 
Nahrung,  durch  Berührungen  u.  s.  w.  örtlichen  und  zeitlichen  Schwan- 
kungen ausgesetzt  sind,  welche  vollauf  zur  Erklärung  der  entsprechen- 
den Oszillationen  der  Epidemien  ausreichen. 


Viertes  Kapitel. 
Vorkommen  toii  Bakterien  im  Wasser. 

Im  Wasser  finden  sich  fast  stets  Bakterien  in  sehr  wechselnder 
Menge.  Die  beobachteten  Arten  sind  beinahe  ausnahmslos  Saprophy- 
ten.  Unter  diesen  erwecken  einige  besonderes  Interesse  dadurch,  dass 
sie  mit  unwägbaren  Mengen  der  einfachsten  Nährstoffe  und  bei  einer 
Temperatur  von  8 — 10°  schon  eine  sehr  bedeutende  Neubildung  von 
Individuen  zu  leisten  vermögen  und  sich  daher  in  den  verschiedensten 
Wässern  in  enormem  Grade  vermehren.    Diese  „Wasserbakterien",  von 


518  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

denen  Bolton  *)  6  sehr  verbreitete  Arten  isoliert  hat,  sind  bestim- 
mend für  die  Gesamtmenge  von  Bakterien  in  irgend  welchem  Wasser;, 
denn  wo  sie  sich  einfinden,  vermehren  sie  sich  so  überwiegend  rasch, 
dass  alsbald  die  Zahl  aller  übrigen  Bakterien  gegen  sie  zurücktritt. 
Die  Qualität  des  Wassers  ist  dabei  für  diese  exquisiten  Wasserbewoh- 
ner ganz  gleichgiltig,  sie  vermehren  sich  in  einem  möglichst  reinen 
destillierten  Wasser  gerade  so  stark,  wie  in  sogenanntem  schlechtem,, 
mit  Abfallstoffen  verunreinigtem  Brunnenwasser. 

Im  Gegensatze  zu  diesen  an  das  Leben  im  WTasser  speziell  an- 
gepassten  Saprophyten  bildet  für  die  pathogenen  Bakterien  selbst  bei 
günstigster  Temperatur  das  Wasser  kaum  jemals  ein  geeignetes  Nähr- 
medium, weil  es  die  für  das  Wachstum  dieser  Bacterienspezies  erfor- 
derlichen Mengen  von  Nährstoffen  nicht  beherbergt.  Typhusbacillen  er- 
fordern nach  den  Versuchen  von  Bolton  mindestens  67  mgr  organischer 
Nährstoffe  pro  1  Liter,  Cholerabacillen  400  mgr  pro  1  Liter.  Eine  solche 
Menge  organischer  Stoffe  kommt  in  benutztem  Trink-  und  Brauchwasser 
nur  äusserst  selten  vor;  ausserdem  aber  hängt  für  die  pathogenen 
Bakterien  ausserordentlich  viel  von  der  Qualität  der  Nährstoffe 
ab,  und  selbst  ein  höherer  Gehalt  an  den  weit  weniger  nährtüchtigen r 
sogenannten  organischen  Stoffen,  wie  sie  im  Wasser  enthalten  zu  sein 
pflegen,  vermag  nicht  die  notwendige  kleine  Menge  von  Pepton  und 
Eiweiss  zu  ersetzen. 

Dagegen  ist  die  Haltbarkeit  der  pathogenen  Bakterien  im  Wasser 
eine  unter  Umständen  recht  beträchtliche.  So  halten  sich  sporenfreie 
Milzbrandbacillen  etwa  6  Tage,  Typhusbacillen  bis  zu  mehreren 
Wochen  lebensfähig.  Diese  Daten  sind  allerdings  unter  Bedingungen 
gewonnen,  welche  erheblich  abweichen  von  den  normalen  Verhält- 
nissen, indem  durch  vorherige  Sterilisierung  der  Wasserproben  die 
Konkurrenz  der  Saprophyten  ausgeschaltet  wurde. 

Wichtiger  sind  daher  einige  neuere  Untersuchungen  über  die 
Lebensdauer  der  Cholerabakterien  unter  den  in  der  freien  Natur  herr- 
schenden Bedingungen.  So  liess  sich  in  unsterilisiertem  Brunnenwasser 
mit  Hilfe  der  empfindlichen  Pepton- Vorkulturen  die  Anwesenheit 
spärlicher  lebender  Cholerakeime  noch  nach  18  Tagen  feststellen.  Im 
Schlamm  eines  reichlich  mit  Cholerabacillen  infizierten  Aquariums 
konnte  sie  Weenicke  (Hygien.  Rundschau  Bd.  V)  sogar  noch  nach 
mehreren  Monaten  in  vereinzelten  Exemplaren  züchten.  In  fliessendem 
Wasser  gehen  jedoch  die  KoCH'schen  Vibrionen  wahrscheinlich  sehr 
viel  rascher  zugrunde. 

1)  Bolton,  Z.  1.  1.  —  Vgl.  Gramer,  Die  Wasserversorgung  von  Zürich.  Zürich 
1885.  —  Wolffhügel,  Arb.  a.  d.  Kais.  Ges.  Amt.  1885.  Bd.  1.  —  Wolffhügel 
u.  Riedel,  ibid.  1886.  Bd.  2.  —  Leone,  Atti  della  R.  Acad.  dei  Lincei.  Ser.  4.  Bd.  1. 


Pfeiffer,  Vorkommen  von  Bakterien  im  Wasser.  519 

Der  Weg,  auf  welchem  die  verschiedenen  Bakterien  in  das  Wasser 
gelangen,  führt,  wie  bereits  oben  erwähnt,  der  Hauptsache  nach  nicht 
durch  grössere  intakte  Bodenstrecken  und  das  Grundwasser.  Die  über- 
einstimmenden Resultate  der  Versuche  von  Roth1),  Bolton2),  Heraetjs3) 
u.  A.  ergeben  bei  der  Mehrzahl  der  Brunnen  eine  immer  fortschreitende 
Abnahme  des  Bakteriengehalts,  je  mehr  frisches  Grundwasser  durch 
anhaltendes  Pumpen  zuströmt.  Ferner  zeigen  nach  dem  Pumpen  die- 
jenigen Brunnen  einen  besonders  geringen  Bakteriengehalt,  welche 
gegen  die  Oberfläche  gut  gedeckt  und  gegen  eine  stets  erneute  Ein- 
sät von  der  Brunnenwandung  und  dem  Pumpenrohr  aus  möglichst 
geschützt  sind,  so  namentlich  eiserne  Röhrenbrunnen  und  Wasserlei- 
tungen. Des  weiteren  hat  zuerst  C.  Fränkel  den  direkten  experimen- 
tellen Nachweis  geführt,  dass  das  Wasser  eines  eisernen  Röhrenbrunnens 
im  Centrum  Berlins,  das  also  aus  einem  Boden  stammte,  welches  seit 
Jahrhunderten  als  Wohnstätte  benutzt  worden  war,  nach  ausgiebiger 
Desinfektion  des  Brunnenrohres  durch  mechanische  Reinigung  und 
Kressolschwefelsäure  mehrere  Tage  lang  absolut  keimfrei  sich  erwies. 
Zu  ähnlichen  Resultaten  kam  Neisser  in  Flügge's  Institut  bei  Kessel- 
brunnen, welche  durch  Wasserdampf  gründlich  desinfiziert  worden 
waren.  Danach  haben  wir  uns  die  Vorstellung  zu  bilden,  dass  die 
Bakterien  vorzugsweise  durch  Rinnsale  von  der  Oberfläche  her,  ferner 
durch  Gänge  und  Spalten,  welche  im  Innern  des  Bodens  von  Abort- 
und  Versitzgruben  nach  dem  Brunnenschacht  hinführen,  in  das  Trink- 
und  Brauchwasser  geraten.  Auch  pathogene  Bakterien  werden  offen- 
bar auf  dem  nämlichen  Wege  in  die  Brunnen  gelangen.  Daher  wird 
dort  am  besten  Gelegenheit  zu  einer  Infektion  des  Trinkwassers  gegeben 
sein,  wo  ein  schlecht  gedeckter  Brunnen  inmitten  eines  der  üblichen 
unreinlichen  Höfe  sich  befindet;  auf  den  Boden  solcher  Höfe  pflegen 
fast  alle  Abwässer  und  Dejektionen  ausgegossen  zu  werden,  und  ausser- 
dem ist  häufig  noch  die  Einrichtung  getroffen,  dass  das  z.  B.  beim 
Spülen  der  Wäsche  überschüssig  entnommene  Wasser  wieder  in  den 
Brunnenschacht  zurückffiesst.  Während  in  der  Regel  das  Grundwasser 
als  keimfrei  zu  betrachten  ist,  wird  unter  besonderen  Umständen  auch 
das  Grundwasser  selbst,  in  welchem  der  Brunnen  steht,  zahlreichere 
Bakterien  enthalten,  z.  B.  wenn  der  Abstand  von  der  Oberfläche  gering 
oder  künstlich  durch  Aufschüttung  des  Bodens  hergestellt  ist,  oder 
wenn  Jauchegruben  in  der  Nähe  der  Brunnen  bis  ins  Grundwasser 
herabreichen,  oder  wenn   der  Boden  aussergewöhnlich   durchlässig  ist. 

Die  Zahl  der  Bakterien  eines  Brunnenwassers  richtet  sich  wesent- 


1)  Yiertelj.  f.  ger.  Med.  N.  F.  Bd.  43.  Heft  2. 

2)  Z.  1.  1. 

3)  Ibid.  Heft  2. 


520  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

lieh  danach,  ob  vermehrungsfähige  Arten  vorhanden  und  ob  günstige 
Bedingungen  für  deren  Vervielfältigung  gegeben  sind.  Diese  Bedingungen 
liegen  um  so  günstiger,  je  höher  die  Temperatur  ist,  und  je  länger  das 
Wasser  stagniert  und  die  neugebildeten  Bakterien  in  voller  Zahl  zu 
behalten  vermag.  In  stagnierendem  Wasser  und  in  den  Sommer- 
monaten finden  wir  daher  die  höchsten  Bakterienzahlen,  in  viel  benutz- 
ten Brunnen  und  in  der  kalten  Jahreszeit  die  geringsten.  Die  sonstige 
Beschaffenheit  des  Wassers,  sein  Gehalt  an  organischen  Stoffen  und 
Salzen,  ist  für  die  Vermehrung  jener  Bakterienarten  und  daher  über- 
haupt für  die  Anzahl  der  in  einem  Wasser  beobachteten  Bakterien 
ohne  Bedeutung.  Nur  wenn  die  eigentlichen  Wasserbakterien  fehlen 
und  lediglich  solche  Saprophyten  zugegen  sind,  welche  einer  etwas 
grösseren  Menge  von  Nährstoffen  bedürfen,  werden  die  Differenzen  der 
chemischen  Beschaffenheit  auch  in  der  Bakterienzahl  einen  Ausdruck 
finden.  —  Aus  der  Anzahl  der  entwicklungsfähigen  Bakterien  in  einer 
Wasserprobe  ist  daher  keineswegs  ohne  weiteres  ein  Schluss  auf  die 
Infektionsgefahr  gestattet,  und  sogar  auf  den  Grad  der  Verunreinigung 
nur  dann,  wenn  gleichzeitig  berücksichtigt  ist,  ob  Wasserbakterien 
vorhanden  sind  und  ob  durch  die  Jahreszeit  und  die  Art  der  Benutzung 
des  Brunnens  eine  Vermehrung  derselben  vor  der  Probenahme  begün- 
stigt war. 

Pathogene  Bakterien  sind  stets  sehr  schwierig  unter  der  grossen 
Zahl  von  Saprophyten  herauszuerkennen.  Ausserdem  ist  zu  erwägen, 
dass  sie  sich  meist  nicht  lange  in  einem  Brunnenwasser  halten  werden; 
da  sie  sich  kaum  jemals  im  Wasser  vermehren,  muss  jede  Wasser- 
entnahme und  jeder  Zufluss  von  reinem  Grundwasser  ihre  Zahl  ver- 
mindern, und  nur  in  den  Fällen,  wo  wiederholt  eine  Beimengung  von 
pathogenen  Bakterien  stattfindet,  sind  die  Chancen  für  den  Kulturnach- 
weis einigermassen  günstig.  Trotz  dieser  thatsächlich  grossen  Schwierig- 
keiten sind  die  Cholerabacillen  schon  in  einer  ganzen  Zahl  von  Fällen 
mit  Sicherheit  im  Brunnen-,  Fluss-  und  Leitungswasser  nachgewiesen. 
Dagegen  sind  die  bisherigen  Angaben  über  Befunde  von  Typhusbacillen 
im  Wasser  sehr  skeptisch  zu  beurteilen. 

Neben  dem  hauptsächlich  als  Trink-  und  Brauchwasser  benutzten 
künstlich  gehobenen  Grundwasser  dienen  auch  die  auf  der  Oberfläche 
des  Bodens  abfliessenden  Tagewässer  oft  als  Transportmittel  von  sa- 
prophytischen  und  gelegentlich  pathogenen  Bakterien.  Derartiges  in 
Rinnsteinen,  Bächen,  Flüssen  sich  fortbewegendes  Wasser  ist  sogar 
besonders  gefährlich,  weil  es  mit  Abwässern  der  verschiedensten  Art 
verunreinigt  wird,  denen  sich  nur  zu  oft  höchst  gefährliche  Infektions- 
stoffe, z.  B.  Typhus-  und  Choleradejektionen  zugesellen. 

Zahlreiche   Städte    werden   bis  jetzt  immer  noch  mit  derartigem, 


Pfeiffer,  Vorkommen  von  Bakterien  im  Wasser.  521 

allen  Infektionen  ausgesetztem  Oberfiächenwasser  versorgt,  allerdings 
meist  nach  vorheriger  Filtration  durch  Centralfiltrieranlagen.  Es  ist 
leicht  einzusehen,  welch  unberechenbare  hygienische  Bedeutung  einer 
stetigen  und  zuverlässigen  Kontrolle  dieser  Filter  zukommt,  und  hier, 
wo  die  chemische  Untersuchung  des  Wassers  uns  völlig  im  Stich  lässt, 
ist  die  bakteriologische  Feststellung  der  Keimzahlen  geradezu  aus- 
schlaggebend. Genaue  Untersuchungen  der  Filtrationsvorgänge  haben 
ergeben,  dass  bei  tadellos  arbeitenden  Sandfiltern  die  Zahl  der  im  fil- 
trierten Wasser  enthaltenen  Bakterien  fast  unabhängig  ist  von  der 
Keimzahl  des  Rohwassers.  Jede  Störung  des  Filterbetriebes,  Über- 
lastung der  Filter,  zu  grosse  Filtriergeschwindigkeit,  Risse  und  Sprünge 
im  Filterkörper  verraten  sich  dagegen  sofort  durch  sprungweises  An- 
steigen der  Keimzahlen  im  filtrierten  Wasser.  Die  tägliche  bakterio- 
logische Untersuchung  des  Rohwassers  und  des  filtrierten  Wassers 
hildet  deshalb  die  beste  und  einzig  verlässliche  Kontrolle  der  Filter- 
werke, von  deren  Intaktheit  in  Epidemiezeiten  das  Wohl  und  Wehe 
vieler  Tausenden  abhängt.  Man  sollte  sich  nicht  auf  die  Prüfung  des 
Gesamtreinwassers  beschränken,  da  fast  niemals  sämtliche  Filter  zugleich 
untauglich  werden  und  die  gestörte  Funktion  eines  Filters  im  Gesamt- 
resultat leicht  verdeckt  wird  durch  das  tadellose  Arbeiten  der  übrigen. 
Es  ist  daher  durchaus  notwendig,  das  Filtrat  jedes  einzelnen  Filters 
für  sich  gesondert  bakteriologisch  zu  untersuchen. 


Fünftes  Kapitel. 
Bakteriengelialt  der  Nahrungsmittel. 

Wie  mit  dem  Wasser,  so  führen  wir  auch  mit  den  Nahrungs- 
mitteln sehr  grosse  Mengen  lebensfähiger  Bakterien  täglich  in  unseren 
Körper  ein.  Einigen  (Bier,  Käse  u.  s.  w.)  werden  absichtlich  zahlreiche 
Bakterien  bei  der  normalen  Bereitungsweise  zugefügt;  anderen  Nah- 
rungsmitteln, deren  essbare  Teile  sich  unter  der  Erdoberfläche  ent- 
wickeln, haften  mit  den  Erdpartikelchen  sehr  grosse  Mengen  von  Bak- 
terien an;  wieder  andere,  z.  B.  die  Früchte,  sind  durch  Luftkeime,  die 
auf  ihrer  klebrigen  Oberfläche  fixiert  oder  durch  Kondensation  von 
Wasserdampf  dort  abgelagert  werden,  reichlich  mit  Bakterien  verun- 
reinigt. Ferner  kommt  es  sehr  häufig  vor,  dass  ursprünglich  bakterien- 
freie oder  bei  der  Zubereitung  sterilisierte  Nahrungsmittel  (Milch, 
Fleisch,  die  verschiedensten  gekochten  Speisen)  durch  Berührungen 
oder  auch   durch  Luftkeime  infiziert  werden   und  je  nach    den  Nähr- 


522  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

bedingungen,  die  sie  darbieten,  und  nach  der  herrschenden  Temperatur 
geringere  oder  ausgedehntere  Bakterienkolonien  entstehen  lassen. 

In  allen  Fällen  können  die  Ansiedelungen  entweder  aus  völlig 
harmlosen  Saprophyten  bestehen,  oder  es  sind  Bakterien  vorhanden, 
welche  Gährungen  erregen  und  dadurch  nicht  ganz  indifferent  sind, 
dass  sie  bei  reichlicher  Einführung  diese  Eigenschaft  in  zu  energischer 
Weise  innerhalb  des  menschlichen  Verdauungstraktus  äussern;  oder  es 
kommeu  Bakterien  in  Frage,  welche  zwar  für  gewöhnlich  als  Sapro- 
phyten zu  wachsen  pflegen,  aber  heftig  wirkende  Gifte  (Botulismus) 
liefern,  deren  einige  namentlich  auch  krankhafte  Veränderungen  der 
Darmschleimhaut  hervorrufen  (Cholera  infantum);  oder  endlich  es  kommt 
gelegentlich  zu  einem  Gehalt  der  Nahrungsmittel  an  pathogenen  Bak- 
terien (Milzbrand,  Tuberkulose,  Bacillus  enteritidis  [Gäktnek]). 

Beachtenswert  erscheinen  besonders  diejenigen  Bakterienansiede- 
lungen, welche  auf  den  in  den  Haushaltungen  konservierten  Speisen 
sich  etablieren.  Dort  kommt  es  leicht  zu  Temperaturen,  welche  einer 
Vermehrung  fakultativer  Parasiten  sehr  günstig  sind;  ferner  ist  dort 
ein  Nährsubstrat  geboten,  wie  es  in  den  zur  künstlichen  Kultur  der 
pathogenen  Bakterien  hergestellten  Mischungen  kaum  besser  kompo- 
niert werden  kann;  ausserdem  bieten  viele  Speisen  ganz  die  Verhält- 
nisse des  festen  Nährbodens,  so  dass  eine  Überwucherung  durch  Sapro- 
phyten erschwert  wird.  Nachweislich  sind  Milch,  Bouillon,  Fleisch 
vorzügliche  Nährsubstrate  für  Typhus-  und  Cholerabacillen,  und  es  ist 
nicht  anders  denkbar,  als  dass  diese  und  andere  Krankheitserreger, 
wenn  sie  durch  Luftströmungen,  Erde  oder  Berührungen  einmal  auf 
die  Speisen  oder  zunächst  nur  in  die  Gefässe,  Reinigungstücher  u.  s.  w. 
gelangt  sind,  es  sehr  leicht  zu  einer  erheblichen  Vermehrung  und  zu 
einer  so  bedeutenden  Individuenzahl  bringen,  dass  aus  dem  Genüsse 
solcher  Nahrung  die  schwersten  Gefahren  entstehen. 

Abgesehen  von  den  fakultativen  Parasiten,  die  demnach  hie  eine 
besonders  günstige  Stätte  für  ihre  Vermehrung  finden,  können  auch 
obligate  Parasiten  mit  der  Nahrung  auf  den  Menschen  übertragen  wer- 
den, und  zwar  solche,  welche  (wie  die  Tuberkelbacillen)  sowohl  für 
die  Schlachttiere  wie  für  den  Menschen  infektiös  sind  und  letzterem 
gelegentlich  durch  den  Fleischgenuss  importiert  werden. 

Die  Gefahren,  welche  von  Seiten  der  Nahrungsmittel  drohen,  sind 
nun  allerdings  durch  die  Zubereitung  —  durch  ausreichendes  Kochen 
und  Braten  —  und  dadurch,  dass  man  sich  gewöhnt,  keine  Nahrung 
zu  geniessen,  welche  längere  Zeit  seit  der  Zubereitung  aufbewahrt  war, 
fast  vollständig  zu  vermeiden.  Aber  erfahrungsgemäss  wird  bei  allen 
Völkern  und  in  allen  Klassen  der  Bevölkerung  ein  Teil  der  Nahrung 
in  rohem  oder   in    längere  Zeit  aufbewahrtem  und  nachweislich  stark 


Pfeiffer,  Bakteriengehalt  der  Nahrungsmittel.  523 

bakterienhaltigem  Zustande  genossen.  Welcher  Bruchteil  der  Gesamt- 
nahrung in  solch  gefahrdrohender  Beschaffenheit  verzehrt  wird,  ist  sehr 
verschieden  und  variiert  je  nach  den  Sitten  und  Gewohnheiten  einer 
Bevölkerung.  Während  namentlich  in  südlichen  Ländern  beim  Genuss 
der  Nahrung  mit  äusserster  Sorglosigkeit  verfahren  und  geradezu  die 
grössere  Menge  in  rohem  oder  halbverdorbenem  Zustande  verzehrt 
wird,  ist  in  anderen  Gegenden  eine  so  peinliche  Sorgfalt  in  der  Aus- 
wahl, Behandlung  und  Zubereitung  der  Lebensmittel  gebräuchlich,  dass 
dieser  Infektionsweg  aufs  äusserste  eingeschränkt  wird. 

Daher  muss  der  Bakteriengehalt  der  Speisen  und  die  aus  deren 
Genuss  resultierende  Infektionsgefahr  offenbar  erhebliche  lokale  Diffe- 
renzen darbieten,  und  nicht  minder  häufig  können  auch  zeitliche 
Schwankungen  zustande  kommen.  So  ist  bei  uns  naturgemäss  der 
Sommer  die  Jahreszeit,  in  der  es  am  leichtesten  zu  einer  Ansiedlung 
der  hoher  Temperatur  bedürftigen  Parasiten  auf  Nahrungsmitteln  kommt. 
Ein  besonders  beweisendes  Beispiel  für  den  Einfluss  der  Jahreszeit  auf 
den  Bakteriengehalt  der  Nahrungsmittel  bietet  uns  nach  den  Unter- 
suchungen C.  Flügge's  (Z.  XVII)  das  Verhalten  der  Milch.  In  diesem 
wichtigsten  -Nahrungsmittel  sind  stets  ausserordentlich  widerstands- 
fähige Sporen  in  grosser  Menge  enthalten,  welche  beim  Aufkochen 
nicht  zerstört  werden.  Diese  Sporen  keimen  nur  bei  Temperaturen, 
welche  über  20°  C.  hinausgehen,  aus  und  durchwuchern  die  Milch  in 
rapider  Weise,  so  dass  schon  in  wenigen  Stunden  ungezählte  Mengen 
von  Bakterien  sich  entwickeln  können. 

Flügge  zeigte  nun,  dass  die  so  veränderte  Milch  für  Tiere  in- 
tensiv giftig  wird  und  bei  Verfütterung  besonders  auf  säugende  Tiere 
die  schwersten  Darmkatarrhe  erzeugt.  Es  ist  bei  dieser  Sachlage  höchst 
wahrscheinlich,  das  die  im  Spätsommer  unter  den  menschlichen  Säug- 
lingen so  grosse  Opfer  fordernde  Cholera  infantum  gleichfalls  auf  den 
Genuss  derartig  verdorbener  Milch  zurückzuführen  ist. 

Auch  die  Häufung  von  Darmkatarrhen  aller  Art  bei  Erwachsenen, 
welche  im  Spätsommer  erfahrungsgemäss  eintritt,  wird  sich  in  analoger 
Weise  durch  die  Aufnahme  besonders  grosser  Mengen  von  Bakterien 
in  den  Darmkanal  mit  der  Nahrung  erklären  lassen.  Darauf  beruht 
wahrscheinlich  ferner  zum  Teil  wenigstens  die  besondere  Prädisposition 
für  Cholera  nnd  Typhus,  welche  dem  Spätsommer  eigen  ist. 

Offenbar  bilden  die  Nahrungsmittel  nach  dem  Gesagten  mutmass- 
lich ein  so  bedeutsames  Moment  bei  der  Verbreitung  gewisser  infek- 
tiöser Krankheiten,  dass  wir  allen  Grund  haben,  durch  eingehendere 
Untersuchungen  diesen  Infektionsmodus  genauer  kennen  zu  lernen. 


524  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

Sechstes  Kapitel. 
Bakterien gehalt  der  Kleidimg. 

Auch  in  der  künstlichen  Umgebung,  welche  der  zivilisierte  Mensch 
sich  schafft,  finden  sich  mannigfache  Ansammlungen  von  Bakterien. 
So  ist  die  Kleidung  meist  sehr  reich  an  lebensfähigen  Mikroorganis- 
men, welche  teils  von  der  Körperoberfläche  und  von  den  Exkreten, 
teils  von  aussen  durch  Staub  und  Regen  dorthin  gelangen.  Nicht 
selten  vermitteln  Wäsche  und  Kleidungsstücke  auch  den  Transport 
von  fakultativen  und  obligaten  Parasiten;  bekannt  ist  eine  solche  Rolle 
der  Kleider  namentlich  bei  den  in  der  Haut  lokalisierten  Infektions- 
krankheiten (z.  B.  Pocken),  ferner  bei  Cholera,  wo  die  Durchtränkung 
der  Wäsche  mit  den  Nährsubstraten  der  Dejektionen  sogar  noch  eine 
Vermehrung  der  Krankheitserreger  gestattet,  solange  kein  Austrocknen 
eintritt.  Durch  Wäschestücke  und  Verbandmaterial  werden  ferner 
zweifellos  Wundinfektionskrankheiten,  Diphtherie,  Puerperalfieber,  Tu- 
berkulose u.  s.  w;  häufig  übertragen.  Dagegen  ist  die  von  Kleiderfetzen, 
welche  mit  Geschossen  in  die  Wundkanäle  hineingerissen  werden, 
drohende  Infektionsgefahr  nicht  sehr  gross.  Jedenfalls  gelang  es  Pfuhl 
(Z.  XIII)  nicht,  in  selbst  sehr  stark  verunreinigten  Kleidungsstücken 
virulente  Strepto-  und  Staphylokokken  nachzuweisen. 


Siebentes  Kapitel. 
Vorkommen  von  Bakterien  in  der  Wohnung. 

Die  Wohnung  bietet  vielfache  Gelegenheit  zur  Konservierung 
und  zur  Weiterverbreitung  von  Bakterien  und  speziell  auch  von  fakul- 
tativen und  obligaten  Parasiten,  unter  denen  an  erster  Stelle  die  Er- 
reger der  Diphtherie  und  der  Tuberkulose  zu  nennen  sind;  eine  Ver- 
mehrung scheint  innerhalb  des  zur  Wohnung  im  engeren  Sinne  gehörigen 
Materials  nicht  stattzufinden. 

Weiterhin  sind  dann  noch  die  Möbel,  Vorhänge,  die  gewöhnlich 
ungenügend  gereinigten  Ecken  und  Kanten  der  Räume  Stätten,  an 
welchen  Bakterien  abgelagert  und  längere  Zeit  konserviert  werden 
können. 

Einen  Sammelplatz  von  Bakterien  aller  Art  liefern  ferner  die  Ab- 
fallstoffe des  menschlichen  Haushaltes  und  der  Viehhaltungen.     Die 


Pfeiffer,  Vorkommen  von  Bakterien  in  der  Wohnung.  525 

Darmexkrete  enthalten  neben  Massen  von  Saprophyten  zuweilen  In- 
fektionserreger, z.  B.  Typhusbacillen,  Cholerabacillen,  Tuberkelbacillen, 
Milzbrandbacillen,  Bacillen  des  Schweinerotlaufs,  der  Hühnercholera 
u.  s.  w.,  ferner  vermutlich  die  Erreger  der  Ruhr,  des  epidemischen 
Brechdurchfalls  der  Kinder.  Der  Harn  enthält  frisch  selten  Mikro- 
organismen, ist  aber  ein  geeignetes  Nährsubstrat  für  verschiedenste  Bak- 
terien; ferner  kommen  in  Betracht  die  Küchenabfälle,  Küchenabwässer 
und  Waschwässer,  die  meist  von  vornherein  mit  zahlreichen  Bakterien 
schon  beladen  sind  und  bei  längerem  Stagnieren  anderen  als  Ansied- 
lungsstätte  dienen  können.  Diese  Abfallstoffe  sind  daher  gelegentlich 
ausserordentlich  geeignet,  gewisse  Krankheiten  zu  verbreiten  besonders 
Cholera,  Typhus,  Ruhr.  Zum  Glück  halten  sich  die  pathogenen  Bak- 
terien in  ihnen  nicht  allzu  lange,  da  sie  von  Saprophyten  überwuchert 
werden. 

Wegen  der  Infektionsgefahr,  welche  den  frischen  Abfallstoffen 
anhaften  kann,  wird  es  daher  die  wesentlichste  hygienische  Aufgabe 
der  Anlagen  zur  Entfernung  der  Abfallstoffe  sein,  die  ganzen  Massen 
mit  den  eventuell  in  ihnen  vorhandenen  Infektionserregern  so  rasch 
und  vollständig  wie  möglich  aus  den  Wohnungen  und  dem  Bereich 
infektionsfähiger  Menschen  fortzuschaffen.  Am  besten  wird  diese 
Forderung  durch  eine  Schwemmkanalisation  erfüllt,  die  zugleich 
regelmässig  mit  ausgiebiger  Zufuhr  reinen  Wassers  und  dadurch 
mit  einer  wesentlichen  Erleichterung  der  Reinlichkeit  in  jeder  Be- 
ziehung verbunden  ist.  Weniger  entsprechend  erscheint  die  Tonnen- 
abfuhr, namentlich  wenn  diese  die  Exkremente  und  mit  ihnen  even- 
tuell die  Krankheitserreger  in  der  Nähe  der  Wohnungen  auf  Garten- 
oder Ackerland  schafft  und  so  bewirkt,  dass  die  Keime  konserviert 
und  demnächst  vielleicht  wieder  den  Wohnungen  zugeführt  werden. 
Das  Grubensystem  bietet  durch  die  längere  Aufspeicherung  der  Massen 
immerhin  mehr  Garantie  als  das  Tonnensystem  für  ein  Zugrundegehen 
der  infektiösen  Bakterien,  ehe  sie  auf  den  konservierenden  Boden  ge- 
langen. Einen  entschiedenen  Nachteil  gegenüber  der  Schwemmkana- 
lisation haben  dann  aber  die  beiden  letztgenannten  Systeme  dadurch, 
dass  sie  nur  die  Fäkalien  beseitigen,  während  die  sehr  viel  massigeren 
sonstigen  Abfälle  und  die  Schmutzwässer  der  Haushaltungen  unbe- 
rücksichtigt bleiben,  obwohl  sie,  was  die  Übertragung  von  Typhus 
und  Cholera  anbetrifft,  fast  ebenso  gefährlich  sein  können  wie  die 
Fäkalien. 


526  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

Achtes  Kapitel. 
Infektionen  durch  Beruf  und  Beschäftigung. 

Vielfach  führt  auch  der  Beruf  und  die  Beschäftigung  zur 
Verbreitung  resp.  zur  Aufnahme  von  pathogenen  Bakterien.  In  früherer 
Zeit  sind  beispielsweise  die  Wundinfektionskrankheiten  zweifellos  oft 
durch  Ärzte  übertragen  worden,  welche  sich  damals  nicht  scheuten,  mit 
demselben  notdürftig  gereinigten  Finger  die  infizierte  Wunde  des  einen 
Kranken  und  die  frische  des  anderen  Kranken  nach  einander  zu  unter- 
suchen. Auch  jetzt  kommen  sicher  noch  vielfache  Verschleppungen 
durch  Kleider  und  Hände  solcher  Arzte  vor,  welche  keine  richtige 
Schätzung  der  Infektionsgefahren  besitzen.  Die  Hebammen,  denen 
nachweislich  fast  ausschliesslich  die  Übertragung  von  Puerperalfieber 
zuzuschreiben  ist,  Krankenwärter,  Wäscher,  Trödler  und  Lumpen- 
samler  vermögen  gleichfalls  sehr  oft  die  Weiterverbreitung  von 
Krankheitserregern  zu  veranlassen.  —  Speziell  hingewiesen  sei  nur 
noch  auf  die  vielfachen  Übertragungsmöglichkeiten,  denen  sich  Kinder 
auszusetzen  pflegen;  man  braucht  nur  zu  beobachten,  wie  dieselben  die 
Hände  bald  mit  dem  Boden  schmutziger  Höfe,  bald  mit  dem  Wasser 
der  Rinnsteine  und  den  verschiedenartigsten  anderen  bakterienreichen 
Objekten  in  Berührung  bringen,  um  sie  im  nächsten  Moment  in  den 
Mund  zu  führen  oder  mit  den  ungereinigten  Händen  ihre  Nahrung 
zu  verzehren. 


Neuntes  Kapitel. 
Bakterien  auf  den  Körperoberflächen. 

Ausser  in  der  Umgebung  des  Menschen  sind  auf  den  Oberflächen 
des  menschlichen  Körpers  grosse  Mengen  von  Bakterien  enthalten. 
— ■  Auf  der  äusseren  Haut,  im  Fuss-  und  Achselschweiss  u.  s.  w.  sind 
bereits  die  verschiedensten  Bakterienarten  nachgewiesen.  Dass  diese 
an  der  faltenreichen  Haut  der  Finger  und  unter  den  Fingernägeln  trotz 
scheinbar  sorgfältiger  Reinigung  zäh  haften  und  sich  lebensfähig  halten 
können,  geht  aus  den  Versuchen  von  Förster  (C.  85. 18)  hervor;  derselbe 
konstatierte,  dass  die  unter  Benutzung  von  Bürsten,  Wasser  und  Seife 
gereinigten  Hände  beim  Einbohren  in  Nährgelatine  regelmässig  eine 
wechselnde   Anzahl  von   Bakterienkolonien  zur  Entwicklung  kommen 


Pfeiffer,  Bakterien  auf  den  Körperoberflächen.  527 

lassen.  Jedoch  lässt  sich,  wie  besonders  Fttkbringer  (D.  M.  1888) 
gezeigt  hat,  eine  vollständige  Sterilisierung  der  Hände  erreichen, 
wenn  dieselben  nach  gründlicher  mechanischer  Reinigung  mehrere 
Minuten  lang  in  Alkohol  absolutus  und  in  1  °/00  Sublimatlösung 
getaucht  werden.  Der  Alkohol  wirkt  hierbei  nicht  allein  durch  seine 
an  sich  schon  starke  desinfizierende  Kraft,  sondern  auch  dadurch, 
dass  er  das  Hautfett  löst  und  so  das  Eindringen  der  wässrigen  Subli- 
matlösung erleichtert. 

Noch  grössere  Bakterienmassen  findet  man  auf  den  inneren  Ober- 
flächen des  Körpers.  In  der  Mundhöhle  kennt  man  seit  langer  Zeit 
einige  Saprophyten,  die  zum  Teil  Gährungen  erregen  und  zur  Zahn- 
karies in  Beziehung  gebracht  werden;  ferner  sind  ebendort  verschiedene 
pathogene  Bakterien  beobachtet.  So  findet  sich  ein  für  Kaninchen 
und  Mäuse  hochvirulenter  kapseltragender  Diplokokkus,  wie  A.  Feänkel 
nachgewiesen  hat,  ziemlich  häufig  im  Speichel  gesunder  Personen,  wo- 
bei es  allerdings  fraglich  erscheint,  ob  es  sich  um  dieselbe  Spezies 
handelt,  welche  die  krupöse  Pneumonie  erzeugt.  Auch  Streptokokken 
sind  nicht  seltene  Mundhöhlenschmarotzer,  ferner  eine  den  Diphtherie- 
bacillen  nahestehende,  von  diesen  aber  durch  den  Mangel  der  Tier- 
pathogenität  zu  trennende  Bacillenart  (Pseudodiphtheriebacillen).  Eine 
ganze  Reihe  anderer  für  unsere  Laboratoriumstiere  sehr  pathogener 
Bakterienarten  wurden  aus  dem  Speichel  von  Kkeibohm  und  Biondi 
isoliert,  dieselben  scheinen  aber  in  der  menschlichen  Pathologie  keine 
Rolle  zu  spielen.  —  Diese  Befunde  sind  leicht  erklärlich,  wenn  man 
erwägt,  dass  in  der  Mundhöhle  eine  für  pathogene  Bakterien  sehr  ge- 
eignete Temperatur  und  durch  die  abgestorbenen  Epithelien,  Nahrungs- 
reste u.  s.  w.  ein  gutes  Nährmaterial  gegeben  ist.  Es  ist  daher  auch  sehr 
wohl  denkbar,  dass  dort  parasitische  Bakterien,  die  besonderer  Invasions- 
pforten bedürfen,  um  ins  Innere  des  Körpers  einzudringen,  eine  Zeit 
lang  als  Epiphyten  leben,  bis  sich  eine  Gelegenheit  zur  Invasion 
findet,  so  dass  also  einer  Infektion  die  Aufnahme  des  Infektionserregers 
nicht  unmittelbar  voraufgegangen  zu  sein  braucht.  Das  von  Löfflek 
zuerst  beobachtete  Vorkommen  von  Diphtheriebacillen  im  Mundsekret 
eines  gesunden  Kindes  ist  in  solcher  Weise  zu  deuten. 

Auch  in  den  Nasenhöhlen,  im  Schleim  des  Kehlkopfs,  der  Trachea 
und  der  Bronchien  werden  sehr  verschiedene  dem  Sekret  der  Schleimhäute 
angehörende  Bakterien  gefunden.  Es  sind  hier  zu  erwähnen  Strepto- 
kokken, kapseltragende  Diplokokken,  Kapselbacillen  (Bac.  Friedländer, 
sputigenus  crassus),  Mikrokokkus  tetragenus  u.  a.  m. 

Ein  enormes  Gewirr  von  Bakterien  begegnet  uns  sodann  im  Darm- 
traktus.  Schon  im  Mageninhalt  finden  sich  zahlreiche  Arten.  Irr- 
tümlicherweise hat  man  vielfach  angenommen,  dass  der  saure  Magen- 


528  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

saft  die  meisten  Bakterien  töte;  das  ist  aber  nicht  der  Fall.  Versuche, 
welche  Mac  Fadyan  im  Institut  Flügge's  anstellte,  haben  gezeigt, 
dass  selbst  der  stark  saure  Magensaft  des  Hundes  nur  Cholera-  und 
Milzbrandbacillen  einigermassen  konstant  zu  töten  vermag,  dass  da- 
gegen die  meisten  anderen  Bakterien  nicht  eine  derartige  Empfind- 
lichkeit gegen  die  Magensäure  besitzen  und  den  Magen  in  lebens- 
fähigem Zustande  passieren,  selbst  wenn  die  Bedingungen  für  eine 
energische  Einwirkung  des  Magensaftes  möglichst  günstig  gewählt 
werden;  so  verhalten  sich  z.B.  Mikr.  tetragenus,  Staphylokokkus  aureus, 
Bacillus  cuniculicida  u.  s.  w. 

Meistens  tritt  demnach  im  Magen  nur  eine  vorübergehenbe  Ent- 
wicklungshemmung ein  und  vegetative  Formen  wie  Sporen  gelangen 
in  grosser  Menge  lebend  in  den  Dünndarm.  Dort  finden  sie  teilweise 
gute  Gelegenheit  zur  Vermehrung,  so  lange  neutrale  oder  schwach 
alkalische  Reaktion  des  Speisebreis  vorliegt;  freilich  scheint  diese  Ver- 
mehrung vorzugsweise  einige  bestimmte  Bakterienarten  zu  treffen,  so 
dass  trotz  der  anfänglich  imponierenden  Mannigfaltigkeit  der  Formen 
und  Arten  schliesslich  doch  einige  sich  herauserkennen  lassen,  die 
offenbar  besonders  günstigen  Boden  zur  Vermehrung  im  Darminhalt 
finden  und  daher  einigermassen  konstant  wiederkehren.  Je  nach  der 
Zusammensetzung  der  Nahrung  sowie  nach  dem  Verlauf  und  dem 
Stadium  der  Verdauung  scheinen  diese  prävalierenden  Arten  einem 
gewissen  Wechsel  zu  unterliegen.  —  Unter  diesen  „Darmbakterien" 
überwiegen  einige  Bacillenarten,  welche  gewisse  morphologische  und  bio- 
logische Charaktere  gemeinsam  haben  und  deshalb  zu  der  Gruppe  der 
Kolonbakterien  zusammengefasst  werden,  obwohl  es  sich  um  mehrere 
differente  Spezies  handeln  dürfte.  Ein  vertieftes  Studium  dieser  Kolon- 
bakterien nach  Escheeich's  Vorgang  wird  voraussichtlich  für  die 
Pathogenese  vieler  menschlichen  Darmkrankheiten  bedeutungsvoll 
werden. —  Stets  finden  sich  ferner  im  Darminhalt  Anaeroben,  und  oft 
in  so  grosser  Menge,  dass  sie  zweifellos  dort  eine  Vermehrung  erfahren 
haben.  Es  ist  das  ohne  weiteres  verständlich,  da  in  einzelnen  Ab- 
schnitten des  Darms  und  in  gewissen  Schichten  des  Darminhalts 
wohl  immer  eine  für  die  Entwicklung  von  Anaeroben  genügende  Sauer- 
stoffarmut vorhanden  ist.  Besonders  reich  an  solchen  Anaeroben  er- 
weisen sich  die  Därme  der  Pflanzenfresser,  und  neuere  Untersuchungen 
machen  es  wahrscheinlich,  dass  die  Bacillen  des  Tetanus  und  des 
malignen  Odems,  deren  Sporen  wir  in  den  oberflächlichsten  Schichten 
der  Garten-  und  Ackererde  angetroffen  haben,  ihre  vegetativen  Zustände 
hauptsächlich  in  den  Därmen  von  Pferden  und  Kühen  durchleben,  von 
wo  die  fertigen  Sporen  mit  dem  Kot  der  Tiere  in  die  Erde  gelangen. 
—  Einigermassen  erschwert  wird  das  Studium  der  Darmbakterien  durch 


Pfeiffer,  Bakterien  auf  den  Körperoberflächen.  529 

den  Umstand,  dass  in  mikroskopischen  Präparaten,  welche  aus  Darm- 
inhalt von  irgend  einer  Stelle  des  Darms  oder  auch  aus  Mundsekret 
hergestellt  sind,  ein  viel  grösserer  Artenreichtum  und  eine  erheblich 
grössere  Zahl  von  Bakterien  zur  Beobachtung  gelangt,  als  bei  der 
Isolierung  der  in  den  gleichen  Proben  enthaltenen  Bakterien  durch 
unsere  gebräuchlichen  Kulturmethoden.  Oft  kommt  es  offenbar  nur 
zum  Wachstum  eines  kleinen  Bruchteils  der  überhaupt  vorhandenen 
Exemplare,  wobei  auffallenderweise  fast  niemals  verflüssigende  Kolonien 
auftreten.  Einige  der  in  den  gewöhnlichen  Kulturen  fehlenden  Bakterien 
sind  offenbar  Anaeroben,  und  erhält  man  oft  eine  erheblich  bessere 
Ausbeute  von  entwicklungsfähigen  Bakterien,  wenn  man  auch  Proben 
unter  Luftabschluss  züchtet.  Ein  anderer  Teil  der  im  mikroskopischen 
Präparat  sichtbaren  und  färbbaren  Bakterien  hat  vermutlich  durch  die 
Einwirkung  der  Magensäure  oder  anderer  im  Darminhalt  vorhandener 
entwicklungshemmender  Einflüsse  eine  gewisse  Desinfektionswirkung 
erfahren,  welche  das  Auswachsen  in  unseren  Kulturmedien  verhindert. 
Schliesslich  sind  sicherlich  im  Darm  Bakterienarten  vertreten,  welche 
wie  die  Mundspirochäten  nur  unter  ganz  bestimmten  Lebensbedingungen 
gedeihen,  die  wir  aber  bisher  noch  nicht  künstlich  nachahmen  konnten. 

Während  so  die  äussere  und  innere  Oberfläche  des  Körpers  reich 
mit  Bakterien  besetzt  ist,  finden  wir  im  Innern  desselben  unter  nor- 
malen Verhältnissen  keine  Bakterien;  nur  wenn  parasitäre  Mikro- 
organismen eingedrungen  sind  und  eine  Krankheit  hervorgerufen 
haben,  kommt  es  bald  im  Blut,  bald  in  den  verschiedensten  Organen 
zur  Ansiedelung  der  spezifischen  Bakterien'.  Andere  nicht  pathogene 
Bakterien  werden,  wenn  sie  nicht  in  ungeheueren,  stark  toxisch,  wirken- 
den Quantitäten  eingeführt  werden,  im  Körper  sehr  rasch  vernichtet. 
Der  Modus  dieser  Bakterienzerstörung,  auf  welchem  die  natürliche 
Immunität  jedes  lebenden  Organismus  beruht,  beginnt  erst  in  letzter 
Zeit  durch  die  Forschungen  Nutali/s,  Büchners,  Metschnikoef's  und 
R.  Peeifeek's  sich  unserem  Verständnis  zu  enthüllen. 

Auch  die  Sekrete  des  Körpers,  insbesondere  der  Harn,  sind  nach  den 
Untersuchungen  von  Wyssoko witsch  (Z.l.  1)  frei  von  Bakterien,  selbst 
dann,  wenn  infektiöse  Bakterien  den  Körper  occupiert  haben  und  im 
Blute  kreisen.  Nur  in  den  Fällen,  wo  in  der  Niere  Verstopfungen 
von  Blutgefässen  durch  Bakterienmassen  und  infolge  dessen  nekro- 
tische Herde  mit  tiefer  Läsion  des  Gewebes  sich  ausgebildet  haben, 
kommt  es  zu  einer  Abscheidung  von  Bakterien  in  den  Harn.  Fast 
regelmässig  wird  ein  solcher  Übertritt  beobachtet  nach  Injektion  von 
Staphylokokkus  aureus  ins  Blut;  auch  diese  Bakterien  erscheinen  aber 
nicht  etwa  bald  nach  der  Injektion  im  Harn,  selbst  wenn  reichlichste 
Mengen  eingebracht  waren,  sondern  erst  nachdem  sich  Herde  in  der 

Flügge,  Mikroorganismen.   3.  Auflage.  I.  34 


530  Vorkommen  und  Fundorte  der  Mikroorganismen. 

Niere  gebildet  haben  und  künstliche  Wege  hergestellt  sind.  Ähnlich 
wird  es  sich  verhalten  mit  den  Angaben  verschiedener  Autoren,  be- 
sonders aber  Bbunneb's  (Berl.  klin.  Woch.  1891),  wonach  in  die  Blut- 
bahn injizierte  Staphylokokken  z.  B.  durch  den  Schweiss  ausgeschie- 
den werden  sollen. 

Von  Gunning  *)  ist  die  menschliche  Exspirationsluft  auf  Bakterien 
untersucht.  Er  fand,  dass  beim  Exspirieren  durch  eine  Nährlösung  hin- 
durch keine  Infektion  der  letzteren  erfolgte,  sobald  nur  das  Eindringen 
von  Speichel  u.  s.  w.  gehindert  war.  In  der  That  müssen  wir  nach 
dem,  was  über  die  Loslösung  der  Bakterien  von  feuchten  Flächen 
bekannt  geworden  ist,  ein  Mitreissen  von  Bakterien  von  den  stets 
feuchten  Schleimhäuten  und  durch  den  mit  Wasserdampf  gesättigten 
Exspirationsstrom  für  durchaus  unwahrscheinlich  halten.  —  Eine  Ver- 
breitung von  Organismen,  welche  die  Schleimhautoberfiäche  des 
Respirationstraktus  occupiert  haben,  durch  die  Luft  ist  daher  nur  in 
der  Weise  denkbar,  dass  beim  Sprechen  und  Husten  kleine  Flüssigkeits- 
partikelchen losgerissen,  herausgeschleudert  und  für  kurze  Strecken 
dem  ausgeatmeten  Luftstrom  beigemengt  werden,  oder  durch  Sputa, 
welche  später  eintrocknen  und  verstäuben. 

1)  Klin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk.    Jahrg.  20.  1882. 


Vierter  Abschnitt. 

Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen 

von 
Dr.  "W.  Kolle. 

Eine  einigermassen  vollständige  Darlegung  der  eigenartigen 
Methoden  der  bakteriologischen  Forschung  liegt  nicht  im  Plane  des 
vorliegenden  Buches  und  würde  den  Umfang  desselben  zu  sehr  er- 
weitern; eine  Beschränkung  in  Bezug  auf  dieses  Kapitel  ist  aber  um 
.so  eher  zulässig,  als  auf  die  eingehende  Darstellung  der  bakterio- 
logischen Methoden  von  Hüeppe1)  (4.  Aufl.)  sowie  auf  die  Bearbeitung 
desselben  Themas  von  Heim2)  verwiesen  werden  kann. 

Im  Folgenden  sollen  nur  die  wichtigsten  Methoden  zur  mikro- 
skopischen Untersuchung  der  Bakterien,  zur  Kultur  derselben  und  zur 
Übertragung  auf  Tiere,  sowie  zum  Nachweis  in  Luft,  Wasser  und 
Boden  zusammengestellt  werden. 

A.   Die  mikroskopische  Untersuchung  der  niederen  Pilze. 

Die  verschiedensten  Objekte,  Flüssigkeiten  und  festere  Substanzen, 
Nahrungsmittel,  Staub,  Erdproben,  pflanzliche  und  tierische  Organe  und 
Säfte,  vom  lebenden  oder  toten  Tier  genommen,  angesiedelte  Pilz- 
kolonien u.  s.  w.  können  zur  mikroskopischen  Untersuchung  gelangen. 
Dabei  hat  man  zunächst  sich  bewusst  zu  sein,  dass  in  unserer  ganzen 
Umgebung  sich  niedere  Pilze  befinden,  und  dass,  um  den  Nachweis 
Ton  Pilzen  in  einem  dieser  Objekte  zu  führen,  das  zufällige  Hinein- 
gelangen von  Pilzen  aus  unserer  Umgebung  in  das  Präparat  vermieden 
werden  muss.  Alle  Instrumente,  Gläser,  Zusatzflüssigkeiten  müssen 
daher  pilzrein  sein,  was  bei  den  beiden  ersteren  am  besten  durch  kurzes 
Erhitzen  auf  mindestens  150°,  bei  letzteren  durch  Kochen  im  Dampf- 
kochtopf erreicht  wird. 


1)  Die  Methoden  der  Bakterienforschung.    Wiesbaden.  4.  Aufl. 

2)  Ludwig  Heim,  Lehrbuch  der  bakteriologischen  Untersuchung  und  Dia- 
gnostik.   Stuttgart  1894. 

34* 


532  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

Soll  auf  pathogene  Pilze  geprüft  werden,  so  ist  zu  berücksichtigen,, 
dass  auf  den  Oberflächen  des  gesunden  und  kranken  Menschen  und  des 
Tieres  stets  massenhaft  Pilze  wuchern;  auf  der  Haut,  in  der  Mund- 
höhle u.  s.  w.  findet  man  die  zahlreichsten  Keime.  Nach  dem  Tode 
tritt  eine  rasche  Verbreitung  derselben  zunächst  in  alle  oberflächlich 
zugänglichen  Körperteile,  sowie  vom  Darm  aus  in  die  inneren  Organe 
ein.  Proben  zur  Untersuchung  auf  pathogene  Pilze  sind  daher  selbst 
beim  Lebenden  niemals  von  der  ungereinigten  Oberfläche  zu  entnehmen. 
Nach  dem  Tode  ist  die  Sektion  sobald  als  möglich  vorzunehmen.  Die 
Organe  werden,  um  sie  von  den  etwaigen  aussen  anhaftenden  Keimen 
möglichst  zu  befreien,  in  Sublimatlösung  und  darauf  mehrmals  in 
sterilem  Wasser  abgespült;  dann  wird  das  Innere  der  Organe  durch 
frische  Schnitte  mit  sterilen  Instrumenten  freigelegt. 

Die  direkte  mikroskopische  Beobachtung  (eventuell  unter  Zusatz 
von  \  %  Kochsalzlösung,  Mischung  von  Glycerin  und  Wasser, 
Lösung  von  essigsaurem  Kali  1 :  10)  ohne  weitere  Hilfsmittel  führt  nur 
bei  grösseren  Pilzen  und  höchstens  bei  der  Untersuchung  von  Kulturen 
von  Spaltpilzen  einigermassen  zum  Ziele,  während  letztere  selbst  mit 
den  stärksten  Vergrösserungen  nicht  wahrgenommen  werden  können, 
wenn  andere  Objekte  (Zellen,  Kerne  und  Kerndetritus,  Krystalle  und 
amorphe  anorganische  Massen)  im  Präparat  zugegen  sind.  Fast  in 
allen  Fällen,  wo  es  auf  genaue  Durchmusterung  eines  Präparats  an- 
kommt, ist  daher  eine  Färbung  der  Mikroorganimen  auszuführen. 
Letztere  nehmen  gewisse  Farbstoffe  mit  ausserordentlicher  Energie  auf, 
und  es  gelingt  meistens  die  Färbung  so  zu  leiten,  dass  nur  die  Mikro- 
organismen gefärbt  oder  wenigstens  nur  diese  stark  gefärbt  sind, 
während  alle  übrigen  Objekte  des  Präparats  schwach  oder  gar  nicht 
fingiert  sind.  Auch  wo  die  Abwesenheit  von  Spaltpilzen  in  einer  Sub- 
stanz konstatiert  werden  soll,  ist  lediglich  mit  Zuhilfenahme  der  Färbe- 
methode eine  einigermassen  sichere  Entscheidung  möglich.  —  Die  Be- 
handlung der  Präparate  zum  Zweck  der  Tinktion  ist  verschieden,  je 
nachdem  Flüssigkeiten  oder  tierische  Organe  vorliegen. 

I.  Herstellung  und  Färbung  von  Deckglaspräparaten. 

Flüssigkeiten  werden  zunächst  in  dünnster  Schicht  auf  dem 
Deckglase  angetrocknet,  dadurch,  dass  mit  kurz  vorher  geglühtem  Platin- 
draht ein  kleiner  Tropfen  auf  das  Deckglas  gebracht  und  durch  einige 
kreisförmige  Bewegungen  ausgebreitet  wird;  oder  noch  zweckmässiger 
legt  man  auf  das  betropfte  Deckglas  ein  zweites,  so  dass  der  Tropfen 
breit  gedrückt  wird  und  die  Flüssigkeitsschicht  sich  bis  zum  Rande 
der  Deckgläschen  erstreckt;  dann  zieht  man  die  Gläschen  seitlich  von 
einander  und  erhält  so  zwei  dünn  bestrichene  Flächen;  nach  wenigen 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  533 

Minuten  ist  dann  die  Schicht  angetrocknet.  Wollte  man  das  Deckglas 
jetzt  unmittelbar  mit  Farblösung  in  Berührung  bringen,  so  würde  die 
Schicht  wieder  abgelöst  und  fortgeschwemmt  werden;  die  Pilze  müssen 
daher  wo  möglich  erst  auf  dem  Glase  fixiert  werden.  Dies  geschieht 
entweder  durch  längeres  Einlegen  der  Gläschen  in  absoluten  Alkohol 
oder  durch  kurzes  Erhitzen  auf  110 — 130°  C.  (2 — 10  Minuten;  der  richtige 
Grad  der  Erhitzung  liegt  für  verschiedene  Objekte  etwas  verschieden 
und  muss  durch  einige  Versuche  ermittelt  werden).  Das  Erhitzen  kann 
am  zweckmässigsten  dadurch  in  ausreichender  Weise  ausgeführt  werden, 
dass  man  die  Deckgläschen  2 — 3  mal  langsam  („etwa  so  rasch  wie  man 
Brot  schneidet")  durch  die  Flamme  eines  Bunsenbrenners  oder  eine 
Spiritusflamme  zieht.  Die  Pilze  haften  nach  dieser  Behandlung  so  fest 
an  den  Gläsern,  dass  diese  ohne  Schaden  lange  Zeit  in  wässrigen  Flüssig- 
keiten gehalten  werden  können. 

Auf  die  so  präparierten  Deckgläschen  wird  dann  die  unten  zu  er- 
wähnende Farblösung  getropft;  meist  genügt  es,  wenn  man  die  Lösung 
5 — 10  Minuten  einwirken  lässt;  ist  eine  längere  Einwirkung  nötig,  so 
ist  es  zweckmässig,  die  Deckgläschen  auf  einem  flachen  Schälchen  mit 
Farblösung  schwimmen  zu  lassen.  Man  kann  die  zur  Färbung  nötige 
Zeit  wesentlich  verkürzen,  wenn  man  die  Farblösungen  über  der  Flamme 
erwärmt.  Das  Deckgläschen 
wird  dann  mit  der  Pinzette 
gefasst,  von  der  Farblösung 
durch  Absaugen  mit  Filtrier- 
papier befreit,  dann  in  destil- 
::.  _XT  .,  .  Fig.  14.    Pinzette  von  Cornet. 

liertem  W  asser,  zuweilen  auch 

in  sehr  verdünnter  Essigsäure  (etwa  5 — 10  Tropfen  auf  100  ccm  Wasser) 
gespült,  und  nun  entweder  mit  Wasser  auf  den  Objektträger  gebracht 
oder  erst  nochmals  getrocknet  und  dann  in  Nelkenöl  oder  Kanada- 
balsam eingelegt. 

Eine  grosse  Erleichterung  beim  Färben  der  Deckgiaspräparate  wird 
durch  Benutzung  der  CoENET'schen  Pinzetten  (s.  Fig.  14)  gewonnen, 
welche  vermöge  ihrer  Federkraft  die  Deckgläschen  wagerecht  fixieren 
und  ein  leichtes  Handhaben  der  Deckgläschen  ermöglichen. 

II.   Herstellung  von  Schnitten. 

Organe  müssen  zunächst  längere  Zeit  (mehrere  Tage)  in  absolutem 
Alkohol  gehärtet  werden;  sie  müssen  dabei  allseitig  von  diesem  um- 
geben und  nötigenfalls  zerkleinert  sein.  Sodann  klebt  man  die  ge- 
härteten Stückchen  auf  Korkstückchen  mit  Gelatine  auf  und  stellt  mit 
den  Mikrotom  Schnitte  daraus  her.  Für  manche  Zwecke,  vor  allem 
bei  bröckligen  Geweben,    oder  sehr  dünnen  Objekten   oder  zur  Her- 


534  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

Stellung  sehr  dünner  Schnitte,  welche  zum  Nachweis  mancher  Bakterien 
notwendig  sind,  muss  man  die  Organe  durch  Einbettung  in  Celloidin,. 
Paraffin,  Glyceringelatine  oder  durch  Gefrierenlassen  zum 
Schneiden  vorbereiten. 

Die  Paraffineinbettung  ist  einigermassen  umständlich  und  zeit- 
raubend, so  dass  von  ihr  im  ganzen  wenig  Gebrauch  gemacht  wird.. 
Nur  da,  wo  es  auf  Gewinnung  zusammenhängender  Reihen  von  Schnitten, 
sog.  Serienschnitte,  ankommt,  ist  das  Paraffin  verfahren  angezeigt.  Das 
Verfahren  gestaltet  sich  so,  dass  aus  dem  Alkohol  die  Organstückchen 
für  24  Stunden  in  Chloroform,  Terpentinöl  oder  Toluol  gelangen. 
Dann  werden  sie  bis  zum  Schmelzpunkt  des  zu  benutzenden  Paraffins 
erwärmt,  in  das  verflüssigte  Paraffin  übertragen  und  im  Paraffinbade 
6 — 24  Stunden  belassen.  Darauf  füllt  man  Paraffin  in  kleine  Formen, 
wirft  die  Organstückchen  hinein  und  lässt  die  Masse  erstarren.  Schneidet 
man  einen  solchen  Paraffinblock  mit  dem  Mikrotom,  und  zwar  mit 
quergestelltem  Messer,  so  schieben  sich,  wenn  die  Ränder  des  Blockes 
parallel  sind,  die  Schnitte  vor  einander  her  und  kleben  an  einander- 
Die  so  erhaltenen  Serienschnitte  kann  man  auf  Objektträger  ankleben 
und  weiter  bearbeiten.  Mit  der  Paraffinmethode  lassen  sich  sehr  dünne 
Schnitte  erzielen. 

Die  Einbettung  in  Celloidin  ist  das  am  meisten  gebrauchte  Ver- 
fahren. Durch  Auflösung  mehr  oder  weniger  grosser  Mengen  von 
Celloidin  in  einer  Mischung  von  Äther  und  Alkohol  zu  gleichen  Teilen 
stellt  man  sich  eine  dünnere  und  eine  dickere  Lösung  her.  Die  Organ- 
stückchen verbleiben  einige  Tage  in  der  dünneren,  ebensolange  in  der 
dickeren  Celloidinlösung  und  werden  dann,  mit  etwas  Kollodium  auf 
Korkstückchen  aufgeklebt,  in  70  proz.  Alkohol  geworfen.  Die  Stückchen 
werden  bald  hart  und  lassen  sich  in  sehr  dünne  Schnitte  zerlegen. 
Beim  Schneiden  wird  das  Messer  und  das  Organstückchen  mit  70  proz. 
Alkohol  befeuchtet.  Für  Schnitte,  welche  nach  Geam  gefärbt  oder  in 
denen  Tuberkelbacillen  nachgewiesen  werden  sollen,  eignet  sich  die 
Celloidineinbettung  nicht.  Bei  ersteren  treten  leicht  Farbstoffnieder- 
schläge ein,  während  in  letzteren  die  Tuberkelbacillen  häufig  ihre 
Färbbarkeit  verlieren. 

Die  Einbettung  in  Glyceringelatine  empfiehlt  sich  da,  wo  man  die 
Organe  rasch  zum  Schneiden  fertigstellen  will,  oder  wo  man  Bakterien 
sichtbar  machen  will,  deren  Färbbarkeit  bei  Celloidineinbettung  leidet 
(Tuberkelbacillen).  Die  Organstückchen,  welche  sehr  klein  sein  müssen, 
gelangen  einige  Stunden  in  Glyceringelatine  (1  Teil  Glycerin,  2  Teile 
Gelatine,  3  Teile  Wasser)  und  werden  dann  auf  Kork  geklebt  in  ab- 
solutem Alkohol  aufbewahrt. 

Steht  ein  Gefriermikrotom  zur  Verfügung,  so  kann  das  frische 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  535 

Organ  sofort  nach  dem  Gefrieren  geschnitten  werden;  die  Schnitte 
bringt  man  zunächst  in  physiologische  Kochsalzlösung,  von  da  vor- 
sichtig in  absoluten  Alkohol  und  behandelt  sie  dann  weiter  wie  oben. 
Man  kann  aber  auch  in  Alkohol  gehärtete  Organe  mit  dem  Gefrier- 
mikrotom schneiden  und  vermeidet  so  die  Einbettung  in  Celloidin  u.  s.  w. 
Ehe  die  Schnitte  auf  die  Scheibe  des  Gefriermikrotoms  kommen,  werden 
sie  in  physiologischer  Kochsalzlösung  so  lange  gewärmt,  bis  der  Alkohol 
aus  ihnen  entfernt  ist. 

III.  Färbung  und  Behandlung  der  Schnitte, 
a)  Allgemeines. 

Hat  man  mit  dem  Mikrotom  eine  grössere  Anzahl  feiner  Schnitte 
hergestellt,  so  bringt  man  dieselben  zunächst  in  absoluten  Alkohol  und 
von  da  in  die  Farblösung.  In  letzterer  bleiben  die  Schnitte  ij2 — 5  Stunden, 
in  einzelnen  Fällen  sogar  24  Stunden.  Durch  Erwärmen  auf  30 — 40°  C. 
kann  diese  Zeit  erheblich  abgekürzt  werden.  Nimmt  man  die  Schnitte 
aus  der  Farbe,  so  ist  das  ganze  Gewebe  stark  gefärbt;  man  sucht  dann 
eine  Differenzierung  der  Pilze  gegenüber  dem  Gewebe  dadurch  zu 
bewirken,  dass  man  die  Schnitte  in  mit  Wasser  verdünnten  Alkohol 
oder  verdünnte  Essigsäure  bringt,  die  den  Zellen  den  Farbstoff  wieder 
entziehen  und  nur  Pilze  und  höchstens  noch  Zellkerne  (ausserdem  ge- 
wisse Mucinarten,  die  verhornten  Gebilde,  zuweilen  Fett,  Nervenmark) 
gefärbt  erscheinen  lassen.  Dann  folgt  dieEntwässerung  des  Präparats. 
In  den  meisten  Fällen  wird  die  Entwässerung  des  Gewebes  am  zweck- 
mässigsten  dadurch  bewirkt,  dass  man  die  Schnitte  in  absoluten  Alkohol 
bringt,  hier  etwa  15 — 30  Minuten  lässt,  aus  diesem  nochmals  in  reinen 
Alkohol  und  dann  zur  Aufhellung  in  Xylol  bringt. 

Als  Farbstoffe  verwendet  man  nur  selten  Karmin  oder  Häma- 
toxylin,  sondern  hauptsächlich  Anilinfarben,  zu  denen  die  niederen 
Pilze  die  grösste  Verwandtschaft  zeigen. 

Man  unterscheidet  nach  Ehelich1)  2  grosse  Gruppen  von  Anilin- 
farben, die  durch  chemische  und  histiologische  Eigentümlichkeiten 
scharf  geschieden  sind,  die  sauren  und  die  basischen  Farbstoffe. 

Zu  den  sauren  rechnet  man  alle  solche  Farbstoffe,  bei  welchen  das  färbende 
Prinzip  die  Säure  ist;  der  Farbstoff  braucht  darum  nicht  eine  freie  Säure  zu  sein 
oder  sauer  zu  reagiren,  sondern  kann  z.  B.  mit  Basen  salzartige  Verbindungen 
bilden  (wie  prikinsaures  Ammon).  Man  unterscheidet  4  Klassen  von  sauren  Farb- 
stoffen, nämlich  1.  Fluorescei'ne ;  dahin  gehören  Fluorescein,  Pyrosin,  Eosin  (Tetra- 
bromfmoresce'in)  u.   a.  m.     2.  Nitrokörper,    z.  B.   Martiusgelb   (Salz  des  Binitro- 


1)  Vgl.  Westphal,  Schwarze,  Spilling;  auch  Weigert,  Virchow's  Archiv. 
Bd.  84. 


536  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

naphtols),  Pikrinsäure,  Aurantia  (Amrnonsalz  des  Hexanitrodiphenylarnins) 
3.  Sulfosäuren,  z.  B.  Tropäolin,  Bordeaux,  Ponceau;  Derivate  des  in  Spiritus  lös 
liehen  Anilinblau;  Anilinschwarz  u.  s.  w.  4.  Primäre  Farbsäuren,  z.  B.  Rosol 
säure,  Alizarin,  Nitroalizarin,  Purpurin,  Cörulei'n,  vielleicht  Hämatoxylin  u.  s.  w 

Zu  den  Farbbasen  gehören:  Fuchsin  (Eosanilin),  Methylviolett,  Methylgrün 
(beides  Methylderivate  des  Rosanilins,  letzteres  gewöhnlich  mit  Methylviolett  ver 
unreinigt),  Triphenylrosalin  (rohes  Anilinblau)  und  dessen  Derivate,  Cyanin,  Safranin 
Magdala,  ferner  die  besonders  viel  zur  Bakterienfärbung  gebrauchten  Bismarck 
braun,  Dahlia,  Gentianaviolett,  Methylenblau. 

Die  basischen  Farbstoffe  kommen  gewöhnlich  nicht  als  freie  Basen  im  Hände 
vor,  sondern  als  Salze,    so  das  Fuchsin  als  salzsaures  oder  essigsaures  Rosanilin 

Für  die  Färbung  der  Spaltpilze  eignen  sich  fast  ausschliesslich 
die  basischen  Farbstoffe;  nur  diese  vermögen  auch  die  Kerne  zu  färben* 
Um  nicht  eine  diffuse  Färbung  des  ganzen  Gewebes  zu  bekommen, 
muss  man  nach  der  Tinktion  die  Präparate  noch  mit  solchen  extra- 
hierenden Lösungen  behandeln,  die  zu  den  Farbstoffen  eine  grössere 
Verwandtschaft  haben  als  die  Gewebe,  aber  eine  geringere  als  die 
Spaltpilze  (und  Zellkerne);  derartige  differenzierende  Lösungen  sind  eben 
Alkohol  und  verdünnte  Essigsäure. 

Manche  Spaltpilze  zeigen  nur  zu  wenigen  Farbstoffen  starke  Ver- 
wandtschaft, es  sind  daher  bei  der  Aufsuchung  noch  unbekannter  Mikro- 
organismen die  verschiedensten  Farbstoffe,  bald  unter  Zusatz  von  etwas 
Essigsäure,  bald  in  schwach  alkalischer  Lösung  durchzuprobiren; 
Bacillensporen  nehmen  ohne  besondere  Behandlung  (s.  unten)  keine 
Farbstoffe  auf.  —  Für  die  meisten  Mikrokokken  ist  jedes  Kernfärbe- 
mittel (Karmin,  Hämatoxylin,  basische  Anilinfarben)  geeignet.  Sie  färben 
sich  roth  mit  den  kernfärbenden  Karminsorten,  mit  Purpurin,  Fuchsin, 
Magdala,  Magentarot;  braun  mit  Bisrnarckbraun,  Vesuvin;  grün  mit 
Methylgrün,  blau  oder  violett  mit  Hämatoxylin,  Methylenblau,  Jod- 
violett, Methylviolett,  Dahlia,  Gentiana.  Für  manche  Bacillen  eignen 
sich  nur  die  kernfärbenden  Anilinfarben. 

b)  Gebräuchlichste  Farblösungen. 

Die  meiste  Anwendung  verdienen: 

1.  Fuchsin,  welches  in  Form  der  ZiEHi/schen  oder  in  koncentrierter 
alkoholischer  Lösung  vorrätig  zu  halten  ist.  Die  ZiEHi/sche  Lösung  stellt 
man  sich  dar,  indem  man  je  1  gr  Fuchsin  in  10  cem  absolutem  Alkohol 
durch  inniges  Verreiben  löst  und  zu  je  10  cem  dieser  alkoholischen 
Fuchsinlösung  100  cem  5  proz.  wässriger  Carbolsäurelösung  zusetzt.  Die 
ZiEHi/sche  Lösung  ist  dauernd  haltbar  und  behält  ein  sehr  starkes  Fär- 
bungsvermögen. Die  Carbolsäure  wirkt  als  Beize.  Ausser  in  der  kon- 
centrierten  Form    (zur  Tuberkelbacillenfärbung)   benutzt   man    sie    mit 


KoiiLE,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  537 

Wasser    (im  Verhältnis  1 :  20)  verdünnt   (nach  R.  Peeiefer)    als    eine 
Art  Universalfärbemittel. 

2.  Methylenblau;  namentlich  in  schwach  alkalischer  Lösung 
(Löfeler's  Univers alfärbeflüssigkeit).  Bereitet  durch  Vermischen  von 
1  ccm  koncentrierter  alkoholischer  Methylenblaulösung,  die  lange 
konserviert  werden  kann,  mit  200  ccm  dest.  Wasser  und  2—4  Tropfen 
10  proz.  Kalilauge.  Die  Mischung  muss  täglich  frisch  filtriert  und 
etwa  alle  acht  Tage  frisch  bereitet  werden.  Ausserdem  hält  man 
wässrige  Lösung  vorrätig. 

3.  Gentianaviolett  (BR  nach  dem  Katalog  der  Berliner  Aktien- 
gesellschaft für  Anilinfarben,  Berlin  SO);  in  ca.  1  proz.  wässriger  Lösung. 

4.  Die  EHELiCH'schen  Farblösungen.  Dieselben  werden  her- 
gestellt durch  Mischung  von  koncentrierter  wässriger  Anilinlösung  mit 
koncentrierter  alkoholischer  Farbstofflösung  (Fuchsin,  Gentianaviolett, 
Methylviolett).  Man  schüttelt  4  ccm  Anilinöl  in  100  ccm  Wasser  und 
filtriert  die  Emulsion  durch  ein  angefeuchtetes  Filter.  Zum  Filtrate 
(dem  in  Wasser  gelösten  Anilinöl)  setzt  man  10  ccm  koncentrierter 
alkoholischer  Farbstofflösung  (1  gr  Farbstoff  auf  10  ccm  Alkohol) 
und  filtriert.  Die  EHELiCH'schen  Lösungen  werden  unverdünnt  zur 
Tuberkelbacillen-  und  GRAM'schen  Färbung,  verdünnt  zur  Färbung  fast 
aller  B akterein  benutzt. 

Methylviolett,  Gentiana  und  Dahlia  zeigen  in  besonderem  Grade 
die  Eigenschaft  der  metachromatischen  Färbung,  d.  h.  sie  färben  ver- 
schiedene Elemente  mit  einer  von  der  Grundfarbe  abweichenden  Nuance 
rötlich  bis  rot  u.  s.  w.  Das  gewöhnlich  mit  Methylviolett  verunreinigte 
Methylgrün  giebt  oft  blaue  und  zuweilen  rosa  Nuancierungen. 

c)  Besondere  Färbungsrnethoden. 

1.  Doppelfärbung. 

Zur  besseren  Differenzierung  zwischen  Kernen  und  Spaltpilzen  sind 
zuweilen  die  Doppelfärbungen  sehr  geeignet;  erwähnt  sei  z.B.  die 
Tinktion  mit  Pikrokarmin  und  Gentiana,  die  darauf  beruht,  dass  Karmin 
den  violetten  Farbenton  aus  den  Kernen  zu  vertreiben  vermag,  aber 
nicht  aus  Bacillen.  Die  Schnitte  werden  erst  in  Gentianalösung  ge- 
bracht, dann  in  Alkohol,  dann  zur  Entfernung  des  Alkohols  auf  einen 
Moment  in  Wasser,  darauf  in  WEiGERT'sche  Pikrokarminlösung.  Nach 
% — 1  stündigem  Verweilen  kommen  sie  in  Wasser,  Alkohol,  Nelkenöl, 
Balsam.  Die  Zellkerne  erscheinen  dann  rot,  die  Bacillen  blau  gefärbt.  — 
Aktinomycesdrusen  lassen  sich  durch  Behandlung  mit  WEDi/scher 
Orseille  (V.  Bd.  74)  und  dann  mit  Gentiana  rothblau  färben. 


538  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

2.  Färbung  der  Tuberkelbacillen. 

Tuberkelbacillen  werden  am  besten  nach  folgender  Methode  ge- 
färbt, welche  sich  eng  an  die  von  Ehelich  hierfür  angegebene  Methode 
anschliesst.  Auf  die  mit  Sputum  nach  der  oben  gegebenen  Vorschrift  be- 
strichenen und  erhitzten  Deckgläschen  wird  koncentrierte  ZiEHi/sche 
Lösung  getropft,  bis  die  Fläche  ganz  damit  bedeckt  ist.  Durch  vor- 
sichtiges Auf-  und  Niederführen  der  mit  CoRNETscher  Pinzette  ge- 
haltenen Deckgläschen  über  einer  Gasflamme  erwärmt  man  die  Flüssig- 
keit, bis  sie  eben  dampft  (nach  Rindfleisch).  Dann  lässt  man  die 
Deckgläschen,  mit  der  erwärmten  Flüssigkeit  bedeckt,  1 — 2  Minuten 
stehen,  spült  sie  hierauf  mit  "Wasser  ab  und  taucht  sie  so  lange  in 
20  proz.  Salpetersäurelösung,  bis  die  violette  Farbe  des  Präparats  ver- 
schwunden ist.  Dann  werden  die  Deckgläschen  in  60  proz.  Alkohol  so 
lange  abgespült,  bis  die  Schicht  auf  den  Deckgläschen  nur  noch  einen 
ganz  blassroten  Farbenton  zeigt.  Nach  Abspülung  in  Wasser  färbt  man 
mit  verdünnter  wässriger  Methylenblaulösung  einige  Sekunden  nach, 
trocknet  das  Präparat  und  schliesst  es  in  Kanadabalsam  ein.  Schnitte, 
in  welchen  man  Tuberkelbacillen  färben  will,  bringt  man  in  ein  Schäl- 
chen  mit  koncentrierter  Carbolfuchsinlösung  und  belässt  das 
Schälchen  im  Brütschrank  bei  37°  C.  1 — 2  Stunden  lang.  Man  über- 
trägt dann  die  Schnitte  in  Wasser  und  nach  kurzer  Abspülung  aus 
diesem  in  60  proz.  Alkohol,  dem  auf  100  ccm  20  Tropfen  einer  Mineral- 
säure zugesetzt  sind,  und  zwar  nochmals  in  frische  Gläschen.  Aus 
dem  sauren  Alkohol  gelangen  die  Schnitte  in  Wasser,  um  sorgfältig 
gespült  zu  werden.  Darauf  erfolgt  die  Kontrastfärbung  in  stark  ver- 
dünnter wässriger  Methylenblaulösung,  Differenzierung  in  absolutem 
Alkohol.  Die  Weiterbehandlung  erfolgt  nun  wie  gewöhnlich.  Man 
erhält  so  Bilder,  in  welchen  die  Tuberkelbacillen  rot,  Zellkerne  und 
Zellen  blau  gefärbt  sind.  Von  anderen  Spaltpilzen,  welche  die  Färbung 
der  Tuberkelbacillen  zeigen,  sind  bisher  nur  die  Leprabacillen  bekannt. 
Ausserdem  färben  sich  noch  einige  sonstige  Objekte,  so  die  Epidermoidal- 
gebilde,  Schimmelpilzsporen,  eventuell  Bacillensporen,  sowie  feine  im 
Sputum  zuweilen  vorkommende  Fettnadeln  mit  der  Farbe  der 
Tuberkelbacillen;  die  Fettnadeln  sind  jedoch  in  Äther  und  Chloroform 
leicht  löslich  (Celli  und  Guarnieri). 

Betreffs  der  sehr  zahlreichen  sonstigen,  zur  Tuberkelbacillenfärbung 
empfohlenen  Methoden  s.  die  Spezialschriften  von  Plaut  '),  Kaatzer  2), 

CZAPLEWSKI3). 


1)  Plaut,  Färbungsmethoden  u.  s.  w.    2.  Aufl.   1885. 

2)  Kaatzer,    Die   Technik    der  Sputumuntersuchung    auf  Tuberkelbacillen. 
2.  Aufl.    1885. 

3)  Die  Untersuchung  des  Auswurfs  auf  Tuberkelbacillen.    Jena  1891. 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  539 

Über  die  Färbung  der  sogenannten  Syphilisbakterien  und  der 
Smegmabacillen  s.  Bd.  II 

3.  Universalmethoden. 

Methoden,  welche  für  die  Färbung  aller  Bakterien  im  Gewebe  ge- 
eignet sind  und  daher  als  Universalmethoden  bezeichnet  werden  können, 
sind  von  Löeeler  und.  R.  Peeieeer  angegeben  worden. 

«)  Löpfler's  Methode. 

Nach  Löeeler' s  Anweisung  (M.  G.  II)  werden  die  Schnitte  einige 
Minuten  (bei  Tuberkel-  und  Leprabacillenfärbung  einige  Stunden)  in 
eine  Lösung  gelegt,  die  aus  30  ccm  koncentrierter  alkoholischer  Lösung 
von  Methylenblau  und  100  ccm  einer  Kalilaugelösung  1  :  10000  zu- 
sammengesetzt ist.  Zur  Differenzierung  gelangen  die  gefärbten  Schnitte 
einige  Sekunden  in  1  proz.  Essigsäurelösung,  zur  Entwässrung  in  Al- 
kohol, zur  Aufhellung  in  Xylol,  von  da  zur  Konservierung  in  Kanada- 
balsam. 

ß)  Ppeifper's  Methode. 

Bei  Ausführung  der  Peeieeer' sehen  Färbung,  die  nur  für  Tuberkel- 
und  Leprabacillen  nicht  geeignet  ist,  verfährt  man  so,  dass  man  die 
Schnitte  \  Stunde  in  verdünnte  ZiEHi/sche  Lösung  legt  und  dann  in 
Alkohol  absolutus,  der  ganz  schwach  mit  Essigsäure  angesäuert  ist, 
überträgt.  „Hier  müssen  die  Schnitte  sorgfältig  überwacht  werden. 
Sobald  die  ursprünglich  fast  schwarzrote  Färbung  in  einen  eigentümlich 
rotvioletten  Farbenton  abgeblasst  ist,  werden  sie  sofort  in  Xylol  auf- 
gehellt." Will  man  die  Präparate  konservieren,  so  kann  man'sie  direkt 
aus  dem  Xylol  in  Kanada  übertragen  (R.  Peeieeer,  Ätiologie  der 
Influenza.  Z.  XIII). 

4.  Gram's  Methode. 

Zur  Differentialfärbung  der  Bakterien  im  Gewebe,  sowie  als  Mittel 
zur  diagnostischen  Unterscheidung  mancher  Bakterienarten,  auch  bei 
Deckglaspräparaten,  ist  die  GnAM'sche  Methode  vorzüglich  geeignet. 
Hierzu  sind  erforderlich:  1.  Anilinwassergentianaviolettlösung  nach 
Ehelich  (s.  oben),  2.  Jod-Jodkaliumlösung  (Jod  1  gr,  Jodkalium  2  gr, 
Wasser  300  gr).  Man  bringt  die  Schnitte  aus  absolutem  Alkohol  in  die 
Farblösung,  lässt  sie  dort  3 — 4  Minten  und  überträgt  sie  nach  Abspülung 
mit  Wasser  dann  in  die  Jod-Jodkaliumlösung.  Die  Schnitte  bleiben 
1 — 2  Minuten  in  der  Jodlösung  und  werden  dabei  glänzend  schwarz. 
Sie  werden  dann  in  absoluten  Alkohol  gebracht,  in  dem  sie  sich  unter 
Bildung  einer  purpurroten  Farbstoffwolke  entfärben,  darauf  in  Xylol  u.  s.w. 
Gewebe  und  Kerne  erscheinen  schliesslich  schwach  gelblich,  die  Spalt- 


540  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

pilze  dagegen  äusserst  intensiv  blau  bis  schwarz  gefärbt.  Mit  Ausstrich- 
präparaten wird  ebenso  verfahren. 

In  der  Hand  des  geübten  und  erfahrenen  Bakteriologen  liefert  die 
GrRAM'sche  Methode  bei  genauer  Einhaltung  dieser  Vorschrift  meist 
gute  Bilder.  Doch  versagt  die  Methode  zuweilen  dadurch,  dass  keine 
völlige  Kern  entfärb  ung  eintritt,  und  dass  Farbstoffniederschläge  sich 
bilden,  oder  auch  dadurch,  dass  die  Bakterien  mit  entfärbt  werden. 
Aus  diesem  Grunde  sind  Modifikationen  der  GRAM'schen  Methode  ein- 
geführt worden,  von  denen  hauptsächlich  zwei,  weil  sehr  brauchbar,  in 
ausgedehnterem  Masse  Anwendung  gefunden  haben:  die  Gram-Günther- 
sche  sowie  die  Weigert 's  che  Methode.  Günther  benutzt  ausser 
Alkohol  3  proz.  Salzsäure- Alkohol  zur  Entfärbung.  Weigert's  Methode 
war  ursprünglich  für  die  Färbung  des  Fibrins  bestimmt  und  wird 
auch  unter  dem  Namen  der  WEiGERT'schen  Fibrinnuethode  be- 
schrieben. Das  Fibrin  behält  nämlich  in  gleicher  Weise,  wie  manche 
Bakterien,  die  blaue  Farbe  bei  dieser  Behandlungsweise.  Aus  der 
Anilinwassergentianaviolettlösung  bringt  Weigert  die  Schnitte  auf  den 
Objektträger,  tropft  dann  Jod- Jodkaliumlösung  darauf,  bis  der  Schnitt 
glänzend  schwarz  erscheint,  und  nach  Abtupfung  derselben  Anilinöl. 
Diese  Färbung  auf  dem  Objektträger  hat  die  Vorteile,  dass  einmal  die 
Schnitte  sich  gut  ausbreiten  lassen  und  nicht  zusammenrollen,  und 
zweitens  der  Verlauf  der  Färbung  unter  dem  Mikroskop  beobachtet 
und  verfolgt  werden  kann.  Es  wird  daher  so  lange  Anilinöl  auf  den 
Schnitt  getropft,  bis  die  Besichtigung  mit  schwacher  Vergrösserung 
eine  Entfärbung  der  Gewebskerne  erkennen  lässt.  Ist  dieser  Zeitpunkt 
eingetreten,  so  wird  das  Anilinöl,  durch  welches  der  Schnitt  zugleich 
entwässert  ist,  wieder  abgetupft,  der  Rest  mit  Xylol  entfernt  und  der 
Schnitt  in  Kanadabalsam  eingeschlossen. 

Statt  des  Anilinwassergentianaviolett  hat  Kühne  mit  gutem  Erfolg 
Krystallviolett  angewandt.  Die  zur  Färbung  dienende  Lösung  stellt 
man  sich  nach  Kühne  so  her,  dass  man  eine  koncentrierte  alkoholische 
Krystallviolettlösung  (1  gr  Kryst.  auf  10  ccm  Alkohol)  mit  leicht  durch 
einige  Tropfen  Salzsäure  angesäuertem  Wasser  im  Verhältnis  1  :  10 
mischt.  Die  mit  Krystallviolett  gefärbten  Schnitte  geben  die  schönsten 
Bilder.  Die  weitere  Behandlung  der  Schnitte  geschieht  dann  nach 
Weigert's  Methode. 

Es  empfiehlt  sich,  bei  der  GRAM'schen  Färbemethode  eine  Gegen- 
färbung der  Schnitte  vorzunehmen,  damit  die  Bakterien  leichter 
zu  erkennen  sind  und  in  ihrer  Lage  zu  den  Zellelementen  prägnanter 
hervortreten.  Benutzt  man  zur  Gegenfärbung  Fuchsin  oder  Bimarck- 
braun,  so  erscheinen  etwaige,  nicht  nach  Gram  färbbare  Mikro- 
organismen in   der  Gegenfarbe,    also  rot  oder  braun  gefärbt.     Wo   es 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  54 \ 

auf  eine  Gegenfärbung  von  solchen  Mikroorganismen  nicht  ankommt, 
verwendet  man  am  besten  Karmin  oder  Pikrokarmin  oder  Lithion- 
karmin  zur  Kontrastfärbung  des  Gewebes.  Am  vorteilhaftesten  ist  es, 
die  Gegenfärbung  vor  dem  GBAM'schen  Verfahren  anzuwenden.  Man 
kann  die  vorgefärbten  Schnitte  dann,  unbeschadet  der  späteren  Färbung 
differenzieren  und  von  Farbstoffniederschlägen  nötigenfalls  befreien, 
was  nach  Ausführung  der  GBAM'schen  Färbung  für  die  Farbe  der 
Bakterien  schädlich  sein  kann. 

Die  Benutzung  der  GRAM'schen  Methode  zur  Differenzierung 
von  Bakterien. 

Die  Bakterien  zeigen  nun  gegenüber  der  GRAM'schen  Färbungs- 
methode (und  ihren  Modifikationen)  ein  verschiedenartiges  Verhalten, 
nach  dem  sie  in  zwei  Klassen  geschieden  werden  können:  sie  bleiben 
entweder  gefärbt,  oder  sie  entfärben  sich  bei  dem  Verfahren. 

Es  färben  sich  von  den  pathogenen  Bakterien  nach  Gram: 
pyogene  Staphylokokken,  Streptokokken,  Diplokokkus  pneumoniae 
(Fränkel),  Mikrokokkus  tetragenus,  Milzbrandbacillus,  Tuberkelbacillus, 
Leprabacillus,  Bacillus  der  Mäuseseptikämie  und  des  Schweinerotlaufs, 
Tetanusbacillus,  Diphtheriebacillus. 

Es  färben  sich  nicht  nach  Gram:  Gonokokkus,  Bacillus  des 
malignen  Ödems,  Rauschbrandbacillus,  Typhusbacillus,  Rotzbacillus,  In- 
fluenzabacillus,  Vibrionen,  Spirillen  und  Spirochäten,  Hühnercholera-, 
Kaninchenseptikämie- ,  Schweine-,  "Wild-,  Rinderseuchebacillen,  Fried- 
länder's  Kapselbacillus. 

IV.    Färbung  von  Bacillensporen. 

Färbung  der  Sporen  verschiedener  Bacillen  wurde  zuerst  von 
Buchner  (C.  VIII),  dann  von  Htjeppe  (1.  c.)  erzielt.  Man  verwendet  dazu 
eine  stärkere  Erhitzung  der  ausgestrichenen  Deckglaspräparate,  welche 
man  nicht  3  mal,  sondern  6 — 10  mal  durch  die  Flamme  zieht,  oder  x/4 — V2 
Stunde  im  Trockenschrank  bei  180 — 200°  C.  belässt.  Nach  dieserBehand- 
lung  nehmen  die  Sporen  die  gewöhnlichen  Anilinfarben  auf.  —  Nach 
Neisser  gelangt  man  auch  zur  Färbung  der  Sporen  durch  Anwendung 
der  zur  Tuberkelbacillenfärbung  benutzten  Lösungen  unter  gleichzeitiger 
Erwärmung.  Die  in  gewöhnlicher  Weise  vorbereiteten  Deckglaspräparate 
lässt  man  auf  ca.80 — 90°  C.  warmen  Carbol-Fuchsinlösungen  10 — 20 — 40 
Minuten  schwimmen  und  behandelt  dann  weiter  wie  bei  den  Tuberkel- 
präparaten. Man  erhält  so  die  Sporen  rot,  die  Bacillen  blau  gefärbt. 
—  Durch  Einwirkenlassen  von  Säuren  (koncentrierte  Schwefelsäure 
25  Sekunden  lang  oder  5proz.  Chromsäurelösung  einige  Minuten  [Möller, 


542  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

C.  X]  lang)  auf  die  Sporen  vor  der  eigentlichen  Färbung  erleichtert  man 
das  Eindringen  des  Farbstoffs  in  die  Sporen  sehr,  in  analoger  Weise  wie 
durch  das  starke  Erhitzen.  Die  Anwendung  der  Säuren  ist  der  starken 
Erhitzung  vorzuziehen. 

V.    Geisseifärbung. 

Für  die  Färbung  der  überaus  feinen  Bakteriengeisselfäden  sind 
mehrere  Methoden  im  Gebrauch.  Am  verbreitetsten  ist  die  von  Löfflee 
(C.  VI  u.  C.  VII)  angegebene  Geisselfärbungsmethode,  deren  Charakteris- 
tikum die  Anwendung  einer  Beize  vor  der  eigentlichen  Färbung  ist.  Um 
das  Verfahren  anzuwenden,  verteilt  man  auf  sorgfältig  von  Fett  und  Staub 
(am  besten  durch  längeres  Ausglühen  auf  Blech)  gereinigten  Deck- 
gläschen ein  Tröpfchen  einer  Aufschwemmung  der  betreffenden 
Bakterien,  die  von  frischen  Agarkulturen  stammen.  Um  Niederschläge 
zu  vermeiden,  ist  es  unbedingt  notwendig,  eine  sehr  stark  verdünnte 
Aufschwemmung  der  Bakterien  zu  benutzen,  indem  man  z.  B.  auf 
10  ccm  Wasser  diejenige  Menge,  welche  beim  Berühren  der  Kultur  an 
einer  Platinnadel  haften  bleibt,  verteilt.  Es  empfiehlt  sich,  die  Auf- 
schwemmung in  einem  Spitzglase  einige  Zeit  stehen  zu  lassen.  Die 
unbeweglichen  Bakterien  sinken  dann  zu  Boden,  während  in  den  oberen 
Schichten  die  mit  wohlerhaltenen,  gut  färbbaren  Geissein  versehenen 
Exemplare  sich  befinden.  Hierauf  wird  die  Schicht  in  der  Flamme 
unter  Vermeidung  zu  grosser  Erhitzung  fixiert,  was  am  besten  da- 
durch erreicht  wird,  dass  man  das  Deckglas  zwischen  den  Fingern 
durch  die  Flamme  zieht.  Nun  wird  auf  das  Deckglas  eine  Beize 
gebracht,  welche  besteht  aus  10  ccm  20proz.  Tanninlösung  (20  Tann. 
+  80  Wasser),  5  ccm  kalt  gesättigter  Ferrosulfatlösung  (20  Eisenvitriol 
+  30  kaltes  Wasser),  1  ccm  wässriger  oder  alkoholischer  Fuchsinlösung. 
Der  Beize,  welche  mit  zunehmendem  Alter  immer  besser  wird,  muss 
ausserdem  noch  entweder  Alkali  oder  Säure  zugesetzt  werden,  was  für 
jede  Bakterienart  empirisch  bestimmt  werden  muss.  Unter  Hin-  und 
Herneigen  des  Deckgläschens  wird  die  Flüssigkeit  über  der  Flamme 
bis  zum  schwachen  Dampfen  erwärmt,  dann  mit  Wasser  abgespült 
und  durch  eine  gesättigte  Anilinwasser-Fuchsinlösung  ersetzt,  der  man, 
um  den  Zustand  der  höchsten  Färbekraft,  denjenigen  der  Schwebe- 
fällung zu  erreichen,  noch  etwas  Natronlauge  zufügen  kann.  Nach 
einer  Einwirkungsdauer  von  einigen  Minuten  wird  die  Flüssigkeit  mit 
Wasser  entfernt  und  das  Präparat  in  der  üblichen  Weise  weiter  be- 
handelt. Nach  Löfflee's  Methode  lassen  sich  die  Geisseifäden  aller 
geisseltragenden  Bakterien  färben,  oft  allerdings  unter  grosser  Mühe 
und  nach  vielem  Probieren.  Die  erhaltenen  Bilder  sind  bei  richtiger 
Ausführung  der  Färbung  sehr  klar,  ohne  Niederschläge  und  zur  photo- 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  543 

graphischen  "Wiedergabe  vielfach  benutzt  (s.  d.  mikrophotograph.  Atlas 
d.  Bakterienkunde  von  C.  Feänkel  u.  R.  Peeiefee.  Berlin,  Hirsch- 
wald 1894). 

In  der  Zusammensetzung  der  Beize  hat  neuerdings  R.  Bunge  (F. 
XII.  12)  eine  Modifikation  angegeben.  Bei  Anwendung  der  Bunge- 
schen  Beize  ist  der  Zusatz  von  Alkali  oder  Säure,  wie  er  bei  der 
LöEELEE'schen  Beize  in  einer  für  jede  Bakterienart  besonders  fest- 
zustellenden Menge  geschehen  muss,  nicht  notwendig.  Bunge  stellte 
die  Beize  her,  indem  er  3  Teile  einer  wässrigen  koncentrierten  Tannin- 
lösung mit  1  Teil  einer  wässrigen  Lösung  von  Liq.  Ferr.  sesquichlor. 
(1 :  20)  mischte  und  zu  10  ccm  dieser  Mischung  1  ccm  Fuchsinlösung 
setzte.  Die  Beize  ist  erst  nach  einiger  Zeit  verwendbar.  Sie  giebt 
dann  ohne  weitere  Zusätze  bei  allen  Bakterienarten  gleich  gute  und 
niederschlagsfreie  Bilder. 

Ein  auf  anderen  Prinzipien,  als  die  bisher  beschriebenen,  beruhen- 
des Verfahren  hat  van  Eemengem  (Une  nouvelle  methode  etc.  1894)  für  die 
Geisseifärbung  angegeben.  Das  Verfahren  ist  besonders  da  zu  empfehlen, 
wo  es  sich  um  den  Nachweis  handelt,  ob  überhaupt  bei  einer  Bakterienart 
Geissein  vorhanden  sind  oder  nicht.  Für  Präparate,  welche  photogra- 
phisch wiedergegeben  werden  sollen,  eignet  es  sich  wegen  der  kaum  zu 
vermeidenden  Niederschläge  weniger.  Bei  Ausführung  ist  nach  folgender 
Vorschrift  van  Eemengem's  zu  verfahren.  Auf  Deckgläschen,  welche  in 
einer  Mischung  von  Kali  bichromic.  und  Acid.  sulfur.  conc.  aa  60,0  und 
1000,0  Wasser  gekocht,  dann  mit  Wasser  sowie  Alkohol  abgespült 
und  getrocknet  sind,  wird  in  der  oben  beschriebenen  Weise  die  zu 
untersuchende  Bakterienmasse  von  frischen  Agarkulturen  gebracht. 
Nach  Fixierung  der  Schicht  wird  eine  Beize,  bestehend  aus  1  Teil  einer 
2proz.  Lösung  von  Acid.  osmic.  und  2  Teilen  lOproz.  Tanninlösung, 
5  Minuten  lang  zur  Einwirkung  gebracht  bei  massiger  Erwärmung 
derselben.  Nachdem  die  Deckgläschen  wieder  mit  Wasser  und  abso- 
lutem Alkohol  abgespült  sind,  werden  sie  einige  Sekunden  in  eine 
0,5proz.  Silbernitratlösung  getaucht,  darauf  ohne  Abspülung  in  eine 
Lösung  von  Acid.  gallic.  5,0,  Tannin  3,0,  Kai.  acet.  pur.  10,0  in 
350,0  Wasser.  Nach  einigen  Augenblicken  bringt  man  das  Präparat 
unter  fortwährendem  Bewegen  in  die  Silbernitratlösung  und  nach  noch- 
maliger Eintauchung  in  die  andere  Lösung  wieder  in  das  Silberbad 
zurück,  solange  bis  sich  das  Silberbad  zu  schwärzen  beginnt.  Nach 
Abspülung  in  Wasser  wird  das  Präparat  in  gewöhnlicher  Weise  zur 
mikroskopischen  Untersuchung  fertig  gemacht. 

Bei  allen  Geisselfärbungsmethoden  erscheinen  die  Bakterien,  welche 
zugleich  mit  den  Geissein  mitgefärbt  werden,  unter  sonst  gleichen  Be- 
dingungen bedeutend  grösser  als  bei    gewöhnlicher  Färbung.     Es  hat 


544  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

dies  darin  seinen  Grund,  dass  die  bei  den  gewöhnlichen  Tinktionen 
nicht  gefärbte  protoplasmatische  Hülle  der  Bakterien  infolge  der  Beizung 
bei  der  Geisseifärbung  sich  intensiv  mitfärbt. 

VI.  Konservierung  mikroskopischer  Präparate. 

Zum  Konservieren  der  Präparate  kann  man  Kanadabalsamr 
Dammarlack,  koncentrierte  Lösung  von  essigsaurem  Kali  oder  Glycerin 
verwenden,  letzteres  nur  für  die  mit  glycerinh altiger  Lösung  von 
Anilinbraun  gefärbten  Präparate.  —  Für  das  Einlegen  von  Schimmel- 
und  Hefepilzen  eignet  sich  am  besten  Glyceringelatine  (1  Teil  Gelatine, 
6  Teile  Wasser,  7  Teile  Glycerin,  1%  Carbolsäure  zusammen  erwärmt 
und  filtriert). 

VII.  Mikroskopische  Durchmusterung  der  Präparate. 

Zur  Untersuchung  der  Präparate  sind  nur  die  besten  Mikroskope 
geeignet.  Für  die  grösseren  Spaltpilzformen  (Milzbrandbacillen  u.  s.  w.) 
sind  Trockensysteme  ausreichend,  für  alle  feineren  Formen  bedarf 
man  der  besten  Ol-Immersionen1).  Zeiss  in  Jena  hat  in  Verbindung 
mit  Abbe  die  denkbar  vollkommensten  Mikroskopsysteme  in  Gestalt  der 
Apochromaten  konstruiert.  Bei  den  Apochromatsystemen  sind  in- 
folge geeigneter  Gläserkombinationen  in  allen  Zonen  mehr  als  zwei 
Farben  des  Spektrums  korrigiert,  so  dass  nur  das  Tertiärspektrum  übrig 
bleibt.  Ausserdem  ist  die  sphärische  Aberration  fast  völlig  ausgeglichen. 
Diejenigen  Teile  des  Sehfeldes,  in  welchen  die  richtige  Farben- 
oder sphärische  Korrektion  trotzdem  nicht  ganz  erreicht  ist,  erhalten 
durch  eigens  konstruierte  Okularsysteme  eine  Ausgleichung.  Diese 
sog.  Kompensationsokulare  sind  nämlich  so  konstruiert,  dass  sie  den 
entgegensetzten  Fehler  wie  die  Objektive  aufweisen.  Man  erhält  so 
mittelst  dieser  Systeme  Bilder,  welche  frei  von  Chromasie  und 
sphärischen  Aberrationen  sind.  —  Um  die  gefärbten  Mikroorganismen 
im  Gewebe  erkennen  zu  können,  ist  ausserdem  noch  eine  besondere 
Beleuchtung  erforderlich.  Am  vorteilhaftesten  würde  es  selbstver- 
ständlich sein,  wenn  man  ein  reines  Farbenbild  vor  Augen  bekäme, 
(1.  h.  wenn  Kanadabalsam  und  Gewebe  von  ganz  gleichem  Brechungs- 
vermögen  und  infolge  dessen  von  dem  Gewebe  gar  nichts,  die  Bakterien 
aber  nur  vermöge  ihrer  Färbung  zu  sehen  wären.  Nun  differieren  aber 
für  gewöhnlich  die  verschiedenen  Teile  des  Gewebes  in  ihrem  Licht- 
brechungsvermögen vom  Kanadabalsam  und  erzeugen  durch  Diffraktion 

1)  Oel-Tmmersionen  und  Beleuchtungsapparate  werden  in  vorzüglicher  Aus- 
führung geliefert  von  Zeiss,  Seibert  u.  Kraft,  Leitz  und  R.  Winkel.  —  Farb- 
stoffe und  sonstige  Utensilien  sind  zu  beziehen  von  Dr.  Grübleb  in  Leipzig. 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  545 

der  durchgehenden  Lichtstrahlen  ein  aus  Linien  und  Schatten  be- 
stehendes Strukturbild,  welches  das  Farbenbild  verdeckt.  Es  muss 
demnach  wo  möglich  angestrebt  werden,  die  Diffraktionserscheinungen 
und  das  Strukturbild  möglichst  zum  Verschwinden  zu  bringen,  und 
dies    ist    möglich    durch   Anwendung    eines   passenden   Beleuchtungs- 


Betrachtet  man  ein  mikroskopisches  Präparat  bei  einer  Beleuchtung  mit 
zuerst  schmalem  und  dann  immer  breiter  werdendem,  aber  immer  gleich 
langem  Lichtkegel,  so  verschwinden  die  Diffraktionserscheinungen  und  das 
Strukturbild,  welche  bei  engster  Blende  am  intensivsten  waren,  allmählich  immer 
mehr,  und  in  demselben  Masse,  in  dem  das  Strukturbild  abnimmt,  wird  das 
Farbenbild  intensiver  und  schärfer.  Es  muss  daher  wo  möglich  ein  Beleuchtungs- 
kegel von  so  grosser  Oeffnung  zur  Beleuchtung  verwandt  werden,  dass  die  Dif- 
fraktionserscheinungen gänzlich  zum  Verschwinden  gebracht  werden.  Ein  In- 
strument, welches  diesen  Zweck  vollständig  erreicht,  hat  Koch  in  dem  von  Abbe 
angegebenen  und  von  Zeiss  angefertigten  Beleuchtungsapparat  gefunden. 
Derselbe  besteht  aus  einer  Linsenkombination,  deren  Brennprunkt  nur  einige 
Millimeter  von  der  Frontlinse  entfernt  ist.  Wenn  die  kombinierte  Beleuchtungs- 
linse also  in  der  Öffnung  des  Mikroskoptisches  und  zwar  ein  wenig  tiefer  als  die 
Tischebene  sich  befindet,  dann  fällt  der  Brennpunkt  mit  dem  zu  beobachtenden 
Objekt  zusammen  und  letzteres  erhält  in  dieser  Stellung  die  günstigste  Beleuch- 
tung. Der  Öffnungswinkel  der  ausfahrenden  Strahlen  ist  so  gross,  dass  die 
äussersten  derselben  in  einer  Wasserschicht  fast  16°  gegen  die  Axe  geneigt  sind, 
der  gesamte  wirksame  Lichtkegel  demnach  eine  Öffnung  von  120°,  also  eine 
grössere  Öffnung  als  irgend  ein  anderer  Kondensor  besitzt.  Die  Lichtstrahlen 
werden  dem  Linsensystem  durch  einen  Spiegel,  der  nur  um  einen  festen  Punkt 
in  der  Axe  des  Mikroskops  drehbar  ist,  zugeführt.  Zwischen  Spiegel  und  Linse, 
nahe  dem  Brennpunkt  des  ersteren,  befindet  sich  ein  Träger  für  Blenden,  die 
ausserdem  seitlich  und  kreisförmig  beweglich  sind,  so  dass  der  Beleuchtende 
Strahlenkegel  in  jeder  beliebigen  Weise  verändert  werden  kann.  Durch  mehr 
oder  weniger  grosse  Blendenöffnung  wird  auch  die  Öffnung  des  Strahlenkegels 
von  der  kleinsten  bis  zur  grössten  mit  der  Beleuchtungslinie  überhaupt  zu  er- 
zielenden modifiziert.  Seitliche  Verschiebung  der  Blendenöffnung  giebt  ohne  Be- 
wegung des  Spiegels  schiefe  Beleuchtung  und  mit  Hilfe  einer  centralen  Ab- 
biendung kann  der  mittlere  Teil  des  Kegels  ausgeschaltet  werden. 

VIII.  Photographische  Abbildung  von  Bakterien. 

Die  beste  Wiedergabe  der  unter  dem  Mikroskop  beobachteten 
Bilder  liefert  die  Photographie.  Die  photographische  Platte  giebt  ob- 
jektiv die  Erscheinungsformen,  wie  sie  auf  sie  wirken,  wieder  und 
besitzt  daher  den  Wert  eines  Dokuments.  Dabei  ist  die  Schärfe 
der  photographischen  Bilder  eine  grössere,  als  diejenige  der  direkt  auf 
unserer  Netzhaut  durch  das  Mikroskop  entworfenen. 

Die  lichtempfindliche  Platte  ist  gewissermassen    ein   Auge,    wel- 
ches nicht  durch  helles  Licht  geblendet  wird,    welches    nicht  bei  der 
Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  35 


546  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

anhaltenden  Unterscheidung  der  geringsten  Lichtunterschiede  ermüdet 
und  das  nicht  durch  Glaskörpertrübungen  oder  andere  Fehler  behin- 
dert wird.  Oft  findet  man  auf  dem  Negativ,  wenn  das  Bild  nur  scharf 
eingestellt  gewesen  war,  feine  Objekte,  z.  B.  feinste  Geisseifäden,  welche 
man  nachträglich  nur  mit  äusserster  Mühe  und  unter  den  günstigsten 
Beleuchtungsverhältnissen  im  Mikroskop  erblicken  kann.  Das  Photo- 
graphieren  von  mikroskopischen  Präparaten  schärft  daher  auch  das 
Auge  des  Mikroskopikers  und  zwingt  ihn,  seine  Präparate  so  voll- 
kommen als  möglich  herzustellen,  indem  es  auch  die  Fehler  mit  un- 
beirrter  Redlichkeit  wiederspiegelt. 

Die  Demonstration  von  schwierigen  Objekten  vor  Anderen,  nament- 
lich des  Mikroskopierens  Unkundigen,  ist  kaum  auf  andere  Weise 
als  mit  Hilfe  von  Photogrammen  möglich.  Auch  bei  der  Vorführung 
und  Erklärung  mikroskopischer  Objekte  vor  mehreren  Personen  gleich- 
zeitig, wo  nicht  von  jedem  einzelnen  der  Zuhörer,  sondern  nur  von 
einem  zur  Zeit  das  Mikroskop  benutzt  werden  kann,  ist  das  Mikro- 
photogramm  unentbehrlich. 

Gegenüber  diesen  grossen  Vorzügen,  auf  welche  zuerst  R.  Koch, 
der  erste  Darsteller  von  Bakterienphotogrammen,  hingewiesen  hat, 
treten  die  Mängel,  bestehend  in  der  Wiedergabe  nur  einer  Ebene 
eines  räumlich  sehr  beschränkten  Teiles  des  Präparats  und  in  der 
Schwierigkeit  der  Technik,  so  in  den  Hintergrund,  dass  die  photogra- 
phische Darstellung  von  Bakterienpräparaten  ein  sehr  wichtiger,  not- 
wendiger Bestandtheil  der  Untersuchungsmethoden  geworden  ist. 

Zur  Herstellung  von  Mikrophotogrammen  benutzt  man  am  besten 
den  allen  Anforderungen  der  neueren  Technik  Rechnung  tragenden,  in 
Fig.  15  wiedergegebenen  mikrophotographischen  Apparat  von  Zeiss 
(Jena),  bestehend  aus  drei  Teilen:  der  Beleuchtungsvorrichtung,  dem 
Mikroskop  mit  Zubehör  und  der  Kamera.  Die  drei  Teile  sind  hinter- 
einander horizontal  angeordnet  und  zweckmässig  mit  einander  verbunden. 
Die  Aufstellung  des  ganzen  Apparates  hat  am  besten  im  Erdgeschoss  des 
Gebäudes  auf  eingemauerten  Pfeilern  stattzufinden,  damit  die  Erschütte- 
rung während  der  Expositionszeit  eine  möglichst  geringe  ist.  Die  beste 
Lichtquelle  bietet  Sonnenlicht,  das  vermittelst  eines  Heliostaten  aufge- 
fangen wird.  Einen  Ersatz  für  das  Sonnenlicht  hat  man  in  Cirkonlicht. 
Die  Lichtquelle  und  der  Abbe 'sehe  Beleuchtungsapparat  müssen  so  zu  ein- 
ander gestellt  sein,  dass  in  der  zu  photographierenden  Ebene  des  Objekts 
ein  scharfes  Bild  der  Lichtquelle  entsteht,  so  dass  keine  Diffraktionsräume 
auftreten  können.  Es  sind  zu  diesem  Zwecke  Mikrometerschrauben  an 
dem  Abbe 'sehen  Beleuchtungsapparat  angebracht,  vermöge  deren  eine 
genaue  „Centrierung"  desselben  sowie  der  Objektivlinsen  möglich  ist. 
Die  Objektivsysteme  des  Mikroskops  sind  so  konstruiert,  dass  nur  bei 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


547 


einer  bestimmten  Brennweite    (meist  160  mm)    ein   scharfes  Bild   des 
Objekts  aufgefangen  wird.   Damit  auch  bei  stärkeren  Vergrösserungen, 


Fig.  15. 
wobei  der  auffangende  Schirm  vom  Objektiv  entfernt  wird,  ein  scharfes 
Bild  auf  der  lichtempfindlichen  Platte  erscheint,   ist  die  Einschaltung 

35* 


548  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

von  sog.  Projektionsokularen  zwischen  Objektiv  und  Platte  not- 
v^endig. 

Man  kann  ungefärbte  und  gefärbte  Objekte  zur  Darstellung  bringen. 
Die  mit  Fuchsin,  Methylenblau  oder  Methylviolett  gefärbten  Präpa- 
rate werden  unter  Anwendung  eines  grünen  Lichtfilters  (Zettnow,  C.IV. 
2.  1888)  auf  orthochromatischen,  d.  h.  mit  Erythrosin  durchtränk- 
ten Platten  photographiert.  Bei  der  photographischen  Aufnahme 
ungefärbter  Präparate  verwendet  man,  schon  um  die  Wärmestrahlen 
auszuschliessen,  Kupferoxyd-Ammoniakfilter.  Es  genügen  dann  ge- 
wöhnliche Bromsilbergelatineplatten. 

Jeder,  der  Mikrophotogramme  herstellen  will,  muss  das  gewöhn- 
liche photographische  Verfahren  sicher  beherrschen.  Die  speziellen 
mikrophotographischen  Methoden  bieten  aber  in  Einzelheiten  noch  viel 
Schwierigkeiten  und  erfordern  ein  genaues  Studium.  Wer  sich  daher 
eingehender  über  Mikrophotographie  informieren  will,  findet  in  dem 
trefflichen  Werke  von  R.  Neuhauss  (Anleitung  zur  Mikrophoto- 
graphie. Braunschweig  1890)  die  beste  Belehrung.  Als  Muster  vor- 
züglicher Photogramme  sollen  die  Mikrophotogramme  R.  Koch's 
in  Cohn's  Beitr.  Bd.  2  und  in  den  Mittheilungen  aus  dem  Kaiser!. 
Gesundheitsamt  Bd.  1,  sowie  diejenigen  von  R.  Peeiefer  und  C.FRÄn- 
KEL  in  ihrem  mikrophotographischen  Atlas  der  Bakterienkunde  nicht 
unerwähnt  bleiben.  Das  eingehendere  Studium  derselben  mit  Hilfe  der 
Lupe  wird  nicht  nur  für  den  Bakteriologen  von  Fach,  sondern  auch 
für  alle,  die  selbst  nicht  oder  wenig  bakteriologisch  arbeiten,  empfeh- 
lenswerth  und  nutzbringend  sein. 

IX.  Zur  Differentialdiagnose  der  Bakterien. 

Eine  Verwechselung  von  Spaltpilzen,  namentlich  von  Mikro- 
kokken,  ist  möglich  mit  Kerndetritus,  der  aber  ungleich  grosse  und 
nicht  regelmässig  gruppierte  Körnchen  zeigt;  ferner  findet  man  zu- 
weilen kleine  Tröpfchen  oder  Kügelchen,  die  sich  mit  kernfärbenden 
Mitteln  fingieren  und  deren  Zugehörigkeit  noch  zweifelhaft  ist. 
Namentlich  leicht  ist  aber  eine  Verwechselung  möglich  mit  den  Ehr- 
EiCH'scheri  Mastzellen  (Plasmazellen,  granulierte  Zellen),  die  sich 
ausserordentlich  verbreitet  finden  und  bei  den  verschiedensten  patho- 
logischen Prozessen  an  Zahl  erheblich  zunehmen.  Die  gleichmässig 
runden  Körnchen  dieser  Zellen  werden  meist  ebenso  oder  in  ganz 
ähnlicher  Nuance  wie  die  Spaltpilze  gefärbt;  eine  Unterscheidung 
zwischen  beiden  ist  oft  nur  durch  die  Lagerungsverhältnisse  und 
namentlich  dadurch  möglich,  dass  eben  bei  den  Mastzellen  die  fingier- 
ten Körnchen  stets  zu  zellenähnlichen  Gebilden  gruppiert  sind.  — 
Handelt  es  sich  darum,   jede  Verwechselung  mit  thierischen  Gewebs- 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


549 


theilen  auszuschliessen,  so  kann  noch  ein  besonderes  Verfahren  zur 
Anwendung  gelangen.  Werden  nämlich  nach  der  Anilinfärbung  die 
Schnitte  anstatt  mit  Essigsäure  oder  Alkohol  mit  einer  schwachen 
Lösung  von  kohlensaurem  Kali  behandelt,  dann  verlieren  auch  die 
Kerne  und  Plasmazellen,  überhaupt  alles  thierische  Gewebe,  den  Farb- 
stoff wieder,  und  die  Spaltpilze  bleiben  ganz  allein  gefärbt  (Koch). 

B.  Die  künstliche  Kultur  der  Mikroorganismen. 

Zum  näheren  Studium  der  Eigenschaften  aufgefundener  Mikro- 
organismen ist  deren  künstliche  Züchtung  durchaus  erforderlich. 

I.  Gefässe  für  die  Kultivierung. 

Als  G  e  f  ä  s  s  e  *)  benutzt  man  für  diesen  Zweck  am  häufigsten  dickwan- 
dige Reagensgläser  oder  Kolben  verschiedener  Grösse,  ambesten  sogenannte 
ERLENMEYERsche  (Fig.  16)  mit  flachem  Boden,  oder  Glasschalen  von 
ca.  12  cm  Durchmesser   und    mit  1 — 2    cm    hohen    senkrechten  Wan- 


Fig.  16. 


Fig.  17. 


düngen  (sog.  PETEi'sche  Schalen,  hauptsächlich  bei  der  Plattenmethode  [s.u.] 
gebraucht)  (Fig.  17).  Für  manche  Fälle,  wo  man  auf  grösseren  Oberflächen 
Kulturen  erzielen  will,  z.  B.  bei  Massenkulturen,  sind  flachere,  ähnliche 
Schalen  mit  2  parallelen  ebenen  Flächen  zu  empfehlen.  Am  ovalen  Halse 
dieser  16: 18  cm  grossen  Schalen,  die  mit  Wattepfropfen  verschlossen  wer- 
den, ist  ein  vorspringender  Falz  vorhanden,  um  das  in  den  Schalen  befind- 

1)  Die  nähere  Beschreibung  der  zur  Kultur  von  Bakterien  erforderlichen 
Apparate  und  Utensilien  ist  aus  den  Spezialkatalogen  der  Firmen  zu  entnehmen, 
von  welchen  alle  diese  Artikel  bezogen  werden  können.  Empfohlen  sei  vor 
allem:    F.  u.  M.  Lautenschläger,  Berlin  NW. 


550 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


liehe  Nährniediuin  beim  Erstarren  vor  dem  Ausfliessen  aus  den  horizontal 
liegenden  Schalen  zu  verhindern  (Kolle)  (Fig.  18).  Als  pilzdichten 
Verschluss  wählt  man  für  alle  Gefässe  einen  Wattepfropfen,  der  ca. 
3  cm  lang  in  den  Hals   der  Gefässe  hineinragt  und  oben  1  cm  hoch 


Fig.  18. 

übersteht;  derselbe  soll  nicht  zu  fest  an  den  Wandungen  anliegen,  damit 
nicht  durch  Furchen  der  kompakten  Masse  durchlässige  Kanäle  her- 
gestellt werden.  Von  Pasteur  sind  kleine  Kölbchen  (matras)  eingeführt, 
auf  deren  Hals  zunächst  ein  kleiner  Helm  (Fig.  19) 
aufgeschliffen  ist,  und  erst  dieser  Helm  trägt  einen 
Wattepfropf  (a).  Diese  Kölbchen  sind  namentlich 
geeignet  für  Kulturfiüssigkeiten,  von  denen  häufiger 
abgeimpft  werden  soll;  man  braucht  dann  nicht  den 
Wattepfropfen  mit  seinen  anhängenden  Staubteilchen 
abzunehmen,  sondern  hebt  eventuell  den  Helm  ab.  — 
Für  gewöhnlich  sind  jedoch  diese  Vorsichtsmassregeln 
völlig  überflüssig;  bei  einer  wiederholten  Öffnung  der 
Kulturgläser  genügt  es,  den  nach  aussen  vorstehenden 
und  eventuell  staubhaltigen  Teil  des  Wattepfropfens 
in  der  Flamme  eines  Bunsenbrenners  leicht  abzu- 
sengen, um  die  Gefahr  hineinfallender  Keime  fast  völlig  zu  be- 
seitigen. 

IL   Die  Nährsubstrate. 
a)  Allgemeines. 

Die  Zusammensetzung  derselben  muss  entsprechend  dem  oben 
über  die  Lebensbedingungen  der  niederen  Pilze  gesagten  vor  allem 
die  nötigen  Nährstoffe,  C-haltige,  N-haltige  Stoffe  und  Mineralsub- 
stanzen, enthalten;  dabei  hängt  die  Güte  der  Nährlösung  ab  von  der 
Nährtüchtigkeit  der  gewählten  Stoffe,  ferner  davon,  ob  ihre  vorhandene 
Menge  sich  dem  Koncentrationsoptimum  möglichst  nähert,  ob  die  Re- 


Fig.  19. 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchimg  der  Mikroorganismen.  55  \ 

aktion  dein  betreffenden  Pilze  zusagt,  ob  und  in  welcher  Menge  Sauer- 
stoff zugegen  ist  u.  s.  w. 

"Will  man  Schimmelpilze  züchten  und  gegen  das  Eindringen 
von  Spaltpilzen  schützen,  so  ist  vor  allem  der  Wassergehalt  gering,  das 
Substrat  also  fest  und  die  Reaktion  stark  sauer  zu  wählen;  für  Spross- 
pilze bieten  Flüssigkeiten  mit  nicht  so  stark,  aber  doch  noch  energisch 
saurer  Reaktion  und  reichlichem  Zuckergehalt  die  günstigsten  Be- 
dingungen; für  Spaltpilze  sind  neutrale  oder  alkalische,  wasserreiche 
Substrate  am  geeignetsten. 

Als  Nährböden  wählt  man  für  Schimmelpilze  Dekokte  von  getrockneten 
Pflaumen  und  Rosinen,  Dekokte  von  frischem  Mist  von  Pflanzenfressern,  Ab- 
kochung von  Hefe  mit  starkem  Zuckerzusatz ,  ausgestrichenen  Mist  von  Pflanzen- 
fressern, Scheiben  von  ungesäuertem  Brot,  das  noch  mit  verschiedenen  Dekokten 
gedüngt  wird,  Brotbrei  u.  s.w.  Die  Ansäuerung  der  Substrate,  wenn  diese  noch 
nicht  hinreichend  sauer  reagieren,  erfolgt  mit  Weinsäure  (je  nach  der  Koncen- 
tration der  Nährlösung  2 — 5  %)  oder  Phosphorsäure  (V2— 1  %)•  —  Für 
Sprosspilze  wählt  man  Malzdekokt,  Bierwürze,  Most  oder  eines  der  oben  ge- 
nannten Dekokte  mit  Traubenzuckerlösung  versetzt. 

Von  historischem  Interesse  sind  die  von  Pasteur,  Cohn  und 
Nägeli  für  Spaltpilze  angegebenen  rein  künstlichen  Nährlösungen. 
Die  Zusammensetzung  derselben  soll  hier  kurz  angegeben  werden,  weil 
in  neuester  Zeit  (s.  u.)  für  die  Züchtung  pathogener  Bakterien  künst- 
liche Nährböden  Verwendung  gefunden  haben,  bei  deren  Herstellung 
von  den  Lösungen  der  drei  genannten  Autoren  ausgegangen  wurde. 

Pasteur' s  Nährlösung  bestand  aus  100  Teilen  Wasser,  10  Teilen  Kandis- 
zucker, 1  Teil  weinsauren  Ammon  und  Asche  von  1  Teil  Hefe,  deren  Gewicht 
etwa  0,075  der  Mischung  beträgt.  Cohn  wählte  folgende  Zusammensetzung: 
0,1  gr  phosphorsaures  Kali,  0,1  gr  krystallisierte  schwefelsaure  Magnesia,  0,01  gr 
dreibasisch  phosphorsauren  Kalk,  20  gr  destilliertes  Wasser,  0,2  gr  weinsaures 
Ammon.  — 

Diese  und  ähnliche  Nährlösungen  litten  au  verschiedenen,  von  Nägeli  auf- 
gedeckten Fehlern.  Nägeli  empfahl  auf  Grund  seiner  zahlreichen  Experimente 
über  den  Ernährungsmechanismus  der  niederen  Pilze  folgende  Lösungen  als  Nor  mal - 
flüssigkeiten  für  Spaltpilze  (aus  denen  durch  Zusatz  von  Zucker  und  Säure 
leicht  solche  für  Schimmel-  und  Sprosspilze  hergestellt  werden  können): 

1.  Wasser  100  ccm,  weinsaures  Ammon  lgr,  Dikaliumphosphat  (K2HP04)  0,1  gr, 
Magnesiumsulfat  (MgS04)  0,02  gr,  Calciumchlorid  (CaCl2)  0,01  gr. 

Statt  des  weinsauren  Ammons  kann  auch  essigsaures,  milchsaures  Ammon 
u.  s.  w.  oder  auch  Asparagin,  Leucin  gewählt  werden. 

2.  Wasser  100  ccm,  Eiweisspepton  oder  lösliches  Eiweiss  1  gr,  K2HP04  0,2  gr, 
MgS04  0,04  gr,  CaCl2  0,02  gr. 

3.  Wasser  100  ccm,  Rohrzucker  3  gr,  weinsaures  Ammon  1  gr,   Mineralstoffe 


552  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

Alle  diese  Nährsubstrate  sind  für  die  Züchtung  der  pathogenen 
Bakterien  mehr  oder  weniger  ungeeignet.  Die  Krankheitserreger 
verlangen  offenbar  stets  gewisse  Mengen  von  Eiweiss  und  Pepton, 
eventuell  auch  Zucker  und  sind  gegen  Abweichungen  der  Nährsub- 
strate sehr  empfindlich.  Für  die  meisten  Arten  müssen  die  günstigsten, 
in  engen  Grenzen  schwankenden  Nährbedingungen  speziell  ausprobiert 
werden. 

Am  besten  geeignet  sind  folgende  Nährlösungen:  Fleischinfus  (in 
derselben  Weise  wie  zur  Herstellung  der  Nährgelatine  bereitet),  Fleisch- 
infus mit  1  °/0  Pepton  und  2  °/0  Dextrose,  Fleischextraktlösung 
(Liebig's  Fleischextrakt  1  pro  Mille)  mit  Pepton  und  Dextrose,  Milch, 
Molke,  Blutserum.  Ferner  eine  Reihe  von  festweichen  Nährsubstraten: 
Mischungen  der  Nährlösungen  mit  erstarrenden  Agentien,  Gelatine  oder 
Agar,  eventuell  mit  Blut  bestrichen,  z.  B.  als  Blutagar  (R.  Pfeiffer) 
oder  mit  Zusatz  verschiedener  Chemikalien,  z.  B.  Glycerin  als  Glycerin- 
agar,  erstarrtes  Blutserum,  gekochte  Kartoffeln.  Sämtliche  Nährsub- 
strate müssen  neutralisiert  werden,  bis  schwach  alkalische  Reaktion 
vorhanden  ist;  bei  stark  saurer  Reaktion  der  Substrate  geschieht  dies 
mit  koncentrierter  wässriger  Sodalösung,  welche  man  so  lange  zusetzt, 
bis  rotes  Lakmuspapier  ausgesprochen  blaue  Farbe  zeigt.  Bei  geringerem 
Säureüberschuss  des  Substrats  wird  von  manchen  Autoren  die  Alkali- 
sierung  mit  Dinatriumphosphat  empfohlen. 

b)  Künstliche  Nährlösungen  für  die  pathogenen  Bakterien. 

In  ähnlicher  Weise,  wie  von  Pasteur,  Cohn,  Nägeei  für  die  saprophytischen 
Spaltpilze,  sind  auch  für  die  pathogenen  Bakterien  rein  künstliche  Nährlösungen 
angegeben.  Zuerst  hat  Uschinsky  (C.  IV.  10)  einen  eiweissfreien  Nähr- 
boden empfohlen,  in  dem  enthalten  waren:  "Wasser  1000,  Glycerin  40 — 50, 
Chlornatrium  5 — 7,  Chlorcalcium  0,1,  Magnesiumsulfat  0,2,  Dikaliumphosphat  1,0, 
Ammonium  lacticum.  In  etwas  abweichender  Weise  hat  Maässen  (K.  A.)  einen 
eiweissfreien  Nährboden  zusammengesetzt,  auf  dem  vor  allem  der  Choleravibrio 
gut  wächst.  Maassen's  Nährlösung  besteht  aus:  7  gr  Äpfelsäure,  10  gr  Asparagin, 
0,4  gr  Magnesiumsulfat,  2,0  gr  sekundärem  Natriumphosphat,  2,5  gr  kristallisierter 
reiner  Soda  und  0,01  gr  trockenem  Calciumchlorid  auf  1000,0  Wasser  und  einem 
Kohlehydrat,  z.  B.  Traubenzucker  %— 1  °/0. 

In  beiden  Nährlösungen  entstehen  beim  Erhitzen  Niederschläge,  wodurch 
nicht  nur  die  Nährkraft  der  Lösung,  sondern  auch  ihre  Brauchbarkeit  für  Kultur- 
zwecke beeinträchtigt  wird. 

Während  die  angegebenen  Nährböden  rein  empirisch  zusammengestellt  sind, 
haben  neuerdings  Proskauer  und  Beck  (Z.  XYIII)  in  systematischer  Weise  nach  Art 
der  agrikulturchemischen  Bestimmungen  eiweiss-  und  peptonfreie  Nährböden  zu- 
sammengestellt, in  denen  nur  die  für  eine  Bakterienart  unbedingt  notwendigen 
Stoffe,  und  zwar  nur  in  der  für  eine  bestimmte  Wachstumszeit  notwendigen  Menge 
vorhanden  waren.    Bei  Untersuchungen  über  die  Entwicklung  der  Tuberkelbacillen 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


553 


fanden  die  genannten  Forscher  z.  B.,  dass  diese  Bakterien  Phosphate,  Magnesium- 
salze,  Alkali  (Natrium  oder  Kalium),  Schwefel,  gewisse  N-haltige  Verbindungen  (haupt- 
sächlich Amidosäuren  und  Ammoniumsalze)  und  Glycerin  in  bestimmten  Mengen 
zum  Wachstum  gebrauchen.  C.  Fränkel  (R.  IV.  1894)  hat  nach  denselben  Prin- 
zipien zusammengesetzte  Nährböden  für  Cholera-,  Eotz-,  Milzbrandbakterien  und 
Streptokokken  angegeben. 

Für  das  nähere  Stu- 
dium der  Chemie  der 
Bakterienzelle  und  der 
von  ihr  gelieferten  Gift- 
stoffe ist  die  Züchtung 
der  Bakterien,  vor  allem 
der  pathogenen,  in  die- 
sen künstlichen  Nährlö- 
sungen von  hoher  Be- 
deutung. 

Während  nämlich 
bei  der  chemischen  Be- 
handlung von  Bakterien- 
kulturen in  Bouillon, 
Pepton  u.s.  w.  die  in  die- 
sen Nährsubstraten  ent- 
haltenen Eiweisskörper 
mit  in  die  Niederschläge 
gehen  und  die  Reindar- 
stellung, der  wirksamen 
Substanzen  erschweren, 
wenn  nicht  unmöglich 
machen,  ist  bei  Benutzung 
der  künstlichen  Nährlö- 
sungen zur  Kultur  die 
Möglichkeit  vorhanden, 
die  wirksamen  Substan- 
zen der  Bakterien  zu  iso- 
lieren und  chemisch  rein 
darzustellen. 

Alle  Nährsubstrate  und  Gefässe  müssen  vor  der  Verwendung  zur 
Kultur  gründlich  sterilisiert,  d.  h.  von  lebensfähigen  Keimen  befreit 
sein.     Dies  wird  erreicht  durch  Erhitzen  der  Gefässe  (Probierröhrchen 


Fig.  20.1) 


1)  Die  zu  dieser  Figur,  sowie  den  meisten  folgenden  benutzten  Cliches  ver- 
danke ich  der  Liebenswürdigkeit  der  Firma  Lautenschläger. 


554 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


mit  Wattepfropf  u.  s.  w.)  im  kupfernen  oder  eisernen  Trockenschrank 
auf  150 — 180°  C.  während  1  Stunde;  die  Watte  wird  dabei  schwach  ge- 
bräunt; die  Temperaturen  pflegen  an  den  verschiedenen  Stellen  der 
Öfen  sehr  ungleich  zu  sein,  und  es  ist  daher  auszuprobieren,  in  welcher 
Weise  die  richtige  Erhitzung  und  Verfärbung  der  Watte  zustande 
kommt.     Am  besten  eignen  sich  Apparate,  wie  sie  beifolgende  Fig.  20 


Fig.  21. 


Fig.  22. 


zeigt.  In  dem  zwischen  beiden  Wänden  des  Kastens  befindlichen  Hohl- 
raum führen  die  Röhrchen  a,  b,  c,  d,  e,  f  die  kalte  Luft  nach  unten  zum 
Brenner,  der  keine  andere  Luftzufuhr  hat.  Es  findet  dabei  eine  Vor- 
wärmung der  Luft  statt,  so  dass  in  kurzer  Zeit  schon  hohe  Temperaturen 
(200°  C.)   erreicht  werden  können,  mit  gleichmässiger  Verteilung  der 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  555 

Wanne.  Grössere  Schalen  werden  mit  Sublimatlösung  (1 :  2000)  aus- 
gespült, danach  wiederholt  mit  durch  Kochen  sterilisiertem  destillierten 
Wasser  resp.  mit  absolutem  Alkohol.  —  Das  Einfüllen  der  Nähr- 
substrate in  die  Reagensgläser  muss  so  geschehen,  dass  die  Wandung 
des  Glases  nicht  benetzt  wird;  es  würde  sonst  der  zum  Verschluss 
dienende  Wattepfropf  leicht  anhaften.  Sehr  zu  empfehlen  ist  eine 
Abfüllvorrichtung,  und  zwar,  wenn  man  gleich  die  Mengenverhältnisse 
berücksichtigen  will,  einTRESKOw'scher  Fülltrichter  (Fig.  21).  An  dem- 
selben befindet  sich  unten  ein  mit  rechtwinkliger  Bohrung  versehener 
Hahn,  von  dem  ein  kleines  Messrohr  L-förmig  nach  oben  abgeht.  In 
das  Messrohr  strömt  bei  der  ersten  Drehung  des  Hahns  das  Nähr- 
material ein,  während  bei  der  zweiten  Drehung  die  nunmehr  abgemessene 
Flüssigkeitsmenge  in  ein  untergehaltenes  Gefäss  abfliesst.  —  Die  Nähr- 
substrate werden,  nachdem  sie  in  die  sterilisierten  Gefässe  eingefüllt 
sind,  durch  Kochen  im  Dampfofen  von  Keimen  befreit;  sie  bleiben 
15  Minuten  im  strömenden  Dampf,  dann  bis  zum  nächsten  Tag  bei 
15 — 20°  C,  so  dass  etwa  lebend  gebliebene  Sporen  auskeimen  können; 
man  wiederholt  am  zweiten  Tag  die  5  Minuten  dauernde  Erhitzung 
und  am  dritten  Tag  abermals  (Fig.  22).  —  Bei  Blutserum,  das  klar  und 
durchsichtig  erhalten  werden  soll,  verwendet  man  nur  Temperaturen  von 
55 — 60  °  und  wiederholt  deren  mehrstündige  Einwirkung  an  5 — 6  Tagen. 

III.  Besondere  Vorschriften  für  die  Bereitung  einiger  Nähr- 
substrate. 

Kartoffeln.  Geschälte  Kartoffeln  werden  für  ^Stunde  inSublimat- 
lösung  eingelegt,  um  die  resistenten  Sporen  in  den  anhaftenden  Erdpar- 
tikelchen zu  töten;  dann  werden  sie  mit  sterilisiertem  Wasser  abgespült 
und  entweder  Scheiben  aus  ihnen  geschnitten,  welche  in  kleine  Doppel- 
schälchen  gelegt  werden,  oder  mit  einem  Kartoffelbohrer  (nach  Kral) 
aus  den  Kartoffeln  kleine  Cylinder  hergestellt,  welche  man  schräg 
durchteilt  und  in  Reagensgläser  bringt.  Die  Schälchen  und  Reagens- 
gläser mit  den  Kartoffeln  werden  dann  an  3  auf  einander  folgenden 
Tagen  je  1  Stunde  im  Dampf kochtopf  sterilisiert. 

Nährbouillon,  Nährgelatine  und  Agar-Agar.  1  Kilo  gutes, 
fettfreies  Rindfleisch  wird  gehackt  und  mit  2  Liter  Wasser  übergössen; 
nach  24  stündigem  Stehen  bei  15 — 20  °  C.  wird  die  Flüssigkeit  abgeseit  und 
der  Rückstand  gut  ausgepresst.  Das  Infus  wird  in  Kolben  verteilt  und 
1  Stunde  im  Dampfofen  gekocht,  dann  filtriert.  Um  eine  Nährlösung 
zu  erhalten,  fügt  man  zum  Filtrat  1  °/0  Pepton,  \  °/0  Kochsalz  und 
neutralisiert  mit  Sodalösung;  dann  wird  nochmals  aufgekocht,  filtriert, 
in  die  Kulturgefässe  eingefüllt  und  diese  im  Dampfofen  sterilisiert.  — 


556 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


Soll  ein  festes  Substrat  erhalten  werden,  so  fügt  man  ausser  Pepton 
und  Kochsalz  5 — 10  °/0  Gelatine  oder  1  °/0  Agar-Agar  zu.  Die 
Gelatine  wird  in  der  Wärme  gelöst,  dann  wird  die  Mischung  neutrali- 
siert, 10  Minuten  in  strömendem  Dampf  gekocht  und  nitriert,  eventuell 
unter  Zuhilfenahme  einesWärmetrichters  (Fig.  231)).  Wird  das  Filtrat 
nicht  klar,  so  muss  nochmals  aufgekocht  oder  vorher  etwas  Eier-Eiweiss 
zugefügt  werden.  Das  klare  Filtrat  wird  in  die  Reagensgläser  oder 
Kölbchen  eingegossen  und  in  diesen  an 
3  Tagen  je  5  Minuten  im  Dampfofen 
sterilisiert.  —  Die  Agargemische  müssen 
sehr  lange,  10—12  Stunden,  über  freier, 
kleiner  Flamme  in  fortdauerndem  massigen 
Aufwallen  erhalten  werden  unter  unge- 
fährem Ersatz  des  verdunsteten  Wassers; 
danach  filtriert  man  im  Wärmetrichter 
oder  giesst  in  einen  höheren  Cylinder  und 
hält  diesen  in  warmem  Wasser,  bis  Ab- 
setzen der  Trübungen  erfolgt  ist;  dann 
lässt  man  erstarren,  schneidet  den  oberen 
geklärten  Theil  ab,  löst  denselben  durch 
Siedhitze  und  verteilt  ihn  in  die  Kultur- 
gefässe;  diese  werden  dann  durch  lj2  stün- 
digen Aufenthalt  im  strömenden  Dampf 
nochmals  sterilisiert. 

Blutserum.  Blut  wird,  wo  möglich 
unter  aseptischen  Cautelen,  in  ein  sterili- 
siertes Gefäss  (grossen  Champagnerkelch) 
aufgefangen  und  mit  sterilisierter  aufge- 
schliffener Glasplatte  bedeckt;  nach  48 
Stunden  pipettiert  man  das  klare  Serum 
Fig.  23.  direkt   in    die    Kulturgefässe   und   erhitzt 

in  diesen  auf  68 — 70  °  C,  bis  das  Serum 
erstarrt  ist.  Die  nachfolgende  Prüfung  im  Brütofen  zeigt  dann  ge- 
wöhnlich, dass  die  grösste  Zahl  der  Proben  steril  geblieben  ist.  —  War 
die  aseptische  Entnahme  des  Blutes  nicht  möglich,  dann  muss  zunächst 


1)  Die  Konstruktion  der  Heisswasser-  oder  Wärrnetrichter  ist,  wie  aus  vor- 
stehender Figur  ersichtlich  ist,  eine  derartige,  dass  in  einem  mit  Heisswasser  ge- 
füllten Trichter  sich  der  mit  dem  zu  filtrierenden  Nährmedium  gefüllte  Glastrichter 
befindet.  Der  Hals  des  Glastrichters  durchsetzt  den  Hals  des  äusseren  Trichters; 
zwischen  beiden  ist  eine  wasserdichte  Stopfung.  Das  Wasser  des  Wämietrichters 
wird  auf  konstantem  Niveau  erhalten  und  durch  Gasflämmchen.  die  an  der  Spitze 
des  Trichters  sich  befinden,  erwärmt. 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  557 

durch  diskontinuirliches  Erhitzen  auf  55  °C.  sterilisiert  werden  (s.  oben). 
—  Statt  des  Tötens  der  Keime  kann  man  zuweilen  auch  die  Befreiung 
der  Nährsubstrate  von  denselben  mittelst  Filtration  durch  Kiesel- 
gurfilter  versuchen  (Bitter). 

Blutagar,  zur  Züchtung  von  Influenzabacillen  hauptsächlich 
benutzt,  wird  nach  R.  Pfeiffers  (Ätiologie  der  Influenza.  Z.  XIII) 
Vorschrift  mit  menschlichem  Blut  oder  Taubenblut  bereitet.  Das 
erstere  gewinnt  man  leicht  aus  dem  mit  Alkohol  und  Äther  des- 
infizierten Ohrläppchen  durch  einen  kleinen  Schnitt  und  Auffangen 
der  herauscpiellenden  Tropfen  mit  der  Platinöse,  das  letztere  aus  der 
grossen  Flügelvene  der  Taube.  Nach  Desinfektion  der  Haut,  von 
der  die  Federn  entfernt  sind,  schneidet  man  die  oberflächliche  Vene 
an  und  lässt  das  Blut  direkt  in  ein  steriles  Reagensglas  fiiessen. 
Das  Blut  wird  auf  der  Oberfläche  schräg  in  Röhrchen  erstarrten 
Agars  verstrichen.  Um  die  Sterilität  des  so  bereiteten  Nährbodens  zu 
kontrollieren,  werden  die  Röhrchen  vor  der  Benutzung  einen  Tag  im 
Brütschrank  bei  37°  C.  gelassen. 

Deycke's  Nährboden  mit  Alkalialbuminat.  Einen  Nähr- 
boden, dessen  wesentlichste  Nährstoffe  ausser  Pepton  Alkalialbumi- 
nate  sind,  hat  Deycke  angegeben.  Mehrere  pathogene  Bakterien 
wachsen  auf  demselben  in  üppigster,  zum  Teil  charakteristischer 
Weise,  so  vor  allem  Vibrionen  und  nach  einigen  Angaben  auch  der 
Diphtheriebacillus.  Bei  der  bakteriologischen  Diagnose  der  betreffenden 
Bakterienkrankheiten  kann  der  ÜEYCKE'sche  Nährboden  daher  ge- 
gebenenfalls mit  benutzt  werden. 

Nach  Deycke's  Vorschrift  (C.  XVII)  werden  zur  Herstellung  des  Sub- 
strats 1000  gr  Fleisch  mit  1200  ccm  3  proz.  Kalilauge  24  Stunden  digeriert. 
Die  abfiltrierte  klare,  dunkelbraune  Flüssigkeit  wird  vorsichtig  mit 
reiner  Salzsäure  versetzt,  bis  ein  Niederschlag  entsteht.  Die  so  aus- 
fallenden Albuminate  werden  auf  einem  Tuchfilter  gesammelt  und, 
mit  wenig  Flüssigkeit  aufgerührt,  deutlich  alkalisch  gemacht.  Um 
eine  Lösung  derselben  von  bestimmtem  Prozentgehalt  herstellen  zu 
können,  wird  der  Trockengehalt  bestimmt,  oder  die  Flüssigkeit  wird 
eingedampft  und  zu  Pulver  eingetrocknet.  Am  geeignetsten  fand 
Deycke  eine  2]/2Proz.  Lösung  derartiger  Alkalialbuminate,  der  1% 
Pepton,  1 00  Na  Gl  und  Gelatine  oder  Agar  zugesetzt  werden. 

Petruschky's  Molke.  Zur  Bestimmung,  ob  eine  Bakterienart 
Säure  oder  Alkali  bildet  und  in  welchem  Grade,  sowie  für  die  da- 
durch mögliche  Differenzierung  mancher  Bakterienarten  hat  Pe- 
trtjschky  eine  neutrale  Molke  empfohlen,  welche  mit  Lakmus  gefärbt 
ist.  Ihre  Herstellung  geschieht  nach  Petruschky  (C.  VIII)  so,  dass 
1  Liter  frischer  Magermilch  mit  1  Liter  Wasser  versetzt  wird.    Nach 


558  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

kräftigem  Schütteln  wird  bei  einer  entnommenen  Probe,  z.  B.  10  ccm, 
festgestellt,  wie  viel  von  einer  vorhandenen  Salzsäurelösung  be- 
stimmter Koncentration  nöthig  ist,  um  eben  die  Gerinnung  der 
Milch  herbeizuführen.  Man  berechnet  danach  ungefähr,  welche 
Säuremenge  zur  Koagulierung  der  gesamten  Flüssigkeit  nötig  ist 
und  vermeidet  so  unter  Umständen  einen  TJeberschuss  von  Säure, 
in  dem  sich  Albuminate  lösen.  Man  setzt  die  berechnete  Säuremenge, 
nötigenfalls  noch  etwas  mehr  zur  Milch  zu,  lässt  die  Koagulation  er- 
folgen und  filtriert.  Dann  wird  das  klare  Filtrat  genau  neutralisiert 
und  gekocht.  Dabei  tritt  meist  eine  Trübung  und  saure  Reaktion 
ein.  Man  filtriert  daher  wieder,  kocht  und  neutralisiert  von  neuem 
genau.  Dann  wird  Lakmuslösung  zugesetzt,  so  dass  die  Molke  eine  vio- 
lette (amphotere  Farbe)  zeigt. 

Die  PETEUSCHKT'sche  Molke  leistet  vor  allem  bei  der  Differen- 
zierung des  Typhusbacillus  von  den  Kolonbakterien,  namentlich  den 
Alkalibildnern,  sehr  gute  Dienste.  Während  der  Typhusbacillus  nach 
eintägigem  Wachstum  der  leicht  getrübten  Molke  eine  himbeer- 
rote Farbe  verliehen  hat,  ist  durch  das  Wachstum  der  meisten  Kolon- 
bakterien die  Farbe  der  stark  getrübten  Molke  eine  ziegelrote.  Al- 
kalibildner verändern  die  Farbe  der  Molke  nicht  oder  erzeugen 
einen  blauen  Farbenton. 

Milch.  Bei  der  Herstellung  von  Milch  als  Nährboden  ist  besonders 
die  Abtötung  der  darin  als  Sporen  enthaltenen  Keime  schwierig,  welche 
meist  sehr  widerstandsfähig  sind.  Es  empfiehlt  sich  daher,  eine  fraktio- 
nierte Sterilisierung  der  Milch  an  4  aufeinander  folgenden  Tagen 
derart  vorzunehmen,  dass  die  Milch  täglich  eine  Stunde  im  Dampf- 
kochtopf und  in  der  Zwischenzeit  wo  möglich  bei  höherer  Temperatur 
(20°  C.)  gelassen  wird,  damit  etwaige  Sporen  auskeimen  können.  Bei 
dem  öfteren  Erhitzen  bekommt  die  Milch,  unbeschadet  ihrer  Brauch- 
barkeit zu  Kulturzwecken,  häufig  eine  bräunliche  Farbe. 

Peptonlösung,  1  oder  2prozentige  mit  1:2%  NaCl  und  mit  einem 
Alkaligehalt  von  10,2  °/0,  auf  festes  Natriumkarbonat  berechnet,  ist  für 
viele  Bakterien  ein  gutes  Nährsubstrat  und  wird  vor  allem  bei  dem 
Kocs'schen  Anreicherungsverfahren  der  Choleravibrionen  und  zur  Anstel- 
lung der  Cholerarot-Reaktion  benutzt.  Nicht  jedes  Peptonpräparat  eig- 
net sich  für  den  letzteren  Zweck,  als  bestes  Präparat  ist  das  Peptonum 
siccum  Witte  zu  empfehlen. 

Um  den  Grad  der  Alkalität  bez.  Acidität  der  zur  Züchtung  von 
Bakterien  benutzten  Nährböden  ganz  genau  zu  bestimmen,  wie  er  für 
manche  biologische  oder  biochemische  Untersuchungen  der  Mikro- 
organismen notwendig  sein  kann,  ist  die  Verwendung  von  Normal- 
lösungren  am  Platze.     Unter  Normallösungen  versteht  man  bekannt- 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  559 

lieh  solche  Lösungen,  welche  den  chemischen  Körper  in  dem  seinem 
Molekular-  oder  Atomgewicht  entsprechenden  Verhältnis  in  1  Liter 
Wasser  enthalten,  z.  B.  Salzsäure  (HCl)  =  36,5  gr  oder  Natriumkarbonat 
(Na2C03)  =  53  gr.  Man  giebt  den  Alkalitäts-  oder  Aciditätsgrad  des 
Nährbodens  in  Prozenten  der  Normallösungen  oder  der  aufs  zehn- 
fache mit  Wasser  verdünnten  Normallösungen  (V10  normal),  berechnet 
auf  das  Volumen  des  Nährbodens,  an.  Als  Indikatoren  benutzt  man 
meist  Lakmus  und  Phenolphtalei'nlösung. 

Alle  Nährsubstrate,  die  demnächst  zur  Kultur  verwendet  werden 
sollen,  müssen  endlich  noch  vor  ihrer  Benutzung  auf  Reinheit  geprüft 
werden,  dadurch  dass  man  sie  längere  Zeit  ev.  bei  höherer  Tem- 
peratur (30 — 35°)  stehen  lässt;  in  vollkommen  sterilisierten  Nähr- 
medien darf  dabei  keinerlei  Veränderung  vor  sich  gehen.  Gegen  Ver- 
dunstung sind  die  Substrate  durch  Ueberziehen  von  Gummikappen 
über  den  Wattepfropf  zu  schützen.  —  Mit  Gelatine  bereitete  Nähr- 
böden dürfen  einer  Bruttemperatur  von  nur  20 — 25°  C.  ausgesetzt  werden, 
weil  sie  sich  sonst  verflüssigen;  Agar-Agargemische  und  geronnenes 
Blutserum  vertragen  dagegen  ein  Erwärmen  auf  35 — 39°  C. 

IV.  Brutschränke. 

Für  die  Herstellung  der  zur  Züchtung  der  Mikroorganismen  not- 
wendigen konstanten  Temperaturen  benutzt  man  die  sog.  Brutschränke 
oder  Thermostaten,  von  denen  in  Fig.  24  ein  Modell  enthalten  ist.  Die- 
selben bestehen  aus  der  Wärmequelle  mit  Thermoregulator,  dem 
Wasserreservoir  zur  Konstanterhaltung  der  Temperatur,  sowie  drittens 
dem  Binnenraum  zur  Aufnahme  von  Utensilien.  Der  für  ein  gutes 
Funktionieren  eines  Brutschrankes  wichtigste  Bestandteil  ist  der  mit 
der  Wärmequelle  in  Verbindung  stehende  Thermoregulator.  Die  Wärme- 
quelle, von  Gas  gespeist,  ist  mit  einer  KoCH'schen  Sicherheitsvor- 
richtung (s.  Fig.  25)  versehen.  Eine  durch  die  brennende  und  wärme- 
ausstrahlende Flamme  in  Ausdehnung  befindliche  Feder  verhindert  ein 
Gewicht,  welches  beim  Auslöschen  der  Flamme  infolge  von  Windstoss 
etc.,  infolge  Erkaltung  der  Feder  sofort  die  weitere  Gaszufuhr  abschneidet, 
am  Abfallen.  Die  Gaszufuhr  für  die  brennende  Flamme,  welche  gegen 
Luftzug  durch  einen  Cylinder  (C)  möglichst  geschützt  ist,  wird  ver- 
mittelst des  sog.  Thermoregulators  geregelt.  Man  besitzt  elektrische 
und  Quecksilberregulatoren.  Die  ersteren  erforden  genaue  technische 
Kenntnisse  und  fortwährende  Beobachtung,  so  dass  sie  um  so  weniger 
für  allgemeine  Benutzung  empfohlen  werden  können,  als  häufig  Re- 
paraturen an  ihnen  vorzunehmen  sind.  Nur  in  den  Fällen,  wo  es 
darauf  ankommt,  rasch  hinter  einander  verschiedene  Temperaturen  ein- 
zustellen  (oder    bei   ganz  genauen   Beobachtungen    von   Temperatur- 


560 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


Schwankungen),  sind  die  elektrischen  den  Quecksilberregulatoren  vorzu- 
ziehen.    Denn    bei  den  letzteren  ist  die  rein  empirische,    d.  h.  durch 


Fig.  24. 

Th  =  Thermoregulator.     S  =  Sicherheitsflamuie.     T  =  Thermometer. 
B  =  Brütraum. 


Ausprobieren  erfolgende  Einstellung  des  Brutschrankes  auf  bestimmte 
Temperaturen  oft  erst  innerhalb  einiger  Tage  möglich.  Die  Konstruktion 
des  bewährtesten  Quecksilberregulators,  der  von  der  Firma  F.  u.M. Lauten- 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


561 


schläger  konstruiert  ist,  lässt  sich,  aus  Fig.  26  erkennen.  Das  an  einem 
Ende  zugeschmolzene  Glasrohr  g  ist  am  oberen  Ende  mit  dem  Metall- 
kopf K  versehen,  in  dem  sich  das  gasdicht  verschiebbare  Rohr  r  mit  Vor- 
richtung (f)  zur  Regulierung  der  Reserveflamme  befindet.  An  der 
Seite  des  Rohres  befindet  sich  die  Öffnung  b.  Durch  eine  Scheide- 
wand c  ist  das  Rohr  G  in  zwei  Hälften  zerlegt,  welche  durch  die  offene 
Spirale  Sp  mit    einander   kommunizieren.     Die    untere  Hälfte    enthält 


Quecksilber  und  Äther.  Bei  a  ist  die  Einströmungsöffnung  für  das 
Gas,  bei  b  das  Ausströmungsrohr.  Findet  nun  durch  die  unter  dem 
Brütapparat  befindliche  brennende  Flamme,  welche  zunächst  unter  vollem 
Gasdruck  brennt,  eine  Erwärmung  der  den  Thermoregulator  umgeben- 
den Wassermenge  statt,  so  steigt  infolge  dessen  das  sich  ausdehnende 
Quecksilber  durch  die  Spirale  Sp  in  den  oberen  Teil  des  Rohrs  und 
gelangt  schliesslich  bis  an  den  Schlitz  d  des  Rohrs  r,  durch  den  das 
Gas    in    den    oberen    Teil    von    G    einströmt,    und    verschliesst    den- 

Flügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  36 


562  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

selben  beim  Steigen  mehr  und  mehr.  Je  nach  der  schon  erreichten 
Höhe  wird  durch  Verschieben  des  gasdicht  verstellbaren  Rohres  r 
die  Temperatur  von  dem  Beobachter  durch  Senken  oder  Heben  des 
Rohres  reguliert.  Es  bildet  sich  dann  gewissermassen  ein  Kreislauf. 
Je  kleiner  der  Schlitz  durch  das  steigende  Quecksilber  wird,  desto 
weniger  Gas  kann  bei  b  ausströmen.  Dadurch  brennt  die  Flamme 
kleiner,  die  Temperatur  des  Wassers  (und  damit  das  Quecksilber)  sinkt; 
der  Schlitz  d  wird  infolgedessen  wieder  grösser,  es  strömt  wieder 
mehr  Gas  bei  b  aus,  die  Flamme  brennt  grösser,  die  Temperatur  des 
Wassers  (und  damit  das  Quecksilber)  steigt,  der  Schlitz  wird  wieder 
kleiner  u.  s.  f.  Damit  bei  plötzlichem  Steigen  des  Quecksilbers  der 
Schlitz  indessen  nicht  ganz  verschlossen  werden  kann,  ist  eine  Öffnung  e 
an  dem  Rohr  angebracht,  durch  welche  Gas  für  die  sog.  Reserve- 
fiamme  strömt.  Die  Gaszufuhr  für  diese  Reserveflamme,  welche  mög- 
lichst klein  sein  soll,  ist  durch  eine  Schraube  regulierbar. 

Der  zweite  Hauptteil  eines  Brutschranks,  das  Wasserreservoir, 
ist  in  dem  doppelwandigen,  aus  Kupferblech  hergestellten  Mantel,  der 
aussen  mit  Linoleum  versehen  ist,  enthalten.  Es  fasst  ca.  60  bis  70  1 
und  ist  mit  einem  Rohr  (r)  zur  Ablesung  des  Wasserstandes  sowie  mit 
einer  Vorrichtung  zur  Verteilung  des  durch  die  Flamme  erwärmten 
Wassers  versehen. 

Der  Binnenraum  zur  Aufnahme  der  Gegenstände  ist  am  besten 
in  mehrere  Etagen  abgeteilt.  Ein  Thermometer,  dessen  Skala  aussen 
ablesbar  ist,  ermöglicht  die  Kontrolle  über  den  jeweiligen  Stand  der 
Temperatur  im  Brütraume. 

V.  Die  Beschickung  der  Nährböden. 

Das  Übertragen  der  Pilze  auf  das  sterilisierte  Nährmedium 
erfolgt  unter  grösster  Vorsicht  durch  Entnahme  einer  kleinen  Probe 
des  pilzhaltigen  Materials  mittelst  geglühten  Platindrahtes  *)  und  Über- 
führung derselben,  unter  kurzer  Lüftung  des  Wattepfropfens,  auf  oder 
in  das  Nährsubstrat.  Für  manche  Zwecke  empfiehlt  es  sich,  statt  des 
Drahtes  oder  der  Ose  einen  Pinsel  zu  benutzen,  der  aus  sehr  feinen 
Platindrähten  besteht.  Die  Verteilung  des  Materials  ist  mit  diesem 
sterilisierbaren  Pinsel  eine  sehr  gleichmässige.  Bei  dieser  Übertragung 
ist  der  Zutritt  von  Luftkeimen  niemals  ganz  ausgeschlossen;  da  aber 
die  Gefahr,  dass  aus  der  Luft  verunreinigende  Keime  sich  niederlassen, 


1)  Den  Platindraht  schmilzt  man  sich  in  Glasstäbe  vermittelst  eines  Glas- 
gebläses ein.  Da  namentlich  der  dickere  Platindraht  leicht  aus  dem  Glasstabe 
sich  loslöst,  infolge  von  Abspringen  des  Glases  beim  Ausglühen,  empfiehlt  es  sich, 
Aluminiumnadelhalter  zu  benutzen  (s.  Fig.  28). 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


563 


überhaupt  viel  geringer  ist  als  die,  dass  an  den  benutzten  Gegen- 
ständen Pilze  haften,  so  erweist  sich  diese  Fehlerquelle  in  praxi  als 
nicht  so  bedeutend.  Immerhin  ist  es  geboten,  in  allen  Fällen,  wo  es 
auf  sichere  Fortführung  von  Reinkulturen  ankommt,  für  ruhige  Luft 
im  Zimmer,  Vermeiden  von  Erschütterungen  u.  s.  w.  zu  sorgen  und 
eventuell  den  Fussboden  und  die  Wände  reichlich  zu  befeuchten. 

VI.  Kulturmethoden. 

a)  Kultur  aerober  Bakterien. 

Kulturen  in  kleinem  Massstabe,  auf  hohlen  Objektträgern 
oder  in  sogenannten  Glaskammern,  dienen  namentlich  dazu,  die  Ent- 
wicklungsstadien einer  bereits  rein  gezüchteten  Bakterienart  zu  verfolgen, 
ihre  Schwärmfähigkeit  festzustellen  u.  s.  w.  —  Am  einfachsten  stellt 
man  diese  Kulturen  dadurch  her,  dass  man  einen  flachen  und  nicht  zu 


r      _,      ,        ,   „    ^^^-^        ,„„,        ^—^ 

Fig.  27. 

grossen  Tropfen  Nährlösung  auf  ein  sterilisiertes  Deckglas  bringt; 
letzteres  fasst  man  mit  geglühter  Pinzette  und  legt  es,  den  Tropfen 
nach  abwärts,  über  die  Höhlung  eines  hohl  geschliffenen,  sterilisierten 
Objektträgers.  Rings  um  die  Höhlung  des  letzteren  hat  man  vorher 
eine  kranzförmige  Schicht  von  Vaselin  aufgetragen,  die  von  dem  auf- 
gelegten Deckglas  breit  gedrückt  wird  und  einen  luftdichten  Verschluss 
liefert  (Fig.  27,  a  der  hängende  Tropfen,  b  die  Vaselinschicht,  die  den 
Rand  des  Tropfens  nicht  berühren  darf).  Man  kann  die  Entwicklung 
der  Bakterien  in  dem  Tropfen  mit  stärksten  Systemen  beobachten,  ent- 
weder mit  fixiertem  Präparat  und  unter  Anwendung  eines  heizbaren 
Objekttisches  oder  nach  der  Methode  von  Watson  Cheyne. 

Für  die  Entwicklung  mancher  Pilze  ist  eine  Zufuhr  von  Luft  not- 
wendig, die  bei  der  beschriebenen  Vorrichtung  nicht  stattfinden  kann. 
Peazmowski  hat   für   diesen  Fall   die  Einrichtung  getroffen,  dass  von 

36* 


»Gl 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


der  feuchten  Kammer  eine  kleine  Rinne  ins  Freie  führt,  die  nicht  durch 
das  Vaselin  verschlossen  wird.  —  Eine  lange  Beobachtungsdauer  ge- 
statten diese  feuchten  Kammern  nicht,  weil  der  Verschluss  mangelhaft 
ist  und  sich  nach  einigen  Tagen  Verunreinigungen,  namentlich  durch 
Schimmelpilze  hemerklich  machen.  — 

Vollkommenere  Vorrichtungen  repräsentieren  die 
Glaskammern   von   v.   Recklinghausen    und   von 
Brefeld  (Botan.  Unters,  über  Schimmelpilze.  Bd.  IV. 
9  1881).    Die  letzteren,  die  speziell  für  die  Kultur  von 

Schimmelpilzen   und   für    die   Beobachtung   mit    den 

E  stärksten  Systemen  konstruiert  sind,  bestehen  aus 
#  einem  engen  Glasrohr,  das  in  der  Mitte  zu  einer  von 
oben  und  unten  bis  fast  zur  Berührung  der  Pole  zu- 
sammengedrückten Kugel  erweitert  ist.  Die  Wan- 
c  düngen  der  Kammer  haben  nur  Deckglasdicke  und 
sind  so  flach,  dass  innen  ein  gleichmässig  dünner 
Überzug  von  Flüssigkeiten  aufs  leichteste  hergestellt 
werden  kann.  In  solche  vollkommen  gereinigte  und 
mit  Äther  und  dann  mit  kochendem  Wasser  von  an- 
H  haftendem  Fett  u.  s.  w.  befreite  Glaskammern  wird 
|^  dann  die  mit  dem  zu  untersuchenden  Pilz  beschickte 
6  Nährlösung  so  eingesogen,  dass  sie  die  Innenwand 
o^  der  Kammer  nur  schwach  überzieht,  und  dass  auf 
ci  der  glatten,  gleichmässig  dünnen  Fläche  die  Fixierung 
eines  Keimes  mit  starken  Systemen  .tagelang  ohne 
Störung  möglich  ist. 
Kulturen  in  grösserem  Massstabe  werden  entweder  in 'flüssigen 
oder  auf  festen  Nähr  Substraten  angelegt.  Die  letzteren  sind  zur 
Herstellung  und  Erhaltung  reiner  Kulturen  bei  weitem  geeigneter, 
ebenso  bieten  sie  das  beste  Mittel  zur  Isolierung  einzelner  Bakterien- 
arten aus  einem  Gemenge.  Feste  Nährmedien  sind  schon  früher  häufig 
benutzt  worden,  aber  R.  Koch  hat  dieselben  erst  in  bewusster  Absicht, 
um  damit  Reinkulturen  zu  erzielen,  verwandt.  —  Während  in  Flüssig- 
keiten die  ausgesäten  und  die  zufällig  hineingelangenden  Organismen 
sich  mit  einander  vermischen,  so  dass  spärlicher  entwickelte  unter  der 
grösseren  Zahl  rascher  entwickelter  Pilze  kaum  herauszuerkennen  sind, 
bleiben  auf  einem  festen  Substrat  die  einzelnen  Arten  viel  leichter 
isoliert.  Impft  man  eine  Bakterienart  auf  verschiedene  Stellen  eines 
festen  Nährbodens,  so  bilden  sich  an  jeder  Impfstelle  kleine,  bald 
deutlich  makroskopisch  sichtbare  Kolonien;  siedeln  sich  nun  zufällig 
auf  demselben  Nährboden  fremde  Spaltpilze  an,  so  bilden  diese  ihrer- 
seits   gesonderte   Kolonien,    die    gewöhnlich    mit   den    geimpften    sich 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  565 

nicht  vermengen  und  sich  durch  Farbe,  Form  oder  Konsistenz  von 
jenen  unterscheiden.  Gerät  aber  auch  etwa  ein  fremder  Keim  in  eine 
der  früheren  Impfkolonien  und  vermehrt  sich  auf  demselben  Terrain, 
so  wird  sich  meist  schon  das  äussere  Ansehen  der  Kolonie  verändern, 
eventuell  wird  durch  eine  einfache  mikroskopische  Untersuchung  fest- 
zustellen sein,  ob  an  einer  Stelle,  die  man  zum  Üb  erimpfen  auf  einen 
neuen  Nährboden  wählen  will,  Verunreinigungen  oder  Bakterien  nur 
von  der  einen  Art  sich  finden.  Ausschliesslich  die  völlig  rein  be- 
fundenen Stellen  benutzt  man  zur  zweiten  Übertragung,  und  gerade 
in  dieser  Sicherheit,  mit  der  das  Material  zu  jeder  weiteren  Impfung 
ausgesucht  werden  kann,  liegt  ein  wesentlicher  Vorteil  gegenüber 
den  flüssigen  Nährsubstraten.  Wenn  in  letzteren  einmal  fremde  Pilze 
sich  finden,  so  verbreiten  sie  sich  im  ganzen  Medium,  und  es  ist  reiner 
Zufall,  wenn  bei  der  Überimpfung  nicht  auch  einer  der  eingedrungenen 
Keime  übertragen  wird.  Eine  vorherige,  an  einer  Probe  ausgeführte 
Kontrolle  mit  dem  Mikroskop  bringt  hier  offenbar  nicht  den  entsprechen- 
den Vorteil;  denn  wenn  die  Untersuchung  erst  einmal  fremde  Keime 
erkennen  lässt,  so  ist  es  sehr  schwer,  dann  doch  noch  eine  Reinkultur 
zu  erzielen.  Bei  den  festen  Nährböden  ist  dagegen  ein  penibles  Ver- 
meiden des  Zutritts  fremder  Keime  gar  nicht  erforderlich,  denn  hier 
gewährt  die  unter  steter  Kontrolle  vorgenommene  Auswahl  der  zum 
Abimpfen  geeigneten  Stelle  dennoch  Garantie  für  Reinheit  der  zweiten 
Kultur. 

Als  solche  feste  Nährsubstrate  sind  z.  B.  schon  Kartoffeln  vor- 
züglich geeignet,  noch  zweckmässiger  sind  aber  die  durchsichtigen, 
mit  Gelatine  oder  Agar  bereiteten  Nährsubstrate,  auf  welchen  die 
meisten  Bakterienarten  in  höchst  charakteristischer  Weise  wachsen 
und  welche  eine  sehr  scharfe  Unterscheidung  der  Kolonien  nicht  nur 
mit  blossem  Auge,  sondern  auch  mit  Hilfe  des  Mikroskops  gestatten. 
Auf  die  wesentlichsten  Differenzen  der  auf  diesen  Nährsubstraten  her- 
gestellten Strich-  und  Stichkulturen  ist  bereits  hingewiesen. 

Eine  Gewinnung  von  getrennten  Kolonien  zur  Isolierung  der  Bak- 
terien lässt  sich  auf  verschiedene  Weise  aus  einem  Bakteriengemenge 
erreichen.  R.  Koch  erzielte  zuerst  eine  räumlich  getrennte  Entwick- 
lung der  einzelnen  Keime,  und  zwar  je  eines  einzigen  zu  einer  An- 
siedlung  dadurch,  dass  er  mit  einer  Platinöse,  an  der  das  bakterien- 
haltige  Material  haftete,  eine  Anzahl  längerer  Striche  auf  der  Oberfläche 
erstarrter  Gelatine  zog.  Wenngleich  diese  Methode  nach  der  ursprüng- 
lichen Vorschrift  Koch's  für  Gelatine  kaum  mehr  angewandt  wird,  so 
darf  sie  doch  als  Prototyp  für  die  Gewinnung  isolierter  Kolonien  auf 
Agar  nicht  unerwähnt  bleiben.  Man  zieht  in  der  gleichen  Weise 
Striche  mit   der  Platinöse  auf  einem   schräg  erstarrten  Agarröhrchen, 


566  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

dann  mit  derselben  Nadel  noch  auf  mehreren  Röhrchen,  4 — 5  nach 
einander.  Während  in  den  ersten  beiden  Röhrchen,  namentlich  bei 
grossem  Keimreichtum  des  Ausgangsmaterials,  keine  diskreten  Kolo- 
nien sichtbar  sind,  sondern  ein  dem  Impfstrich  der  Nadel  entsprechen- 
der zusammenhängender  Belag,  erhält  man  auf  den  letzten  Röhrchen 
nur  getrennte  Ansiedlungen,  von  welchen  man  leicht  abimpfen  kann. 
Statt  der  Agarröhrchen  lassen  sich  mit  Vorteil  wegen  der  grossen 
Oberfläche  auch  Agarplatten  verwenden.  Dieselben  stellt  man  sich  in 
der  Weise  her,  dass  man  Nähragar  in  PETßi'sche  Schalen  giesst  und 
diese  letzteren  nach  dem  Erstarren  des  Agars  dann  48  Stunden  im 
Brütschrank  bei  37°  C.  lässt.  Während  dieser  Zeit  verdunstet  das  von 
dem  Agar  nach  dem  Eingiessen  in  die  Schalen  ausgepresste  Kondens- 
wasser,  und  zugleich  wird  die  Sterilität  des  Nährbodens  kontrolliert. 

Gelatineplattenmethode. 

Für  viele  Zwecke  bakteriologischer  Arbeiten  ist  eine  Entwicklung 
der  Keime  in  isolierten  Kolonien  vermittelst  des  sog.  Gelatineplatten- 
verfahrens unentbehrlich.  Für  manche  in  Gelatine  bei  niedrigen  Tem- 
peraturen wachsende  Bakterien  ist  dasselbe  besonders  deshalb  sehr 
empfehlenswert,  weil  neben  der  Isolierung  auch  eine  Erkennung  vieler 
Bakterienarten  durch  ihr  charakteristisches  Wachstum  leicht  gelingt. 
Ferner  ist  das  Gelatineplattenverfahren  zur  Zählung  der  Keime  (s.  u.) 
unentbehrlich.  Das  Prinzip  des  sog.  Plattenverfahrens  besteht  darin, 
dass  man  zunächst  das  zu  untersuchende  Material  mit  der  flüssigen 
Gelatine  mengt,  und  zwar  in  verschiedenen  Verdünnungen;  und  dass 
man  dann  die  mit  den  gut  verteilten  Keimen  beladene  Gelatine  auf 
grösseren  Flächen  ausgiesst  und  erstarren  lässt.  Es  wird  dann  offen- 
bar jeder  einzelne  der  suspendierten  Keime  an  einer  bestimmten  Stelle 
fixiert,  und  wenn  die  Aussat  nicht  zu  dicht  war,  entwickeln  sich  aus 
den  einzelnen  Keimen  räumlich  getrennte  Kolonien,  deren  charakteri- 
stisches Verhalten  unter  dem  Mikroskop  sich  bestimmen  lässt  und  von 
denen  man,  eventuell  unter  Kontrolle  des  Mikroskops,  abimpfen  kann. 

Das  Gelatineplattenverfahren  rührt  von  R.  Koch  her.  Obwohl  das 
ursprüngliche  KoCH'sche  Plattenverfahren  heutzutage  nur  noch  selten 
angewandt  wird,  so  soll  es  doch  der  historischen  Bedeutung  wegen 
sowie  deshalb,  weil  die  Modifikation  desselben  mit  PETRi'schen  Schalen 
noch  jetzt  eine  der  gebräuchlichsten  Methoden  bildet,  hier  ausführlich 
beschrieben  werden.  R,  Koch  verwandte  oblonge  Glasplatten  von  etwa 
8—12  cm  Länge  und  6—8  cm  Breite,  welche  bei  180  °  C.  in  grösserer 
Zahl  sterilisiert  und  in  bedeckter  Schale  aufbewahrt  wurden;  zum  Ge- 
brauch nimmt  man  immer  die  oberste  Platte  ab,  bringt  aber  die  Ge- 
latine   demnächst    auf   die    der   folgenden    Platte    zugekehrt  gewesene 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


567 


Flache.  Man  verwendet  gewöhnlich  3  Platten,  deren  jede  man  auf  einen 
mit  grösserer  Glasplatte  bedeckten  Nivellierständer  legt,  welcher  vorher 
mittelst  Dosenlibelle  horizontal  eingestellt  ist  (Fig.  29).  Im  warmen 
Zimmer  schaltet  man  zwischen  Nivellierständer  und  grosse  Glasplatte 
zweckmässig  noch  eine  Schale  mit  kaltem  (eishaltigem)  Wasser  ein. 
Auf  die  somit  genau  horizontal  gelagerten  Platten  giesst  man  sodann 
die  Mischung  von  Nährgelatine  und  Untersuchungsmaterial,  indem  man 
gleichzeitig  mit  einem  vorher  geglühten  Glasstab  die  Gelatine  auf  der 
Platte  gleichmässig  verteilt.  An  den  beiden  Schmalseiten  der  Platte 
lässt  man  einen  Streifen  von  ca.  1 1/2  cm  Breite  frei;  auf  diese  Stellen 
werden  sterilisierte  Glas- 
klötzchen gelegt  (und 
mit  einigen  Tropfen  Ge- 
latine fixiert),  die  dem- 
nächst ein  Aufeinander- 
schichten der  Platten 
gestatten.  Bis  die  Ge- 
latine völlig  erstarrt  ist, 
werden  die  Platten  mit 
einer  Glasglocke  bedeckt 
gehalten;  nach  10 — 15 
Minuten  kann  man  sie 
in  eine  Glasschale  trans- 
portieren, in  welcher  4 — 
6  Platten  über  einander 
Platz  finden.  Die  Schale 
und  der  übergreifende 
Deckel  derselben  sind 
mit  im  Dampfofen  ste- 
rilisiertem und  befeuch- 
tetem Filtrierpapier  aus- 
gekleidet. In  diesen  Schalen  kommen  die  Platten  in  den  auf  etwa 
22°  C.  eingestellten  Brütofen  und  werden  in  Pausen  von  12  bis  24  Stun- 
den revidiert,  anfangs  ohne  die  Schale  zu  öffnen,  später  indem  man 
die  Platten  mit  80 — lOOfacher  Vergrösserung  besichtigt. 

Um  mit  Sicherheit  bei  dem  Plattenverfahren  getrennte  Kolonien 
zu  erzielen,  bereitet  man  sich  Mischungen  der  Gelatine  und  des  Ausgangs- 
materials in  verschiedener  Koncentration,  sogenannte  Verdünnungen 
(eine  erste  und  eine  zweite.)  Man  nimmt  zu  dem  Zweck  3  Reagens- 
gläser mit  je  8 — 10  ccm  Nährgelatine  Inhalt  und  verflüssigt  in  allen 
3  Gläsern  die  Gelatine  durch  Eintauchen  in  40°  C.  warmes  Wasser. 
Dann  fügt  man  dem  ersten  Glas  eine  kleine  Probe  des  Untersuchungs- 


Fig.  29. 


5(38  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

materials  zu,  mischt  langsam,  aber  sorgfältig;  nimmt  dann  von  dieser 
Mischling  10  Platindrahtösen  in  das  zweite  Glas  mit  verflüssigter  Ge- 
latine, mischt  wieder  und  bringt  aus  diesem  Glase  10  Ösen  in  das 
dritte  Glas  und  verteilt  sie  gleichmässig  darin.    . 

Bei  Einhaltung  der  beschriebenen  3  Verdünnungsstufen  wird  fast 
stets  eine  der  3  Platten  brauchbar,  d.  h.  sie  enthält  einzelne,  gut  unter- 
scheidbare und  zählbare  Kolonien.  Gerade  beim  Nachweis  der  patho- 
genen  Bakterien  und  ihrer  Züchtung  aus  Bakteriengemischen  ist  die 
Gefahr  besonders  gross,  dass  durch  zu  grosse  Keimzahl  die  meist  lang- 
sam wachsenden  Krankheitserreger  von  schnell  wachsenden  Saprophyten 
überwuchert  werden.  Andererseits  darf  eine  Platte  aber  auch  nicht  zu 
wenig  Keime  enthalten,  bei  denen  es  zweifelhaft  bleiben  könnte,  ob 
dieselben  durch  zufällige  Verunreinigungen,  Luftkeime  u.  s.  w.  ent- 
standen sind. 

Die  wichtigste  Modifikation  des  KocH'schen  Plattenverfahrens  rührt 
von  R.  Petei  her,  welcher  anstatt  der  Platten  runde  Glasschalen  von  ca. 
12  cm  Durchmesser  mit  1 — 2  cm  hohem  Rande  und  übergreifendem  Deckel 
benutzt.  Die  in  die  Platten  ausgegossene  Gelatine  wird  zum  Erstarren 
gebracht,  indem  man  die  Schalen  auf  den  KocH'schen  Plattengiessapparat 
(Fig.  29)  stellt.  DieHandhabung  der  Schalen  ist  eine  sehr  becpieme.  Zudem 
kann  man  jederzeit  die  sich  entwickelnden  Kolonien  einer  Besichtigung, 
auch  mit  dem  Mikroskop  unterwerfen,  ohne  dass  eine  Verunreinigung 
auf  die  Gelatine  gelangt.  Trotzdem  ist  für  manche  Zwecke  die  An- 
wendung der  KocH'schen  Glasplatten,  allerdings  solcher  mit  einer 
geringfügigen  Abänderung  versehenen,  unentbehrlich,  so  namentlich  für 
genaue  Keimzählungen,  bei  grösserem  Keimreichtum  des  Ausgangs- 
materials. Der  Boden  der  PETRi'schen  Schalen  ist  nämlich  fast  stets 
mit  grösseren  oder  geringeren  Unebenheiten  versehen,  so  dass  die  er- 
starrte Gelatine  eine  ungleichmässig  dicke  Schicht  bildet;  zudem  ist 
am  Rande  der  Schale  eine  genaue  Zählung  der  Kolonien  nicht  mög- 
lich; auch  die  Grundfläche  der  Schalen  ist  gewissen  Schwankungen 
unterworfen.  Bei  Benutzung  von  Platten,  bei  welchen  nach  E.  Pfühl's 
Vorschlag  durch  einen  Emaillerand  eine  Fläche  von  bestimmter 
Grösse  abgegrenzt  ist,  vermeidet  man  alle  diese  Missstände. 

Keimzählung  mittelst  Plattenverfahrens. 

Für  die  Bearbeitung  der  verschiedensten  Fragen  ist  es  ausser- 
ordentlich wichtig,  dass  man  mit  Hilfe  der  auf  der  Platte  gewachsenen 
Kolonien  eine  Zählung  der  in  einem  Pilzgemenge  vorhandenen 
Bakterienindividuen  erhalten  kann;  man  muss  dann  nur  darauf  Bedacht 
nehmen,  dass  man  einen  bekannten,  gemessenen  Bruchteil  des  Unter- 
suchungsmaterials  der  Gelatine  zufügt    und   muss  die  demnächst  ge- 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  559 

wachsenen  Kolonien  genau  zählen.  Letzteres  gelingt  auch  bei  dicht 
besäten  Platten  leicht  mittelst  quadrierter  Glasplatte,  am  besten 
"Wolithügel's  Zählnetz;  man  zählt  dann  nur  einen  Teil  der  kleinen 
quadratischen  Felder  aus,  nimmt  von  den  so  erhaltenen  Ziffern  das 
Mittel  und  multipliziert  mit  der  Zahl  der  den  Raum  der  Gelatine  be- 
deckenden Quadrate  (Fig.  30). 


Fig.  30. 

Auch  mit  Nähragar  lassen  sich  solche  Platten  herstellen.  Der- 
selbe wird  in  den  Röhrchen  zuerst  durch  Kochen  verflüssigt,  dann  ab- 
gekühlt auf  40°  C.  (im  Wasserbad);  darauf  wird  das  Material  zugefügt 
und  die  Mischung  auf  Platten  ausgegossen.  Nur  solcher  Agar  ist 
brauchbar,  der  bei  40  °C.  noch  flüssig  ist,  bei  38 — 39  °C.  aber  schon  erstarrt. 
Der  Agar  presst  später  auf  den  Platten  leicht  Wasser  aus,  und  dadurch 
kommt  es  zuweilen  zum  nachträglichen  Abgleiten  der  ganzen  Masse 
vom  Glase.  Es  ist  deshalb  wichtig,  den  Deckel  der  Schalen,  in  welchen 
die  Agarplatten  konserviert  werden,  mit  trockenem  Filterpapier  aus- 
zukleiden; des  ausgepresste  Wasser  verdunstet  dann  so  rasch,  dass  es 
sich  nicht  zwischen  Agar  und  Glasplatte  ansammeln  kann. 

Rollplatten  nach  v.  Esmaech. 

Für  manche  praktische  Zwecke  ist  eine  Modifikation  des  Platten- 
verfahrens sehr  brauchbar,  die  von  Esmaech1)  angegeben  ist.  Man 
benutzt  weite  Reagensgläser  und  ersetzt  die  Fläche  der  Platte  durch 
die  ungefähr  ebensogrosse  innere  Wandfläche  des  Reagensglases; 
dies  ist  dadurch  zu  erreichen,  dass  man  die  verflüssigte  und  mit  der 
zu  untersuchenden  Probe  versetzte  Gelatine  bei  horizontaler  Haltung 
des  Röhrchens  unter  fortgesetztem  Rotieren  und  gleichzeitigem  Ab- 
kühlen über  die  Wandungen  des  Röhrchens  verteilt,  so  dass  sie  diese 
überall  in  gleichmässig  dicker  Schicht  bedeckt.  Am  zweckmässigsten 
verschliesst  man  das  Röhrchen  mit  einer  Kautschukkappe,  lässt  das 
Röhrchen    dann    auf  kaltem  Wasser  schwimmen  und  setzt  es  mit  der 

1)  Z.  1.  1. 


570  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

rechten  Hand  in  leicht  rotierende  Bewegung,  während  die  linke  Hand 
das  Röhrchen  an  der  Mündung  lose  unifasst  hält  und  es  in  der  wag- 
rechten Lage  konserviert.  —  Zur  Zählung  der  Kolonien  kann  man  die 
äussere  Fläche  des  Glases  mit  Tinte  in  grössere  oder  kleinere  Felder 
abteilen.  Ein  besonderer  Vorteil  der  Methode  besteht  darin,  dass  auch 
sehr  langsam  wachsende  Bakterien  bei  dem  pilz-  und  luftdichten  Ver- 
schluss der  Röhrchen  noch  zur  Entwicklung  kommen  können.  Das 
genaue  Beobachten  der  einzelnen  Kolonie  und  das  Abimpfen  ist  schwie- 
riger als  bei  dem  Plattenverfahren,  das  durch  diese  Modifikation  auch 
nur  in  gewissen  Notfällen  der  Praxis  ersetzt  werden  soll. 

Kommt  es  auf  eine  möglichst  vollständige  Kenntnis  aller  in 
einem  bakterienhaltigen  Material  vorhandenen  Bakterienarten  an,  so 
sind  die  Nährbedingungen  möglichst  zu  variieren.  Namentlich  ist  ein 
Zusatz  von  Zucker,  ferner  der  Grad  der  alkalischen  Reaktion,  die 
Temperatur  und  der  Sauerstoffzutritt  von  Bedeutung;  für  zahlreiche 
Bakterien  sind  die  Bedingungen  zur  künstlichen  Kultur  noch  nicht 
aufgefunden  und  eine  vielseitige  Variierung  der  Kulturbedingungen  ist 
daher  durchaus  wünschenswert. 

b)  Kultur  anearober  Bakterien. 

Zur  Kultur  von  anaeroben  Bakterien  eignen  sich  nach  Libokius 
am  besten  hohe  Schichten  von  Nähragar  mit  2  °0  Dextrosezusatz.  Zu 
dem  Zweck  werden  Reagensgläser  in  ca.  15  cm  hoher  Schicht  mit  dem 
Nährsubstrat  gefüllt,  und  in  der  dann  frisch  aufgekochten,  auf  40  °  C.  ab- 
gekühlten Masse  wird  das  Untersuchungsmaterial  verteilt;  man  erhält 
dann  in  den  tieferen  Schichten  isolierte  Kolonien  der  Anaeroben.  Wenn 
man  aus  dem  Nähragar,  nach  Zerschlagen  des  ihn  umgebenden  Rea- 
gensglases, dünne  Scheiben  mit  einem  sterilen  Messer  schneidet,  kann 
man  die  Anaerobenkolonien  unter  dem  Mikroskop  näher  beobachten, 
von  ihnen  abimpfen  und  so  Reinkulturen  herstellen.  Das  Wachstum  der 
anaeroben  Mikroorganismen  findet  in  Nährböden  mit  hoher  Schicht 
üppiger  statt  und  lässt  sich  auch  in  Stichkulturen  erzielen,  wenn  dem 
Nährsubstrat  reduzierende  Substanzen  zugefügt  werden.  Vor  allem 
hat  sich  für  diese  Zwecke  der  Zuckerzusatz  zum  Nährboden  (Libokius, 
Z.  I)  bewährt,  während  die  Anwendung  des  ameisensauren  Ammoniaks 
oder  indigschwefelsauren  Natrons,  welche  Substanzen  Kitasato  und 
Wetl  (Z.  VIII)  vorgeschlagen  haben,  bereits  allgemein  wieder  ver- 
lassen ist. 

Um  die  Anaeroben  auf  Platten,  auf  der  Oberfläche  fester  Nähr- 
medien oder  in  Flüssigkeiten  züchten  zu  können,  ist  es  notwendig,  für 
die  zu  züchtenden  Mikroorganismen  eine  sauerstofffreie  Atmosphäre 
herzustellen.     Das  kann  geschehen  entweder  durch  mechanische  Ent- 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


571 


ferming   der  Luft  mittelst   der  Luftpumpe    oder   durch  Zufügung  von 
Sauerstoff  absorbierenden  Stoffen  zum  Nährboden  oder  endlich  durch 
Auswaschen  des  Sauerstoffes  der  Luft  durch  ein  indifferentes  Gas.    Die 
erste  Methode  (Gettbee,  C.  I;  Nikieoeoee,  Z. 
VIII;  van  Senus,  C.  XII)  ist  relativ  unsicher 
bei  Züchtung  streng  anaerobiotischer  Bakte- 
rien, da  zu  viel  Sauerstoff  im  Nährboden  ab- 
sorbiert bleibt.  Bei  Anwendung  der  an  zweiter 
Stelle   genannten  Methode  ist  das   Verfahren 
Buchnee's    sehr    vorteilhaft:    das    mit     dem 
Kulturmaterial  geimpfte  Reagensröhrchen  wird 
in  einen  Glascylinder  gestellt,  der  eine  Mischung 
von  1  gr  Pyrogallussäure  auf  10  ccm  einer 
lOproz.  Kalilauge   enthält  und  durch  einen 
Gummistopfen  luftdicht  abgeschlossen  ist. 

Auch  im  hängenden  Tropfen  kann  man 
eine  Kultur  von  Anaeroben  anlegen,  indem 
man  auf  dem  Grunde  der  Höhlung  eines  Ob- 
jektträgers je  ein  Tröpfchen  Kalilauge  und 
Pyrogallussäure  zusammenfiiessen  lässt. 

Das  beste  und  heutzutage  wohl  am  meisten 
angewandte  Verfahren  für  die  anaerobiotische 
Züchtung  der  Mikroorganismen  ist  dasjenige 
des  Ersatzes  der  Luft  durch  ein  indifferentes 
Gas,  und  zwar  durch  Wasserstoff  gas.  Das 
aus  einem  Kipp'schen  Apparat  entnommene 
Wasserstoffgas  lässt  man,  nachdem  es  zur  Zurück- 
haltung von  Säuredämpfen  durch  eine  Flasche  mit  Jod-Jodkaliumlösung 
und  zur  Zurückhaltung  von  Sauerstoff  durch  eine  zweite  mit  einer  Mischung 
von  Kalilauge  und  Pyrogallussäure  geleitet  ist,  so  lange  durch  die  Kultur- 
gefässe  strömen,  bis  keine  Luft,  sondern  nur  das  eingeleitete  Gas  entweicht. 
Man  erkennt  das  Entweichen  reinen  Wasserstoffgases  am  besten  daran, 
dass  das  entweichende  Gas,  in  einem  Reagensglas  unter  Wasser  aufge- 
fangen, ohne  Knall  verbrennt.  Es  ist  eine  ganze  Anzahl  verschiedenartig 
konstruierter  Kulturgefässe  für  die  anaerobiotische  Züchtung  angegeben. 
Sehr  gut  bewährt  haben  sich  die  Gläser  von  beistehender  Form  (Fig.  31), 
die  bis  an  das  seitliche  Rohr  mit  Nähragar  gefüllt  werden;  das  Impf- 
material wird  durch  die  obere  Öffnung  eingebracht,  dann  wird  durch 
das  seitliche  Rohr  ein  anhaltender  H-Strom  geschickt,  darauf  bei  a 
und  schliesslich  bei  b  zugeschmolzen.  In  solchen  Gläsern  kommen 
die  exquisitesten  Anaeroben  zu  üppiger  Entwicklung.  —  Auch  in 
EELENMETEE'schen  Kölbchen,  die  mit  einem  von  2  Glasröhrchen  durch- 


Fig.  31. 


572 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


bohrten  Gunmiipfropfen  versehen  sind,  gelingt  die  Züchtung  der  Anae- 
roben, wenn  man  vermittelst  der  Glasröhrchen,  deren  eines  in  die 
Flüssigkeit  taucht,    Wasserstoff  durch  die  Kölbchen  leitet  und   nach 


Fig.  32. 

Verdrängung  sämtlicher  Luft  die  Röhrchen  an  ihren  Enden  zuschmilzt. 
In  derselben  Weise  ist  eine  Anaerobenentwicklung  auch  auf  der  Ober- 
fläche schräg  erstarrter  Agarröhrchen  möglich. 

Zur  Kultur  der  bei 
Sauerstoffabschluss  wachsen- 
den Mikroorganismen  auf 
Platten  (Gelatine  oder  Agar) 
wählt  man  entweder  die  in 
Figur  32  abgebildeten  Kita- 
SATo'schen  Schalen,  die  keiner 
Erläuterung  bedürfen,  oder 
den  sog.  BoTKiNschen  Ap- 
parat (Fig.  33).  Man  kann 
sich  diesen  Apparat  leicht 
selbst  konstruieren,  indem 
man  in  einer  grossen  Schale 
eine  grosse  Glasglocke  auf 
der  Unterlage  eines  Blei- 
kreuzes aufstellt,  so  dass  ein 
Spalt  zwischen  dem  Boden 
der  Schale  und  dem  unteren 
Rande  der  Glocke  bleibt. 
Durch  diesen  Spalt  wird  ein 
gebogener  Bleischlauch  zur 
Einleitung  des  Wasserstoff- 
gases eingeführt.  Zur  Ab- 
sperrung des  unter  der  Glocke  sich  ansammelnden  Gases  gegen  die 
äussere  Luft  wird  flüssiges  Paraffin  in  die  Schale  gegossen.   Unter  der 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  573 

Glocke  werden  auf  einem  Drahtgestell  die  geimpften  Platten  sowie 
eine  Schale  mit  Pyrogallussäure  und  Kalilauge  aufgestellt.  Die  bei 
Einleitung  des  Wasserstoffgases  aus  der  Glocke  verdrängte  Luft  wird 
durch  ein  U-förmig  gebogenes  Rohr  abgeleitet,  das  man  am  Schluss 
der  Gasfüllung  zuschmilzt.  Der  ganze  Apparat  kann  in  den  Brut- 
apparat gestellt  werden. 

c)  Isolierung  in  flüssigen  Nährsubstraten. 

Des  historischen  Interesses  wegen  sollen  hier  noch  einige  Methoden 
zur  Isolierung  der  Bakterien  in  flüssigen  Nährsubstraten  angegeben 
werden.  Von  Pastetje  und  seiner  Schule  sind  derartige  Methoden 
zur  Erzielung  von  Reinkulturen  der  Bakterien  früher  viel  angewandt, 
seit  der  Einführung  der  KocH'schen  festweichen  Nährböden  in  die 
Bakteriologie  aber  auch  verlassen,  weil  sie  zu  unsicher,  umständlich 
und  schwierig  in  der  Ausführung  sind.  Die  Mängel  der  Methoden 
lassen  sich  am  besten  an  der  Methode  der  sog.  fraktionierten 
Kultur  (nach  Klebs)  zeigen,  welche  darin  besteht,  dass  man  zu- 
nächst auf  ein  Kulturglas  impft,  hier  die  Bakterien  auswachsen  lässt, 
von  der  ersten  Kultur  wieder  eine  kleine  Menge  auf  neues  Substrat 
überträgt,  nochmals  auswachsen  lässt  und  so  mit  der  Impfung  durch 
eine  Reihe  von  Kulturen  fortfährt.  Dabei  bekommt  man  in  der  That 
allmählich  reinere  Kulturen  und  zwar  von  dem-  oder  denjenigen  Pilzen, 
welche  am  raschesten  sich  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  ver- 
mehren, während  die  Chancen  immer  geringer  werden,  dass  auch  von 
den  langsamer  wachsenden  Pilzen  Exemplare  in  die  Impfproben  ge- 
langen. Die  Methode  ist  aber  deshalb  meistens  nicht  förderlich,  weil 
gewöhnlich  nicht  die  am  schnellsten  sich  vermehrenden  Pilze  die  inter- 
essierenden sind;  man  kann  zwar  durch  Variierung  der  äusseren  Ver- 
hältnisse, namentlich  der  Temperatur,  bald  diese,  bald  jene  Arten  eines 
Gemisches  zu  rascherem  Wachstum  bringen,  aber  dies  Verfahren  bleibt 
immer  unsicher  und  langwierig,  weil  wir  die  günstigsten  Wachstums- 
bedingungen für  die  verschiedenen  Pilzarten  zu  wenig  kennen. 

Weit  besser  ist  das  Prinzip  der  stärksten  Verdünnung  des 
Impfmaterials  zum  Zweck  der  Isolierung  einer  Pilzart.  Dies  Prinzip 
ist  zuerst  von  Beeeeld,  dann  von  Nägeli  und  Buchnee  empfohlen 
und  von  Beeeeld  z.  B.  auch  zur  Beschickung  der  oben  beschriebenen, 
für  mikroskopische  Kulturen  konstruierten  feuchten  Kammern  befolgt. 
Man  nimmt  nach  Beefeld  eine  kleine  Partie  des  Materials  und  mischt 
sie  gleichförmig  mit  reinem  sterilisierten  Wasser;  dabei  treibt  man 
die  Verdünnung  so  weit,  dass  in  einer  mit  einer  lanzettförmigen  Nadel- 
spitze   herausgenommenen   Probe  nur  ein  Keim   sich  vorfindet.     Hat 


574  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

man  sich  durch  mikroskopische  Untersuchung  davon  überzeugt,  dass 
dieser  Bedingung  Genüge  geschehen  ist,  dann  überträgt  man  je  eine 
solche  Probe  auf  ein  Kulturglas  und  man  hat  dann  die  grössten 
Chancen,  dass  in  einer  grösseren  Reihe  solcher  Gläser  lediglich  die 
Pilze  sich  entwickeln,  die  in  solcher  Zahl  im  Impfmaterial  waren,  dass 
ein  Keim  derselben  in  einem  Tropfen  vorhanden  war.  In  einige  Gläser 
werden  freilich  auch  Exemplare  von  den  in  geringerer  Menge  im  Impf- 
material verbreiteten  Keimen  gelangen.  —  Handelt  es  sich  um  die 
Isolierung  von  Schimmelpilzen,  deren  Sporen  schwer  zu  sehen  sind,  so 
benutzt  man  zweckmässig  statt  des  "Wassers  Nährlösung,  lässt  die 
Sporen  in  das  Keimungsstadium  kommen,  sie  dadurch  grösser  und 
leichter  sichtbar  werden,  und  nimmt  dann  erst  die  weitere  Verdünnung 
(mit  Kontrolle  unter  dem  Mikroskop)  vor. 

Für  Spaltpilze  ist  aber  die  mikroskopische  Untersuchung  meist 
zwecklos,  da  die  Sporen  oder  auch  die  ausgewachsenen  Exemplare  zu 
klein  sind,  um  die  Anwesenheit  eines  einzelnen  Keimes  in  einem  Tropfen 
zu  konstatieren.  Man  kann  hier  für  die  weitere  Verdünnung  nur  einen 
ganz  ungefähren  Anhaltspunkt  durch  das  mikroskopische  Bild  ge- 
winnen. Ausserdem  ist  bei  dem  ganzen  Verfahren  vorausgesetzt,  dass 
die  interessierenden  Pilze  in  relativ  grosser  Menge  sich  im  Impfmaterial 
finden;  in  vielen  Fällen,  auch  wo  es  sich  um  Isolierung  pathogener 
Pilze  handelt,  wird  diese  Annahme  vielleicht  zutreffen,  wo  aber  Sapro- 
phyten  verschiedener  Art  in  grosser  Überzahl  sind,  wird  es  wenig  aus- 
sichtsvoll sein,  auf  diesem  Wege  zu  einer  vollkommenen  Trennung  zu 
gelangen. 


Die  ganze  Methode  der  Reinkultur  muss  notwendig  erst  an  einigen 
Schulfällen  erlernt  werden;  als  solche  empfehlen  sich  die  Züchtung  von 
Bac.  prodigiosus  auf  Kartoffeln,  Gelatinen  u.  s.  w.  bei  verschiedenen 
Temperaturen;  die  Züchtung  von  Milzbrandbacillen  auf  Kartoffeln, 
Fleischinfuspepton-Gelatine,  Blutserum  und  in  flüssigen  Substraten, 
ebenfalls  bei  verschiedenen  Temperaturen  durch  zahlreiche  Generationen 
hindurch,  die  Züchtung  von  Cholerabacillen  auf  den  verschiedensten 
Nährmedien  u.  s.  w.  Wenn  Jeder,  der  sich  mit  Bakterienkulturen  be- 
fasst  und  namentlich  an  die  Aufgabe  der  Isolierung  pathogener  Mikro- 
organismen sich  heranwagt,  vorher  an  diesen  Schulfällen  sein  Können 
prüfen  würde,  dann  würden  sehr  viele  unreife  und  der  Wissenschaft 
nicht  forderliche  Publikationen  unterbleiben. 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


575 


VII.  Untersuchung  der  biologischen  und  pathogenen  Eigen- 
schaften der  Bakterien. 

Ist  die  Reinkultur  eines  Pilzes  gelungen,  dann  handelt  es  sich 
noch  um  die  Feststellung  seiner  biologischen  und  pathogenen  Eigen-' 
Schäften. 

Es  ist  zu  ermitteln,  welche  Nährstoffe  und  welche  Temperatur 
sein  Wachstum  am  meisten  begünstigen,  ob  und  in  welchem  Masse 
er  auf  Sauerstoffzufuhr  angewiesen  ist.  Es  ist  ferner  zu  prüfen, 
ob  er  Gährung  zu  erregen  vermag,  und  zu  diesem  Zweck  sind  der 
Reihe  nach  die  wichtigsten  gährfähigen  Substanzen  (Kohlehydrate,  mehr- 
wertige Alkohole,  Fettsäuren,  Eiweissstoffe  u.  s.  w.)  nebst  den  not- 
wendigen sonstigen  Nährstoffen  und  unter  den  sonstigen  geeigneten 
Bedingungen  in  sog.  Gährungs- 
r öhrchen  mit  dem  Pilz  in  Be- 
rührung zu  bringen.  Nicht  nur 
für  die  Untersuchung  der  Mikro- 
organismen auf  ihre  Fähigkeit, 
in  zuckerhaltigen  Flüssigkeiten 
Gährung  hervorzurufen,  sondern 
auch  um  überhaupt  festzustellen, 
ob  dieselben  Gas  in  flüssigen 
Nährmedien  bilden,  benutzt  man 
diese  Gährungsröhrchen.  Als 
Haupttypen  für  die  Form  der- 
selben können  die  in  Fig.  34  a  u. 
b  dargestellten  Röhrchen  gelten. 
Da  ein  Sterilisieren  der  in  Fig.  34 
dargestellten  Röhrchen  mit  dem 

flüssigen  Inhalt  nicht  möglich  ist,  weil  dabei  die  kochende  Flüssigkeit 
ausläuft,  so  muss  man  Röhrchen  und  Nährmedium,  jedes  für  sich  allein, 
sterilisieren  und  das  letztere  unter  Beobachtung  aseptischer  Cautelen 
in  das  Gefäss  einfüllen.  Zur  Impfung  nehme  man  dann  möglichst  grosse 
Mengen  des  Bakterienmaterials. 

Weiter  ist  die  etwaige  pathogene  Natur  des  isolierten  Pilzes 
zu  konstatieren;  Impfversuche  an  verschiedensten  Tieren,  an  den  für 
Infektionskrankheiten  besonders  empfänglichen  Mäusen  sowie  an  Meer- 
schweinchen, Kaninchen,  Affen  u.  s.  w.  sind  eventuell  auszuführen.  Die 
Versuche  sind  mit  kleineren  und  grösseren  Dosen  vorzunehmen,  die 
Einverleibung  muss  bald  eine  oberflächliche  Impfung  sein,  bald  eine 
Injektion  in  das  subkutane  Gewebe,  bald  eine  Einspritzung  direkt  in 
die  Blutbahn    oder  in  die  Körperhöhlen.    Für  manche  Zwecke   ist  es 


Fig.  34. 


576 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


ferner  notwendig,  Infektionsversuche  an  Tieren  durch  Verfütterung  der 
zu  untersuchenden  Pilze  vorzunehmen.  Um  die  Mikroorganismen  durch 
die  Atmung  auf  die  Schleimhaut  der  Lunge  gelangen  zu  lassen,  benutzt 
man  geschlossene  Kasten,  in  denen  das  infektiöse  Material  zerstäubt 
wird  (Inhalationskasten). 

Endlich  sind  noch  Experimente  über  die  Absterbebedingungen  des 
Pilzes  und  speziell  über  die  Abschwächung  seiner  pathogenen  Eigen- 
schaften anzustellen,  und  es  ist  zu  ermitteln,  welche  äusseren  Umstände 
und  welche  Desinfektionsmittel  am  leichtesten  zu  seiner  Vernichtung 
führen. 

Instrumente  zur  Injektion. 

Für  die  Injektion  von  Flüssigkeiten  ist  von  R.  Koch  eine  Spritze 
konstruiert  worden,  bei  welcher  eine  Luftsäule  durch  Zusammendrücken 
eines  Gummiballons  als  Stempel  gebraucht  wird  (Fig.  35).  Die KocHsche 


Spritze  besteht  aus  4  Teilen,  die  beim  jedesmaligen  Gebrauch  zusammen- 
gefügt werden:  Kanüle,  Cylinder,  Hahn  und  Ballon.  Die  Flüssigkeit, 
welche  injiziert  werden  soll,  wird  durch  die  Kanüle  in  den  graduierten 
Cylinder  vermittelst  des  Gummiballons  eingesogen.  Der  zwischen 
Cylinder  und  Ballon  eingeschaltete  Metallhahn  macht  es  möglich, 
jederzeit  die  Ansaugung  oder  Entleerung  der  Flüssigkeit  zu  unter- 
brechen. Nach  dem  Gebrauch  wird  die  Spritze  auseinandergenommen, 
Cylinder,  Kanüle  und  Metallhahn  werden  einige  Minuten  iu  Sodalösung 
gekocht  und  in  absolutem  Alkohol  aufbewahrt.  Der  Ballon  wird 
nötigenfalls  im  Dampfkochtopf  oder  durch  Einlegen  in  5  proz.  Carbol- 
säurelösung  desinfiziert.     Der  Vorzug  der  KocH'schen  Spritze  vor  den 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  577 

mit  Stempel  versehenen  Spritzen  ist  vor  allem  in  der  Leichtigkeit  und 
Geschwindigkeit  der  Reinigung  und  Sterilisierung  sowie  in  der  Mög- 
lichkeit gegeben,  dieselbe  in  keimfreiem  Zustande  aufzubewahren.  Die 
Spritze  ist  auch  haltbarer  als  die  Stempelspritzen,  an  denen  wegen  Un- 
dichtigkeit des  Stempels  häufig  Reparaturen  notwendig  sind. 

Für  Einspritzungen  von  Flüssigkeiten  in  die  Blutbahn,  nament- 
lich bei  kleineren  Tieren,  bedient  man  sich  am  besten  kleinerer  oder 
grösserer  Glaskanülen,  die  man  sich  für  den  vorliegenden  Zweck 
selbst  anfertigt.  Vermittelst  eines  kleinen  Gummischlauches  wird  die 
Kanüle  mit  dem  Gefäss,  in  welchem  die  Injektionsflüssigkeit  sich  be- 
findet, in  Verbindung  gesetzt.  Als  treibende  Kraft  benutzt  man  bei 
Einspritzungen  in  die  Carotis,  deren  ziemlich  grosser  Druck  überwunden 
werden  muss,  den  Stempel  einer  Pravaz'schen  Spritze  oder  Luft, 
welche  durch  Kompression  eines  Gummiballons,  unter  Einschaltung 
eines  Windkessels  zur  Erzeugung  eines  gleichmässigen  Druckes,  in  Be- 
wegung gesetzt  wird. 

Zur  mikroskopischen  Beobachtung  mancher  Prozesse,  die  sich  in 
den  Körperhöhlen,  vor  allem  dem  Peritoneum  der  Versuchstiere  nach 
Injektion  von  bakterienhaltigen  Flüssigkeiten  abspielen,  empfiehlt  sich 
die  Entnahme  von  Exsudat  z.  B.  aus  der  Bauchhöhle  mittelst  feiner 
Glaskapillaren.  Um  die  sog.  PFEiFFEK'sche  Reaktion  der  Cholera- 
bakterien auf  Choleraserum  beobachten  zu  können,  kann  man  derartige 
Kapillaren,  welche  leicht  aus  Glasröhrchen  durch  Ausziehen  in  der 
Flamme  herzustellen  sind,  nicht  entbehren. 

Tierhalter. 

Bei  Ausführung  von  grösseren  Operationen  an  Tieren  und  überall 
da,  wo  es  auf  eine  länger  dauernde  Festhaltung  der  Tiere  bei  Ver- 
suchen ankommt,  werden  zweckmässig  Tierhalter  benutzt.  Kitasato 
hat  für  Mäuse  einen  sehr  einfachen  Apparat  angegeben,  bestehend  aus 
einer  Blechplatte,  die  vermittelst  eines  Kugelgelenkes  nach  verschiedenen 
Seiten  gedreht  und  vermittelst  einer  Schraube  in  diesen  verschiedenen 
Stellungen  fixiert  werden  kann  (Fig.  36).  An  der  Blechplatte  sind 
eine  Klemme  für  den  Schwanz  und  eine  Federzange  für  den  Nacken 
angebracht.  Entsprechend  vergrössert  kann  derselbe  Apparat  auch  für 
Ratten  benutzt  werden.  Zum  Befestigen  von  Meerschweinchen,  Kanin- 
chen, Katzen  sind  in  Paris  sehr  einfache  Apparate  konstruiert,  auf  welchen 
die  Tiere  am  Kopf  gefesselt  werden,  ohne  Schmerzen  zu  empfinden,  und 
daher  sehr  ruhig  liegen.  Modifikationen  eines  solchen  Apparates,  welche 
von  F.  Lautenschläger  hergestellt  sind,  zeigen  die  Abbildungen  in 
Figur  37  u.  38.  Je  nach  der  Grösse  der  Tiere  werden  entsprechend  grosse 
Ringe   als  Nackenhalter  eingefügt.     Besondere   Schwierigkeiten   bietet 

Flügge,  Mikroorganismen.    3.  Auflage.  I.  37 


578 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


das  Experimentieren  mit  bissigen  Tieren,  wie  Katzen,  Hunden,  Affen. 
Als  der  beste  Halter  für  derartige  Tiere  ist  wohl  der  in  Fig.  40,  41 


Fig.  36. 


u.  42  abgebildete  Halter  von  Malassez  hier  zu  erwähnen.   Dieser  Halter 
ist  ursprünglich  für  Hunde  konstruiert  worden. 

Für  den  Aderlass  grösserer  Tiere,  wie  Pferde,   Hammel,  Ziegen, 
Kühe,  hauptsächlich  zum  Zwecke  steriler  Blut-  und  Serumgewinnung 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


579 


sind  Kanülen  von  der  Form  der  in  Fig.  39  abgebildeten  gebräuchlich. 
Man  fasst  an  dem  unteren  Blatt  die  Kanüle  und  stösst  sie  in  die 
durch  Komprimieren  mit  einem  Finger  zum  Schwellen  gebrachte  Ju- 
gularis  externa  ein.     Das  Blut  fliesst  dann  im  Strahle  heraus. 


Fig.  38. 


Sehr  empfehlenswert  für  manche  Zwecke,  namentlich  kleinere 
•Operationen  an  Tieren,  z.  B.  subkutane  oder  intraperitoneale  Injektionen, 
oder  Exsudatentziehung  aus  der  Bauchhöhle  ist  der 
von  0.  Voges  (C.  XVIII.  Seiberg)  angegebene  Meer- 
schweinchenhalter. Derselbe  besteht  aus  einem  an 
dem  einen  Ende  offenen,  am  anderen  Ende  durch 
eine  mit  Löchern  versehene  Platte  abgeschlosse- 
nen Blechrohr,  in  dessen  Wandung  sich  ausserdem 
ein  Schlitz  befindet,  durch  den  man  zu  den  ver- 
schiedenen Körperteilen  der  Tiere  gelangen  kann. 
(Fig.  43).  Für  grössere  oder  kleinere  Tiere  sind 
zwei  Grössen  des  Halters  vorhanden.  Die  Meer- 
schweinchen, welche  mit  dem  Kopf  nach  dem  ver- 
schlossenen Teil  zu  in  das  Rohr  gebracht  werden, 
liegen  längere  Zeit  völlig  ruhig.  Auch  die  Tem- 
peraturmessung der  Tiere  im  Anus  ist  dann  sehr 
leicht  und,  ohne  dass  ein  Zerbrechen  des  Thermo- 
meters zu  befürchten  ist,  ausführbar  (Fig.  44). 

Erkranken  oder  sterben  Versuchstiere,  so  sind 
mit  deren  Blut  oder  Organen  die  nämlichen  Züch- 
tungs-  und  Übertragungsversuche    zu    machen   und    die    Identität    der 

37* 


Fig.  39. 


580 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


eingeimpften  und  der  gefundenen  Pilze  ist  sicherzustellen.     Alle  diese 
Versuche  sind  über  längere  Reihen  auszudehnen. 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  5S1 


m  .xc 


582 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


VIII.  Methoden  und  Apparate  für   die  ehemische  Unter- 
suchung der  Bakterien. 

In  neuerer  Zeit  sind  Untersuchungen  über  die  Chemie  der  Bak- 
terien, namentlich  die  in  ihnen  enthaltenen  oder  von  ihnen  abgeson- 
derten Gifte,  sowie  über  das  chemische  Verhalten  der  nach  Einver- 
leibung von  Bakterien  im  Tierkörper  erzeugten  sog.  Anti-Körper  ange- 
stellt.    Wir  haben  durch   diese  Untersuchungen  wichtige   Aufschlüsse 

über  die  Natur  der  Gifte 
und  der  vom  Tierkörper  er- 
zeugten Anti  -  Körper  bei 
mehreren  Bakterienarten  er- 
halten, so  z.  B.  bei  den  Tu- 
bekel-, Cholera-,  Diphtherie- 
und  Tetanusbacillen.  Die 
Resultate  der  Forschungen, 
welche  noch  nicht  in  allen 
Beziehungen  als  abgeschlos- 
sen zu  betrachten  sind,  for- 
dern zu  weiterer  Verfolgung 
der  eingeschlagenen  "Wege 
auf,  wobei  die  Benutzung  be- 
stimmter, eigens  hierzu  kon- 
struierter Apparate  von  gros- 
sem Wert  ist,  z.  B.  von  Filtra- 
tionsapparaten, Dialysatoren, 
Extraktions-,  Vakuum-,  De- 
stillations- und  Trockenap- 
paraten besonderer  Kon- 
struktion. 

Zur  Trennung  der  korpuskularen  Elemente  einer  Bakterienkultur 
(hauptsächlich  also  Bakterien)  von  den  gelösten  Bestandteilen  der  Näh r- 
fiüssigkeiten  und  diesen  selbst  sind  Filter  im  Gebftiuch.  Als  Material  für 
dieselben  wird  Porzellan,  (Chamberland),  Infusorienerde  (Berckeeeld- 
Bitter)  und  hart  gebranntes  Kaolin  (Pukall)  angewandt.  Die  zu 
nitrierende  Flüssigkeit  wird  am  besten  durch  Saugwirkung  einer 
Wasserstrahl-Luftpumpe  (s.  u.)  durch  die  engen  Poren  des  Filters  ge- 
trieben. Es  hat  sich  gezeigt,  dass  man  jedes  Filter,  um  sicher  damit 
keimfreie  Filtrate  zu  erzielen,  prüfen  muss.  Nach  jedem  Gebrauch 
ist  das  Filter  sofort  zu  reinigen,  in  Sodalösung  oder  Salzsäure  auszu- 
kochen, in  absolutem  Alkohol  aufzubewahren;  vor  jedem  Gebrauch 
findet  eine  nochmalige  Desinfektion  durch  Auskochen  statt. 


Fig.  44. 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


583 


Was  die  Form  der  Filter  betrifft,  so  ist  für  Filtration  kleinerer 
Menge,  wie  sie  bei  Laboratoriumsversuchen  hauptsächlich  in  Betracht 
kommt,  die  sog.  KiTASATo'sche  Kerze  am  geeignetsten  (s.  Fig.  45), 
während  für  Filtrierung  grösserer  Mengen  die  eine  Kölbchenform  auf- 
weisenden PuKALi/schen  Filter  vorzuziehen  sind  (Fig.  46).  Jedoch  muss 
man  die  FunktiorMähigkeit  der  letzteren  stets  kontrollieren. 


Fig.  45. 


Fig.  46. 


Die  Filtration  wird  so  geregelt,  dass  in  der  Minute  ca.  10  Tropfen 
durch  das  Filter  gehen.  Es  empfiehlt  sich,  zwischen  der  Saugflasche 
und  der  Saugpumpe  eine  Woulf'sche  Flasche  einzuschalten. 

Die  Dialysatoren  dienen  zur  Befreiung  der  Kultur-  oder  tieri- 
schen Flüssigkeiten  von  bestimmten  Körpern,  z.  B.  Salzen,  Peptonen  etc. 
Besonders  geeignet  erweist  sich  derPROSKAUEK'sche  Dialysator  (s.  Fig.  47). 
In  ein  mit  einer  Ausflussöffnung  versehenes  Gefäss  B  ist  das  obere 
Gefäss  C  mit  Einschliff  eingefügt,  an  welchem  die  Membran  in  Form 
eines  Beutels  mit  einem  Bindfaden  festgebunden  wird.  Der  Apparat 
ist  sterilisierbar  und  ermöglicht  steriles  Arbeiten,  er  kann  in  fliessen- 
dem  Wasser  benutzt  werden  und  verhindert  ein  kapillares  Aufsteigen 
der  Flüssigkeit  aus  dem  Dialysat  in  der  Membran. 

Zur  Eindickung  labiler  flüssiger  Substanzen  in  möglichst  kurzer 
Zeit  und  bei  niedrigen  Temperaturen  dient  der  Vakuumdestillations- 
apparat von  B.  Peoseauee  (Fig.   48).     Die  Konstruktions-  und  An- 


584 


Methocleu  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


wendungsweise  desselben  kann 
an  der  Hand  der  beifolgenden 
Figur  48  erläutert  werden. 

Der  zur  Aufnahme  der  Flüs- 
sigkeit dienende  Kolben  K,  welcher 
sich  auf  der  Unterlage  F  über  dem 
durch  einen  Brenner  erwärmten 
Wasserbade  W  befindet,  ist  an 
seinem  Halse  zu  einer  Kugel  erwei- 
tert und  besitzt  einen  3fach  durch- 
bohrten Gummipfropfen.  Durch 
diesen  werden  der  Tropftrichter  S 
und  das  mit  einer  von  koncentrier- 
ter  Schwefelsäure  angefülltenVor- 
lage  H2  in  Verbindung  stehende 
Luftzuführungsrohr,  sowie  das 
Thermometer  T  eingeführt.  Wäh- 
rend des  Destillierens  lässt  man 
langsam  einen  Strom  vorgetrock- 
neter    Luft     aus     dem     Luftzu- 


Fig.    k8. 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


585 


führungsrohr  über  das  Flüssigkeitsniveau  in  K  streichen,  in  welchem 
die  in  K  entwickelten  Dämpfe,  weil  eine  Kühlvorrichtung  um  K1 
angebracht  ist,  kondensiert  werden  und  in  flüssigem  Zustande  in  die 
Flasche  M  abtropfen.  Mit  der  letzteren  steht  ein  Quecksilbermano- 
meter M  in  Verbindung,  dessen  einer  Schenkel  mit  dem  Lüftungshahn 


(fe 


IM 


H1  verbunden  ist.  Ein  Seitenrohr  der  Saugfiasche  steht  mit  einer 
Wasserstrahlpumpe  mit  Rückschlagventil  in  Verbindung.  Zwischen 
Saugflasche  und  Pumpe  ist  als  Sicherheitsvorlage  gegen  zurücksteigen- 
des Wasser  eine  Woulfsche  Flasche  eingeschaltet. 

Wenn  nötig,  kann  man  den  Apparat  nach  seiner  Zusammen- 
setzung durch  Ausspülung  mit  Alkohol  und  Abdestillieren  desselben 
sterilisieren. 


586  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

Um  den  Apparat  in  Gang  zu  setzen,  stellt  man  das  Vakuum  her 
und  lässt,  sobald  die  erforderliche  Luftleere  erreicht  und  nachdem  das 
Wasserbad  geheizt  ist,  die  Flüssigkeit  durch  den  Hahn  H  tropfenweise  zu, 
derzumZwecke  der  Regulierung  konisch  durchbohrt  ist.  Die  Destillation 
findet  nun  statt,  ohne  dass  sie  durch  Auseinandernähme  des  Apparats 
behufs  Neueinfüllung  von  Flüssigkeiten  unterbrochen  zu  werden  braucht. 
Nähert  sich  die  Destillation  ihrem  Ende,  so  entfernt  man  die  Flamme 
und  saugt  weiter,  bis  das  Wasser  im  Wasserbade  erkaltet  ist.  Der 
Apparat  kann  nun  auseinandergenommen  werden,  nachdem  man  das 
Pumpen  eingestellt  und  den  Hahn  H1  geöffnet  hat. 

Für  die  Abdampfung  und  Eintrocknung  kleinerer  Flüssigkeits- 
mengen bei  niederen  Temperaturen  ist  der  PROSKAUER'sche  heizbare 
Vakuum-Trockenapparat  sehr  geeignet,  der  eine  Modifikation  des 
von  Brühl  (Berl.  ehem.  Ges.)  konstruierten  Apparates  darstellt  (s.  Fig.  50). 
Die  Erwärmung  des  automatisch  arbeitenden  Apparats  beruht  auf 
dem  Prinzip  der  Warmwasserheizung.  Aus  dem  Wasserbad  B,  welches 
durch  eine  Gasflamme  erwärmt  wird,  steigt  das  warme  Wasser  durch 
F  zu  der  innerhalb  der  Glocke  A  befindlichen  Erwärmungskammer, 
welche  aus  einem  doppelwandigen  Teller  besteht,  giebt  hier  die  Wärme 
ab  und  sinkt  durch  Rohr  G  zum  Expensionsgefäss  zurück,  wo  es  von 
neuem  erwärmt  wird.  Die  Luft  in  der  Glocke  A  wird  durch  eine 
Wasserstrahlpumpe  evakuiert.  Am  Boden  der  durch  die  Glocke  einge- 
schlossenen Kammer  befinden  sich  Glasgefässe  mit  koncentrierter 
Schwefelsäure  zur  Absorption  des  Wasserdampfes. 

Die  Extraktion  von  Substanzen  aus  Flüssigkeiten  mit  Äther  ge- 
lingt sicher  und  rasch  vermittelst  des  Figur  49  abgebildeten,  gleich- 
falls von  B.  Proskaüer  angegebenen  Apparates  Die  in  einem  mit 
Äther  gefüllten,  über  einem  Wasserbade  erwärmten  Kölbchen  ent- 
wickelten Ätherdämpfe  steigen  durch  das  Rohr  B  auf,  gelangen  in  den 
unteren  Teil  der  zu  t extrahierenden  Flüssigkeit,  werden  hier  konden- 
siert und  sammeln  sich  auf  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  mit  den 
Extraktionsstoffen  beladen  an.  Von  hier  fiiessen  sie  in  das  Kölbchen 
vermittelst  des  Rohres  C  zurück. 

Die  bei  allen  diesen  Versuchen  zu  benutzende  Wasserstrahl- 
Luftpumpe  empfiehlt  es  sich,  mit  einem  Lippenrückschlagventil 
von  Gummi  zu  versehen. 

C.  Die  bakteriologische  Untersuchung  von  Luft,  Wasser  und  Boden. 

I.  Luft. 

Nachdem  man  früher  vergeblich  versucht  hatte,  durch  Fixieren 
der  Luftkeime    auf  klebrigen   Flächen   und  mikroskopische  Unter- 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  537 

suchimg  einen  genügenden  Einblick  in  die  Zahl,  Art  und  Lebens- 
fähigkeit der  in  der  Luft  vorkommenden  Bakterien  zu  erhalten,  sind 
in  neuerer  Zeit  Methoden  bekannt  geworden,  welche  zunächst  eine 
Entwicklung  der  einzelnen  Luftkeime  und  dann  eine  Zählung  der- 
selben anstreben. 

Zur  vorläufigen  Orientierung  über  den  Keimgehalt  der  Luft  und 
die  in  ihr  enthaltenen  Arten  genügt  es,  PETRi'sche  Schalen  mit  steriler 
Gelatine  oder  sterilem  Agar-Agar  1j2 — 1  ccm  hoch  gefüllt  eine  be- 
stimmte Zeit  offen  hinzustellen,  dann  wieder  zu  bedecken  und  stehen 
zu  lassen.  Die  Spaltpilze  fallen  auf  das  Nährsubstrat  und  wachsen 
auf  demselben  zu  Kolonien  aus. 

Für  die  Zählung  der  in  einem  bestimmten  Luftquantum  enthalte- 
nen Pilze  sind  zwei  Methoden  angegeben  und  häufig  angewandt  wor- 
den. Die  ältere  derselben  ist  die  HESSE'sche  Methode,  deren  Ver- 
suchsanordnung sich  folgendermassen  gestaltet:  Ein  Glasrohr  von 
ca.  70  cm  Länge  und  3,5  cm  Weite  wird  mit  50  ccm  Nährgelatine 
so  beschickt,  dass  dieselbe  die  inneren  Wandungen  ganz  überzieht  und 
auf  dem  Boden  eine  dickere  Lage  bildet.  Das  eine  Ende  ist  mit  einem 
Kautschukkork  verschlossen,  in  dessen  Bohrung  ein  mit  Wattepfropfen 
armiertes  Glasrohr  steckt;  letzteres  wird  mit  dem  Aspirator  verbun- 
den, das  andere  Ende  ist  von  einer  Gummikappe  überzogen,  die  durch 
ein  centrales  Loch  die  Luft  eintreten  lässt.  Das  ganze  Rohr  wird 
horizontal  auf  ein  Stativ  aufgelegt.  Das  Durchströmen  der  Luft 
lässt  man  mit  einer  Geschwindigkeit  vor  sich  gehen,  die  ungefähr 
1  1  in  2  Minuten,  jedenfalls  aber  nicht  mehr  beträgt. 

Die  in  der  Luft  enthaltenen  Keime  fallen  —  meist  bald*  nach  dem 
Eintritt  der  Luft  in  die  Röhre  —  auf  die  Gelatine  und  entwickeln 
sich  dort  zu  isolierten  zählbaren  Kolonien.  Man  erhält  so  oft  sehr 
instruktive  Bilder,  aber  ganz  genau  vergleichbare  Resultate  gewährt 
diese  Methode  nicht.  Theils  ist  die  richtige  Stärke  der  Luftströmung, 
bei  welcher  keine  Keime  das  Rohr  passieren  und  bei  welcher  sie 
auch  nicht  zu  dicht  im  Anfangstheil  sich  häufen,  schwer  herzustellen, 
theils  bietet  die  oberflächlich  eintrocknende  Gelatine  eine  ungünstige 
Ansiedelungsstätte.  Endlich  beruht  die  Anwendbarkeit  der  Methode 
auf  der  Annahme,  dass  die  Verteilung  der  Keime  in  der  Luft  eine 
sehr  gleichmässige  ist  und  dass  keine  Haufen  und  Konglomerate  von 
Mikroorganismen  existieren.  Nach  allen  sonstigen  Beobachtungen  ist  das 
aber  nicht  der  Fall;  es  lassen  sich  durch  direkte  mikroskopische  Unter- 
suchung zahlreiche  Verbände  von  Bakterien  unter  den  Luftkeimen  nach- 
weisen, und  eine  völlig  gleichmässige  Verteilung  der  Verbände  und  Einzel- 
individuen in  der  Luft  wird  auch  schwerlich  immer  repräsentiert  sein. 
Ganze  Bakterienverbände  geben  bei  dem  Wachstum  gerade  so  gut  iso- 


5S8  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

lierte  Kolonien  wie  einzelne  abgelöste  Individuen.  Ein  nicht  unerheb- 
licher Mangel  der  Methode  ist  endlich  der  Umstand,  dass  man  mir 
ein  verhältnismässig  geringes  Luftquantum  durch  den  Apparat  saugen 
und  so  der  Untersuchung  unterwerfen  kann,  und  dass  trotzdem  die 
Durchleitung  der  Luft  sehr  langsam  von  statten  geht. 

Von  diesen  Mängeln  der  HESSE'schen  Methode,  die  für  gewisse 
Zwecke  der  Praxis  in  der  Hand  des  Geübten  immerhin  brauchbar  sein 
kann,  ist  die  PETßi'sche  Methode  zum  grossen  Teil  frei,  welche  aller- 
dings die  Benutzung  mehrerer  komplizierter  Apparate,  z.  B.  einer 
Gasuhr,  erforderlich  macht.  Die  Luft,  welche  auf  ihren  Keimgehalt 
untersucht  werden  soll,  wird  durch  feinen,  ausgeglühten  Quarzsand  von 
V4 — V3  mm  Korngrösse  geleitet  (Fig.  51).  Der  Sand  ist  in  einem  ca.  9  cm 
langen  und  1,6  cm  weiten  Röhrchen  enthalten  und  zwar  in 
zwei  von  einander  durch  ein  dünnes  Drahtgeflecht  getrennten 
Filtern,  deren  eines  als  Kontrollfilter  dient.  Die  Sandfilter 
sind  auch  nach  aussen  durch  ein  Drahtgeflecht  abgegrenzt. 
Neuerdings  hat  M. Ficker  (Z.22)  vorgeschlagen,  statt  des  Quarz- 
sandes Glasstückchen  zu  benutzen,  weil  die  Zählung  der  Kolonien 
in  den  mit  dem  Glassand  beschickten  Platten  genauere  Resul- 
tate, als  bei  den  mit  Quarzsand  hergestellten  giebt.  Nach 
der  Füllung  wird  das  Röhrchen  mit  zwei  Wattepfropfen 
verschlossen  und  sterilisiert.  Bei  Ausführung  der  Luftunter- 
suchung wird  der  eine  Wattepfropfen  entfernt  und  an  Stelle 
des  anderen  ein  von  einem  Glasrohr  durchbohrter  Gummi- 
stopfen gesetzt.  Nachdem  das  Glasrohr  mit  einer  besonders 
konstruierten  Luftpumpe  in  Verbindung  gesetzt  ist,  wird  ein 
Fig.  51.  starker  Luftstrom  (ca.  10  Liter  in  einer  Minute)  10—20  Mi- 
nuten durch  das  senkrecht  gestellte  Röhrchen  gesaugt  (Fig.  52). 
Die  durchgesaugte  Luftmenge  wird  durch  eine  Gasuhr  unter  Benutzung 
eines  zwischen  dem  Röhrchen  und  der  Gasuhr  eingeschalteten  Mano- 
meters, welcher  eine  Berechnung  der  Luftverdünnung  möglich  machtv 
gemessen.  Immerhin  bietet  also  die  genaue  Messung  der  Luftmenge 
nicht  unerhebliche  Schwierigkeiten. 

Nach  Abschluss  des  Durchsaugens  wird  das  obere,  der  Einströ- 
mungsöffnung zugelegene  Filter  in  verflüssigte  Nährgelatine  über- 
tragen, welche  nach  länger  dauerndem  Schütteln  (um  die  Auflösung 
etwaiger  Bakterienverbände  zu  ermöglichen)  in  PETRi'sche  Schalen 
ausgegossen  wird.  Sollen  verschiedene  Nährsubstrate  untersucht  wer- 
den, so  ist  das  Filtermaterial  zunächst  in  Kochsalzlösung  zu  vertei- 
len, und  von  dieser  ist  ein  aliquoter  Teil  den  verschiedenen  Nähr- 
substraten zuzufügen.  Das  untere,  dem  Aspirator  zugelegene  Filter 
dient   als  Kontrollfilter.     Es    wird   in    gleicher  Weise    wie    das    obere 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


589 


Filter  behandelt,    doch  dürfen,   falls  der  Versuch  gelungen  ist,    keine 
Keime  aus  diesem  Filter  mehr  zur  Entwicklung  kommen.  — 

Die  sonstigen,  bisher  bekannt  gewordenen  Vers  u  che  zur  quantita- 
tiven Bestimmung  der  Luftkeime  beruhen  meistens    auf   dem  Prinzip, 


die  Luft  durch  eine  Flüssigkeit  zu  leiten,  wodurch  eine  Zurückhaltung 
der  Keime  in  der  Waschnüssigkeit  erzielt  werden  soll.  Diese  Ver- 
suche haben  indessen  zu  völlig  befriedigenden  Resultaten  nicht  ge- 
führt. Wie  verschiedentlich  nachgewiesen  ist,  gelingt  es  schwer,  in 
"Waschflüssigkeiten  alle  Keime  der  Luft  zurückzuhalten.  Ausserdem 
leiden  diese  Methoden  noch  an  einem  anderen  Fehler,  dass  nämlich  in 
solchen  Nährsubstraten  schon  während  der  —  notwendigerweise  sehr 
langsamen   —    Durchleitung  der  Luft  Vermehrung  rasch  wachsender 


590  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

Saprophyten  eintreten  kann,  so  der  Versuch  v.  Sehlen's,  Agarlösung 
zur  Aufnahme  der  Luftkeime  zu  verwenden.  Auch  bei  Verwendung 
von  Gelatine  ist  die  Möglichkeit  der  Vermehrung  von  Saprophyten 
nicht  von  der  Hand  zu  weisen. 

Beim  Nachweis  von  pathogenen  Mikroorganismen,  von  denen 
mehrere  Arten  gelegentlich  in  der  Luft  in  infektionstüchtigem  Zu- 
stande existierend  auf  Grund  theoretischer  Erwägungen  angenommen 
werden  müssen,  lassen  die  bisher  für  die  Luftuntersuchung  angegebe- 
nen Methoden  im  Stich.  Aber  selbst  bei  Zuhilfenahme  des  Tierexpe- 
riments  und  Kombination  mit  anderen  Methoden  ist  es  bis  jetzt  nicht 
gelungen,  Bakterien,  welche  ohne  Zweifel  zeitweise  in  der  Luft  sus- 
pendiert sind,  wie  z.  B.  die  Tuberkelbacillen,  in  der  Luft  nachzuwei- 
sen. Es  hat  dies  seinen  Grund  wohl  hauptsächlich  darin,  dass  die 
pathogenen  Bakterien  nur  in  sehr  geringer  Zahl  in  der  Luft  verbreitet 
sind,  so  dass  das  Auffinden  derselben  ein  glücklicher,  aber  seltener 
Zufall  ist.  Für  das  Vorkommen  der  Tuberkelbacillen  in  der  Luft  hat 
auf  indirektem  Wege  unzweideutige  Beweise  Coenet  geliefert.  Cornet 
(Z.)  gelang  es,  im  Niederschlage  der  Luft,  im  Staub,  Tuberkelbacillen  an 
denjenigen  Stellen  von  Wohnräumen  nachzuweisen,  wohin  sie  nicht 
direkt  durch  verstaubtes  oder  verschlepptes  Sputum,  sondern  nur  durch 
Absinken  aus  der  Luft  gelangt  sein  konnten.  Petki  hat  diese  Unter- 
suchungen wiederholt  und  bestätigt.  Die  Untersuchung  geschieht  nach 
Cornet's  Vorschrift  so,  dass  man  mit  sterilen,  feuchten  Schwämmchen 
Staub  aufwischt  und  Partikelchen  von  den  Schwammstückchen  in  die 
Bauchhöhle  von  Meerschweinchen  bringt.  Bei  geeigneter  Versuchsanord- 
nung wird  es  ohne  Zweifel  aber  auch  gelingen,  in  der  Luft  stark  infizierter 
Wohnräume  vermittelst  des  Petri' sehen  Apparates  Tuberkelbacillen  nach- 
zuweisen, indem  man  den  Sand  in  steriler  Flüssigkeit  auswäscht  und 
diese  letztere  Versuchstieren  intraperitoneal  injiziert. 

II.  Wasser. 

Die  Probenahme  geschieht  am  besten  in  sterilisierten  Glas- 
gefässen.  In  den  Fällen,  wo  man  das  zu  untersuchende  Wasser 
direkt  in  ein  Gefäss  auffangen  kann,  ohne  ein  anderes  bakterienhaltiges 
Medium  zu  passieren,  z.  B.  aus  Brunnen,  offenen  Flussläufen,  benutzt 
man  zweckmässig  ERLENMEYER'sche  Kölbchen  oder,  falls  das  Gefäss 
verschickt  wTerden  soll,  Gläser  mit  eingeschliffenem  Stöpsel.  Damit 
bei  dem  Anfassen  des  Kölbchens  an  der  Einflussöffnung  von  den  Hän- 
den des  Untersuchers  keine  Keime  anhaften  können,  welche  durch  das 
einströmende  Wasser  mit  in  das  Kölbchen  gespült  werden,  hat  E.  Pfuhl 
vorgeschlagen,  den  oberen  Teil  des  Kölbchens  vor  dem  Sterilisieren 
mit  einer  weit  übergreifenden,  durch  Bindfaden  fixierten  Wattekappe  zu 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen.  591 

versehen.  Kurz  vor  der  Probenahme  wird  die  Kappe  entfernt.  Bei 
Befolgung  dieser  PFUHi/schen  Vorschrift  ist  ein  Hineingelangen  von 
Keimen  in  das  Gefäss  aus  einer  anderen  Quelle  als  aus  dem  zu  unter- 
suchenden "Wasser  unmöglich.  Um  die  Wasserproben  leicht  transpor- 
tieren zu  können,  empfiehlt  es  sich,  dieselben  in  den  von  Flügge  an- 
gegebenen kleinen,  luftleer  gemachten  Glaskugeln,  welche  nachher  zuge- 
schmolzen werden,  aufzufangen  (Fig.  53).  Derartige  Glaskugeln  von  ca. 
IV2  cm  Durchmesser,  an  der  einen  Seite  mit  einem  10 — 15  cm  langen,  fast 
kapillaren  Glasrohr  versehen,  werden  durch  Erwärmen  der  Kugel  und 
folgendes  Eintauchen  in  destilliertes  Wasser  etwa  zui\ Hälfte  mit  Wasser 
gefüllt;  dann  stellt  man  die  Kugel  auf  ein  Drahtnetz  eines  Stativs, 
richtet  das  Glasrohr  schräg  nach  oben  und  umgiebt  dasselbe  mit  einem 
Bausch  Filtrierpapier.  Darauf  bringt  man  das  Wasser  der  Kugel  ins 
Sieden;  der  Wasserdampf  strömt  in  starkem  Strahl  aus  dem  Kapillar- 
rohr hervor,  etwa  mitgerissene  und  herablaufende  Tropfen  werden  von 
dem  Filterpapier  aufgesogen.  Wenn  die  ganze  Masse  des  Wassers  bis 
auf  etwa  % — 1  Tropfen  verdampft  ist,  schmilzt  man,  noch  während 
der  Strom  von  Wasserdampf  entweicht,  mit  einem  zweiten  Brenner 
das  Kapillarrohr  oben  zu. 

In  diesem  Zustand  werden  die  Kugeln  transportiert;  sie  lassen 
sich  in  Blechtrommeln,  die  im  Innern  zwei  siebartig  durchlöcherte 
hölzerne  Böden  und  im  Deckel  eine  Watteeinlage  tragen,  sehr  gut  ver- 
senden. —  Die  Probenahme  geschieht  so,  dass  der  Untersuchende  zuerst 
etwas  Sublimatlösung  (1 :  2000)  über  die  Kugel  und  über  die  eigenen 
Hände  giesst;  dann  muss  ein  Assistent  einige  Minuten  pumpen.  Das 
erste  Wasser  benutzt  man,  um  das  Sublimat  von  der  Kugel  und  den 
Händen  gründlich  abzuspülen;  dann  wird  mitten  im  vollen  Wasser- 
strahl das  Kapillarrohr  nahe  der  Spitze  bei  a  (Fig.  53)  abgebrochen,  worauf 
momentan  der  ganze  luftleere  Apparat  bis  zur  Spitze  sich  mit  dem 
Wasser  füllt;  alsdann  wird  in  der  Flamme  einer  Spirituslampe  (even- 
tuell unter  Zuhilfenahme  eines  Lötrohrs)  weiter  unterhalb  bei  &  zuge- 
schmolzen. —  Das  ins  Laboratorium  zurückgebrachte  Gläschen  wird 
wieder  desinfiziert  und  mit  sterilisiertem  Wrasser  abgespült;  darauf 
wird  bei  c  ein  Feilstrich  gemacht  und  das  Rohr  abgebrochen.  Die 
entstehende  Öffnung  ist  weit  genug,  um  mit  Hilfe  einer  sterilisierten 
Tropfpipette  eine  beliebige  Menge  —  1  Tropfen  bis  1  ccm  und  mehr  — 
Wasser  zu  entnehmen. 

Kommt  es  darauf  an,  für  wissenschaftliche  Untersuchungen  oder 
praktische  Zwecke  aus  der  Tiefe  der  Gewässer  Proben  zu  entnehmen, 
so  kann  man  sich  verschiedener,  zu  diesem  Zwecke  hergestellter  Appa- 
rate bedienen.  Rotrx  benutzte  kleine  Glaskölbchen,  welche  am  oberen 
Ende  in  ein  fast  kapillares,  mehrfach  gewundenes  Glasrohr  ausgezogen 


592 


Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


sind.  In  der  oben  beschriebenen  Weise  (s.  Fig.  54)  wird  das  Kölbchen 
luftleer-  gemacht  und  darauf  das  Glasrohr  am  äussersten  Teile  zuge- 
schmolzen. An  einer  Schlinge  des  Glasrohres  (A)  wird  nun  ein  Bindfaden 
befestigt  und  darauf  das  Kölbchen  in  einem  mit  Gewichten  (C)  beschwerten 
Gefässe  (B)  vermittelst  einer  Schnur  in  die  Tiefe  gesenkt.  Ist  die  ge- 
wünschte Tiefe,  welche  an  der  Schnur  abgelesen  werden  kann,  erreicht, 
so  zerbricht  man  durch  einen  kräftigen  Zug  an  dem  Bindfaden  das 
kapillare    Rohr.     In    den    luftleeren  Apparat    stürzt    das  Wasser    nun 

rasch  hinein,  worauf  das  Kölbchen 
an  der  Schnur  wieder  nach  oben 
gezogen  wird.  —  v.  Esmaech  hat 
Kölbchen  empfohlen,  welche  mit 
einem  doppelt  durchbohrten  Gummi- 
stopfen verschlossen  sind.  In  der 
einen  Öffnung  desselben  befindet  sich 
ein  Glasrohr,  das  in  ein  kapillares 
Ende  ausgezogen  und  nach  unten 
umgebogen  ist,  während  das  in  der 
anderen  Öffnung  des  Pfropfens  ange- 
brachte Röhrchen  mit  einem  Gummi- 
schlauch verbunden  ist,  der  über 
die  Oberfläche  des  Wassers  geführt 
ist.  Vor  der  Benutzung  wird  der 
ganze  Apparat  sterilisiert.  Das 
Kölbchen  wird  entsprechend  mit 
Gewichten  beschwert  und  sinkt  unter. 
Hierbei  tritt  in  das  Kölbchen  kein 
Wasser  ein.  Sobald  der  Apparat 
sich  in  der  gewünschten  Tiefe  be- 
findet, saugt  man  die  Luft  vermittelst 
des  Gummischlauches  aus  dem  Kölb- 
chen, das  sich  infolge  dessen  durch 
die  Kapillare  mit  Wasser  füllt, 
unmittelbar,  wenn  es  sich  um  die 
Feststellung  der  Keimzahl  der  Probe  handelt,  nach  der  Entnahme 
zu  untersuchen.  Ist  aus  irgend  welchen  Gründen  die  Untersuchung 
erst  nach  längerer  Zeit  (mehrere  Stunden)  nach  der  Entnahme  mög- 
lich, so  ist  das  zu  untersuchende  Wasser  in  Eis  verpackt  aufzu- 
bewahren bez.  zu  versenden.  Die  von  verschiedenen  Seiten  konstatierte 
schnelle  Vermehrung  der  Wasserbakterien,  sobald  das  Wasser  in  der 
Wärme  aufbewahrt  wird,  macht  diese  Vorsichtsmassregel  unerlässlich. 
Die  Untersuchung  der  Zahl  und  Art  der  vorhandenen  Keime  geschieht 


Fig.  53. 

Jedes  Wasser 


Fig.  54. 

ist   möglichst 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


593 


am  besten  mit  Hilfe  der  Gelatineplatten,  welche  man,  um  sie  brauch- 
bar zu  erhalten  (mit  10— 10000  Kolonien)  mit  abgestuften  Mengen  des 
Wassers  (1,  %,  Vio)  im&  unter  Zuhilfenahme  der  Verdünnung  in  steri- 
lem Wasser  eventuell  mit  Vioo  nn&  Viooo  ccm  beschickt.  Zur  Zählung 
benutzt  man  eine  Lupe.  Die  Platten  werden  auf  den  Zählapparat  von 
Wolfhügel  gesetzt.  Max  Neisser  hat  vorgeschlagen  (Z.  XX)  die 
Platten,  sofern  sie  mehr  als  ca.  1500  Kolonien  enthalten,  mit  Hilfe  des 
Mikroskops  bei  schwacher  Vergrösserung  zu  zählen,  cla  in  diesem  Falle 
die  mikroskopische  Untersuchung  in  Bezug  auf  die  Vermeidung  der 
Fehler  der  Lupenzählung  entschieden  überlegen  ist.  Man  zählt  je  nach 
der  Dichte  der  Platte  30 — 60  Gesichtsfelder.  Zur  Erleichterung  der 
Zählung  bei  dicht  besäten  Platen  dient  ein  Okularnetzmikrometer,  zur 
Ausmessung  des  Gesichtsfeldes  ein  Objektivmikrometer,  ein  Glasplätt- 


Fig.  55. 


chen,  auf  dem  Teilstriche  bis  -^  mm  angebracht  sind.  Bei  Platten  die 
weniger  als  1500  bis  zu  600  Kolonien  enthalten,  ist  die  Lupenzählung 
der  mikroskopischen  gleichwertig  zu  erachten,  bei  den  weniger  als 
600  Kolonien  enthaltenden  Platten  sogar  überlegen  zu  betrachten. 

Will  man,  wie  es  für  manche  Zwecke  notwendig  ist,  die  Unter- 
suchung des  Wassers  auf  seine  Keimzahl  an  Ort  und  Stelle  der  Ent- 
nahme ausführen,  so  benutzt  man  zweckmässig  den  von  B.  Proskauer 
zusammengestellten,  leicht  transportierbaren  Kasten  (Fig.  55),  in  dem 
die  dazu  notwendigen  Geräte  zusammengestellt  sind.  Derselbe  enthält : 
4  sterile  ERLENMEYEE'sche  Kölbchen  zur  Wasserentnahme,  1  Thermo- 
meter, 1  transportable  Spirituslampe,  12  sterile  PETRi'sche  Doppelschalen 
in  2  runden  Blechbüchsen,  12  Reagensgläser  mit  Gelatine,  15  sterile 
Wasserpipetten  in  3  Röhren,  1  zusammenlegbaren  Dreifuss,  1  Handtuch, 
1  Notizbuch,  1  Bleistift  u.  dgl.  m.   Die  bei  35  °  C.  aufgeschmolzene  Nähr- 

Plügge,  Mikroorganismen.  3.  Auflage.  I.  38 


594  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

gelatine  wird  direkt  an  der  Untersuchungsstelle  geimpft  und  zu  Platten 
gegossen,  so  dass  der  Transport  der  Wasserproben  wegfällt. 

Für  den  Nachweis  von  pathogenen  Bakterien  im  Wasser,  vor 
allem  von  Typhus-  und  Cholerabakterien,  werden  die  zur  Züchtung 
dieser  Mikroorganismen  überhaupt  gebräuchlichen  Kulturverfahren 
angewandt:  bei  Untersuchung  auf  Typhusbacillen  also  das  Gelatine- 
plattenverfahren, bei  derjenigen  auf  Choleravibrionen  die  KoCHsche 
Peptonmethode.  Man  verarbeitet,  um  die  letztere  anzuwenden,  grössere 
Quantitäten  Wassers,  1  1  und  mehr,  in  dem  man  so  viel  einer  sterili- 
sierten 20  %  alkalischen  Peptonlösung  mit  10  %  NaCl-Gehalt  (sog. 
Stammlösung)  zusetzt,  dass  die  zu  untersuchende  Flüssigkeit  einen 
Gehalt  von  1  %  Pepton,  %  °o  NaCl  hat,  und  verteilt  das  ganze  Quantum 
auf  ERLENMEYER'sche  Kölbcnen.  Auf  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit 
sammeln  sich,  nachdem  die  Kölbcnen  12  Stunden  im  Brutpparat  bei  37  °  C. 
gelassen  sind,  zahlreiche  Vibrionen  und  unter  ihnen  gegebenen  Falles 
auch  Choleravibrionen  an,  deren  Isolierung  und  weitere  Differenzierung 
nach  den  bei  der  Besprechung  der  Züchtung  und  Differenzierung  von 
Vibrionen  aufgestellten  Gesichtspunkten  zu  geschehen  hat. 

III.  Boden. 

Die  Untersuchung  des  Bodens  kann  geschehen,  um  die  Zahl  der 
in    einer   Bodenprobe    enthaltenen   Keime    zu    bestimmen,    oder    zum 


Zwecke  der  Feststellung  der  im  Boden  vorhandenen  Arten  von  Mikro- 
organismen, im  besonderen  von  Krankheitserregern. 

Das  zur  Untersuchung  notwendige  Material  entnimmt  man,  wenn  die 
zu  untersuchende  Bodenstelle  oberflächlich  liegt,  auf  C.FB&NKEi/s(Z.Bd.II) 
Empfehlung  mittelst  eines  kleinen  Platinlöffels,  der  scharfe  Ränder  hat 
und  eine  genau  abgemessene  Menge  fast.   Um  aus  der  Tiefe  des  Bodens 


Kolle,  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 


595 


Material  in  einer  solchen  Weise  zu  entnehmen,  dass  jede  Verunreini- 
gung der  Probe  von  aussen  und  von  angrenzenden  Bodenschichten 
vermieden  wird,  ist  die  Benutzung  des  FßÄNKEi/schen  Bohrers  uner- 
lässlich  (Fig.  56).  Über  dem  Bohrgewinde  dieses  Bohrers  befindet  sich 
eine  durch  eine  Hülse  verschlossene  Kammer,  welche  bei  der  Eintreibung 
des  Bohrers  in  die  Erde  mit  Drehung  von  links  nach  rechts  geschlossen 
bleibt.  Ist  die  Kammer  bis  zu  der  beabsichtigten  Tiefe  eingetrieben, 
so  genügen  einige  wenige  Drehbewegungen  von  rechts  nach  links,  um 
die  Hülse  von  der  Öffnung  der  Kammer  wegzuschieben,  so  dass  eine 
Füllung  der  Kammer  mit  der  umgebenden  Bodenschicht  stattfindet. 
Ein  auf  ähnlichen  Prinzipien  beruhender  Bohrer,  der  aber  die  Boden- 


proben nach  der  Entnahme  sicherer  als  Fränkel's  Instrument  vor  der 
Verunreinigung  mit  den  oberen  Bodenschichten  schützt,  ist  von  Davids 
(H.)  angegeben  worden,  wie  es  beifolgende  Fig.  57  zeigt. 

Die  Untersuchung  muss  möglichst  sofort  nach  Entnahme  der 
Bodenprobe  geschehen,  da  im  Laboratorium  infolge  der  höheren  Tem- 
peratur eine  rasche  Vermehrung  der  Saprophyten  einzutreten  pflegt. 
Das  Untersuchungsmaterial  wird  gegebenen  Falls  nach  Verteilung  in 
.sterilisiertem  Wasser    zu  verflüssigter  Gelatine  gefügt,  die  nach  v.  Es- 

38* 


596  Methoden  zur  Untersuchung  der  Mikroorganismen. 

march's  Methode  zu  Rollplatten  benutzt  wird.  Die  Rollröhrchen  ver- 
dienen vor  den  Gelatineplatten  in  PETKi'schen  Schalen  für  diese  Zwecke 
vor  allem  deshalb  den  Vorzug,  weil  einmal  die  anaerobiotische  Züch- 
tung sehr  leicht  in  den  Röhrchen  auszuführen  ist  und  zweitens  auch 
die  langsam  wachsenden  Bakterienarten  in  den  vor  Verunreinigungen 
leicht  zu  schützenden  Röhrchen  zur  Entwicklung  kommen.  Die  Zahl 
der  Keime  wird  in  der  gewöhnlichen  Weise  bestimmt. 

Die  saprophytischen  Mikroorganismen  können,  soweit  sie  auf  Ge- 
latine wachsen,  auf  diese  Weise  isoliert  und  einer  Artbestimmung 
unterworfen  werden.  Auch  der  Typhuserreger  kann  so  gegebenen 
Falles  nachgewiesen  werden,  wie  aus  den  sorgfältigen  Untersuchungen 
Lösener's  (Arb.  aus  dem  Kais.  Ges.  A.  Bd.  XI)  hervorgeht.  Um  die 
Erreger  des  Tetanus,  des  malignen  Odems  und  des  Milzbrandes  im 
Boden  nachzuweisen,  ist  eine  subkutane  Verimpfung  von  Erdproben 
bei  Tieren,  namenlich  Mäusen,  vorzunehmen.  Die  geimpften  Tiere 
sterben,  wenn  die  benutzte  Bodenprobe  diese  Krankheitserreger  auch 
nur  in  sehr  geringen  Mengen  enthält,  an  der  betreffenden  Krankheit. 
Es  ist  dann  leicht,  aus  den  Leichen  die  gesuchten,  in  relativ  grosser 
Menge  darin  vorhandenen  Mikroorganismen  zu  züchten. 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig. 


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Landerer,  Prof.  A.  in  Stuttgart.  Die  Behandlung  der  Tuberkulose  mit 
Zimmtsäure.     gr.  8°.     1892.  2  M. 

Landerer,  Prof.  A.  in  Stuttgart.  Anweisung  zur  Behandlung  der  Tuberku- 
lose mit  Zimmtsäure.    Mit  2  Abbildungen.     8°.     1893.  50  Pf. 

Krause,  Prof.  F.  in  Altona.  Die  Tuberkulose  der  Knochen-  und  Ge- 
lenke. Nach  eigenen  an  der  Volkmann'schen  Klinik  gesammelten  Er- 
fahrungen und  Thierversuchen  dargestellt.  Mit  42  Abbildungen  im  Text 
und  5  Lichtdrucktafeln.     Lex.  8,J.     1891.  10  M. 

Mittermaier,  Dr.  C.  in  Heidelberg  u.  Dr.  J.  Goldschmidt  in  Funchal, 
Madeira  und  seine  Bedeutung  als  Heilungsort.  Zweite  völlig  umgearb. 
Auflage,    gr.  8°.  6  M. 

Bang,  Prof.  D.  B.  in  Kopenhagen.  Die  Verwendung  des  Tuberkulins  in  dem 
Kampfe  gegen  die  Tuberkulose  des  Rindviehs.    8°.   1896.    Sonderabdr.  1  M. 

Juckuff,  Dr.  E.  in  Leipzig.  Versuche  zur  Auffindung  eines  Dosirungsgesetzes. 
Eine  toxikologisch-mathematische  Studie.  Mit  4  Tafeln  und  1  Abbildung 
im  Text,     gr.  8°.     1895.  2  M. 


Crede,  Dr.  med.  Benno,  Königl.  Sachs.  Hofrat,  Oberarzt  der  chirurgischen 
Abtheilung  des  Carolahauses  zu  Dresden  und  Dr.  J.  L.  Beyer,  Assistenz- 
arzt am  Carolahause.  Silber  und  Silbersalze  als  Antiseptika,  gr.  8. 
1896.  1.50  M. 

Ostmann,  Professor  Dr.,  Director  der  K.  Universitäts-Poliklinik  für  Ohren-, 
Nasen-  und  Halskranke  zu  Marburg.  Gemeinverständliche  Anweisung  zur 
Heilung  der  Eiterung  des  Ohres.     1896.  50  Pf. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 
2 


Lehrbuch 

der 


pathologischen  Hnatomie 

von 
Prof.  Dr.   F.  V.    Birch-HirSChfeld  in  Leipzig. 


2  Bände  in  3  Theilen.    Lex.  8°. 
Zweiter  Band. 

Lehrbuch  der  Speciellen  Pathologi- 
schen Anatomie. 

1.  und  2.  Hälfte. 

Mit  207  Abbildungen. 

Vierte  Auflage.     Lex.-8°.     1895. 

Preis  24  M.,  geb.  26.50  M. 


I.  Band.  Lehrbuch  der 
Pathologischen  Anatomie.  Mit  veterinär- 
pathologischen Beiträgen  von  Professor 
Dr.  A.  Johne  in  Dresden.  5.  Auflage  wird 
im  Laufe  dieses  Jahres  erscheinen. 

Die  Birch-Hirschfeld'sche  Patholo- 
gische Anatomie  ist  als  eines  der  besten  und 
reichhaltigsten  Lehrbücher  anerkannt.  Der 
Verfasser  hat  bei  der  neuen  Bearbeitung 
unermüdlich  den  neuesten  Forschungen 
Rechnung  getragen.  Die  zahlreichen  vor- 
trefflichen ,  zum  Theil  farbigen  Abbildungen 
erhöhen  den  Werth  des  Werkes. 


His,  Prof.  Dr. W.  (Leipzig),  Anatomie  menschlicher  Embryonen.    3  Ab- 
theilungen.    Text  mit  Abbildungen  und  Atlas  mit  15  Tafeln,  gr.  Fol.   75  M. 

1.  Abtheilung'.  Embryonen  des  ersten  Monats.  Text  mit  17  Abbil- 
dungen u.  Atlas,  Tafel  I— VIII.    gr.80u.gr.  Fol.     30  M.  (Text  apart  8  M.) 

2.  Abtheilung'.  Gestalt-  und  Grössenentwicklung  bis  zum  Schluss  des 
zweiten  Monats.     Mit  67  Abbildungen,     gr.  8°.  5  M. 

3.  Abtheilung1.  Text:  Zur  Geschichte  der  Organe.  Mit  156  Abbildungen, 
gr.  8°.  Atlas:  Embryonen  bis  Ende  des  zweiten  Monats.  Taf.  IX — XIV 
und  I*.     gr.  Fol.  40  M.  (Text  apart  8  M.) 

Manchot,   C.     Die  Hautarterien  des  menschlichen  Körpers.    Mit  9  Tafeln, 
gr.  40.     1889.  12  M. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 
3 


Grundriss 

der 
von 

Prof.  Di.  F.  V.  Birch-  Hirschfeld  in  Leipzig. 

gr.  8°.    1892.    Preis  6  M.,  geb.  7.25  M. 

Birch -Hirschfeld 's  Grundriss  soll  den  angehenden  Mediziner  in  das 
Studium  der  allgemeinen  Pathologie  einführen,  wie  auch  dem  fertigen  Arzte 
als  ein  Nachschlagebuch  dienen,  in  welchem  er  sich  jederzeit  rasch  über 
die  Lehren  der  allgemeinen  Pathologie  orientiren  kann.  Bei  der  Anlage  des 
Werkes  wurden  als  Hauptziel  „die  scharfe  Umgrenzung  der  pathologischen 
Grundbegriffe  durch  klare  Zusammenfassung  der  sicheren  Forschungsergebnisse 
und  mit  Hervorhebung  der  noch  offenen  Fragen"  angestrebt. 


Grundriss 

der 


von 

Prof.  Dr.  Ludolf  Krehl  in  Jena. 

gr.  8°.   1893.   Preis  6  M.,  geb.  7.25  M. 


Das  Werk  ist  eine  Ergänzung  des  Birch-Hirschfeld'schen  Grundrisses,  es 
zerfällt  in  folgende  Abschnitte: 

1)  Der  Kreislauf.  2)  Das  Blut.  3)  Die  Athmung.  4)  Die  Verdauung.  5)  Der 
Stoffwechsel.    6)  Das  Fieber.   7)  Die  Harnabsonderung.    8)  Das  Nervensystem.  — 

In  dem  Krehl'schen  Werke  werden  dem  Studirenden  die  gegenwärtig  herr- 
schenden Vorstellungen  über  die  Funktionsstörungen  der  Organe  zusammen- 
fassend vorgeführt.  Zweifellos  fehlte  seither  ein  Buch  dieser  Tendenz  in  der 
heutigen  medizinischen  Litteratur,  und  es  gebührt  dem  Verf.  schon  deshalb  Dank, 
weil  er  die  bisher  in  den  Lehrbüchern  der  allgemeinen  Pathologie,  der  klinischen 
Diagnostik  und  der  innerenKrankheiten  zerstreuten  Grundsätze  der  klinischen  Patho- 
logie zum  ersten  Male  in  einer  gesonderten  Abhandlung  zusammengefasst  hat. 
(Ad.  Schmidt,  Bonn,  Centralbl.  f.  innere  Med.) 

Ref.  kann  mit  grosser  Anerkennung  die  völlige  Beherrschung  des  Stoffes 
und  das  allenthalbe  klare  besonnene  Urtheil  des  Verfassers  hervorheben. 

Möge  das  Buch  fleissig  von  Studirenden  und  Aerzten  gelesen  werden.  Es 
wird  dann  sicher  zur  Verbreitung  einer  tiefer  gehenden  physiologischen  Auf- 
fassung der  krankhaften  Vorgänge  im  menschlichen  Körper  viel  beitragen. 

(v.  Strümpell,  Schmidt's  Jahrbücher.) 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 

4 


Lehrbuch 

der 
der 

inneren  Krankheiten.     Für  Studirende  und  Aerzte. 

Von 
Professor  Dr.   A.  V.  Strümpell   in  Erlangen. 


=    Zehnte  verbesserte  Auflage.    = 
3  Bände. 

Mit  zahlreichen  Abbildungen,     gr.  8°.     1896. 
Erster  Band.    12  M.,   geb.  14  M.    *    Zweiter  Band.    12  M.,  geb.  14  M. 
Dritter  Band.    12  M.,  geb.  14  M. 
Der  1895  erschienenen  9.  Auflage  folgt  jetzt  bereits  die  10.  Auflage  dieses 
innerhalb  und  ausserhalb  Deutschlands  gleich  bekannten  und  vielverbreiteten 
Lehrbuches.    Verfasser  hat  in  der  10.  Auflage  wiederum  zahlreiche  Zusätze  und 
Aenderungen  angebracht,   ja  mehrere  Capitel    des  Buches   ganz    von   Neuem 
geschrieben.     Das  Werk  hat  bekanntlich  seit  der  8.  Auflage  eine   etwas  ver- 
änderte äussere  Eintheilung  erfahren.     Von  dem  allmählich  zu  umfangreich 
gewordenen    ersten   Bande    sind    die  Abschnitte   über    die  Erkrankungen    der 
Digestionsorgane    abgetrennt,    und    mit    dem    bisherigen    zweiten    Theil    des 
zweiten  Bandes  zum  zweiten  Bande  vereinigt  worden.     Die  Krankheiten  des 
Nervensystems  bilden  somit  jetzt  den  dritten  Schlussband  des  Lehrbuches. 


v.  Strümpell,  Prof.  A.  (Erlangen).  Kurzer  Leitfaden  für  die  Klinische 
Krankenuntersuchung.  Für  die  Praktikanten  der  Klinik  zusammen- 
gestellt.   Vierte  Auflage,    kl.  8°.    1S96.  .     cart.  80  Pf. 

v.  Strümpell,  Prof.  A.  (Erlangen).  Ueber  die  Alkoholfrage  vom  ärztlichen 
Standpunkte  aus.     Vortrag,     gr.  8°.     1894.  60  Pf. 

v.  Strümpell,  Prof.  A.  (Erlangen).  Ueber  die  Ursachen  der  Erkrankungen 
des  Nervensystems.     Antrittsvorlesung,    gr.  8°.     1884.  1  M. 

Naunyn,  Prof.  B.  (Strassburg).    Klinik  der  Cholelithiasis.    Mit  5  Tafeln. 

Lex.-8°.    1892.  10  M. 

Minkowski,  Prof.  O.  (Strassburg).  Untersuchungen  über  den  Diabetes 
Mellitus  nach  Exstirpation  des  Pankreas,  gr.  8°.  1893.  Sonder- 
abdruck. 2  M. 

Sonnenburg,  Prof.  E.  (Berlin).  Pathologie  und  Therapie  der  Perityphlitis 
(Appendicitis  simplex  und  Appendicitis  perforativa).  Sonderabdruck.  Zweite 
sehr  erweiterte  Auflage,     gr.  8.     1895.  5  M. 

v.  Ziemssen's    Klinische  Vorträge.    1—23.    gr.    8°.    1895.  ä  60  Pf. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 

5 


Lehrbuch 


der 


für  Studirende  und  Aerzte 


Professor  Dr.  Edmund  Lesser, 

Director  der  Klinik  für  Hautkrankheiten  in  Bern. 

=  Achte  und  Neunte  Auflage.  = 
I.   Band. 

9.  Auflage. 

Hautkrankheiten. 

Mit  29  Abbildungen  im  Text  und  3  Tafeln 

in  Kupferätzung. 

gr.  8°.    189(3.    Preis  6  M.,  geb.  7.25  M. 

Dem   Verfasser  ist  durch   seine    neue 
Thätigkeit  als  Kliniker  in  Bern  Gelegen- 
heit geboten  worden,  eine  Reihe  von  Krank- 
heitsfällen zu    sehen,    welche   ihm   früher 
in  der  Poliklinik  überhaupt  völlig  fehlten ; 
dieser    günstige   Umstand    ist    auch  nicht 
ohne  Einfluss  bei  der  Bearbeitung  der  neuen 
Auflage     geblieben,     und 
wenn  auch  der  Umfang  des 
Buches  nur  um  einen  halben 
Bogen  zugenommen  hat,  so 
wird  der  aufmerksame  Le- 
ser doch  fast  in  allen  Kapi- 
teln verbessernde  Aende- 
rungen    und    erweiternde 
Zusätze  finden. 

Auch  ist  eine  Anzahl 
von  Erkrankungen,  die  nur 
selten  zur  Beobachtung 
kommen,  in  ganz  kurzer 
Schilderung  aufgenommen 
worden. 

Mehrere  neue  Auto- 
typien, sowie  3  Tafeln  in 
Kupferätzung  tragen 
zur  Bereicherung  der  Illu- 
strationen bei. 


II.  Band. 

8.  Auflage. 


Geschlechtskrank- 
heiten. 
Mit    12    Abbildungen 
im  Text  u.  3  Tafeln  in 
Kupferätzung,    gr.  8U. 
1895.     Preis  6  M., 
geb.  7.25  M. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 


der 

ßfinifcßen  (ntißtrofßopie  ite  (§tuüe 

von 

Dr.  Hermann  Rieder, 

Privatdozent  und  Assistent  der  medizinischen  Klinik  in  München. 
12  Tafeln  mit  48  Abbildungen  in  Farbendruck.    Lex.-8°.  1893.    8  M„  geb.  9.50  M. 


12  Tafeln  mit  prächtigen,  von  Krapf  ausgeführten  Bildern  geben  alle  Ein- 
zelheiten wieder.  Jeder  wird  unbedingt  die  Schönheit  und  den  Reiz  dieser 
Bilder  anerkennen.  Es  sind  durchweg  Musterpräparate,  mit  einem  wahren 
Schwelgen  in  Farbentönen  und  Grössenverhältnissen  dargestellt. 

(Berliner  klin.  Wochenschrift.) 


Handbuch 

der 


von 

Dr.  Hermann  Rieder, 

Privatdocent  und  Assistent  der  medicinischen  Klinik  zu  München. 
Mit  423  Abbildungen  im  Text.     gr.  8°.    1895.    Preis  10  M.,  geb.  11.25  M. 


Rieder,  Dr.  H.  in  München.  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Leukocytose 
und  verwandter  Zustände  des  Blutes.  Mit  2  Abbildungen  im  Text  u.  4 
farbigen  Tafeln,    gr.  8°.  »  5  M. 

Monti,  A.,  Prof.  und  Dr.  E.  Berggrün,  in  Wien.  Die  chronische  Anä- 
mie   im    Kind  es  alter.     Mit  4  farbigen  Tafeln,      gr.  8°.  6  M. 

Reinert,  Dr.  E.  in  Tübingen.  Die  Zählung  der  Blutkörperchen  und 
deren  Bedeutung  für  Diagnose  und  Therapie.  Von  der  medicinischen  Klinik 
%u  Tübingen  gekrönte  Preisschrift,     gr.  8n.  6  M. 

Schmidt,  Prof.  Dr.  Alex.    Zur  Blutlehre,    gr.  8°.    1892.    6  M.,  geb.  7.25  M. 

Dennig,  Dr.  A.  (Tübingen).  Ueber  Septische  Erkrankungen  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  kryptogenetischen  Septicopyämie.  Mit  3 
farbigen  Tafeln  und  11  Curven.    Lex.  8°.  8  M. 

Dennig,  Dr.  A.  (Tübingen).  Ueber  die  Tuberculose  im  Kindesalter. 
Im  Druck. 

Goldschmidt,  Dr.  J.  (Madeira).  Die  Lepra  auf  Madeira.  Mit  13  Licht- 
drucktafeln.    Lex.  8°.  4M. 

Ziemssen,  Dr.  0.  in  Wiesbaden,  Die  Heilung  der  constitutionellen 
Syphilis,     gr.  8°.  1  M. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 


der 

inneren  1&v<xn&fyeittn. 

Ein  Handbuch  für  Aerzte  und  Studirende 
von 

Dr  Wilhelm  von  Leube. 

Professor  der  mediz.  Klinik  und  Oberarzt  am  Juliusspitale  in  Würzburg. 
Zwei  Bände. 
Vierte  umgearbeitete  Auflage. 
I.Bd.     Mit  10  Abbildungen.    Lex.-8°.     1895.    Preis   10  M.,   geb.  11.25    M. 
II.  Bd.     Mit  57  Abbildungen.     Lex.-8°.    1895.    Preis   12  M.,   geb.   13.25   M. 
Das  Leube'sche    Werk    stebt    unter    den     vorhandenen     medizinisch- 
klinischen     Lehrbüchern    mit    an    erster    Stelle.     Nicht    nur    der   Studirende 
wird  aus  ihm  Belehrung  schöpfen,   auch  jeder  Arzt  wird  es  gern  in  die  Hand 
nehmen,  wenn  er  seine  Kenntnisse  wieder   auffrischen,   sich  über  die  neueren 
Errungenschaften  der  klinischen  Forschung  unterrichten  will. 

Centralbl.  f.  klin.  Medizin. 

Insbesondere  sind  wir  dem  Verf.  für  zweierlei  dankbar:  er  ist  sichtlich 
bestrebt,  den  klinischen  Blick  dahin  anzuleiten,  dass  er  alles  umfasst,  nichts 
übersieht ,  insbesondere  nicht  über  minutiösen  Einzelheiten  das  grosse  Ganze, 
den  Allgemeinverlauf,  die  Wirkung  der  Krankheit. 

Fortschritte  der  Medizin. 


Leube,  Dr.  Wilhelm  von,  (Würzburg),  Über  Stoffwechselstörungen 
und  ihre  Bekämpfung.  Rede  zur  Feier  des  314.  Stiftungstages  der  Kgl. 
Julius  -Maximilians-Universität  gehalten  am  2.  Januar  1896.    1896.    gr.  8°. 

1  M. 


e  s  u  n  g  e  n 

über 


Vorl 

von 

Dr.  C.  Liebermeister, 

o.  ö.  Prof.  der  Pathologie  und  Therapie,  Vorstand  der  med.  Klinik  in  Tübingen. 

Fünf  Bände. 

gr.  8°.     1894.    Preis  42  M.,  geb.  48.25  M. 

Jeder  Band  ist  einzeln  käuflich. 

Diese,  mit  dem  vorliegenden  5.  Bande  abgeschlossenen,  Vorlesungen  des 
berühmten  Tübinger  Klinikers  sind  das  Produkt  langjähriger  Erfahrung  und  um- 
fassender Kenntnisse  eines  gewiegten  Klinikers.  Die  Uebersichtlichkeit  und  die 
leichte  Fasslichkeit  des  Textes  machen  das  Lehrbuch  dem  Studirenden  zugäng- 
lich, aber  auch  dem  praktischen  Arzte  wird  es  in  Folge  seines  reichen  Inhalts 
ein  willkommenes  Besitzthum  sein  zu  weiterer  Vervollkommnung. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 


Genitale  Neurosen  und  Neuropsychosen  der  Männer  und  Frauen 

von 
Prof.  Dr.  Albert    Eulenburg  in  Berlin. 

Lex.  8°.    1895.    Preis  4  M.,  geb.  5  M. 


Diagnostik 

der 

Von 
Dr.  P.  J.  MÖbiUS  in  Leipzig. 
Zweite  veränderte  und  vermehrte  Auflage. 
Mit  104  Abbildungen  im  Text.     gr.   8°.     1894.    Preis  8  M.,   geb.  9.25  M. 
In  dieser  neuen  Auflage  ist  der  Plan  des  Buches  erweitert  worden.    Das- 
selbe zerfällt  in  seiner  neuen  Gestalt  in  3  Theile.    Der  erste  enthält  die  Me- 
thoden der  Untersuchung  und  die  allgemeine  Symptomatologie,  geht  also  vom 
einzelnen  Symptome  aus;   der  zweite  enthält  die  Lehre  von  der  Localisation, 
geht  also  vom  Orte  der  Läsion  aus;  der  dritte  sucht  die  ätiologisch-klinischen 
Krankheitseinheiten  zu  fassen,  ist  eine  Skizze  der  speciellen  Diagnostik. 


Handbuch  der  Neurasthenie.  Herausgegeben  mit  anderen  von  Dr.  Franz 
Carl  Müller  in  Alexandersbad.    gr.  80.     1893.  12  M.,  geb.  14  M. 


Beard,  H.  M.,  Die  Nervenschwäche  (Neurasthenie),  ihre  Symptome,  Natur, 
Folgezustände  und  Behandlung.  Mit  einem  Anhang:  die  Seekrankheit  und 
der  Gebrauch  der  Brommittel.  Uebersetzt  und  bearbeitet  von  Sanitätsrath 
Dr.  M.  Neisser  in  Breslau.  Dritte  vermehrte  Auflage,  gr.  8°.    4  M.,  geb.  5  M. 

König,  Wilh.,  Dr.  in  Dalldorf,  Ueber  Gesichtsfeldermüdung  und  deren 
Beziehung  zur  concentrischen  Gesichtsfeldeinschränkung  bei  Erkrankungen 
des  Centralnervensystems.     gr.  8°.     1893.  4  M. 

Günther,  R.  Dr.  in  Sonnenstein,  Ueber  Behandlung  und  Unterbrin- 
gung der  irren  Verbrecher,     gr.  8°.     1893.  3  M. 

Hitzig,  Eduard,  Professor  Dr.  in  Halle,  Ueber  den  Quärulantenwahnsinn, 
seine  nosologische  Stellung  und  seine  forensische  Bedeutung.  Eine  Ab- 
handlung für  Aerzte  und  Juristen.    Lex.  8°     1895.  5  M. 

Lindenhof.  Heilanstalt  für  Gemüts-  und  Nervenkranke.  Von  Dr.  R.  H. 
Pierson,  (Director  und  Besitzer  der  Anstalt).  Mit  31  Lichtdrucktafeln  und 
5  Plänen.     Lex.  8°.    1896.  10  M. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 
9 


Schroeder's  Handbuch  der  Krankheiten 

der 

Unigearbeitet  und  herausgegeben 
von 

M.  Hofmeier, 

o.  ö.  Professor  der  Geburtshülfe  und  Gynäkologie  in  Würzburg. 

Elfte  Auflage. 

Mit  186  Abbildungen  im  Text. 

gr.  8°.     1893.     Preis  12  M.,   geb.  14  M. 

Die  Elfte  Auflage  dieses  bekannten  und  allgemein  verbreiteten  Handbuchs 
ist  sorgfältig  kritisch  durchgearbeitet  und  an  vielen  Stellen  verändert  und  er- 
gänzt. Obwohl  vielfach  früher  in  demselben  vortretende  Anschauungen  ge- 
ändert werden  mussten,  was  in  der  Natur  der  Verhältnisse  und  der  allmäh- 
lichen Fortbildung  unserer  Wissenschaft  liegt,  so  liegen  dem  Werke  doch  die 
speciellen  Ansichten  Schroeder's  zu  Grunde.  Es  bleibt  daher  dieses  Werk  in 
seiner  vorzüglichen  kritischen  Bearbeitung  ganz  dazu  geeignet,  den  Wunsch 
des  Herausgebers  zu  erfüllen,  das  Andenken  Schroeder's  unter  den  Fach- 
genossen lebendig  zu  erhalten. 


Hueter-Lossen's  Grundriss 

der 

Chirurgie. 

I.  Bd.    Die  Allgemeine   Chirurgie.     Sechste    umgearbeitete  Auflage. 
Mit  200  Abbildungen.     Lex.  8°.     1889.  Preis  10  M.,  geb.  12  M. 

II.  Bd.    Die  Specielle  Chirurgie.     Siebente  Auflage.     Mit    353  Abbil- 
dungen.    Lex.  8«.     1892.  Preis  25  M.,  geb.  27.50  M. 


„Hueter's  Chirurgie,  die  nahezu  an  allen  deutschen  Universitäten  gebraucht 
wird  und  sich  von  Generation  zu  Generation  forterbt,  gehört  zu  den  am 
meisten  verbreiteten  Lehrbüchern.  Die  treffliche  Bearbeitung,  die  Professor 
Lossen  seit  einer  Reihe  von  Jahren  dem  vorzüglichen  Werke  angedeihen 
lässt,  bewahrt  das  Buch  vor  dem  Veralten.  Bietet  das  Werk  dem  Studirenden 
ein  verlässliches  Compendium,  das  alles  Wissenswerthe  in  gebotener  Kürze, 
jedoch  frei  von  jedem  Schematismus  enthält,  so  genügt  es  auch  andererseits 
vollauf  den  Bedürfnissen  des  praktischen  Arztes,  da  es  in  knapper  Form,  in 
gut  geschriebener  klarer  Darstellung  in  allen  Fällen  Aufklarung  verschafft, 
ohne  jemals  durch  theoretischen  Ballast  zu  ermüden." 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 
10 


Vorlesungen 

über 

Hllöemeine  Therapie. 

Mit  besonderer  Berücksichtigung  der  inneren  Krankheiten 
von 

Dr.  Friedrich  Albin  HofFmann, 

K.  E.  Wirkl.  Staatsrath,  o.  ö.  Professor  und  Director  der  Universitäts-Poliklinik 
an  der  Universität  zu  Leipzig. 

Vierte  umgearbeitete  Auflage, 
gr.  8°.  1895.  Preis  10  M.,  geb.  12  M. 
Die  neue  Auflage  bietet  noch  reicheren  Inhalt  als  die  früheren  und  berück- 
sichtigt zahlreiche  Untersuchungen,  welche  namentlich  über  die  Stoff'wechsel- 
-erkrankungen  inzwischen  erschienen  sind.  Wie  bei  den  früheren  Auflagen  hält 
die  frische  und  originelle  Art  der  Darstellung  das  Interesse  des  Lesers  von 
der  ersten  bis  zur  letzten  Seite  wach.  Berliner  klin.  Wochenschrift. 


is  vortreffliche,  von  echt  philosophischem  Geiste  durchwehte,  eine 
Fülle  praktischer  Einzelheiten  enthaltende,  äusserst  anregend  geschriebene 
Lehrbuch  in  der  Bibliothek  keines  Arztes  fehlen,  der  in  der  Therapie  etwas 
mehr  erblickt,  als  das  Verschreiben  eines  Receptes  und  die  Abfassung  eines 
Speisezettels.  Deutsche  Medizinal-Zeitung. 

In  der  That  gehört  das  Buch  zu  den  wenigen,  in  neuster  Zeit  erschienenen 
Werken,  welche  durch  erfrischende  Originalität  in  Wort  und  Gedanken  das 
Interesse  des  Lesers  vom  Anfang  bis  zum  Schlüsse  in  steigender  Spannung  er- 
halten. St.  Petersburger  Medic.  Wochenschrift. 

Drei  Vorträge 

aus  dem  Gebiete  der 
gehalten  im 

Sitzungssaal  des  Abgeordnetenhauses 

Prof.  Dr.  Max  Rubner    von  Prof.  Dr.  Carl  Fraenkel 

in  Berlin  und  in  Marburg 

Prof.  Dr.  Dittmar  Finkler 

in  Bonn, 
gr.  8°.     1895.     Preis:   2  Mark. 


und 

^t^netoerordnuncjeFdfre. 

von 

Prof.  Dr.  H.  Tappeiner  in  München. 

Zweite  vollständig  umgearbeitete  Auflage. 

gr.  8°.    1895.     Preis  6  M.,  geb.  7.25  M. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 
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Im   Sommer  1896   erscheint: 

Vorlesungen 

ü6cr  Den  $au  fox  nernöfen  Äenfi?aiorgane 

btt  .Qfttenfcßen  unb.ZfyUvt. 

Für  Aerzte  und  Studirende 

von  Dr.  Ludwig    Edinger  in  Frankfurt  a/M. 

Fünfte  völlig  umgearbeitete  Auflage. 

Mit  zahlreichen  Abbildungen.     Lex.-'SU.     Preis  ca.  10  M. 


Aeussere  ) 

;  Opticusschicht. 
Innere      ) 


Centr.  Höhlengrau. 
Dec.  d.  tiefen  Markes. 
Tiefes  med.  Ther. 

Tief.  Mark.  lat.  Abth. 

Co.  post. 

Fase.  long.  post. 

Opticus. 

Nucl.  prof.  lat. 

Nucl.  prof.  med. 

Gangl.  ventr.  tegmenti. 


Frontalschnitt  durch  das  Mittelhirn  von  Lacerta. 

Die  fünfte  neu  revidirte  Auflage  ist  wesentlich  erweitert  durch  eine  grosse 
Anzahl  neuer,  nach  Photographien  von  grossen  Hirnschnitten  gefertigten  Ab- 
bildungen. Der  Mangel  solcher  grossen  Hirnbilder  hat  bisher  den  Gebrauch 
in  der  Praxis  etwas  erschwert.  Aber  das  Buch  hat  auch  eine  wesentliche  Er- 
weiterung dadurch  erfahren,  dass  es  in  einer  Reihe  von  einleitenden  Vorlesungen 
zum  erstenmale  eine  durchaus  originale  Uebersicht  über  das  Ge- 
hirn der  Wirbelthiere  bringt,  für  welche  an  100  neue  Abbildungen  nach 
Präparaten  des  Verfassers  gezeichnet  wurden.  Durch  diesen  neuen  Abschnitt 
und  dadurch,  dass  nun  auch  das  Functionelle  mehr  als  früher  berücksichtigt 
worden  ist,  eignet  sich  Edingers  Hirnanatomie  nun  auch  für  die  Studien 
über  den  Bau  des  Nervensystems  im  Allgemeinen  und  über  seine  Functionen. 
Speciell  sei  auch  die  Aufmerksamkeit  der  vergl.  Anatomen  und  Zoologen 
auf  das  Werk  gelenkt. 

Erb,    Prof.    TV.    in    Heidelberg,    Dystrophia    muscularis    progressiva. 

Klinische  u.  patholog.-anatom.  Studien,  gr.  S°.  1891.  Sonderabdruck.  4  M. 
Steudel,   Dr.  E..  Stabsarzt,  Die  pernieiöse  Malaria  in  Deutsch-Ostafrika. 

Mit  1  Curventafel.     gr.  8°.     1894.  2  M. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 

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